Prolog
‚Love hurts‘
Calgary, Kanada
Lielle
Von meinem Fenster aus sehe ich nichts als Schwärze. Vage Umrisse von Bäumen und Sträuchern und irgendwo, hinter der Fläche aus Dunkelheit, strahlt die Stadt. Ihre gläsernen Hochhausbauten beleuchten den Elbow River, das Umland und wahrscheinlich auch noch die Rocky Mountains.
Ich hasse Calgary.
Seit wir hier sind, geht alles nur noch bergab. Zumindest für mich.
Ich blicke hinter mich zu dem großen Doppelbett, in dem ich mittlerweile allein schlafe. Vor ein paar Tagen ist mir auf einmal alles zu viel geworden und ich habe getan, was ich am besten kann: Mit der Abrissbirne einreißen, was ich mir vorher mühsam aufgebaut habe.
»Toll gemacht, Lielle«, flüstere ich und weiß, dass ich zurück ins Bett gehen sollte. Stattdessen beschließe ich, etwas zu tun, das mich morgen wahrscheinlich nicht mehr in den Spiegel blicken lässt.
Wenn ich eins hasse, dann ist es, über meinen Schatten springen zu müssen. Und dennoch ist es das einzig Richtige.
Ich sehe an mir runter. Das Spitzen-Negligé könnte etwas viel sein.
Ohne Licht zu machen, steuere ich auf meinen Schrank zu und suche darin nach dem Morgenmantel, der zweifellos irgendwo hängen muss. Zuerst ertasten meine Finger Leder, Lack und noch mehr Spitze. Dann finde ich den Satinmantel und streife ihn über. Der Stoff fühlt sich glatt und kühl auf meiner Haut an. Ich knote den Gürtel zu, auch wenn es kein Körperteil an mir gibt, den Cyph nicht schon gesehen hat. Trotzdem kommt es mir nach den letzten Tagen Funkstille unpassend vor, gleich mit der Tür ins Haus zu fallen.
Mit den Händen ordne ich mein langes Haar, das im Augenblick die Farbe von flüssigem Silber hat, und gehe zur Tür.
Ich werde ihm klarmachen, dass es ein Fehler war, ihn in den Wind zu schießen. Dass ich bereue, was ich gesagt habe.
Das mit uns ist nichts Festes, Cyph. Du verrennst dich da in etwas.
Als wäre Cyph die Art Mann, die sich verrennt.
Im Endeffekt bin ich das Problem. Als ich gespürt habe, dass aus unserer bloßen Bettgeschichte mehr wird, dass ich Gefühle investiere, habe ich einen Rückzieher gemacht. Ich habe Cyph vor den Kopf gestoßen und das so heftig, dass es ihn wortwörtlich meilenweit von mir entfernt hat. Seitdem haben wir beide kein Wort mehr miteinander gewechselt.
Das werde ich heute Nacht ändern.
Ich schleiche durch den Flur des Hauses, das nicht viel kleiner ist als die Villa, die wir Black Bones in Detroit bewohnt haben. Aus Easts und Jess’ Zimmer sind leise Stimmen zu hören, irgendwo läuft eine Spielkonsole. Ich hoffe, dass Cyph allein ist und nicht mit Kyan oder Milo zockt.
Vor seiner Tür bleibe ich stehen und atme durch. Dann klopfe ich und trete ein, ohne darauf zu warten, dass er etwas sagt.
Was ich sehe, ist ernüchternd.
Es ist dunkel, das Bett ist gemacht und Cyph ist nicht da.
»Bingo«, murmle ich und drehe mich ratlos einmal um die eigene Achse.
Da gebe ich mir einmal einen Ruck und dann –
»Suchst du was?«
Ich fahre herum, doch statt Cyph steht sein bester Freund East, der Gründer der Black Bones, vor mir. Ausgerechnet er.
»Jemanden«, gebe ich zurück und versuche, nicht ertappt zu klingen. Auch wenn ich in diesem Zimmer noch vor einigen Tagen wie selbstverständlich ein- und ausgegangen bin, fühlt es sich jetzt seltsam an, hier zu sein.
»Cyph«, stellt East fest und ich nicke.
Wen sonst?
»Tja, der ist immer noch bei dem Job.«
»Immer noch?«, frage ich stirnrunzelnd.
Wir haben den Deal gestern Nacht abgeschlossen. Es war ein einfacher Hack, bei dem Cyph zuerst den Lockvogel gespielt hat. Dann ist er noch ein bisschen geblieben. Zur Sicherheit. Zur Ablenkung. Doch er sollte längst wieder hier sein.
Wieso also ist er noch nicht zurück?
East zuckt mit den Schultern und das sagt mehr als tausend Worte.
Das darf doch nicht wahr sein.
»Die Adresse«, fordere ich.
»Du fährst da jetzt sicher nicht hin.«
Ich lache auf. »Da kennst du mich aber schlecht!«
Cyph
Das Poolwasser ist warm und sorgt nicht gerade dafür, dass ich abkühle. Runterkomme. Im Gegenteil. Es stachelt meine Wut noch mehr an.
Immer wieder höre ich im Kopf denselben Satz.
Du verrennst dich da in etwas.
Als ob.
Ich drücke Maria, die Frau, auf die ich bei meinem Job angesetzt worden bin, gegen den Beckenrand und küsse sie, wie ich es in den letzten Tagen mehrfach getan habe. Trotzdem fühlt sie sich immer noch an wie eine Fremde. Ich blicke in ihre mandelförmigen braunen Augen und versuche, das Gesicht zu verdrängen, das ihre hübschen Züge immer wieder zu überlagern droht. Doch ich sehe nur die vollen Lippen, die nicht Marias sind, das helle, lange Haar und –
Ich muss aufhören, an Lielle zu denken. Das Biest hat mich auf die beschissenste Art abserviert, die man sich vorstellen kann. Sie hat mich als Trottel hingestellt, der seine Gefühle nicht im Griff hat. Der sich in Dinge verrennt. Als hätte sie nicht auch gespürt, dass sie zu mir gehört.
