Leseprobe Das Geheimnis der Gräfin

I. Kapitel

Der Tag, an dem mein Vater beschloss, mich an den Hof der Gräfin Elisabeth Báthory, Ehefrau des hochedlen Grafen Franz Nádasdy, zu schicken, liegt viele Jahre zurück. Der Leser muss mir verzeihen, sollte es mir schwerfallen, mich an jede Einzelheit zu erinnern. Angst und Schrecken beherrschten mein Leben und ich fühlte mich zum Sterben müde.

Eines aber ist mir noch gut im Gedächtnis geblieben – man rühmte im Beisein meines Vaters Gräfin Báthorys Gemüt, ihre Haushaltsführung, ihre untadelige Art und ihre Rechtschaffenheit ebenso wie den großen Anteil, den die Gräfin am Leben der jungen Mädchen ihres Hofstaates nahm. Alles, was man ihm über die ungarische Magnatin berichtete, ließ ihn davon überzeugt sein, dass er keinen Missgriff tat, als er sich dazu entschloss, mich in ihre Dienste zu geben. Mein Vater war zwar ein sächsischer Adliger, dennoch führten wir ein hartes und entbehrungsreiches Leben in den Karpaten Siebenbürgens. Denn auch dort konnte man als Adliger ohne Geld nicht in die höheren Ränge aufsteigen.

Unsere Familie war viele Jahre lang bis über beide Ohren verschuldet gewesen, sodass mein Vater sogar gezwungen gewesen war, nicht nur Ländereien, sondern auch seine gesamte Kriegsausrüstung zu verkaufen. Es musste ihn sehr geschmerzt haben, denn wir verdankten unseren Besitz meinem Großvater, der sich unter Istvan Báthory von Ecsed bei der Schlacht auf dem Brodfeld 1479 als Ritter so löblich hervorgetan hatte, dass ihm der König für seine Treue ein Lehen in Hermannstadt, der Stadt der sieben vornehmen Festungen, geschenkt hatte.

Um es meinem Großvater gleichzutun oder vielleicht auch nur, um etwas von dem einstigen Ruhm und Glanz zurückzuholen, war mein Vater in seine Fußstapfen getreten und hatte einige Zeit unter der Flagge von Elisabeth Báthorys Onkel Stephan IV., des Großfürsten von Polen-Litauen und Siebenbürgen, gekämpft. Er erzählte mir oft von der Belagerung von Pskow, als er mit fünfzigtausend Königsgetreuen fast ein halbes Jahr vor den russischen Stadttoren ausgeharrt hatte. Für den polnisch-litauischen König aus der Báthory-Linie hätte mein Vater sein Leben gegeben. Kein Wunder, denn schließlich hatte sich dieser mit dem türkischen Sultan einen blutigen Kampf um unser Siebenbürgen geliefert und sich anschließend ganz ohne Blutvergießen Livland vom Zaren gesichert.

Aber hier soll es um meine eigene Geschichte gehen.

Vor diesem Hintergrund also war es nicht verwunderlich, dass mein Vater sich nichts sehnlicher wünschte, als dass seine geliebte Tochter eine Ausbildung am Hof der Nichte Stephans anträte, um die Verbindung zu dem hohen Haus Báthory aufrechtzuerhalten.

Meine Familie, derer von Weißenburg, war wie alle in Hermannstadt lebenden Sachsen aufgrund eines Goldenen Freibriefs mit weitreichenden Privilegien unserer Stadt stark verbunden. Immerhin zählte ein Urahn derer von Weißenburg zu den ersten eingewanderten sächsischen Rittern und somit zu den Mitbegründern der Sieben Stühle, deren Hauptstuhl Hermannstadt war. Des Weiteren zählte zu den Stühlen auch die Stadt Schäßburg.

Meine Kindheit verbrachte ich behütet und umsorgt im Schoße einer liebenden Familie, zwischen Weinbergen, Kühen, Ziegen und Schweinen. Ich balgte mich mit unseren Hirtenjungen und lernte frühzeitig, wie ein Mann im Sattel zu sitzen. Mein unverwüstliches Temperament verdankte ich wohl meiner Amme, einem derben Weib mit türkischem, slowenischem und rumänischem Blut in den Adern, mit deren Milch ich zugleich die Leidenschaft für die wildromantische Schönheit des dicht bewaldeten, unwegsamen Karpatenlandes einsog.

Alsbald rückte der Tag der Abreise heran. Unsere Dienerschaft belud geschäftig die Kutschen und Maultiere, meine Mutter packte in der Küche luftgetrockneten Speck, Brot, Striezel und aus Pflaumen gebrannten Schnaps für die Reise ein. Mein Vater wählte die Männer zu meinem Schutze aus. Währenddessen nutzten Johannes und ich die noch verbleibende Zeit zu einem Ritt durch die Wälder.

Johannes war mein engster Freund und Vertrauter. Er war das siebte Kind unseres Verwalters und schon bei uns auf dem Hof nannte ihn jeder wegen seines geringen Körperwuchses Ficzkó – „kleines Bürschlein“. Ein Name, der ihm sein Leben lang wie ein Fluch anlastete und ihn rasend vor Wut werden ließ, wenn man ihn ihm gar zu oft nachrief. Johannes war ein lebhafter junger Mann mit kräftiger Gesichtsfarbe, schwarzem Haar und einer für seine fünfzehn Jahre erstaunlichen Kraft und Gewandtheit, die an eine Raubkatze erinnerte. Er war immer gesprächig, lachte gern und fühlte sich am wohlsten, wenn er auf einem sattellosen Pferderücken saß. Er war ein liebenswerter Junge, der wohl ein wenig in mich verliebt war, denn es kam immer öfter vor, dass er Flöten aus Buchenholz für mich schnitzte oder Adonisröschen von den Berghängen sammelte, um mir damit eine Freude zu bereiten.

