Was macht eigentlich Moni Schwärzel?
Manchmal sitzt sie einfach nur so da und weint. Nicht, weil Bärbel eine besonders traurige Frau ist oder gar depressiv, sondern nur, um Ballast loszuwerden. Denn Tränen machen frei, davon ist sie überzeugt. Sie schwemmen all das Negative aus. Es ist ihr Mantra, ihr Lebensmotto: Weinen hilft! Und Tanzen hilft natürlich auch, daran glaubt Bärbel fest. In diesen Momenten täuscht sie eine Stepptanznummer an und schnipst mit den Fingern. Meistens, wenn sie nur so dasitzt und weint, verlieren ihre Tränen nach zwei bis vier Minuten das Interesse und ziehen sich zurück. Ihr Schluchzen wird zu einem entspannten Seufzen und das benutzte Taschentuch, welches sie aus Gründen der Nachhaltigkeit zuvor mit einer Schere halbiert hat, wandert in den Abfalleimer. Die andere Hälfte spart sie sich für später auf.
Manchmal denkt Bärbel Schramm auch über ihre eigene Beerdigung nach. Nicht, weil sie eine besonders traurige Frau ist oder gar depressiv, sondern einfach nur, weil sie es besser machen möchte als ihre Mutter, die sich ihr Leben lang vor diesem Thema verschlossen hat. Als sie starb, damals vor fünfzehn Jahren, saß Bärbel in der Kirche mit zwei weiteren Gästen. Es gab eine anonyme Einäscherung und eine zufällige Trauerrednerin, die ähnlich viel Engagement bewies wie die Pflichtverteidigerin eines Vergewaltigers. Bärbel entschied sich für eine frühzeitige Planung. Wann immer ihr ein Einfall zufliegt, zückt sie ihr kleines Oktavheft und kritzelt mit dem winzigen Rest eines IKEA-Bleistifts darin herum.
Lange schon notierte sie den musikalischen Opener in ihren Ablaufplan: Canon in D-Dur von Pachelbel. Sie träumt von einer Beerdigung, die groß und glanzvoll ist wie eine Trauung.
Bärbel Schramm ist eine Frühaufsteherin. Jeden Morgen lässt sie sich von Dr. Alban wecken – nicht persönlich, aber musikalisch. ‚It‘s my life‘ donnert werktags um fünf Uhr dreißig durch ihre Datscha. Nicht, weil sie den Song so großartig findet oder gar Dr. Alban-Fan ist, sondern einfach nur, weil ihr Ziehsohn Mo diesen Song so gerne hörte, damals, als er aus der Jugendhaftanstalt entlassen worden war und sich niemand für ihn interessierte außer ihr.
Spätestens um sechs Uhr steht Bärbel für gewöhnlich auf. Allerdings nur an Werktagen und auch nur in der hellen Jahreszeit, wie sie die Monate Mai bis September nennt. Eine kalte Dusche und einen heißen Kaffee später stürzt sie sich in gemusterte Leggings und raus auf ihre Rennstrecke. Einmal Gaisbichl hin und zurück. Sechs Kilometer Länge garniert mit zweihundertvierunddreißig Metern Höhenunterschied.
Zuvor schnallt sie ihre Bauchtasche um, fädelt ihre Finger in die Fahrradhandschuhe – die guten mit Klettverschluss und reichlich Ballenpolster – und bezieht Stellung auf ihrem E-Scooter. Mit diesem saust sie zum Wanderparkplatz und setzt ihren schlanken, langen Körper in Bewegung. Manch einer fragte schon indiskret, distanzlos fast, ob sie eine Essstörung habe.
Ich bin einfach nur vollschlank, erklärt sie ihre Figur, immer freundlich, nie garstig. Und sie hat bis heute nicht verstanden, wann und vor allem warum vollschlank eine Umschreibung für übergewichtig geworden ist.
Sie versteht ebenfalls nicht, das erzählte sie auch ihrem siebenundzwanzigjährigen Ziehsohn Mo, warum einsame Spaziergängerinnen mitleidig angeschaut werden, einsame Spaziergängerinnen, die einen Hund im Schlepptau haben aber nicht. Die Tierheime sind voll mit Hunden, scherzte Mo damals.
Doch Bärbel sieht nicht ein, sich einen Hund ins Haus zu holen, nur um nicht doof angeschaut zu werden. Sie läuft einfach. Einsame Joggerinnen, ob mit oder ohne Hund, werden niemals mitleidig angestarrt. Das Joggen passt ohnehin gut zu Bärbels vollschlanken Körper. Man wird denken, ich bin eine Marathonläuferin, die für die Olympischen Spiele trainiert, glaubt sie.
Goldenes Sportabzeichen, maximal, meint Mo hingegen und blickt ihr immer etwas zu keck auf die partiell gefalzte Mimik. Bärbel liebt seine Scherze.
Bärbel ist eine ambivalente Person. Auf der einen Seite ist sie sehr energetisch, auf der anderen träge. Hin und wieder, wenn sie nach einem anstrengenden Tag nicht nur ihre eigene Energie, sondern auch die ihres E-Scooters verpulvert hat und besonders faul auf ihrem Ausziehsofa versandet, ist sie schlichtweg zu bequem, den ausgehungerten Akku ihres Scooters mit Strom zu füttern. Am nächsten Morgen fühlt sie sich wie eine Rabenmutter. Sie flucht auch ein bisschen, während der Akku hektisch blinkt und immer noch nach Nahrung kreischt. Low battery.
Dann bereut sie, dass sie manchmal so schrecklich bequem ist. Außer Strom kostet es doch nichts, schnell noch einen Akku aufzuladen, sollte man meinen. Ihr bleibt an solchen Tagen nichts anderes übrig, als auf ihr uraltes Bonanzarad zu steigen.
Als Bärbel vor einigen Jahrzehnten noch ein Kind war, besaßen all die anderen Kinder Bonanzaräder, nur sie nicht. Neidisch darauf blickend, mit ihrem artigen 24-Zoll-Mädchenrad, ist sie diese Enttäuschung nie losgeworden. Weshalb sie sich vor vierzehn Jahren zu ihrem fünfundvierzigsten Geburtstag ein gebrauchtes Bonanza schenken ließ – natürlich ohne die Rechnung mit den winzig kleinen Rädern gemacht zu haben. Schnelles Vorankommen Fehlanzeige. Seither reflektiert sie ihre Wünsche und materiellen Begehrlichkeiten und teilt sie in zwei Kategorien ein: Brauche ich oder will ich einfach nur haben. In Bezug auf Männer wendet sie dieses Verfahren ebenfalls an. Es gab viele, die sie einfach nur haben wollte. Daraus resultierten meist sehr spontane und wenig nachhaltige Bekanntschaften. Doch es gab nur einen einzigen, den sie tatsächlich auch brauchte. Sie ist längst nicht mehr mit ihm zusammen, sie redet auch nicht gerne über ihn. Vielleicht, weil sie ungern erwähnt, dass sie allein die Beziehung auf dem Gewissen hat. Kein Mensch spricht gern über das eigene Unvermögen – weder über das emotionale noch über das materielle. In den raren Momenten, in denen sie doch ein paar Worte darüber verliert, gibt sie zu, dass sie es verkackt hat. Sie seufzt dann schwer und presst die Lippen blutleer aufeinander.
Doch nicht heute. Heute lief bislang alles nach Plan. Nachdem Dr. Alban sie weckte, genoss sie die kalte Dusche und einen heißen Kaffee. Keine Tränen, kein schlapper Akku, kein Grund, auf das Bonanzarad zu steigen …„Auf geht‘s, los geht‘s“, stimmt Bärbel sich mit ihrem Schlachtruf ein. Ein Grinsen liegt auf ihren Lippen. Sie klatscht in die Hände. Es ist sechs Uhr zwanzig.
Mit dreißig Sachen brettert sie auf ihrem Scooter zum Wanderparkplatz und feiert den Fahrwind, der ihr Haar, welches sie mit einem knalligen Haargummi zu einem dicken Zopf an die linke Seite des Kopfes gebunden hat, fahrig aus der Formation treibt. Der Schotter unter den Reifen spritzt zu den Seiten, wie das Fruchtfleisch einer überreifen Apfelsine, wenn sie plattgetreten wird.
Schnell sichert sie den E-Scooter mit einem Zahlenschloss, atmet in die Tiefe ihres Bauches und dehnt sich in die Höhe ihrer Umgebung.
„Auf geht‘s, los geht‘s“, tönt sie noch einmal, kontrolliert die Doppelschleifen ihrer Laufschuhe und setzt sich in Bewegung.
Ein kühler Wind weht angenehm und sanft, der den Tau von der Wiese vertreibt, während sich die Sonne unverhüllt, fast freizügig auf ihren schweißtreibenden Aufstieg macht. Aus einiger Entfernung sieht Bärbel eine einsame Spaziergängerin mit Hund.
„Griaß di, Bärbel“, trällert die junge Frau, als sie auf gleicher Höhe sind. „Immer wenn ich dich sehe, läufst du.“
„Servus, Marina“, hechelt Bärbel. Sie grinst vergnügt. „Weißt doch, ich trainiere für die Olympischen Spiele.“ Das goldene Sportabzeichen hat Bärbel dieses Jahr schon hinter sich gebracht.
„Deine Energie möchte ich haben“, ruft Marina ihr hinterher.
„Wünsch dir nichts. Es könnte in Erfüllung gehen“, ruft Bärbel zurück.
