Kapitel eins
Der Chameleon Club war der letzte Ort auf der Welt, den Heath Manfred für einen Geschäftstermin ausgewählt hätte. Es handelte sich dabei um einen dieser uralten, verstaubten Herrenklubs, die bereits zu Zeiten des Großvaters des Großvaters seines Großvaters existiert hatten. Oder vielleicht wäre es besser, von den Zeiten des Großonkels des Großonkels seines Großonkels zu sprechen, da die Mitgliedschaft im Klub lediglich auf die Männer beschränkt war, die andere Männer liebten. Das hatte sich in all den Jahren nicht geändert, außer dass die Mitgliedschaft in den Siebzigerjahren auch Frauen, die andere Frauen liebten, gestattet worden war.
Der Klub war noch immer in dem allzu diskreten Gebäude in der Park Lane gegenüber dem Hyde Park untergebracht. Die meisten Leute, die daran vorbeigingen, hielten es für ein Hotel. Er hatte die Luftangriffe in den Vierzigerjahren relativ unbeschadet überstanden und die AIDS-Krise in den Achtzigern und Neunzigern mit ein paar mehr Verlusten überlebt. Heath war davon überzeugt, dass er auch weitere zweihundert Jahre und mehr überstehen würde, genau wie all die anderen tief verwurzelten Wahrzeichen der britischen Gesellschaft, ob sie noch immer nützlich waren oder nicht. Zumindest war die Brotherhood – die Organisation, der der Chameleon Club gehörte – aktiv an karitativen Projekten beteiligt und setzte sich auf der ganzen Welt für Gleichberechtigung ein, anders als es bei zu vielen anderen alten Londoner Klubs der Fall war.
Heath stieß ein Seufzen aus, als er an dem unscheinbaren, grauen Gebäude des Klubs aufschaute. Er zögerte. Zögern hatte nie irgendeinen Zweck. Er musste seinen Hintern hochkriegen und einfach hineingehen und sich mit Gerry treffen, und alles würde gut werden. Es war schließlich nicht so, als würden die Mitglieder des Chameleon Clubs die Boulevardzeitungen lesen oder sich dem Klatsch um Promischeidungen hingeben. Dafür waren sie viel zu gesittet. Außerdem würde sich wohl ohnehin niemand von ihnen daran erinnern, dass Heath ein Mitglied der Brotherhood war.
„Hör auf, ein solcher Trottel zu sein“, murmelte er sich selbst zu und zog die schwere Eingangstür auf.
Es fühlte sich unwirklich an, den Chameleon Club nach beinahe zehn Jahren, während derer er ihn gemieden hatte, wieder zu betreten. Alles sah noch gleich aus. Der Eingangsbereich war aus demselben polierten Holz und mit kaum wahrnehmbaren Überwachungskameras und Metalldetektoren ausgestattet. Heath war sich ziemlich sicher, dass der anzugtragende Sicherheitswachmann, der vor der zweiten Eingangstür stand, durch die Heath gehen musste, um in den eigentlichen Klub zu gelangen, noch immer derselbe war wie während seiner Universitätszeit. Und der Mann sah nicht so aus, als wäre er in all den Jahren auch nur einen Tag gealtert.
„Guten Tag, Mr Manfred“, begrüßte ihn der Wachmann, schenkte ihm ein ruhiges Lächeln und bestätigte seinen Verdacht. „Es ist schön, Sie wiederzusehen.“
So viel dazu, unerkannt bleiben zu wollen.
„Vielen Dank“, erwiderte Heath und nickte dem Mann zu. Er kämpfte gegen die Hitze an, die seinen Hals bis zu seinem Gesicht hochstieg, während er seine Taschen leerte und seinen Mantel auszog, um alles durch den Metalldetektor zu schieben. „Es ist lange her“, sagte er in beiläufigem Tonfall, während er durch den Scanner trat.
„Das ist es, Sir“, erwiderte der Wachmann ebenfalls beiläufig. Er drehte sich um, nahm Heaths Sachen aus dem Detektor, wandte sich ihm dann wieder zu und reichte sie ihm. „Es hat mir leidgetan, als ich von Ihren Schwierigkeiten mit Miss Stone gehört habe.“
Ein Gefühl der Demütigung überkam Heath. Also war auch der spießige alte Chameleon Club voller Klatsch und Tratsch über sein Leben? Typisch.
„Vielen Dank“, sagte Heath und warf dem Mann ein angespanntes Lächeln zu.
„Ich glaube, Mr Tyburn wartet im Speisesaal auf Sie“, sagte der Wachmann.
Heath hatte vergessen, wie allwissend die Angestellten des Klubs waren. Er wusste nicht, ob ihm das Angst machte oder ob es die Dinge erleichterte.
Er nickte dem Mann zu, während er sich seine Uhr wieder umband, und machte sich dann auf den Weg in das Herz des Klubs. Nichts hatte sich an dem Gebäude oder seiner Gestaltung verändert, doch in Heath hatte sich alles verändert. Seine Schritte hallten auf dem Marmorboden der Eingangshalle wider, während er in Richtung des Flurs ging, der ihn in den Speisesaal führte. Die hohen Decken und schlichten Wände verstärkten das Geräusch nur noch und sorgten dafür, dass Heath sich so fühlte, als wäre er in einem Museum. Oder auf dem Weg zum Büro des Schulleiters, um sich dort wegen irgendeines Fehlers, den er begangen hatte, auf die Finger schlagen zu lassen.
Er hörte das sanfte Brummen von Dutzenden Unterhaltungen, die aus dem Hauptspeisesaal drangen, bevor er ihn erreichte. Der Speisesaal glich mehr einem Ballsaal, in dem die Tische und Stühle aufgestellt oder beiseitegeräumt werden konnten, um ihn der Funktion anzupassen, für die die Brotherhood ihn gerade benötigte. Jeden Tag wurde den Mitgliedern dort ein Frühstück, Mittagessen und Abendessen serviert. Heath hatte die Möglichkeit der kostenlosen Mahlzeiten während seiner Zeit auf dem Imperial College London häufig genutzt, wenn er zu verkatert und dekadent gewesen war, um für sich selbst zu kochen oder sich in diesem Zustand in der Öffentlichkeit zu zeigen.
Die Verlegenheit, die diese alten Gefühle in ihm auslösten, durchfuhr ihn, während er den riesigen Raum mit seiner viktorianischen Innenausstattung und den kristallenen Kronleuchtern betrat. Er blickte sich unter den anderen Mitgliedern des Klubs um, suchte nach Gerry und versuchte, sich nicht so zu fühlen, als wäre der Klub eine Art alternde Queen in Tweed und Pailletten, die ihn mit einem falschen Lächeln auf den Lippen umarmte, während sie ihn innerlich verhöhnte, weil er es gewagt hatte, sein Gesicht dort zu zeigen, wo er nicht hingehörte.
„Heath, hier drüben.“
Heath drehte sich zum Klang von Gerrys Stimme um und erblickte seinen Kollegen an einem der kleineren Tische in der Nähe der Fenster, die das hintere Ende des Raums säumten. So erleichtert Heath war, Gerry zu erblicken, so sehr hasste er es auch, durch die Reihen von Tischen mit Männern und Frauen gehen zu müssen, die ihn alle so anschauten, als wüssten sie es.
„Gerry“, sagte er, als er den Tisch erreichte, nickte knapp und ließ sich zügig auf einen Stuhl sinken.
