Leseprobe Das Feuer der Highlands

1

Dezember 1691, Warwickshire, England

„Ist er tot?“

Sie waren lediglich ein paar kleine Jungen, die beiden, die sich da über ihn unterhielten, und ihre Stimmen klangen gedämpft und doch erregt, während sie darüber diskutierten, ob er wohl noch am Leben sei.

Genau genommen war sich Neil MacCurrie selbst nicht so sicher. Er sollte jetzt also besser die Augen aufschlagen, irgendetwas zu den Burschen sagen und sie bitten, ihm zu verraten, auf wessen Land sich dieses kleine steinerne Cottage befand, in dem er geschlafen hatte. Doch er brauchte noch einen Augenblick Ruhe. Denn erst musste er sich davon überzeugen, dass sein Körper auch wirklich noch funktionierte. Dann würde er sie fragen.

Wenigstens war er letzte Nacht nicht erfroren, obwohl das für eine Weile durchaus im Bereich des Möglichen gelegen hatte; und er war auch nicht überfallen worden auf seinem Weg von London zurück in den Norden, was ebenfalls erfreulich war. Doch alles in allem war die Reise von dem Augenblick an, als sein Cousin Duncan ihn an den Strand von Frankreichs Küste gerudert hatte, nur noch ein einziges Desaster gewesen.

Es hatte eigentlich eine unkomplizierte – und kurze – Reise werden sollen. Neil hatte vorgehabt, James Stuart aufzusuchen und herauszufinden, was der entthronte König nun plante, sofern dieser überhaupt etwas planen sollte. Und gleich im Anschluss daran hatte er unverzüglich wieder nach Hause zurückkehren wollen. Doch nichts war so verlaufen, wie er es sich erhofft hatte. Statt nur einige Tage zu bleiben, hatte er mehrere Wochen in Frankreich verbringen müssen und dort gemeinsam mit Myriaden von anderen auf eine fünfminütige Unterredung mit dem König gewartet. Als diese dann endlich stattfand, war das Gespräch ebenso aufschlussreich wie niederschmetternd gewesen. Aber es half Neil zumindest, sich darüber klar zu werden, was er als Nächstes tun würde.

Das Erste war, wieder nach Hause zu gelangen – eine Aufgabe, die ein ähnlich großes Geschick erforderte, wie den Termin für eine Unterredung mit dem König zu ergattern. Und aufgrund dieser Verzögerungen im Zeitplan bei Hofe hatte er schließlich auch das Schiff verpasst, das er ursprünglich auf seiner Rückreise hatte nehmen wollen. Stattdessen musste er nun mit Kurs auf London reisen, was bedeutete, dass er die letzte Etappe seiner Heimreise auf dem Landweg zurückzulegen hatte, quer durch ein England, das ihn nicht gerade willkommen heißen würde. Und dann auch noch das: Er hatte im Schneesturm die Orientierung verloren. Er hätte besser in Warwick bleiben sollen, als das Unwetter gestern losbrach, doch man hatte ihn dort in dem Gasthof ein wenig zu eindringlich gemustert, und Neil hatte es für klüger gehalten, sogleich weiter in Richtung Norden zu reiten. Es schien also, als ob ganz gleich, was er auch tat, stets etwas Unerwartetes seine Pläne durchkreuzte und ihm einen neuen Kurs aufzwänge. Ganz so, als ob er gegen eine Macht ankämpfte, die ihr kleines Spiel mit ihm trieb und ihn immer wieder dazu herausforderte, sich aus den diversen Irrgärten zu befreien.

Und das war nicht gerade ein Gefühl, das er genoss.

„Ich glaube, er ist tot“, flüsterte einer der Jungen. „Fass ihn mal an.“

„Nein! Fass du ihn doch an!“

Neil öffnete die Augen. Die Burschen hasteten ans andere Ende des Raumes und beobachteten ihn von dort aus mit zutiefst erschrockenen Gesichtern. Sprich Französisch, ermahnte Neil sich im Stillen. Denn diese Tarnung war zwar ermüdend, aber notwendig.

Bonjour“, sagte er.

Die Jungen tauschten einen Blick.

„Hallo“, versuchte er es erneut und achtete dabei auf seinen Akzent. Er wurde damit belohnt, dass ihre Angst sich ein wenig legte. Einer der Jungen schluckte trocken und erwiderte seinen Gruß. Neil machte eine Geste mit der Hand und deutete damit auf die schmutzige Hütte, in der sie sich befanden. „Wo ...?“

„Ronley Hall, Sir“, antwortete der Junge.

Neil lächelte. Er hatte es also gefunden, trotz des tiefen Schnees und der stürmischen Winde, die ihn wahllos in den nächstbesten Unterschlupf getrieben hatten. Bei gutem Wetter hätte er Ronley Hall in zwei Stunden erreicht, der Schneesturm aber hatte ihm das Vorwärtskommen praktisch unmöglich gemacht, und Neil hatte sich schließlich bereits damit abgefunden, dass er die Nacht draußen im Freien würde verbringen müssen. Als zwischen dem Eisregen, der auf ihn einprasselte, dann aber plötzlich dieses Cottage aufgetaucht war, hatte er ein inständiges Dankesgebet gemurmelt. Er war in das verlassene Haus hineingestolpert und hatte eine hastige Mahlzeit zu sich genommen, ehe er sich in seinen Überzieher eingewickelt und sich dem Schlaf hingegeben hatte.

Nun begann Neil, sich wieder zu entspannen. In London hatte man ihm gesagt, dass dieses Haus, zwischen Warwick und Coventry gelegen, sicher sei und dass Sir Adam Ronley jene, die seine politische Meinung teilten, willkommen hieße. Endlich, so hatte es zumindest den Anschein, schien sich das Blatt für Neil also wieder zu wenden.

„Sir Adam?“

Die Jungen tauschten erneut einen Blick untereinander aus. Schließlich bedeuteten sie ihm mit einer Geste, ihnen zu folgen. Sie führten ihn nach draußen ins Tageslicht, wo Neil innehielt und einen Moment stehen blieb, um sich umzusehen. Er hatte die Nacht in der alten Hütte eines Pförtners verbracht. Sie lag am Rande des zu diesem Herrenhaus gehörenden Grundstücks und nur ein paar Minuten vom Haupthaus entfernt. In dem Schneesturm hatte er die neue Hütte, die ganz in der Nähe errichtet worden war, nicht gesehen, und auch nicht die kleine Gruppe von Nebengebäuden oder die lange, gewundene Auffahrt, die zu dem eleganten Landsitz hinaufführte. Offensichtlich war Sir Adam ein wohlhabender Mann.

Im Innenhof angekommen, wo die Lakaien Neil mit neugierigen Fragen, jedoch ohne Feindseligkeit empfingen, verließen die Jungen ihn wieder. Neil sprach zu den Lakaien auf Französisch beziehungsweise in stark gebrochenem Englisch mit einem auffälligen Akzent und erkundigte sich, wie weit es noch bis nach Coventry sei. Sie verstanden ihn jedoch nicht und wussten auch nicht, was sie mit ihm anfangen sollten, das war offensichtlich. Man musterte Neil also lediglich mit weit aufgerissenen Augen und versicherte sich dann gegenseitig, dass jemand Milford holen solle. Anschließend geleiteten sie Neil in die Eingangshalle, wo man ihn zu einem Platz am Kamin führte.

Das Mädchen, das ihm einen Teller mit dampfendem Essen brachte, sagte, dass Milford bald kommen würde. Als Neil sie anlächelte, huschte sie geschwind wie eine Maus wieder davon. Er aß seine Mahlzeit ohne jede Hast und ignorierte auch die neugierigen Blicke, die ihm von den geschäftig hin und her eilenden Hausbediensteten zugeworfen wurden. Höchstwahrscheinlich war dieser Milford hier der Gutsverwalter oder Haushofmeister, und man würde ihn losschicken, um den Neuankömmling zu inspizieren und anschließend seinem Herrn davon zu berichten. Neil würde also höflich sein, offen sprechen aber wollte er nur mit Sir Adam persönlich.

Er musste lange warten, doch er war damit zufrieden, vor dem riesigen Kamin in der gemütlichen Halle zu stehen, die mit dem langen Tisch, an dem er seine Mahlzeit eingenommen hatte, den Sesseln vor der Feuerstelle und den Sofas, die unter die verglasten Fenster geschoben worden waren, recht großzügig ausgestattet war. An den Wänden hingen Bilder, und auf einem Tisch stand eine chinesische Vase. Sir Adam ließ es sich zweifellos gut gehen.

Neil warf seinen Überzieher auf eine in der Nähe stehende Bank und knöpfte seinen Gehrock auf. Währenddessen dachte er, dass, egal, wie lange er diese französische Kleidung nun schon trug, sie sich immer noch nicht wie seine eigene anfühlte. Aber lange würde er sie ja auch nicht mehr tragen müssen. Für den Augenblick jedenfalls war er satt, und ihm war warm, und schon bald würde er wieder Englisch sprechen können. Zwar war seine List bislang erfolgreich gewesen, und wenn er bis nach Hause gelangen wollte, würde er sie wohl auch noch weiterhin anwenden müssen, aber er war diese Verstellung mittlerweile doch herzlich leid.

Der Mann, der sich nach einer Wartezeit von mehr als einer Stunde schließlich zu ihm gesellte, war groß und korpulent, aber körperlich gut in Form, und um einige Jahre älter als Neil. Sein dunkles Haar war noch nass vom Schnee. Und sein Gesicht hatte einen wachsamen Ausdruck. Für einen Augenblick blieb er in der Tür stehen, dann trat er in die Halle ein, gefolgt von mehreren bewaffneten Männern, die sich sogleich an der Wand entlang aufreihten. Er trat vor Neil und blickte ihm in die Augen.

Neil nickte. „Monsieur.“

 

Eileen Ronley schaute von ihrer Stickarbeit auf, als Sim in das Zimmer stürzte und schlitternd vor ihr zum Stehen kam. Der magere Junge war völlig außer Atem, und sein Gesicht war vor Sorge verzerrt, aber da Sim bereits den Großteil seiner zehn Lebensjahre in dieser Verfassung verbracht hatte, war Eileen nicht sonderlich alarmiert. Dennoch, seine Aufregung war ansteckend, und schließlich schenkte Eileen ihm ihre volle Aufmerksamkeit.

„Ihr werdet unten in der Halle verlangt, Miss“, erklärte Sim keuchend. „Milford hat mir aufgetragen, Euch zu sagen, dass Ihr Euch beeilen sollt, denn er braucht Euch sofort.“

Eileen seufzte und ließ den Blick über den Kopf des Jungen hinwegschweifen. Milford ließ ihr doch immer ausrichten, dass sie sich beeilen sollte. Er dachte nie an die Bedürfnisse anderer, sondern stets nur an seine eigenen; alles musste immer genau nach seinen Wünschen erfolgen. Sie wusste, was er wollte – sie sollte in die Halle hinuntereilen, lächeln und dann einfach nur dasitzen, während der neueste von Milfords Heiratskandidaten sie begutachtete.

