Kapitel 1
Schmerz. Nur ein paar Lichtblitze in einem endlosen Meer der Qual. Doch auch Bruchstücke meines Traums. Das Gesicht des Mannes, den ich nicht erkannte und der mir doch irgendwie vertraut war. Der wütende Mann, der Drohungen durch den Flur brüllte. Das Feuer.
Die keifende Stimme verwandelte sich in etwas anderes. Meinen Namen. „Aura!“
Aber das war nicht der wütende Mann. Das war jemand anderes, eine Stimme, die ich kannte. Tief und schroff, aber dennoch sanft. Ein Teil meines Gehirns erkannte Atlas.
Hände legten sich auf meine Schultern. „Da ist zu viel Blut“, schrie Kai. „Jemand soll einen Heiler rufen!“
„Atmet sie?“ Qual dominierte Phoenix’ Tonfall, als würden die Worte seiner Kehle entrissen.
„Mach schon“, bellte Riven. Finger legten sich an die Seite meines Halses. „Es gibt einen Puls, aber ihr Atem ist flach.“
„Wo bleibt der verdammte Heiler?“, knurrte Atlas.
Der Schmerz in meiner Brust brannte unvorstellbar, so als würde er Muskeln und Knochen zerreißen. Und vielleicht war es genau das, was passierte.
Ich hörte Grummeln und Stöhnen.
„Du fühlst das, oder?“, knirschte Kai.
„Es ist ihr Schmerz“, antwortete Atlas.
„Das sollte nicht möglich sein …“ Phoenix verstummte.
„Ich rufe noch einmal nach dem Heiler“, knurrte Kai.
„Sie braucht keinen Heiler“, sagte Riven.
Geräusche eines Handgemenges drangen zu mir durch, und dann wurde jemand gegen eine Wand geschleudert.
„Wir werden sie nicht sterben lassen, damit es dir das Leben leichter macht“, knurrte Phoenix. In jedem seiner Worte lag eine deutliche Drohung.
Es gab keine Anzeichen dafür, dass Riven sich wehrte, aber als er sprach, war seine Stimme kaum zu hören. „Sie braucht uns.“
Etwas war in diesen Worten. Ich wollte mich in sie hineinlehnen. Meine Augen öffnen, zu meinen Jungs gehen. Doch ich glitt wieder fort. Dunkelheit umhüllte mich. Egal wie hart ich dagegen ankämpfte, das Meer aus Schwarz schloss sich wieder über mir. Ich hörte nicht auf zu kämpfen.
Das Bewusstsein kam in Wellen.
Ich wurde hochgehoben. Brutaler, weißglühender Schmerz durchfuhr mich. Das Gefühl, bewegt zu werden.
Eine Stirn drückte sich an meine. „Kämpfe, Aura“, flüsterte eine rauchige Stimme.
Dann stand mein ganzer Körper in Flammen. Ich hatte diese Art von Qual schon früher gespürt. Sie besagte, dass der Tod unmittelbar bevorstand. Ich war diesem Schicksal einmal entgangen, aber ich war mir nicht sicher, ob ich es dieses Mal schaffen würde.
Kapitel 2
Hitze wirbelte um mich herum. Nicht das Brennen des Todes, sondern eine süße, wohlige Wärme. Ich versuchte, mich tiefer hineinzugraben, aber in dem Moment, als ich mich bewegte, siegte der Schmerz. Als ob jeder Muskel meines Körpers geprellt und ich dann gezwungen worden wäre, einen Marathon zu laufen.
„Sie wacht auf“, sagte eine Honig-Whiskey-Stimme.
Dann lagen sanfte Hände auf mir und ein ebenso sanfter Ton begleitete die Berührung. „Beweg dich nicht. Du wirst dir nur wehtun.“
Ich blinzelte, meine Lider kratzten über meine Augen, als wären sie aus Sandpapier. Das Licht kam in Schüben und ich kniff die Augen zusammen. Es war, als wäre ich jahrelang in der Dunkelheit gewesen.