Gerry lachte ihn aus. „Du hast ja keine Ahnung, wie viel Spaß es gemacht hat, dich dabei zu beobachten, wie du dich während deines Gangs hierher gewunden hast.“
Heath warf ihm einen finsteren Blick zu. „Vielen Dank, dass du mir ein so gutes Gefühl gibst“, sagte er und nahm die neben ihm liegende Speisekarte an sich, während ein Kellner zu ihm herübereilte, um sein Wasserglas aufzufüllen. „Arschloch“, fügte er flüsternd hinzu und warf dann einen vernichtenden Blick über den Tisch.
Gerry lachte erneut. „Komm schon“, neckte er ihn. „Du hast gesagt, dass du Mitglied bist, also dachte ich, dass wir das Geschäftliche genauso gut in einer geselligen Umgebung bei erstklassiger Küche besprechen können.“ Er schenkte dem Kellner ein kokettes Lächeln und zwinkerte ihm zu, als der junge Mann damit fertig war, Heaths Glas zu füllen.
Heath bestellte schnell sein Mittagessen, damit der junge Mann vor Gerrys schrecklichem Flirtversuch flüchten konnte, und sagte dann: „Ich dachte, die Regeln des Klubs besagen, dass die Mitglieder keine Angestellten anbaggern oder daten dürfen. Wurde das geändert?“
„Nein“, erwiderte Gerry und winkte ab, als handelte es sich bei der Angelegenheit um eine Fliege, die versuchte, in seine Suppe zu gelangen. „Das hat nichts zu bedeuten. Es ist nur ein Spaß.“
Auf die Bemerkung hin hob Heath eine Augenbraue und griff nach seinem Wasserglas. „Ich bin mir nicht sicher, ob sie es als Spaß betrachten.“
Gerry zuckte mit den Schultern. „Ich meine es nicht wirklich ernst. Alec weiß das. Wir verstehen uns.“
„Ich wette, dass ihr das tut“, murmelte Heath, bevor er einen Schluck Wasser nahm.
Gerry schmunzelte. Er wartete, bis Heath sein Glas wieder abgestellt und seinen nervösen Rundumblick beendet hatte, mit dem er hatte feststellen wollen, wie viele Augenpaare auf ihn gerichtet waren. Dann fragte er: „Du bist doch Mitglied, oder?“
„Ja“, bestätigte Heath, rieb sich den Nacken und blickte Gerry dabei nicht direkt an.
„Und warum siehst du dich dann so um, als würdest du erwarten, dass die Polizei jeden Moment hier hereinstürmt und dich wegen unerlaubten Betretens nach draußen schleift?“
Heath räusperte sich und blickte dann seinen Freund an. „Ich war seit fast zehn Jahren nicht mehr hier“, gestand er. „Ich war mir nicht sicher, ob ich noch willkommen bin, nachdem ich eine so prominente Ehe hinter mir habe.“
„Du meinst wohl eine prominente Scheidung“, sagte Gerry.
Heath stieß den Atem aus und starrte Gerry ausdruckslos an. „Danke, dass du mich daran erinnerst“, sagte er und griff dann erneut nervös nach seinem Glas.
Gerry zog mitleidig die Schultern hoch. „Gemma war eine aufmerksamkeitssuchende Kratzbürste. Sie war hinter deinen Verbindungen nach Hollywood her. Alle wussten das von Beginn an.“
„Ich wusste es nicht“, sagte Heath und nippte an seinem Wasser. Das kühlende Eis half nicht so, wie er es sich erhofft hatte. „Ich war verliebt“, murmelte er, bevor er das Glas wieder abstellte.
Gerry hob die Augenbrauen. „Ist das der Grund dafür, dass du nicht hier sein möchtest?“, fragte er. „Du weißt, dass die Brotherhood keinerlei Probleme mit bi- und pansexuellen Mitgliedern hat.“
Heath überlief ein heißer Schauer, und er warf Gerry einen schuldbewussten Blick zu. „Es war nur eine Phase während der Uni“, sagte er. „Ich habe mich lediglich an die altbewährte Tradition des neunzehnten Jahrhunderts gehalten und mich mit meinen Kommilitonen vergnügt. Als Gemma dann in mein Leben getreten ist, habe ich keinen Mann – und eigentlich auch keine andere Frau – mehr auf diese Weise angeschaut.“
„Aha“, brummte Gerry. Das Schmunzeln auf seinen Lippen verriet Heath, dass er nicht ein Wort davon glaubte. „Wenn das stimmt, warum hast du dann deine Mitgliedschaft in der Brotherhood weiterlaufen lassen?“
Heath stieß einen langen Atemzug aus und ließ sich in seinem Stuhl zurücksinken. „Ist das wirklich der Grund dafür, dass du mich für ein Treffen hierherbestellt hast? Um mich über meine sexuelle Vergangenheit auszuquetschen? Um diese verblüffend kurze Zeit in meinem Leben hervorzuholen, in der ich wild und schamlos war und nicht über die Konsequenzen meines Handelns nachgedacht habe?“
Gerry lachte. „Gesprochen wie ein wahrhaftiger Aristokrat“, sagte er und sprach dabei mit einem besonders vornehmen Akzent.
Heath starrte Gerry an. „Das amüsiert uns überhaupt nicht.“
Das brachte Gerry nur noch mehr zum Lachen.
Der Augenblick war gerettet, als der Kellner mit Heaths Mittagessen zurückkehrte. Gerry flirtete noch ein bisschen weiter mit dem jungen Mann, und diesen schien das glücklicherweise tatsächlich nicht zu kümmern. Heath begann zu essen und hoffte, dass Gerrys nächstes Gesprächsthema umso weniger peinlich ausfallen würde, je mehr Zeit er zwischen der vorangegangenen Unterhaltung und der folgenden verstreichen ließ.
Er hatte Glück.
„Es sieht so aus, als würden wir mit der ‚After the War‘-Serie vorankommen“, sagte Gerry, und seine gesamte Haltung wurde ernster. „Brad und Olivia sind endlich zufrieden mit den Skripten für Staffel eins, und sobald wir grünes Licht von den Mitproduzenten in L. A. bekommen, wollen sie nach Drehorten suchen.“
Heath seufzte innerlich erleichtert auf. Endlich ging es ums Geschäft. Die Produktionsfirma, für die er und Gerry arbeiteten, war eine der angesehensten im Vereinigten Königreich, und seit beinahe einem Jahr arbeiteten sie gemeinsam mit dem Autor und dem potenziellen Showrunner daran, die Memoiren eines Dukes aus dem frühen neunzehnten Jahrhundert – der nach den Napoleonischen Kriegen eine Feier für ausgediente schwule Marineoffiziere ausgerichtet hatte – als Fernsehserie für einen der erfolgreichsten Streaminganbieter umzusetzen. Heath bekleidete eine hohe Position im unternehmerischen Bereich der Produktionsfirma, und Gerry war einer der Produzenten, die für die Entwicklung neuer Serien zuständig waren. Die Idee hatte innerhalb der Branche großes Interesse erregt, doch sie benötigten noch immer eine Finanzierung, um die Serie zu verwirklichen.
„Was eine Reise nach L. A. nötig machen wird, um die Unterstützung zu gewinnen, die wir brauchen“, beendete Gerry seine Ausführungen nach gut zwanzig Minuten des Essens und Redens.