Als Bärbel vor fünfzehn Jahren nach dem Tod ihrer Mutter ins Allgäu migrierte, musste sie sich erst an die neue Sprache gewöhnen. ‚Städterin‘ wurde Bärbel genannt. Doch nicht für lange. Schon längst ist sie eine von ihnen. Nur noch selten muss sie so tun, als ob und eine Konversation unauffällig weglächeln, weil sie als Hochdeutsch-Muttersprachlerin nichts versteht.
Einige Zeit später galoppiert Bärbel auf die nächste Spaziergängerin zu. Auch sie führt einen Hund an der Leine.
Heute ist aber viel los. Bärbel fühlt sich beinahe in ihrer Ruhe gestört.
„Guten Morgen, Silvie“, hechelt Bärbel und grinst.
„Servus, Bärbel“, grüßt Silvie zurück. „Hat sich Johannes am Wochenende gut benommen?“, erkundigt sie sich.
„Du meinst im Rambazamba?“, fragt Bärbel nach, um ein Missverständnis zu vermeiden.
„Ja, im Rambazamba. Wo denn sonst? Oder hattest du keinen Dienst?“
„Doch, doch.“
„Als Jugendliche bin ich da auch schon hingegangen. Stell dir vor, wie lange es das Rambazamba schon gibt.“ Silvie blickt an Bärbel vorbei. Ihre Mundwinkel drücken Freude aus, ihre Augen Sehnsucht.
„Und immer noch ist es die beliebteste Dorfdiskothek im Ort.“ Ein-, zweimal im Monat hilft Bärbel im Rambazamba als Barkeeperin aus.
Sie mag das Licht, die laute Musik, die jungen Leute. Das kleine Taschengeld, wie sie es nennt, das sie als Entschädigung fürs Ausschenken von Alkoholika erhält, mag sie ebenfalls. ‚Betreutes Trinken‘ nennt sie ihre Tätigkeit, da sie immer auch ein waches Auge auf die Pegelstände der Trinkenden hat.
„Ja, natürlich. Es gibt schließlich keine Alternativen“, frotzelt Silvie und schüttelt grienend ihren Kopf.
„Um auf deine Frage zurückzukommen: Johannes ist ein wahrer Gentleman.“ Bärbel schnauft und joggt mit kleinen Tippelschritten auf der Stelle. „Er verhält sich immer gut.“
„Das höre ich gerne.“ In diesem Augenblick zerrt und reißt ihre Hündin an der Leine.
„Scheiß Jagdtrieb“, flucht Silvie und schafft es nicht, die Energie der jungen Dackeldame auf Sparflamme zu stellen. „Wenn sie doch nur ein bisschen mehr wie Johannes wäre“, ächzt sie. „Wir gehen mal weiter, es scheint mir, Doris hat eine Spur.“
Bärbel winkt und trabt vor sich hin. Ein komischer Morgen, denkt sie. So viele Menschen unterwegs.
Und der Morgen wird noch komischer. Das bemerkt Bärbel etwa zehn Minuten später, als sie auf dem immer schmaler werdenden Kiesweg, dort, wo die Steigung am ärgsten ist, einem Herrn mit knittrigem Schlapphut und fusseligem Schnauzbart entgegensteht.
„Oh“, entweicht es Bärbel erschrocken, denn sie hat ihn nicht kommen sehen. Schnell setzt sie zu einem Lächeln an.
„Willst wohl, dass ich dir ausweiche, nur weil du eine Frau bist, was?!“, bellt der Kerl, dass Bärbel das Lächeln aus den Gesichtszügen rutscht.
„Äh“, lautiert sie und steht der widerborstigen Oberlippenbehaarung direkt gegenüber.
Der garstige Typ, ein Hochdeutsch-Sprechender, kommt noch näher. Er riecht ungelüftet und nach kaltem Aschenbecher. „Was wollt ihr denn noch alles?“, schnauzt er.
„Alter weißer Mann“, raunt sie und drängelt schulterrempelnd an ihm vorbei.
„Alte weiße Frau“, ruft er ihr hinterher.
Und sie muss unzufrieden einsehen, dass er recht hat. „Scheiße“, flüstert sie, „ich bin tatsächlich eine alte weiße Frau.“ Und vermutlich wird der widerliche Kerl die eigentliche Botschaft meiner Aussage nicht verstanden haben, denkt sie und seufzt schwer. Sie bleibt kurz stehen, blickt sich um. Der alte weiße Mann ist kaum mehr zu sehen. Schlag ihn dir aus dem Kopf, berät sie sich selbst. Garstige Menschen gibt es zuhauf, kein Grund, sich unnötig lange mit ihnen zu beschäftigen. Sie schüttelt den Kopf, bemüht darum, diese sonderbare Begegnung aus ihren Gedanken zu schleudern. Nur eines denkt sie schließlich noch: Es gibt zwei unterschiedliche Arten von anders. Anders, dass du positiv herausstichst und bewundert wirst, und anders wie dieser spezielle Kollege gerade. Dann setzt sie ihren Weg fort. Ein komischer Tag.
Die restliche Wegstrecke sprintet sie. Als sie über ein quietschendes Drehkreuz eine Viehweide erreicht, macht sie doch noch eine Pause. Um sie herum Glockengetöse, ein unaufhörliches Schellen und Bimmeln, als stünde Palmsonntag vor der Tür. Stell dir vor, es ist Gottesdienst und keiner geht hin. Bärbel grient.
„Ja hallo, Denise“, begrüßt sie ihre Lieblingskuh, die auf sie zu getrottet kommt. Bärbel kramt einen schrumpeligen Apfel aus ihrer Bauchtasche und füttert die freundliche Hornträgerin.
„Wer ist die Beste? Ja, wer ist die Beste?“, trällert Bärbel, führt dabei ein seltsames Tänzchen auf und krault Denise den Kopf, den diese hin und her schwenkt. Und die Glocken läuten und läuten. „Ich könnte das nicht“, verrät Bärbel ihrer Denise, während eine Kuh nach der anderen auf die beiden Damen zu trödeln.
„Dieser ständige Lärm, dieses Klimpern. Ich habe schon Stress, wenn ich zu lange Ohrringe trage.“
Denise guckt, als ob sie kein Wort versteht, wie Bärbel damals als frisch Zugezogene. Der Apfel ist verspeist, schon trabt Bärbel wieder an.
„Bis morgen, Mädels.“ Sie winkt, während sie bis zum nächsten Drehkreuz von der Herde verfolgt wird.
Bis zum Gaisbichl keine Störung mehr. Oben angekommen lässt Bärbel ihren Oberkörper prustend nach vorne fallen. Die Füße weit auseinanderstehend pendelt sie vom linken zum rechten Schuh, während ihr dicker Zopf den Boden fegt. So ging Dehnen in den Achtzigern. Heutzutage heißt dehnen Work-out oder Cool-down. Heutzutage musst du mindestens einen mit synthetischen Eiweißen aufgepäppelten Personal Trainer haben, der dir die Kamellen von damals als Innovationen von heute erklärt, überlegt Bärbel mit sehr viel Blut und Schwindel im Kopf. Der menschliche Körper von heute funktioniert noch immer wie der menschliche Körper aus den Achtzigern. Über das, was unsere Gelenke und Sehnen naturgemäß hergeben, kann sich auch der modernste Personal Trainer nicht hinwegsetzen, denkt sie und richtet sich langsam wieder auf.
„Wow“, macht sie, als ihr der Schwindel in den Kopf schießt, und wartet reglos ab, bis die kleinen Sternchen vor ihren Augen und das Blut aus ihrem Kopf verschwunden sind. Man wird nicht jünger. Zum Glück aber älter. Sie grient. Sie gönnt sich zwei tiefe Atemzüge. Nichts, was Bärbel in diesem Augenblick belastet.
Keine Sorgen. Keine Gedanken an garstige Männer mit Schlapphut. Kein Grund, einfach nur so dazusitzen und zu weinen. Stattdessen genießt sie die vorzügliche Aussicht. Mit Himmelsrichtungen hatte Bärbel noch nie etwas am Hut. Sie weiß nur, verweht es die Krempe von vorn, ist es zu windig – ganz gleich, ob aus dem Süden, aus dem Westen oder aus dem Osten.
Sie blickt geradeaus, sieht über das Gipfelkreuz hinweg. Für Allgäuer Verhältnisse ist der Gaisbichl mit seinen 923 Metern nichts weiter als ein Hügel. Früher war Bärbel regelmäßig auf den dicken Brocken unterwegs und nahm an Bergläufen teil. Doch die dicken Brocken und hohen Gipfel hat sie inzwischen längst alle erklommen. Heutzutage reichen ihr Hügel wie der Gaisbichl. Von dort aus hat man trotz der geringen Höhe eine gigantische Aussicht. Bärbel seufzt erneut. Hach, schön.
Sie blickt in die Ferne, genießt das Panorama der Hochalpen, deren Kuppen dem Schnee ganzjährig ein Zuhause bieten. Sie plinkert gegen das grelle Sonnenlicht an, guckt und genießt, blickt schließlich hinab nach Fichting-Hof. Ein Ortsteil von Fichting, in dem es keine Ferienunterkünfte gibt, nur Einheimische. Von dort oben sind die Häuser klein wie Daumennägel. Im Ortskern zeigt sich der typisch bayerische Landhausstil – weißer Rauputz, Fensterläden, Holzbalkone und Blumenkästen, aus denen blühende Hängegeranien zu regnen scheinen. Rechts der Siedlung ist ein kleines Neubaugebiet entstanden, in dem sich überwiegend junge Familien niedergelassen haben. Wie Würfel, die irgendwer beim Kniffeln aus dem Becher geschüttet hat, stehen die modernen Häuser – Fensterläden und Hängegeranien sucht man hier vergebens - unsortiert in der Landschaft verteilt. Voller Vertrauen und ohne Barrikaden leben die Familien in Fichting-Hof nebeneinanderher. Allenfalls ein Staketen-Zaun trennt das eine vom anderen Grundstück ab.