„Lasst die Jalousien herunter“, befahl Phoenix.
Einen Moment später wurde das Licht schwächer. Gedämpft durch hauchdünnen Stoff. Langsam bekam der Raum Konturen. Ich wusste nicht, wo ich war. Das Zimmer war opulent, aber gemütlich. Tapete mit silbrigen Bäumen auf schneeweißem Hintergrund. Perfekt abgenutzte antike Holzmöbel. Das größte Himmelbett, das ich je gesehen hatte.
Es waren die Gesichter, derentwegen ich plötzlich Tränen in meinen Augen und auf meinen Wangen spürte.
„Scheiße, sie weint“, sagte Atlas und riss seine Hände von mir weg. „Habe ich dir wehgetan? Hast du Schmerzen?“
Ich schüttelte den Kopf und versuchte erneut, seine Hand zu ergreifen. „Du bist hier“, krächzte ich.
Phoenix beugte sich über mich und drückte mir einen Kuss auf die Stirn. „Wir sind alle hier. Du bist sicher.“
Kai streichelte meinen Oberschenkel und versicherte mir dadurch auch seine Anwesenheit. „Wir lassen nicht zu, dass dir etwas passiert.“
Die Tränen kamen schneller. Ich war nicht tot. Und sie waren hier.
Ich spürte eine Bewegung auf der Matratze neben mir und sah Riven. Er war nicht so gefasst wie üblich. Sein Haar war unordentlich, wodurch er irgendwie nur noch heißer aussah. Die Ärmel seines Hemdes waren hochgekrempelt und gaben muskulöse Unterarme frei. Das Hemd selbst war zerknittert. Aber es waren die dunklen Ringe um seine Augen, die mir die Luft abschnürten.
„Wie fühlst du dich?“, fragte er schroff.
Wie fühlte ich mich? Ich versuchte erfolglos, die Tränen zurückzuhalten. Atlas schien das zu spüren und wischte sie mir von den Wangen. Als ich eine mentale Untersuchung durchführte, wurde mir der tiefe Schmerz in meiner Brust bewusst. Als hätte jemand direkt durch mein Brustbein geschlagen, mein Herz gepackt und mein Inneres durcheinandergewirbelt. Aber da war noch mehr als das. Ich verspürte eine starke Zerrissenheit in verschiedene Richtungen.
„I-ich bin nicht sicher“, sagte ich schließlich.
Besorgt legte Phoenix die Stirn in Falten. „Hast du Schmerzen?“
„Nicht wirklich.“
„Lüg nicht“, knurrte Atlas.
Ich warf ihm einen kleinen finsteren Blick zu. „Es ist nicht so schlimm.“ Ich schaute an mir hinab. Sie hatten mich offensichtlich irgendwann umgezogen. Ich trug ein geknöpftes Pyjama-Oberteil aus weichster Seide. „Ist mit mir alles in Ordnung?“
Kai drückte sanft meinen Oberschenkel. „Du bist geheilt. Aber du warst schwer verletzt. Du musst es ein paar Tage ruhig angehen lassen.“
Meine Hände zitterten, als ich die beiden oberen Knöpfe meines Hemdes öffnete. Dann schnappte ich nach Luft. Über meine Brust zog sich ein Spinnennetz aus Linien. Feine Blitze aus Silber strahlten von der Stelle aus, an der mich die Kugel getroffen hatte.
Mein Blick sprang von einem meiner Jungs zum nächsten. „Wie ist das passiert?“
Sie sahen sich an.
„Was ist los?“, drängte ich.
Riven richtete sich auf dem Bett auf. Seine Maske rutschte beinahe wieder an ihren Platz zurück. „Hast du gesehen, wer auf dich geschossen hat?“
„Nein. Dort unten war es dunkel und er trug eine Kapuze. Ich glaube, es war eine Männerstimme.“ Ich bemühte mich, sie noch einmal in meinem Kopf zu hören, konnte sie aber nicht ganz heraufbeschwören. „Ich bin mir nicht sicher.“
„Was hat er gesagt?“, drängte Riven.