Heath zuckte mit den Schultern. Er fühlte sich schon viel wohler, nun, da er etwas gegessen hatte. „Ich werde für nächsten Monat einige Termine ansetzen“, sagte er.
Gerry beäugte ihn schmunzelnd. „Wird die Scheidung bis dahin rechtskräftig sein?“
Heath schluckte seinen letzten Bissen ungeschickt herunter. „Die Scheidung war bereits gestern rechtskräftig“, sagte er und griff nach seinem Wasser, um die Bitterkeit hinunterzuspülen.
Gerrys Gesichtsausdruck veränderte sich, so als wäre ihm etwas anderes in den Sinn gekommen. „Ist es für dich in Ordnung, Eugenie hierzulassen, wenn du die Reise nach L. A. antrittst?“
Heath zuckte zusammen. Seine Tochter Eugenie war das Zentrum seines vollkommen unkonventionellen Universums und das Einzige, von dem er nicht wusste, wie er es neben seiner beruflichen Karriere meistern sollte. „Ich werde mir etwas einfallen lassen“, sagte er.
Als hätte er damit das Universum herausgefordert, sein Leben noch ein wenig mehr durcheinanderzubringen, landete eine Hand auf seiner Schulter, und hinter ihm erklang eine Stimme. „Heath. Was für eine Ironie, dich am Tag nach Vollendung deiner Scheidung im Chameleon Club zu sehen.“
Heath verzog das Gesicht, dann drehte er sich um, um zu seinem älteren Bruder und dem dämlichen Grinsen, das der Mistkerl aufgesetzt hatte, aufzublicken.
„Oakley“, seufzte Heath und schüttelte Oakleys Hand ab.
„Ist das die Art, auf die man seine Familie begrüßt?“, fragte Oakley und nahm ungefragt auf einem der freien Stühle am Tisch Platz.
„Es war nicht meine Idee, hierherzukommen“, verteidigte sich Heath und versuchte, dabei nicht wie der mürrische Bengel zu klingen, als den Oakley ihn stets bezeichnete. Es war schwer, nicht mürrisch zu sein, wenn der ältere Bruder brillant, attraktiv, unglaublich wohlhabend und zudem noch ein verfluchter Earl war.
Oakley lachte. „Ich werde Mum und Dad nicht erzählen, dass du dich entschieden hast, nun doch in meine Fußstapfen zu treten, und dass sie sich für die Fortführung des Familienstammbaums auf Marmie verlassen müssen.“
Heath warf seinem Bruder einen vernichtenden Blick zu. Oakley war seit dem Tag seiner Geburt unmissverständlich schwul. Das hatte ihre Mutter jedoch nicht davon abgehalten, die Tatsache zu betrauern, dass er sich nicht niedergelassen und eine Familie gegründet hatte. In dem Moment, in dem Elton John und David Furnish die Geburt ihres ersten Sohnes mithilfe einer Leihmutter bekannt gegeben hatten, hatte sie sich an alle Möglichkeiten für Enkelkinder geklammert, von denen sie geglaubt hatte, sie nie zu bekommen. Und nachdem Gemma Eugenie geboren hatte, hatte sie praktisch den Verstand verloren, so sehr verwöhnte sie ihre Enkelin.
Doch Eugenie war ein Mädchen. Der Familientitel wurde nur in männlicher Linie weitervererbt wie in irgendeinem erbärmlichen Roman von Jane Austen. Oakley war in bestimmten Kreisen zu bekannt, um sich in naher Zukunft niederzulassen, und weil Gemma mit ihrem neuen Lustknaben in ganz Europa für Aufruhr sorgte, gingen Heaths Chancen auf einen männlichen Erben gen null. Das übertrug die Bürde, die Familie stolz zu machen, vollständig auf Marmaduke, den dritten Sohn.
„Ich bin nicht absichtlich hergekommen“, beharrte Heath und bemühte sich, sich gegen Oakleys Neckereien zu behaupten. „Gerry wollte sich hier treffen, um über die neue Serie, an der wir arbeiten, zu sprechen.“
„Genau“, sagte Oakley und grinste verschlagen. „Und es ist reiner Zufall, dass deine Ex-Frau überall auf Social Media zu sehen ist, wie sie ihre Freiheit – wie sie es nennt – mit diesem Stück menschlicher Exkremente feiert, für das sie dich verlassen hat.“
Heath seufzte, und in ihm stiegen Wut und Beschämung auf. „Wolltest du etwas von mir, Bruderherz?“, fragte er und starrte Oakley grimmig an. „Oder bist du bloß gekommen, um dich über mich lustig zu machen?“
„Ich wollte nur sichergehen, dass es dir gut geht“, sagte Oakley und setzte plötzlich ein mitfühlendes Lächeln auf.
Heath biss die Zähne zusammen, dann stieß er kraftvoll den Atem aus. Das war das Problem mit Oakley. Er nervte Heath zu Tode und bedrängte ihn bis zu dem Punkt, an dem Heath ihn schlagen wollte, und dann machte er eine komplette Kehrtwende und verhielt sich wie der fürsorgliche, beunruhigte Bruder, als den Heath ihn brauchte.
„Ich komme schon wieder in Ordnung“, sagte er seufzend und rieb sich mit der Hand über das Gesicht. „Jetzt, da die ganze Sache erledigt ist, können Eugenie und ich unser Leben endlich weiterleben.“
„Wie nimmt Eugenie es auf?“, fragte Oakley.
Heath zuckte mit den Schultern. „Sie ist drei. Es beunruhigt sie mehr, ihre Peppa-Wutz-Decke zu verlieren, als dass Gemma sie sitzen lässt.“
Oakley brummte. „Gemma war nie wirklich mütterlich.“
„Gemma interessiert sich nur für sich selbst und ihre Karriere“, murrte Heath. „Es kümmert sie nicht, dass sie ein wunderschönes, lustiges, liebenswertes kleines Mädchen mit dem größten, süßesten Herzen hat.“
„Ich liebe es, wie sehr du sie liebst“, sagte Gerry und lächelte.
„Sie ist meine Tochter“, sagte Heath. „Sie ist das Beste, was mir je passiert ist, und mein Grund, zu leben.“
„Wie geht es meiner reizenden Nichte?“, fragte Oakley. „Mum hat irgendetwas darüber erzählt, dass die Nanny gekündigt hat?“
Heath seufzte. „Die Nanny hat gekündigt, aber das hatte nichts mit der Scheidung oder etwas in der Art zu tun. Sie hatte familiäre Verpflichtungen, um die sie sich kümmern musste. Neben allem anderen muss ich nun auch noch eine neue Nanny finden.“
Die Erinnerung daran erfüllte Heath mit einem tiefgreifenden Gefühl der Angst. Er hatte seine Fühler ausgestreckt, und es gab bereits einige Bewerbungen, aber Gemma hatte dummerweise auf Social Media erwähnt, dass ihre Tochter eine Betreuung brauchte, und nun wurde Heath überflutet von Fans und Glücksjägern, die sich aus den falschen Gründen auf die Stelle bewarben.