Aber was würde dieser Mann dann erblicken? Eine junge Frau mit dickem, blondem Haar, das sich trotzig gegen die Haarnadeln wehrte, mit denen Eileen es zu bändigen versuchte; eine junge Frau, deren Sommersprossen einfach nicht verblassen wollten, egal, wie sorgsam sie auch die Sonne mied. Und schließlich würde auch dieser sie nicht heiraten wollen. Doch zumindest hatte Eileen den Trost, dass es nicht bloß ihre Person war, die er zurückweisen würde. Denn eine Frau ohne Beziehungen oder Mitgift war auf dem Heiratsmarkt generell nicht gerade willkommen, zumal, wenn ihre Familie sich auch noch auf die falsche Seite in dem Krieg zwischen König James und König William geschlagen hatte.

Wie gewöhnlich hatte Milford sie nicht vorgewarnt und wollte nicht, dass sie sich noch die Zeit nehmen konnte, um ihre Kleidung zu wechseln oder sich das Haar zu kämmen. Wieder seufzte Eileen leise und blickte an dem Gewand hinab, das sie trug. Es war eines ihrer ältesten Kleider und schwarz, trotz der Tatsache, dass sie die Trauerzeit längst hinter sich hatte. Zwei Jahre waren es nun schon – zwei lange Jahre – seit dem Tod ihrer Eltern, aber für neue Kleidung war kein Geld da gewesen. Eileen konnte sich also nicht den Luxus leisten, es einfach beiseitezulegen. Wieder einmal würde dieses schäbige Kleid eben genügen müssen.

„Beeilt Euch, Miss, bitte.“ Sim hüpfte nervös von einem Bein auf das andere, die Brauen sorgenvoll zusammengezogen.

Eileen lächelte ihn an, um ihn zu beruhigen. „Mach dir keine Sorgen, Sim. Sag Milford, dass ich in Kürze unten sein werde.“

Der Junge flitzte davon, doch Eileen rief ihn noch einmal zurück.

„Wie sieht dieser hier denn aus?“, fragte sie.

Sims Gesichtsausdruck wechselte von Besorgnis zu Verwirrung.

„Da ist doch ein Mann, von dem Milford wünscht, dass ich ihn kennenlernen soll?“

Der Junge nickte.

„Also, wer ist er?“

„Ich habe ihn noch nie zuvor gesehen, Miss.“

„Wie sieht er denn aus?“

Sim zuckte mit den Schultern. „Groß. Furcht einflößend, Miss. Er schaut geradewegs durch einen durch. Milford hat seine Wachen mitgebracht.“

„Na großartig“, murmelte Eileen. Somit würde dies dann also wohl endlich jener Mann sein, der so geringe Ansprüche stellte, dass er sogar bereit sein würde, jemanden wie sie zu heiraten.

 

Als Eileen die Halle betrat, saß Milford am Ende des langen Tisches. Der Fremde hatte sich ihm direkt gegenüber gesetzt und kehrte Eileen den Rücken zu. Sim hatte recht; der Fremde war groß und kräftig. Und schwer bewaffnet. Von seiner Hüfte baumelte ein Schwert herab und von seiner Taille ein langer Dolch, und in den Seiten seines Gürtels steckten zwei Pistolen.

In der Vergangenheit, wenn Milford sie einem potenziellen Ehemann vorgestellt hatte, hatte er stets eine aufgesetzte Herzlichkeit zur Schau getragen, hatte sie überschwänglich begrüßt und sie ganz so behandelt, als ob sie eine hochgeschätzte Verwandte von ihm sei, die er nur äußerst ungern verlor. Nun aber warf er ihr lediglich einen raschen Blick zu und grunzte irgendetwas Unverständliches, zum Zeichen, dass sie sich zu ihnen gesellen sollte. Milfords Wachen, die hinter ihm nahe beim Kamin standen, wirkten erleichtert, als sie Eileen erblickten.

Eileen schritt auf die beiden Männer zu und blieb dann neben dem Fremden stehen, schaute jedoch nicht in dessen Gesicht. Das Wenige, das sie im Näherkommen von ihm gesehen hatte, war schon einschüchternd genug gewesen. Er trug keine Perücke, sondern hatte sein dunkles Haar stattdessen ordentlich zurückgestrichen und im Nacken zusammengebunden. Seine Kleidung war sehr modisch geschnitten. Er trug einen schwarzen, auf Figur geschneiderten Brokatrock, der sich über seine breiten Schultern spannte und sich eng um seinen schlanken Oberkörper schmiegte; neben ihm auf der Bank lag ein mit einer zopfmusterartigen Borte eingefasster Überzieher aus feiner schwarzer Wolle. Sein leinenes Hemd war weiß, seine leicht gerafften Kniebundhosen aus Büffelleder gefertigt und sein Halstuch aus Seide. In seinen langen Fingern lagen schlichte, schwarze Lederhandschuhe. Er war offensichtlich ein begüterter Mann.

Eileen schaute an ihrer eigenen Kleidung hinab, erblickte die vielen Stellen, an denen sie den Musselinstoff geflickt hatte, sah den Riss im Saum. Der Fremde musste sie für eine Bettlerin halten.

„Er ist Franzose“, sagte Milford. „Oder zumindest spricht er Französisch.“

Der Fremde erhob sich und blickte sie an. Er war sehr groß; Eileen trat einen Schritt zurück, als er sich vor ihr verbeugte und sich anschließend wieder aufrichtete, um ihr in die Augen zu schauen. Der Fremde war außergewöhnlich attraktiv, und irgendwie wusste sie sofort, dass er sich dessen auch bewusst war. Seine Augen waren von einem tiefen Blau, umrahmt von schwarzen Wimpern und geraden Augenbrauen, seine Wangen waren mit dunklen, seit mehreren Tagen ungehindert wachsenden Bartstoppeln bedeckt, seine Nase gerade und sein Mund breit. Mit diesem Bart war es schwer, sein Alter einzuschätzen; er war wahrscheinlich in den Dreißigern, aber er hätte auch noch jünger sein können. Er beobachtete Eileen dabei, wie sie ihn eingehend musterte, und in seinen Augen zeigte sich nun ein amüsierter Ausdruck.

„Mademoiselle“, sagte er auf Französisch. „Ich hoffe, ich finde Eure Billigung.“

Eileen spürte, wie ihre Wangen sich purpurrot färbten. Keiner der Männer, die Milford bislang hierher gebracht hatte, hatte ausgesehen wie dieser.

„Du sprichst doch Französisch, richtig?“, fragte Milford sie.

„Ja“, erwiderte Eileen.

„Dann rede mit ihm“, befahl Milford. „Finde seinen Namen heraus und wo er herkommt.“

Eileen zog die Augenbrauen hoch. „Wisst Ihr denn nicht, wer er ist?“

„Zwei Jungen haben ihn gefunden, wie er in dem alten Cottage schlief. Wie soll ich da wissen, wer er ist?“ Milford blickte sie mit gerunzelter Stirn an, dann gab er ein lautes Grunzen von sich. „Ich habe ihn nicht hierher gebracht, um zu sehen, ob er dich heiraten will, Eileen, falls es das ist, was du denkst. Und sag ihm, dass er sich wieder setzen soll.“

Eileen nickte und ließ sich auf der Bank neben dem Fremden nieder, strich ihre Röcke glatt und versuchte, sich auf die französischen Verben zu konzentrieren und nicht an den vor ihr sitzenden Mann zu denken.

„Sprich mit ihm“, forderte Milford sie abermals auf und verschränkte die Arme vor der Brust.

Eileen tat, wie ihr befohlen wurde. Zunächst jedoch nur zögerlich, denn der Fremde musterte sie mit einer Eindringlichkeit, die sie nur schwer ignorieren konnte. Eileen fand die ganze Situation sehr zermürbend.

„Willkommen in Ronley Hall, Sir“, begann sie. „Ihr sprecht offenbar Französisch.“

Oui, Mademoiselle.“

„Und auch ein bisschen Englisch?“

Un petit peu.“

„Was sagt er?“, verlangte Milford zu wissen.

„Ich habe ihn willkommen geheißen. Und er sagt, dass er Französisch spricht und ein bisschen Englisch.“

„Das wussten wir bereits! Frag ihn, wer er ist.“

„Euren Namen, Sir?“, fragte Eileen den Fremden auf Französisch.

„Belmond, Mademoiselle.“

„Ist das sein Name? Belmond?“, fragte Milford. „Wie lautet der Rest davon? Woher kommt er?“

Sie fragte ihn.

„Jean-Paul, Miss. Jean-Paul Belmond.“

„Ihr seid Franzose, Sir?“

Oui.“

„Woher?“

Belmond verzog den Mund langsam zu einem Lächeln, und in seiner linken Wange blitzte ein Grübchen auf. Eileen hielt den Atem an, sah, dass er das bemerkte, und fühlte prompt eine Woge des Ärgers in sich aufwallen. Dieser Mann war sich seiner selbst ausgesprochen sicher.

„London, Mademoiselle.“

Milford rutschte unruhig hin und her. „London! Er ist aus London? Wer ist er dann, einer von diesen Hugenotten?“

Oui, Monsieur“, antwortete Belmond, an Milford gewandt. „Hugenotte.“

„Aus London. Wo in London?“

„Spitalfields“, entgegnete Belmond und warf Eileen einen raschen Blick zu. „Und ich spreche wirklich ein bisschen Englisch, Mademoiselle.“

Sie nickte. Spitalfields war voller Hugenotten, Religionsflüchtlingen, die das Frankreich unter Ludwig XIV. verlassen hatten, nachdem dieser das Edikt von Nantes wieder aufgehoben und ihnen damit ihre Religionsfreiheit genommen hatte. In England jedoch hatte man sie als protestantische Brüder und Schwestern und Befürworter von König William natürlich willkommen geheißen.

„Ihr seht aber nicht gerade nach einem Weber aus“, warf Milford ein. Er wandte sich zu Eileen um. „Sag ihm das.“

Als Eileen dem Fremden diesen Einwand übersetzte, lächelte Belmond erneut. „Nicht alle Hugenotten sind Weber, und auch keine Schneider oder Uhrmacher, Mademoiselle. Ich bin Soldat.“

„Ein Soldat“, wiederholte Milford, als Eileen es ihm übersetzte. „Wo will er denn hin, um als Soldat zu kämpfen?“

„Schottland. Um meine Dienste König Williams Armee anzubieten.“

„Was hat er da gerade über William gesagt?“, fragte Milford. „Sag ihm, dass ich bei Maastricht an König Williams Seite gekämpft habe und dass ich ihm auch während der Schlacht von Boyne die ganze Zeit über zu Diensten gewesen bin.“

Das brauchte Eileen dem Fremden nicht zu übersetzen. Noch ehe sie Milfords Erklärung auf Französisch wiederholt hatte, blitzte etwas in Belmonds Augen auf, das dann aber sogleich wieder unterdrückt wurde. Zorn? Nur warum sollten Milfords Worte einen Hugenotten in Zorn versetzen?