Aber ihre Worte waren klar und deutlich.
Es ist besser, wenn wir das beenden, Cyph. Bevor ich dir dein Herz breche.
Ich schiebe jeden Gedanken an Lielle fort und konzentriere mich voll und ganz auf Marias Kurven. Meine Hände wandern über ihre Hüften, ihren Bauch, hinauf zu ihren Brüsten, die zur Hälfte aus dem Wasser ragen. Ihre Nippel recken sich mir entgegen und ich lasse meine Daumen darüber wandern.
Eigentlich sollte ich längst zuhause sein. Doch irgendwie zieht mich nichts dorthin, obwohl der Job abgeschlossen ist. Ich hätte die Sache mit Maria gar nicht so weit treiben müssen. Der Plan war es, den Deal ohne Sex abzuschließen. Was auch problemlos möglich gewesen wäre, aber dann kam Lielle mit ihrem Schlussstrich und ich habe keinen Sinn mehr darin gesehen, Rücksicht auf sie zu nehmen.
Schon wieder denke ich an sie, das darf doch nicht wahr sein! Wieso lässt mich diese Frau nicht los?
»Dreh dich um«, knurre ich, packe Maria an den Schultern und drehe sie von mir weg.
Das Wasser spritzt auf und sie lacht leise.
Ich packe Marias Hüften und ziehe sie näher an mich heran, bis sie sich so weit vorbeugt, dass ihr Oberkörper auf dem Beckenrand liegt. Dann lasse ich meine Finger zwischen ihre Beine wandern, spüre, dass sie feucht ist und werde ebenfalls hart.
Na endlich.
Während ich mich langsam in sie schiebe, vergrabe ich eine Hand in ihrem nassen Haar.
Es fühlt sich gut an.
Aber nicht so gut, wie es könnte.
Lielle
Das Flittchen, bei dem sich Cyph seine Zeit vertreibt, und ihr Ehemann, der jetzt um einige hunderttausend Dollar ärmer ist, wohnen in der Nähe des Elbow River. Wie ich befürchtet habe, ist ihr Häuschen gut gesichert, durch ein schwarzes Metalltor und mehrere Sicherheitskameras, die unaufhörlich hin und her surren.
Wahrscheinlich ist das Security-System ihrer Villa mit der ansässigen Polizeiwache verbunden, was es für mich nicht gerade einfacher macht.
Ich verstecke mich in den Schatten der gestutzten Hecke wie ein drittklassiger Einbrecher und weiß, dass es totaler Irrsinn ist, was ich hier gerade tue. Ich sollte warten, bis Cyph ins Haus der Black Bones am Lake Bonavista zurückkehrt und dann mit ihm reden. Aber das kann ich nicht.
Dass er noch nicht wieder zurück ist, kann nur zwei Dinge bedeuten: Entweder, es gibt Probleme oder …
Allein bei dem Gedanken daran, wie er es mit dieser Maria Sanchez treibt, wird mir schlecht.
Ein Teil von mir erinnert mich daran, dass es nicht zum Plan gehörte, dass Cyph mit der Zielperson schläft. Ein anderer flüstert immerzu: Darauf wollte er nur wegen dir verzichten. Aber du musstest ihn ja abschießen.
Einerseits hoffe ich, dass ich mich auf Cyph verlassen kann, andererseits weiß ich, dass ich kein Anrecht auf ihn habe.
Er ist mir nichts schuldig, muss mir nicht treu sein. Das habe ich mir gründlich versaut. Und trotzdem fühlt sich allein die Vorstellung, dass er seine neue Freiheit direkt ausnutzt, an wie ein Schlag ins Gesicht.
»Du steigerst dich da in was rein«, rede ich mir ein. Doch irgendwie weiß ich, dass ich recht habe.
So oder so muss ich mit eigenen Augen sehen, wovon Cyph sich so lange aufhalten lässt.
Ich hole mein Handy raus und wähle Jess’ Nummer. Ihr Freund East war absolut dagegen, dass ich Cyph folge, aber sie hat sich auf meine Seite geschlagen.
»Okay«, flüstere ich, als sie abnimmt. »Zwei Bascom Pro Cams am Vordertor und –«
»Das haben wir gleich«, unterbricht mich Jess und ich höre, wie sie anfängt zu tippen. Sie wird sich jetzt irgendwie an meinem Smartphone oder meiner Smartwatch bedienen und mir so Zutritt verschaffen. Ich werde nie verstehen, wie genau das Hacken funktioniert, aber das ist auch nicht wichtig. Hauptsache, ich komme ungesehen aufs Grundstück.
»Sieh gut hin. Linke Seite«, fordert Jess.
Ich blicke zur linken Kamera und sehe, wie das rote Licht daran erlischt.
»Zauberkünstlerin«, grinse ich.
Ich höre Jess leise lachen. »Und rechts.«
Auch die rechte Cam wird außer Gefecht gesetzt.
»Du hast jetzt 15 Sekunden.«
»Danke, Süße.«
»Halt dich bereit in 3 …«
Ein Surren, dann öffnet sich das Tor langsam.
»2 …«
»1«, sage ich, als der Spalt zwischen Tor und Mauer breit genug ist und sprinte los.
Cyph
Marias Stöhnen muss noch einige Meilen entfernt zu hören sein. Es übertönt das Plätschern des Pools und das entfernte Rauschen der Straße. Es törnt mich unheimlich an, wie sie sich gehen lässt. Was wohl ihre Nachbarn denken? Schließlich müssen sie wissen, dass ihr Mann nicht zuhause ist.
Das soll nicht mein Problem sein. Nach heute Nacht wird sie mich nie wiedersehen, und was das Beste ist: Niemand wird mich oder die anderen Bones mit den Verlusten in Verbindung bringen, die Mister Sanchez gemacht hat. Alles sieht aus, als hätte sich der Gute an der Börse verkalkuliert und so eine Menge Kohle verloren. Was nur zur Hälfte stimmt. Verloren hat er sein Geld – allerdings an uns.