Es war einer dieser goldenen Herbsttage, an denen die Natur noch einmal in aller Schönheit erstrahlte, bevor die tristen, düsteren Nebel und kalten Schauer den harten Karpatenwinter ankündigten. Rote und gelbe Blätter tanzten durch die Luft, ein milder Wind trieb sie über die endlosen Wiesen, und die Eichhörnchen vergruben geschäftig ihre Vorräte. Am strahlend blauen Himmel war kein Wölkchen zu sehen. Johannes und ich jagten wie übermütige Kinder im Galopp über die Wiesen und Felder. Angst hatten wir keine, obwohl man uns auch an diesem Tag davor gewarnt hatte, nicht allzu weit in den Wald hineinzureiten. Man war nie vor versprengten osmanischen Reitern sicher, die im Sklavenhandel ihr Geschäft sahen und oftmals mordend und brandschatzend bis weit in die Gebiete der Sieben Stühle vordrangen. Aber in unserer Jugend kannten wir so wenige Gefahren. Die Welt war für uns ein Abenteuer.

Wir ritten an den letzten noch nicht abgeernteten Haferfeldern vorbei. Es war kaum ein Ort unter dem Himmel zu finden, in dem das Getreide dicker und höher wuchs als bei uns in Siebenbürgen. Übermütig, von der Vorfreude beseelt, am Hof der Gräfin bald ein Teil der vornehmen Gesellschaft zu sein, lenkte ich uns durch die Weinberge, immer tiefer in das felsige Gebirge hinein. Keiner von uns bemerkte, dass wir uns viel zu schnell der ungarischen Grenze näherten.

„Wir kommen, heiliges Land!“, rief Johannes und breitete übermütig die Arme aus, als wir auf einem Felsvorsprung unsere Pferde zügelten und die weiten Schluchten und Pässe der Karpaten sich unter uns ausbreiteten. Johannes’ schwarzes Haar glänzte wie das seines Pferdes in der Sonne und unter dem weißen Leinenhemd zeichnete sich deutlich sein muskulöser Körper ab. Ich glaube, auch ich schwärmte heimlich, wie alle Mädchen aus unserem Dorf, für ihn und stellte mir vor, wie es wäre, von ihm geküsst zu werden. Dass ich einen ganzen Kopf größer war als er, störte mich wenig, weil ich ihn fast nur auf dem Pferderücken kannte und daher mit anderen Augen sah. Niemals hätte ich mir damals vorstellen können, welch grausame Bestie in seiner noch knabenhaften Seele schlummerte, die nur darauf wartete, geweckt zu werden.

Unsere Pferde tänzelten und schnaubten ungeduldig, über uns kreiste majestätisch ein riesiger Adler, während der Wind in den Baumkronen spielte und unzählige Vogelstimmen uns ihr Abschiedsständchen zwitscherten. Wir fassten uns an den Händen, um der prachtvollen Landschaft zu huldigen und stimmten mit einem rumänischen Wiegenlied in das Gezwitscher ein, als plötzlich etwas die friedliche Naturidylle störte.

Unterhalb des Felsvorsprungs preschte eine Gruppe Reiter aus dem Wald und jagte über eine Lichtung hinter einem Hirsch her. Plötzlich brach eines der Pferde vor einem Hindernis aus, bäumte sich auf und lief in die entgegengesetzte Richtung davon.

Johannes schirmte seine Augen mit der Hand ab, um in der hellen Sonne besser sehen zu können. „Ungarische Jäger. Ihren Gewändern nach von fürstlichem Geblüt“, bemerkte er ruhig, während mein Blick aufmerksam dem einzelnen Reiter folgte. „Wie es aussieht, steckt einer von ihnen in Schwierigkeiten. Wenn er es nicht schafft, sein Pferd zu zügeln, läuft es in die Silbermine unter uns und er wird sich zwischen den Felsen zu Tode reiten“, stellte ich fest, während Johannes mit einer Hand sein tänzelndes Pferd bändigte und mit der anderen auf den sich durch das Gebirge schlängelnden Bachlauf wies. „Seht, Komtesse, das fischende Lumpenbündel dort unten wird das Pferd wohl erschreckt haben!“

Mein Blick folgte seinem ausgestreckten Arm bis zu einer gebückten Gestalt im Bachwasser, dann beobachtete ich wieder das Pferd, das der Schlucht immer näher kam. Das Verhalten der anderen Reiter verwunderte mich zutiefst. Ein Teil von ihnen war abgesessen und kümmerte sich um das erlegte Wild, doch der untätige Rest machte keine Anstalten, das durchgehende Pferd aufzuhalten.

Da Fremde auf sächsischem Boden Gefahr bedeuteten, hätten wir es normalerweise bei unseren Beobachtungen belassen und wären wieder heimwärts geritten. Doch bei den Männern handelte es sich um Ungarn, keine Fremden für uns Sachsen aus Siebenbürgen. Heute kann ich nicht mehr genau sagen, ob es der Teufel war, der mich in diesem Moment ritt, oder der Umstand, dass es sich bei den Männern um herrschaftliche Jäger handelte. „Der Reiter rast in die Mine, wir müssen ihn warnen!“, rief ich Johannes zu. Ich wartete seine Antwort nicht ab, riss mein Pferd herum und preschte den Abhang hinab. Es dauerte nicht lange, bis ich Johannes’ Pferd hinter mir schnaufen hörte.

„Ich reite einen Bogen, dann können wir ihn besser aufhalten!“, schrie er, doch in der Schlucht war plötzlich kein Reiter mehr zu sehen. Johannes tauchte wieder zwischen den Felsen auf, ohne eine Spur des Mannes gefunden zu haben. Nachdem wir einige Minuten ziellos umhergeirrt waren, gab er auf. „Wir reiten besser zurück. Man wird schon nach uns suchen.“ Er wollte sein Pferd antreiben, doch im gleichen Augenblick ließ uns ein markerschütternder Schrei erstarren. Selbst unsere Pferde spitzten die Ohren und schienen einen Moment wie am Boden festgewachsen.

Der Schrei zerriss die Stille der Berge und unser gesunder Menschenverstand riet uns, schnellstmöglich umzukehren. Doch genau in diesem Moment tauchte wie aus dem Nichts der ungarische Reiter wieder auf. Er kam aus einem Hohlweg auf uns zu geritten.