„Ein Kampfgefährte“, sagte Belmond an Milford gewandt auf Englisch und mit einem starken Akzent.

Milford nickte lächelnd. „Ihr werdet feststellen, dass William ein guter Befehlshaber ist. Wo wollt Ihr denn zu seiner Armee dazustoßen?“

„Wo immer ich auf sie treffe“, erwiderte Belmond über Eileen.

„Dann werdet Ihr dort aber wohl eine ganze Weile ausharren müssen. Denn diese verdammten Schotten wollen sich einfach noch nicht damit abfinden, dass sie den Thron bereits unwiederbringlich verloren haben.“

„Ich vermute mal, solange James Stuart noch lebt, so lange wird auch die Angst weiterleben, dass er noch einmal versuchen könnte, seine Krone wieder zurückzugewinnen.“

Eileen übersetzte und beobachtete, wie sich die beiden

Männer daraufhin mit Wohlwollen anschauten. „Zwei Söldner also“, bemerkte sie voller Abscheu. „Ihr verkauft Eure Fähigkeit zu töten.“

Belmond zuckte mit den Schultern. „Ein Mann muss schließlich essen.“

„Ihr seht mir aber nicht gerade nach einem mittellosen Mann aus.“

„Ich bin ein zweitgeborener Sohn, Mademoiselle, also wurde ich Soldat.“

„Der zweitgeborene Sohn eines Edelmannes?“

„Eines Kaufmanns.“

„Eines Kaufmanns. Aus der Bretagne?“ Belmond nickte.

Milford beugte sich vor. „Von wo genau aus der Bretagne stammt er denn?“

„Aus einer kleinen Stadt, die niemand kennt“, erwiderte Belmond.

„Wie lautet der Name dieser Stadt, Sir?“, hakte Eileen nach.

„St. Sebastian.“

„Wo liegt das?“

„Westlich von St. Malo, was Euch aber wahrscheinlich auch nichts sagen wird, Mademoiselle.“

„Ganz im Gegenteil, Sir, das sagt mir sogar sehr viel. Liegt Euer Heim damit zwischen Dinard und St. Malo oder zwischen Dinard und St. Brieuc?“

Eilends verbarg Belmond seine Überraschung. „Westlich von Dinard“, entgegnete er vorsichtig.

Milford fragte gereizt: „Was hat er gesagt?“ Als Eileen es ihm berichtete, grunzte er. „Westlich von Dinard, östlich von Dinard, wen interessiert denn das schon? Liegt schließlich alles in Frankreich.“

Sie lächelte den Franzosen zaghaft an und wurde mit einem ebenfalls kurz aufblitzenden Lächeln belohnt.

Milford jedoch knurrte. „Freunde dich nicht mit ihm an, Mädchen, stell ihm einfach nur Fragen. Aber wenn du ihn, nachdem wir mit ihm fertig sind, immer noch haben willst, dann sollst du ihn von mir aus bekommen. Oder er dich, müsste ich wohl besser sagen. Vielleicht heiratet er dich ja sogar.“ Er grinste süffisant und blickte zu seinen Männern hinüber.

Eileen atmete einmal tief durch und erinnerte sich daran, dass es ihr nicht das Geringste nützen würde, allzu hitzig mit jenem Mann zu sprechen, der ihr zumindest noch immer erlaubte, unter diesem Dach zu wohnen. „Ihr werdet schon Eure Zunge im Zaum halten müssen, Milford, oder ich werde Euch diesen Gefallen nie tun“, entgegnete sie so milde und beherrscht, wie sie nur konnte.

Milford lachte, doch seine Männer tauschten nur rasch einige Blicke, und überhaupt wirkten sie, als sei ihnen unbehaglich zumute. Eileen blickte in Belmonds Augen. Und erkannte schockiert, dass er alles, was sie gesprochen hatten, verstanden hatte.

„Er behandelt Euch wirklich nicht sonderlich höflich“, bemerkte Belmond auf Französisch. „Selbst mit einem Dienstmädchen sollte man so nicht sprechen. Zumal ich vermute, dass Ihr auch gar kein Dienstmädchen seid. Spricht denn keiner von ihnen Französisch?“

Eileen schüttelte den Kopf.

„Wie kommt es dann, dass Ihr Französisch sprecht?“

„Ich habe guten Unterricht genossen.“

„Fließt in Euren Adern dann auch französisches Blut?“ Eileen lächelte, als sie an ihren Stammbaum dachte.

„Das liegt schon lange zurück. Allerdings versteht auch Ihr recht viel Englisch, Sir.“

„Wenn man hier lebt, kann man gar nicht anders, als den einen oder anderen Brocken von der Sprache aufzuschnappen.“

„Warum sprecht Ihr dann nicht selbst mit ihnen?“

„Das habe ich ja versucht. Aber sie verstehen mich nicht. Ich kenne eben doch nicht alle Wörter, die ich dafür bräuchte.“

„Wie lange seid Ihr schon in England?“

„Fast ein Jahr.“

„In London?“

„Die meiste Zeit über.“

„Habt Ihr Heimweh?“

Für einen kurzen Moment zeigte sich ein wehmütiger Zug auf seinem Gesicht. „Großes Heimweh.“

„Wo ist Euer Zuhause, Sir?“

Sein Gesicht nahm wieder einen wachsamen Ausdruck an. „Jetzt in London. Ursprünglich aber in der Bretagne.“ Eileen schüttelte den Kopf. „Ihr stammt nicht aus der Bretagne, Monsieur Belmond. Wahrscheinlich seid Ihr noch nicht einmal Franzose, wenngleich Euer Französisch hervorragend ist. Und ich vermute, Ihr seid auch nicht der Sohn eines Kaufmanns.“

„Ihr zweifelt an meinen Worten, Mademoiselle?“

„Ja.“

„Ich habe Euch aber die Wahrheit gesagt.“

„Und ich würde jede Wette darauf eingehen, dass Ihr das nicht getan habt.“

„Würdet Ihr das?“ Belmond musterte Eileen einen Augenblick lang. „Ist Milford Sir Adams Sohn?“

„Nein. Aber nach Sir Adams Tod kaufte Milford das Anwesen.“

Milford richtete sich mit einem Ruck auf. „Sir Adam?

Hat er dich gerade nach Sir Adam gefragt?“ Eileen nickte.

„Frag ihn, warum.“

Belmond antwortete auf Französisch. „Man hatte mir gesagt, dass Ronley Hall Sir Adam gehöre.“

„Frag ihn, wer ihm gesagt hat, dass er sich nach Sir Adam erkundigen sollte.“

Belmond wiederholte seine Antwort. Eileen übersetzte sie für Milford, biss sich dann aber auf die Lippe.

„Warum ist es falsch, sich nach Sir Adam zu erkundigen?“, fragte Belmond sie.

„Der letzte Mann, der sich namentlich nach ihm erkundigte, war ein Anhänger von Williams Feind.“

„Man darf noch nicht einmal seinen Namen aussprechen?“

„Den Namen des abgesetzten Königs? Das wäre nicht besonders klug.“

„Das verstehe ich nicht. Es war doch nur eine einfache Frage ohne speziellen Hintergrund.“

„Der ehemalige Eigentümer dieses Anwesens ertrank einen Tag, nachdem er König William denunzierte, in der Themse. Das war vor zwei Jahren. Seit seinem Tod waren die einzigen Reisenden, die sich nach ihm erkundigten, alles Sympathisanten des abgesetzten Königs.“

„Was erzählst du da?“, mischte sich Milford ein.

Belmond legte beide Hände auf den Tisch und beugte sich zu Milford hinüber. „Ich will mich König Williams Armee anschließen“, erklärte er auf Englisch.

Milford nickte, doch sein Gesichtsausdruck war noch immer skeptisch.

„Wer seid Ihr, Miss?“, fragte Belmond nun Eileen. „Seid Ihr eine Verwandte von ihm?“

„Nein.“

„Seid Ihr seine ...?“ Er ließ die Worte unausgesprochen, doch Eileen erahnte ihre Bedeutung.

„Ich bedeute ihm nichts. Er war so großzügig, mich nicht auf die Straße zu setzen, als er das leicht hätte tun können. Und ich verrichte bloß einige kleine Arbeiten, nichts von Bedeutung. Ich bin also lediglich eine weitere Last. Er versucht zwar, jemanden zu finden, der mich heiratet, aber das ist unwahrscheinlich, denn ich besitze keine Mitgift, und niemand will eine Frau heiraten, die keinen Pfennig Geld hat.“

Wieder lächelte Belmond. „Ich dagegen hätte gedacht, dass es zahlreiche Männer gibt, die Euch gerne heiraten möchten, Mademoiselle. Und Eure fehlende Mitgift ist kein so großes Hindernis, wie Ihr glaubt.“

„Der Grund ist auch eher, dass mein Vater den König angeprangert hatte und dann für seine Unvorsichtigkeit ermordet wurde.“

„Sir Adam war Euer Vater?“

„Ja.“

„Und Eure Mutter? Lebt sie noch hier bei Euch?“

„Sie starb mit ihm. Sie stammte aus dem Land im Norden, Sir, und das ist dieser Tage in England eine Eigenschaft, die der Gesundheit nicht sonderlich zuträglich ist.“

„Eure Mutter kam also aus Schottland?“

„Ja. Aus den Highlands. Eine MacKenzie.“

„MacKenzie. Eure Mutter war eine MacKenzie. Wie war ihr Name?“

„Catriona MacKenzie.“

Belmond starrte sie an. Und Eileen wusste Bescheid. Milford erhob sich. „Das gefällt mir nicht. Worüber redet ihr denn da?“

„Darüber, was ihn in Schottland erwartet“, erwiderte Eileen und bemühte sich, gelassen zu klingen.

„Wilde – das ist es, was ihn dort erwarten wird. Worüber sprecht ihr sonst noch?“

„Ich habe ihm erzählt, dass meine Mutter Schottin war.“

„Aber wenigstens war deine Mutter klug genug, Schottland zu verlassen und ihr Leben hier zu verbringen“, erwiderte Milford. „Zu dumm, dass sie dann nicht auch noch

so klug war, einen anderen als diesen geschwätzigen Bastard zu heiraten.“

Eileen schloss für einen Augenblick die Augen und kämpfte ihren Zorn nieder. Denn sie konnte ja noch nicht einmal etwas darauf erwidern. Milford hatte schließlich recht; ihr Vater war ein Bastard gewesen, der unehelich geboren worden war. Und seine unbedachten Worte hatten ihm letztlich sogar den Tod gebracht und auch ihre Mutter getötet.

