Prolog
Asterios starrte durch flackernde hellrote Flammen hinab auf die Erde. All diese Menschen, die kleinen Wesen. Einfältig, wie sie waren, wussten sie doch nichts von der Existenz der Hölle.
Menschen waren wie Ameisen, und dennoch brauchten die Dämonen sie, um zu überleben.
„Na, kleiner Bruder? Zieht es dich schon wieder dorthin?“ Eine Hand mit langen, bedrohlichen Krallen legte sich auf Asterios’ Schulter. Er hätte sich inzwischen daran gewöhnen sollen, wie Irial ihn Bruder nannte. Aber diese herablassende, fast verspottende Betonung ließ ihn innerlich nach wie vor jedes Mal zusammenzucken. Es tat weh.
„Tja, als Halbblut gehörst du nun mal weder richtig in diese Welt noch in jene.“ Irial streckte eine Hand aus und zeigte mit seiner schwarzen Kralle hinunter auf die Erde. Er beugte sich näher zu Asterios und flüsterte ihm mit düsterer, verführerischer Stimme ins Ohr: „Du wirst es nicht los, das Verlangen, welches deine dämonische Seite in dir weckt. Nicht einmal hier. Es brennt immerfort in dir, und das wird dein Leben lang so bleiben. Wobei niemand so genau sagen kann, wie lang das sein wird, denn irgendwann wird der dämonische Teil dich umbringen.“
„Was willst du?“ Asterios schlug Irials Hand genervt weg, weil er seine Worte nicht hören wollte, und erhob sich.
Irials Körper erinnerte an Flammen, die von Dunkelheit verschluckt wurden. Blutrote Muster, die in schwarze übergingen, ineinanderliefen, miteinander rangen. Er hatte nur entfernt Ähnlichkeit mit einem Menschen. Die humanoide Gestalt wurde verzerrt von den großen Schwingen, dem Schwanz, den Krallen an Zehen und Fingern. Die Haut war dick und widerstandsfähig, weswegen er keine Kleidung trug.
„Rede nicht so respektlos mit mir.“ Irials Hand schoss schneller vor, als Asterios hätte ausweichen können, und packte ihn an der Kehle. Mühelos hob er ihn in die Luft und ließ ihn am ausgestreckten Arm einige Meter über dem Boden baumeln. In seinen feuerroten Augen blitzte Wut.
Asterios bekam nicht mehr als ein Röcheln zustande. Scheiße, er hatte ihn unbeabsichtigt provoziert, obwohl er das normalerweise stets vermied.
Sein Kiefer schmerzte unter dem unerbittlichen Griff seines „Bruders“ und sein Hals brannte, weil an ihm sein gesamtes Körpergewicht hing. Die Schmerzen trieben Asterios die Tränen in die Augen.
Irial hielt ihn noch für einige Augenblicke so fest, dann seufzte er schließlich und setzte ihn mit einem Knurren ab. Asterios’ Beine konnten sein Gewicht jedoch nicht tragen und so sackte er röchelnd auf die glühend heiße Erde. Der aufsteigende Rauch brannte zusätzlich in seinen Augen und seinem Hals und er hustete.
„Unser Vater hat entschieden, deiner schandhaften Existenz ein Ende zu setzen“, verkündete Irial süffisant und Asterios blieb das Herz stehen.
Was?
„Er erträgt es scheinbar nicht länger, ein Halbblut in der Familie zu haben. Und ich bin hier, um seinen Willen umzusetzen.“
Asterios sah zu ihm hoch. Er musste den Kopf dafür weit in den Nacken legen, weil Irial sich mithilfe seiner mächtigen schwarzroten Schwingen erhob und bedrohlich über ihm schwebte. Hinter ihm peitschte sein Schwanz durch die Luft. Sein schwarzes Haar fiel ihm lang über den Rücken und teils nach vorn über die Schultern. Geteilt wurde es von zwei gedrehten Hörnern in einem Scharlachrot, die sich ein paar Zentimeter vor seiner Stirn beinahe berührten.
Als Irial ihn angrinste, entblößte er weiße Zähne, die gefährlich spitz zuliefen. Sein Herz setzte einen Moment aus. Eine ganz und gar bedrohliche Erscheinung, die es auf sein Leben abgesehen hatte.
Asterios krallte seine Hände in die glühende Erde. Alles in ihm zog sich schmerzhaft zusammen und Übelkeit stieg seine Kehle hinauf. Diese unterdrückte er ebenso wie das Zittern seines Körpers.
Im Kampf hätte er keine Chance gegen Irial, also blieb ihm nur der Versuch, zu fliehen.
Er drehte sich um und wollte durch das Flammenloch auf die Erde flüchten, doch noch ehe er zum Sprung ansetzen konnte, versperrte Irial ihm bereits den Weg.
„Nicht so schnell, mein Kleiner.“ Er lachte gehässig.
Asterios wich zurück. Verdammt, das war sein einziger Fluchtweg gewesen.
„Du brauchst doch keine Angst zu haben.“ Als Irial mit seiner Hand ausholte, hob Asterios instinktiv die Arme.
Etwas klatschte vor seine Füße. Irritiert spähte Asterios auf den Boden.
„Was ist das?“ Er musterte Irial verwirrt, doch der zuckte lediglich mit den Schultern.
„Vater hat es mir gegeben. Angeblich ist es möglich, dass du durch dieses Ritual zu einem vollwertigen Dämon wirst.“
Wie? Hatte er das etwa damit gemeint, seinem schandhaften Leben ein Ende zu setzen?
Zögernd griff Asterios nach dem hellen Stück Haut, welches vor ihm auf dem Boden lag. Er besah es sich genauer. Darauf standen Zutaten und Anweisungen für ein sehr altes Ritual. Ihr Vater akzeptierte ihn nicht länger als Halbblut, also würde er hiermit …?
„Und mit diesem Ritual werde ich ein vollwertiger Dämon?“ Asterios konnte es nicht glauben. Das würde es ihm möglich machen, endlich etwas Ganzes zu werden, irgendwo dazuzugehören.
Irial trat vor und nahm ihm das Rezept mit einem süffisanten Ausdruck im Gesicht wieder weg.
„Aber, aber, kleiner Bruder. Ganz so einfach ist es dann doch nicht.“
Natürlich nicht. Resigniert blickte Asterios in das dämonische Gesicht vor ihm. Er war ihm jetzt so nahe, dass Irials Hörner fast seine Stirn berührten.
„Dieses Ritual muss an Halloween ausgeführt werden und einer der wichtigsten Bestandteile ist eine Jungfrau. Die bereits volljährig ist.“ Asterios wartete geduldig, denn er war sich sicher, dass das noch nicht alles war. „Eine solche zu finden und zu verführen, dürfte für dich ja kein Problem sein. Wie wäre es also, wenn wir daraus eine kleine Herausforderung machen würden? Sagen wir, eine Wette, nur zwischen uns zwei.“
„Und was habe ich davon, wenn ich mich darauf einlasse?“ Irial musste es ihm unbedingt noch schwerer machen, was? Wenn er das richtig gesehen hatte, würde es ohnehin eine Herausforderung werden, alle Zutaten zusammenzubekommen.
„Was du davon hast?“ Er kniff die Augen zusammen.
„Ja, was wäre dein Wetteinsatz?“ Asterios versuchte, selbstbewusst aufzutreten, obwohl er rein gar nichts gegen ihn in der Hand hatte. Und Irial ihm sicherlich keine andere Wahl ließ, als mitzuspielen.
„Lass mich überlegen. Du meinst, abgesehen davon, dass du am Ende ein vollwertiger Dämon wärst?“ Irial spielte mit seinen langen Fingern, die er ans Kinn legte, als müsste er ernsthaft darüber nachdenken.
Asterios schnaubte. „Das will unser Vater sowieso. Wenn mir das nicht gelingt, wird er nicht sonderlich erfreut sein. Also, was habe ich davon, wenn ich mich auf deine Wette einlasse?“
„Was hättest du denn gern?“ Irial richtete sich auf und sah auf ihn herab. Er war mehr als einen Kopf größer, maß insgesamt an die zwei Meter, doch nicht allein aufgrund seiner Größe war er eine einschüchternde Erscheinung.
„Ich will, dass du mir versprichst, dass ich vor dir in Sicherheit bin. Du wirst mich nie wieder verletzen, einschüchtern oder versuchen, mich zu töten.“
In Irials roten Augen leuchtete kurz etwas auf. „Einverstanden“, sagte er so leise und mit derart bedrohlicher Stimme, dass Asterios sich beinahe wünschte, er hätte diese Forderung nicht gestellt.
„Und wenn ich es nicht schaffe?“ Asterios fürchtete sich vor der Antwort. Was würde Irial im Gegenzug von ihm fordern?
„Dann wirst du ein weiteres Jahr dein Dasein als Halbdämon fristen müssen und ich kann meinen Spaß mit dir haben, das ist mir Belohnung genug.“ Irial grinste gemein. „Nachdem der Wetteinsatz steht, müssen wir ja nur noch die genauen Bedingungen festlegen.“
Kapitel 1
Asterios
Asterios verlor langsam die Geduld. Er streifte bereits den sechsten oder siebten Tag über das schier unendliche Gelände der Universität. Seine Nase juckte fürchterlich, und er hätte sie gern in eine frische Brise gehalten, um sie von all den Gerüchen zu befreien, die ihm inzwischen starke Kopfschmerzen bereiteten.
Es war dämlich gewesen, sich auf diese Wette einzulassen. Aber im Grunde hatte er keine andere Wahl gehabt.
Um es ihm noch schwerer zu machen, hatte Irial darauf bestanden, bestimmen zu dürfen, wo Asterios nach seiner Jungfrau suchen durfte. Und seine Wahl war auf diesen Ort gefallen. Als Asterios deswegen nachgefragt hatte, hatte Irial bloß wieder einmal gegrinst und gemeint, er habe da seine Gründe.
Ob es hier auch nur eine einzige Jungfrau gab? In der heutigen Zeit einen Studenten zu finden, der noch unberührt war, dürfte schon in ganz Amerika kein leichtes Unterfangen darstellen.