Einen Augenblick lang schien es so, als ob auch er überrascht wäre, hier in der Wildnis auf Fremde zu treffen, dann sprach er uns auf Ungarisch an und hob drohend seine Reitpeitsche. Noch hätten wir fliehen können, immerhin war uns jeder Stein und Baum in der Gegend bekannt, ein großer Vorteil jedem Eindringling gegenüber. Doch Johannes, ausgerechnet mein wilder Johannes, der bei ähnlichen Gelegenheiten normalerweise schnell aus seiner Haut fuhr, saß vom Pferd ab und beugte zu meinem Erstaunen das Knie vor dem Reiter. In bestem Ungarisch, das wir beide als Zweitsprache beherrschten, da die Nähe zur ungarischen Grenze es verlangte, machte er dem Mann in der Pelzmütze, der eng geschnürten Jacke und dem schwarzen Schaffell über den Schultern seine Aufwartung. Das Schuhwerk des Fremden ließ osmanischen Einfluss erkennen. Auch der Magnatensäbel, den er an seiner Seite trug, war türkisch. Aber nicht nur mir, auch Johannes schien jetzt das Wappen der Báthorys am Säbelgriff aufgefallen zu sein: ein Drache, der drei Drachenzähne umschloss.

„Ich bin der Begleiter der Komtesse von Weißenburg, Eure Hoheit“, stellte Johannes sich vor und log zu unserer Sicherheit.

„Wir befinden uns auf der Suche nach einem unserer Hunde. Er ist uns im Wald entlaufen. Verzeiht unser unbedachtes Handeln, wir hatten nicht vor, das Jagdvergnügen Eurer Hoheit zu stören.“

Das Gesicht des noch jungen Mannes entspannte sich. Ja, es glitt sogar ein Lächeln über die feinen, etwas unruhigen Züge, als er mir, nach einer eingehenden Betrachtung meiner weiblichen Formen, mit einer knappen Kopfbewegung einen wohlwollenden Gruß entgegenbrachte. Ich hielt dem feurigen Blick seiner schwarzen Augen stand. Während ich überlegte, wie ich mich ihm gegenüber verhalten sollte, gab er seinem Pferd die Sporen und bedeutete uns, ihm zu folgen. Gehorsam preschten wir hinter dem jungen Herrn her, der nun auf die Reitergruppe im Tal zusteuerte. Allerdings waren es weniger das Hundegebell und die Zurufe der Jäger, die unsere Aufmerksamkeit auf sich zogen, als vielmehr ein Geräusch wie von klatschenden Schlägen und ein Wimmern, wie das eines geprügelten Hundes. Diener oder Leibeigene zu prügeln gehörte für die ungarischen Herrscher zum Alltag. Uns Sachsen, ob nun in Hermannstadt, Kronstadt oder Deutschkreuz, war es allerdings strengstens verboten. Dennoch setzten sich immer wieder einige Adlige über das Gesetz hinweg und bestraften die Vergehen ihrer Dienerschaft hinter verschlossenen Türen mit Schlägen. So war der Anblick, der sich uns beim Näherkommen bot, zunächst nichts Ungewöhnliches für uns. Dennoch war ich entsetzt, dass es eine junge Frau war, die so unbarmherzig mit der Reitpeitsche auf einen wehrlosen Menschen einschlug. Das Bündel durchnässter Lumpen in dem Bachlauf zeigte kaum noch Gegenwehr gegen die wie ein Gewitter niederprasselnden Schläge. Die Gestalt versuchte lediglich, mit den Armen den Kopf zu schützen. Die Jagdgesellschaft schien kaum Notiz von dem Vorfall zu nehmen, was mich erneut in Erstaunen versetzte. Stattdessen waren die Männer damit beschäftigt, den erlegten Hirsch für den Heimweg sicher zu verschnüren. Dazu hatten sie sich lange Astgabeln besorgt, an die sie das Tier mit den Beinen kopfunter banden. Man wurde erst auf uns aufmerksam, als unser ungarischer Begleiter dem prügelnden Weib zurief: „Lass es genug sein, Tante Elisabeth, wir wollen Lockenhaus noch vor Einbruch der Dunkelheit erreichen. Sieh lieber, wen ich dir mitgebracht habe. Die Komtesse von Weißenburg. Ist das nicht ein Zufall?“