Und die kleine Miss Untreu hat mir dabei in die Hände gespielt und mir unbewusst Einblicke in die Aktien ihres Mannes ermöglicht.
Maria ist viel zu jung für Guillermo Sanchez. Ich schätze sie auf zwanzig, fast noch ein Mädchen. Das erklärt auch ihre unbeholfene Art und ihre ungezügelte Begeisterung, obwohl ich nur das Standardprogramm abspule. Aber sie ist genau das, was ich jetzt brauche.
Jemand, der keine Fragen stellt. An dem ich mich abreagieren kann.
Immer wieder dringe ich in sie ein und mit jedem Stoß vergesse ich Lielle ein bisschen mehr. Sie wird schon sehen, was sie davon hat, dass sie mich zum Teufel gejagt hat.
»O mein Gott«, keucht Maria, als ich wieder nach ihren Brüsten greife.
Mittlerweile bin ich so aufgeheizt, dass sich das Poolwasser um mich herum kühl anfühlt.
Ich senke meine Lippen auf ihren Hals und sauge an ihrer Haut, was ihr ein weiteres Stöhnen entlockt.
Dann sehe ich einen Schatten. Es wird nur kurz eine Spur dunkler, aber ich merke es direkt. Sofort blicke ich auf, fest davon überzeugt, dass Guillermo Sanchez uns erwischt hat.
Doch da ist niemand.
Trotzdem spüre ich instinktiv, dass wir zwei nicht länger allein sind, und lasse meinen Blick schweifen.
Die Villa ist immer noch stockfinster und auch im Licht der Kerzen auf der Terrasse ist niemand zu sehen. Doch sie flackern leicht. Als wäre gerade eben jemand daran vorbei geschlichen.
»Warum hörst du auf?« Marias Stimme ist ein atemloses Flüstern.
Ich antworte ihr nicht, schaue mich stattdessen weiter um. Es dauert etwas, bis sich meine Augen an die Finsternis um den Pool herum gewöhnt haben.
Welcher Penner auch immer uns da beobachtet, er oder sie will offenbar nicht gesehen werden.
»Was –?«
»Shh.« Ich presse Maria von hinten eine Hand auf den Mund.
Und dann erblicke ich sie. Sie steht im Schatten eines Baumes. Das silberne Haar glänzt wie ein Wasserfall im Mondlicht.
»Lielle«, flüstere ich.
Ausgerechnet sie. Ausgerechnet jetzt und hier.
Unsere Blicke treffen sich und ihre blauen Augen sprühen Funken.
Dann macht sie auf dem Absatz kehrt und verschwindet in der Dunkelheit.
Kapitel 1
‚Lost in you‘
Calgary, Kanada
1 Woche später
Cyph
»Aufstehen, Alter.«
Ich kneife die Augen zusammen und hoffe, dass East einfach verschwindet, wenn ich ihn nur lange genug ignoriere. Ich habe das Gefühl, dass ich gerade erst eingeschlafen bin, mein Schädel dröhnt und ich fürchte, dass ich gestern den einen oder anderen Whiskey hatte, an den ich mich nicht mehr erinnern kann.
»Cyph, wir haben was zu besprechen. Steh auf.«
»Dafür braucht ihr mich nicht«, nuschle ich und drehe mich auf die Seite.
»Dich nicht, aber das Sofa.«
»Wieso geht ihr nicht runter ins Wohnzimmer und …?«
Ich verstumme, als mir klar wird, was seine Worte bedeuten. Das Sofa. Das heißt, ich liege nicht in meinem Bett.
Widerwillig öffne ich die Augen und sehe mich East gegenüber. Und Jess, ihrem Bruder Cas, Milo, Kyan, Terra und …
»Scheiße«, stöhne ich und setze mich auf. Stehen etwa alle Bones um mich herum und glotzen mich blöd an?
Nein, nicht alle. Lielle tut, was sie seit einer Woche am besten kann. Sie ignoriert mich. In einem schwarzen Kleid, das irgendwie aus lauter Gürteln und Schnallen zu bestehen scheint, lehnt sie an der Wand und tippt auf ihrem Handy herum. Sofort fällt mir auf, dass ihr Haar nicht mehr den Metallicton hat, sondern honigblond ist. Dass sie es gefärbt hat, ohne, dass ich vorher etwas davon wusste, versetzt mir einen Stich. Ich fühle mich bescheuerterweise übergangen, obwohl ihre Haarfarbe meine kleinste Sorge sein sollte.
»Was soll das, habt ihr nichts zu tun?« Ich fahre mir mit den Händen durchs Gesicht und entdecke die leere Flasche zu meinen Füßen. Habe ich es doch gewusst.
»Doch. Aber dafür ist es nötig, dass du deinen Arsch von der Couch bewegst und halbwegs zurechnungsfähig bist.« Milo grinst sein blödes Schleimergrinsen und bringt mich damit auf 180.
»Ja, ja, schon gut.« Ich stehe auf, schiebe mich durch die Bones, die mich widerwillig durchlassen und steuere auf die Treppe und somit auch auf Lielle zu.
Sie sieht nicht auf.
Ich vergewissere mich mit einem Blick über die Schulter, dass die anderen Gangmitglieder mir nicht auch noch hinterherstarren. Sie breiten sich gerade im Wohnzimmer aus und scheinen nicht weiter auf meinem Totalausfall herumreiten zu wollen. Also wende ich mich wieder Lielle zu.
»Baby, wir müssen reden.«
Wie nicht anders zu erwarten, tut sie, als wäre ich Luft. Sie zuckt nicht einmal mit der Wimper, als ich sie anspreche. Stattdessen ruft sie jetzt auch noch irgendein bescheuertes Video auf, das ihr irgendwer per WhatsApp oder Facebook geschickt hat. Ein alberner Song ertönt und ich erhasche einen Blick auf ihr Display, wo sich der Reihe nach ein Rodeoreiter nach dem anderen von einem Bullen abwerfen lässt.