Ganz anders als in Hamburg, wo Bärbel früher gewohnt hat. Dort gibt es blickdichte Zäune, Mauern und trennscharfe Grenzen wie in einer Vorratspackung Toffifee. Die Gärten sind vollgestellt mit Aufblaspools, Rutschen und Trampolinen. In den Vorgärten parken Wohnmobile. Ganz anders als in Fichting.
‚Idyllisch‘ ist das Wort, das Bärbel einfällt. Dort scheint die Welt noch in Ordnung zu sein. Aufblaspools braucht es keine. Die Seen und Flüsse stehen und fließen direkt nebenan. Wozu ein Wohnmobil? Man ist ja eh schon im Paradies. Bärbel taucht in ihre Gedanken ab. Sie träumt fast wie Silvie vorhin, als sie über das Rambazamba sprachen. In der Ferne läuten die Glocken. Zuerst nimmt sie den gleichbleibenden Klang gar nicht wahr, doch im nächsten Augenblick erinnert sich Bärbel an die Kuh Denise. Bing-Bing. Bing-Bing. Keine Kuh, eine kleine Kapelle spielt auf.
Kapellen und Kirchen gibt es im Allgäu zuhauf, fast mehr als Touristen auf E-Bikes. In Fichting-Hof stehen gleich zwei Kapellen blutleer in der Gegend rum und warten auf Kundschaft. Fragt man Bärbel, ist das eine Verschwendung von Wohnraum. Man fragt sie aber nicht.
Die Glocke hat aufgegeben und Bärbel wandert mit ihrem Blick nach links. Abseits des Dorfes, nur über einen schmalen Wiesenpfad zu erreichen, steht die kleine Hütte von Alois. Sie ist genauso klein und heruntergekommen wie er selbst. Dort wohnt er in der hellen Jahreszeit mit seinen Kühen. Er ist ein schroffer, harscher Kerl, ein einsamer Mann mit schlechten Manieren. Manch einer behauptet, er sei ein Kettenraucher, ein Trinker. Manch anderer meint, er sei ein kettenrauchender Trinker. Ob man möchte oder nicht, man trifft ihn häufig vor dem Supermarkt in Fichting-Au. Dort, wo sich auch die Jugendlichen treffen, die zu jung für das ‚Rambazamba‘ sind. Manchmal sorgt sich Bärbel um ihre Zukunft. Was arbeiten in Fichting, fragt sie sich und hegt berechtigte Zweifel an der syntaktischen Vollständigkeit dieses Satzes.
Ach, was soll‘s. Sie hat schon länger das Gefühl, dass bestimmte Wortarten out sind. Artikel und Präpositionen zum Beispiel sucht man in der Jugendsprache vergebens – Schwamm drüber. Die scheinen unter den Teppich gekehrt worden zu sein. Gehst du ‚Rambazamba‘? Ich bin Haltestelle. Unweigerlich muss Bärbel an Nell denken, die junge Frau, exzellent von Jodie Foster gespielt, die aus der Wildnis kam und einige Phasen des Spracherwerbs überspringen musste. Nichtsdestotrotz, Bärbel unterhält sich gerne mit den Jugendlichen aus Fichting. So oft wie möglich nimmt sie sich die Zeit für ein unbeschwertes Schwätzchen.
Bleibt sauber, Jungs und Mädels, gibt sie ihnen regelmäßig mit auf den Weg.
Safe, antworten sie meist. Kaum ein dialektaler Hinweis ihrer Herkunft ist zu hören. Die Zeiten ändern sich. Die jungen Leit, wie man sie im Allgäu nennt, orientieren sich inzwischen an internationalen Vorbildern, eher am Hochdeutsch, bevorzugt am Englischen und am liebsten an hipper Jugendsprache. Ein Dialekt stört dabei nur – sehr zum Leidwesen einiger konservativer Einheimischer. Sie sind extrem traditionshörig, das Gegenteil von weltoffen und in Trachtenvereinen aktiv, in denen weibliche Mitglieder, sofern überhaupt zugelassen, laut Satzung lange Haare zu tragen haben. Ultras. Bärbel kneift die Augen zu, als hätte sie ein Spritzer Zitronensaft getroffen.
Ich muss Wanderparkplatz, fällt ihr plötzlich noch ein und lächelt. Scheint, als wäre sie gedanklich ein bisschen abgeschweift.
„Auf geht‘s, los geht‘s“, flüstert sie und klatscht zum x-ten Mal in ihre Hände. Dumpf schlucken ihre Fahrradhandschuhe den Klang. Dann setzt sie sich wieder in Bewegung und trabt bergab zum Ausgangspunkt zurück.
Als sie den Kies des Parkplatzes unter ihren heiß gelaufenen Turnschuhen spürt, sieht sie gerade noch, wie der garstige Kerl mit Schlapphut auf die Landstraße einbiegt. Viel zu hochtourig, der Motor seines alten weißen Wagens schnappt nach Luft und röhrt, rast er davon. Die donnergrollende Musik, dass Bärbel zunächst ein Unwetter vermutet, begleitet ihn. Dann ist er aus Bärbels Sicht- und Hörweite entschwunden. Nicht aufregen, nur wundern. Bärbel hockt sich nieder und stellt die Rädchen ihres Zahlenschlosses auf 5678. Der von ihnen eingegebene Code ist richtig. Bärbel erscheint der Schriftzug der 100.000 Mark Show. Nell und Ulla Kock am Brink – welch eine amüsante Reise in die Vergangenheit. Und schwupp denkt sie an Michael J. Fox.
Noch immer außer Atem steigt sie auf ihren E-Scooter. „Hyper hyper“, tönt sie und schießt davon. Ihre Finger umschließen den Lenker wie eng verzurrte Handschellen. In Gedanken geht Bärbel das schmal gewordene Sortiment ihres Kühlschrankes durch. Sie muss dringend einkaufen, hat aber keine Lust, nach Fichting-Au zum Supermarkt zu fahren. Für das Nötigste tut es auch der Käseautomat.
Käseautomaten gehören inzwischen ins Allgäu wie Dauerwerbepausen ins Privatfernsehen. Sie stehen an Tankstellen, Rastplätzen, Landstraßen, überall dort, wo viele Touristen vorbeikommen und wo es keine Supermärkte gibt. Bärbel fällt die spontane Entscheidung, zum Käseautomaten an der B 12 zu fahren. Der ist immer gut bestückt und funktioniert auch bargeldlos.
Am Rande der Landstraße an Weiden und Wiesen vorbei saust Bärbel durch den Sonnenschein. Die Fluktuation auf der Landstraße erweckt den Eindruck eines autofreien Sonntags. Bergkäse, zwölf Monate gereift, vielleicht einen Bergblütenkäse. Bärbel ist hungrig. Butter, Rahmjoghurt und Milch.
„Den restlichen Einkauf erledige ich heute Abend“, ruft Bärbel dem Fahrtwind entgegen - als ob es ihn interessieren würde. Guter Plan. Sie grinst. Doch plötzlich ist ihre Mimik nicht länger zu einem freundlichen Ausdruck bereit und zieht das Grinsen zurück. Sie zwingt die Bremsen des Scooters, ihren Job zu machen, und stürzt ob des sofortigen Fahrtabbruchs über den Lenker. Nach einer kurzen Unterbrechung durch diese gehechtete Judorolle steht sie direkt wieder auf ihren Beinen, als hätte Bärbel den Schwung des Sturzes gut zu nutzen gewusst.
Mit einer Hand vor dem Mund läuft sie die letzten Schritte der jungen Frau entgegen, die da reglos auf der Straße liegt, neben ihr ein silbergraues Fahrrad. Ein herkömmliches Fahrrad ohne E.
„O nein, o nein“, schrillt Bärbel. Ihr ist schwummerig zumute, fast taumelig. Mit zittrigen Händen zerrt sie das Telefon aus ihrer Bauchtasche und lässt es ungebremst zu Boden fallen.
„Scheiß Fahrradhandschuhe“, krakeelt sie und bückt sich. Zweimal hackt sie auf die eins und einmal auf die zwei ein.
„Bärbel Schramm, kommen Sie schnell. Hier liegt eine bewusstlose Frau auf der Straße“, kreischt sie.
Eine einstudierte Gelassenheit am anderen Ende der Leitung antwortet ihr. „Ganz ruhig. Wo genau befinden Sie sich?“, erklingt es bemüht darum, hochdeutsch zu klingen, während Bärbel mit jedem Atemzug panischer wird.
„B 12 kurz vor der Abfahrt nach Albing, direkt in der Kurve.“
„Ist die Person ansprechbar?“
„Bewusstlos, sagte ich.“ Bärbel knabbert an ihrer Unterlippe, ihre Finger nesteln am Reißverschluss ihrer Bauchtasche.
„Haben Sie versucht, sie anzusprechen?“
„Anni, komm schon“, schnauzt Bärbel, der Situation durchaus angemessen. Anni, deren Stimme Bärbel nach anfänglicher Denkblockade nun erkennt, arbeitet seit Jahren in der Rettungsleitstelle. Man kennt sich in Fichting.
„Schick einfach schnell einen Rettungswagen hierher. Ich kann mich jetzt nicht länger mit dir unterhalten“, japst Bärbel und lässt das Telefon erneut fallen – dieses Mal allerdings absichtlich. Sie tost auf die bewusstlose Frau zu, fällt direkt vor ihrem Körper auf die Knie, ungebremst und ohne die Schmerzen des Aufpralls zu bemerken.
