Leseprobe Dark Entanglement – Weil du mir gehörst

Prolog

Ich beobachte sie. Heute, gestern, seit Jahren. Es ist zu einem Spiel geworden, das mir täglich mehr Freude bereitet. Ich war schon immer ein Zocker. Wie damals als Kind, während wir gemeinsam Verstecken gespielt haben. Wie wir uns suchten und auf kindliche Weise einen Ringelpiez ohne Anfassen veranstaltet haben. Okay, meistens ohne Anfassen. Ich grinse in mich hinein, denn die Erinnerung löst ein Pulsieren in meinen Leisten aus. Damals war alles leichter, doch heute sieht die Welt anders aus. Ich spiele weiterhin, nur zu gern mit gezinkten Karten. Sie kennt mich und gleichwohl kennt sie mich nicht. Sie sieht mich und trotzdem sieht sie mich nicht. Aber ich, ich sehe sie. Immer.

Wie sie dasteht in ihrem kurzen Fummel, der kaum Spielraum für Interpretationen lässt. Ein Stück Stoff, das so viel mehr aussagt, als ihr vermutlich bewusst ist. Ob es ihr Lieblingskleid ist, vermag ich nicht zu sagen, allerdings macht sie längst keine Schlagzeilen mehr damit, wenn sie ihre Kleider wiederholt auf Galas oder Partys trägt. Umweltbewusstsein und Nachhaltigkeit sind die Stichwörter, die seit geraumer Zeit auch in der High Society Einzug gehalten haben. Wobei ich es vorziehen würde, wenn sie einfach nackt wäre. Als wir Kinder waren, war es völlig normal, in Badehose oder Badeanzug durch den Garten zu laufen. Doch heute? Wir sind die Upperclass. Natürlich ist sie stets gut gekleidet und würde niemals zulassen, dass ein Bild von ihr im Bikini in der Klatschpresse landet.

Sie steht da und ich kann nicht anders, als meinen Blick über ihren Körper gleiten zu lassen. Jeder Zentimeter ist perfekt, ihre schlanken Beine, ihre wohlgeformten Möpse, ihr zierlicher Hals und ihre glatte Haut. Nur Äußerlichkeiten und doch nicht unwichtig.

Ich stelle mein Glas auf das Tablett eines vorbeilaufenden Kellners und stecke die Hände in die Taschen meiner Anzughose. Ich könnte ihr stundenlang zusehen, sie mit meinen Blicken gierig aus diesem Kleid schälen, mir vorstellen, was ich anschließend mit ihr tun würde.

Ich beobachte sie bei jedem Schritt, bei jeder Bewegung, bei jedem Lachen. Ich betrachte sie, wenn sie auf der Bühne steht und wenn sie Interviews gibt. In einem Dossier habe ich alles über sie, jedes Detail, jede Information. Ich kenne ihre Vorlieben, ihre Abneigungen und ihre Schwächen, weiß um ihre Freunde und ihre Feinde. Und ich passe auf sie auf.

Sie ist nervös. Nein, nicht nervös, sondern erregt. Das zeigen ihre leicht erhitzten Wangen und die kaum sichtbaren Vibrationen um ihren Mund. Ich befeuchte meine Lippen und wünsche mir einen Kellner mit einem Glas Scotch herbei. Ich brauche einen klaren Kopf, doch ihre Erregung gepaart mit ihrem Kleid ergibt eine ganz klare Fick-mich-Aufforderung. Ich schlucke und die Finger in meinen Hosentaschen beginnen sanft auf- und abzustreichen. Ja, Baby, zu gern. Ich besorge es dir hier und jetzt. Sag nur ein Wort und ich erlöse dich. Doch natürlich tut sie das nicht.

Mein Blick wandert ihre Beine entlang, während ich hart werde. Ich liebkose jeden Zentimeter von ihr mit meinen Augen, streichle sie in Gedanken. Ermutige sie stumm, sich mir zuzuwenden. Sie ist grazil, treibt Sport. Natürlich treibt sie Sport. Schließlich stehe ich jeden Mittwoch um fünf Uhr auf und gehe eine Runde durch den Memorial Park spazieren. Wie der Zufall es will, kommt sie mir arglos jede Woche in Sportkleidung und mit Kopfhörern in den Ohren entgegengelaufen. Schnell und fokussiert. Natürlich bemerkt sie mich nie. Soll sie auch nicht. Noch nicht. Irgendwann werde ich aus meiner Deckung hervorkommen, doch bis dahin muss ich mich gedulden, schweigen und beobachten. Denn Beobachtung ist der Schlüssel zum Erfolg. Ich bekomme am Ende stets das, was ich haben will. Immer. Bei ihr wird es nicht anders sein. Es gibt keinen Plan B.