Asterios biss die Zähne aufeinander und musste sich zusammenreißen, um nicht wütend seine Faust gegen eine der imposanten Steinmauern zu rammen. Das würde bloß ihm wehtun und dem über zweihundert Jahre alten Gemäuer nicht einmal ein müdes Lächeln entlocken.
Es war bereits Oktober, bis Halloween blieb ihm nicht mal mehr ein Monat. Das wäre an sich genug Zeit, solange die Dämonen sich rasch finden und die restlichen Zutaten sich schnell beschaffen ließen.
Während er also wie ein Idiot über das Unigelände streifte, schmiedete er bereits Pläne für den späteren Ablauf. Es war klar, dass er bei fast allen Zutaten auf die Mithilfe seiner menschlichen Jungfrau angewiesen war. Zum Glück sollte er die meisten Dämonen hier in der näheren Umgebung finden können. Die Banshee machte ihm am meisten Sorgen. Für das Problem hatte er noch keine Lösung gefunden.
Asterios hatte die Zutatenliste in den vergangenen Tagen immer wieder studiert und kannte sie bereits auswendig. Wenn er sich nicht irrte, sollten zwei der Zutaten im Autumn Hill zu finden sein – und war der Tartarus nicht auch ganz hier in der Nähe?
Doch selbst wenn er all die anderen Zutaten zusammenbekäme, fehlte ihm nach wie vor diese Jungfrau.
Asterios hörte auf, sich selbst zu bemitleiden, atmete tief durch und konzentrierte sich wieder auf seine Umgebung. Es nützte nichts, er würde so lange durchhalten, bis er sich sicher war, dass er jeden einzelnen Menschen auf diesem Campus überprüft hatte, was bei über achttausend Studenten durchaus einige Zeit in Anspruch nehmen dürfte. Wenigstens musste die Person nicht zwangsläufig hier studieren. Es reichte, wenn jemand Passendes an ihm vorbeilief, der Hintergrund interessierte ihn nicht.
Er hatte bereits eine Woche an verschiedenen Orten auf dem weitläufigen Gelände verbracht und war dabei nicht umhingekommen, die meist neugotische Architektur der Gebäude zu bestaunen. Kein Wunder, dass Princeton oft mit Hogwarts aus Harry Potter verglichen wurde. Selbst er musste neidvoll anerkennen, dass es ihm durchaus gefallen würde, hier zu leben und diese Gebäude täglich um sich zu haben.
Gerade hatte er jedoch andere Sorgen. Jeder Tag, den er für die Suche nach der Jungfrau opferte, war ein Tag weniger, den er für die restlichen Zutaten zur Verfügung haben würde. Aber ohne sie wären die anderen Beigaben nutzlos.
Gerade schweifte sein Blick hoch zu der Uhr zwischen den beiden beeindruckenden Türmen der Blair Hall. Es war bereits Nachmittag und es blieben ihm nur noch ein paar Stunden, bis es dunkel werden würde, dann wäre ein weiterer Tag vergangen, den er erfolglos hinter sich gebracht hatte.
Als Asterios den Kopf wieder senkte, entdeckte er eine Katze, die am Fuße der Treppenstufen saß und sich putzte. Katzen waren auf diesem großen Gelände ein eher seltener Anblick, dennoch liefen die Studenten direkt an ihr vorbei die Stufen hinauf und herunter, ohne ihr auch nur einen Blick zuzuwerfen.
Asterios schlich vorsichtig näher. Er hatte sich nicht geirrt. Als ihm der erdige, leicht modrige Geruch in die Nase stieg, war er sich sicher. Das hier war keine lebende Katze; es war eine dämonische.
Ihre zwei Schwänze zuckten nervös, als er sich näherte. Sie hob den Blick und fixierte ihn mit ihren gelben Augen, die Pupillen zogen sich zu einer feinen Linie zusammen. Auch sie musste ihn als das erkannt haben, was er war.
„Hey.“ Er grüßte sie freundlich, während sie ihn weiterhin anstarrte und nicht aus den Augen ließ. Grundsätzlich waren diese verstorbenen Katzen recht umgänglich. Manch einer nutzte sie sogar als Boten oder Spione. Man durfte sie bloß nicht gegen sich aufbringen.
Er hatte aber genau das vor, denn sie stand auf seiner Zutatenliste und diese Gelegenheit würde er sich definitiv nicht entgehen lassen. So wäre der heutige Tag zumindest nicht ganz verschwendet.
***
Traurig betrachtete Asterios die Kratzer auf seinem Arm. Der Ärmel hing in Fetzen herunter. Er musste sich wohl oder übel etwas Neues zum Anziehen besorgen. Die Wunde würde bald wieder verheilt sein. Nicht so schnell wie bei einem vollwertigen Dämon, doch frisch genährt würde es nicht länger als eine Stunde dauern. Allerdings hatte er gerade keine Zeit, sich auf Nahrungssuche zu begeben.
Wenigstens hatte er bekommen, was er brauchte. Was den Tag schon um einiges erfolgreicher erscheinen ließ als alle vorherigen. Allerdings brachte ihm das nach wie vor nichts, wenn er es nicht schaffte, die Hauptzutat für das Ritual aufzutreiben.
Dafür erspähte er in diesem Moment noch eine weitere Zutat. Eventuell war es gar nicht mal so schlecht, dass er ausgerechnet hier nach der Jungfrau suchen musste. Diese Wesen fühlten sich von alten Gebäuden angezogen. Asterios überlegte gerade, wie er ungesehen an dem Gebäude bis zu der steinernen Figur hochklettern sollte, als es ihn wie ein Blitz traf.
Ein schwerer, süßlicher Geruch drang in seine Nase. Wie elektrisiert durchfuhr ihn ein gewaltiges Zittern, sobald die Erregung ihn einer Welle gleich durchflutete. Sein Kopf schoss hoch. Die zweite Zutat konnte warten, er durfte diese Spur nicht verlieren. Sie war es, wonach er die letzten Tage gesucht hatte.
Scharf sog er die Luft ein, seine Lunge weitete sich und filterte den Geruch heraus. Er konnte die Pheromone riechen, welche die Menschen verströmten.
Noch einmal atmete er tief ein. Über die Jahre hatte er gelernt, welche Bedeutung hinter den Gerüchen steckte, denn nur selten konnte er sie intuitiv zuordnen. Diese Note stellte jedoch eine Ausnahme dar, denn sie war derart verführerisch, dass es nur eines bedeuten konnte. Die sexuelle Unerfahrenheit einer Jungfrau, die noch lernen und erleben musste, in welche Ekstase ihr Körper geraten konnte.
„Gefunden“, flüsterte er siegessicher und machte sich auf, der Spur zu folgen. Sie führte ihn ein ganzes Stück über den Campus. Das Objekt seiner Begierde musste gerade eben erst hier entlanggegangen sein. Er musste sich beeilen, denn so intensiv der Geruch auch war, verflog er recht schnell wieder.
Asterios merkte bereits, wie er verblasste, was bedeutete, dass er eindeutig langsamer war als sein Verursacher. Er rannte los und erntete dadurch den ein oder anderen verwirrten Blick.
Nach kurzer Zeit nahm er die Menschen um sich herum kaum noch wahr, alles, was ihn erfüllte, war dieser Geruch. Unter gar keinen Umständen durfte er ihn verlieren.
Wieder wurde er stärker. Sogar so stark, dass er sich sicher war, sein Ziel direkt vor sich zu haben.
„Hab ich dich.“ Siegessicher hastete er um die nächste Ecke und stieß lautstark mit jemandem zusammen, dabei fiel etwas klappernd zu Boden.
„Aua! Mann, was soll das denn? Pass doch auf.“
Asterios stolperte zurück und rieb sich die Nase. Er war direkt in jemanden hineingelaufen. Derjenige drehte sich verärgert zu ihm um und funkelte ihn böse an. Dunkelbraune Augen blitzten ihn durch einen fransigen Pony an, der Rest des Kopfes war unter einer Mütze verborgen. Breite Schultern und etwa einen halben Kopf kleiner als Asterios, sodass er ein Stück zu ihm hinabblicken musste.
Ja, genau. Zu ihm!
Vor ihm stand ein verdammter Kerl!
Zunächst glaubte Asterios noch, bloß aus Versehen in ihn hineingelaufen zu sein und dass die Spur weiterführte. Aber seine Nase erzählte ihm etwas anderes. Der verführerische Geruch, dem er die ganze Zeit hinterhergelaufen war, raubte ihm in diesem Moment regelrecht den Atem und ließ sein Denken komplett aussetzen.
„Ey, kannst dich wenigstens mal entschuldigen, wenn du so in jemanden hineinbretterst“, beschwerte sich sein Gegenüber bei ihm und rieb sich demonstrativ den Hinterkopf. Das erklärte dann wohl das leise Pulsieren an Asterios’ Kinn, das er wie durch einen Nebel nur entfernt wahrnahm.
Asterios wusste, dass er sich entschuldigen musste. Er war kein unhöflicher Mensch – oder Dämon. Aber er war immer noch derart verdutzt, dass er einen jungen Mann anstelle einer süßen Studentin vor sich hatte, dass er nach wie vor außerstande war, etwas zu sagen.
„Du verstehst aber schon, was ich sage, oder? Bist du irgendwie etwas … na ja, egal. Siehst jedenfalls nicht so aus. Austauschstudent? Nein? Pass beim nächsten Mal auf jeden Fall besser auf und lern mal, dich vernünftig zu entschuldigen.“ Der junge Mann beugte sich hinunter und hob sein Skateboard hoch, welches bei dem Zusammenstoß zu Boden gefallen sein musste. Mit seinem Board in der Hand drehte er sich um und ging weiter.
In Asterios’ Kopf rastete etwas ein. Aha! Das Skateboard erklärte, wieso er als Verfolger langsamer gewesen war und die Geruchsspur beinahe verloren hatte.
Bei dem Gedanken daran schaffte er es zumindest, sich endlich wieder zu bewegen. Seine Nase, die bis eben noch vollkommen erfüllt von dem betörenden Duft gewesen war, ließ nun wieder Gedanken bis zu seinem Gehirn durch.