„Hallo, hallo.“ Bärbel rüttelt an der Frau, die einfach so daliegt, friedlich und still, als würde sie schlafen. Sie reagiert nicht! Bärbel erkennt, dass die Frau die Moni ist. Moni Schwärzel, die Ex-Freundin ihres Ziehsohnes Mo. Die Beziehung ist zwar schon seit einer Weile keine Beziehung mehr, doch das ändert nichts an Bärbels Gefühlen.
„Moni! Moni! Wach auf!“, schreit Bärbel, aber Moni gehorcht nicht. „Nein, nein, nein, nein, nein“, quiekt Bärbel mit vibrierender Kinnpartie und greift sich Monis Kopf. Wenn ich nur fest genug schüttel, nur stark genug störe, dann wacht sie sicher wieder auf. Ein Trugschluss: Wenn Schluss ist, ist Schluss. Das begreift auch Bärbel in diesem Augenblick. Sie lässt von Moni ab, gewährt ihren Emotionen Freigang. Ihre Wimpern schlagen auf und nieder. Wasser schiebt sich vor ihren Blick. Ich sehe nichts. Ihre Mundwinkel drängen nach unten und schließlich treiben die ersten Tränen ihre Traurigkeit aus. Ihre Finger in Faustform gepresst, möchte sie schreien, doch ihr gelingt nichts weiter als heiseres Fiepen. Schluchzend betrachtet sie ihre Hände. Kein Blut. Und Moni liegt immer noch so da, als würde sie schlafen. In dem Moment nimmt Bärbel das Martinshorn wahr und wenig später das Motorengeräusch. Beides verstummt. Türen werden geöffnet und im Hintergrund Sachen, Koffer, Taschen sortiert. Dann trappeln Stiefel über den Asphalt.
„Nur die Ruhe“, wispert Bärbel. „Keine Eile. Moni ist tot.“
„Gehen Sie bitte zur Seite“, wird Bärbel ermahnt und spürt die Hand eines Mannes auf ihrer linken Schulter.
„Fass mich nicht an“, schnauzt Bärbel zunächst. Ihr schießt der alte weiße Schlapphut-Mann in den Kopf. „Ja, natürlich. Entschuldigung“, murmelt sie leise schluchzend und schiebt ihren langen Körper zur Seite in Richtung des Fahrbahnrands, ohne den Blick für eine einzige Sekunde abzuwenden. Halbgar motiviert machen sich die Männer vom Rettungsdienst an die Reanimation. Währenddessen tauschen sie Blicke aus und schütteln die Köpfe. Sie seufzen. Die Herzdruckmassage verläuft mit gedrosselter Geschwindigkeit. Immer langsamer werden die Bewegungen des jungen Mannes, der seine Hände auf Monis Thorax presst. Bärbel hatte recht: Moni ist tot. Doch sie ist … sie war noch so jung. Nach einigen Zyklen blicken die Rettungskräfte einander in die Augen und schütteln ihre Köpfe. Ein schweres Prusten ertönt.
„Bedrückend traurig, bedrückend traurig“, nuschelt der verspätet eingetroffene Notarzt, der in schwarzen Schuhen hilflos am Rand der Szene steht und ein Formular bekritzelt. In Bärbels Ohren nur Lärm. Vermutlich die Sirenen der Polizeiwagen. Die Sonne scheint hell und Bärbels dünnen Leggins kann der Feuchtigkeit des Grasstreifens nicht länger Paroli bieten. Paroli … so hießen Hustenbonbons in den Achtzigern.
„Sind Sie verletzt?“, wird Bärbel plötzlich angesprochen. Wieder eine Hand auf ihrer Schulter. Von wem? Von einem der Anwesenden. Es ist voll geworden auf der B 12 kurz vor der Abfahrt nach Albing direkt in der Kurve.
„Ich hab nur einen nassen Hintern“, flüstert sie und starrt wach und ohne zu blinzeln auf Monis ‚schlafenden‘ Körper. Bärbel hat schon einige Leichen gesehen. Nein, nicht in ihrem Keller, Bärbel ist ein feiner Mensch. Doch bevor sie Busfahrerin wurde, jobbte sie in der Pflege und auch im Krematorium. Sie hatte ihrer toten Oma und auch ihrem toten Opa Lebwohl gesagt. Lebwohl, na ja … Sie ist, was Leichen angeht, sozusagen erfahren. Doch sie hat noch nie eine Leiche namens Moni Schwärzel gesehen, die zudem noch so jung und die Ex-Freundin ihres Ziehsohnes Mo war.
„Junge Dame, sie bluten.“ Junge Dame, junge Dame, trödelt es durch Bärbels nur noch halbleitenden Gedankenapparat.
„Junge Dame sagt man immer nur zu alten Frauen“, wispert Bärbel vor sich hin. Sie sieht in Monis ruhendes Gesicht. Keinen Blick lässt sie umherschweifen.
„Entschuldigung“, erwidert die Stimme, die zur Hand auf Bärbels Schulter gehört. „Ich meine nur, äh, ihre Knie … Sie bluten, ihre Finger und am Kinn.“ Die liebe Grammatik, der syntaktische Lochfraß ist nicht nur ein Symptom der Jugendsprache, er befällt auch Notfallsanitäter.
„Alles gut. Mir geht es gut … im Gegensatz zu Moni“, wispert Bärbel und tätschelt den Handrücken des freundlich Tröstenden, ohne ihn an- und ohne von Moni wegzusehen.
Als Bärbel Stunden später auf dem Ausziehsofa in ihrer Datscha sitzt, kann sie sich an all das nur noch sehr unscharf erinnern. Sie fängt ihre Tränen ein und schnäuzt ihre rotgewordene Nase. Viele benutzte Taschentuchhälften neben sich. Manchmal weint Bärbel auch aus gutem Grund.
Was macht eigentlich Heather Thomas?
„It’s my life, it’s my life, my worries“. Pünktlich um fünf Uhr dreißig am nächsten Morgen meldet sich Doktor Alban zu Wort. Bärbel erwacht. Für einen Doktor ist es leider zu spät. Bärbel schluchzt wie aus dem Nichts. Fahrig boxt sie mit den Lagen ihrer schweren Bett- und der darüber liegenden Wolldecke. Nachts im Allgäu kann es kalt werden, selbst im Sommer. Ihr Ausziehsofa ächzt und knarzt unter der Rage.
„Wo ist denn hier der Ausgang“, zetert sie. „Endlich!“ Sogleich springt sie vom Sofa, trägt noch immer die wild gemusterten Leggins vom Vortag und rauscht in das kleine Schlafzimmer am Ende ihrer Datscha. Sie reißt die Tür auf, die leicht und kaum dicker als die Wände eines Campingwagens ist.
„Mo“, schimpft sie erschrocken, als sie ihren siebenundzwanzigjährigen Ziehsohn im Bett liegen sieht. Er schläft und trägt ein Grinsen in seinem Gesicht. Wie ein Seestern mit ausgestreckten Körperteilen liegt er rücklings in Bärbels Bett. Erst als sie mit ihrem Finger auf den abgeschrammten und altersentsprechend scheppernden CD-Player einsticht, um den Doktor, der nicht mehr benötigt wird, zum Schweigen zu bringen, regt sich Mo.
„Was machst du für einen Stress?“, tönt er verwaschen, ohne die Augen zu öffnen. Bärbel hat verschlafen, dass Mo in der Nacht zu ihr gekommen ist. Sie gibt es ungern zu, aber sie hat ganz wunderbar und unglaublich erholsam geschlafen. Bin ich ein schlechter Mensch? Moni ist tot und ich habe sogar richtig gut geträumt.
„Was machst du hier?“, keift Bärbel.
„Bis gerade eben habe ich geschlafen“, erwidert Mo und schiebt seine Finger wie eine Forke durch das dichte schwarze Haar.
„Hast du nicht gehört, dass der Wecker klingelt?“
„Du nennst den alten CD-Player, den du an eine Zeitschaltuhr angeschlossen hast, tatsächlich einen Wecker?“ Zögerlich öffnet Mo seine hübschen dunkelbraunen Augen.
„Es lärmte und dudelte direkt neben deinem Kopf. Hast du nichts gehört?“
„Ganz offensichtlich nicht“, erwidert er und schnaubt. Seine Sprache ist erwacht und nur noch zaghaft verwaschen. „Was ist denn heute mit dir los? Du bist doch sonst nicht so.“
Bärbel seufzt und blickt den langen Weg hinab in Richtung Boden – sie ist eine große Frau.
„Oh“, macht sie und betrachtet das knittrige Etwas auf Höhe ihres Bauchnabels. Es sieht aus wie der verlassene Beutel eines Kängurus.
„Hast du etwa auf deiner Bauchtasche geschlafen? Und du unterstellst mir, dass ich nichts mitbekomme?“
„Scheiße“, flüstert Bärbel. Sie öffnet den Reißverschluss, der alle paar Millimeter hakelt, und blickt im Innenraum auf ihre zerknitterten Habseligkeiten. Mein Oktavheftchen. Doch bevor sie darin ihre eigene Beerdigung plant, wäre es Zeit, an Monis zu denken.
„Also, was ist los?“, will Mo nun wissen.
„Du hast es noch nicht gehört?“, fragt Bärbel leise und blickt Mo aus traurigen Augen an, die rundherum ähnlich knitterig sind wie ihre plattgelegene alte Bauchtasche. „Moni ist ermordet worden.“ Sie hatte vorgehabt, es ihm behutsam mitzuteilen. Doch sie wusste nicht, wie das geht. Ein Schongang, vorsichtig und sanft, und der Tod, gewaltig und invasiv, haben rein gar nichts miteinander zu schaffen. Sie eigenen sich nicht dazu, in einer gemeinsamen Gleichung aufzutauchen.