Mein Blick wandert weiter an ihr hinauf, bleibt an der Sektflöte in ihrer Hand hängen. Wenn doch nur mein Schwanz damit tauschen dürfte. Ganz nah bei ihr sein, meine Nase zwischen ihren Möpsen versenken, ihren Duft einsaugen, sie schmecken. Ich bin inzwischen hart und schüttle kaum merklich den Kopf. Ich brauche ihr nicht nahe zu sein, um zu wissen, wie sie riecht. Ich würde sie jederzeit mit verbundenen Augen erkennen. Oh ja, sie riechen, probieren und anfassen – und ficken. Schnell oder langsam, ganz wie es mir beliebt. Ich schlucke erneut. Nein, noch ist es nicht so weit. Die Zeit wird kommen, aber bis dahin muss ich mich zurückhalten, denn Geduld ist eine Tugend, die ich in Perfektion beherrsche. Erst muss die Hochzeit stattfinden, damit ihr Fall umso tiefer wird.

Ich schmunzle und passend dazu lacht sie auf. Glockenhell und wunderschön. Ihre Stimme ist Musik in meinen Ohren, die meine Fassade für einen winzigen Moment bröckeln lässt. Doch rasch habe ich mich wieder unter Kontrolle. Ja, lach du nur. Bald wirst du ausschließlich für mich lachen. Du gehörst mir, bist meine Muse und mein Spielzeug. Schon immer, jetzt und in alle Ewigkeit. Du weißt es nur noch nicht. Du kennst mich nicht – nicht wirklich – aber ich, ich kenne meine Feinde. Deshalb bist du Mein. Jeder Zentimeter von dir ist an mich gebunden. Du wirst alles zu meiner Zufriedenheit tun, willst mich rundum glücklich machen, egal, was es dich kostet. Du wirst meinen Schwanz lutschen und darum betteln, dass ich dir den süßen Hintern versohle. Du wirst Dinge tun, die du dir in deinen kühnsten Träumen nicht vorstellen magst, und du wirst dabei stets ein Lächeln auf deinen Lippen tragen. Dinge werden sich ändern und deine scheinheilige Welt wird zu deinem größten Albtraum. Denn ich nehme dir alles: dein Geld, deine Familie, deinen Stolz. Und du wirst es mir bereitwillig geben, nur um dein Ansehen nicht zu verlieren. Ich weiß, du verstehst es nicht. Noch nicht. Aber der Tag naht, an dem die Erkenntnis in deinen hübschen Augen aufblitzen wird, während ich in dir komme.

Kapitel 1

Sophia

Sanft zirkelt Ethan mit seinem Finger in meinem Nacken. Seit Minuten praktiziert er dieses Spiel, obwohl er genau weiß, dass er mich damit in den Wahnsinn treibt. Kreis um Kreis malt er auf meine Haut. Das Kribbeln zieht von dort bis in meine Zehen und jede Haarspitze. Runde um Runde und mit jeder facht er das Feuer in mir weiter an. Was mit einem winzigen Funken begonnen hat, ist zu einem Flammenmeer geworden. Mit jedem Schlag meines Herzens lodert das Adrenalin ein Stück weiter in meine Körpermitte. Es vibriert in mir und ich beiße mir auf die Zunge, ohne mit der Wimper zu zucken. Auffallen verboten, egal, wie sehr er mein Verlangen in die Höhe schraubt. Stocksteif stehe ich da, den Blick geradeaus gerichtet. Würde ich ihn aktuell ansehen … Ich tue es nicht, darf es nicht. Nicht in diesem Augenblick und nicht an diesem Ort. Nur mühsam halte ich meinen Atem unter Kontrolle, verstecke meine zitternden Hände, indem ich mich an der Sektflöte mit dem längst lauwarm gewordenen und kaum noch spritzigen Champagner festhalte. Es ist seine Passion, die ich nur zu gern teile.

Vorne auf der kompakten Bühne, die dieser Veranstaltung nicht würdig ist, wird ein neues Charity-Projekt vorgestellt, das sich für den Schutz des Regenwaldes einsetzen will. Eines von vielen. Viel lieber würde ich den örtlichen Naturschutz unterstützen.