„Sorry, ja? Es tut mir total leid, war alles meine Schuld. Ich war irgendwie kurz weggetreten.“ Asterios ergriff ihn am Arm, um zu verhindern, dass er durch die hölzerne Tür vor ihnen ins Gebäude ging. Daraufhin drehte er sich zwar zu ihm herum, hob aber missbilligend die linke Augenbraue und sah dabei auf seinen Arm. Sofort ließ er ihn los und machte zusätzlich ein paar Schritte zurück.
„’tschuldige.“ Er hob beide Hände. Trotz seines körperlichen Vorteils hatte er es definitiv nicht auf eine Schlägerei abgesehen. Wenn irgend möglich, wollte er gern eine halbwegs freiwillige Mitarbeit seines jungfräulichen Partners erreichen. Schließlich brauchte er ihn für die Beschaffung der restlichen Zutaten.
Ursprünglich hatte er geplant, seinen umwerfenden Charme einzusetzen, um seine auserkorene Jungfrau zu bezirzen. Betonung lag dabei auf Frau. Seine Art suchte sich seine Opfer normalerweise im anderen Geschlecht. Natürlich gab es immer auch die Ausnahme von der Regel. Allerdings hatte Asterios sich bisher stets an „die Regel“ gehalten. Tja, dann wurde es wohl Zeit für „die Ausnahme“.
Auch wenn der Start für dieses Unterfangen nicht gerade gut gelaufen war.
„Erst gar nicht sprechen und dann gleich so viele Entschuldigungen auf einmal.“
Asterios bemühte sich, sein gewinnbringendstes Lächeln aufzusetzen, normalerweise funktionierte das. „Du hast mich einfach kurz ausgeknockt.“
„Und dabei warst du doch derjenige, der in mich reingerannt ist“, erwiderte er grummelnd, anscheinend vollkommen immun gegen Asterios’ Charme. „Wie auch immer, ich hab’s eilig. Pass einfach auf, wo du hinläufst, ja? Tschau.“ Damit wandte er sich abermals ab.
„Äh, da wäre noch etwas“, hielt Asterios ihn hastig auf.
„Was denn noch? Willst du mich jetzt auf Schmerzensgeld verklagen, oder was?“ Die Stimmung zwischen ihnen befand sich mittlerweile an einem Tiefpunkt. Schlimmer konnte es definitiv nicht mehr werden. Aber Asterios durfte unter gar keinen Umständen zulassen, dass er einfach so ging. Womöglich brauchte er Tage, um ihn wiederzufinden.
„Ich brauche deine Jungfräulichkeit.“ Asterios bemerkte erst, was er in seiner Verzweiflung so direkt herausposaunt hatte, als er in das erstarrte Gesicht seines Gegenübers blickte. Das war wohl das Dümmste, was er hätte sagen können. Und jetzt fiel ihm nicht mal etwas ein, womit die Situation noch zu retten gewesen wäre. Er öffnete den Mund, doch weiter kam er nicht.
„Alter, wenn das deine Anmache sein soll, dann feil lieber noch ein bisschen dran.“ Der junge Student bedachte ihn mit einem wütenden Blick und Asterios bereute es, dass er so unvorbereitet in diese Situation geschlittert war. Mit einem Mädchen hätte er sich auf vertrautem Terrain befunden und sicherlich leichtes Spiel gehabt. Jetzt stand er hier, seine Sinne benebelt von diesem speziellen Geruch, und seine Jungfrau stellte sich als schlechtgelaunter Mann heraus. Na, super. Besser hätte es wirklich nicht laufen können.
Hatte Irial das womöglich alles von Anfang an so geplant?
„Das ist keine Anmache, ich …“
„Interessiert mich nicht!“, unterbrach er ihn und öffnete die Tür mittels einer Schlüsselkarte, wodurch das kleine Lämpchen von Rot auf Grün umsprang.
„Jetzt warte doch mal. Ich brauche wirklich dringend deine Hilfe.“
„Und ich bin nicht daran interessiert, ich habe eigene Probleme.“ Ohne ein weiteres Wort betrat er das Gebäude und schloss demonstrativ die Tür hinter sich.
Asterios rüttelte zwar daran, aber die rote Lampe bedeutete ihm unmissverständlich, dass er hier keinen Zutritt hatte.
„Verdammte Scheiße!“, fluchte er laut und schlug mit der flachen Hand gegen das Mauerwerk. Hätte er die Tür damit getroffen, hätte sie ihren Widerstand womöglich aufgegeben, aber erreicht hätte er damit nichts. Zumindest nicht, wenn er sein Opfer nicht mit Gewalt entführen wollte, und das war für ihn nach wie vor keine richtige Option. Es musste doch auch anders gehen.
Asterios wandte sich ab und hob den Blick nachdenklich zum wolkenverhangenen Himmel. Was für ein Tag. Und bis vor wenigen Minuten hatte er noch geglaubt, eine Jungfrau zu finden, wäre sein größtes Problem.
Kapitel 2
Caleb
Caleb hielt die Keycard vor das Schloss seiner Zimmertür und gab seine PIN in das Nummernfeld ein.
Er war heilfroh, dass er sein Zimmer nicht mit einem Mitbewohner teilen musste. Da er ohnehin kein geselliger Mensch war, hätte ihm diese erzwungene Zweisamkeit das Leben um einiges schwerer gemacht. Ganz ohne richtigen Rückzugsort wäre er höchstwahrscheinlich verrückt geworden.
So aber konnte er, sobald er die Tür hinter sich schloss, tief durchatmen. Beinahe jedes Mal fühlte er, wie eine gewisse Anspannung seinen Körper verließ und seine Schultern ein ganzes Stück hinabsanken. Heute war es besonders schlimm.
Ungläubig schüttelte er den Kopf. Der Kerl eben hatte doch den totalen Knall. Seine Jungfräulichkeit? Hatte er das ernst gemeint?
Ein Schauer durchlief ihn, weil er sich nicht erklären konnte, ob der Fremde sein Geheimnis kannte oder wirklich bloß einen dämlichen Spruch hatte loswerden wollen.
Eigentlich sollte der das gar nicht nötig haben, nicht mit seinem Aussehen. Seine tiefschwarze Haut, dazu ein umwerfendes Lächeln mit strahlend weißen Zähnen, tiefschwarze Augen, in denen man sich verlieren konnte, und eine auffällige Frisur. Seine Haare waren an den Seiten kurz geschnitten und nur oben auf seinem Kopf länger, wo sie wenige Zentimeter lange Rastalocken bildeten, die nach oben oder leicht zur Seite abstanden. Mit Bart hätte er bestimmt auch nicht schlecht ausgesehen.
Irgendwie hatte sein Ärmel etwas zerfetzt gewirkt, weswegen Caleb bei ihrem Zusammenstoß zunächst davon ausgegangen war, es wäre jemand hinter ihm her. Das war aber wohl nicht der Fall gewesen.
Eventuell eine verlorene Wette?
Caleb schüttelte den Kopf und rechnete damit, dass der seltsame Kerl ihm später irgendwo auflauern würde. Doch er begegnete ihm kein weiteres Mal, obwohl er sich heimlich nach ihm umsah. Als er ihn auch nach zwei Tagen nirgends entdeckte, ging sein Leben wieder den gewohnten Gang.
***
Caleb war tief in Gedanken versunken, als er das Gemeinschaftshaus des Whitman Colleges verließ. Er schloss die verschnörkelte Holztür hinter sich, welche ein reichverzierter Torbogen schmückte, was im krassen Gegensatz zu der schlichten Kalksteinmauer des Gebäudes stand.
„Hey, ich hätte da immer noch ein Anliegen!“
Erschrocken fuhr Caleb herum, als er die Stimme neben sich in den Schatten hörte. Dort stand der seltsame Kerl von neulich unter einem der steinernen Bögen, die einen Teil des Gehwegs mit den breiten Steinplatten entlang zur North Hall säumten und einen wahren Blickfang darstellten. Diese Kalksteinbögen, welche aneinandergereiht standen und so eine Arkade bildeten, waren bekannt als Wright Cloister.
Bei seiner Reaktion verkniff sich der Kerl offensichtlich ein Grinsen und sah ihn ruhig an. Er war sich seiner Wirkung ganz offensichtlich bewusst. Verdammt!
Andererseits, wie sollte er das auch nicht sein? Calebs geschockter Blick wanderte ungewollt seine Erscheinung hoch und runter.
Eine Goldkette um den Hals, die auf seine nackte schwarze Brust herunterhing. Von dem roten Hemd waren lediglich die untersten beiden Knöpfe geschlossen und so weit, wie es auseinanderklaffte, musste es mindestens drei Nummern zu groß sein. Dazu die enge schwarze Lederhose und der diamantene Stecker in seinem rechten Ohr. Die schwarzen Augen, nur eine kleine Nuance dunkler als seine Haut und genauso dunkel wie seine Haare.
Doch es war nicht nur dieses verruchte Outfit, das hier überhaupt nicht hergehörte. Sogar seine Ausstrahlung hatte sich vollkommen verändert. Hatte er beim letzten Mal noch gehetzt und nervös gewirkt, war er dieses Mal die Ruhe selbst und strotzte nur so vor Selbstbewusstsein.
Caleb war wie vor den Kopf gestoßen. Aber gleichzeitig faszinierte ihn irgendetwas an diesem Kerl. Wie konnte man nur mit einem solchen Selbstbewusstsein so zwischen all den Studenten herumlaufen? Heute war zwar ein eher trüber Oktobertag und die Studenten, die hier entlangliefen, beeilten sich alle, schnell ins Warme zu kommen, aber …
„Du stehst also eher auf Männer, was?“ Lässig lehnte der Kerl sich an die kalte Steinmauer. Der musste sich bei den Temperaturen doch den Tod holen. Doch vielmehr als das schockierte Caleb seine Aussage. Er warf einen Blick über die Schulter und war froh, dass niemand sie zu beobachten schien oder zugehört hatte.
„Woher willst du das wissen?“, fuhr Caleb ihn scharf an. Im selben Moment fürchtete er, damit zu viel gesagt zu haben. Besonders angesichts des Grinsens auf dem Gesicht seines Gegenübers, das ein klein wenig zu selbstgefällig ausfiel.