Die junge Frau, die breitbeinig über ihrem Opfer gestanden hatte, drehte dem Grafen ihr Gesicht zu und sprang dann mit einem kühnen Satz an die Uferbefestigung. Sie griff nach den Zügeln ihres Pferdes und kam, die Peitsche langsam schwingend, neugierig auf uns zu. Je näher sie uns kam, desto mehr überraschte sie mich. Anstatt dass, wie man vermutet hätte, ihre Züge vom Zorn gerötet waren oder zumindest Spuren der Anstrengung aufwiesen, wirkte ihr Gesicht auf mich eher entspannt und fröhlich. Aber was mich am meisten an ihr faszinierte, war dieser kindliche Ausdruck in den übergroßen, schwarzen Augen. Sie war zweifellos eine Schönheit. Ihr Gesicht war mir bereits von dem Gemälde bekannt, das der Kurier meinem Vater zusammen mit dem Vertrag für meine Ausbildung überbracht hatte. Deshalb fiel ich nicht gleich aus allen Wolken, als sie mir als Gräfin Elisabeth Báthory-Nádasdy vorgestellt wurde. Schon allein ihr prunkvoller Kleidungsstil verriet mir, dass tatsächlich die ungarische Magnatin vor mir stand. Sie war, wie ein Mann, in einen bis zum Boden reichenden, weiten, am Saum mit Gold und Perlen bestickten, ungarischen Magnaten-Mantel gekleidet. Darunter trug sie, genau wie ihr Neffe, eine bestickte, eng geschnürte und hoch geschnittene Jacke, weite gerade Hosen, die von einem goldenen Spangengürtel gehalten wurden, und kostbar bestickte osmanische Stiefel. Eine perlengeschmückte Haube zierte das am Kopf zu einem Zopf gebundene Haar der offensichtlich verheirateten ungarischen Frau. Ich war mir nicht sicher, wie ich mich richtig verhalten sollte. Einerseits drängte es mich, einfach wegzureiten, andererseits hielt mich dieser kindliche und zugleich gebietende Blick, von dem eine seltsame Macht ausging, auf der Stelle gefangen. Ich warf einen heimlichen Blick zu Johannes, auf den die junge Frau anscheinend die gleiche Faszination ausübte. Verträumt, fast anbetungsvoll, ruhten seine dunklen Augen auf ihrem Gesicht. Ach, wäre doch die Jugend mit der Weisheit der Älteren ausgestattet! Dann hätte ich rechtzeitig hinter die schöne Stirn geblickt und die trügerischen Worte der Gräfin wären uns nicht zum Verhängnis geworden. Aber wir waren jung und vor uns stand eine ungarische Herrscherin, eine Frau, die es gut mit einem König aufnehmen konnte. Hinzu kam, dass auf ihrem Gesicht noch der Reiz der Jugend lag und ihre prächtigen Kleider uns einen Vorgeschmack auf den zu erwartenden Glanz an ihrem Hof gaben. Nachdem die Verwunderung über das Auftauchen Fremder von ihrem Gesicht gewichen war, wechselte sie mit ihrem jungen Begleiter einen fragenden Blick. Gleich darauf begrüßte sie mich mit ihrer angenehmen Stimme: „Nein, was für ein Zufall, die Komtesse von Weißenburg, Euch hier in den Wäldern anzutreffen. Ich hatte Euch erst in einer Woche an meinem Hof erwartet. Man hat mir gesagt, dass Ihr sehr hübsch seid und bei mir in den weiblichen Tugenden und gesellschaftlichen Künsten geschult werden möchtet. Mein Sekretär hat nicht übertrieben. Ihr seid wirklich von solcher Anmut, dass einem bei Eurem Anblick das Herz aufgeht.“ Sie sprach schnell, so, als befürchte sie, man würde ihr nicht bis zu Ende zuhören, und wich meinem offenen Blick aus. Heute, nachdem ich viele Jahre im Dienst der Gräfin verbracht habe, weiß ich, dass sie schon zu diesem Zeitpunkt krankhaft selbstverliebt gewesen sein musste. Dass sich jedoch hinter ihrer narzisstischen Maske eine tief verunsicherte Frau verbarg, die unter sich selbst litt, ahnte ich damals noch nicht. Ich hatte später immer das Gefühl, dass sie versuchte, ihr schwaches Selbstbild zunehmend durch ihr brutales Verhalten zu ersetzen. Aber schon bei dieser, unserer ersten Begegnung verstand sie es meisterhaft, ihre Unsicherheit hinter einer bezaubernden Liebenswürdigkeit zu verbergen. „Mein Neffe Gabor teilte mir gerade mit, dass Ihr Euer Leben für mich riskiert habt, Komtesse? Sagt, wie kann ich Euch nur dafür danken?“

Mein Blick wanderte etwas verstört von ihr zu ihrem Begleiter, bevor ich ihr antwortete: „Euer Gnaden, wir waren der Meinung, der junge Herr stecke in Schwierigkeiten.“

„Gabor?“ Sie lachte mit einem tiefen Glucksen. „Ach, mein Neffe ist mir nur nachgeritten, weil mein Pferd vor einem alten Weib scheute, das sich mir in den Weg gestellt hat.“ Ich sah an ihren Zügen, dass sie die unliebsame Begegnung abzuschütteln versuchte.

„Dann war es Euer Pferd, Euer Gnaden, welches auf die Schlucht zu jagte?“ Überrascht über diese Neuigkeit machte ich einen Knicks vor ihr. Doch sie hielt mich lächelnd auf und sagte, mit einem Augenzwinkern in die Richtung ihres Neffen: „Gabor hat immer noch nicht begriffen, dass ich besser reiten kann als er, dass es kein Pferd, überhaupt kein Wesen in Ungarn gibt, das sich meiner Hand, geschweige denn meiner Macht entziehen kann.“

Nach diesen Worten genoss sie sichtlich den Applaus ihrer Männer, die daran nicht sparten. Ihr Neffe Gabor errötete verlegen. Johannes, mit dem Vorrecht der Jugend, äußerte seine Meinung dazu auf seine Weise. „Dann seid Ihr zurückgeritten, um die Alte zu züchtigen und habt es in Kauf genommen, dass Euer Neffe sich in der Schlucht das Genick bricht? Und das findet Ihr noch lustig?“

Unter anderen Umständen hätte ihn das sicher das Leben gekostet. Doch Elisabeth quittierte seine Äußerung nur mit einem süßlichen Lächeln.

„Ich habe ihn nicht darum gebeten!“, entgegnete sie schnippisch. „Ihr beide habt ja ebenso euer Leben riskiert, oder nicht?“ Sie zwinkerte mir aus ihren kindlichen Augen zu.

„Dennoch, liebe Komtesse, weiß ich es zu schätzen, wenn sich jemand für mein Wohl einsetzt. Deshalb würde es mich glücklich machen, Euch nicht nur als meine Hofdame, sondern auch als meine Freundin an meinem Hof zu begrüßen.“ Mit einem Blick auf Johannes sagte sie: „Ihr habt einen sehr hübschen, aber sehr vorlauten Begleiter.“ Sie hob sein Kinn mit der Reitpeitsche so weit an, dass er ihr in die Augen sehen musste.

„Euer Diener gefällt mir, Susanna. Ich könnte ihn mir gut als meinen Pagen vorstellen.“ Der Gedanke schien sie zu amüsieren und so fragte sie Johannes: „Wie ist dein Name, mein kleiner Ficzkó …?“