»Lielle, rede mit mir«, zische ich. »Was soll die Scheiße? Du kannst mich nicht ewig ignorieren!«
Doch anscheinend hat sie beschlossen, dass sie genau das kann.
Ich schüttle den Kopf und lasse sie stehen. Soll sie doch beleidigt spielen, wenn sie meint. Irgendwann wird sie mit mir reden müssen.
Lielle
Ich setze mich auf die Lehne des Sessels, auf dem Terra Platz genommen hat und spüre dabei Cyphs glühenden Blick im Nacken. Mittlerweile habe ich mich daran gewöhnt, ihn zu ignorieren – so wie man einen chronischen Schmerz irgendwann einfach hinnimmt.
East, der mir gegenüber auf einem weiteren Sessel sitzt, mit Jess auf seinem Schoß, sieht mich einen Moment lang mit unergründlichem Blick an.
Dann sagt er: »Also schön, Leute. Es gibt einen neuen Job für uns. Was Großes.«
»Das wurde aber auch Zeit«, ruft Cas, unser jüngstes und ungeduldigstes Mitglied. Er ist gerade mal 14 und auf dem Weg, einer der besten Hacker Amerikas zu werden. Dank der Anleitung von Jess, East, Terra und Cyph, die vermutlich die derzeit besten Hacker der Welt sind.
Auch die anderen freuen sich. Ich weiß bereits, worum es geht. Jess hat mich eingeweiht und ich habe sofort mein Haar gefärbt, damit auch der letzte Idiot sieht, dass ich diejenige bin, die die Hauptrolle in diesem Job übernehmen sollte.
East lässt ein zufriedenes Grinsen sehen, ehe er fortfährt: »Ihr könnt euch gleich weiterfreuen. Es geht um Autos.«
Autos. Das ist neben Computern der Fetisch der meisten in der Gang. East und Cyph lieben ihre aufgetunten Karren sogar so sehr, dass sie sie nach unserer Flucht aus den Staaten in einer waghalsigen Aktion über die kanadische Grenze geschmuggelt haben. Ich hatte keine Sekunde lang Zweifel daran, dass sie es schaffen würden.
East ist ein furchtloser Draufgänger, Cyph ein Alleskönner. Die beiden sind viel zu stur, um sich erwischen zu lassen.
Ich bin für einen Moment versucht, mich zu Cyph umzudrehen, um zu sehen, wie er auf die Neuigkeiten reagiert. Ich habe ihn nach ein paar Minuten wieder runterkommen gehört und spüre, dass er irgendwo hinter mir steht.
Doch ich lasse es. Vor meinem inneren Auge sehe ich sowieso ständig sein Gesicht. Seine markanten Züge, die trügerisch kalten stahlfarbenen Augen.
»Ihr kennt vermutlich alle DayBreak Motors, Kanadas innovativsten Autohersteller.« In Easts Worten liegt eine gewisse Ironie, die sich im nächsten Augenblick erklärt.
»Der mit den selbstfahrenden Autos?«, wirft Kyan ein. »Verdammtes Teufelszeug. Ich fahr meinen Wagen lieber selbst!«
»Das sehe ich genauso. Ein Grund mehr, DayBreak Motors eins reinzuwürgen.« East blickt in die Runde. »Gerüchten zufolge stellt der Konzern in Kürze ein neues Modell vor. Selbstfahrend mit Solarenergie, dabei schnell wie ein Sportwagen dank KI-Unterstützung.«
»Künstliche Intelligenz«, spuckt Kyan förmlich aus. »Also, bevor Siri mein Auto fährt, fahre ich erst recht lieber selbst!«
Gelächter, außer von Cyph und mir. Unsere miese Stimmung ist nichts Neues und niemand wundert sich.
»Darüber habe ich etwas im Netz gelesen«, mischt sich Cas ein, der in der letzten Zeit fast schon zu einem vollwertigen Black Bone geworden ist. »Ein paar Skeptiker meinen, dass es saugefährlich ist. Wenn alles über KI läuft, kann sich praktisch jeder ins System einhacken und die Karre einfach übernehmen. Eine Vollbremsung auf der Autobahn ist dann genauso wenig ein Problem wie Car-Napping.«
»Deshalb gefällt mir der Job ja so gut.« East grinst. »Wir schlagen sie mit ihren eigenen Waffen.«
»Worin besteht der Job?«, will Terra wissen.
East fixiert sie aus seinen stechenden Augen. »Raptor Evolutions, DayBreaks weltweit größter Konkurrent in Sachen selbstfahrende Autos, will den Wagen. Also tun wir, was wir am besten können. Wir stehlen ihn.«
»Das ganze Auto?«, fragt Milo. »Du meinst, die Software.«
»Nein, ich meine das Auto. Raptor ist nicht nur an der Technik interessiert, sondern auch am Motorbau und dem Design. DBM nutzt einen neuartigen Vanta-Lack, der den Wagen in der Nacht praktisch unsichtbar macht. Sie zahlen uns 350.000 Dollar. Also schleichen wir uns ein und erledigen den Job.«
Uns einschleichen. Das haben wir in den letzten Jahren perfektioniert.
Dane Cooper, ein ehemaliges Mitglied der Bones, war fantastisch darin, in fremde Rollen zu schlüpfen. Er war ein gutes Dreivierteljahr lang bei uns und sitzt jetzt im Knast, wo er von mir aus verrotten kann.
Er fehlt uns nicht. Auch ich bin von Haus aus eine Verwandlungskünstlerin und seit Dane weg ist, hat Cyph ebenfalls zum Teil seinen Job übernommen.
Vermutlich hofft er gerade schon, dass er sich jetzt bei der nächsten Millionärsgattin einschleichen und sie flachlegen kann.
Aber das kann er sich abschminken. Jess und ich wissen, wie wir das verhindern können.
»Wie soll das ablaufen?«, frage ich.
