Interview Autor Volker Dützer im Interview zu Seeleneis

Worum geht es in deinem Buch Seeleneis?
Ich gehe in meinen Romanen gerne an Grenzen, und noch lieber übertrete ich sie. Die letzte Grenze, die wir alle eines Tages überschreiten müssen, ist der Tod.
Am Anfang einer Geschichte frage ich mich immer: „Was wäre wenn …?“ Was wäre, wenn es eines Tages gelänge, dem Sensenmann einen Strich durch die Rechnung zu machen? Literarisch ist dieses Thema oft bearbeitet worden – die Hybris des Menschen, der glaubt, die Natur beherrschen zu können.
In Jenseits der Nacht stürzt die Hauptfigur Lisa Wegener über ihre Selbstüberschätzung, als Unfallärztin mit dem Tod um jedes Opfer zu kämpfen, das auf ihrem OP-Tisch landet. Sie bezahlt ihre Verbissenheit damit, dass sie den Tod eines Anderen verursacht. Lisa fällt tief und wird dadurch in die Arme von Vincent van Dyck getrieben, der von der Idee besessen ist, seinen eigenen Tod zu abzuwehren.
Bisher war die Vorstellung, dem natürlichen Lauf der Dinge ins Handwerk pfuschen zu können, reine Fiktion. Inzwischen erscheint das nicht mehr ganz so aussichtslos, denn für die moderne Wissenschaft scheint es keine Grenzen mehr zu geben. Diese Überheblichkeit hat Schriftsteller schon immer fasziniert – von Goethes Faust bis Mary Shelleys Frankenstein.
Mich interessierte vor allem die Frage, wie weit ein Mensch bereit ist zu gehen, um sein eigenes Ableben zu verhindern. Ich vermute mal, dass sehr viele Leute im wahrsten Sinne des Wortes dafür über Leichen gehen würden. Interessant daran ist, dass wir heute meinen, wir müssten so viel wie möglich in unser Leben hineinpacken, um es lebenswert zu machen. Jeder Augenblick muss effizient genutzt werden, und darüber vergessen wir nur allzu oft, worauf es eigentlich ankommt: Einfach nur ab und zu mal das Geschenk des Lebens zu genießen.
Letztlich geht es damit natürlich auch um Urängste, die in uns allen schlummern und die wir beharrlich verdrängen. Daraus lassen sich die besten Thriller stricken. Der Schurke in „Jenseits der Nacht“ zahlt am Ende einen hohen Preis für seinen Wahn, aber auch Lisa wird durch die Ereignisse sehr verändert. Dazu muss ich erwähnen, dass in „Jenseits der Nacht“ nichts geschieht, was nicht schon heute möglich wäre. Naja …. fast.

 

Wieso schreibst du Thriller, was magst du an diesem Genre besonders?
Es ist eine gute Gelegenheit, außergewöhnliche Menschen in extremen Situationen zu zeigen. Ich mag es, die Hauptfigur zu Beginn innerhalb weniger Seiten vollkommen zu demontieren; sie in einen Abgrund zu stürzen, aus dem es scheinbar kein Entkommen gibt. Die Art und Weise, wie sie dann doch wieder ans Tageslicht klettert und den Sieg davonträgt, ergibt dann die spannende Reise bis zum unvermeidlichen Showdown.
Ich lese selbst gerne Geschichten, die mich völlig gefangen nehmen, und ich liebe es, meine Leser:innen aus der Wirklichkeit zu entführen und sie erst auf der letzten Seite wieder freizulassen. Eine Leserin, die an MS leidet, hat mir mal geschrieben, dass sie während des Lesens einer meiner Romane zum ersten Mal eine Nacht lang nicht an ihre Schmerzen gedacht hat. Da fiel mir plötzlich die Antwort auf die mir immer wieder gestellte Frage ein, warum ich eigentlich schreibe. Aus genau diesem Grund: Meine Leser:innen sollen eine Zeit lang so tief in die Geschichte eintauchen, dass sie alles um sich herum vergessen. Es ist schon vorgekommen, dass jemand eine Straßenbahnhaltestelle verpasst hat, weil er in einer meiner Geschichten versunken war. 