„Du solltest kein Problem damit haben, jemanden zu finden, der sich um Eugenie kümmert“, sagte Oakley. „Sie ist ein Goldstück.“
„Das ist sie, und trotzdem habe ich es“, sagte Heath. „Ein Problem damit, eine verlässliche, qualifizierte, ungefährliche Frau für die Stelle zu finden, meine ich.“
Oakley verzog das Gesicht. „Berühmtheit hat ihre Tücken, nehme ich an.“
„Gemma hat ihre Tücken“, grummelte Heath. „Ich werde meine Tochter nicht irgendjemandem anvertrauen.“
„Wo ist sie gerade?“, fragte Oakley.
Heath warf seinem Bruder einen gespielt missmutigen Blick zu. „Sie ist bei Mutter.“
„O Gott“, sagte Oakley und riss die Augen auf. „Wenn du sie wiederbekommst, wird sie ein Blümchenkleid und eine winzige Strickjacke, Perlen und einen Haarreif tragen.“
„Sie ist erst drei“, sagte Gerry und lachte.
Sowohl Heath als auch Oakley schenkten ihm einen düsteren Blick. „Du kennst Mutter nicht“, sagte Heath.
Das brachte Gerry nur noch mehr zum Lachen. „Ich schwöre, dass es keine Rolle spielt, wie viele Fortschritte die Welt bereits gemacht hat, ihr feinen Pinkel denkt noch immer, ihr würdet im viktorianischen Zeitalter oder so leben.“
„Das tun wir nicht“, sagte Oakley und stahl eine Pommes von Heaths Tellerrand. „Für Mum und Dad ist es mittlerweile mindestens das edwardianische Zeitalter.“
„Mum hat sich noch immer nicht davon erholt, Downton Abbey geschaut zu haben“, sagte Heath und seufzte. „Ich bin halb davon überzeugt, dass sie nur auf Dads Tod wartet, damit sie herumlaufen kann wie Maggie Smith, sich als Dowager Marchioness bezeichnen und von oben herab mit den Leuten sprechen kann.“
Gerry lachte laut. „Na ja, bei dem Problem kann ich dir nicht helfen“, sagte er viel zu amüsiert über die Situation, „aber ich kann dir helfen, eine Nanny zu finden.“
„Das kannst du?“ Heath wurde wieder ein wenig munterer.
Gerry nickte. „Meine Schwester leitet eine Arbeitsvermittlung, die Nannys, private Krankenpflegekräfte und solche Leute vermittelt. Ich kann sie anrufen und bitten, jemanden zu schicken, der nicht nur überprüft und qualifiziert ist, sondern der zudem noch absolut diskret sein wird.“
Heath wollte einen Triumphschrei ausstoßen. „Das wäre großartig“, sagte er. „Könntest du dafür sorgen, dass sie etwas mit meiner Assistentin Sara vereinbart? Wenn ich nächsten Monat nach L. A. reisen muss, werde ich meine gesamte Zeit benötigen, um von unserer Seite aus alles für die Serie zu finalisieren und für die Leute in Hollywood vorzubereiten. Ich werde keine Zeit haben, Lebensläufe von Nannys durchzugehen.“
„Absolut“, stimmte Gerry nickend zu.
„Es geht also voran mit dieser Serie über die schwulen Seemänner?“, fragte Oakley und grinste interessiert.
„Wir arbeiten daran“, sagte Heath. „Und es sind schwule Marineoffiziere am Ende der Napoleonischen Kriege, keine schwulen Seemänner.“
„Ist das nicht dasselbe?“, fragte Oakley mit dem Gesichtsausdruck, den er immer dann aufsetzte, wenn er Heath ärgern wollte.
„Halt den Mund“, sagte Heath zu ihm. Er legte die Hände auf den Tisch und stemmte sich hoch. „Wenn ihr mich nun entschuldigen würdet … Da ich schließlich nicht wirklich hierhergehöre, sollte ich wohl verschwinden, bevor sie mich rauswerfen, weil ich auf Brüste stehe.“
Oakley lachte. „Genau. Das ist der Grund, aus dem du gehst.“ Er beäugte Heath so, als hätte er eine gigantische, dreiste Lüge erzählt. „Du rennst nicht etwa davon, so als hätte dein Hintern Feuer gefangen, weil du dich davor fürchtest, dich mit deiner Liebe für Schwänze auseinanderzusetzen.“
Heath blickte seinen Bruder finster an. „Ich bin nicht derjenige, über den alle zwei Wochen in den Boulevardzeitungen geschrieben wird, weil er ein neues hirnloses Möchtegern-Model abgeschleppt hat, das halb so alt ist wie er selbst.“
Oakley zuckte mit den Schultern. „Was soll ich sagen? Ich bevorzuge eben einen bestimmten Typ.“
Heath verdrehte die Augen und schüttelte den Kopf, während er seine Sachen zusammensammelte, um zu gehen.
Er machte einen Schritt vom Tisch weg, bevor Oakley sein Handgelenk umfasste und sagte: „Ruf mich an, wenn du eine Schulter zum Ausweinen brauchst. Ich liebe dich.“
Verflucht noch mal, jedes Mal! Der Mistkerl konnte einfach nicht zulassen, dass Heath etwas Schlechtes über ihn dachte.
„Danke, Oak“, seufzte er. „Es geht mir gut. Wirklich.“
Oakley drückte sein Handgelenk und ließ ihn dann los.
„Ich werde dafür sorgen, dass dein Nanny-Problem bis morgen gelöst ist“, sagte Gerry, als Heath sich vom Tisch entfernte.
Heath lächelte dankbar und winkte ihm zu, bevor er sich seinen Weg an den Tischen und den anderen Mitgliedern des Klubs vorbei bahnte. Er war wirklich dankbar, dass Gerry ihm half. Und wenn er ehrlich war, blickten ihn die anderen Klubmitglieder mitfühlend und verständnisvoll an und nicht verächtlich oder spöttisch. Andererseits war es auch genau das, was die Brotherhood ausmachte. Seit beinahe zwei Jahrhunderten schworen ihre Mitglieder, einander in jeglicher Art von Krisen, in die schwule Männer sich verstricken konnten, zu helfen.
Das war der ursprüngliche Grund dafür gewesen, dass Heath vor all den Jahren beigetreten war – nicht das kostenlose Essen. Er liebte die Vorstellung eines Untergrundnetzwerkes aus queeren Personen, die andere queere Personen unterstützten. Auch wenn sein flüchtiges Experiment im Daten von Männern schon lange hinter ihm lag.
Kapitel zwei
Es gab Dinge im Leben, über die Aubrey Kelly einfach nicht nachdenken wollte. Wie schlecht er sich in der Schule angestellt hatte, war eines davon. Der Grund, aus dem er das Bewerbungsgespräch an der einzigen Universität versaut hatte, die an ihm interessiert gewesen war, war ein anderes. Und wie erbärmlich es sein würde, im reifen Alter von fünfundzwanzig wieder bei seinen Eltern einzuziehen, wenn er den Job, zu dessen Vorstellungsgespräch er geschickt worden war, nicht bekommen würde, war ein weiteres. Das war eine große Sache.
Doch als er auf sein Handy schaute, um die Adresse nachzusehen, zu der die Agentur ihn geschickt hatte, und dann einen Blick auf das Haus vor ihm warf, zu dem diese Adresse gehörte, überkam ihn ein schreckliches Gefühl. Es bestand keinerlei Chance, dass die Person, die in dem vornehmen georgianischen Stadthaus lebte, jemals einen Kerl wie ihn als Nanny ihres Kindes einstellen würde.