Calebs Herz machte einen Satz. Er sollte sich eigentlich abwenden und gehen, anstatt sich weiter auf dieses Gespräch einzulassen. Aber er konnte nicht. Sein Gesprächspartner hatte irgendetwas an sich, das ihn faszinierte und fesselte.
„Nun, ich habe dich jetzt eine ganze Weile beobachtet und bin eigentlich ein ziemlich guter Menschenkenner. Daher habe ich so meine Rückschlüsse gezogen.“
„Ein Stalker also? Alter, du wirst mir immer unheimlicher. Lass mich bloß in Ruhe, sonst melde ich dich bei der Polizei. Verstanden?“ Er musste sich nun echt nicht alles gefallen lassen. Zeit, sich zu verdrücken. Mit einem entschiedenen Schritt setzte er dazu an, weiterzulaufen.
Der Stalker ließ sich jedoch nicht so leicht abschütteln. Er duckte sich hinter der Steinsäule des Bogens hinweg und ergriff auf der anderen Seite Calebs Arm.
„Nicht so schnell.“ Mit einem Ruck zog er ihn zu sich und drückte ihn mit dem Rücken gegen die Säule.
„Alter, spinnst du?“, fuhr Caleb ihn wütend an, sein vor Aufregung schneller schlagendes Herz ignorierend.
„Aber nicht doch. Letztens hatte ich bloß keine Gelegenheit, mich richtig vorzustellen.“ Das breite Grinsen wirkte nicht wirklich echt, und Caleb blieb auf der Hut, zumal der Typ echt Kraft zu besitzen schien.
„Hallo, mein Name ist Asterios.“ Er streckte ihm zur Begrüßung eine Hand hin. Caleb verzichtete jedoch darauf, sie zu ergreifen. Dieser „Asterios“ war ihm nicht ganz geheuer.
„Und wie heißt du?“
Er zögerte einen Augenblick und musterte ihn noch einmal von oben bis unten. Da er sich vorbeugte und mit der linken Hand neben Caleb an der Steinwand abstützte, klaffte das Hemd sogar noch weiter auf und Caleb konnte bis zu seinem Hosenbund alles sehen. Hastig lenkte er den Blick wieder nach oben. Dort begegnete ihm jedoch bloß ein selbstgefälliges Grinsen.
Er würde ihn sicherlich nicht gehen lassen, ohne zumindest seinen Namen zu wissen. Also würde er ihn sagen und dann so schnell wie möglich verschwinden.
„Caleb.“ Der Vorname musste reichen, schließlich hatte dieser Asterios sich auch nicht weiter vorgestellt. Das war übrigens ein wirklich seltsamer Name.
„Ein schöner Name, Caleb.“ Asterios schenkte ihm ein strahlendes Lächeln.
„Mhm“, brummte der nur. „Fein. Schön, dich kennengelernt zu haben, aber ich muss jetzt los.“
Caleb wollte sich an ihm vorbeischieben, wurde jedoch ein weiteres Mal gegen die Mauer gepresst.
„Nicht so schnell“, zischte Asterios in sein Ohr.
„Was willst du denn noch von mir?“, wollte Caleb wissen. In seinem Inneren rumorte es. Er war es nicht gewohnt, jemandem so wehrlos ausgeliefert zu sein. Doch dieser Asterios schien ungewöhnlich stark, er hielt ihn mühelos an Ort und Stelle und das beunruhigte Caleb.
„Wie bereits erwähnt, benötige ich deine Jungfräulichkeit. Momentan bist du leider der einzige Kandidat.“
Caleb spürte, wie ihm bei diesen Worten das Blut aus dem Gesicht wich. Also war das letztens kein blöder Anmachspruch gewesen? Er wäre am liebsten einige Schritte zurückgewichen, doch die Mauer in seinem Rücken hielt ihn davon ab. Seine Fersen schrammten lediglich einige Male nutzlos über das Gestein.
„Wie kommst du denn bitte darauf?“, wollte er zischend wissen, um seine vorherige Reaktion zu überspielen.
Asterios grinste gemein. „Ich kann es riechen. Also spiel mir nichts vor und streite es nicht ab, dein Körper spricht da eine sehr deutliche Sprache.“ Er streckte eine Hand aus und berührte Caleb kurz am Arm. Der zuckte zurück, als hätte er sich verbrannt. Was war nur los mit ihm? Warum ließ er den Arsch nicht einfach links liegen und ging? Der schien sich doch ganz offensichtlich nach wie vor über ihn lustig zu machen. Oder er hatte total einen an der Waffel!
Doch es war ihm nicht möglich, sich aus dem Griff zu befreien. Als würde er gegen eiserne Fesseln kämpfen.
„So ein Schwachsinn. Als ob man so etwas riechen könnte!“ Wütend funkelte er Asterios an. Der wollte ihn doch bloß verunsichern. Was für ein Arsch! Was sollte das hier werden? Filmte das irgendjemand?
Calebs Blick huschte an Asterios vorbei, doch er sah hinter ihm bloß die mehrfarbige Blausteinmauer und zu beiden Seiten die Kalksteinbögen. Hier war sonst niemand.
„Wir Dämonen schon.“ Asterios änderte die Position seiner linken Hand an der Mauer und beugte sich ein Stück zu Caleb vor, senkte den Kopf und kam seinem Hals verräterisch nahe.
Calebs Atmung beschleunigte sich ungewollt, genauso wie sein Herzschlag. Das Ganze wurde ihm langsam echt unheimlich. Der Möchtegerndämon zog übertrieben laut die Luft ein. Als er ausatmete, traf sein Atem auf Calebs Hals, kurz unterhalb seines Ohrs. Sein Körper erbebte.
Verdammt! Was war nur los mit ihm? Er spürte ein Zittern in seinen Gliedern. Er wollte nicht so reagieren, doch er konnte nichts dagegen tun. Gar nichts. Und er konnte sich nach wie vor nicht befreien.
Sein Magen zog sich unangenehm zusammen.
„Ich kann das Verlangen aller riechen“, flüsterte Asterios ihm ins Ohr und richtete sich danach wieder auf. „Ebenso wie ihre Sünden. Sex verändert einen, und du riechst eindeutig noch sehr … unschuldig.“ Er grinste und Caleb wusste nicht, was er darauf erwidern sollte.
Eines war klar: Der Mistkerl machte sich entweder auf höchst perfide Weise über ihn lustig oder er hatte sie echt nicht mehr alle.
„Jetzt reicht es aber. Lass mich sofort los!“, wurde Caleb laut, um so auf sich aufmerksam zu machen. Er wehrte sich heftig, doch Asterios blieb unnachgiebig wie eine steinerne Statue.
„Was zum Teufel …“, setzte Caleb an, konnte den Satz jedoch nicht beenden, weil sich eine Hand über seinen Mund legte.
„Nicht ganz. Aber wenn du mir nicht glaubst, beweise ich es dir eben. Sieh genau hin.“
Caleb runzelte genervt die Stirn und griff nach der Hand über seinem Mund, doch als sich die schwarzen Augen vor ihm plötzlich rot verfärbten, wären ihm beinahe die Augen aus dem Kopf gefallen.
Er riss an der Hand, die seinen Mund verschloss, doch die bewegte sich kein Stück.
„Ich nehme sie erst weg, wenn du mir versprichst, leise zu bleiben.“ Das Rot wurde intensiver und Caleb wusste einfach nicht, was er von all dem hier halten sollte. Er war für einen Moment wie erstarrt, was Asterios offenbar als Zustimmung auffasste, denn die Hand von seinem Mund verschwand.
Auch der Griff, mit dem er Caleb gegen die Steinmauer presste, lockerte sich etwas.
Caleb atmete erleichtert auf, als Asterios zusätzlich auch noch einen Schritt von ihm wegmachte. Doch sein Atem stockte bereits im nächsten Moment wieder, als dem Kerl ein … Schwanz wuchs! Ähnlich einer Schlange schoss er in die Höhe, ein Stück in Calebs Richtung, der sich nun ängstlich an die Steinmauer in seinem Rücken drückte.
Das kann nicht sein. Das kann nicht sein. Was geht denn hier gerade bitteschön ab?!
Argwöhnisch beobachtete er das seltsame Ding. Die pfeilförmige Spitze am Ende war golden und es wirkte nicht so, als würde sich dahinter ein Trick oder Ähnliches verstecken.
Aber es konnte auch unmöglich echt sein. Und wieso sagte der Kerl nichts dazu? Caleb verstand überhaupt nichts mehr. Sein Blick huschte von rechts nach links und er überlegte gerade, wie er am besten entkommen könnte, als er an einem weiteren seltsamen Detail hängen blieb.
Gedrehte Hörner schoben sich in eben diesem Moment durch das lockige schwarze Haar. Sie waren wie der Schwanz von schwarzer Farbe und mit goldenen Elementen verziert. Allerdings sah es so aus, als blätterte die goldene Farbe ab, sodass das Schwarz darunter zum Vorschein kam.
„Wer … oder besser … was bist du?“, stieß Caleb mühsam hervor, dem das alles hier zu viel wurde. Mit jedem flachen Atemzug fiel es ihm schwerer, genug Luft in seine Lunge zu pumpen. Wenn das so weiterging, würde er umkippen. Oder hyperventilieren und danach umkippen.
„Ist das denn nicht offensichtlich? Ich bin ein Dämon und ich brauche etwas von dir“, verkündete das Monster vor ihm mit unheilvoller Stimme, ehe es seinen Schwanz gleichzeitig mit seinen Hörnern wieder verschwinden ließ und seine Augen die unauffällig schwarze Farbe zurückerlangten.
Calebs Hirn kämpfte noch mit der Tatsache, dass diese seltsamen Erscheinungen mit einem Mal wieder verschwunden waren, sodass es ein wenig brauchte, bis das Gesagte zu ihm durchdrang.
„D-du bist also ein D-dämon?“, brachte er schließlich stotternd heraus.
„Richtig, oder zumindest zur Hälfte.“
Caleb sah ihn verständnislos an. Aber ohne diese seltsamen Auswüchse direkt vor sich, fiel es ihm wenigstens allmählich wieder leichter, zu atmen.