Volker Dützer Interview Portrait

Gibt es eine Szene, für die du besonders lange gebraucht hast? Wenn ja: Warum?
Das erste Kapitel ist immer das schwierigste. Noch ist alles neu und fremd. Es ist, als wenn ich aus dem Dschungel in die offene Savanne hinaustrete und mich auf unbekanntes Gebiet vorwagen muss. Überall lauern Gefahren und ich habe nur einen Bleistift und meine Fantasie als Waffe bei mir. Die Imagination ist wie ein wildes Tier, das sich nur widerwillig zähmen und reiten lässt. Und ich weiß nie, wohin es mich führen wird.
Auch wenn ich mich zuvor intensiv mit meinen Figuren und der Handlung auseinandergesetzt habe, kann ich nie sicher sein, wohin meine Figuren wollen. Manchmal funktioniert es einfach nicht so, wie ich es mir vorgestellt habe. Das ist dann hart – für mich und meine Umwelt.
Oft entwickeln die Figuren irgendwann ein Eigenleben und weigern sich, Dinge zu tun, die ich von ihnen verlange. Das ist ein gutes Zeichen, denn dann beginnen sie lebendig zu werden und treiben die Geschichte ganz von selbst voran.

 

Was magst du gerne, was nicht so gerne?
Ich mag Stille und Natur, das Meer, am Strand liegen und faulenzen, Rennradfahren und Schlagzeugspielen, die Musik von The Police, gut erzählte Geschichten, Sonnenblumen und Eisbären.
Ich mag kein Gedränge und keinen Lärm (was mir manchmal die erstaunte Frage einbringt, wie ich denn dann Schlagzeug spielen und laute Musik mögen kann), keinen Schnee und keine Lügen. Und ich hasse es, beim Schreiben unterbrochen zu werden, weil in diesem Augenblick vielleicht ein wunderbarer Einfall für immer verschwindet.

 

Was machst du neben dem Bücherschreiben?
Obwohl ich vor ein paar Jahren einen Unfall hatte und mein Rücken ziemlich im Eimer ist, versuche ich noch immer, so viel Sport zu treiben, wie es geht. Das bedeutet Radfahren (Rennrad und Mountainbike) und Schwimmen. Bis vor einem Jahr habe ich noch in einer Rockband Schlagzeug gespielt, aber das Schreiben nimmt inzwischen zu viel Zeit in Anspruch und ich komme nur noch ab und zu zum Spielen. Außerdem gehe ich gerne mit meiner Frau in der schönen Landschaft des Westerwalds spazieren.

 

Wie bist du zum Schreiben gekommen? Gibt es andere Autor:innen, die dir als Vorbild gedient haben?
Ich schreibe, seit ich einen Stift halten kann. Der Drang, mir Geschichten auszudenken, war schon immer da. Ich probiere gerne Sachen selbst aus, die mir gefallen, und will nicht nur Zuschauer sein. So merkt man zwangsläufig ab und zu: „Hey, das liegt mir“, und so war das mit dem Schreiben auch. Als ich sechzehn war, sollte jeder Schüler eine Kurzgeschichte schreiben. Die meisten schrieben Sachen wie „Was ich in den Ferien erlebt habe“. Ich schrieb eine Gruselgeschichte. Da ich ziemlich faul war, waren alle erstaunt, als ich mich zum Vorlesen meldete. Danach war’s dann fünfzehn Minuten so still, dass man eine Stecknadel hätte fallen hören. Gewissermaßen war das der Startschuss für eine Karriere als Thrillerautor. Mein Deutschlehrer gab mir nur eine 2, weil ihm der Schluss nicht gefiel. Das hat mich schwer gewurmt, weil ich fand, dass er unrecht hatte. Jahre später, als mein erster Roman erschien, hab ich bei ihm geklingelt und ihm das Buch in die Hand gedrückt. Er hat sich sehr gefreut. Er war einer der wenigen guten Lehrer, die ich hatte.
Ich bin bis heute von Dean Koontz und Stephen King inspiriert, aber auch von Krimi-Autoren wie Robert B. Parker oder Daphne de Maurier. Sie alle aufzuzählen, dafür reicht der Platz nicht.

 

Wie sah die Recherche zu dem Thriller aus?