Mo richtet sich plötzlich auf. Mit starrem Blick sieht er an Bärbel vorbei und fixiert die hinter ihr liegende weiße Wand. Für einen Augenblick befürchtet Bärbel, dass er seinen Körper verlassen hat.
„Mo?“
Schon sieht er ihr wieder in die Augen. „Du machst einen Scherz. Das ist ein Prank.“ Mo grient, als warte er auf Bärbels Auflösung.
„Spinnst du?“, hakt Bärbel nach. „Haha, Spaß oder was?“ Sie schnaubt, zweimal, dreimal und schüttelt den Kopf. „Das ist geschmacklos. „Über so etwas würde ich keine Scherze machen.“ Während Bärbel längst schon wieder weint – leider hat sie kein halbiertes Taschentuch parat –, äußert Mo sich nicht einmal nonverbal. Reglos und still sitzt er im Bett, eingehüllt in das noch immer grelle Blumenmuster der Bettwäsche aus den Siebzigern. Noch einmal befürchtet sie, dass er seinen Körper verlassen hat. Es herrscht Stille, die Bärbel schließlich durchbricht.
„Es ist so traurig.“ Bärbel schnieft. „Ich kann es gar nicht glauben.“ Bärbel fiept. „Moni sah aus, als wenn sie schläft.“ Bärbel krächzt. „Sie war doch noch so jung.“ Bärbel seufzt.
„Das ist ein Hammer“, meint Mo plötzlich. Er hebt die Arme in die Höhe und legt seine Hände auf dem Schädeldach ab, die geblümte Bettdecke rutscht über seine Brustwarzen und landet auf den Oberschenkeln.
„Das muss sehr schlimm für dich sein“, meint Bärbel und setzt sich neben ihren Ziehsohn auf das Bett. Sie leiht sich einen Zipfel der Blumenwiese aus und tupft sich ihre Nase an einer Tulpe ab. Mo schaut, als wäre er angewidert – vielleicht ist er das sogar.
„Warum?“, entgegnet Mo.
Endlich spricht er wieder. „Warum?“, fragt Bärbel nach. Sie sieht ihn an, als hätte er ihr gerade von einer UFO-Begegnung erzählt. Ein weiteres Mal an diesem Morgen schnaubt sie. „Weil sie deine Ex-Freundin war“, erklärt Bärbel, als wenn er die etwa zweieinhalbjährige Beziehung vergessen hätte.
„Das ist ewig her“, meint Mo, die Hände ruhen noch immer auf seinem Kopf.
„Ihr seid doch so glücklich miteinander gewesen.“
„Wir hatten keinen Kontakt mehr, wie das halt so ist. Ich habe sie ewig nicht gesehen.“ Mo lässt seine Arme herab und verschränkt sie vor der nackten Brust.
„Ihr seid so ein schönes Paar gewesen.“
„Jetzt bitte nicht überdramatisch werden. Du klingst wie eine verhuschte Großmutter, die in der Vergangenheit feststeckt. Erzähl mir lieber, was passiert ist.“ Und sofort erzählt Bärbel, dass sie Moni als Erste entdeckt, die Blaulichtfahrzeuge alarmiert und sich einen nassen Hintern auf dem Seitenstreifen geholt hat.
„Komisch, von da an kann ich mich an nichts mehr erinnern“, verrät sie. „Plötzlich saß ich auf meinem Ausziehsofa. Alles dazwischen ist weg, als hätte es meinen Körper verlassen.“
„Du sagtest, sie sei ermordet worden. Klingt eher nach einem Unfall“, resümiert Mo.
„Das ist doch das Gleiche“, behauptet Bärbel. Aus Mos Gesicht filtert Bärbel einen Ausdruck, dass er ihr gerne widersprochen hätte. Doch er unterlässt es.
Plötzlich schreckt Bärbel hoch.
Mo zuckt einmal kräftig zusammen. „Meine Güte“, schimpft er und tätschelt linksseitig seine Brust.
„Ich weiß, wer das getan hat“, donnert Bärbel und gestikuliert in der Gegend herum, als wäre sie eine Fluglotsin auf Speed. „Der alte weiße Mann“, wütet Bärbel.
„Hä?“ Mo zieht seine Oberlippe empor. „Wer soll das sein?“
„Dieser ungewaschene Kerl mit Schlapphut. Ich habe gerade noch gesehen, wie er vom Wanderparkplatz weggefahren ist. Ich muss sofort zur Polizei. Wir haben ihn, Mo. Wir haben ihn.“ Bärbel rast aus dem Schlafzimmer den schmalen Flur entlang rechts und links an Bad und Küche vorbei durch das Wohnzimmer, bevor sie stehen bleibt und sich umdreht. „Wo bleibst du denn?“, ruft sie atemlos. Keine zweieinhalb Sekunden später steht sie wieder im Schlafzimmer. Sie verzieht ihre Nase und kneift die Augen zu. „Hier müsste dringend mal gelüftet werden.“
„Hm“, macht Mo. „In einem Vierquadratmeterraum sind gute Gerüche schnell verbraucht.“
„Jetzt komm!“, fordert Bärbel ihren Ziehsohn auf.
„Wohin?“
„Na, zur Polizei“, erwidert sie wie selbstverständlich.
„Ich komme nicht mit.“
„Was heißt hier, du kommst nicht mit?“, fragt sie die Hände in die Taille gestemmt.
„Dass ich hierbleiben werde.“
„Komm schon.“
„Nein.“
„Was, nein?“
„Ich bleibe hier.“
„Und dann, was hast du vor?“
„Ich möchte einfach nur hier liegen.“
„Ich möchte einfach nur hier liegen“, äfft Bärbel seine Worte nach. „Du klingst wie Loriot.“
„Kenne ich nicht“, erwidert Mo.
„Kunstbanause!“
„Auch den kenne ich nicht“, meint Mo – und meint es sogar ernst.
Ach Mo, denkt Bärbel, du kleiner Töffel. Sie verlässt das Schlafzimmer, nimmt aus Mangel an Optionen exakt den gleichen Weg zurück ins Wohnzimmer, durchquert dieses und gelangt über den kleinen Windfang ins Freie auf die Veranda. Das beißende Sonnenlicht entlockt ihr zwei Nieser. Sie wünscht sich selbst Gesundheit und sucht den kleinen Vorgarten nach ihrem E-Scooter ab. Links des schmalen Weges kurz vor der Gartenpforte entdeckt sie ihn im hohen Gras. Ihr ist bewusst, dass sie längst mal wieder hätte mähen müssen. Aber ich muss die Bienen schützen.
„Nun komm schon“, ächzt sie und bringt das Gefährt, das irgendwie auch ihr Gefährte ist, in den Stand. Auf geht’s, los geht’s. In Anbetracht der Ereignisse klatscht sie ausnahmsweise einmal nicht in die Hände. Nicht, dass später noch behauptet wird, sie würde die Totenruhe stören.
Kaum den Scooter vor ihrem Grundstück in Position gebracht, macht sie sich auf den Weg zur Polizei. Sie muss ununterbrochen an den alten weißen Mann mit Schlapphut denken – und auch an einen öden Witz aus Kindertagen. Erst fang ich dich, dann pack ich dich, dann fress ich dich. Sie zwingt ihren Scooter, Fahrt aufzunehmen, und donnert los.
„Ich weiß, wer es war!“, krächzt Bärbel, als sie um acht Uhr fünfundfünfzig die moderne Schiebetür der kloanen – lütt sagt man dort, wo Bärbel herkommt - Polizeidienststelle betritt. Der Vorraum mit Anmeldetresen und zwei Stühlen zum bequemeren Absitzen von Wartezeit ist leer.
„Äh“, macht Bärbel. „Servus“, ruft sie. Nichts! Bärbel ruft erneut ‚Servus‘ und ‚Hallo‘ immer im Wechsel. Sie hat schon ihr Telefon in der Hand, gewillt die 110 zu wählen, da bummelt Polizeihauptmeister Benedikt Weiler mit einer Wurstsemmel in der Hand hinter den Anmeldetresen herbei.
„Ja mei, Bärbel! Griaß di“, grüßt er mit vollem Mund.
„Moin, Benedikt“, erwidert sie betont norddeutsch. Soll er meine Unzufriedenheit ruhig spüren. „Wieso dauert das so lange?“, fragt sie.
„Mia san olle hinten. Mia ham seit gestern olle Händ voll zum tuan“, behauptet der Polizeihauptmeister kauend. Er sieht aus wie Pitje Puck. Das findet zumindest Bärbel. Ich hasse Schnauzbärte. Sie hatte so sehr gehofft, diesen fragwürdigen Trend der siebziger-achtziger Jahre, als beinahe alle Männer Schnauzbärte trugen, überstanden zu haben. Sie hatte gehofft, dieser schmutzanfällige Bewuchs zwischen Nase und Mund sei ausgestorben. Doch seit Kurzem weiß sie, der Herr von heute trägt wieder Oberlippenpelz. Selbst bei jungen Leuten sieht man diesen kussunfreundlichen Borstenbalken immer häufiger.
Von hinten hört Bärbel Stimmen. Sie klingen eher nach Small Talk und heiterer Frühstückspause als nach analytischer und kriminalistischer Recherchearbeit.
„Soso, alle Hände voll zu tun“, tönt Bärbel scharf. Sie blickt abschätzig, legt den Kopf schief und lässt ihre Hände eine wegwerfende Bewegung machen.