Belmond blickte einen Moment lang schweigend auf seine Handschuhe hinab. Als er aufstand, sah er Eileen wieder an. „Bitte sagt Milford, dass ich ihm sehr dankbar bin für die Mahlzeit und für die wenigen Stunden Schlaf, die ich in der Hütte genießen durfte, aber jetzt muss ich wieder aufbrechen. Solange es noch hell ist. Bitte richtet ihm das aus, Mademoiselle. Und vielen Dank für Eure Hilfe.“

Als Eileen dies übersetzte, schüttelte Milford den Kopf.

„Nein, der wird noch nicht so schnell wieder gehen. Ich weiß, du meinst, ich wäre dumm, Eileen, aber das bin ich nicht.“ Damit wandte er sich zu seinen Männern um.

„Bringt ihn in den Keller! Durchsucht ihn!“

Belmond trat einen Schritt vom Tisch zurück und zog sein Schwert. „Monsieur“, sprach er auf Englisch an Milford gewandt. „Ich will mich König Williams Armee anschließen.“

„Aber nicht sofort.“ Milford machte eine Geste in Richtung seiner Männer.

Belmond trat einen weiteren Schritt zurück. Eileen wich nach rechts aus und wollte ihm aus dem Weg gehen. Belmond bewegte sich in die gleiche Richtung und prallte hart gegen sie, fing sie jedoch rasch auf, ehe sie zu Boden stürzen konnte. Doch diese schlichte Geste, seine Hand auf ihrem Arm, lieferte Milfords Männern genau jenen Vorwand, den sie gebraucht hatten. Voller Entsetzen beobachtete Eileen, wie sie sich auf Belmond stürzten.

Der Kampf war sehr schnell wieder vorbei. Belmond kämpfte zwar gut und verteidigte sich mehr, als dass er angriff, drängte einige seiner Widersacher sogar mit dem Rücken gegen die Wand. Doch sie waren zu zehnt, und sie stürmten von allen Seiten auf ihn los. Als einer von ihnen Belmond schließlich zu Boden schlug, fielen auch die anderen über ihn her und hieben und droschen so lange auf ihn ein, bis er sich nicht mehr bewegte. Dann schleiften sie ihn über den Boden auf die Kellertreppe zu.

2

James MacCurrie trat an den Rand der Brustwehr von Castle Currie und ließ seinen Blick über Loch Torridon schweifen. Er nahm jedoch weder die mit Eis überzogene Landschaft der Highlands wahr, die noch immer von dem Schnee bedeckt war, den der Sturm am Tag zuvor über sie hinweggepeitscht hatte. Noch sah er die Schiffe, die sich im eisigen Wasser des tief unter ihm gelegenen Hafens dicht aneinander gedrängt hatten.

Neil war in Gefahr.

Sein Zwillingsbruder hatte ihm in den vergangenen zwei Monaten etliche Botschaften gesandt, Botschaften der Enttäuschung, des Zorns, der Resignation und der Ungeduld. Doch keine Spur von Angst oder Schmerzen. Bis zu diesem Morgen. James drehte sich nicht um, als seine Ehefrau Ellen leise an seine Seite trat, doch er legte den Arm um sie und zog sie an sich.

„Ist es Neil?“, fragte sie mit leiser Stimme.

Er nickte grimmig. Dann beugte er sich zu ihr hinab, um ihr einen Kuss auf den Scheitel zu drücken. Er brauchte ihr nichts zu erklären; Ellen wusste, dass er und sein Zwillingsbruder Mittel der gemeinsamen Verständigung besaßen, die weder der Worte noch der persönlichen Anwesenheit bedurften. So hatten sie sich schon immer verständigt, selbst als sie noch kleine Jungen gewesen waren. Sie hatten schon immer die Fähigkeit besessen, einander starke Ströme von Emotionen zu schicken, hatten schon immer instinktiv gewusst, wenn der andere sich in Gefahr befand. Diese besondere Fähigkeit hatte den MacCurrie-Brüdern schon mehr als einmal das Leben gerettet.

Als James Ellen kennengelernt und sich in sie verliebt hatte, war die Bindung zwischen den beiden Zwillingen auf die Probe gestellt worden; anschließend hatte sie dadurch zwar nicht an Kraft verloren, doch sie hatte sich verändert. Selbst zwei Jahre des Krieges, die sie gemeinsam durchgestanden und die sie zum größten Teil fern der Heimat verbracht hatten, hatten nicht jene Verbindung wiederherstellen können, die sie als Jungen zwischen sich gespürt hatten. Was, so vermutete James, aber auch nur natürlich war. Denn sie waren mittlerweile erwachsene Männer und keine Burschen mehr. Es war der Augenblick gekommen, an dem man die alten Zeiten hinter sich lassen musste, und doch hatte er sich noch immer nicht so ganz an die Veränderungen gewöhnt, die die letzten beiden Jahre mit sich gebracht hatten.

Vor zwei Jahren war ihr Vater Alistair noch am Leben gewesen; und James Stuart hatte auf dem Thron von England, Schottland und Irland gesessen. Neil war damals noch sein Zwillingsbruder gewesen und nicht sein Gutsherr. Und weder Ellen noch sein Sohn waren zu diesem Zeitpunkt bereits in sein Leben getreten. James warf einen Blick über seine Schulter hinweg und zu der Bank hinüber, auf der seine Großmutter Mairi den drei Monate alten John Alistair MacCurrie in den Armen hielt. Er zog seine Ehefrau noch ein wenig enger an sich. Am stärksten fühlte er sich nun mit Ellen verbunden, dieser Frau, die er über alle Maßen liebte und die neben ihrem gemeinsamen Sohn die wichtigste Rolle in seinem Leben spielte. Und erst an zweiter Stelle folgte sein älterer Bruder. Das war für ihn eine ganz neue Art des Denkens.

Sein Sohn fuchtelte mit einer rundlichen Faust herum, und James schenkte ihm ein zärtliches Lächeln. Sie hatten das Kind nach Ellens Cousin, John Graham, benannt und nach James‘ Vater. Er hatte Alistair aber nicht als ersten Vornamen seines Sohnes verwendet. Das wollte er Neil überlassen, dem Grafen von Torridon und Oberhaupt des Clans der MacCurries. Denn es war nur recht und billig, wenn der Sohn seines Bruders diesen Namen fortführen würde. Falls Neil jemals einen Sohn haben sollte. Falls Neil wieder nach Hause kam.

„Was ist los?“, fragte Ellen.

„Ich bin mir nicht sicher“, erwiderte James. „Irgendeine Gefahr, irgendetwas, mit dem er nicht gerechnet hatte. Er ist wütend auf sich selbst.“

„Aber das bedeutet doch, dass er noch am Leben ist.“ James nickte. Ellen hatte recht; wirkliche Sorgen musste man sich erst machen, wenn von seinem Bruder gar keine Signale mehr kamen, denn das würde bedeuten, dass Neil schwer verletzt wäre. Oder gar tot.

„Dieses Zeichen war aber stärker als die anderen“, sagte er. „Zorn. Und dann ein Ruck, als wenn ihm in dem Moment plötzlich aufgegangen wäre, dass er sich in Gefahr befindet.“

„Und seitdem?“

„Nichts mehr.“

„Kannst du spüren, wo er ist?“

„Nein.“ James legte die Stirn in Falten. „Er hätte schon vor einem Monat wieder zu Hause ankommen müssen.“

„Diese Reisen nach Frankreich sind aber doch schon immer sehr unterschiedlich verlaufen, Liebling. Einige waren recht kurz, andere haben übermäßig lange gedauert.“

„Jede einzelne von ihnen hat zu lange gedauert“, widersprach er ihr. „Ich hätte an seiner Stelle fahren sollen.“

Ellen ließ ihren Blick von James zu ihrem Sohn hinüberschweifen.

James küsste sie auf die Stirn und lenkte ihre Aufmerksamkeit damit wieder auf sich. „Aber wie hätte ich dich nach einer so langen Zeit der Trennung und angesichts der Tatsache, dass du kurz vor der Niederkunft standest, denn schon wieder verlassen können? Ich hätte gar nicht gehen können. Und Neil wusste das.“

„Neil ist sehr großzügig gewesen, dass er dich die ganzen Monate über hat hier bleiben lassen.“

„Aber nicht ganz so großzügig, wie du vielleicht meinst. Mit mir hier konnte er nämlich durch die Lande ziehen und hatte trotzdem noch jemanden, der auf Torridon Acht gab.“ Er lachte. „Es hat also durchaus Vorteile, ein Zwilling zu sein. Und ich denke, er hat die Reisen auch genossen.“

„Trotz der Gefahr.“

„Gerade wegen der Gefahr, Mädchen.“ Sein Gesichtsausdruck wurde wieder ernst. „Zumindest bis jetzt. Irgendetwas ist passiert, Ellen. Ich weiß nicht, was, aber es ist nichts Gutes, so viel steht auf jeden Fall fest. Und ich kann noch nicht mal zu ihm reisen. Seit Duncan ihn an der französischen Küste abgesetzt hatte, konnten wir nicht mehr mit Sicherheit sagen, wo er sich gerade aufhielt. Er kann jetzt also überall sein zwischen hier und dort.“

„Also, was wirst du tun?“

Er zog Ellen noch ein wenig enger an sich. „Warten. Wir werden warten. Ich bin mir sicher, dass ich schon bald von ihm hören werde.“

„Und wenn nicht?“

„Wenn nicht ...“ James starrte auf das Meer hinaus.

„Ich weiß es nicht. Ich vermute, dass Duncan und ich dann nach Frankreich reisen werden.“

 

Neil öffnete langsam die Augen. Sie hatten wirklich gute Arbeit geleistet, diese Dreckskerle; sein ganzer Körper tat ihm weh. Er lag im Dunkeln auf dem Rücken, auf einem kalten Fußboden. Seine Handgelenke und seine Fußknöchel waren mit Stricken gefesselt, und seine Stiefel und Strümpfe waren verschwunden. Er spürte den harten Steinboden unter seinen Schultern, das getrocknete Blut an seinen Lippen und in seinem Mund. Seine Zähne waren aber alle noch da. Das war zumindest schon mal ein Anfang.

Neil stöhnte schmerzgepeinigt, als er sich auf die Seite rollte, und verfluchte sich selbst. Dies alles war ganz allein seine Schuld. Er war ein verdammter Narr gewesen. Er hatte sich verraten, hatte aufgehört zu denken, als er in ihre Augen geblickt hatte. Sie war schön, ja, aber er hatte auch bereits noch schönere Frauen als Eileen Ronley gesehen. Zumindest ein paar.