„Ich bin ein Mischwesen. Zur Hälfte Dämon und zur Hälfte Mensch. Ich gehöre nirgends richtig hin und fühle mich in keiner Welt wirklich zu Hause. In der Welt der Dämonen halte ich es nicht lange aus, aber auch unter den Menschen fühle ich mich ständig wie ein Fremdkörper. Ich will diesen Zustand ändern“, offenbarte er ihm. Caleb kam trotzdem nicht mehr mit.
„Ein Halbdämon?“, wiederholte er also erst einmal das Gesagte. Und dann? „Du willst also ein richtiger Mensch werden?“
Asterios zögerte kurz. „So könnte man es sagen. Und zu diesem Zwecke brauche ich dich. Wenn ich nicht an Halloween ein besonderes Ritual durchführe, wird mein dämonisches Wesen mich früher oder später zerstören.“
Caleb nickte, als würde er verstehen, worum es ging. Dann schüttelte er den Kopf.
Dämon? Halbdämon? Ritual? Der Kerl hatte echt einen an der Waffel, oder?
Er straffte die Schultern. „Und wenn schon. Such dir doch einfach jemand anderes. Ich habe jedenfalls kein Interesse daran, einem Dämon zu helfen.“
Caleb tauchte unter dem Arm durch und wäre als Nächstes wohl mit energischen Schritten davongeeilt, wenn Asterios ihn nicht hinten am Kragen seiner Jacke gepackt hätte, wodurch er seine Flucht erneut abbrechen musste.
„Es tut mir leid, aber ich habe gerade niemanden außer dir zur Hand, der alle notwendigen Kriterien erfüllt, also wirst du es tun müssen.“ Asterios hatte ihm diese Worte mit verführerischer Stimme ins Ohr geflüstert.
Caleb erstarrte.
Asterios ließ seine Jacke los, doch er schaffte es irgendwie nicht, sich zu bewegen. Eine Hand wanderte ganz langsam rechts an seinem Nacken entlang. Schließlich legte Asterios seinen Arm um Calebs Schultern und trat von hinten neben ihn. Kumpelhaft zog er ihn mit sich.
„Weißt du, du kennst jetzt mein Geheimnis. Allerdings wird dir wohl kaum jemand glauben, wenn du herumrennst und etwas von Dämonen erzählst. Mir hingegen wird jeder abnehmen, dass du allen bloß etwas vorgemacht hast und in Wahrheit noch Jungfrau bist. Und das mit den Männern könnte ich nebenbei auch ganz aus Versehen fallen lassen.“ Caleb verspannte sich. Der Kerl wollte ihn erpressen? Damit er bei seiner kranken Geistesstörung mitspielte? War das ein übler Scherz?
„Es ist wirklich alles halb so wild. Ich brauche dich lediglich für das Ritual. Dir wird dabei nichts passieren. Deine Anwesenheit reicht so ziemlich aus. Danach kannst du dein Leben unbekümmert fortsetzen.“
Caleb schwieg. Was hätte er dazu auch sagen sollen? Asterios zog ihn weiter mit sich und er stolperte halb betäubt neben ihm her.
„Außerdem sollte dir klar sein, dass ich als Dämon noch ganz andere Möglichkeiten habe, dich dazu zu bringen, das zu tun, was ich will.“ Als Caleb einen Blick zur Seite warf, sah er, wie Asterios grinste. Wobei das dieses Mal eher wie ein bedrohliches Zähneblecken wirkte. Caleb schluckte schwer, als ihm auffiel, dass Asterios’ Eckzähne ein ganzes Stück länger und schärfer waren, als es für Menschen üblich sein dürfte.
Asterios blieb mit ihm stehen und ließ ihn los. Mitten auf der Steinplatte, auf der groß das Wort „YES!“ stand, das in den Gehweg am Eingang zur Hargadon Hall des Whitman Colleges eingraviert war.
Asterios deutete nach unten. „Dir bleibt eigentlich keine Wahl. Überlege dir also ganz genau, wie du auf meine Bitte antwortest, wenn ich dich das nächste Mal frage. Übrigens hast du lediglich einen Wert, solange du noch unberührt bist. Andernfalls hat dein Leben keinerlei Bedeutung mehr für mich.“
Und mit diesen letzten Worten, der unterschwelligen Drohung und dem entsprechenden Blick ließ er ihn stehen und verschwand mit einem Wink über die Schulter in dem leichten Nieselregen, der soeben einsetzte.
Kapitel 3
Caleb
Caleb hatte einen grauenvollen Tag hinter sich. Er hatte sich auf rein gar nichts konzentrieren können. Und jetzt lag er auf seinem Bett und starrte an die Decke.
Das durfte doch alles nicht wahr sein. Der Kerl würde ihn nicht so einfach wieder in Ruhe lassen. Was bedeutete, dass er sich notgedrungen mit dem Erlebten auseinandersetzen musste.
Dass er ein Dämon war, konnte ja nun wirklich nicht der Wahrheit entsprechen. Es gab sicher eine logische Erklärung für all das.
Schön und gut, wenn er ihn einige Zeit beobachtet hatte und seine Reaktion auf dieses aufreizende Outfit – was er hundertprozentig mit voller Absicht genau deswegen gewählt hatte – richtig interpretierte, kam man ziemlich schnell dahinter, dass er womöglich auf Männer stand. Er selbst hatte bisher nicht gewagt, diese Vermutung zu überprüfen. Es hatte sich auch nie eine Gelegenheit geboten. Deswegen war er eben noch Jungfrau – wobei ihm dieses Wort total zuwider war. Die Studierenden von Princeton waren eher konservativ-traditionell. Da passte es irgendwie nicht rein, wenn man auf Männer stand oder das erst noch herausfinden wollte. Deswegen ließ er lieber den Playboy raushängen und gab den Unnahbaren.
Wenn man etwas genauer hinsah, konnte man sein Spiel durchschauen. Das musste also ganz und gar nichts mit irgendwelchen dämonischen Fähigkeiten zu tun haben. Asterios hätte das mit seiner Unschuld genauso gut einfach erraten können.
So weit, so gut. Leider fehlte ihm eine logische Erklärung dafür, wie es ihm möglich gewesen sein sollte, den Schwanz und die Hörner erscheinen und wieder verschwinden zu lassen, und das direkt vor seinen Augen. Ein Zaubertrick? Aber der Schwanz hatte sich bewegt und alles täuschend echt ausgesehen.
„Argh!“ Das war doch alles zum Verrücktwerden! Caleb warf sich auf die Seite und wusste nicht, was er verdammt noch mal tun sollte. Er würde ihn links liegen lassen, wenn das Aussicht auf Erfolg hätte. Doch Caleb wusste auch, ohne es ausprobiert zu haben, dass das nichts bringen würde.
Es war vollkommen absurd, auch nur eine Sekunde darüber nachzudenken, sich auf diese Erpressung einzulassen. Nein, er würde schön die Finger davon lassen. Caleb wollte sein Studium so schnell und sauber wie möglich hinter sich bringen und danach schauen, wie es in einer sicheren Umgebung mit ihm weiterging. Er konnte keinerlei Ablenkung gebrauchen.
Dennoch konnte er nicht aufhören, über den vergangenen Tag nachzudenken. Die halbe Nacht wälzte er sich schlaflos umher und fand einfach keine Ruhe. Irgendwann stand Caleb auf und versuchte, sich mit einigen Situps und Liegestützen abzulenken, seinen Körper müde zu machen. Doch kaum lag er wieder im Bett, tauchte abermals das Bild dieses Dämons, dieses Asterios’, in der Dunkelheit auf. Das strahlende Weiß seiner Zähne, wenn er lächelte. Die rotglühenden Augen und die faszinierenden Hörner. Wie gern hätte Caleb sie angefasst, um herauszufinden, wie sie sich anfühlten. Was ihm gleichzeitig auch die Gelegenheit geboten hätte, zu überprüfen, ob das alles wirklich echt war.
Und da waren sie schon wieder. Diese Gedanken.
Knurrend warf er sich auf die andere Seite. Wenn es etwas gebracht hätte, hätte er sich zusätzlich die Decke über den Kopf gezogen, aber dadurch würde er sich auch nicht vor dem Erlebten verstecken können.
Wieso passierte ihm das ausgerechnet jetzt? Bisher war sein Studentenleben doch relativ ruhig verlaufen. So wie geplant. Die Uni erschien ihm wie der unpassendste Ort überhaupt, um „einen Freund“ zu finden. Nicht in dieser Umgebung. Wenn das schiefging, würden alle über ihn reden und der Rest seines Studiums wäre die Hölle. Das wollte er nicht riskieren. Außerdem war ihm bisher auch noch nicht dieser eine Kerl über den Weg gelaufen.
Freundschaften hatte er nur wenige geschlossen, aber in männlicher Gesellschaft würde er sich ohnehin nur die ganze Zeit fragen, ob das, was er empfand, Freundschaft war oder womöglich mehr sein könnte. Das hatte er hinter sich, dieses Gefühlschaos konnte er nicht gebrauchen.
Also war er näheren Bekanntschaften bisher lieber aus dem Weg gegangen. Er war ohnehin schon immer mehr der Einzelgänger gewesen. Nur in seinem Footballteam hatte er sich wirklich dazugehörig gefühlt. Aber das war vorbei.
Caleb vergrub den Kopf in seinem Kissen. Warum mussten diese nervigen Gedanken und Erinnerungen jetzt wieder hochkommen? Er hatte sie so gut vergraben, weil sie ihn sowieso nur quälten.
Es hatte mit einer leichten Beklemmung in der Umkleide begonnen, nach und nach hatte er sich immer mehr in sich selbst zurückgezogen. Es hatte ihn belastet, sich einfach nicht entscheiden zu können, ob er nun etwas für Männer empfand oder doch auf Frauen stand.
Probehalber aus einem Impuls heraus Greg zu küssen war definitiv nicht die richtige Entscheidung gewesen. Caleb konnte nicht einmal sagen, ob es ihm gefallen oder sich richtig angefühlt hatte. In dem Moment war es einfach nur peinlich gewesen und er war dankbar, dass sie nie wieder ein Wort darüber verloren hatten.