Dass auch sie ihn „kleines Bürschlein“ nannte, war für Johannes mehr als nur eine Demütigung. Ob es nun beabsichtigt oder nur ein Zufall war, es hatte zur Folge, dass sich seine Muskeln unter dem Hemd spannten und seine Kieferknochen vor Anspannung ein Knacken ertönen ließen. Von der Verehrung für die schöne Frau war ihm nichts mehr anzusehen. Stattdessen fing er meinen Blick auf und ich sah ein verstecktes Lodern in seinen Augen. Jeden Moment konnte er die Beherrschung verlieren und sich zu etwas Unbedachtem hinreißen lassen. Ich weiß nicht, wie die Begegnung mit Elisabeth dann ausgegangen wäre, deshalb beschwor ich ihn mit flehenden Blicken, sich ruhig zu verhalten. Doch dann schickte der Zufall uns unerwartete Hilfe. Es war das geprügelte alte Weib, das niemand mehr beachtet hatte. Die Alte rappelte sich hastig auf und humpelte, auf ihren Stock gestützt, an uns vorbei zur Waldschneise. Doch der von den Schlägen geschwächte Körper war zu langsam und so verstellten ihr die Jäger den Weg, um sie mit ihren ungehobelten Scherzen zu traktieren. Schadenfrohes Gelächter begleitet von spöttischer Erniedrigung weckte das Interesse der Gräfin. Sie ließ von Johannes ab und begab sich in den Kreis ihrer Getreuen. Ich sah, wie sie die Hände in die Hüften stemmte und sich über die Bemerkungen der Männer vor Lachen ausschüttete. Meine Hochachtung der Gräfin gegenüber verbot mir, sie zurechtzuweisen, dennoch ärgerte mich ihr mangelnder Respekt vor der Schwächeren. Ein altes Weib zum Spielball ihrer Launen zu machen schien mir ihrer unwürdig. Als ich dann all meinen Mut zusammennahm und zu ihr trat, um Gnade für das Weib zu erbitten, richtete die Alte gerade drohend ihren Stock auf die Gräfin. Diese schien von dieser Reaktion so überrascht, dass sie verwundert innehielt und ihren Männern mit einem strengen Blick gebot, mit den Possen aufzuhören. Ich sah in ein von Falten gezeichnetes Gesicht mit dunklen Augenhöhlen. Das Weib war steinalt, doch schien ihr Mut, sich der mächtigsten Frau Ungarns entgegenzustellen, nicht nur bei mir Eindruck zu hinterlassen. Die Alte wagte es, Elisabeth mit ihrer Fistelstimme zu verfluchen. Die Worte des Weibes hörten sich wie eine unheimliche Prophezeiung an. „Ihr seid noch jung an Jahren, hohe Frau, und sehr schön. Aber Ihr seid ein Weib ohne Seele, ohne Erbarmen, eitel und selbstverliebt, eine Furie mit menschlichem Angesicht, die es nicht verdient, geliebt zu werden. Menschen wie Ihr bringen nur Unglück über das Volk. Seht Euch meine Wunden gut an, hohe Frau. Es sind die Spuren Eurer Peitsche. Doch eines Tages werdet Ihr ebenso alt und runzlig sein wie ich. Auch wenn Ihr mich jetzt totprügelt – mich wird meine Familie beweinen. Um Euch wird niemand trauern. Ihr werdet gehasst und einsam sterben.“

Im ersten Augenblick glaubte ich, das Weib wäre verrückt und ich fragte mich, wie verzweifelt ein Mensch sein musste, um sein Verderben zu besiegeln. Auf diese Beleidigung konnte nur eine weitere Prügelattacke folgen. Doch weit gefehlt – Die Gräfin rührte sich nicht. Und als sie ihr Gesicht ein wenig in meine Richtung drehte, sah ich, dass es aschfahl geworden war. Jegliche Farbe war daraus gewichen und in ihren Augen spiegelte sich Entsetzen. Wie ein verwirrtes Kind kam mir die Gräfin plötzlich vor, wie eines, das sich verlaufen hatte und den Heimweg nicht fand. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass der Fluch eines alten Weibes solch eine Wirkung auf diese mächtige Frau haben konnte. Ich erinnerte mich, davon gehört zu haben, dass die Gräfin an einer geheimnisvollen Krankheit litt. Ich fragte mich, ob es vielleicht etwas mit ihrem Erschrecken zu tun hatte. Doch zunächst war ich irritiert über ihr sprunghaftes Wesen und wollte einfach nur die Situation retten. Ich versuchte es mit tröstenden Worten, bis die Gräfin plötzlich meine Hände ergriff und warm umschloss. Eine Reaktion, mit der ich nicht gerechnet hatte. „Ihr seid wahrlich eine Freundin“, sagte sie lächelnd. „Wie gut, dass wir uns getroffen haben. In Eurer Nähe werde ich mich bestimmt wohlfühlen. Kommt rasch an meinen Hof. Ich erwarte Euch mit brennender Ungeduld!“

Ganz entgegen ihrem vorherigen Verhalten ließ sie die Alte nun ihres Weges ziehen und gab den Jägern das Zeichen zum Aufbruch. Diese Begegnung sollte der Beginn unserer jahrelangen Beziehung, geprägt von Liebe, Hass, Intrigen und Grausamkeiten, sein.

II. Kapitel

Die Reise nach Sárvár blieb mir in ziemlich unerfreulicher Erinnerung. Man hatte zu diesem Zweck unsere einzige Kutsche mehr schlecht als recht für die große Reise gerüstet. Am darauffolgenden Morgen, noch vor Sonnenaufgang, nahm ich mit meiner jungen Zofe in dem Wagen Platz. Ich wollte nicht ohne weibliche Begleitung reisen und Katica war als Gesellschafterin hervorragend geeignet. Das ungarische Mädchen mit deutschen Wurzeln war für mich mehr als nur eine treue Dienerin. Mit ihr verband mich eine fast geschwisterliche Freundschaft. Mein Vater hatte sie einst als Waise einem türkischen Sklavenhändler abgekauft und sie in meine Obhut gegeben. Dadurch erfuhr sie die gleiche Ausbildung wie ich und wuchs gemeinsam mit mir auf.