Ein Schauder durchlief mich.
Phoenix starrte Riven böse an. „Das reicht. Aura hat zu viel durchgemacht, um jetzt verhört zu werden.“
Riven erwiderte seinen Blick. „Wir müssen wissen, womit wir es zu tun haben, wenn wir irgendeine Chance dagegen haben wollen.“
„Wir sind hier in Sicherheit, und wir haben Zeit“, schoss Phoenix zurück.
„Wir werden die Könige nicht mehr lange von uns fernhalten können. Sie wollen Antworten.“
„Hört auf!“ Ich konnte die Streitereien nicht ertragen. Nicht meinetwegen.
Atlas kuschelte sich an meinen Hals und versuchte, mich zu beruhigen. „Es ist okay. Sie sind beide besorgt. Sie zeigen es manchmal einfach auf bekloppte Weise.“
Ich schluckte schwer und meine Brust schmerzte. Ich spürte wieder diesen Phantompuls, als ob Energiestränge aus meiner Brust wüchsen. „Er sagte, ich würde nicht lange genug leben, um zu regieren.“
Alle im Raum wurden still.
Kais Griff um meinen Oberschenkel wurde fester, als ob ich vor seinen Augen verschwinden könnte, wenn er mich nicht festhielte. „Ein Attentäter des Netzwerks.“
„So muss es sein“, murmelte Phoenix.
„Ich dachte, die wären größtenteils abgetaucht“, argumentierte Atlas.
Kai schüttelte den Kopf. „Nicht alle. Man hört immer mal wieder, dass Leute aus Familien, in denen Aether vorkamen, getötet werden.“
Atlas knirschte mit den Zähnen. „Das hielt ich bisher für ein Ammenmärchen.“
„Das ist es nicht.“ Riven starrte auf eine Stelle an der Wand, als würde er etwas beobachten, das sich uns nicht offenbaren wollte. „Es gibt Leute, die immer noch fest davon überzeugt sind, dass Aether eine Bedrohung darstellen. Die sie kontrollieren oder am besten ganz auslöschen wollen.“
Phoenix sah Riven aus zusammengekniffenen Augen an. „Was weißt du darüber?“
Rivens Kopf schnellte in seine Richtung. „Ich passe halt auf. Ich beobachte und ich höre zu. Das Flüstern hat nie aufgehört.“
Meine Finger krallten sich fester in die Decke. „Ihr sagt also, dass ein Netzwerk von Attentätern mich töten will?“
Niemand sagte ein Wort. Da hatte ich meine Antwort.
Der Schmerz in meiner Brust vermischte sich mit Panik und wuchs zu einem quälenden Stakkato an. Mein Atem ging schneller.
„Sie gerät in Panik“, sagte Atlas leise.
Phoenix war blitzschnell vor mir und legte seine schwieligen Hände an mein Gesicht. „Wir werden nicht zulassen, dass dir etwas passiert. Nie wieder.“
Meine Panik wurde nur schlimmer. Was, wenn die Attentäter mich holen wollten und Phoenix, Kai und Atlas ihnen in den Weg traten? Ich schüttelte den Kopf, und jede meiner Bewegungen verstärkte den Schmerz in meiner Brust. „Ihr könnt mich nicht beschützen.“
Rauchige Schatten wirbelten um Phoenix herum. „Wir können und wir werden.“
„Ich werde nicht der Grund dafür sein, dass ihr in Gefahr geratet. Ich werde in die menschliche Welt zurückkehren und mich dort verstecken.“ Allein diese Worte auszusprechen, schmerzte schlimmer als alles andere, was ich seit der Schießerei erlebt hatte. Ich wollte diese Männer nicht verlassen. Nicht einmal Riven, der mich gerade so finster ansah, als hätte ich Salz statt Zucker in seinen Kaffee gegeben.