Aber für ihn hatte trotzdem alles weiter in dieser ungewissen Schwebe gehangen, dazu hatte er sich im Team mehr und mehr unwohl und allein gefühlt. Sicher, er selbst hatte sich immer weiter von den anderen zurückgezogen, aber Caleb hatte nichts dagegen tun können. Und das war mit den Jahren immer schlimmer geworden. Deswegen war es ihm gar nicht so ungelegen gekommen, dass er kein Sportstipendium erhalten hatte. Natürlich hatte seine Leistung in der Zeit unter seiner Psyche gelitten.
Caleb drehte sich auf den Rücken, atmete langgezogen aus und starrte in der Dunkelheit an seine Zimmerdecke. Warum musste er das jetzt wieder durchkauen? Es war doch alles gut. Er hatte einen Platz an der Princeton University bekommen, von dem so viele nur träumen konnten. Er fühlte sich auf dem Campus wohl, brauchte sich keine Gedanken wegen des Geldes zu machen, weil die Uni einen Teil der Studiengebühren übernahm, besaß sein eigenes kleines Reich und kam sowohl mit seinen Kommilitonen als auch den Professoren gut klar. Auch wenn er keine engen Freunde hatte.
Die Studentinnen versuchten ständig, irgendwie an ihn heranzukommen, doch er verspürte nicht die geringste Lust, diese Bekanntschaften zu vertiefen. Und bei den Studenten hatte er einfach kein gutes Gefühl, wenn er zu viel Nähe zuließ. Er wollte keine Komplikationen und keine Gerüchte oder Getuschel hinter seinem Rücken. Er hatte sich immer wohler gefühlt, wenn er für sich war.
Bis auf heute.
Caleb schloss die Augen und versuchte, tief durchzuatmen, um sich zu beruhigen. Doch damit erreichte er nur, dass er die Nähe zu Asterios noch einmal zu spüren glaubte. Sein Atem auf seiner Haut. Noch nie war ihm jemand so nahe gekommen, nicht auf diese Art zumindest. Nicht mit dieser … Absicht.
Seine Reaktion darauf, die offene Verlegenheit, ärgerte ihn, da dieser „Dämon“ ihn entweder nur getestet oder sich einen Scherz mit ihm erlaubt hatte. Es hatte ihm sichtlich Spaß gemacht, ihn derart in Verlegenheit zu bringen. Wenn der Kerl eine Frau gewesen wäre, hätte Caleb sich mit Sicherheit auch so merkwürdig gefühlt.
Es fehlte dieses beklemmende Gefühl und der Wunsch, sich in sich selbst zurückzuziehen oder der Situation einfach zu entfliehen. Ja, er wäre am liebsten weggelaufen, aber wenn er ehrlich war, dann nur aus dem Grund, weil ihm das Ganze so unglaublich peinlich gewesen war.
Caleb drehte sich zur Wand. Sogar jetzt, während er ganz allein in seinem Zimmer war, könnte er vor Scham im Boden versinken. Seine Wangen wurden heiß. Er sollte sich wirklich besser von diesem Typen fernhalten, egal ob Dämon oder nicht.
Aber da waren immer noch diese Erpressung und seine Worte, die sich wie Nadelstiche in seinen Körper gebohrt hatten.
Caleb öffnete die Augen.
Unbestreitbar hatte er ihm ein hartes Ultimatum gesetzt. Eines, aus dem er derzeit noch keinen Ausweg wusste. Er wollte da definitiv nicht mit reingezogen werden, aber blieb ihm eine Wahl?
Egal ob echter Dämon oder nicht?
Sein gemütliches, ruhiges Leben war definitiv vorbei. So viel stand schon mal fest.
***
Caleb konnte am nächsten Morgen von Glück reden, dass Wochenende war. Er musste zwar für die Zwischenprüfungen lernen, aber konnte sich durchaus die ein oder andere Pause gönnen. Vor allem, weil er sich momentan ohnehin auf nichts hätte konzentrieren können. Es würde ihm also guttun, sich mit seiner Kamera draußen kurz die Beine zu vertreten.
Heute Morgen hatte er sich nur mühsam aus dem Bett gequält. Sein Kopf dröhnte und er fühlte sich vollkommen gerädert. Den Weg zum Waschraum hatte er schwankend hinter sich gebracht und dabei den ein oder anderen skeptischen Blick geerntet. Nach der Dusche konnte er zum Glück wieder halbwegs geradeaus gehen. Zwar verspürte er keinen Hunger, dennoch war er zum Frühstück gegangen, und nachdem er ein bisschen was im Magen hatte, fühlte er sich tatsächlich fitter.
Entschlossen schnappte sich Caleb seine Kamera und machte sich auf den Weg nach draußen. Es war ein überraschend schöner Oktobertag. Der Nieselregen vom Vortag hatte sich verzogen und einigen Sonnenstrahlen Platz gemacht. Mit neuem Tatendrang machte Caleb sich auf die Suche nach schönen Motiven.
Fotografieren war schon immer eine seiner Leidenschaften gewesen, sodass er hier an Princeton den Bachelor of Arts anstrebte. Ihm lag es allerdings nicht, sich selbst in den Vordergrund zu stellen. Er würde nie ein berühmter Influencer oder Youtuber werden. Einige seiner Mitstudenten waren gerade fleißig dabei, sich im Internet einen Namen zu machen. Er ließ stattdessen lieber seine Bilder für sich sprechen.
Caleb fotografierte ohnehin am liebsten Landschaften, machte Nahaufnahmen oder suchte sich Tiere als Motiv. Das Spiel mit dem Licht, unterschiedliche Kompositionen. Es gab so viele Möglichkeiten. Zurzeit hatte er die Schwarz-Weiß-Fotografie für sich entdeckt, die sie im Studium behandelten. Dafür nutzte er häufig die Gebäude des Campus als Motiv.
Er fand eine schöne Stelle, an der die Sonne hinter einer efeubewachsenen Mauer hervorblinzelte. Das würde er vielleicht sogar in Farbe entwickeln. Caleb stellte die Schärfe auf eines der vorderen Blätter ein und betätigte den Auslöser. Dann änderte er leicht den Winkel und schoss ein weiteres Foto. Prüfend ließ er die Kamera sinken und bewegte sich etwas hin und her, um zu testen, ob eine andere Position eine noch bessere Komposition erzeugte.
Gebäude lagen ihm normalerweise nicht, aber die Princeton University bot so unglaublich schöne, alte wie neue, die nicht im Geringsten mit normalen Bauten vergleichbar waren.
Von der Bauweise und der Gestaltung hätte man annehmen können, dass das Wohnheim, wie manch anderes Gebäude hier auf dem Campus, schon gute zweihundert Jahre alt war. Das entsprach allerdings nicht der Wahrheit. Ganz im Gegenteil war es sogar ein ziemlich neuer Gebäudekomplex. Er unterschied sich mit seinem Steinmauerwerk, den Schieferdächern und den Kupfer- sowie Holzdetails äußerlich jedoch kaum von den zeitgenössischen Bauwerken.
„Ich hätte nie gedacht, dass du dich fürs Fotografieren begeisterst.“ Vor Schreck wäre ihm die Kamera beinahe aus der Hand gefallen, was er sich absolut nicht erlauben konnte. Geld für eine neue war gerade nicht drin.
So ein Mist, dabei hatte er es endlich geschafft, die Gedanken an den Dämon für ein paar Minuten zu verdrängen. Und als hätte der es geahnt, tauchte er leibhaftig neben ihm auf. Was für ein Ärgernis.
Caleb bemühte sich darum, sich nichts anmerken zu lassen. Er zoomte raus und fasste die Efeuwand noch einmal als Ganzes für eine Schwarz-Weiß-Version ins Auge.
„Kannst du mich nicht einfach in Ruhe lassen?“, knurrte er und blickte konzentriert durch seine Linse.
„Nein. Vielleicht hatte ich ja Sehnsucht nach dir.“
Calebs Finger zitterte kurz, ehe er den Auslöser betätigte und die Kamera sinken ließ. Er hatte es geschafft, Asterios bisher kein einziges Mal anzusehen. Auch wenn der Drang, genau das zu tun, immer stärker wurde. In welcher Gestalt Asterios wohl gerade wenige Meter neben ihm stand?
„Lass diese dummen Scherze.“ Caleb musste sich selbst ermahnen, diesen Witz nicht für voll zu nehmen. Es reichte schon, dass er sich insgeheim freute, ihn jetzt wiederzusehen.
„Du brauchst mich doch nur für dieses Ritual. Wahrscheinlich wolltest du nur sichergehen, dass ich nicht über Nacht verschwunden bin.“
Er hob die Kamera wieder ans Auge und schoss ein schnelles Foto von Asterios’ Gesicht, wie er grinsend vor ihm stand. Jetzt hatte er etwas, was er immer ansehen konnte, zumindest wenn er darauf abgebildet war. Dämonen konnte man im Gegensatz zu Vampiren doch fotografieren, oder nicht?
„Das ist eine ziemlich alte Kamera, oder?“, fragte Asterios, ohne auf Calebs vorherige Worte einzugehen.
„Ja, geht so. Sie ist nicht digital, falls du das meinst. Ich mag das analoge Fotografieren irgendwie. Und wir lernen hier, die Fotos selbst zu entwickeln. Wir haben sogar ein eigenes Fotolabor. Wenn ich zu viele Dinge im Kopf habe, schnappe ich mir meine Kamera, dann konzentriere ich mich nur noch auf das Motiv und alle anderen Gedanken sind weg.“
„Tja, schön, wenn man so etwas hat.“ Asterios steckte die Hände in die Taschen seiner Jeans. Heute war er etwas normaler gekleidet, aber er würde immer noch unter Hunderten als der eine hervorstechen. Was nicht an seiner Kleidung oder seiner ungewöhnlich schwarzen Hautfarbe lag. Er hatte einfach diese gewisse Ausstrahlung, mit der er die Aufmerksamkeit anderer magisch auf sich zog. Und so war es nicht verwunderlich, dass Caleb ihm wie selbstverständlich folgte, als Asterios ohne ein weiteres Wort davonschlenderte. Er ging bis zu einer Bank und ließ sich darauf nieder. Nach kurzem Zögern setzte Caleb sich neben ihn. Sie schwiegen eine Weile. Er traute sich nicht, den „Dämon“ neben sich anzusehen, obwohl er ihn gern mal in Ruhe näher in Augenschein genommen hätte. Er verzichtete nicht darauf, weil das unhöflich wäre. Es war vielmehr so, dass Asterios sein übergroßes Interesse an ihm nicht bemerken sollte. Er hatte ohnehin schon genug unsinnige Vorstellungen im Kopf.