»Jonathan Stryker, der Gründer von DayBreak Motors, hat die Geschäfte vor rund zwei Jahren an seinen Sohn abgetreten. Der ist es auch, der die Modernisierung der Autos vorantreibt«, erklärt East. »Zachary ‚Zac‘ Stryker, 34 Jahre alt, Ingenieur, Geschwindigkeitsfan und großkotziger Neureicher. Wir werden das Autofahren revolutionieren. Sie werden sich fühlen wie ein Gott hinter dem Steuer. Solche Sätze kommen von dem Typen. Aber ich halte ihn für die Schwachstelle des Unternehmens. Er macht den Job noch nicht lange und auf seinen Schultern lastet eine Menge Druck. Gerade so kurz vor dem Release hat er sicher andere Dinge im Kopf, als uns zu enttarnen. Ich würde also vorschlagen …«
»Hat der Kerl Familie?«, unterbreche ich ihn. Obwohl ich die Antwort bereits kenne. »Eine Frau?«
East sieht mich an und ich entdecke Unwillen in seinen Augen. Er scheint zu ahnen, was ich vorhabe – und bester Freund bleibt nun einmal bester Freund.
»Nein«, sagt er. »Zac Stryker ist Single.«
Ich nicke. »Gut, dann mache ich es. Ich werde mich bei ihm einschleichen und ihn so sehr um den Verstand bringen, dass er gar nicht merkt, wenn der Wagen weg ist.«
»Ich bin dafür«, sagt Jess und erntet dafür einen missbilligenden Blick von East.
»Alternativ«, beginnt er, aber ich schüttle den Kopf.
»Wir brauchen keine Alternative. Ich regle das. Verlasst euch auf mich.«
Cyph
Zachary Stryker grinst mich von dem Foto, das uns East aufs Handy geschickt hat, so dämlich an, dass ich ihn am liebsten gleich aus seinem Anzug boxen würde. Er sieht aus wie einer dieser Typen aus den Parfümwerbungen. Dunkles, top gestyltes Haar, breite Schultern, die in einem Maßanzug stecken und so ausdrucksstarke Augen, dass sie wirken wie geschminkt.
»Eitler Pisser«, knurre ich und drücke das Foto weg.
Doch Lielle scheint es kaum erwarten zu können, sich dem Kerl an den Hals zu werfen. Sie wollte sich nicht einmal Easts alternativen Plan anhören. Wahrscheinlich ist das ihre Rache für den Sanchez-Deal vor einer Woche.
Ich wechsle einen kurzen Blick mit East, aber er zuckt nur leicht mit den Schultern.
Klar, was soll er auch machen? Lielle ist schließlich genau die richtige Frau für den Job. Ob es mir passt oder nicht.
Bei den Black Bones hat jeder eine feste Rolle. East, Jess und Terra sind unsere Hacker. Das Herz der Gang. Milo ist Fälscher und kann alles herstellen, was wir für unsere Aufträge brauchen, beispielsweise perfekt wirkende falsche Personalausweise. Kyan ist ein hervorragender Fluchtwagenfahrer. Ich bin Springer, was im Prinzip heißt, dass ich in jeder Situation tue, was nötig ist. Und Lielle? Sie ist ein Chamäleon, in jeder Hinsicht. Heute kann sie schon wieder eine ganz andere Frau sein als gestern.
Ich beobachte sie dabei, wie sie Strykers Bild betrachtet. Ihre Augen scheinen durch das Handydisplay hindurch zu blicken. Na immerhin hat sie so viel Anstand, den Kerl nicht gleich hier und jetzt vollzusabbern.
»Wann geht’s los?«, frage ich, weil ich nicht den Anschein erwecken will, dass mich Lielle mit dieser Aktion trifft.
»Am besten heute noch. Kyan, kümmere dich um ein Apartment für Lielle in der Innenstadt. Cas, du hilfst nach und sorgst dafür, dass es keine anderen Interessenten für die Wohnung gibt, die Kyan aussucht. Blockier den Mailverkehr und die Anrufe, damit wir die einzigen Bewerber sind.«
Cas grinst breit und nickt. Der Junge lebt sich hier gut ein.
Jess sieht stolz zu ihm herüber.
»Milo, besorg Lielle eine neue Identität. Sie muss …«
Weiter höre ich nicht zu. So sehr ich es auch versuche, ich kann mich einfach nicht konzentrieren. Ich sehe Lielle förmlich vor mir, wie sie sich mit diesem Schnösel vergnügt. Edle Restaurants, Charity-Events und Cocktail-Partys.
Ist es das, was sie in Wahrheit will?
Ich mustere sie erneut. Soweit ich weiß, ist sie in einer Kleinstadt irgendwo in Indiana aufgewachsen. Ihre Familie ist ziemlich konservativ und Lielle kurz nach ihrem sechzehnten Geburtstag von dort abgehauen. Es hat sie auf direktem Weg nach Detroit verschlagen, wo sie sich von den Frauen reicher Ehemänner anheuern lassen hat, um deren Treue zu testen. Für Lielle gab es immer einen guten Anteil an der Scheidungsabfindung. Sie hat einen extravaganten Geschmack und ist Luxus nicht abgeneigt. Vielleicht passen wir deshalb nicht zusammen.
Doch insgeheim weiß ich, dass das Blödsinn ist. Lielle macht nur ihren Job. Ob der sie zu einem Millionenerben oder zu einem autarken Ökospinner verschlägt, ist dabei unerheblich.
Ein Klingeln reißt mich aus meinen Gedanken und ich sehe auf. Es kommt aus Lielles Richtung und ich glaube, dass sie mir jetzt endgültig eine verpassen will, indem sie vor versammelter Mannschaft mit einem neuen Lover telefoniert. Doch das Schellen kommt nicht von ihrem, sondern Terras Handy. Schnell drückt sie den Anruf weg, streicht sich eine Strähne ihres petrolfarbenen Haars hinter die Ohren und sieht entschuldigend in die Runde.
»Gibt es noch irgendwelche Fragen?«, will East wissen und ich stelle fest, dass ich die ganze Planung verpennt habe.
Ich schüttle den Kopf.