Ich habe ja oft abgedrehte Ideen, die sich um Grenzbereiche drehen. Als erstes wollte ich wissen, was denn heute überhaupt schon möglich ist. Ich stieß dann schnell auf die Kryonik. Vereinfacht gesagt, bedeutet das: Leute, die das nötige Kleingeld besitzen, lassen ihre Körper einfrieren, in der Hoffnung, dass die Wissenschaft eines fernen Tages weit genug entwickelt ist, um sie wieder zu neuem Leben erwecken zu können. Das Verfahren gibt es schon seit den 60er Jahren des letzten Jahrhunderts, und es wurde stetig verbessert. Man weiß ja, dass so etwas auch im Tierreich funktioniert. Es gibt da einen Frosch, der im Winter einfriert und im Frühjahr wieder auftaucht und weiterhüpft, als wäre es die einfachste Sache der Welt.
Neu war mir, dass inzwischen Konzerne wie Google ernsthaft an der Unsterblichkeit forschen. Im Silicon Valley suchen Milliardäre nach dem Schlüssel des ewigen Lebens, dazu wurde eigens die Firma Calico gegründet. Google hat die besten Genetiker und Wissenschaftler der Welt angeheuert, um das Rätsel zu lösen.
Das Einfrieren – die richtige Fachbzeichnung heißt „Vitrifikation“ – ist bereits seit Jahren Routine, aber mit dem Auftauen hapert es noch. Immerhin soll es Forschern gelungen sein, ein Kaninchengehirn wieder voll funktionsfähig herzustellen. Ob das Kaninchen nach dem Erwachen zuerst nach einer Karotte gefragt hat, ist nicht bekannt. Aber man sieht daran, dass dies keine Spinnerei ist, sondern durchaus ernst gemeinte Forschung – und zudem ein Milliardengeschäft. Ich habe mich im Roman eher auf die psychischen Auswirkungen konzentriert, aber da will ich nicht zu viel verraten. Die Kryonik bildet nur das Hintergrundthema für die Figuren.

 

Wie lange hast du für das Buch gebraucht?
Etwa drei Monate für die Planung und dann nochmal ein halbes Jahr für das Schreiben und Überarbeiten.

 

Was macht für dich einen guten Thriller aus?
Zuallerst: Lebensechte, glaubhafte Figuren. Dann braucht es einen packenden Einstieg, der die Leser:innen fesselt und Fragen aufwirft, die aber erst am Ende beantwortet werden; einen exzellenten Showdown, der gut vorbereitet sein will, und natürlich jede Menge Irrwege und überraschende Wendungen. Etwa in der Mitte frage ich mich immer, was die Leser:innen nun wohl erwarten. Dann sorge ich dafür, dass zumindest einige dieser Erwartungen nicht erfüllt werden.

 

Was war bisher der beste Thriller, den du gelesen hast?
Brandzeichen von Dean Koontz. Meisterhaft.

 

An was schreibst du momentan?
Im Augenblick bereite ich parallel mehrere Plots und Geschichten vor. Ich kann mich noch nicht so recht entscheiden, was ich als nächstes angehe. Es muss mich packen und nicht mehr loslassen.

 

Du schreibst auch in anderen Genres. Welches magst du am liebsten und warum?
Das Genre ist für mich gar nicht so wichtig. Es gibt gewisse Grundregeln, nach denen gute Geschichten funktionieren. Diese Regeln gelten für jede spannende Literatur.
Am liebsten mag ich natürlich Thriller. Man kann Abenteuer und Gefahren erleben ohne wirklich jemals in Gefahr zu sein.
In diesem Zusammenhang fällt mir gerade eine Idee für einen Roman ein. Ich glaube, jetzt packt es mich. Ich unterbreche das Interview und melde mich gleich zurück …
So, bin wieder da, die Idee ist festgehalten. Es gibt nichts ärgerlicheres, als wenn ich vergessen, einen Einfall zu notieren und kann mich später nicht mehr erinnern. Ideen sind kostbar und flüchtig wie teures Parfüm.
Wo war ich stehengeblieben? Ah ja, das Genre. Tatsächlich habe ich vor Kurzem einen zeitgeschichtlichen Roman beendet, was zum ersten Mal einen Ausflug in ein ganz anderes Genre bedeutet. Das hat sehr viel Spaß gemacht und am Ende ist es dann zum Teil doch wieder ein Thriller geworden. Ich kann eben nicht aus meiner Haut.
Ich weiß nicht genau, warum Thriller und Krimis so beliebt sind. Vielleicht wegen des erwähnten gefahrlosen Grusels, vielleicht aber auch, weil durch einen Mord (und so etwas passiert ja meistens in Thrillern) die Welt aus den Fugen gerät und der Held –in der Regel der Ermittler oder Detektiv – den Fall löst, den Täter überführt und die Welt wieder in Ordnung bringt. Man sagt, gute Literatur weist dem Menschen in einer Welt, die ihm gleichgültig gegenübersteht, einen sinnvollen Platz zu. Ehrlich gesagt, ich weiß es wirklich nicht.