Pitje, äh, Benedikt lächelt angestrengt und zieht die Schultern ohrwärts. „Mia miassen jo trotzdem etwos essn.“
„Einen guten Appetit wünsche ich“, meint Bärbel ironisch. „Freundlich wie ich bin, serviere ich euch Monis Mörder zum Nachtisch.“
Dem Polizeihauptmeister fällt beinahe die Unterlippe und das, was von seiner Semmel noch übrig ist, auf den Tresen. Er sieht zwar gerade sehr irritiert aus, aber auch adrett in seiner Uniform. Bärbel behagt nicht, dass solche Gedanken ihr Gehirn befallen.
Sie kennt ihn in Lederhosen und Kniestrümpfen. Er engagiert sich ehrenamtlich bei den Schuhplattlern, dem Fichtinger Ehrenplattlern e. V. und tritt hin und wieder auf Dorffesten auf. Alles, um die Touristen bei Laune zu halten. Letztes Jahr auf einem Dorffest forderte er Bärbel zum Tanzen auf. Es war schon sehr spät, die Touristen längst zurück in ihren Ferienunterkünften und die Einheimischen stellten von volkstümlich auf Salsa um.
„Wenn i bitten dorf“, sagte Benedikt und streckte seine Hand nach ihr aus.
Bärbel brach quietschend in Gelächter aus. „Du liebes bisschen, wo kommst du denn weg“, scherzte Bärbel, willigte dennoch ein und griff nach seiner Hand. Sie wagten ein paar Tänze miteinander, unterhielten sich gut, doch zwei Maß später war das Maß dann voll - und Bärbel auch. Sie wankte gefährlich auf und ab. Benedikt begleitete sie nach Hause, während er auf der einen Seite ihr Bonanzarad schob und Bärbel auf der anderen Seite untergehakt hatte. Sie kicherte den halben Weg und hatte sich auf dem Campingplatz vor ihrer Datscha zu einer langen Umarmung hinreißen lassen. In ihrer Verfassung wäre auch ein Kuss nicht ausgeschlossen gewesen. Als sie das nächste Mal auf Benedikt traf, ohne Bier und Salsa-Rhythmus im Blut, war ihre Euphorie deutlich abgeflacht. So abgeflacht, dass sie sich nicht einmal mehr eine Umarmung hätte vorstellen können. Zumindest redete sie sich das ein. So weit kommt das noch, dass ich mich mit einem Polizisten einlasse. Papa würde sich im Grab umdrehen. So haben wir dich nicht erzogen, würde er schimpfen.
„Monis Mörder?“, hinterfragt Benedikt. Er sieht noch immer
irritiert aus … und adrett. Er hat die Haare schön. Er hat leichte Wellen, woraufhin sein Deckhaar so einen schönen Schwung bekommt, während der Nacken akkurat aufgeräumt erscheint. Wenn nur dieser entsetzliche Schnauzbart nicht wäre. Hätte er den Schnauzer vor einem Jahr schon getragen, ich hätte trotz Bier und Salsa nicht mit ihm getanzt. Bärbel hat ihre Prinzipien.
„Ein Kerl mit Schlapphut, ein Auswärtiger, fuhr einen dicken Pick-up. Er röhrte wie wild vom Wanderparkplatz Richtung B 12. Er muss es gewesen sein. Ich weiß nicht, warum mir das gestern nicht gleich eingefallen ist.“ Bärbel schüttelt den Kopf. Sie sieht zu Benedikt, Feuchtigkeit legt sich in ihre Augen, danach blickt sie abrupt zu Boden und prustet.
„Ja mei“, tönt Benedikt. Er presst die Lippen aufeinander. In seinen Augen glaubt Bärbel eine Untergattung der Hilflosigkeit zu erkennen.
„Worauf wartest du noch? Ruf ihn zur Fahndung aus“, poltert Bärbel.
„Hosch’st des Nummernschild?“
„Ein Pick-up.“
„Koan Nummernschild?“
„Ein weißer Pick-up.“
„Des hilft uns net weider“, entgegnet Benedikt. „Hier fahrn viele oanen Pick-up. Denk nur an die Schmidhubers.“
„Weiß und auswärtig. Hörst du mir nicht zu?“ Die Ungeduld kriecht Bärbel in die Gliedmaßen, dass es in ihren Armen und Beinen kribbelt. „Anstatt hier Partys zu feiern und blöd rumzutrödeln, sollten alle verfügbaren Kräfte unterwegs sein und Monis Mörder jagen.“ Bärbel gestikuliert ungehalten und deutet mit dem ausgestreckten Arm in Richtung Straße.
Benedikt, der inzwischen seine Wurschtsemmel verspeist hat, wischt sich die Finger an der Uniform ab.
Bärbel schüttelt ihren Kopf.
Er blickt auf den Boden, als suche er etwas. Nachdem er einen versöhnlichen Ausdruck gefunden hat, hebt er seinen Blick wieder auf und bewegt sich langsam auf sie zu. Seine Sohlen knarzen auf dem grauen Steinfußboden. „Bittschee beruhig di. Mia tuan, was mia könna. Vertrau uns.“
„Benedikt! Wo bleibst denn du? Der Kaffee wird kalt“, ruft in dem Moment eine Kollegin aus dem Hinterzimmer. Bärbel erkennt ihre Stimme sofort. Es ist die Engler Anni oder wie Bärbel auf Norddeutsch sagt, Anni Engler aus der Leitstelle. Erst gestern hatten sie miteinander telefoniert.
„Ihr tut, was ihr könnt“, erwidert sie mit einem Schnauben. „Dieses miese Engagement hat Moni nicht verdient. Ihr benehmt euch, als hättet ihr sie bereits aufgegeben. Ich sag dir eins: Ich nehme die Sache nun selbst in die Hand. Und zunächst einmal sorge ich dafür, dass Moni eine anständige Gedenkveranstaltung bekommt, wenn sonst schon niemand hier an sie zu denken scheint.“
Dann stelzt Bärbel in Richtung Ausgang und verlässt die Polizeidienststelle. Sie hätte zu gerne mit der Tür geknallt, sie so dolle gegen den Rahmen gedonnert, dass die Raufasertapete ihre Struktur verliert. Stattdessen muss sie artig warten, bis die Lichtschranke sie erkennt und die Schiebetür sich öffnet. Im Oberallgäu geht’s halt a bisserl gemütlicher und beschaulicher zu.
Draußen zieht sie noch einmal die Klettverschlüsse ihrer Fahrradhandschuhe stramm – als ob das nötig gewesen wäre – und steigt mit blutleeren Fingerkuppen auf ihren E-Scooter. Erst fang ich dich, dann pack ich dich, dann fress ich dich. Sie schraubt am Gashebel und stürmt surrend davon.
„Wart amoi, Bärbel“, ruft Benedikt ihr hinterher.
Bemüh dich nicht, ich bin schon weg.
Bärbel rast über den Asphalt. Da sie am Vorabend nicht mehr daran gedacht hat, den Akku ihres Scooters mit Strom zu füttern, kreischt ihr Gefährt(e): Low Battery. Bis er schließlich streikt. Abrupt und stur. Beinahe stürzt Bärbel. Sie ist bestürzt. Ihr Unterbauch kracht gegen den Lenker. Dabei hat sie die Blessuren vom Vortag noch gar nicht wahrgenommen, so abgelenkt ist sie durch Monis Tod.
Kurz vor Fichting-Hof ist Ende. Stillstand. Sie flucht wie ein verlassener Ehemann, dem die gebügelten Oberhemden ausgegangen sind. Aber Bärbel ist keine Frau, die verzagt. Sie reagiert sofort und schiebt.
„Servus, Bärbel“, heißt es plötzlich von links. Sohnemann Schmidhuber fährt im Schritttempo neben ihr her und spricht sie aus seinem Pick-up an. Überhitzt vom Schieben und Schimpfen blickt sie mit Schweiß auf der Stirn auf. Hier fahren tatsächlich viele Pick-ups durch die Gegend.
„Soll i di mitnehm’n?“, erkundigt sich der junge Schmidhuber.
„Dich schickt der Himmel“, schnauft Bärbel etwas zu euphorisch vielleicht. Sie wuchtet ihren verhungerten Scooter auf die Ladefläche und nimmt neben dem Anfang zwanzigjährigen Ferdi Platz. Bärbel bestaunt die Windschutzscheibe, die so groß ist wie eine Kinoleinwand.
„Dein Auto ist so groß, dass es in den Achtzigern als Camper durchgegangen wäre“, staunt sie.
Ferdi lächelt. Seine Bäckchen sind fleischig und dunkelrot, wie man sich einen Landwirt vorstellt. Doch Landwirte sind die Schmidhubers nicht. Sie sind wie die Kardashians, gehören zu Fichtings Prominenz, sind die reichste Familie in der Region. Man munkelt, dass sie im Baugewerbe tätig sind. Ihnen gehört eine Menge Land. Sie vermieten Ferienwohnungen, die sie Chalets nennen, unterstützen die lokale Wirtschaft und fördern Umweltprojekte. Bärbel vermutet allerdings, dass Pick-ups und Umweltschutz nicht zueinanderpassen. Sogar ein Wanderweg ist nach den Schmidhubers benannt.
Im Wagen duftet es nach feinstem Eau de Parfum, Haargel und Waschmittel. Bärbel benutzt Shampoo, Seife und Zahncreme. Nur an diesem Morgen nicht. Sie steckt schließlich noch in ihren gemusterten Leggins vom Vortag. In dem Muster fallen Flecken ohnehin nicht auf. Doch dann bemerkt sie die Löcher an ihren Knien. Sie räuspert sich und gibt sich unbeteiligt.