Nein, Fragen gibt es keine. Zumindest noch nicht …
Lielle
Das Hämmern und Bohren bereitet mir Kopfschmerzen. Die Jungs sind damit beschäftigt, irgendwelche futuristischen Möbel aufzubauen, die mein neues Apartment in eine Raumschiffzentrale verwandeln. Jess putzt die riesige Glasfront und ich laufe auf und ab, um mir die Infos einzuprägen, die Milo mir über Eleonora ‚Elle‘ Henderson ausgedruckt hat.
Elle wird für die nächsten Wochen meine neue Identität darstellen. Es ist wichtig, dass Scheinidentitäten einen Namen bekommen, der dem echten Namen ähnlich ist, damit man auch wirklich darauf hört und nicht auffliegt. Mit Elle kann ich leben, auch wenn mich noch nie zuvor jemand so genannt hat.
Ich bleibe stehen, schließe die Augen und gehe die wichtigsten Infos im Kopf durch. Elle ist 24 Jahre alt. Sie kommt aus den USA, was gut ist, denn dort kenne ich mich wenigstens aus. Ihre Eltern sind am elften September ums Leben gekommen und sie hat keine Geschwister oder nennenswerten Freundschaften. Elle liebt Luxus, schnelle Autos und hasst Männer, die meinen, sich alles kaufen zu können. Den letzten Punkt habe ich hinzugefügt, da ich glaube, dass er Zac reizen wird. Denn Elle ist eine Stripperin in einem Edelclub und Zac ist es gewohnt, durch seinen Reichtum alles zu bekommen, was er möchte.
Tja, mich wird er so leicht nicht um den Finger wickeln und ich glaube, das ist eine Tatsache, die sein Interesse wecken wird.
Ich öffne die Augen wieder und stelle fest, dass es um mich herum ziemlich still geworden ist. Der Großteil der Bones steht draußen auf der Dachterrasse und macht eine Pause.
Alle bis auf einen.
Cyph ist gerade dabei, mir eine Highspeed-Internetverbindung einzurichten. Ich weiß, dass er das eigentlich schneller kann und mir ist klar, dass er extra trödelt, um mit mir allein zu sein.
»Mach Pause, Cyph«, sage ich kurz angebunden und will an ihm vorbei, um ebenfalls nach draußen zu gehen, doch er wendet sich vom PC ab und baut sich vor mir auf.
»Was soll das hier eigentlich werden? Eine verdammte Retourkutsche?!«
»Ich weiß nicht, wovon du redest.«
Cyph lacht auf, es klingt hart und wütend. »Natürlich weißt du das, Lielle.«
Ich schüttle den Kopf und mustere ihn kühl, auch wenn es mir schwerfällt, ihm überhaupt ins Gesicht zu blicken. Seine muskulöse Brust anzustarren, würde die Sache allerdings auch nicht leichter machen. »Ich mache nur meinen Job.«
»Verarsch mich doch nicht!« Cyph versperrt mir immer noch den Weg. »Was du hier abziehst, ist die Rache für den Sanchez-Auftrag. Dabei solltest du dir nur eines klarmachen: Du hast mich abserviert, nicht andersherum!«
»Richtig.«
Auch wenn ich es zwischenzeitlich bereut habe, Cyph den Laufpass gegeben zu haben, bin ich jetzt mehr als froh darüber. Ich habe die Sache beendet, bevor ich zu viele Gefühle investieren konnte. Cyph ist nicht besser als die Männer, die ich vor meinem Einstieg bei den Bones auf ihre Treue getestet habe. Wenn sich ihm die Gelegenheit bietet, springt er mit der erstbesten anderen Frau ins Bett. Wäre ich ihm so wichtig, wie er in der letzten Zeit tut, hätte er seine Hose ein paar Tage anbehalten – Maria Sanchez hin oder her. Aber das hat er nicht und das beweist mir, dass er nicht besser ist als der Rest der Bones.
Von East und Jess mal abgesehen, scheint hier niemand an einer ernsthaften Beziehung interessiert zu sein. Kyan und Milo hecheln jedem Rock hinterher und auch Terra treibt sich mehr und mehr rum. Auch heute ist sie wieder nicht da und ich vermute, dass sie irgendwo einen Lover hat. Sie wechselt ihre Partner ständig und ist der Meinung, dass sie eine feste Beziehung in ihrem Leben nicht gebrauchen kann. Ich fürchte, ich bin die Einzige, die von so etwas träumt – von einem Mann, zu dem ich gehöre und der mir gehört. Oder besser gesagt, geträumt hat. Einen Augenblick lang.
»Warum hast du dich dann für diesen Job gemeldet, verrätst du mir das?«
»Das ist ja wohl mehr als offensichtlich.« Ich sehe ihn nicht mehr an, was ignorant wirken soll, aber eigentlich nur dazu dient, dass ich ihm nicht in die Augen blicken muss. Ich will nicht wissen, was ich darin entdecke.
Verletzten Stolz, Kampfgeist, Schmerz?
»Das ist mein Spezialgebiet, wer soll die Arbeit sonst machen. Du etwa?«
»Du hast dir die Alternative gar nicht erst angehört.«
»Und daraus schließt du was?« Jetzt schaue ich ihn doch an. Die Entschlossenheit in seinem Blick bringt mein Herz zum Stolpern. Doch davon lasse ich mir nichts anmerken. Nach außen hin bleibe ich kalt wie Eis.
»Dass das eine billige Racheaktion sein soll.«
»Ich bitte dich, Cyph. Nimm dich nicht wichtiger, als du bist.«
Damit lasse ich ihn stehen und gehe nach draußen zum Rest der Gang.
Lielle
Ich bin nervös. Die letzten Tage über habe ich bereits in Elles Apartment gelebt, um mich voll und ganz an meine neue Rolle zu gewöhnen. Cyph habe ich während dieser Zeit kein einziges Mal mehr gesehen. Wenn die Bones hier waren, um mir weiter beim Einrichten zu helfen oder die Wohnung zu verkabeln, war er nie dabei. Anscheinend war ich bei unserem letzten Gespräch deutlich genug.