Das Haus in Mayfair sah beinahe so aus, als entstammte es einem Roman von Georgette Heyer. Und Aubrey hasste Georgette Heyer mit ihren fragwürdigen historischen Recherchen und dem kaum verschleierten Antisemitismus, verflucht noch mal. Das Weiß der Fassade des Stadthauses strahlte so hell und perfekt mit schwarzen Akzenten hier und dort, dass deutlich wurde, dass der Eigentümer Geld hatte, dies aber nicht zeigen wollte.
Aubrey schluckte die Übelkeit, die in ihm aufgestiegen war, herunter und riss sich zusammen. Janice hätte ihn nicht zu einem Vorstellungsgespräch für die Position der Nanny zu Mr Heath Manfreds Haus geschickt, wenn sie nicht glaubte, dass er absolut geeignet für den Job war. Und trotz der Sünden seiner Vergangenheit konnte er fünf volle Jahre vorweisen, während derer er für ziemlich wichtige Leute gearbeitet hatte. Er war dazu in der Lage.
Er nahm seinen Mut zusammen, trat vor die Tür und betätigte die Klingel. Und natürlich erklang sie in den Tiefen des Hauses mit einer unaufdringlichen klassischen Tonfolge, die nicht nur andeutete, dass der Hauseigentümer Geld hatte, sondern zusätzlich einen weit zurückreichenden Familienstammbaum, der dies untermauerte.
Und dort stand Aubrey nun – irgendein Kerl aus Porthleven, der, wenn er diesen Job nicht bekam, letztendlich in der Kindertagesstätte seiner Cousine würde arbeiten müssen, während er bei seinen Eltern wohnte. Denn Möglichkeiten wie diejenigen, die er glücklicherweise bereits bekommen hatte, und wie der Job, der vor ihm lag, begegneten einem schließlich nicht jeden Tag. Er konnte nicht darauf warten, dass eine weitere Stelle wie diese frei wurde, wenn sich seine Rechnungen bereits so hoch stapelten, dass sie von seinem wackeligen Küchentisch zu stürzen drohten.
Kein Druck. Überhaupt keiner.
Die Stille, während er darauf wartete, dass jemand die Tür öffnete, machte ihn fertig. An Orten wie diesem gab es vermutlich Butler und Hausmädchen und – verflucht – wahrscheinlich auch Diener. Aubrey fragte sich, wo zur Hölle sie waren, wenn sie nicht zur Tür kamen. Er wusste nichts über diese Art von Arbeit, aber wenn er die Stelle als Nanny nicht bekommen sollte, könnte er bei Mr Manfred vielleicht als Diener anfangen. Drei seiner Urgroßeltern hatten in diesem Bereich gearbeitet, und er bildete sich ein, attraktiv genug für diesen Job zu sein. Und wenn der Butler dieses Hauses so nachlässig war wie …
Aubreys kreisende Gedanken wurden unterbrochen, als ein Schatten auf der anderen Seite des Milchglasfensters in der Tür erschien, und er hielt den Atem an, als die Tür entriegelt und geöffnet wurde.
Und dann brach er in ein peinliches Husten aus, als einer der umwerfendsten Männer, die er je gesehen hatte, die Tür öffnete und ihn direkt anstarrte. Der Mann war groß, hatte breite Schultern und einen Körper, der verflucht gut in Form aussah, selbst in dem Anzug, den er trug. Seine kastanienbraune Krawatte verlieh ihm eine warme Ausstrahlung, genauso wie die leichte natürliche Bräune seiner Haut und seine schokoladenbraunen Augen. Sein braunes Haar war nur einen Hauch zu lang, und Aubrey wollte mit den Fingern hindurchfahren, um es davon abzuhalten, dass es ihm ins Gesicht fiel. Was am besten war: Die Lippen des Mannes waren …
„Kann ich Ihnen helfen?“, fragte die Erscheinung vor ihm knapp.
Aubrey erholte sich von seinem Hustenanfall, steckte sein Handy in die hintere Hosentasche und sagte: „Ich bin hier wegen eines Bewerbungsgesprächs für die Stelle der Nanny.“
Er war der Meinung, dass er diesen Teil viel besser gemeistert hatte, als zu erwarten gewesen war. Seine Stimme hatte überhaupt nicht brüchig geklungen, und er hatte seinen Cornwall-Akzent auf ein Minimum beschränkt.
Doch der Mann vor ihm sagte: „Sind Sie sich sicher?“
Aubrey blinzelte. War er sich sicher? Er war sich überhaupt keiner Sache sicher, außer der Tatsache, dass der Mann vor ihm dazu geboren war, einen Anzug zu tragen. Auch wenn es Aubrey nichts ausgemacht hätte, ihn aus seinem Anzug zu schälen.
„Ich denke schon“, erwiderte er und versuchte zu lächeln, um zu sehen, ob das helfen würde. Er hatte das Gefühl, dass es ihn nur so aussehen ließ, als hätte er Blähungen. „Ich bin Aubrey Kelly.“ Er streckte die Hand aus, nur für den Fall, dass der Gott im Innern des Hauses sich dazu herablassen würde, sie zu schütteln.
Er schüttelte sie nicht. Der Mann runzelte leicht die Stirn und sagte: „Ich dachte, Aubrey Kelly wäre eine Frau.“
„Ah“, sagte Aubrey enttäuscht. „Ein häufiger Fehler. Eigentlich ist es die Schuld meiner Eltern. Sie sind künstlerisch veranlagt, wissen Sie? Ich wurde nach Aubrey Beardsley benannt. Was ironisch ist, wenn man bedenkt …“
Aubrey brachte sich selbst zum Schweigen, bevor er noch zu weit ging. Er hatte immer sichergestellt, dass in seinem Lebenslauf stand, dass er schwul war, damit es zu keinen Überraschungen mit zukünftigen Arbeitgebern kam, aber wenn dem Mann vor ihm nicht einmal bewusst gewesen war, dass er ein Mann war, hatte er seinen Lebenslauf sicherlich überhaupt nicht gelesen. Es sei denn, er war wirklich ein Butler, und Mr Manfred saß irgendwo in einem holzvertäfelten Arbeitszimmer und rauchte eine Pfeife, während er die neueste Opernkritik oder so etwas las. Oder vielleicht nahm er auch gerade eine Prise Schnupftabak.
„Es tut mir leid“, sagte der Mann, trat einen Schritt nach hinten und bedeutete Aubrey, einzutreten. „Meine Assistentin hat lediglich Ihren Namen in meinen Kalender eingetragen, als sie dieses Vorstellungsgespräch vereinbart hat. Ich habe eine Mutmaßung angestellt, und das hätte ich nicht tun sollen.“
Das beantwortete Aubreys Frage, ob er mit einem Butler sprach.
„Das ist kein Problem“, sagte er und schnaufte, anstatt zu lachen, als er das Haus betrat. „Sind Sie Mr Manfred?“
Der Mann blickte ihn seltsam an, dann schloss und verriegelte er die Tür, sobald Aubrey in die Eingangshalle getreten war. „Der bin ich“, sagte er, trat vor Aubrey und bedeutete ihm, ihm den Flur entlang zu folgen. „Ich bin überrascht, dass Sie mich nicht erkannt haben, da mein Bild seit etwa einem Jahr durch die gesamte Boulevardpresse geht.“
Aubrey biss sich auf die Lippe, als er Mr Manfred durch den Flur in ein – wie erwartet – holzvertäfeltes Arbeitszimmer voller Bücher folgte. Er hätte sogar schwören können, dass auf dem Beistelltisch neben einem gepolsterten Ledersofa eine emaillierte Schnupftabakdose stand. Aubrey musste wirklich in eine Art historisches Drama geraten sein.