Plötzlich wird es frisch an meinem Nacken, die Härchen stellen sich auf und das süße Kribbeln auf meiner Haut lässt nach – jedoch nicht das pulsierende Verlangen in mir. Verwundert wende ich mich Ethan zu, in dessen Miene nicht zu erahnen ist, wie sehr er sich an einen anderen Ort wünscht. Mister Pokerface. Seine Beherrschung hätte ich gern, obwohl ich darin ebenfalls verdammt gut bin. Im letzten Moment kann ich ein tiefes Seufzen unterdrücken. Mit ihm ist alles so einfach. Da steht er, der Mann, den ich bald heiraten werde und mit dem mich seit Jahren eine feste Freundschaft verbindet. Ich darf mich wohl glücklich schätzen, ihn an meiner Seite zu haben, auch wenn er Veranstaltungen wie diese meidet wie der Teufel das Weihwasser. Aber er ist hier und das rechne ich ihm hoch an.

Da fällt mein Blick auf einen Mann, der sich uns langsam nähert. Das zuvor unterdrückte Seufzen will sich nun doch einen Weg in Form eines Stöhnens bahnen. Der hat mir gerade noch gefehlt. Lässig die Hand in der Hosentasche seines maßgeschneiderten Anzugs vergraben, ist sein Mund zu einem süffisanten Grinsen verzogen.

»Na, sieh mal einer an. Sophia Gold ist auch hier. Hätte ich mir ja denken können, dass du keine Gelegenheit auslässt, um wieder etwas Geld deines Vaters an nichtsnutzige Organisationen zu verschwenden.« In gespieltem Tadel schüttelt er seinen Kopf. Das kurze braune Haar gegelt, einen silberfarbenen Ohrstecker im Ohr und ein Tattoo, das aus seinem Ärmel auf die Hand hinausragt, erwecken erst beim zweiten Hinsehen den Eindruck eines Bad Boys hinter der stilvollen Kulisse. Doch mich catcht er damit nicht, obwohl er durchaus gut aussieht. Vielleicht auch ein bisschen besser als gut. Auf seine Spielchen werde ich mich deshalb noch lange nicht einlassen.

»Gideon Maxwell. Noch immer so charmant wie eh und je.« Ich stelle mein Glas auf den Stehtisch vor mir und lasse mir von einem Kellner ein frisches reichen. Ohne zu überlegen, stürze ich den Inhalt hinunter, was mein neues Gegenüber mit einer hochgezogenen Augenbraue quittiert. Das konnte er schon damals, doch dieser hochnäsige Gesichtsausdruck beeindruckt mich nicht.

»Was willst du?«, zischt Ethan neben mir und zieht mich näher an sich, sodass sein vom alkoholfreien Bier geschwängerter Atem meine Wange streift. Seine Körperwärme dringt durch den dünnen Stoff meines Kleides, allerdings ist das süße Verlangen längst auf ein Minimum geschrumpft. Wo ich ihn zuvor auf der Stelle in die nächste Besenkammer gedrückt hätte, ist nichts mehr. Aber aufgeschoben ist schließlich nicht aufgehoben. Sanft und möglichst unauffällig boxe ich ihm mit dem Ellenbogen in die Seite. Warum kann er nicht einfach die Klappe halten?

»Nur charmant kann man die Gunst der Damen erlangen«, antwortet Gideon gestelzt, sodass ich einen Würgereiz unterdrücke. Dass er damit reihenweise die unbedarften Frauen bezirzt, die sich in der Upperclass einschleichen wollen, kann man sich kaum vorstellen, doch wird er heute garantiert nicht allein nach Hause gehen. Dazu kenne ich ihn zu lange. Ich bin lediglich froh, dass er noch nie aktiv versucht hat, mich ins Bett zu bekommen. Würde er zwar so oder so nicht, doch aus irgendeinem Grund muckt eine hintere Ecke meines Unterbewusstseins auf. Du bist zu unattraktiv, zu burschikos und zu stolz. Das schreckt bis auf Ethan jeden ab. Du bist es ihm halt einfach nicht wert. Ich schüttle kurz den Kopf, auf der Suche nach einer Antwort für Gideon, ohne mir etwas über meinen inneren Kampf anmerken zu lassen. Denn eines weiß ich trotzdem: Mein Unterbewusstsein liegt falsch. Ich bin hübsch, energiegeladen, steinreich und ja, auch stolz auf das, was ich bisher in meinem Leben erreicht habe. Ich bin eine Frau, die durchaus mit anpacken kann. Das ist nichts Verwerfliches.