„Wo konn i di absetzt’n?“, fragt Ferdi, als wolle er mit seiner guten Kinderstube prahlen.
„Zu Haus auf dem Campingplatz, wenn es keine Umstände bereitet.“ Bärbel muss den Scooter dringend gegen ihr Bonanzarad eintauschen.
„Wos treibt der oide Wucher-Schorsch?“, fragt Ferdi und meint Schorsch Kogler, Bärbels Nachbarn und Campingplatzbetreiber. Ferdi klingt ein bisschen neunmalklug wie ein Sechzigjähriger – ganz anders als die Jugendlichen, die sich in Fichting-Au vor dem Supermarkt treffen. Im Radio läuft Bayern eins. Was stimmt denn mit ihm nicht? Und dann noch diese Trachtenjacke.
„Dem Schorsch geht’s gut“, flunkert Bärbel. Sie plaudert ungern über Abwesende. Was daran liegt, dass Abwesende sich nicht äußern oder wehren können. Die Wahrheit ist, Schorsch lässt sich immer seltener auf dem Campingplatz blicken.
„Was soll i hier noch?“, flüsterte Schorsch. Es war eine rein rhetorische Frage, die er Bärbel gestellt hatte. Sie sollte zum Ausdruck bringen, wie schlecht die Geschäfte liefen, dass er kaum noch Buchungen hatte. Dann und wann verirrte sich ein Camper oder Wohnwagen auf den Platz. Manchmal ein Wohnwagen, der an einem Camper hing – Menschen möchten gerade im Urlaub auf nichts verzichten müssen. Doch die fetten Jahre, in denen Schorsch die Reisemobile auf seinem Platz hätte stapeln können, waren vorbei. Seit ein Investor im Nachbarort zwei Hochhäuser in eine riesige Anlage mit Ferienwohnungen verwandelt hatte und die Apartments weniger kosteten als ein Stellplatz bei Schorsch, buchten die Camper dort ihren Urlaub. Auf dem Gelände parkten sie ihre mobilen Einzimmerwohnungen eng an eng wie Heringsfilets in Tomatensoße, aber schliefen im Haus.
„Wo wolltest du oigentlich hi?“, fragt der forsche Ferdi und reißt Bärbel aus ihren Gedanken an Schorsch. Er lächelt sie von der Seite her an. Jede Wette, dass der seine Zähne bleicht.
„War auf dem Weg nach Fichting-Hof. Ich wollte alle zusammentrommeln. Wollte für Moni eine Trauerstunde organisieren.“
„Ja, die Moni“, meint Ferdi. „Oane entsetzliche Geschichte, net wohr?!“
Bärbel muss sich korrigieren: Er klingt wie ein achtzigjähriger und elfmalklug.
„Mia könna dia do helf’n.“
„Was meinst du?“
„Mia teil’n uns auf. Fahr du Hof ab, mia übernehm’n den Rest“, schlägt er vor. Sogleich bedient er sein Smartphone per Sprachsteuerung: „Ruf Gerdi on“, befiehlt er. Flori, Ferdi, Gerdi, sortierte Bärbel die Vornamen der Schmidhuber-Jungs. Im Wageninneren war über die Freisprecheinrichtung der Wählvorgang zu hören.
„Servus, Gerdi, i plon oane Trauerfeier für die Moni.“
Ja klar, es ist deine Idee. Bärbel schnaubt leise und kreuzt die Arme vor der Brust.
Dem Gerdi zugeschaltet, erklingt der Flori und auch Schmidhuber Senior hört Bärbel plötzlich sprechen - in Dolby Surround. Was für eine Klangbrillanz. So eine Qualität gibt es selbst in der Elbphilharmonie nicht.
„Die Bärbel übernimmt Fichting-Hof, mia übernehm’n den Rest.“ Die Männer sind sich einig.
Zurück auf dem Campingplatz birgt Bärbel den E-Scooter von der Ladefläche.
„Lieben Dank fürs Mitnehmen“, zitiert Bärbel eine beliebte Floskel. Was für ein blasiertes Arschloch. Sie grinst und zwinkert mit beiden Augen.
„Pfiat di.“
„Bis später.“
Bärbel trottet über den Kiesweg an Grasflächen entlang und unter Baumkronen hinweg. Sie kennt sich nicht gut mit Bäumen aus, erkennt aber, dass es Laubbäume sind. Der Scooter lahmt neben ihr her und lässt sich nur schwer über den steinigen Untergrund schieben. Campingbuchten säumen den Hauptweg, hohe Hecken ragen für ein Stückchen mehr Privatsphäre empor und am Rand rauscht die Hilla, die kühle Luft bringt und zum Rafting und Kajakfahren einlädt. Neben dem heruntergekommenen Kiosk, wo sich die sanitären Anlagen befinden, plätschert die Tränke. Bärbel begibt sich direkt dorthin und hängt sich unter das Bergquellwasser. Sie trinkt drei- bis vierhundert Milliliter. Nachdem sie und ihr Gefährt(e)Schorschs Datscha passieren, erreicht sie ihr eigenes Häuschen. Es steht in zweiter Reihe und ist eingerahmt von einer hohen Hecke, die zum Glück nur einmal im Jahr gestutzt werden will. Insgesamt neun Datschen stehen auf dem Campingplatz, die bis vor ein paar Jahren alle bewohnt waren. Heutzutage stehen sie leer, überwiegend zumindest. Sie wurden verkauft und ihre neuen Besitzer, meist Menschen aus der Stadt, nutzen sie an den Wochenenden oder für Urlaube, um ‚runterzukommen‘.
Bärbel ist davon überzeugt, am herrlichsten Fleckchen der Welt zu wohnen. Insbesondere, da sich links der Datschen ein kleiner Weiher befindet. Ursprünglich als Badestelle angelegt, hat Bertl Heuser, Biomarktbesitzer im Ort, ihn für seine Fischzucht gepachtet. Bärbel kümmert es nicht. Manche schwimmen mit Delfinen, Bärbel schwimmt mit Forellen. Natürlich nur, wenn Bertl sie nicht sehen kann.
Zurück in ihrer Datscha betankt Bärbel zuerst einmal ihren Akku mit Strom.
„Mo? Mo-ho?“, ruft sie ins Innere ihres Eigenheims. Doch Mo ist nicht mehr da. „Wo steckst du nur?“, zischelt sie. Er hat ihr nicht einmal eine Nachricht hinterlassen, aber das Bett gemacht und das Fenster im Schlafzimmer auf Kipp gestellt. Sie hadert mit sich, weil sie ihn in der Früh so harsch angegangen war. Doch Moni Schwärzel war gestorben. Wenn dieser unglückliche Umstand ihre Gereiztheit nicht rechtfertigt, was dann?
„Ich kann es jetzt nicht ändern“, resümiert Bärbel im Selbstgespräch und macht eine hinabwerfende Handbewegung. Sie streift sich eilig ein sauberes T-Shirt über ihren vollschlanken Körper. „Und jetzt zack, zack. Sieh zu, dass du auf dein Fahrrad kommst. Auf geht’s, los geht’s.“ Beinahe klatscht sie in die Hände. Doch die Totenruhe …
Ihre Knie schmerzen, als sie aufs Fahrrad steigt. Den Aufwand, den sie betreiben muss, um mit den kleinen Rädern vorwärtszukommen, verstärken diese Wahrnehmung noch. Das Bonanzarad quält sich über den Asphalt und Bärbel quält sich auch. Sie schnauft. Als sie schließlich im Ortskern von Hof an einer der beiden Kirchen ankommt, verschwitzt und mit reichlich Laktat in der Muskulatur, entscheidet sie, zu Fuß weiterzumachen. Ohne ihr Fahrrad abzuschließen, läuft sie von Haus zu Haus.
„Ich plane ein stilles Gedenken für unsere Moni. Heute um achtzehn Uhr. An der Unglücksstelle“, erklärt sie. Sie und die Einwohner von Hof liegen sich weinend in den Armen und teilen Taschentücher miteinander. Jedes einzelne Mal wird Bärbel hereingebeten und zu Gebäck oder Kaffee eingeladen.
„I hob no oan Stückele vom Hefezopf“, behauptet die Dorfälteste und schlurft mit runtergerutschten Kniestrümpfen und im geblümten Kittel in der Küche auf und ab. „Jo, wo isser denn?“ Suchend blickt sie sich um. Ihr grauer Star ist keine große Hilfe.
„Keine Mühen. Ich kann ohnehin nichts essen. Die ganze Sache ist mir auf den Magen geschlagen“, erklärt Bärbel und entdeckt einen leeren Teller mit den Resten eines Hefegebäcks auf der Küchenspüle.
Wohin sie auch geht, ihr wird Gebäck angeboten.
„Mogscht oane Hippe hom?“
„I hob no a Brezen.“
„Schau, Birnenbrot.“
Birnenbrot im Sommer, das gibt es doch sonst nur im Herbst.
Bärbel fühlt sich wie eine Stopfente. Eine Fütterung folgt auf die nächste und auch die Begriffe wiederholen sich. Auf Platz eins landet ‚entsetzlich‘ gefolgt von ‚fürchterlich‘, ‚traurig‘, ‚Tragödie‘ und ‚schrecklich‘. Und Bärbel kaut und kaut und nimmt Hefe und Zucker und Fette in sich auf.
„Ich habe nur Snickers“, erklärt Daan.
„Gerne“, flunkert sie. Sie greift zu, auch wenn sie befürchtet, beim nächsten Happen brechen zu müssen.
