Interview Autorin P. B. Ryan im Interview zu ihrer Nell Sweeney-Reihe

Worum geht es in der Nell Sweeney-Reihe?

Nell ist eine junge Frau, die in Irland geboren wurde und gegen Ende des amerikanischen Bürgerkrieges nach Boston in Massachusetts kommt. Dort arbeitet sie als Gouvernante für die Kinder der sehr vermögenden Familie Hewitt. Im ersten Band, Nell Sweeney und die Spur des Todes, der einige Jahre nach Kriegsende spielt, wird Nell von Mrs Hewitt gebeten, einen Mord zu untersuchen, den ihr missratener opiumsüchtiger Sohn, ein ehemaliger Militärarzt, begangen haben soll. So beginnt Nell zu ermitteln und Mordfälle aufzuklären.

 

Nell entflieht der Armut, indem sie Gouvernante wird. Sie ist also mit unterschiedlichen gesellschaftlichen Kreisen vertraut. Hilft ihr das, mörderische Geheimnisse ans Licht zu bringen?

Ganz sicher. Nell wuchs in bitterer Armut auf und in ihrem Umfeld waren die meisten Menschen auf die ein oder andere Weise nicht ganz gesetzestreu. Ihre Zeit bei der Familie Hewitt hat sie mit der exklusiven Elite Bostons vertraut gemacht. Als Gouvernante ist sie keine Dame der Gesellschaft, aber auch keine Bedienstete, sondern eine unabhängige Angestellte, was damals eine Seltenheit war. Sie hat einen besonderen Status und hinzu kommt, dass sie sowohl im Armenviertel als auch im Salon zu Hause ist. So erhält sie Zugang zu allen gesellschaftlichen Schichten von Boston und kann sich überall anpassen.
Nell steht jedoch vor einem großen Hindernis: ihrem irischen Erbe. In den Jahren nach der irischen Hungersnot gab es einen enormen Zustrom irischer Einwanderer in das urbane Amerika, wo viele von ihnen in riesigen Mietskasernen am Stadtrand lebten und von den ansässigen Amerikanern mit Hohn und Abscheu betrachtet wurden. Boston war damals die anti-irischste Stadt der USA, weshalb ich Nell einen irischen Namen und Hintergrund gab. Sie wird häufig mit Argwohn betrachtet, auch von ihren irischen Landsleuten, die sie als Verräterin betrachten. Dieser Zustand erschwert ihre Ermittlungen und persönlichen Beziehungen und lässt uns umso mehr bei ihren Erfolgen und Misserfolgen mitfiebern.

 

Nell hat sowohl künstlerisches Talent als auch ein fotografisches Gedächtnis, was ihr bei ihrer Detektivarbeit zugutekommt. Malst oder zeichnest du selbst auch?

Ja, ich habe sogar einen Abschluss in Malerei am San Francisco Art Institute. Ich habe zu Hause ein Atelier für Ölmalerei eingerichtet, in dem ich fast jeden Tag Zeit verbringe. 

P. B. Ryan Interview Foto Karten und Bücher

Es gibt eine solche Fülle an historischen Details in deinen Romanen. Wie gehst du bei deiner Recherche vor?

Ich liebe historische Recherchen und finde es oft schwierig, mit dem Lesen meiner Geschichtsbücher aufzuhören und mit dem Schreiben zu beginnen. Ich bin darauf versessen, dass jedes einzelne kulturelle und historische Detail korrekt ist. Mein Agent und mein Mann haben erfolglos versucht, mir diese Ernsthaftigkeit auszureden. Doch trotz dieser Besessenheit habe ich festgestellt, dass der Trick beim Schreiben von unterhaltsamen historischen Romanen darin besteht, das meiste von dem, was ich über eine bestimmte Zeit gelernt habe, wegzulassen, damit meine Geschichten nicht so pedantisch wirken. Meine bevorzugten historischen Referenzen sind primäre Quellen: Die Memoiren des Bostoner Polizeichefs von 1873; zwei Bostoner Jahresalmanache von 1865 und 1870, die einen riesigen Fundus an Informationen über die Stadt enthalten; und eine Karte von Boston von 1868.