»Hast du keine andere gefunden, die du umgarnen kannst?« Obwohl Ethan genau weiß, dass Gideon ihn niemals auch nur ansehen würde, kann er seine Sprüche nicht lassen. Beinahe ist es süß, wie er den Beschützer spielt, doch das hier ist weder der richtige Ort noch der passende Zeitpunkt dafür. Wenn ich nicht interveniere, wird aus dem Wortgefecht ein ausgewachsener Gockelkampf, den Ethan postwendend verlieren wird. Allerdings braucht es schon einiges mehr, damit Gideon Ethan überhaupt beachtet. Er nimmt ihn sehr wohl wahr, was an dem minimalen Zucken seiner Pupillen wahrscheinlich nur für mich sichtbar ist.

»Sag deinem Anhängsel, dass er einen Gang zurückfahren soll.« Oder er reagiert doch offensichtlicher als gedacht. Der drohende Unterton in Gideons Stimme ist nicht zu überhören. Ich schlucke. Also ist alles wie immer. Und trotzdem muss ich endlich etwas sagen. Ich bin doch sonst nicht derart auf den Mund gefallen. Mein Blick wandert umher. Zum Glück sind alle beschäftigt oder lauschen weiterhin dem Vortrag auf der Bühne. Undenkbar, wenn die anwesende Presse auf uns aufmerksam werden würde. Negative Schlagzeilen kann ich mir momentan nicht erlauben.

Ich räuspere mich und endlich habe ich eine Antwort parat. »Gideon, es ist gerade unpassend. Wir müssen uns leider verabschieden. Bist du kommende Woche bei der Gartenparty der Hamiltons zu Gast?«, frage ich, um aus der Situation herauszukommen. Eigentlich hatte ich nicht vor, bereits jetzt die Veranstaltung zu verlassen, doch manchmal ist Flucht die beste Option. Zumindest würde Ethan den Rest des Abends unausstehlich sein. Wie mir das aufgeplusterte Verhalten dieser beiden Männer auf die Nerven geht! Aber was will ich machen? Der eine ist mein Verlobter und Gideon zählt wie ich zur Upperclass, sodass wir uns bei nahezu jedem Event in der Stadt zwangsläufig begegnen. Zu meinem Leidwesen bejaht Letzterer. Ich lächle ihn dennoch weiterhin freundlich an, wobei das Lachen meine Augen sicher nicht erreicht. Aber so ist die High Society. Mehr Schein als Sein. »Wunderbar, dann nehme ich mir gern Zeit, um mit dir über dein Anliegen zu sprechen.« Gestelzt antworten kann ich schließlich ebenso wie er.

»Sehr erfreut. Ich wünsche dir einen schönen Abend.« Und damit dreht er sich etwas steif, aber erhobenen Hauptes, um und geht in Richtung der Toiletten.

Puh. Ich blicke ihm länger als notwendig hinterher, bis mein Blick an seinem Po hängen bleibt. Knackig ist er und definitiv trainiert er mehr als einmal in der Woche.

»Wann lernt dieser Playboy endlich, dass du nicht für ihn zur Verfügung stehst?«, zischt Ethan mir ins Ohr und reißt mich damit aus meinen Gedanken.

Wie komme ich nur auf die Idee, über den Fitnesszustand von Gideon Maxwell nachzudenken? Als hätte das irgendeine Relevanz für mich. Er ist die Konkurrenz und nur weil wir vor Urzeiten zwei- oder dreimal gemeinsam im Sandkasten gesessen haben, heißt das noch lange nicht, dass wir mehr als höfliche Kommunikation miteinander austauschen müssen.

Ich atme tief durch, wobei mich Gideons Aftershave noch immer in der Nase kitzelt. Ein schmeichelnder Geruch. Doch an Ethan wird er niemals heranreichen. Dazu ist Gideon zu aufgeplustert und zu sehr von sich selbst überzeugt.

Mit Ethan hingegen verbinde ich mein halbes Leben, auch wenn die Bekanntgabe unserer Verlobung die Schlagzeilen beherrscht hat – allerdings nicht im positiven Sinne.