Sie waren mir alle ans Herz gewachsen. Mehr als ich in diesem Moment zugeben wollte. Sie waren mir so wichtig, dass wirklich alles in meiner Brust zerreißen würde, sollte ich fortgehen.
Kai massierte meinen Oberschenkel und knetete die angespannten Muskeln. „Pip, wir haben seit unserer Geburt Attentäter auf unseren Fersen. Das ist nichts Neues.“
„Er hat recht“, versicherte mir Atlas.
Mir fiel auf, dass Riven vorsichtig schwieg.
Ich sah jeden einzelnen von ihnen an. So viel ging mir durch den Kopf.
„Ich kann nicht damit leben, der Grund dafür zu sein, dass einem von euch etwas zustößt.“
Etwas blitzte in Rivens Augen auf, doch seine Miene verschloss sich sofort wieder.
Kai beugte sich vor und drängte Phoenix aus dem Weg. Er drückte mir einen zärtlichen Kuss auf die Lippen. „Keinem von uns wird etwas passieren.“
„Gemeinsam sind wir stärker“, fügte Atlas hinzu.
Ich biss mir in die Wange. „Ich bin mir nicht sicher.“
„Du hast keine Wahl“, knurrte Phoenix.
Als ich das hörte, zog ich die Augenbrauen hoch. „Wie bitte?“
Er starrte mit seinen dunklen Augen auf mich herab. „Aura …“
Phoenix kämpfte darum, seine nächsten Worte zu finden. Aber es war Riven, der sprach. „Es spielt keine Rolle, was du willst, denn die Wahl wurde jedem einzelnen von uns genommen. Wir sind miteinander verbunden.“
Kapitel 3
„W-was hast du gesagt?“ Ich versuchte, mich in den Kissen aufzusetzen, und ignorierte den pochenden Schmerz in meiner Brust.
Kai schlug Riven fest auf den Arm. „Zeig Mitgefühl, ja? In den letzten vier Tagen hat Aura herausgefunden, dass sie eine Aether ist, wurde eingesperrt und angeschossen.“
„Und jetzt weiß sie, dass sie für alle Ewigkeit an deinen mürrischen Arsch gebunden ist“, murmelte Phoenix. „Das würde ausreichen, um jeden in die Flucht zu schlagen.“
Atlas grunzte zustimmend.
Rivens Knöchel wurden weiß, als er die Decke umklammerte. „Sie muss die Wahrheit erfahren. Dass wir alle dadurch gefährdet sind.“
Ich stützte mich auf die Kissen und stieß ein schmerzerfülltes Zischen aus. Augenblicklich legte Atlas seine Hände auf meine Schultern. „Vorsicht.“
„Ich muss mich aufsetzen.“ Ich wollte mit ihnen allen auf Augenhöhe sein und mich nicht so klein und machtlos fühlen.
„Hier“, sagte Phoenix und half Atlas dabei, die Kissen hinter mir zurechtzurücken und mich anzuheben.
Als wir fertig waren, ging mein Atem schwer, aber ich fühlte mich besser und hatte mehr Kontrolle. Aber sobald ich die Jungs ansah, verschwand dieses Gefühl. „Ich weiß nicht einmal, was es bedeutet, dass wir verbunden sind.“
Atlas verschränkte seine Finger mit meinen und zeichnete mit seinem Daumen Kreise auf meinen Handrücken. „Das bedeutet, dass wir immer dazu bestimmt waren, eins zu sein. Du bist unsere Aether. Wir wurden dazu geschaffen, einander auf eine Weise zu ergänzen, wie es sonst mit niemandem funktionieren würde.“
Eine neue Art von Schmerz pulsierte in meiner Brust. Einer, der mit allem, was ich hatte, wollte, dass das wahr war.