Umso aufgeregter bin ich jetzt, dass ich gleich die ganzen Black Bones sehen werde. Es gehört zu unseren Ritualen, dass wir uns vor jedem großen Job noch einmal einschwören, den Plan durchgehen und uns versichern, dass wir uns aufeinander verlassen können.
Ich parke den kleinen roten Sportflitzer, den meine neue Identität, Elle Henderson, fährt, vor dem Clubhaus am Rande von Calgary und steige aus. Die roten Lack-High-Heels, die ich mir extra für meine Rolle zugelegt habe, leuchten in der einsetzenden Dämmerung. Sie passen perfekt zu dem seidigen Etuikleid, das ich trage.
Ich hoffe, dass dieses Outfit Cyph den Atem rauben wird. Er soll ruhig sehen, was ihm entgeht.
»Hey, Lielle.« Auf den Stufen vor dem Haus sitzt Jess in einem ihrer Metal-Band-Shirts und winkt mir zu.
»Hallo, Süße.« Ich gehe zu ihr und nehme kurzerhand neben ihr Platz.
Sie ist in den letzten Tagen zu meiner Verbündeten geworden und ich bin froh, dass ich ein paar Minuten ungestört mit ihr reden kann.
»Wie sehe ich aus?«
Jess mustert mich und lächelt. »Cyph, der Dummkopf, würde Augen machen.«
»Würde?« Ich schlage die Beine übereinander und sehe Jess fragend an.
Sie zuckt mit den Schultern. »Er ist seit Tagen nicht bei uns. Keine Ahnung, wo er sich rumtreibt. Heute ist er jedenfalls auch nicht da.«
Ich schlucke. Damit hätte ich rechnen müssen. Offenbar sind Cyph und ich noch nicht damit fertig, einander ans Bein zu pinkeln.
»Dieser …« Ich spreche nicht weiter, weil mir die Beschimpfungen ausgegangen sind.
»Lielle, versteh mich nicht falsch.« Jess greift nach meiner Hand und sieht mich an. »Aber meinst du nicht, dass ihr euch aussprechen müsst? Ich blicke bei euch mittlerweile nicht mehr durch und glaube, dass es Cyph ähnlich geht. Zuerst machst du mit ihm Schluss, dann willst du ihn doch und als du siehst, dass er seinen Job macht –«
»Das war nicht sein Job. Mit ihr zu schlafen, gehörte nicht zum Plan!«
Jess nickt. »Gut, er hat es aber trotzdem getan. Er war Single und hat mit einer anderen Frau geschlafen. Das kannst du ihm eigentlich nicht vorwerfen.«
»Das tue ich auch nicht.«
Jess sieht mich zweifelnd an.
»Nicht direkt jedenfalls. Ich habe dadurch nur festgestellt, dass wir beide wirklich nicht zusammenpassen.«
»Ach ja?«
Ich seufze. Klar, dass das für Außenstehende bescheuert aussieht. »Ich werde es dir erklären.« Ich brauche einen Moment, um mich zu sammeln. »Zuerst war das mit Cyph und mir nur so eine lose Bettgeschichte.«
Nur so eine lose Bettgeschichte – wie das klingt. Als hätten wir uns bloß ein wenig die Zeit vertrieben. In Wahrheit jedoch war bereits unser erstes Mal so heftig wie ein Erdbeben, wie ein Feuersturm. Und danach konnten wir monatelang nicht die Finger voneinander lassen. Wie zwei Besessene.
»Dann habe ich gemerkt, dass er sich nicht mehr mit anderen trifft und festgestellt, dass ich das auch nicht tue«, fahre ich fort. »Es schien irgendwie ernster zu werden zwischen uns. Und da habe ich Panik gekriegt. Ich weiß, wie Männer ticken. Sie sind allesamt untreue Mistkerle. Und …« Ich spreche nicht weiter. Was soll ich auch sagen? Dass ich Angst davor habe, verletzt zu werden?
»Das ist nicht wahr. Bei den Männern, die du früher verführt hast, damit ihre Ehefrauen sich gewinnbringend scheiden lassen können, gab es vorher schon Eheprobleme. Sonst wären die Frauen doch gar nicht auf solche Ideen gekommen. Und wenn sowieso schon was schief läuft, dann lässt man sich viel eher zu einem Seitensprung hinreißen. Aber du kannst diese kaputten Beziehungen doch nicht mit dem vergleichen, was du mit Cyph hattest.«
»Du hättest ihn mit Maria Sanchez sehen sollen.«
Jess drückt meine Hand und ich spüre, dass meine eigenen Finger eiskalt geworden sind. »Es ist total verständlich, dass dich das verletzt hat. Schließlich wolltest du Cyph gerade gestehen, dass du einen Fehler gemacht hast und doch mit ihm zusammen sein willst. Aber vergiss dabei nicht, dass er das nicht wissen konnte. Für ihn war die Sache zwischen euch erledigt.«
Ich schüttle den Kopf. »Schlimm genug, wenn es sich für ihn so schnell erledigt hat.«
»Du weißt doch genau, wie ich das meine, Lielle.«
Ja, das weiß ich wirklich. Trotzdem tut es dadurch nicht weniger weh.
»Ich bleibe dabei: Wäre es ihm mit uns ernst gewesen, hätte er gekämpft, statt mit der Erstbesten ins Bett zu gehen.«
»Er ist ein Sturkopf, genau wie East. Sie lassen sich nicht gerne vorführen.«
Ich denke einen Moment darüber nach. Ich glaube, ich weiß ein bisschen besser, wie Cyph tickt. Wie Männer generell ticken. In meinem Job als Treuetesterin musste ich eins feststellen: Einer jungen, willigen Frau widersteht kein Mann.
Kein einziger.
»Es ist besser so, wie es jetzt ist«, sage ich und stehe auf.
Ich bin bisher bestens allein zurechtgekommen und so wird es auch in Zukunft sein. Und wer weiß, vielleicht können Cyph und ich beide irgendwann unser verletztes Ego vergessen und zumindest wieder Freunde sein.