It-Girl Sophia und der Handwerker war dabei noch die netteste Schlagzeile. Nun, familiäre Herkunft, Geld, Ansehen und Job sollten bei der Partnerwahl weniger zählen als die wahre Liebe. Doch ebenso wie für Gideon ist Ethan auch für die Houstoner Klatschpresse ein Niemand, der völlig unter meinem Stand ist.

Ich schüttle den Gedanken ab und wende mich meinem Verlobten zu. »Ignoriere ihn. Du weißt doch, wie er ist.« Himmel, was ist das wieder für ein Standardgefasel von mir. Aber es ist die Wahrheit. Ethan täte gut daran, sich genauso wie Gideon zu verhalten: einfach den anderen nicht beachten. Das würde mir das Leben zumindest sehr erleichtern und beinahe bin ich froh, dass Ethan mich nur sporadisch auf die Galas begleitet. Gleichzeitig bin ich glücklich über jede Minute, die er an meiner Seite verbringt. Eine Zwickmühle, doch wenn er nicht hin und wieder öffentlich an meiner Seite auftritt, kommt die Klatschpresse zu schnell auf die Idee, dass wir uns getrennt haben könnten. Und darauf kann ich definitiv verzichten.

Ethan brummelt etwas Unverständliches und streicht mir dann eine Haarsträhne aus dem Gesicht, wie er es so oft tut. »Sweety, meintest du das ernst, dass wir diese langweilige Gala verlassen dürfen?« Seine Stimme ist leise, beinahe flehend. Ich schließe kurz die Augen und genieße die flüchtige Berührung, lehne mich etwas weiter hinein. Sofort züngelt ein neues Flämmchen in mir, das ich zu gern zu einem Waldbrand beschwören würde. Ich will ihn und er mich ebenfalls.

Mein Mundwinkel zuckt und ich fasse ihn am Arm, spüre seine festen Muskeln unter dem Anzug. »Gib mir fünf Minuten, dann bin ich am Ausgang.« Immerhin kann ich mich nicht verdrücken, ohne mich zu verabschieden. Das gehört sich so, wenn ich weiterhin Einladungen zu den angesagtesten Events der Stadt erhalten möchte, um unsere Firma zu repräsentieren. So läuft das. Sehen und gesehen werden. Präsent sein, um den Status zu demonstrieren. Geld spenden, um zu zeigen, dass man sich sozial engagiert. Zeigen, dass die Firma zu den Top-Unternehmen der Stadt gehört.

Ethan nickt und ich hauche ihm einen Kuss auf die glatt rasierte Wange. Wie gern würde ich ihm über die Lippen streichen, ihn weiterküssen, die zarte Haut an seinem Hals liebkosen. Ich fächere mir mit der Hand Luft zu. Wir müssen definitiv schnellstmöglich von hier verschwinden und ich bin mir nicht sicher, ob ich es bis nach Hause aushalte.

Suchend schaue ich mich um. Dort hinten am Tisch steht die Gastgeberin. Ich bahne mir den Weg durch die vielen Menschen in Abendgarderobe. Teure Düfte beherrschen die Luft, Gold- und Silberaccessoires mit Edelsteinen blitzen im Licht der Kronleuchter auf, sobald sich die betreffende Person bewegt. Einerseits liebe ich diese Events, andererseits ist es eine lästige Pflicht. Früher haben meine Eltern gemeinsam diesen Part übernommen. Natürlich war meine Mutter eine standesgemäße Partnerin und die beiden haben ganz sicher nicht aus Liebe geheiratet. Doch heute ist es anders und ich werde meinen Kopf immer durchsetzen – nur nicht, wenn es um diese Veranstaltungen geht. Hier muss ich mich fügen und die Familie sowie die Firma bestmöglich vertreten. Das bin ich meinem Vater schuldig.

Den Abschied halte ich kurz und nach wenigen schmeichelnden Worten und Entschuldigungen gehe ich hinter Ethan her. Soll der Rest denken, was er will. Wir sind hier gewesen und damit habe ich meine Pflicht erfüllt. Nun habe ich Wichtigeres zu tun, nämlich das fortführen, was Ethan vorhin begonnen hat.

Der hat längst vom Pagen unser Auto vorfahren lassen, obwohl es unkomplizierter wäre, uns von Jacques chauffieren zu lassen. Die Annehmlichkeiten meines Lebensstils schätzt Ethan jedoch eher weniger. Für ihn wäre es vollkommen okay, in einer einfacheren Wohnung zu leben. Personal, ein Penthouse und Luxusautos stehen für ihn hingegen nicht unbedingt an erster Stelle.