„Ich muss zugeben, dass ich mich nicht auf dem Laufenden gehalten habe, was den Promiklatsch angeht“, sagte er und fühlte sich, als hätte er bereits all seine Chancen auf den Job zerstört. „Mein letzter Arbeitseinsatz war bei einer Familie, die darauf bestanden hat, dass ihre Kinder von Fernsehern, Tablets und Social Media ferngehalten wurden. Ich bin selbst auch nicht besonders interessiert daran, auch wenn ich einige Social-Media-Accounts habe, die ich aber nicht besonders regelmäßig pflege. Sie werden sich diese vermutlich bereits angesehen haben, da Sie darüber nachdenken, mich einzustellen.“
Mr Manfred ging zu dem riesigen Schreibtisch, doch statt sich wie ein Richter dahinterzusetzen, lehnte er sich an die Vorderseite und verschränkte die Arme. Aubrey war sich nicht sicher, was einschüchternder war.
„Ich habe Ihre Social-Media-Accounts nicht durchsucht“, sagte er. „Mir war nicht einmal bewusst, dass Sie ein Mann sind.“
Aubrey versuchte, nicht zusammenzuzucken oder vor Peinlichkeit zu erröten. „Guter Punkt.“ Er lief wirklich Gefahr, das Vorstellungsgespräch vollkommen zu vermasseln.
„Setzen Sie sich und erzählen Sie mir ein wenig von sich“, sagte Mr Manfred und deutete auf einen der gepolsterten Lederstühle vor dem Schreibtisch. Sie passten zum Sofa, denn natürlich taten sie das. „Mir mag zwar die Tatsache entgangen sein, dass Sie männlich sind, aber meine Assistentin hat mir Ihren Lebenslauf geschickt, weshalb ich ein wenig über Ihre Ausbildung und Ihre früheren Arbeitsverhältnisse weiß.“
„Ah, ja, meine Ausbildung“, sagte Aubrey und nahm wie geheißen Platz.
Er war sich nicht sicher, ob ihm das gefiel, da Mr Manfred ihn nun überragte. Aber das war auch nicht so schlecht. Mit seiner beeindruckenden Statur und dem sachlichen Gesichtsausdruck gehörte Mr Manfred genau zu der Sorte von Männern, von denen Aubrey gern überragt wurde. Nicht dass er besonders darauf stand, aber das hätte ihn nicht davon abgehalten, Mr Manfred „Daddy“ zu nennen, wenn er ihn darum gebeten hätte.
„Mit meiner Ausbildung verhält es sich so“, fuhr er fort, und seine Stimme fiepte einen Moment lang, während er versuchte, seine ungezogenen Gedanken über seinen potenziellen Arbeitgeber aus seinem Kopf zu vertreiben. Er wand sich auf dem zu glatten Leder des Stuhls und versuchte, eine bequeme Sitzposition zu finden und zu verbergen, was womöglich unterhalb seiner Gürtellinie vor sich gehen würde, wenn Mr Manfred ihn weiterhin mit diesem ernsten Blick anstarrte. „Meine Noten waren schrecklich, das gebe ich zu“, sagte er. „Ich habe meinen Schulabschluss gerade gut genug bestanden, um in das Ausbildungsprogramm für frühkindliche Erziehung aufgenommen zu werden, in dem ich ein Zertifikat erlangt habe. Wenn Sie sich jedoch meinen beruflichen Werdegang ansehen, denke ich, dass Sie erkennen, dass die Familien, für die ich gearbeitet habe, immer zufrieden mit mir waren. Ich habe die Kinder, mit denen ich gearbeitet habe, wirklich geliebt.“
„Ja, Ihre Empfehlungsschreiben waren außerordentlich gut“, sagte Mr Manfred. Er senkte den Blick ein wenig und errötete leicht. „Zumindest hat mir das meine Assistentin erzählt. Sie waren ihre erste Wahl aus allen Bewerbungen.“
Aubrey öffnete den Mund, um sich noch besser zu verkaufen, aber Mr Manfred richtete sich auf und fuhr zügig fort.
„Sie müssen entschuldigen, Mr Kelly. Ich bringe dieses gesamte Vorstellungsgespräch völlig durcheinander.“ Er ging zu dem Stuhl neben Aubreys und setzte sich. „Ich habe gerade einen langen und bitteren Scheidungsprozess hinter mir, und die Produktionsfirma, für die ich arbeite, befindet sich in den finalen Verhandlungen für eine High-Budget-Fernsehserie. Ich versichere Ihnen, dass meine Tochter Eugenie meine oberste Priorität ist, aber –“
„Nein, Sie müssen nichts erklären“, sagte Aubrey, beflügelt davon, dass der Mann ihm plötzlich seine Verletzlichkeit gezeigt hatte. Er veränderte erneut seine Sitzposition und lehnte sich mehr in Mr Manfreds Richtung. „Ich verstehe absolut, unter welchem Druck erfolgreiche Menschen stehen. Deshalb stellen Leute wie Sie ja überhaupt Nannys ein.“
Einen Moment später realisierte er, wie seine Worte geklungen haben mussten.
„Ich meine“, fuhr er fort, verzog das Gesicht und schloss einen Moment lang die Augen. „So habe ich das in keinster Weise gemeint.“
„Ich denke, ich weiß, was Sie meinten, Mr Kelly“, sagte Mr Manfred und lächelte freundlich.
So freundlich, dass Aubrey herausplatzte: „Nennen Sie mich einfach Aubrey. Ich lege keinen Wert auf Förmlichkeiten.“
Erneut wollte er das Gesicht verziehen und sich selbst eine Ohrfeige verpassen. Mr Manfred war eine wichtige Person. Aubrey hatte die Stellenausschreibung, die Janice ihm geschickt hatte, gelesen, doch ihm war nicht klar gewesen, dass Storm Productions ein Filmstudio war. Er hatte geglaubt, dass sie etwas mit der Notfallvorsorge zu tun hatten. Und das Haus und das Zimmer, in dem sie sich befanden, machten deutlich, dass Mr Manfred und seine Leute zudem noch zu den Obersten der Oberschicht gehörten. Solche Leute sprachen andere eindeutig mit „Mister“ an.
Doch Mr Manfred sagte: „Danke, Aubrey. Und Sie können mich Heath nennen.“
Er sagte es, aber Aubrey war sich nicht sicher, ob er es auch so meinte. Ein seltsamer Ausdruck erschien in … Heaths Augen, so als könnte er selbst nicht ganz glauben, dass er einem Proleten wie Aubrey die Erlaubnis erteilt hatte, ihn beim Vornamen zu nennen.
Oder vielleicht war es auch etwas anderes. Heath schien ihn nur eine Millisekunde zu lange anzustarren, bevor er den Kopf schüttelte und sagte: „Meine einzige Sorge gilt meiner Tochter. Eugenie ist drei und sehr an der Welt interessiert. Ich hoffe, eine Nanny zu finden, die sie in ihrer Neugier auf die Welt um sie herum bestärkt und die in der Lage ist, mit ihr mitzuhalten. Sie kann durchaus ein wenig anstrengend sein.“
Er hielt inne, senkte einen Moment lang den Blick, schaute dann wieder auf und sah Aubrey mit einer beunruhigenden Ernsthaftigkeit in die Augen.