 

Deine Bücher spielen im ausgehenden neunzehnten Jahrhundert, eine Ära zwischen Industrialisierung, Fortschritt und Armut. Wünschst du dir manchmal, du hättest diese turbulente Zeit tatsächlich erlebt?

Ja, und ich wäre wahrscheinlich eine ziemlich gute Reiseführerin für das Boston des späten neunzehnten Jahrhunderts, wenn es uns dorthin verschlagen würde. Tatsächlich sind die meisten Gebäude, die ich in meinen Büchern beschreibe, auch heute noch in Benutzung. Mir würde ein Ausflug in diese Zeit gefallen, aber ich weiß zu viel über das damalige Leben, als dass ich dort für immer bleiben wollte. Mir sind moderne Technologie, Medizin, Sanitäranlagen und Chancengleichheit viel lieber.

 

Nell ist mutig, neugierig und schlau. Aber ist ihr Sinn für Gerechtigkeit ihr stärkster Antrieb, Kriminalfälle zu lösen?

Am Anfang war sie eine widerwillige Heldin, die nur zögerlich mit ihrer Untersuchung begann, weil Mrs Hewitt sie darum bat. Aber im Laufe der Zeit sieht sie sich in der Tat in der Pflicht, die Wahrheit aufzudecken und für Gerechtigkeit zu sorgen.

 

Wie planst du die Handlung? Steht das Ende schon vorher fest?

Im Allgemeinen, ja. Meine Bücher haben eine Menge Fäden, die am Ende zusammenlaufen müssen, also neige ich dazu, vorher ziemlich sorgfältig zu planen. Ich liebe knifflige Rätsel und die Ausarbeitung von einem Geheimnis, das die Leser:innen sowohl unterhält als auch herausfordert, erfordert gewisse Täuschungen und Manipulationen. Mein Ziel ist es, meine Leser:innen fair zu behandeln, indem ich alle notwendigen Hinweise zur Aufklärung des Mordes gebe und gleichzeitig gelegentlich auch die scharfsinnigsten und aufmerksamsten unter ihnen auf die falsche Fährte lenke. Aristoteles sagte, das Ende einer Geschichte sollte unerwartet, aber unvermeidlich sein. Das ist es, was ich anstrebe.

 

P. B. Ryan Interview Portrait

Wie sieht ein typischer Tag im Leben von P.B. Ryan aus?

Im Moment teile ich die meiste Zeit zwischen meiner Schreibkarriere und meiner Malerei auf, aber ich versuche, Zeit zum Lesen, Kochen, Reisen und gelegentlichen Wandern im schönen Texas Hill Country zu finden.

 

Was möchtest du deinen deutschen Fans sagen, die nun die Abenteuer von Nell Sweeney auf ihren E-Readern genießen können?

Zunächst möchte ich mich bei ihnen ganz herzlich für ihr Interesse an der Serie bedanken. Meine Fans sind genau die Art von Menschen, für die ich schreibe, intelligente Leser:innen, die eine lustige Geschichte mögen, die sie zum Nachdenken bringt. Lieblingsbücher sind wertvolle Dinge und einer der Vorteile der E-Book-Revolution ist es, Hunderte von günstigen Wälzern auf einem winzigen Gerät speichern zu können. Ich lade oft eine digitale Ausgabe eines Lieblingsbuchs herunter, damit ich es später noch einmal lesen kann, wenn ich in der Stimmung bin, mich wieder in eine Geschichte zu vertiefen, von der ich weiß, dass ich sie lieben werde – eine, die mich garantiert mit einem zufriedenen Lächeln zurücklässt.

 

Und was möchtest du den Lesern mitteilen, die erst jetzt die Krimis um Nell Sweeney entdecken?

Eine der großen Freuden des Lesens ist für mich, an einen Ort und eine Zeit gebracht zu werden, an die ich noch nie gedacht habe, und die faszinierenden Menschen, die dort leben, kennen und lieben – oder hassen – zu lernen. Meinen neuen Leser:innen möchte ich sagen: „Willkommen in Nells Welt. Ich hoffe, ihr findet sie genauso spannend wie ich.“