Sie war groß und schlank, mit vollen Brüsten und einer schmalen Taille, und ihr Auftreten hatte etwas ausgesprochen Faszinierendes. Sie war stolz, aber nicht hochmütig. Direkt. Ihr Haar war von einem goldenen Ton, in dem kupferfarbene, rotbraune und rostfarbene Funken aufleuchteten, und es war dick und glänzend und umrahmte ein ovales Gesicht mit ebenmäßigen Zügen. Ihr Mund war ganz liebreizend, hellrosa Lippen, die ungezwungen lächelten und dabei makellose Zähne enthüllten. Ihre gerade Nase und die glatten Wangen waren von Sommersprossen übersät, selbst jetzt, in den dunklen Tagen des Winters. Im Sommer, da war er sich sicher, würde ihr Haar noch heller werden und ihre Sommersprossen noch zahlreicher; dann wäre sie noch reizvoller.

All das war sehr anziehend, doch es waren ihre Augen, die ihn in Verzückung versetzt hatten. Graue Augen, in der Mitte ein wenig heller und mit einem dunklen Rand, mit Spuren von Blau und Gold und umrahmt von langen Wimpern. Intelligente Augen, die ihr Interesse an ihm nicht verborgen hatten und auch nicht ihre Zweifel oder ihr Vergnügen und ihre Verlegenheit, als er ihr versicherte, dass ihre fehlende Mitgift kein Ehehindernis für sie darstellen würde. Augen, die groß geworden waren, als er sie nach dem Namen ihrer Mutter gefragt hatte und als sie begriffen hatte, dass er alles verstand, was Milford gesagt hatte.

Er war ein verdammter Idiot gewesen, dass er sich die Zügel so leicht hatte entgleiten lassen. Er hatte Milford, der zwar ungebildet war, aber nicht dumm, ja förmlich mit der Nase darauf gestoßen, dass er log und dass er nicht der Hugenotte war, der er vorgab zu sein. Die List, die er sich in London ausgedacht hatte, als er kein Schiff finden konnte, das ihn nach Schottland bringen würde, und er erkannt hatte, dass er auf dem Landweg über England würde reisen müssen, war ihm zum damaligen Zeitpunkt geradezu perfekt erschienen. Welche bessere Tarnung hätte ihm denn auch sonst einfallen können, als einfach Französisch zu sprechen und die Rolle des Soldaten zu spielen? Wenn er wiederum versucht hätte, als Weber durchzugehen, dann hätte ihm das sicherlich niemand geglaubt. Denn er sah nun einmal so aus, wie er eben aussah – wie ein Mann, der in der Armee gelebt und der bereits seinen Anteil an Schlachten geschlagen hatte und trotzdem noch am Leben war.

Ebenso wie Milford. Milford hatte an denselben Gefechten teilgenommen wie er und Jamie und Duncan, nur auf der gegnerischen Seite. Sie hatten auf denselben Schlachtfeldern gestanden, hatten dasselbe Grauen gesehen. Wahrscheinlich hörte Milford in seinen Träumen noch immer den Gefechtslärm und die Schreie der Verwundeten und Sterbenden, ebenso wie Neil. Er war kein Mann, der sich von einer modischen Aufmachung und einem französischen Akzent an der Nase herumführen ließ. Vielleicht wusste er noch nicht, wer genau sein Besucher war, doch wenn man ihm nur genügend Zeit ließ, so würde er auch das noch herausfinden.

Neil verfluchte sein Schicksal, dann aber besann er sich. Es waren weder Schicksal noch Zufall gewesen, die ihn hierher geführt hatten. Sondern der Mann, der ihn mit dem französischen Schwert ausgestattet hatte, welches er bei sich führte, und der Kleidung, wie sie nur ein Londoner tragen würde. Genau dieser Mann hatte ihm nämlich Sir Adams Namen genannt und Neil versichert, dass Ronley Hall ein sicheres Haus sei und dass man ihn dort gewiss willkommen heißen würde.

Vor zwei Jahren vielleicht. Nun aber war Sir Adam bereits seit zwei Jahren verstorben, es war also Zeit genug verstrichen, als dass diese Neuigkeit auch bis nach London und zu Neils Informanten hatte durchdringen können. Neil spürte, wie der Zorn in ihm aufwallte; um diesen Kerl würde er sich noch kümmern und herausfinden, warum er gelogen hatte, um dann darüber zu entscheiden, was er mit ihm anfangen würde. Aber das musste vorläufig noch warten. Zuerst einmal musste er sich aus diesem feuchten Keller befreien, musste Ronley Hall entfliehen.

Musste Catriona MacKenzies Tochter hier zurücklassen.

Jeder im westlichen Teil der Highlands kannte die Geschichte von der schönen Catriona, die mit ihren Eltern nach London gereist war, sich dort in einen attraktiven Fremden verliebt und ihn schließlich geheiratet hatte. Ihr Vater, Phelan MacKenzie vom Clan Glen Mothin, hatte sie deshalb allerdings enterbt, und er hatte verboten, dass man jemals wieder ihren Namen erwähnte. Selbst die inständigen Bitten seiner Frau und seiner Söhne, dass er dem Mädchen, das sie alle so sehr liebten, doch vergeben solle, hatte er ignoriert. Ganz so, wie es typisch für ihn gewesen war, war Phelan nämlich nicht etwa darüber erzürnt gewesen, dass Catriona einen Engländer geheiratet hatte, sondern dass sie sich über seinen Willen hinweggesetzt hatte. Fortan hatte Phelan sich geweigert, jemals wieder über sie zu sprechen, und auch all jenen um ihn herum verboten, ihren Namen zu erwähnen. Als die Nachricht eintraf, dass Catriona zwei Töchter geboren habe und ihn besuchen wolle, erteilte er seinen Männern den Befehl, sie abzuweisen, sollte sie tatsächlich so dumm sein, nach Glen Mothin zu reisen.

Mehrere Jahre lang hatte sie Briefe geschrieben, die er ungeöffnet verbrannte, während seine Frau vor Kummer weinte. Dann waren irgendwann keine Briefe mehr eingetroffen. Phelan sprach niemals von ihr, hatte Catriona noch nicht einmal geschrieben, als ihre Mutter starb, doch ihre älteren Brüder hatten sie nicht vergessen. Wenn sie unter sich waren, hatten sie weiterhin über Catriona gesprochen, hatten Mutmaßungen darüber angestellt, wie es ihr wohl ginge und wo genau sie lebte. Auch ihren Kindern erzählten sie von der Tante, die diese niemals kennengelernt hatten, von den Cousinen, die irgendwo in England lebten. Zwei Mädchen; keiner von ihnen hatte je ihre Namen erfahren.

Duncans Vater war der jüngste von Catrionas Brüdern gewesen, ein stiller Mann, hinter dessen sanftem Erscheinungsbild sich ein stählerner Charakter verbarg. Oftmals hatte er Phelan die Stirn geboten, hatte Catriona sogar einmal besucht und dabei seine Frau und Duncan mitgenommen; und er hatte den Preis dafür zahlen müssen. Denn Phelan, erneut in Rage versetzt, konnte dies weder seinem Sohn noch seinem Enkel jemals vergeben. Doch Duncans Vater hatte nur gelacht.

Duncans Mutter Isabel war Neils und Jamies Tante gewesen, die jüngere Schwester ihrer Mutter. Isabel und Anne MacKenzie hatten sich als Mädchen besonders nahe gestanden, und auch ihre Ehemänner hatten einander sehr gemocht. Als Isabel im Kindbett starb, waren Anne und Alistair nach Glen Mothin gereist, um Duncans Vater Beistand zu leisten. Und als nur wenige Jahre später auch er starb und Phelan den Jungen von sich wies, hatten Anne und Alistair Duncan zu sich nach Torridon geholt, damit er dort zusammen mit Neil und Jamie aufwuchs, und sie hatten ihn aufgezogen, als sei er ihr eigener Sohn. Es war Duncan gewesen, der den Zwillingen Catrionas Geschichte erzählt hatte.

Eileen Ronley war Duncans Cousine.

Neil konnte die Ähnlichkeit zwischen den beiden erkennen. Eileens Haar war zwar von einer helleren Farbe, eher golden als Duncans Rotbraun, doch die Fülle, die Art, wie es fiel, entsprachen ganz dem Haar von Duncan. Auch seine Augen waren von dem gleichen Schnitt wie die ihren, zwar nicht annähernd so hübsch, aber von der gleichen Form. Da bin ich also auf Duncans Cousine, Catrionas Tochter, gestoßen, dachte Neil. Die Cousine meines Cousins. Duncan wird vielleicht Augen machen, wenn er das erfährt!

Seit Jahren hatten sie nun schon nicht mehr von Catriona gesprochen, doch Neil wusste, dass Duncan sie nie vergessen hatte. Wie seltsam das Leben doch war, wie merkwürdig, ausgerechnet hier im englischen Hinterland auf Catrionas Tochter zu treffen, und dass sie dann auch noch so freundlich zu ihm gewesen war, zu ihm, der für sie doch bloß ein Fremder war. Und doch waren sie einander nicht wirklich fremd. Zwischen ihnen bestand eine Verbindung, als ob sie sich schon einmal zuvor begegnet wären. Eileen schien es ebenfalls gespürt zu haben, auch wenn das aller Logik und Vernunft zu widersprechen schien.

Die Tür ging auf, schlug hart gegen die Wand, und dieses Geräusch holte Neil mit einem Ruck wieder in die Gegenwart zurück. In der Türöffnung zeichneten sich die Silhouetten von vier Männern ab, zwei von ihnen trugen Fackeln, die sie nun in die Halterungen an der Wand steckten. Milford stand neben der Tür und beobachtete die Szene, während seine Männer Neil unsanft vom Boden hochzerrten und ihn zwischen sich festhielten; Neil wappnete sich innerlich gegen das, was nun folgen mochte.

„Ihr habt jetzt ein einziges Mal die Möglichkeit, mir zu sagen, wie Euer wahrer Name lautet“, sagte Milford.

Neil schüttelte den Kopf. „Je ne comprend pas.“

Milford trat einen Schritt in den Raum hinein und gab dann jemandem hinter ihm ein Zeichen. Eileen Ronley kam um die Ecke geschritten, ihre Augen weit aufgerissen und voller Angst.

 

An der Tür blieb sie stehen, unsicher, was sie nun erwarten sollte. Zu Zeiten ihres Vaters war dieser Raum angefüllt gewesen mit den Erzeugnissen von Ronley Hall und Nahrungsmitteln vom Festland. Einmal, als Eileen zehn Jahre alt gewesen war, hatte sie hier mit einer Freundin ein Apfelwettessen veranstaltet. Sie hatte gewonnen, musste dafür allerdings auch den Preis bezahlen; sie war danach tagelang krank gewesen. Ihre Mutter hatte ihr damals die Haare aus der Stirn gestrichen und sie geneckt.