Dann endlich hat sie es geschafft. Sie hat alle, die Moni kannten, eingeladen. Na ja, nicht ganz. Alle bis auf einen. Das ist ihr sehr bewusst. Und nun, da sie an der Kirche vor ihrem orangefarbenen Bonanza steht, überlegt sie hin und her. Von hier aus kann sie Alois‘ Hütte nicht sehen. Aus den Augen aus dem Sinn, verarscht sie sich selbst. Bärbel schüttelt ihren Kopf. Man darf Menschen nicht ausgrenzen. Behauptet wer? Alois ist ein schroffer, harscher Kerl mit schlechten Manieren, ein Kettenraucher und ein Trinker. Und deshalb wird ihm das Recht genommen, zu trauern? Mannomann. Doch Bärbel verabscheut Ungerechtigkeiten. Sie kann sich nicht aus ihrer Haut schälen. Also rafft sie sich auf, fasst sich ein Herz, ringt sich durch und macht sich auf den Weg zu Alois.
„Scheiße!“, flucht sie laut und stampft mit den Füßen auf. Zwei vorbeiwandernde Touristen sehen sie mit großen Augen aus ihren grellleuchtenden Funktionsshirts heraus an.
Bärbel marschiert noch einmal durch den Ort und nimmt den Wiesenpfad am Ende der Siedlung, der Höhenmeter um Höhenmeter steil bergauf führt und immer schmaler wird und letztlich komplett unter dem saftigen Gras verschwindet. Was wohnt der mitten im nirgendwo?! Bärbel flucht. Der grenzt sich doch selbst aus. Aber nein, ich muss unbedingt wieder so gutmütig sein.
Das Geläut seiner Kühe wird lauter. Bärbel passiert den Weidezaun. Der Pfad wird wieder sichtbar und schon sind es nur noch fünfzig Meter bis zur Hütte. Sie will gerade nach ihm rufen, da öffnet sich die sperrige Tür und Alois betritt die kleine Veranda, deren Holzplanken noch heruntergekommener sind, als er selbst.
„Dlibschstszprovozirwos?!“, trötet er.
„Hä?“, trötet Bärbel zurück und muss sein Durcheinander zunächst einmal aufräumen und ins Hochdeutsche übersetzen.
„Du liebst es zu provozieren, was?!“, fährt er sie an.
Er streckt seinen krummen Finger mit der dick verhornten Nagelhaut aus und deutet auf Bärbels Brust. Ein Überbleibsel aus Hamburg. Sie liebt dieses Shirt, auf dem in roten Buchstaben mit einem Ausrufezeichen garniert ‚Moin‘ steht. Einst war es hellblau, doch nach fast dreißig Jahren war es nur noch hell.
„Du wirsch’st nie oane von hia soa“, poltert Alois.
„Weißt du, was witzig ist?“, fragt sie. „Du auch nicht!“ Sie grinst frech, obwohl ihr nicht nach Grinsen zumute ist. Alois’ Worten zu folgen, schlauchte sie. Was er spricht, war kein oberallgäuerisch mehr. Was er spricht, hört sich an wie rückwärtsgesprochen. Rückwärtsgesprochen mit einem ganzen Germknödel im Mund. Inklusive der Vanillesoße.
„Ich bin nur hier, um dich heute Abend zu einer Gedenkveranstaltung für Moni einzuladen“, stellt Bärbel klar. Sie lässt ihre Lippen ganz schmal werden und hebt die Nase in die Höhe.
„Wos?“, brummt Alois. Sein Unterkiefer rauscht hinunter. Seine Augen sperren sich weit auf. Er wird blass, was für einen Landwirt, der den ganzen Sommer mit seinen Kühen in der Sonne verbringt, äußerst ungewöhnlich ist. „Die Schwärzel Moni?“, fragt er noch einmal nach. Seine Unterlippe, die sich inmitten des wolligen grauen Vollbartes nur schwer ausmachen lässt, zittert … und seine Hände auch.
„Weißt du es noch gar nicht? Moni ist ermordet worden“, erklärt Bärbel. Und Alois schluchzt und wankt. Er quiekt und gurrt und quietscht und quäkt so laut, dass es seine Kühe anlockt. Bimmelnd trotten sie den Hang hinauf. Alois dreht Bärbel den Rücken zu. Alles an ihm tönt und vibriert. Sie hat nie zuvor einen Menschen so sehr weinen sehen. Sie weiß, dass Moni ihm als Jugendliche in den Sommerferien mit den Kühen geholfen und viel Zeit mit ihm verbracht hat. Sie weiß allerdings nicht, dass sie Alois so viel bedeutet hat. Ahnt ja niemand, dass Alois Gefühle hat. Sie blickt sich um, als hält sie Ausschau nach irgendwem, der sie aus dieser Situation befreit. Doch niemand kommt. Sie betrachtet ihre Finger, die umhertanzen, als wären sie Marionetten. Was soll sie tun? Ihn trösten? Das würde eine Berührung bedeuten. Auf keinen Fall, das geht zu weit! Soll sie ihm ein halbiertes Taschentuch reichen? Vielleicht sogar ein ganzes?
Sie öffnet den Reißverschluss und rührt im Bauch ihrer Tasche herum. „Hier“, flüstert sie, ohne ihn anzusehen und wedelt mit einer Taschentuchhälfte. Er greift danach und sieht sie ebenfalls nicht an. Für einen sehr kurzen Augenblick berühren sich ihre Hände. Ich habs geahnt!
Auch wenn es Bärbel nicht kalt lässt, diesen sonst so harschen, patzigen, unsensiblen Bergbauern so emotional, leidend und verzweifelt zu sehen, sie kann nichts weiter für ihn tun. Im normalen Leben ist er ein Arsch. Sie hebt ihre Hand wie zu einem Schwur und winkt zögerlich. Alois schnieft. Schon macht sie kehrt und steigt ohne eine verbale Verabschiedung wieder hinab ins Dorfinnere. Ein letzter Blick zurück. Alois ist umringt von Kühen. Sein strubbeliger Hund steht direkt neben ihm. Jeder braucht doch jemanden, der einen tröstet und lieb hat. Vielleicht sind Tiere die loyalsten Freunde, die du haben kannst. Es kümmert sie nicht, wo du herkommst, ob du Geld hast, wie du riechst und wie du aussiehst.
Bärbel federt den Wiesenpfad hinab. Sie seufzt, schüttelt sich, um sich von den Gedanken, die immer noch am weinenden Alois hängen, frei zu machen. Zurück an der Kirche, vor der ihr Fahrrad wartet, gönnt sie sich einen Moment zum Verschnaufen. Sie legt ihre Lider ab, beugt sich vor und richtet sich mit der nächsten Einatmung wieder auf. Fünfmal. Erst danach sattelt sie auf.
Schnell, soweit es ihr Bonanza zulässt, radelt sie nach Hause. In ihren Gedanken tobt der alte weiße Mann, den es zu fassen gilt, Alois, den sie niemals so sehen und auch nicht allzu schnell wiedersehen wollte, und Moni, deren Trauerandacht unmittelbar bevorsteht …
Bärbel ist zurück in ihrer Datscha. Sie lässt sich erschöpft und aufgewühlt auf ihr gelbes Ausziehsofa fallen. Noch zwei Stunden bis zur Trauerfeier.
„Trauern und feiern“, zischelt Bärbel. „Ich persönlich schaffe immer nur eins davon zur gleichen Zeit.“ Sie greift nach einer Wasserflasche mit frischem Bergquellwasser. „Ah!“, vertont sie die Erleichterung, die sie nach der Betankung spürt. Bärbel lässt ihre Arme neben den Körper und ihren Kopf auf ein Kissen fallen. „Noch zwei Stunden“, wispert Bärbel. Die Flasche Wasser liegt neben ihr und rührt sich nicht. „Na? Bist du auch so erschöpft wie ich?“, flüstert sie und grinst. Sie gähnt mit weit geöffnetem Mund, als wolle sie stoßlüften. Sie beschließt, ein kurzes Nickerchen zu machen, liest die Decken auf, die seit dem Morgen auf dem Fußboden liegen und sucht sich einen Eingang. Sie streicht sich über den Bauch ob des fettigen Zuckerzeugs, dass darin lagert. Hauptsache, ich erbreche nicht im Schlaf und ersticke daran. Schließlich habe ich meine Beerdigung noch immer nicht final geplant.
„Hm“, macht sie. „Oktavheftchen“, flüstert sie und greift es sich. Nicht das, in dem sie ihre Beerdigung plant, sondern das andere für spontane Einfälle. ‚Spontane Einfälle‘ steht auch handgeschrieben auf dem Deckblatt. Darin notiert sie alles, was sie aufschnappt: Zitate, Film- und Songtitel, Witze, Rezepte, dies, das, Eichenfass. Und Namen von Dingen und Persönlichkeiten, um die es ruhig geworden ist, die ihr ganz plötzlich in den Sinn kommen. Auf dem Weg zu Alois musste sie an Heather Thomas denken. Nicht zu verwechseln mit der weitaus bekannteren Heather Locklear.
‚Was macht eigentlich Heather Thomas‘ gibt sie rasch bei Google ein, als es ihr keine Ruhe lässt.
„Aha“, kommentiert sie das Suchergebnis und liest. Der ehemalige Star aus ‚Ein Colt für alle Fälle‘ war kokainabhängig und ist inzwischen eine politische Aktivistin. Sie ist sechsundsechzig Jahre alt, überfliegt Bärbel beeindruckt. „Sieh an, wie spannend“, wispert sie und dreht sich aus Angst zu Erbrechen vorsichtshalber auf rechts …