 

Was magst du an deinem Beruf (dem Autor sein) besonders?
Ich kann eigene Welten erschaffen, Figuren erfinden und sie aufeinander loslassen. Wenn mir, wie ich eingangs erwähnte, jemand schreibt, er habe beim Lesen meiner Romane den anstrengenden Alltag oder eine belastende Krankheit ein Stück weit  vergessen können, erfüllt mich das seltsamerweise mit einem Gefühl tiefer Zufriedenheit. Außerdem scheint das Schreiben eine Art Virus zu sein, mit dem ich mich irgendwann infiziert habe. Ich werde ihn nicht mehr los. Manchmal droht er mich auszuhöhlen und zehrt an meiner Kraft, aber dann wieder gibt er mir auch unglaublich viel zurück. Ich liebe es, „geschrieben zu haben“. Der Weg zu einem Roman ist oft sehr anstrengend, aber es zieht mich unwiderstehlich immer wieder an den Schreibtisch zurück. Ich mag das Gefühl, zu tippen und Buchstaben zu erzeugen, die sich zu sinnvollen Sätzen aneinander zu reihen. Wenn sich Seite um Seite füllt, versinke ich manchmal in einem Kopfkino, das so schnell und klar läuft, dass ich mit dem Tippen kaum hinterherkomme. Es ist wie eine Art Trance.
Oft werde ich gefragt, woher ich meine Ideen nehme. Ich habe festgestellt, dass es meistens nicht so funktioniert, dass ich einen Einfall habe und daraus dann eine Geschichte mache. Das Tippen und noch mehr das Schreiben von Hand löst im Gegenteil etwas in meinem Kopf aus. Plötzlich sprudelt die Kreativität – so wie vorhin, als ich über das Erleben von Abenteuern beim Lesen geschrieben habe. Ich weiß noch nicht, wie ich aus der Idee einen Roman mache, aber ich spüre die Unruhe im Bauch, dass da etwas raus will, das mir noch nicht bewusst ist. So geht’s meistens. Und dieses Explodieren von Kreativität liebe ich über alles.

 

Schreibst du Hauptberuflich?

Vor ein paar Jahren hatte ich einen Unfall, bei dem ich mir einen Rückenwirbel brach. Die Ärzte haben mich wieder zusammengeflickt, aber ein kleiner Cyborg bin ich trotzdem – dank eines Titanstücks in der Wirbelsäule. Seitdem arbeite ich in meinem erlernten Beruf als Maschinenbaukonstrukteur nur noch fünf Stunden am Tag. Das ermöglicht mir bei einigen gesundheitlichen Einschränkungen mehr Zeit zum Schreiben. Dazu muss ich nicht nur am Schreibtisch sitzen, sondern kann überall arbeiten – mit dem Laptop auf der Couch, im Bett oder mit einem Notizbuch auf einer Schaukel im Garten.
Ich schreibe jeden Tag oder plane den nächsten Roman. Inzwischen kann ich mir gar nicht mehr vorstellen, etwas anderes zu machen. Ich hoffe, dass ich noch viele Bücher schreiben kann. Um all die Ideen umzusetzen, müsste ich mindestens 120 Jahre alt werden. Andere Autoren beklagen ab und zu, dass die Muse sie verlassen hat. Ich muss meine Muse manchmal rausschmeißen, damit ich mal Ruhe habe. Aber sie kommt immer wieder – die Muse meine ich – und dafür bin ich ihr sehr dankbar.

 

Willst du noch mehr über Jenseits der Nacht erfahren? Dann schau auf Volker Dützers Blog vorbei:  http://www.volker-duetzer.de/Schreib-Blog/