Eileen schob die Erinnerungen rasch wieder beiseite. Ihre Mutter existierte nicht mehr, ebenso wenig wie das Leben, das sie in London geführt hatten. Nun war sie in Ronley Hall, in diesem kalten Keller, gemeinsam mit einem Mann, der vorgab, Franzose zu sein. Der Raum war fast leer, und die Fässer und Tonnen voller Lebensmittel waren verschwunden. An ihrer Stelle standen hier nun die Möbel, die einst ihren Eltern gehört hatten, waren hoch übereinander getürmt und zugedeckt worden, um Platz zu schaffen für Milfords schwerere Stücke.

Durch die Lücke zwischen den übereinander gestapelten Möbeln und der Wand beobachtete Belmond Milford mit ausdrucksloser Miene. Sein Brokatrock war verschwunden, sein Hemd war ihm von der Schulter gerissen worden und hing nun in Fetzen an seiner linken Seite herab, stand vorn weit offen und entblößte dunkles Haar auf einer muskulösen Brust und einem festen, flachen Bauch. Unterhalb der Knie waren seine Beine nackt, und seine Kniebundhosen waren entlang eines seiner langen Oberschenkel aufgerissen. Sein Gesicht war zerschunden und das eine Auge fast geschlossen, seine Lippen geschwollen und verkrustet mit getrocknetem Blut, und über seinen Hals und die Schultern breiteten sich bereits blaue Flecken aus. Doch immerhin lebte er und konnte aufrecht stehen. Und er war zornig.

„Mademoiselle“, meinte Belmond kampfbereit auf Französisch. „Fragt Milford, wo die Gastfreundschaft geblieben ist, von der ich dachte, dass die Engländer sie den Fremden gegenüber erwiesen? Warum kann ein Mann nicht einfach sein Land durchqueren, ohne dass man ihn wie einen Verbrecher überwältigt und einsperrt? Sagt ihm, dass ich nichts getan habe, was diese Behandlung rechtfertigt.“

Eileen übersetzte und beobachtete, wie sich Milfords

Gesichtsausdruck verhärtete, als er auf Belmond zutrat, vor ihm stehen blieb und sie dann zu sich herwinkte.

„Sag ihm“, verkündete Milford, während er Belmond starr in die Augen sah, „dass ich ihn, wenn er sich wie ein Verbrecher benimmt, dann natürlich auch wie einen solchen behandle. Niemand zieht in meinem Hause sein Schwert.“

„Ihr habt mich am Gehen gehindert“, erwiderte Belmond direkt an Milford gewandt.

„Sag ihm, dass ich ihm seine Geschichte nicht abnehme.

Frag ihn, wie sein Name lautet, sein richtiger Name.“

„Belmond.“

„Sagt ihm die Wahrheit, Sir“, bat Eileen auf Französisch. „Bitte. Er kann sehr gewalttätig werden.“

„Das kann ich auch. Ein hugenottischer Soldat hat viele Freunde. Wenn er mir etwas antut, werden meine Freunde herausfinden, wer das getan hat. Sie werden ihn aufspüren.“

Milford schnaubte nur verächtlich. „Frag ihn, wie sein Name lautet.“

„Belmond, Jean-Paul Belmond.“

Eileen atmete einmal tief durch, denn sie wusste, was nun als Nächstes folgte. Milford streckte Belmond die geschlossene Faust hin, öffnete sie und zeigte ihm den Ring, den er darin verborgen hatte, den Ring, den er Eileen bereits oben gezeigt hatte, und erklärte, dass er die Wahrheit schon noch aus dem Fremden herausprügeln würde. Es war ein Siegelring, auf dem ein Familienwappen prangte, ein Ring, wie ihn nur ein Edelmann besaß.

„Wer seid Ihr?“, knurrte Milford.

„Jean-Paul Belmond. Hugenotte“, antwortete Belmond.

„Aus Spitalfields.“

„Wieso habt Ihr diesen Ring?“

„Ich habe ihn beim Kartenspiel in London gewonnen“, antwortete Belmond, nachdem Eileen ihm die Frage übersetzt hatte.

Milford hielt den Ring vor Belmond in die Luft. „Das ist ein Clanring. Aus Schottland.“

„Ich habe ihn in London gewonnen.“

„Warum habt Ihr ihn dann in Eurem Stiefel versteckt?“

„Um ihn vor Dieben zu schützen. Ich wollte ihn in Schottland verkaufen. In London gibt es heutzutage ja nicht mehr viele Schotten.“

Milford lachte hämisch, als Ellen ihm dies übersetzte.

„Nein, die sind nämlich feige davongerannt. Wie ihr König.“

„Wie die Engländer bei Killiecrankie“, entgegnete Belmond auf Englisch.

Milford schlug ihn hart auf den Mund und verschmierte damit das Blut über Belmonds gesamte Wange. Eileen schnappte erschrocken nach Luft. Belmond reckte das Kinn vor und blickte Milford wütend an.

„Wer seid Ihr?“, brüllte Milford. „Warum besitzt Ihr diesen Ring? Warum seid Ihr auf dem Weg nach Schottland? Warum habt Ihr bei Ronley Hall Halt gemacht?“

„Ich bin auf dem Wege zu Williams Armee.“ Milford schlug ihn noch einmal.

Belmond schloss für einen Moment die Augen, dann öffnete er sie wieder, und nun war sein Zorn nicht mehr zu verkennen. „Sagt ihm“, forderte er Eileen auf, „dass man schon besonderen Mut braucht, um einen unbewaffneten Mann zu schlagen, der obendrein auch noch an Händen und Füßen gefesselt ist. Sagt ihm, dass ich ihn dazu auffordere, meine Fesseln zu lösen und dann noch einmal zu versuchen, mich zu schlagen.“

Milford fluchte, als Eileen ihm dies berichtete, doch noch ehe er abermals zum Schlag ausholen konnte, trat Eileen hastig zwischen ihn und Belmond.

„Warum tut Ihr das?“, verlangte sie zu wissen. „Welchen Unterschied macht es denn schon, dass er diesen Ring hat? Lasst den Mann wieder seines Weges ziehen! Der Ring ist doch völlig egal!“

Milford schob sie beiseite und starrte Belmond in die Augen. „Ich weiß nicht, wer er ist.“

„Warum ist das denn überhaupt von Bedeutung?“

„Ist dir denn wirklich noch nicht aufgegangen, Eileen, dass er möglicherweise ein Spion ist? Dass er vielleicht ein Jakobiner ist, der Nachrichten von Frankreich nach Schottland überbringt, vom Hofe von König James? Dass er womöglich eben jetzt planen könnte, König William zu töten, um James Stuart und seine Sippe wieder auf den Thron zu befördern?“ Milfords Augen blitzten. „Du hast dich mit ihm über Schottland unterhalten, über deine Mutter. Was habt ihr beide sonst noch besprochen?“

„Wenn er ein Spion wäre“, widersprach Eileen, „hätte er sich denn dann nach meinem Vater erkundigt?“

„Vielleicht hatte man ihm gesagt, dass dein Vater alle Jakobiner willkommen heißen würde?“

„Mein Vater ist seit zwei Jahren tot. Das werden sie doch mit Sicherheit wissen.“

„Vielleicht hatte man ihm falsche Informationen gegeben.“

„Der Tod meines Vaters ist weithin bekannt.“

„Dein Vater war ein weithin bekannter Bastard. Das war aber auch sein einziger Ruhm.“

„Im Gegensatz zu Euch, Milford. Ihr seid ein unbekannter Bastard.“

Milford hob die Hand, als wollte er sie schlagen, dann aber ließ er die Hand wieder sinken. „Du hast eine Stunde Zeit, um die Wahrheit aus ihm herauszubekommen, Eileen.“ Er bedeutete seinen Männern, dass sie ihm folgen sollten. „Schließt sie hier gemeinsam mit ihm ein.“

„Milford!“

„Was? Mit mir will er ja nicht sprechen. Du lächelst ihn jetzt an und flirtest mit ihm, Eileen, genauso, wie du es auch vorhin in der Haupthalle getan hast. Erzähl ihm, warum dein Vater tot ist, erzähl ihm von deiner Mutter, erzähl ihm davon, wie oft du mir schon gesagt hast, dass du nach Schottland gehen möchtest.“

„Das ist doch schon ewig lange her. Da war ich doch noch ein Kind gewesen.“

„Dann erzähl ihm, wer dein Großvater ist. Das dürfte ihn interessieren. Erzähl ihm, was immer du willst, aber finde heraus, wer er ist.“

„Und wenn er es mir nicht sagen will?“

„Dann kriege ich das auf meine Art und Weise heraus.“ Milford marschierte aus dem Raum, und seine Männer warfen Belmond wieder zu Boden. Dann eilten sie hinter Milford her, zogen mit einem dumpfen Knall die Tür zu und schlossen von außen ab. Eileen starrte auf die Tür, während Belmond sich in eine sitzende Position hochkämpfte, den Kopf nach hinten gegen die Wand sinken ließ und die Augen schloss. Mit einem Seufzer zog Eileen einen Stuhl unter seiner Staubhülle hervor und ließ sich darauf niedersinken. Sie konnte noch immer nicht so recht glauben, dass Milford sie hier einfach eingeschlossen hatte.

Und die Fackeln würden auch keine ganze Stunde mehr brennen.

Ein kalter Luftzug strich um ihre Fußgelenke, und sie schaute sich im Raum um, auf der Suche nach der Ursache. Belmonds Stiefel und Strümpfe standen an seine Kleidung gelehnt neben der Tür. Wenn es nun noch wesentlich kälter wurde, dann würde sie ihm seinen Mantel geben, sich selbst ein paar der Decken von den Möbeln zerren und diese dann um sich schlingen. Sie würden staubig sein, doch immerhin einen gewissen Schutz vor der Kälte bieten. Eileen warf Belmond einen raschen Blick zu. Sein Gesicht wirkte in dem gedämpften Licht ausgemergelt, und seine Wangen waren bleich unter den Blutergüssen und Kratzern. Ihm muss jetzt schon sehr kalt sein, dachte sie; er hatte bereits etliche Stunden auf dem Steinboden gelegen.

Er öffnete die Augen. „Merci, Mademoiselle.“

Eileen warf ihm einen verächtlichen Blick zu. „Ich denke, diese Tarnung dürfte wohl kaum länger vonnöten sein, Mr. Belmond. Wir können Englisch sprechen.“

„Ich werde Französisch sprechen, Mademoiselle.“ Eileen seufzte verzweifelt. „Und wofür dankt Ihr mir eigentlich?“

„Für Eure Freundlichkeit.“

„Dabei habe ich doch gar nichts getan.“ Eileen schwieg einen Augenblick. „Warum seid Ihr hierher gekommen?“

„Ich hatte in dem Schneesturm nach irgendeinem Platz gesucht, wo ich schlafen konnte. Da bin ich auf das Cottage gestoßen.“

„Und habt sofort gewusst, dass Ihr nach Sir Adam Ronley fragen musstet.“

„Ich hatte mich in Warwick erkundigt, wer entlang dieser Wegstrecke wohnt.“

„Jemand aus Warwick soll Euch erzählt haben, dass Sir Adam hier lebt?“

Oui, ich ...“

Eileen hob abwehrend die Hand. „Bitte lügt mich nicht an. Wenn Ihr mir nicht die Wahrheit sagen wollt, dann braucht Ihr mir gar nichts zu erzählen.“

Belmond schwieg. Nach einigen Minuten erhob Eileen sich von ihrem Stuhl und löste die Fesseln an seinen Füßen, dann kramte sie in ihrer Tasche, auf der Suche nach einem Taschentuch. Sie erwiderte Belmonds Blick flüchtig, ehe sie das Blut abtupfte, das noch immer von seinem Mund tropfte. Mit zerfurchter Stirn blickte sie ihn an.