Furcht vor osmanischen Überfällen brauchte ich auf der Reise nicht zu haben. Allein Johannes’ Anwesenheit wirkte beruhigend auf mich. Ich verließ mich ganz auf seine Kraft und seine Gewandtheit. Er ritt einen temperamentvollen Friesen mit spanischem Blut und führte ein ebensolches Tier, mein Reitpferd, an der Hand mit sich. Mein Vater hatte uns die beiden Tiere zum Abschied geschenkt. Ach, hätte er nur geahnt, in welche Löwengrube er seine einzige Tochter schickte, als er mich das letzte Mal an seine breite Brust gedrückt und mich mit den besten Segenswünschen in eine scheinbar glänzende Zukunft entlassen hatte. Begleitet wurden wir von vier bis an die Zähne bewaffneten, im Grenzschutz erfahrenen Heiducken. Drei ebenso in Waffen stehende Knechte meines Vaters folgten der Kutsche. Ein als Heiduck getarnter Knecht lenkte das Pferdegespann. Zwei mit Kisten und prall gefüllten Säcken beladene Lasttiere vervollständigten die kleine Karawane. In der Vorfreude auf das Leben am Hof der Gräfin Nádasdy hatte ich mir meine schönsten Kleider angezogen. Die hohe Frau sollte mir den armen sächsischen Adel nicht gleich auf den ersten Blick ansehen. Ich trug ein reich besticktes Kleid aus feinstem Gewebe, mit echter Goldstickerei, Spitzeneinsätzen an den Ärmeln und Samtstreifen am Rocksaum. Ein Pelzstreifen aus Silberfuchs umschloss den oberen Ausschnitt meines Leibchens gegen die morgendliche Kühle. So herausgeputzt wie ich war, schien ich sogar den Himmel zu ermuntern, denn alsbald lächelte die Morgensonne auf uns herab und verleitete die Männer rasch zur Ausgelassenheit. Sie plauderten unentwegt über Frauen, ein schier unerschöpfliches Thema für Johannes, der sich gerade auf der Schwelle vom Jüngling zum Mann befand und für den das weibliche Geschlecht mit seinen Qualitäten einen anregenden Gesprächsstoff bot. Jeder verehrte, seiner Herkunft entsprechend, eine andere und manchmal stritten sie um die Vorzüge ihrer gerade Auserwählten. Am Ende aber waren es immer die Lobpreisungen über die Gräfin, ihren unermesslichen Reichtum und ihre viel gepriesene Schönheit, die sie wieder vereinten. Ich muss gestehen, dass auch ich mich immer mehr von den zwanglosen Plaudereien über die Gräfin angesteckt fühlte, sodass ich, je näher wir unserem Ziel kamen, unsere Ankunft am ungarischen Hof kaum erwarten konnte und der tränenreiche Abschied von meinen Eltern bald in Vergessenheit geriet.

Zunächst aber gestaltete sich der Weg nach Westtransdanubien, der uns mitten durch die Gebirgszüge einer bezaubernden Mittelgebirgslandschaft führte, recht schwierig. Während wir in den höheren Berghängen dichte Laubwälder passierten, zwangen uns Felsbrocken in den niederen Schluchten immer öfter dazu, auszuweichen und nach neuen Pässen zu suchen. Als wir endlich das Tal erreichten, verdunkelte sich der Himmel über uns. Düster und drohend jagten, von einer Minute auf die andere, die Wolken über uns hinweg, als wollten sie uns mit aller Macht von unserer Reise abhalten. Nach kurzer Zeit lieferten sie sich eine regelrechte Hetzjagd am tiefgrau gefärbten Firmament. Zusätzlich zog ein gewaltiger Sturm auf, peitschte das Kutschendach und riss an den Packtaschen. Einige Male geriet die Kutsche so gefährlich ins Schlingern, dass ich mit Katica das schützende Gefährt verlassen musste. Über eine seichte Furt des Flusses Raab kämpften wir uns ans andere Ufer. Die schweren Kutschenräder versanken bis zum Einstieg in dem wässrigen, kaum befahrbaren Boden und die Pferde lagen keuchend im Geschirr. Die armen Tiere waren am Ende ihrer Kräfte. Ein Lasttier, mit Säcken und Kisten beladen, rutschte auf dem glitschigen Boden aus und brach sich ein Bein. Es schrie furchtbar. Wir mussten es absatteln und Johannes gab ihm den Gnadenstoß. Im Mündungsgebiet des Baches Gyöngyös, dort wo sich die Flüsse Güns und Raab vereinten, lagen wir uns nass in den Armen, als endlich unser Ziel, die Burg der Gräfin, vor uns auftauchte. Der prachtvolle Anblick des Burgschlosses mit dem ihn umgebenden, wunderschönen Garten ließ uns alle Anstrengungen vergessen. Selbst der düstere karolingische Friedhof und seine drohend aus kahler Erde ragenden Kreuze, die uns auf schaurige Weise hinterherzublicken schienen, als wollten sie uns vor etwas warnen, vermochten uns nicht mehr zu beeindrucken. Ich wusste nicht viel über die gewaltige Festungsanlage, die schon seit dem Jahr 1532 jedem Türkenangriff getrotzt hatte. Aber ich war heilfroh, als sich endlich, unter lautem Knarren und Rasseln, das Tor für uns öffnete. Das Portal war Teil des mächtigen Bergfrieds, der selbst einer Erstürmung durch einen übermächtigen Feind geraume Zeit standhielt. Das letzte Stück unserer Reise, die lange, teilweise überdachte, hölzerne Brücke, spannte sich in einem gewölbten Bogen über den Wassergraben und führte über einen herrlichen Park mit ausladenden Gemüsegärten.

Nachdem wir den Turm zum Innenhof passiert hatten, hielten wir zunächst nach einem Pferdeknecht Ausschau. Johannes erspähte in dem Gewühl des Burggeschehens alsbald einen Burschen und überließ ihm für einen ungarischen Forint unsere Pferde, die dringend Wasser und einen trockenen Stall benötigten. Seine weiten leinenen Hosen, das kurze Hemd, das ihm kaum bis unter die Brust ging und der große Hut, unter welchem zwei breite Zöpfe herunterhingen, verrieten uns den ungarischen Pferdehirten. Er winkte sogleich nach zwei weiteren Burschen, die ihren Auftrag mit einer fast hündischen Unterwürfigkeit erledigten. Nachdem wir uns davon überzeugt hatten, dass die Pferde in den Ställen mit Hafer und Wasser gut versorgt waren, beratschlagten wir, in welche Richtung wir unsere Füße setzen sollten. Das Innere des Burghofes zwischen dem Schloss und der Wehranlage hallte wider vom Lärm knarrender Wagenräder, Pferdegewieher und lebhaftem Stimmengewirr. Einen Augenblick lang ließ ich mich von dem bunten Treiben mitreißen. Ich war so fasziniert, dass ich sogar Katica, meine Zofe, vergaß, die sich ängstlich hinter meinem Rücken hielt. Es roch nach würzigem Gulyás, Braten, Fladenbrot und gebackenem Kuchen. Die Gerüche reizten meinen Magen, der nach der langen Reise sein Recht einforderte. Also begann ich, zwischen den Bratbuden und den mit bunten Tüchern behängten Karren nach etwas Essbarem zu suchen. Johannes dagegen zog es zu den massiven und mehrere Meter dicken Befestigungsmauern, die eine kegelförmig nach oben zulaufende, steinerne Brustwehr zierte.