Also beobachtete er die anderen Studenten, wie sie die Wege entlangliefen, in Gruppen zusammenstanden oder auf den anderen Bänken saßen.
„Und? Hast du es dir überlegt?“, durchbrach Asterios schließlich die Stille, die sich um sie herum ausgebreitet hatte. Calebs Herz machte daraufhin einen erschrockenen Satz. Doch er beruhigte sich schnell wieder und erinnerte sich daran, zu welchem Entschluss er gekommen war. Vorerst mitspielen und versuchen, ihn entweder einliefern zu lassen oder halbwegs zufriedenzustellen, damit er ihn in Ruhe ließ. Da es ja keine echten Dämonen gab, sollte ihm nichts passieren, oder?
„Du brauchst mich nur für das Ritual, ja?“, versicherte er sich noch einmal.
„Für dessen Ausführung, um genau zu sein. Ich brauche deine Hilfe, um es durchführen zu können.“
„Okay“, antwortete Caleb gedehnt, der mit der Antwort nicht sonderlich viel anfangen konnte. „Und mir passiert dabei nichts, hast du gesagt? Ich werde nicht irgendwie geopfert, aufgeschnitten, von jemandem gegessen oder …?“ Er drehte sich zur Seite, als Asterios neben ihm haltlos zu lachen anfing.
„Woher hast du denn die ganzen Gruselszenarien?“, brachte er zwischen zwei Lachern hervor.
„Keine Ahnung, Horrorfilme?“ Caleb hob eine Schulter und merkte, wie ansteckend seine gute Laune war. Wenn er Asterios so betrachtete, dann wirkte er wie ein ganz normaler Student, ein Mensch. Ein fröhlicher, offener, vielleicht etwas freizügiger und aufdringlicher, aber dennoch ganz normaler Mensch. Nie und nimmer würde man jemanden mit Wahnvorstellungen oder einen Dämon hinter dem hübschen Gesicht mit den vollen Lippen und der markanten Kinnlinie vermuten.
„Also nein. Das ist ja kein Ritual, um den Teufel oder sonst wen zu rufen. Es soll lediglich dazu dienen, mich zu einem Ganzen zu machen. Okay, das klang jetzt seltsamer, als es das sollte.“ Und erneut grinste er. Caleb hingegen wurde wieder ernst. Er durfte diese Sache unter keinen Umständen unterschätzen, wenn er es am Ende nicht bereuen wollte, sich darauf eingelassen zu haben.
Aber wie sahen schon die Alternativen aus? Er könnte sich weigern, doch bestimmt nicht verstecken. Asterios würde ihn finden und dann würde er ihn zwingen. Daran bestand für Caleb nicht der geringste Zweifel. Er hatte seine Stärke ja bereits kennengelernt, egal ob dämonischer oder menschlicher Natur.
Er konnte schlecht sein Studium hinschmeißen, um quer durchs Land vor ihm zu flüchten. Also war es besser, mitzuspielen und dafür zu sorgen, dass er aus der Nummer am Ende möglichst unbeschadet herauskam. Er musste es ausnutzen, solange er noch ein bisschen Mitspracherecht hatte, und gut verhandeln. Womöglich könnte er diesen Dämonenquatsch auch gegen ihn verwenden.
„Gibt es bei euch Dämonen irgendein Ritual oder so etwas, wodurch ein Versprechen oder Pakt bindend wird? Damit ich mir absolut sicher sein kann, dass du nichts weitererzählst, wenn ich bei diesem komischen Ritual mitmache, und mir nichts passiert? Ich will ein bindendes Wort, dass ich nicht geopfert, getötet, ausgeblutet oder verstümmelt werde. Auch sonstige Verletzungen verbitte ich mir.“
„Keine Sorge, es ist nicht viel mehr als deine Anwesenheit nötig, eventuell etwas von deinem jungfräulichen Blut, aber die Wunde dafür muss nicht groß sein und von Ausbluten ist keine Rede. Du wirst am nächsten Tag lebendig und bei guter Gesundheit dein Leben als Student unbehelligt fortsetzen können.“ Asterios lehnte sich siegessicher zurück.
„Und kann ich das auch schriftlich oder so bekommen?“ Auf sein Wort würde er sich nicht verlassen. Er bestand auf so etwas wie einen Vertrag. Zumindest die Sicherheit, dass ihm wirklich nichts zustoßen würde, wenn er sich hierauf einließ, brauchte er.
„Meine Dämonenart nutzt für so etwas häufig einen Kuss, der den Pakt besiegelt, aber …“
„Alternativen?“, fragte Caleb frostig, noch ehe Asterios den Satz zu Ende geführt hatte. Nahm der Kerl ihn etwa schon wieder auf den Arm? Er hatte wirklich nicht vor, den Typen zu küssen. Auch wenn ein klitzekleiner Teil von ihm es durchaus gern versucht hätte.
„Mit einem magischen Siegel würde es auch gehen. Das ist ein sichtbares Zeichen, welches ich auf deinem Körper hinterlasse. Es bleibt so lange dort, bis der Pakt erfüllt ist.“
„Das klingt doch schon mal besser“, meinte Caleb mit möglichst nüchterner Stimme.
„Na ja, der Kuss hätte einen ähnlichen Effekt. Aber den können wir uns natürlich auch für einen späteren Zeitpunkt aufsparen.“ Asterios grinste verschmitzt und Caleb musste sich anstrengen, seine teilnahmslose Miene beizubehalten. Trotzdem schoss sein Blick kurz über das Gelände. Ein paar Studenten unterhielten sich in ihrer Nähe, doch Asterios schien das nicht zu stören.
„Also, wie läuft das ab?“ Caleb wollte es so schnell wie möglich hinter sich bringen.
„Du reichst mir deine Hände, wir überkreuzen sie, ich nenne die Bedingungen des Paktes und danach erscheint das Zeichen auf deiner Haut. Eigentlich ganz einfach.“
„Und das können wir einfach so hier machen?“ Wenn er ein echter Dämon wäre, würde er doch dafür sorgen, dass sie niemand sah, oder?
„Da keiner von uns in Flammen aufgehen oder in gleißend helles Licht getaucht wird, ist das kein Problem.“ Asterios grinste, als wollte er noch etwas sagen, und Caleb war sich ziemlich sicher, dass das wieder etwas mit dem Kuss zu tun haben würde.
Daher streckte er einfach nur die Hände aus, um das Ganze schnell hinter sich zu bringen. Der ein oder andere sah nämlich schon zu ihnen herüber.
Caleb würde später definitiv noch ein Schreiben aufsetzen und ihn unterzeichnen lassen. Bei dem hier würde ja nicht viel herauskommen.
Asterios überkreuzte Calebs Hände, tat dasselbe mit seinen und ergriff danach dessen Finger. Er schloss die Augen und Caleb machte es ihm unbewusst nach.
„Im Tausch gegen Calebs Jungfräulichkeit schwöre ich, dass ihm bis zur Nacht nach Halloween durch mich keine Gefahr droht. Reicht das so oder möchtest du es näher ausgeführt haben?“, fragte Asterios und als Caleb die Lider hob, begegnete er einem Paar rotglühender dämonischer Augen.
„Könntest du noch ergänzen, dass ich nicht verletzt werde? Auch durch niemanden sonst? Und dass du nichts herumerzählst?“
Asterios schloss abermals seine Augen. „Im Tausch gegen Calebs Jungfräulichkeit, die er bis nach Halloween zu bewahren hat, schwöre ich, dass ihm weder durch mich noch durch andere oder das Ritual Gefahr für Leib oder Leben droht. Auch seine Geheimnisse werde ich bewahren.“ Asterios öffnete ein Auge und sah ihn spitzbübisch an, ehe er es wieder schloss. „Der Pakt gilt bis nach Halloween. So besser?“ Er musterte ihn.
Caleb war nicht entgangen, dass er nebenbei auch seine Vereinbarung ein wenig genauer definiert hatte. Aber das war ihm egal. Er hatte ohnehin nicht vor, seine Unschuld so bald über Bord zu werfen. Obwohl das durchaus eine Möglichkeit gewesen wäre, dem hier zu entkommen. Aber dafür war er nicht der Typ. Sonst hätte er das schon längst hinter sich gebracht. An Chancen und Gelegenheiten hatte es ihm bisher schließlich nicht gemangelt.
Asterios hatte ziemlich deutlich gemacht, was mit ihm passierte, wenn er sich selbst „nutzlos“ für ihn machte. Und wenn der Kerl echt an Wahnvorstellungen litt, wollte er nicht darüber nachdenken, was dann womöglich auf ihn zukam. Deswegen spielte er lieber mit. Bisher war ihm ja noch nichts Schlimmes passiert.
„Sehr gut. Dann brauche ich jetzt deinen Unterarm.“ Asterios ließ ihn los und streckte ihm auffordernd eine Hand entgegen. Caleb überließ ihm bereitwillig seinen linken Arm.
„Ich muss an die Haut kommen“, ergänzte Asterios und warf ihm dabei einen seltsamen Blick zu. Seltsam, weil Caleb plötzlich wieder heiß wurde, obwohl es keinen Grund dafür gab. Wieso war es ihm mit einem Mal peinlich, seine Jacke auszuziehen, um den Ärmel seines Pullovers hochzuschieben? Das war doch albern.
Als er ihm dieses Mal den Arm hinhielt, schaute er geflissentlich zu Boden, um einem erneuten Blickkontakt mit den roten Augen zu entgehen.
„Das tut jetzt kurz etwas weh“, warnte Asterios ihn vor, ehe er ihn mit festem Griff am Unterarm packte.