„Wenn Ihr glaubt, dass ich Euch ausfrage, um hinterher alles, was Ihr mir erzählt, an Milford weiterzutragen, dann irrt Ihr Euch sehr. Ich habe Milford weder gesagt, dass Ihr Englisch versteht, noch dass ich mir ziemlich sicher bin, dass Ihr kein Franzose seid. Und ich werde ihm auch sonst nichts von dem verraten, was Ihr mir erzählt. Ich befriedige nur meine eigene Neugier, nicht die seine. Aber natürlich wollt Ihr mir das nicht glauben.“

Merci“, entgegnete Belmond.

„Warum erzählt Ihr diese alberne Geschichte? Niemand in Warwick würde Euch weismachen, dass Sir Adam noch hier lebt.“

„Vielleicht habe ich etwas falsch verstanden.“

„Das bezweifle ich.“

Neil versuchte, seine Beine zu bewegen, und starrte auf seine Füße, irgendwohin, bloß nicht in ihre Augen. Es war schwer, sie anzublicken und dabei zu lügen. Eileen beugte sich über ihn und versuchte, den Strick aufzuknüpfen, mit dem seine Handgelenke zusammengeschnürt waren.

„Solltet Ihr das wirklich tun?“, fragte er auf Französisch.

Erstaunt schaute Eileen ihn an. „Ihr möchtet nicht, dass ich Eure Fesseln löse?“

„Ich möchte nur nicht, dass Ihr dafür bezahlen müsst, Mademoiselle. Denn Ihr habt recht, er ist ein gewalttätiger Mann.“

„Milford wird mich nicht anrühren.“

„Das hätte er aber fast getan.“

„Und dann hat er sich wieder besonnen. Er wird sich hüten, mich zu misshandeln. Seine Mutter war die Tochter unseres Obergärtners. Er mag zwar derjenige sein, der Ronley Hall nun sein Eigen nennt, aber ich bin hier aufgewachsen, und jeder hier erinnert sich noch daran, er selbst eingeschlossen.“

„Ihr geht sehr vertraut miteinander um.“

„Ich kenne ihn schon mein ganzes Leben.“

„Wie ist der Enkel eines Gärtners zum Eigentümer von Ronley Hall geworden?“

„Als mein Vater starb, stellten wir fest, dass er einen Haufen Schulden gemacht hatte. Um die zu begleichen, musste ich seine gesamten Besitztümer verkaufen.“

„Aber woher hatte Milford genügend Geld, um Ronley Hall zu kaufen?“

„Davon, dass er in Williams Armee gedient hatte.“

„Er hat gemeinsam mit König William auf dem Festland gekämpft?“

„Damals war William natürlich noch nicht König von England; er war lediglich William von Oranien gewesen. Milford hatte an Williams Seite auf dem Kontinent gegen Frankreich gekämpft – William hasst Frankreich – und mit dessen Armee in Schottland.“

„Dann war er ein Offizier? Hatte Eure Familie ihm sein Offizierspatent gekauft?“

„Nein. Ich glaube auch nicht, dass er irgendeinen besonders hohen Rang bekleidet hat. Warum?“

„Es ist sehr ungewöhnlich für einen einfachen Soldaten, dass er genug verdient, um davon ein Herrenhaus kaufen zu können. Er muss irgendjemandem einen ganz außergewöhnlichen Dienst erwiesen haben.“

„Das Gleiche habe ich damals auch gedacht, aber alles, was man mir erzählte, war, dass er das Geld durch seinen Dienst in Williams Armee verdiente. Im Übrigen verbringe ich nur wenig Zeit damit, über Milford nachzudenken.“

„Und warum seid Ihr noch hier?“

„Es gab ja sonst keinen Ort, wohin ich mich hätte wenden können. Und Milford hat mich bleiben lassen.“

„Ich denke, es wäre auch schwer für Euch gewesen, Euer Zuhause zu verlassen.“

„Ich hatte hier schon seit Jahren nicht mehr gelebt, aber ich habe meine Kindheit hier verbracht.“

„Gemeinsam mit Milford.“

„Gemeinsam mit Milford. Und Hunderten von anderen Bediensteten.“ Erneut begann Eileen, an den Knoten zu zerren.

„Interessant, dass er Euch mit mir zusammen hier drinnen zurückgelassen hat.“

„Interessant? So würde ich das nicht gerade nennen.“

„Wo habt Ihr und Eure Familie gelebt, wenn Ihr nicht in Ronley Hall wart?“

„In London.“

Das erklärt ihr Auftreten, dachte Neil. Das hier war kein Mädchen vom Lande. Sie war in Reichtum aufgewachsen und hatte sich dann von einem Tag auf den anderen allein durchs Leben schlagen müssen. „Hattet Ihr denn keine Familie, die Euch bei sich hätte aufnehmen können? Brüder oder Schwestern?“

Eileen schenkte ihm ein angespanntes Lächeln. „Es gibt niemanden. Meine Schwester ist tot. Und nachdem mein Vater König William angeprangert hatte, scheuten sich meine Cousinen davor, mich bei sich aufzunehmen.“

„Dann habt Ihr also niemand anderen, an den Ihr Euch wenden könnt? Was ist denn mit der Familie Eurer Mutter?“

„Über die weiß ich nichts. Wahrscheinlich wissen sie auch nichts von mir.“

Sie widmete sich wieder ihrer Aufgabe. Neil beobachtete, wie das Licht der Fackel über ihr goldenes Haar tanzte, während sie den Strick um seine Handgelenke aufzuknoten versuchte. MacKenzie-Haar. Catrionas Tochter war ganz allein auf der Welt.

„Habt Ihr denn keine Angst vor mir, Miss Ronley?“

„Nein.“

„Warum nicht?“

„Ihr werdet mir nichts tun.“

„Woher wollt Ihr das wissen?“

Eileen blickte ihm in die Augen. „Ich habe nicht die leiseste Ahnung, woher ich das weiß, aber ich weiß, dass Ihr mir nichts antun werdet, Monsieur Belmond, oder wer immer Ihr auch sein mögt. Ich weiß, dass ich bei Euch gut aufgehoben bin.“ Sie errötete und fuhr in forschem Tonfall fort: „Und ganz nebenbei, ich könnte ja auch an die Tür hämmern und einfach wieder gehen. Sie warten nur darauf, dass ich sie darum bitte.“

„Ich könnte Euch töten, noch ehe Ihr an der Tür angelangt seid.“

Wieder schaute Eileen ihn mit einem Stirnrunzeln an.

„Wenn Ihr versucht, mir Angst einzujagen, dann habt Ihr damit keinen Erfolg. Ich denke, der einzige Schaden, den ich erleiden könnte, wäre, wenn Ihr mir nun die Wahrheit sagt; durch den Schock könnte ich quasi tot umfallen, Sir.“ Damit zog sie das letzte Stückchen Strick aus dem Knoten und nahm ihm die Fesseln ab. „Da, bitte, Monsieur Belmond, jetzt könnt Ihr Eure Hände wieder bewegen.“ Eileen erhob sich und trat einen Schritt von ihm zurück.

Seine Hände schmerzten, als er die Finger bewegte. Nach einigen Versuchen konnte er sie aber wieder benutzen, es war also kein bleibender Schaden entstanden. Doch er konnte noch immer nicht seinen linken Fuß spüren, konnte das Bein nicht richtig bewegen. Er zog das Knie an die Brust.

„Ich vermute, Ihr werdet mir nichts erzählen“, sagte Eileen in müdem Ton. „Vertraut Ihr denn überhaupt niemandem? Ich erwarte nicht, dass Ihr darauf antwortet. Ich frage mich nur, was ein Mann wie Ihr wohl denkt.“

„Ein Mann wie ich. Was soll das heißen?“

„Ein Mann, der tötet, um sein Essen auf den Tisch zu bekommen. Ich kann mir einfach nicht vorstellen, wie es wäre, in Eurer Haut zu stecken.“

Er blinzelte zweimal, ließ sein linkes Bein los und zog das rechte zu sich heran. Ein Mann wie ich, der tötet, um sein Essen auf den Tisch zu bekommen. Ihr Abscheu war deutlich zu erkennen, und er spürte, wie ihm ihre schlechte Meinung von ihm einen Stich versetzte, doch dann lachte er über sich selbst. „Seid Ihr schon einmal in St. Sebastian gewesen?“

„Ja. Und im Gegensatz zu Euch erfinde ich darüber nicht bloß Geschichten.“

„Haben Eure Eltern Euch dorthin mitgenommen?“

„Ich war mit meinen Cousinen dort.“

„Wann war das?“

„Das spielt keine Rolle.“

„Ihr wollt mir wohl einfach nicht mehr darüber berichten, ist es das?“

„Ich werde Euch nicht mehr verraten.“

Er grinste sie an, plötzlich amüsiert. „Ihr haltet Informationen vor mir zurück?“

„Genauso wie Ihr, Sir.“

„Tue ich das?“

„Oh, ja. Ihr mögt zwar vorgeben, Franzose zu sein, aber ich garantiere, dass Ihr genauso wenig ein Hugenotte seid, wie ich es bin, trotz Eurer prachtvollen Kleidung. Ich denke, Ihr seid Schotte.“

Er spürte, wie ihn ein jähes Gefühl der Angst durchzuckte, doch Eileen fuhr fort, als ob sie lediglich über das Wetter spräche.

„Ihr habt Französisch von jemandem gelernt, der Pariser Französisch sprach, aber kein bretonisches Französisch. Und der Name meiner Mutter sagt Euch irgendetwas.“

„Seid Ihr denn wirklich die Tochter von Catriona MacKenzie?“

„Ja. Seid Ihr etwa ein MacKenzie?“

Er hielt einen Augenblick inne, zu lange, wie ihm gleich darauf klar wurde, als sie das Kinn hob. „Nein“, antwortete er dann.