***
Keine zehn Minuten später stehen wir alle gemeinsam – bis auf Cyph natürlich – auf der großen Terrasse im zweiten Stock des Hauses. Baumkronen umgeben uns, in der Ferne glänzt der See im blauen Dämmerlicht wie eine Spiegelfläche.
Kyan verteilt mit Whiskey gefüllte Gläser an uns alle – für jeden ein Schluck mehr, als gut für uns wäre. Wir Bones übertreiben gern. Das verbindet uns vermutlich.
Ich atme tief durch und denke zurück an frühere Treffen wie dieses. Das Einschwören, dieser Moment, bevor es kein Zurück mehr gibt, hat mich immer irgendwie angemacht. Es war schön, mich an Cyphs durchtrainierten Körper schmiegen zu können, während wir den Plan nochmal durchgingen. Heute lehne ich allein am hölzernen Geländer und ertappe mich dabei, wie ich immer wieder hinter mich sehe, auf der Suche nach Cyphs blauem Sportwagen.
Aber er kommt nicht.
»Also schön, Bones.«
East schließt die tätowierten Finger um sein Glas und zieht mit der anderen Hand Jess an sich, auf deren Lippen bereits ein siegessicheres Lächeln liegt.
»Im Grunde ist das kein komplizierter Job. Lielle, du schleichst dich ein. Jess, Terra und ich räumen dir den Weg frei, wann immer es nötig ist.«
Er spricht von Überwachungskameras, gesicherten Türen und sogar Verkehrsampeln, sollte ich fliehen müssen – es gibt nichts Elektronisches, was unsere Hacker nicht knacken und zu unseren Gunsten verändern könnten.
»Solltest du irgendwelche Dokumente benötigen, Flugtickets auf deinen neuen Namen oder eine Mitgliedskarte fürs Fitnessstudio, setzt sich Milo sofort dran.«
Unser Fälscher salutiert wortlos und mit seinem gekonnt schmeichlerischen Lächeln auf den Lippen.
»Wenn du irgendetwas brauchst, bringt Kyan es dir in Rekordgeschwindigkeit.«
Kyan nickt stumm und hebt bereits das Glas an die Lippen. Er scheint es kaum erwarten zu können, dass er endlich trinken darf.
»Und was mach ich?«, fragt Cas.
»Zusehen und lernen, Brüderchen«, erwidert Jess und zieht ihm sein schwarzes Basecap ins Gesicht, was ihn protestierend einen Schritt zurücktreten lässt.
Ich nicke allen zu und atme nochmal durch.
Ein bisschen nervös bin ich doch, aber das versuche ich zu überspielen, indem ich sage: »Ihr werdet schon sehen. Dieser Stryker frisst mir bald aus der Hand wie ein Hündchen.«
Die Bones lachen und heben ihre Gläser, doch East bedeutet ihnen, dass sie noch warten sollen. »Eine Sache noch, Lielle.«
Fragend sehe ich ihn an, doch er scheint nicht vorzuhaben, mir diese Sache vor den anderen zu sagen. Stattdessen nimmt er mich zur Seite, was ihm ein Stirnrunzeln von Jess einbringt.
»Was ist denn?«, frage ich und ahne nichts Gutes.
»Natürlich wirst du bei dem Job gecovert. Einer von uns wird immer in deiner Nähe sein und dich sofort rausholen, wenn es brenzlig wird.«
Ich sehe ihn stumm an. Irgendwie weiß ich, was jetzt kommt, doch ein Teil von mir kann nicht glauben, dass er so unfassbar dreist ist.
»Du kannst es dir denken. Den Job macht Cyph. Er arbeitet sich bereits ein.«
Ich stoße ein ungläubiges Lachen aus. »Das kann er sich abschminken!«
East schüttelt den Kopf. »Nein, kann er nicht. Er ist der Einzige, der für die Position in Frage kommt. Dane Cooper, der sich unauffällig mit dir hätte einschleichen können …« Sein Gesicht nimmt kurz einen verächtlichen Zug an. »Dane ist nicht mehr da und ich bin kein Springer.«
Springer – das ist Cyphs Bezeichnung bei den Black Bones, weil er nicht nur ein Hacker und ein verflucht guter Fahrer, sondern auch noch Pilot und Techniker ist und sowieso die meisten Dinge auf Anhieb hinbekommt. Er ist unglaublich. Aber auch ein Arsch, den ich nach heute Abend so schnell nicht wiedersehen wollte.
Sauer schüttle ich den Kopf. »Dann soll es Jess oder Terra machen! Von mir aus auch Milo oder Kyan, aber auf keinen Fall Cyph!«
East mustert mich lange und uns beiden ist klar, dass wir insgeheim wissen, was hier abgeht. Cyph wird nicht nur deswegen auf mich angesetzt, weil er so geeignet dafür ist, sondern auch, weil er es nicht haben kann, dass ich ihm nicht hinterherdackle.
Aber verdammt, er war es, der unbedingt sofort mit der Nächsten ins Bett steigen musste!
»Als ich mit Cyph darüber gesprochen habe«, sagt East schließlich, »meinte er, dass es kein Problem für euch sein wird, diesen Job gemeinsam zu erledigen. Dass die Sache zwischen euch vorbei und geklärt ist. Ist das nicht so?«
Ich spüre, wie sich das Herz in meiner Brust zusammenkrampft. Vorbei und geklärt, so sieht er das also. Nun. So wenig ich ihn dabeihaben will, werde ich mir jetzt sicher nicht die Blöße geben und etwas anderes behaupten!
»Vorbei und geklärt«, wiederhole ich und nicke, wobei ich die Schultern straffe. »Er hat absolut Recht. Aber er soll sich verflucht nochmal im Hintergrund halten!«
East registriert meine Worte mit einem schiefen Grinsen. »Ich werde es ihm ausrichten.«
Mir ist nicht nach Grinsen zumute. Ich gehe zurück zu den anderen, kippe meinen Whiskey runter und würde Cyph am liebsten eine knallen.
Kann er mich nicht einfach in Ruhe lassen?