„Ihre Mutter, meine Frau – meine Ex-Frau – Gemma hat nie wirklich viel Interesse an ihr gezeigt“, fuhr er mit ruhiger, verletzter Stimme fort. „Gemma ist ein bekanntes Model und eine Möchtegern-Schauspielerin. Alle haben immer gesagt, sie wollte mich nur wegen …“
Auch wenn er innehielt, ergänzte Aubreys Verstand seine gesamte Geschichte für ihn. Und sie war nicht schön. Kein Wunder, dass Heath eine verletzte, unbehagliche Aura umgab. Es war beinahe so, als suchte der Mann nach einer Art Bestätigung.
„Sind Sie besorgt, dass Eugenies Mutter versuchen könnte, sich in ihr Leben einzumischen?“, fragte er so nüchtern, als befände er sich mit Heath in einem Sitzungssaal und nicht in einem gemütlichen Büro.
„Nein!“ Heaths Augen weiteten sich. „Ein Teil von mir wünscht sich, dass Gemma mehr Interesse an Eugenie zeigt. Ich mache mir Sorgen darüber, wie es sich auf sie auswirken könnte, sobald sie älter wird und ihre Mutter braucht.“ So schnell, wie er es gesagt hatte, klappte sein Mund auch wieder zu, und er blickte missmutig geradeaus. Dann räusperte er sich und fuhr fort: „Ich liebe meine Tochter, müssen Sie wissen.“ Er klang dabei besonders gekünstelt und hochgestochen, so als würde von ihm erwartet werden, dass er sein eigenes Kind nicht vergötterte. „Ich möchte, dass sie alles bekommt, wonach ihr Herz sich sehnt. Was der Grund dafür ist, dass ich mir sicher sein möchte, die richtige Person auszuwählen, die sich um sie kümmert, wenn ich es nicht kann.“
„Das verstehe ich vollkommen“, sagte Aubrey. „Und ich versichere Ihnen, dass ich mich um Eugenie kümmern werde, als wäre sie mein eigenes Kind. Es macht mir auch nichts aus, im Haushalt zu helfen, auch wenn ich an einem Ort wie diesem und mit einem Arbeitgeber wie Ihnen nicht weiß, ob überhaupt jemand benötigt wird, der beim Abwasch hilft.“ Aubrey lächelte über seinen Witz.
Heath lächelte nicht. Er sah beinahe beleidigt aus. „Ich beschäftige keine Bediensteten“, sagte er.
„Oh … äh … ähm … ich hätte nicht mutmaßen sollen“, stammelte Aubrey, und die Beschämung ließ ihn erröten.
Heath verzog das Gesicht und sagte: „Nun, ich denke, das stimmt nicht wirklich. Immerhin beabsichtige ich, Sie einzustellen. Und ich habe eine Putzkraft, die zweimal in der Woche vorbeikommt. Doch ich koche und spüle selbst.“
Aubrey bemühte sich, über den Stolz in Heaths Stimme nicht zu grinsen. Sie kamen eindeutig aus äußerst unterschiedlichen Welten, so viel war sicher. In Aubreys Welt aufzuwachsen, hatte bedeutet, dass er den Abwasch – und das Staubwischen und Staubsaugen – hatte übernehmen müssen, um seine wöchentlichen 50 Pence zu verdienen.
„In diesem Fall“, sagte Aubrey und grinste, „kann ich definitiv beim Abwasch helfen. Ich übernehme sogar den Einkauf und bringe Eugenie abends ins Bett. Und ich verspreche Ihnen, dass ich auch mein Zimmer sauber halten werde, sonst dürfen Sie einen Strafpunkt an mich verteilen.“
Er grinste über seinen kleinen Witz, doch Heaths Miene verfinsterte sich, so als hätte er etwas Falsches gesagt.
Bevor Aubrey herausfinden konnte, wie er es dieses Mal versaut hatte, marschierte eine vornehme Frau mit grauem Haar, die aussah, als sei sie in ihren Sechzigern, mit einem elegant gekleideten, quengeligen Kleinkind auf dem Arm in den Raum.
„Heath, du musst sie nun zurücknehmen“, sagte die Frau, kam direkt zu ihnen herübergeschritten und ließ das Kind auf Heaths Schoß plumpsen, bevor er sich erheben konnte. „Bunnys Gartenparty beginnt in einer Stunde, und du weißt, dass der Verkehr zwischen hier und Kensington zu dieser Tageszeit grauenhaft ist. Es würde mir nichts ausmachen, zu spät zu kommen oder die Veranstaltung vollständig ausfallen zu lassen, aber Trudys Enkel wird dort sein, und ich muss … oh, hallo. Wer sind Sie?“ Sie blinzelte schnell in Aubreys Richtung, als sie sich nach der Übergabe des Kindes – von dem Aubrey vermutete, dass es sich um Eugenie handelte – wieder aufrichtete.
Aubrey war von dem Wirbelwind von einer Frau so verdutzt, dass er sie nur erstaunt anstarren konnte.
„Mutter, das ist Aubrey Kelly“, antwortete Heath für ihn, während das eigenwillige kleine Mädchen auf seinem Schoß sich für eine tränenreiche Umarmung an ihn schmiegte, ungeachtet der Tatsache, dass er einen Anzug trug. „Er ist hier wegen eines Vorstellungsgesprächs für die Stelle der Nanny.“
„Sind Sie das?“, fragte Heaths Mutter und musterte Aubrey so, als wäre sie sich nicht sicher, dass ihr Sohn die Situation richtig einschätzte.
„Das bin ich, Madame“, antwortete Aubrey mit lächerlicher Förmlichkeit. Er fühlte sich umgehend wie ein Dummkopf.
Auf der anderen Seite trug die Frau Perlen, und üblicherweise sprach man mit älteren, Perlen tragenden Damen so förmlich.
Heaths Mutter brummte, während sie ihn weiter musterte. „Bei so roten Haaren muss Ihre Familie wohl aus Irland stammen.“
„Aus Cornwall, Ma’am“, antwortete Aubrey.
„Mutter, schüchtere den armen Mann nicht ein“, sagte Heath und seufzte. Er hatte Schwierigkeiten, Eugenie auf seinem Schoß zu behalten. Sie hatte sich ihre Umarmung von ihrem Papa abgeholt und wand sich nun, um auf den Boden zu gelangen. „Wir wollen Aubrey nicht verschrecken, bevor er überhaupt seinen ersten Tag hatte.“
Aubrey stockte der Atem. Das klang so, als wäre er eingestellt. Gott sei Dank! Seine Schwierigkeiten wären vorbei, und die glücklichen Tage wären zurück.
„Nun, dann lasse ich euch mal allein“, sagte Heaths Mutter und blickte misstrauisch zwischen Heath und Aubrey hin und her. Aubrey war sich nicht sicher, ob ihm das Funkeln in den Augen der Frau gefiel. „Schickst du mir eine Kopie seines Lebenslaufs?“, fragte sie ihren Sohn, als sie den Raum verließ. „Ich sorge dafür, dass mein Kontakt bei Scotland Yard einige Nachforschungen über ihn anstellt.“
Aubrey verschluckte sich beinahe an seiner eigenen Spucke. „Nachforschungen über mich anstellt?“ Seine Stimme wurde zu einem peinlichen Quieken.