Kai nahm meine andere Hand und spiegelte Atlas’ beruhigende Berührung. „Aber trotz dieses Schicksals ist noch mehr nötig, damit die Verbindung zustande kommt.“
„Mehr?“
Phoenix strich mir die Haare aus dem Gesicht. „Irgendetwas muss die Verbindung auslösen. Tiefe Fürsorge. Manchmal ist es emotional.“
„Manchmal körperlich“, sagte Kai mit einem Augenzwinkern.
Atlas drückte meine Hand. „Wir hatten schreckliche Angst, als du angeschossen wurdest. Du lagst im Sterben und wir konnten nichts tun.“ Schatten tanzten in seinen grünbraunen Augen. „Wir wollten dich retten.“
„Also haben wir es getan“, beendete Phoenix für ihn.
„Ihr habt mich gerettet? Du meinst, ihr habt einen Heiler gerufen?“
Kai schüttelte den Kopf und zog einen Mundwinkel nach oben. „Wir sind ziemlich harte Typen, falls du das nicht schon herausgefunden hast.“
Riven starrte böse in Kais Richtung. „Das ist nichts, worüber man Scherze macht.“
Mein Herz hämmerte gegen meine Rippen. „Wie ist das möglich?“
Atlas streichelte weiter meine Hand. „Es ist nur möglich, wenn eine Aether eine Verbindung mit ihren Partnern eingegangen ist. Es gibt uns die Möglichkeit, einander bei der Heilung zu helfen.“ Sein Blick hob sich zu Riven. „Wir alle mussten die Verbindung wollen, damit sie wirklich zustande kam. Wir mussten sie wollen, um dich zu retten.“
Ein Muskel an Rivens Kiefer zuckte. „Wir müssen über unseren weiteren Plan sprechen. Niemand darf etwas über die Verbindung wissen.“
Es hätte mich nicht überraschen sollen, dass Riven unsere Verbindung verbergen wollte. Er wollte vielleicht nicht, dass ich sterbe, aber er wollte auch nicht an mich gebunden sein. Dennoch trafen mich seine Worte. Wann würde das enden? Irgendwann musste ich gegenüber seinen gefühllosen Seitenhieben abstumpfen.
„Riv“, sagte Atlas leise und warf einen bedeutungsvollen Blick in meine Richtung.
Der Muskel an seinem Kiefer zuckte erneut. „Das dient genauso dazu, Aura zu schützen, wie den Rest von uns. Wenn bekannt wird, dass die Verbindung entstanden ist, werden die Angriffe zunehmen. Je näher sie dem Thron kommt –“
„Thron?“, japste ich.
Kais Lippen zuckten. „Eines Tages wirst du Königin sein, Pip.“
„I-ich möchte keine Königin sein. Ich weiß kaum etwas über Elementare. Wie zum Teufel sollte ich sie regieren?“
Phoenix küsste sanft meine Schläfe. „Du wurdest dafür geboren. Alles, was du brauchst, ist in dir. Und wir helfen bei den Details.“
Abgesehen von der Tatsache, dass ich es nicht wollte, war da noch so viel mehr. „Niemand wird mich auf dem Thron wollen. Ich bin ein halber Mensch. Ich bin nicht in dieser Welt aufgewachsen. Ich –“
Phoenix brachte mich mit einem Kuss zum Schweigen. „Du wirst sie für dich gewinnen. So wie du uns alle für dich gewonnen hast.“
Ich sah zu Riven. Der ausdruckslose Blick, der mir begegnete, bestätigte, dass es jemanden in dieser Verbindung gab, den ich nicht annähernd für mich hatte gewinnen können.