Dennoch liebt er den dunkelblauen Audi e-tron und spielt bereits mit dem Gaspedal, als ich am Ausgang ankomme und mir meine Jacke reichen lasse. Ich schmunzle. Trotz seiner offensichtlichen Ungeduld schreite ich ohne Hast die Treppe hinunter und sinke grazil auf den Beifahrersitz. Jetzt bloß nicht noch einen Höschenblitzer riskieren.

»Ich hätte es keine Minute länger ausgehalten.« Ethan schaut mich nicht an, sondern tritt, sobald ich die Tür geschlossen habe, so schwungvoll auf das Gaspedal, dass die Kiessteinchen gegen den Lack der Karosserie spritzen. Vorwurfsvoll schaue ich ihn an, doch sein Blick ist weiterhin stur geradeaus gerichtet.

»Die Gala war fürchterlich.« Er zerrt an seiner Krawatte und öffnet mit einer Hand den obersten Knopf des Hemdes.

Ich seufze innerlich auf. »Du findest jede Veranstaltung langweilig.« Es ist jedoch unerlässlich, dass ich präsent bin. Wer nicht gesehen wird, verschwindet irgendwann in der Versenkung und das dürfen wir uns in dieser wichtigen Phase nicht leisten. Texas-SolarGold-Energy ist das Familienbaby. Ich werde mich hüten, mein Erbe vor die Wand zu fahren. Im Gegenteil: Ich habe Pläne. Große Pläne, wie ich die Marktführerschaft ausbauen kann. Immerhin schläft die Konkurrenz – beispielsweise Gideon Maxwell und sein Vater – nicht.

»Das meine ich nicht und das weißt du.«

»Es zwingt dich niemand, dort mit hinzugehen.« Das tue ich wirklich nicht, auch wenn die Veranstaltungen einer der Punkte sind, deretwegen wir uns öfter streiten.

»Doch. Wenn ich ’nen Abend mit dir verbringen will, habe ich keine Wahl.«

Ich ziehe die Augenbrauen hoch, sage jedoch nichts. Diese Diskussion haben wir bereits bis zum Erbrechen geführt und jedes Mal endet sie damit, dass wir entweder in getrennten Zimmern schlafen oder vor lauter Diskutieren eine schlaflose Nacht verbringen.

Die Dunkelheit fliegt an uns vorbei, die Villen hinter hohen Hecken verborgen, während Ethan den Sportwagen zügig und trotzdem kontrolliert durch die Straßen lenkt. Was wohl in seinem Kopf vor sich geht? Ob er bereits bei seiner kleinen Firma ist? Wenn er mich doch nur investieren lassen würde. Aber es ist sein Unternehmen. Da besteht er auf strikte Trennung und ist stur wie ein Esel. Ein süßer Esel, den man manchmal aber auch zum Mond schießen möchte.

Wir biegen in die Straße ein, die zu dem modernen Wohnhaus führt, in dem ich das Penthouse in der obersten Etage besitze. Eines der wenigen größeren Gebäude mit sechs Stockwerken, denn rundherum befinden sich lediglich die Villen der anderen Reichen.

Ich mustere das Gebäude kurz, während Ethan den Sender für die Einfahrt der Tiefgarage betätigt. Das Rolltor ruckelt hoch und meine Gedanken driften ab. Wie es wohl wäre, weniger Geld zu besitzen? Würde es etwas ändern?

Zum Glück parkt Ethan in diesem Moment auf meinem Stellplatz und sieht mich zufrieden an.

»Sweety, du weißt, dass ich für dich auch Frösche essen würde, wenn es dich glücklich macht, oder?« Dabei schaut er so süß und unschuldig drein, dass ich lospruste. Egal, was andere von ihm halten, für seine Situationskomik muss man ihn einfach lieben.

Als Antwort ziehe ich ihn zu mir heran und verschließe seinen Mund mit einem Kuss. »Hör auf zu reden und mach da weiter, wo du vorhin aufgehört hast«, murmle ich, als ich zwischen den Küssen Luft hole. Sofort gehen seine Finger auf Wanderschaft und zirkeln Linien aus purem Feuer auf meine Haut. Nur der Stoff dazwischen stört und so löse ich mich schwer atmend von ihm. Es braucht kein weiteres Wort, damit er versteht.