„Aaaahhh!“ Caleb war nicht einmal dazu in der Lage, den lauten Aufschrei zu unterdrücken, derart überrascht war er von der Intensität des Schmerzes. Als hätte ihm jemand ein glühendes Eisen auf die Haut gedrückt.
Zum Glück hielt dieser nur für ein paar Sekunden an, sodass er die Umstehenden schon wieder beruhigend anlächeln konnte, ehe er geschockt zu Asterios herumfuhr.
Hatte der ihm gerade ein Messer in den Arm gerammt? Aber dann würde es immer noch wehtun. Er hatte seine Finger bereits von Calebs Haut gelöst und da war keine Wunde zu sehen. Dafür aber …
„Scheiße, Mann! Warum hat das so wehgetan? Das hat sich angefühlt, als hättest du das Ding in meine Haut gebrannt“, beschwerte sich Caleb leise schimpfend, während er verwirrt die schwarzen Linien auf seinem Unterarm betrachtete.
Wie ging das denn bitteschön? Das sah aus wie ein Tattoo. Die Linien bildeten einen Stern mit acht Spitzen, der zusätzlich mit einigen Punkten, Linien und winzig kleinen Zeichen versehen war, die Caleb weder entschlüsseln noch richtig erkennen konnte. Dafür waren sie zu klein.
Wie war das … möglich? Er fuhr mit den Fingern darüber. Weder spürte er etwas noch war die Haut gerötet. Wegwischen ließ es sich allerdings auch nicht. Hieß das womöglich, er …
„Na ja, das war auch mehr oder weniger der Fall.“ Entschuldigend sah Asterios ihn an.
„Das hättest du vorher echt mal erwähnen können“, murrte Caleb. Das Brennen war vollends verschwunden, jetzt fühlte es sich nur noch so an, als hätte er sich irgendwo gestoßen oder so etwas.
Ihn beschäftigte gerade allerdings weniger sein körperlicher Schmerz als vielmehr die Tatsache, was das bedeutete. Er hatte … Hatte er womöglich gerade einen Pakt mit einem echten Dämon geschlossen? Einem richtigen echten Dämon?
Nein, das konnte nicht sein. Oder?
„Ich hatte den Eindruck, dass dir alles lieber als der Kuss ist“, entgegnete Asterios mit einem Grinsen. „Beim nächsten Mal können wir natürlich auch darauf zurückgreifen.“
Caleb drängte die Erkenntnis, dass es Himmel und Hölle womöglich wirklich gab, in den Hintergrund. Darüber konnte er sich später in seinem Zimmer in Ruhe Gedanken machen, zusammenbrechen oder doch noch weglaufen. Jetzt gerade musste er zunächst mit diesem Dämon fertig werden.
„Ein Pakt mit dem Teufel genügt. Ich hoffe, das Ding sorgt dafür, dass auch du dich an dein Versprechen halten musst, und hat nicht nur mich zur Mitarbeit gezwungen.“ Seine Finger rieben immer noch über die Haut, während er den ein oder anderen neugierigen Blick zu ignorieren versuchte. Sie hätten das doch an irgendeinem abgelegenen Ort machen sollen.
„Absolut, du bist hundertprozentig sicher. Und ich habe keinerlei Interesse daran, dein Geheimnis irgendwo herumzuposaunen. Solange du dich an unsere Vereinbarung hältst“, ergänzte Asterios.
„Ja, ja, hab’s ja verstanden“, knurrte Caleb. „Was passiert eigentlich, wenn wir uns nicht an den Pakt halten?“
Asterios’ Miene wurde sehr ernst. „Versuch lieber nicht, das herauszufinden. Es würde ziemlich schmerzhaft enden.“
Caleb musste bei den bedrohlichen Worten schlucken. Das Jucken seiner Haut lenkte ihn zum Glück von den schaurigen Gedanken ab. Am liebsten hätte er so lange gekratzt, bis das fremdartige Zeichen verschwunden war. Doch er unterdrückte den Drang, zumal so ein magisches Zeichen dadurch sicherlich nicht verschwunden wäre. Wahrscheinlich würde es an irgendeiner anderen Stelle seines Körpers wieder auftauchen.
Nein, das Ding würde er ganz bestimmt erst loswerden, wenn er Halloween und dieses Ritual überstanden hatte. Hätte er vorab eigentlich nach weiteren Details fragen sollen? Jetzt, da zu befürchten war, dass das alles doch echt sein könnte, beschlich ihn eine ungute Vorahnung.
Caleb öffnete soeben den Mund, um nach dem genauen Ablauf dieses Rituals zu fragen, als Asterios ihm zuvorkam.
„Fein, dann müssen wir jetzt nur noch die anderen Zutaten finden.“ Er stand auf und streckte sich genüsslich in die wenigen Sonnenstrahlen, die zu ihnen auf die Erde fielen.
„Andere Zutaten?“, wiederholte Caleb verständnislos. Das klang mehr so, als wollte er einen Kuchen backen.
„Ja, natürlich. Du denkst doch nicht, dass deine Jungfräulichkeit die einzige ist, oder?“
Er verzog bei Asterios’ Worten derart angesäuert das Gesicht, dass der bestimmt froh war, dass der Pakt bereits besiegelt war.
„Na, dann viel Spaß bei der Suche. Wir sehen uns an Halloween“, verabschiedete Caleb sich, für den das Thema so weit erledigt war. Er erhob sich und hängte sich seine Kamera um. Jetzt, da er diesen merkwürdigen Pakt eingegangen war, würde er wenigstens bis dahin seine Ruhe haben.
„Dafür werde ich aber deine Hilfe benötigen.“
„Wieso das denn?“ Er drehte sich zu Asterios um. Das konnte doch jetzt nicht sein Ernst sein! Er hatte seine Einwilligung bereits, das musste reichen! „Davon war nicht die Rede“, knurrte Caleb wütend.
„Du hast eingewilligt, mir bei meinem Ritual zu helfen, und ohne die anderen Zutaten wird das nichts. Also wirst du mir auch dabei helfen.“ Das klang endgültig. Ziemlich endgültig sogar.
Caleb überlegte, ob er das wirklich so gesagt hatte, konnte sich jedoch nicht an die genaue Formulierung erinnern. Das spielte ohnehin keine Rolle. Wie kam er aus der Sache nur wieder raus? Wenn das hier ein echter Dämon war, was ebenfalls seine übermenschlichen Kräfte erklären würde, dann hatte er kaum eine Wahl, oder?
Caleb schluckte. Das war doch alles ein absoluter Albtraum.
„Du bist ein Dämon, du hast sicherlich jede Menge cooler Tricks drauf, wozu brauchst du da einen nichtsnutzigen Menschen wie mich?“, versuchte er erst einmal, sich auf diese Art herauszureden. Wenn er ehrlich war, wusste er wirklich nicht, wie er Asterios eine Hilfe sein sollte. Das war doch bestimmt reine Schikane.
„Du sagst es, ich bin ein Dämon, und genau das macht es so schwierig, an einige der benötigten Zutaten zu gelangen. Dafür braucht es gewisse menschliche … Eigenschaften, die ich in der Form nicht besitze.“
Caleb runzelte die Stirn. Wieso sagte Asterios das so eigenartig, dass ihm unwillkürlich ein Schauer über den Rücken rann? Er traute sich nicht einmal, nachzufragen, weil er Angst vor der Antwort hatte. Also ein Grund mehr, definitiv nicht bei der Besorgung zu helfen. O Mann! Wo war er da nur reingeraten?
„Und ein, zwei Hände mehr sind oftmals auch gar nicht schlecht, ich kann mich schließlich nicht klonen.“
Trotz der recht harmlosen Erläuterung war Caleb sich sicher, dass er sich unter gar keinen Umständen noch weiter in diese Sache hineinziehen lassen wollte. Leider hatte er nicht die geringste Ahnung, wie er das verhindern konnte. Dummerweise hatte er schon in diesen Pakt eingewilligt.
„Du wirst mir helfen“, sagte Asterios mit bedrohlich leiser Stimme. Er neigte den Kopf, sodass er die Augen nach oben auf Caleb richtete, als würde er über den Rand einer Brille sehen. Diese Geste machte auf ihn fast noch mehr Eindruck, als wenn Asterios seine Augen wieder rot gefärbt hätte.
„Ich kann aber nicht“, erwiderte Caleb verzweifelt und leicht eingeschüchtert. „Ich habe Zwischenprüfungen und da bin ich eine komplette Woche total busy. Du kannst mir nicht mein Studium versauen!“
„Hey, komm mal wieder runter. Ich muss ohnehin noch mal weg, was klären wegen der Zutaten. Das mache ich dann einfach nächste Woche, während du deine Prüfungen schreibst. Aber danach …“ Asterios ließ den Satz unvollendet. Caleb schluckte und nickte. Er hatte damit gerechnet, dass Asterios ihn ein weiteres Mal packen und gegen irgendeine Steinmauer pressen würde, um zu bekommen, was er wollte.
„I-in Ordnung“, brachte er gerade so heraus. Es war bestimmt keine gute Idee, sein Glück überzustrapazieren und weiterhin seine Mithilfe zu verweigern. Asterios’ offene Drohung hatte ihm deutlich gezeigt, was er ohnehin schon wusste. Er hatte keine Wahl. Wahrscheinlich konnte er sich glücklich schätzen, wenn er es wenigstens schaffte, seine Prüfungen ungestört hinter sich zu bringen.
„Fein.“ Asterios schlug geschäftsmäßig in die Hände und wirkte voll positivem Tatendrang.
Caleb hingegen hatte das Gefühl, jemand hätte ihm all seine Energie geraubt. Und da war immer noch das Tattoo auf seinem Arm, neben den Hörnern und dem Schwanz ein ziemlich eindeutiges Zeichen dafür, dass der Verrückte gar nicht so verrückt war, sondern die Wahrheit sagte.
Doch das musste warten. Er sollte sich zunächst ausschließlich auf seine Zwischenprüfungen konzentrieren. Alles andere kam danach.
Augen zu und durch. Nach Halloween wäre alles vorbei und er könnte zu seinem alten Leben zurückkehren. Bis dahin waren es nur knapp drei Wochen. Das schaffte er schon.