„Ich habe den Grafen Báthory bei den schweren Kanonen entdeckt. Wir sollten zu ihm gehen!“, riet er mir und wies mit ausgestrecktem Arm zu den vorgelagerten Schanzen. „Seht dort, der hochgewachsene junge Mann zwischen den Kroaten in Leopardenfellen und den ungarischen und polnischen Husaren. Das müsste der Neffe der Gräfin sein. Sie alle tragen türkische Helme und schwere Säbel. Man möchte meinen, wir befänden uns unter den Osmanen. Was für ein buntes Volk.“

Jetzt bemerkte auch ich den jungen Mann in dem goldenen Brustpanzer und den kniehohen Lederstiefeln. Obwohl mein Magen noch immer knurrte, folgte ich Johannes durch das Gewühl von Händlern, Bauern und Wahrsagern zum Befestigungswall. Dazu durchquerten wir einen beidseitig offenen Wehrgang, der so breit war, dass zwei Männer nebeneinander gehen konnten. Im Moment war er überfüllt von bis an die Zähne bewaffneten Heiducken. Es kostete uns einige Mühe, zwischen ihnen hindurch zu gelangen. Mir war bekannt, dass die Männer in ihren schwarzen Heiduckenmützen bei den ungarischen Magnaten bessere Verdienstmöglichkeiten und Unterstützung im Kampf gegen die Osmanen hatten. Sie schenkten uns jedoch keinerlei Beachtung. Dafür stolperten wir über die Füße der Barbiere, die in den Mauervorsprüngen saßen und ihrer alltäglichen Arbeit nachgingen, dem Aderlass und Zahnreißen. Kanoniere mit den üblichen rasierten Schädeln und ihren in der Mitte belassenen schwarzen Zöpfen brachten die Geschütze vor den Wurflochreihen in Position. Aus ihren Zurufen entnahm ich, dass der benachbarte türkische Herrscher, der Beg, mit seinen Janitscharen einige Werst von der Burg entfernt zum Angriff aufgerückt war. Tage zuvor hatte der Beg den Stadtteil unterhalb der Burg in Brand stecken lassen. Mehr als 70 Häuser waren abgebrannt.

Plötzlich kam um uns herum Unruhe auf. Johannes hatte den jungen Grafen für einen Moment aus den Augen verloren und orientierte sich gerade neu, als mir das Herz stehen bleiben wollte. „Oh mein Gott, sieh nur, Johannes!“, schrie ich und wies auf das vorgelagerte Bollwerk, auf dessen Spitze man einen riesigen Pfahl errichtet hatte, an dem ein Mann gerade in den letzten Zügen seines Lebens hing. Mir fielen sofort wieder die Schauergeschichten meiner Amme über Graf Dragulea ein, mit denen sie früher gern meine kindlichen Streiche im Zaum gehalten hatte.

„Sie haben einen Mann gepfählt!“

Johannes’ Gesicht blieb unbewegt. Trotzdem sah ich, wie er zitterte und sein Kiefer sich verkrampfte, während er mich von der Mauer weg zurück in den Wehrgang zerrte. Mir drehte sich der Magen um und ich hätte mich gern kurz hingesetzt, dennoch ließ ich mich widerstandslos von ihm weiterführen.

An der breitesten Stelle der Geschützplattform entdeckten wir den jungen Báthory. Der Neffe der Gräfin stand mit dem Rücken zu uns und hatte sich über eine Gestalt gebeugt, die man nackt bäuchlings über ein Wagenrad geworfen hatte. Zwei Soldaten pressten gerade die Arme des Unglücklichen seitlich auf das Rad, ein Dritter drückte ihm die Faust ins Genick und zwei Männer mit nacktem Oberkörper und glänzenden Muskeln rissen seine Beine auseinander. Noch ehe sich meiner zugeschnürten Kehle ein Schrei entringen konnte, zog ein Husar einen angespitzten Pfahl aus dem Feuer und stieß dem Mann die glühende Spitze in den Anus. Der Gepeinigte schrie vor Schmerz, wie ich noch nie einen Menschen hatte schreien hören. Ein zweiter ohrenbetäubender Schrei endete für den Gequälten in einer Ohnmacht, es roch nach verbranntem Fleisch und ich verbarg erschüttert mein Gesicht in den Händen. Begleitet von dem lauten Jubelgeschrei der umstehenden Soldaten wurde der Pfahl nun aufgerichtet. „Tod dem Beg von Szigetvar!“, erklang es vielstimmig. „Gott, lass den Bruder des Begs lange leiden! Tod dem Verräter, der von unserem erlauchten und ehrwürdigen Herrn Franz Nádasdy auf unserer Burg in Gnade aufgenommen wurde!“

Ich verstand das Geschrei nicht und Johannes, den mein Zustand zutiefst betrübte, schirmte mich nun mit seinen kräftigen Armen gegen die Soldaten ab, während er mich sanft von dem Geschehen wegzudrängen versuchte. „Ich bringe Euch lieber fort von hier, Komtesse, das ist nichts für ein sanftes Frauengemüt“, sagte er leise, während wir uns den Weg zurückbahnten.

„Aber warum …?“, keuchte ich. „Wer hat eine solch grausame Strafe verdient? Kein Vergehen rechtfertigt eine derartige Brutalität. Kannst du nicht in Erfahrung bringen, weshalb der Mann sterben musste?“ Trotz meines Entsetzens blieb ich stehen, denn ich bekam die Bilder nicht mehr aus meinem Kopf und die Schreie verfolgten mich.