„Aber Ihr habt den Namen schon einmal gehört.“

„MacKenzie ist ein häufiger Name in Schottland.“

„Allerdings würde ich nicht erwarten, dass ein Franzose das weiß. Und bitte verschwendet jetzt nicht Euren Atem damit, mir zu erzählen, dass der Schotte, von dem Ihr den Ring gewonnen habt, ein MacKenzie war. Das ist nämlich kein MacKenzie-Wappen da auf dem Ring.“

Neil rieb sich das Fußgelenk. Er starrte auf seine Zehen hinunter und zwang sie mit der Kraft seines Willens, sich zu bewegen. Plötzlich begann das Licht der Fackeln zu flackern, und er blickte auf. Auch Eileen sah zu den Fackeln hinüber.

„Wer war Euer Großvater?“, fragte er.

„Was spielt das für eine Rolle? Er ist mittlerweile verstorben.“

„Manchmal sind die toten Verwandten die wichtigsten. Warum wurde Euer Vater ermordet?“

Sie seufzte. „Mir hat man gesagt, dass es ein Unfall gewesen sei. Und vielleicht war es das ja sogar. Mein Vater hatte viel getrunken.“

„Er starb, nachdem er König William kritisiert hatte.“

„Ja, am folgenden Tag.“

„Ein Zufall, möglicherweise.“

„Wer kann das schon sagen? William und mein Vater sind nie miteinander ausgekommen.“

„Sie kannten einander?“

„Jeder kennt den König.“

„Aber der König kennt nicht jeden. Welchen Grund könnte es gegeben haben, der König William dazu veranlasst hätte, Eure Eltern ermorden zu lassen?“

„Ich weiß doch noch nicht einmal, ob er es überhaupt getan hat. Denn wenn William jeden töten wollte, der ihn kritisiert, dann wäre er ja über Jahre beschäftigt. Allerdings weiß ich, dass William die Verurteilung durch meinen Vater als eine außergewöhnlich große Beleidigung empfand.“

„Warum?“

„Mein Vater hatte es öffentlich getan.“

„Das haben viele andere auch.“

„Aber mein Vater war ...“ Sie hielt inne und presste die Lippen aufeinander.

„Wer war Euer Vater?“

„Das ist nicht von Bedeutung.“

„Ich glaube, das ist sogar von außerordentlicher Bedeutung, Miss Ronley.“

„Nicht für Euch, Monsieur Belmond.“

Mit einem stechenden Schmerz kehrte das Empfindungsvermögen wieder in seinen Fuß zurück. Es tat weh, doch andererseits tat ihm ja fast sein ganzer Körper weh. Und der Schmerz bedeutete immerhin, dass sein Bein noch nicht abgestorben war. Er wackelte mit den Zehen und lächelte beinahe.

„Ihr wisst doch, dass er Euch wieder schlagen wird“, sagte Eileen.

„Ja.“

„Warum verratet Ihr mir dann nicht, wer Ihr seid? Durch Euer Schweigen vermittelt Ihr doch nur den Eindruck, dass Ihr Euch irgendetwas zu Schulden habt kommen lassen.“

Vorsichtig betastete er seinen Mund und wischte sich ein wenig getrocknetes Blut von den Lippen. Für ein Mädchen, das nun schon seit geraumer Zeit auf sein lädiertes, blutig geschlagenes Gesicht schaute, war sie noch erstaunlich ruhig. Sie war also nicht zimperlich, dieses Mädchen. Mit entschlossenem Gesichtsausdruck beugte sie sich vor.

„Er wird Euch wieder schlagen. Und ich werde nichts dagegen ausrichten können.“

„Warum solltet Ihr das auch versuchen?“, fragte er.

„Warum ich das versuchen sollte?“, erwiderte sie leise, fuhr dann aber in strengerem Tonfall fort. „Ja, allerdings, warum eigentlich? Was für eine Närrin ich doch bin, mir überhaupt Gedanken darüber zu machen. Im Grunde sollte es mir gar nichts ausmachen, dabei zuzusehen, wie Ihr für Euer hartnäckiges Schweigen verprügelt werdet, selbst wenn Milfords Verdächtigungen nicht auf Euch zutreffen. Ich werde ja ohnehin nicht herausbekommen, wer Ihr wirklich seid, nicht wahr? Ihr habt mich ja ständig nur angelogen.“

Neil atmete einmal tief durch und spürte den stechenden Schmerz einer gebrochenen Rippe. Er hasste es, ein Lügner genannt zu werden, aber sie hatte recht; genau das war er nämlich. Er befeuchtete seine Lippen mit der Zungenspitze und fühlte dabei die aufgeplatzten Stellen. Sprich Französisch, ermahnte er sich im Stillen.

„Aber selbst wenn ich ihm jetzt eine ganz andere Geschichte erzählen würde, Mademoiselle, dann wird er mir die doch sowieso nicht mehr glauben. Er hat sich ja bereits darauf versteift, dass ich ein Spion der Jakobiner wäre.“

„Und seid Ihr das?“

„Nein.“

„Etwas anderes konntet Ihr jetzt ja auch gar nicht antworten. Ihr wisst, dass Spionage mit dem Tod bestraft wird.“

„Nicht, ehe zumindest eine Anhörung stattgefunden hat und vielleicht sogar ein Verfahren an einem Eurer wundersamen englischen Gerichtshöfe. Ist Milford hier der Grafschaftsvogt?“

„Nein, er könnte Euch jedoch an ihn ausliefern.“

„Damit befasse ich mich erst, wenn es so weit ist.“

„Wenn Ihr dann noch am Leben seid.“

Er verfiel wieder in Schweigen und spürte, wie seine Erschöpfung ihn zu überwältigen drohte. Ich bin gar nicht hier, dachte er wie von einem Nebel umfangen. Denn wenn ich es wäre, wüsste ich nicht, was ich tun sollte.

Eileen stand auf und wandte sich abrupt von ihm ab.

„Wie könnt Ihr von mir erwarten, dass ich Euch helfen soll, wenn Ihr mir nicht die Wahrheit sagt?“

Er blickte überrascht auf. „Ich erwarte doch überhaupt nicht, dass Ihr mir helft.“

Sie marschierte durch den Raum, hob seine Kleidung auf und schleuderte sie zu ihm hinüber. „Hier, zieht das an. Die Chance bekommt Ihr vielleicht kein zweites Mal.“ Sie beobachtete ihn dabei, wie er seine Strümpfe und die Stiefel überstreifte. „Warum wollt Ihr mir nicht vertrauen? Warum sagt Ihr mir nicht die Wahrheit?“

Er stand auf und ließ die Arme in die Ärmel seines Gehrocks gleiten. „Ihr habt gesagt, dass Ihr Milford nicht verraten würdet, was ich Euch erzählt habe.“

„Ich werde ihm nichts verraten.“

„Und dass er Euch nichts antun wird.“

„Er wird mir nichts antun.“

„Aber das wisst Ihr nicht mit Sicherheit. Mich zumindest hat er schon einmal im Zorn geschlagen; das Gleiche hätte er beinahe auch Euch angetan. Was, wenn er meint, Ihr wüsstet irgendetwas, das Ihr ihm aber nicht mitteilen wollt?“

„Er wird mir nichts zu Leide tun.“

„Wer sollte ihn davon abhalten? Auf die Spione der Jakobiner ist eine Belohnung ausgesetzt, Mademoiselle; wir alle wissen das. Ich bin zwar kein Spion, aber Milford hält mich für einen. Selbst wenn Ihr also beschließt, ihm nichts zu verraten, was könnte er wohl anstellen, um Euch dazu zu bringen zu behaupten, dass ich doch eingestanden hätte, ein Spion zu sein?“

„Also werdet Ihr weiterhin schweigen.“

„Ja.“

Sie blickte ihm starr in die Augen, schließlich nickte sie.

„In Ordnung. Sagt mir nicht, wer Ihr seid. Aber, bitte, wenn Ihr die Familie meiner Mutter kennt, dann verratet mir wenigstens so viel.“

Doch er richtete den Blick auf die Fackeln. Einen Augenblick später ging sie zur Tür hinüber.

Eileen hämmerte an das Holz, zufrieden, als sie hörte, dass es Jacks Stimme war, die ihr antwortete. Jack hatte schon sein ganzes Leben lang für die Ronleys gearbeitet, war ihrem Vater gegenüber stets vollkommen loyal gewesen. Zwar war er nun ein alter Mann, doch er erinnerte sie noch immer an die unbeschwerten Tage hier, als sie noch ein Kind gewesen war. „Jack, ich erfriere hier drinnen. Lass mich raus, bitte.“

„Einen Augenblick noch, Miss Eileen, bitte. Milford kommt gerade.“

Sie hörte, wie Jack sich an dem Schloss zu schaffen machte, und warf noch rasch einen Blick über ihre Schulter auf Belmond, der gerade nach seinem Überzieher griff und hineinschlüpfte.

Merci, Miss Ronley.“

Merci“, erwiderte sie spöttisch murmelnd zur Tür gewandt, zuckte dann aber vor Schreck zusammen, als Belmond plötzlich hinter sie trat. Er beugte sich tief hinab, sein Mund an ihrem Ohr; Eileen konnte seinen warmen Atem in ihrem Nacken spüren. Er hatte die rechte Hand gegen die Tür gestemmt. Belmond hatte lange, kraftvolle Finger, die sich zu den Spitzen hin verjüngten. Am Ansatz seines Ringfingers war ein Streifen, wo die Haut heller war als an der übrigen Hand, ganz so, als ob dort normalerweise ein Ring steckte.

Mit hämmerndem Herzen drehte sie sich zu ihm um und blickte ihn an. Er war größer, als sie ihn in Erinnerung gehabt hatte, kräftiger. Er beugte sich noch ein wenig tiefer zu ihr hinab und senkte den Kopf. Für einen langen Augenblick starrten sie einander schweigend in die Augen, dann lächelte er, und in seiner Wange blitzte ein Grübchen auf.

Merci, Eileen“, sagte er und richtete sich dann wieder auf. „Ich bin Euch außerordentlich dankbar.“

Sie hörte Milford den Gang entlangkommen, dann klickte das Türschloss. Belmond wich noch einen weiteren Schritt zurück.

„Sagt ihm, dass ich keine Fesseln mehr trage, Eileen.“

„Milford“, rief Eileen, hielt den Blick dabei aber noch immer auf Belmond gerichtet. „Der Franzose trägt keine Fesseln mehr.“

Damit schwang die Tür nach innen auf; sie hörte das Geräusch von Waffen, die gezogen wurden. Milford schob sie in den Korridor hinein.

„Was hast du dir bloß dabei gedacht?“, knurrte er sie an.

Belmond hob beide Hände.

„Legt ihm wieder die Fesseln an“, befahl Milford seinen Männern. Er hatte Eileens Arm mit festem Griff gepackt, während seine Männer Belmond die Hände vor dem Bauch zusammenschnürten. Als sie fertig waren, schob Milford Eileen unsanft vor sich her auf die Treppen zu.

„Steckt ihn in die Pfaffenkammer“, rief er über seine Schulter hinweg.