Heath verdrehte die Augen. „Hören Sie nicht auf sie. Vermutlich hat sie sich irgendeine Detektivserie angesehen oder so etwas. Meine Mutter schaut viel zu viel fern.“
„Das ist ziemlich praktisch. Schließlich arbeiten Sie für eine Produktionsfirma.“
Aubreys Beobachtungen blieben unbeantwortet, da es Eugenie gelang, sich aus dem Griff ihres Papas zu winden. Doch anstatt ihrer Großmutter zu folgen, wie Aubrey es von ihr erwartet hatte, kam sie direkt auf Aubrey zu, stellte sich vor ihn und blickte ihn mit weit aufgerissenen, neugierigen, unschuldigen Augen an.
„Na, hallo, du“, sagte Aubrey und setzte ein breites Grinsen auf. Er breitete die Arme aus, um ihr die Möglichkeit zu geben, näher an ihn heranzutreten oder zurückzuweichen, und fragte: „Wie heißt du denn?“
„Genie“, sagte die bezaubernde kleine Prinzessin und strahlte ihn an.
„Genie“, wiederholte Aubrey, so als wäre es das Wunderschönste, was er je gehört hatte. „Das ist der perfekte Name für eine Prinzessin. Und du bist heute auch noch wie eine Prinzessin angezogen.“ Er warf einen Blick auf ihr mit Rüschen besetztes rosafarbenes Kleid und die cremefarbene Strickjacke, von der er hätte schwören können, dass sie aus Kaschmir war.
„Meine Mutter zieht sie gern schick an“, sagte Heath. Aubrey konnte hören, wie er die Augen verdrehte, auch wenn seine Aufmerksamkeit auf Eugenie lag.
Eugenie ergriff den Rock ihres viel zu formellen Kleides und breitete ihn aus. „Es ist rosa. Ich mag Rosa.“
„Das ist es, und das tust du“, sagte Aubrey. „Ich mag Rosa auch. Und Lila. Und Glitzer. Einhörner sind auch gar nicht so übel.“
Er griff nach dem Saum seines Hosenbeins und zog es so weit nach oben, dass er die rosafarbenen, mit Einhörnern verzierten Socken entblößte, die er trug. Das war eine bewusste Entscheidung gewesen, da er gewusst hatte, dass sein potenzieller Schützling ein kleines Mädchen war.
Eugenie lachte beim Anblick von Aubreys Socken. Dann tat sie das Beste, was sie in der Situation des Vorstellungsgesprächs hätte tun können. Sie streckte die Arme in die Luft und bat Aubrey, sie hochzuheben.
Aubrey warf Heath einen schnellen Blick zu. „Ist das in Ordnung? Ich will mir nichts anmaßen oder irgendetwas tun, mit dem Sie nicht einverstanden sind.“
Das war die richtige Aussage gewesen. Heath lächelte. Und offen gestanden sah der Mann himmlisch aus, wenn er lächelte. „Nur zu.“
Aubrey wandte sich wieder Eugenie zu und hob das Mädchen auf seinen Schoß. Sie schien sofort von ihm hingerissen zu sein. Oder vielleicht nur hingerissen von seinen Haaren. Sobald sie weit genug oben war, streckte sie die Hände aus und berührte die Haare über Aubreys Ohr, beinahe so, als müsste sie sichergehen, dass sie echt waren.
„Ja, ich bin ein Rotschopf“, erklärte er ihr, nicht in der Lage, sich das Lächeln aus dem Gesicht zu wischen. „Ich hoffe, das kannst du mir verzeihen.“
Eugenie kicherte nur schüchtern, ließ sich dann gegen Aubreys Arm sinken und vergrub ihr halbes Gesicht darin.
„Also dann“, sagte Heath. „Es scheint, als hätte Eugenie ihre Entscheidung getroffen. Sie sind eingestellt, Mr Kelly.“
Freude erblühte in Aubrey und damit auch eine große Erleichterung. „Fantastisch“, sagte er und lächelte seinen neuen Schützling noch immer an. „Wann soll ich einziehen?“
Als die Antwort nicht unmittelbar folgte, drehte Aubrey sich so um, dass er Heath anblicken konnte.
Heaths Lächeln war verschwunden.
Aubrey wurde schwer ums Herz.
„Es … es tut mir leid, aber die Stelle beinhaltet keine Unterkunft“, erklärte Heath und wirkte dabei besorgt und schon beinahe panisch. „Ich dachte, das wurde deutlich gemacht.“
Aubrey krümmte sich innerlich. „Es tut mir leid. Ich habe geglaubt, Janice hätte sichergestellt, dass mir eine Unterkunft zur Verfügung gestellt wird. Es ist so, dass ich im Moment nicht wirklich eine Bleibe habe, und ich kann mir bei der derzeitigen Höhe der Mieten auch keine in London leisten. Es tut mir leid, Süße.“ Er wandte sich an Eugenie.
Sie musste verstanden haben, dass etwas mit den Erwachsenen nicht stimmte. Ihr schüchternes Lächeln war verschwunden, und sie sah so aus, als würde sie jeden Augenblick in Tränen ausbrechen.
„Ich werde mit Janice sprechen und sie wissen lassen, dass Sie jemanden mit eigener Bleibe benötigen“, fuhr Aubrey fort und hatte dabei Schwierigkeiten, die Enttäuschung aus seiner Stimme herauszuhalten. „Ich bin mir sicher, dass sie –“
„Ich nehme an, dass wir das hinbekommen werden“, platzte Heath heraus. Sein Gesichtsausdruck wirkte nur noch panischer statt entspannter. „Das hier ist ein großes Haus mit reichlich ungenutzten Zimmern. Wir werden schon eine Lösung finden. Sie könnten zunächst probeweise hier einziehen, und wenn es nicht funktioniert, werden wir uns für etwas anderes entscheiden.“
Aubrey blinzelte überrascht. „Wirklich? Sie sind bereit, mir eine Chance zu geben?“
Heath verharrte einen Augenblick lang vollkommen still. Rosafarbene Flecken verfärbten sein hübsches Gesicht. Aubrey fiel auf, dass es ihm nichts ausmachen würde, unter einem Dach mit jemandem zu leben, der in einem Moment so charmant und verantwortungsbewusst und im nächsten so verletzlich und emotional war. Angesichts der wenigen Dinge, die Aubrey aus den fünfzehn Minuten, während derer sie sich miteinander unterhalten hatten, über den Mann wusste – vor allem derjenigen über die Scheidung –, fragte er sich, ob Heath in Wirklichkeit genau wie seine Tochter einen Freund und Beschützer brauchte.
„Wir werden es versuchen“, sagte Heath schließlich, räusperte sich und sah so aus, als würde er sich bemühen, sich zusammenzureißen. „Im schlimmsten Fall …“ Er beendete den Satz nicht, sondern blickte nur von Aubrey zu Eugenie und wieder zurück. „Wir werden es versuchen.“
„Fantastisch“, sagte Aubrey und lächelte. „Ich werde Sie nicht enttäuschen.“
Das würde er ganz bestimmt nicht tun. Denn auch wenn er als Eugenies Nanny eingestellt wurde, war Aubrey nicht in der Lage, das Gefühl abzuschütteln, dass auch Heath ihn brauchte.