Atlas grub seine Finger in meine Haare. „Alles, was wir tun müssen, ist, die Dinge nach und nach anzugehen. Aber Riven könnte recht haben, die Verbindung vorerst geheim zu halten. Lassen wir sie denken, wir nehmen uns Zeit. Es könnte Aura ein zusätzliches Maß an Sicherheit geben.“
Kai schüttelte den Kopf. „Es ist ein Fehler. Wir sollten dem gesamten Reich mitteilen, dass ihr Aetherstatus bestätigt ist. Lasst sie jetzt den Thron beanspruchen.“
Riven schnaubte verächtlich. „Hast du Wahnvorstellungen? Jede Königin muss vier Jahre an der Akademie absolvieren, bevor sie regieren kann. Glaubst du, dass sie dazu in der Lage wäre, wenn jeder wüsste, dass sie nur noch wenige Schritte davon entfernt ist, Königin zu werden?“
„Sie hätte die königliche Garde“, argumentierte Kai.
„Keiner von ihnen wäre ihr treu.“ Riven rieb sich mit der Hand über sein leicht stoppeliges Kinn. „Diese Wächter kommen aus den vier Königreichen. Sie sind ihren Königen gegenüber loyal. Die meisten von ihnen werden genauso wenig wollen, dass Aura den Thron besteigt, wie die Attentäter.“
Bei dem Gedanken drehte sich mir der Magen um. „Ich werde nie wieder sicher sein, wem ich vertrauen kann.“ Mit dieser Erkenntnis senkte sich eine tiefe Einsamkeit über mich.
„Du kannst uns vertrauen“, sagte Phoenix. Obwohl er nicht laut gesprochen hatte, schwang in seinen Worten ein Nachdruck mit, der nicht zu verleugnen war.
Ich hob meinen Blick zu Riven. Zum ersten Mal, seit ich aufgewacht war, sah ich ihn an, ohne wegzuschauen. Ich nahm jedes Detail wahr und suchte nach etwas, das mir einen Einblick in seinen Verstand, sein Herz, seine Seele geben würde. „Kann ich dir vertrauen?“
Riven versteifte sich, Schmerz blitzte in seinem Blick auf. Doch dann gefroren seine Gletscheraugen zu einer schmerzenden Kälte. „Stellst du meine Ehre infrage?“
„Es ist nicht so, dass du ihr das Gefühl gegeben hast, willkommen zu sein“, betonte Kai.
„Ihr zwei müsst Zeit miteinander verbringen“, sagte Atlas. Ich konnte die Hoffnung in seiner Stimme nicht überhören.
Während sie sprachen, wandte ich den Blick nicht von Riven ab. „Damit das funktioniert, muss Riven Zeit mit mir verbringen wollen.“
Ich war über den Punkt des Stolzes hinaus. Weil es einen Teil meiner Seele gab, der sich nach Riven sehnte. Einen, der außerhalb meiner Kontrolle lag. Ich wollte nicht mit ihm verfeindet sein. Ich wollte nicht der Grund dafür sein, dass er mit seinen Brüdern stritt. Ich wollte Frieden. Ich wollte, dass sich unsere Verbindung … vollkommen anfühlte.
Riven rappelte sich auf. „Ich versuche, uns alle zu beschützen.“
Phoenix erhob sich, und die rauchigen Schatten sammelten sich wieder um ihn. „Du meinst, du versuchst, dich selbst zu schützen. Dein Leben in diesen langweiligen kleinen Grenzen zu halten, in denen alles vorhersehbar ist und du dich nicht gegen deinen Vater stellen musst.“
Eine elektrische Energie pulsierte durch den Raum. Wind wirbelte um Riven herum. „Du hast keine Ahnung, wovon du redest. Keine Ahnung, was ich …“ Er schüttelte den Kopf und schwieg.
Seine Augen verengten sich, als er auf das Bett blickte. Auf mich. Ich hätte schwören können, dass sich sein Blick in mich hineinbohrte und jede Wunde und Narbe untersuchte. Und als er sie alle gesehen hatte, versetzte er mir den Todesstoß.
„Ich will dies alles nicht. Es wäre besser gewesen, wenn wir dich nie gefunden hätten.“