Johannes sah mich unschlüssig an. Er sträubte sich gegen meine Bitte und wollte mich nicht allein lassen. Unsicher sah er sich nach Katica um. „Die Zofe ist nicht mehr da!“, stellte er fest, doch ich beruhigte ihn damit, dass das Mädchen sicher Hunger hatte und wir sie bestimmt zwischen den Zelten wiederfinden würden. Widerwillig, ohne mich aus den Augen zu lassen, begab er sich zu einem der Kanoniere und kam mit der gewünschten Information zurück: „Die Soldaten sagen, dass der Beg den Besitz von Graf Nádasdy in Stuhlweißenburg besetzt gehalten hatte und der Graf eine List anwandte, um ihn herauszulocken. Der osmanische Herrscher ging ihm auf den Leim und Nádasdy schlug ihm kräftig eins auf die Nase. Viele Türken fielen oder wurden gefangen genommen, so auch der Sohn des Beg. Für dessen Freilassung hat der Graf vom Beg 12.000 Goldmünzen gefordert. Um das Geld auftreiben zu können, leistete der jüngere Bruder des Begs Bürgschaft. Der Beg war gewillt, die geforderten Schulden zu entrichten, sogar noch etwas mehr.“ Johannes beugte sich dichter an mein Ohr heran.

„Trotzdem haben sie beide gepfählt und, um den Beg abzuschrecken, auf die Zinnen gesetzt. In diesem Krieg steht sich keine Seite in Grausamkeiten nach.“

Johannes’ Erklärung verwirrte mich nur noch mehr und so stellte ich erschüttert fest: „Es war doch keine gute Idee, hierher zu fahren. Wenn mein Vater das sehen könnte, würde er mich sofort zurückholen. Ein so grausamer Empfang ist kein gutes Omen. Komm, lass uns schnell weitergehen!“, drängte ich und sah, als ich mich umblickte, mit Entsetzen, dass der Mann am Pfahl noch lebte und sich heftig bewegte. „Soll er nur strampeln, der Barbar, umso mehr wird sich der Spieß vorarbeiten, bis er ihm oben zum Maul wieder herausfährt“, kommentierte ein Heiduck gefühllos das Geschehen und Johannes stieß ihm dafür im Vorbeigehen den Ellenbogen in die Rippen, weil er sich vor einer Adligen nicht zu benehmen wusste. Ich bewunderte ihn dafür. Schließlich war er noch ein Junge und handelte doch bereits wie ein Mann. Von Kriegsgetümmel und Grausamkeiten hatte ich genug. Jetzt galt es, Katica zu finden, und ich sah mich suchend nach ihr um, während Johannes, mich noch immer schützend hinter sich gezogen, energisch voranschritt.

Der junge Graf hatte sich inzwischen aufgerichtet und schien mit seinen Husaren zu scherzen. Dem Henkersknecht, der den Spieß in den Mann geschoben hatte, klopfte er anerkennend auf die Schulter. Sie waren Soldaten und an die Grausamkeiten dieses Krieges gewöhnt. Bei mir hatte das Erlebnis nachhaltige Spuren hinterlassen und meine Vorfreude auf das Leben am Hof der Gräfin war getrübt. „Wo kann Katica nur sein?“, fragte ich nervös, während sich zu dem Schock über das eben Erlebte nun die Angst um das Mädchen gesellte. „Wenn ich nur wüsste, wo wir sie verloren haben! Wir müssen jeden Meter nach ihr absuchen!“ Ich blieb erneut stehen und sah mich hilflos um. In diesem Moment spürte ich eine fremde Hand auf der Schulter. Zu meinem Schutz hatte ich mir angewöhnt, immer einen Dolch mitzuführen. Meine Finger schnellten blitzschnell zwischen die Falten meines Gewandes, wo ich ihn, sicher vor fremden Blicken verborgen, trug. Ich blickte nun erstaunt und zugleich erschrocken in das Gesicht des jungen Grafen Báthory, der ebenso verwundert die Spitze meines Dolches fixierte, die ich auf seinen Brustpanzer gerichtet hielt. „Nicht so hastig mit den jungen Pferden, Schönheit!“, bemerkte er nach der ersten Überraschung und ergriff blitzschnell mein Handgelenk.

„Habe ich doch richtig gesehen – die Komtesse von Weißenburg zwischen dem Kriegsvolk …? Mir scheint, Gott treibt ein Spiel mit uns. Zum zweiten Mal führt er uns auf recht ungewöhnlichem Wege zusammen. Erst Jägerin und nun Kanonenweib?“ Er grinste wie über einen Witz und presste mein Handgelenk, bis ich den Dolch fallen ließ. Mit einer leichten Verbeugung nahm er ihn an sich. „Meine Tante erwartet Euch und Eure Diener bereits im Schloss. Alles ist für Euren Empfang vorbereitet. Wie ich jedoch feststellen muss, scheint Ihr die Gefahr zu lieben, meine Teure.“ Er lächelte kokett und seine schwarzen Augen funkelten mich an. Es war dieser wilde, begehrliche Blick, der mir plötzlich durch und durch ging und mich wie ein Pfeil mitten ins Herz traf. Dieses schöne männliche Gesicht mit seinen sinnlichen Zügen und den wilden, verlangenden Blicken wurde in einem kurzen Augenblick zum Inbegriff all meiner Sehnsüchte. Der junge Magnat setzte seinen ungarischen Charme wie eine scharfe Waffe ein und ich, deren Seele gerade von den furchtbarsten Grausamkeiten erschüttert worden war, flog ihm von einem Augenblick auf den anderen in leidenschaftlichem Begehren zu. Ist die Seele eines Menschen wirklich so schnell wandelbar, dass sie eben noch Schmerz und einen Moment später Lust empfinden kann? Damals habe ich nicht darüber nachgedacht. Ich war ja noch jung und in der Liebe unerfahren. Stattdessen hing ich schmachtend an seinem schönen Gesicht und sog dieses Feuer in mir auf, das mich aufwühlte und innerlich verbrannte. Hätte mich nicht Johannes ungeduldig ermahnt, dass wir Katica zu suchen hatten, wäre ich diesem Mann noch auf dem Burghof in die Arme gesunken. Denn der Graf führte nun meine Hand an seine Lippen und küsste sanft meine Fingerspitzen, ohne mich dabei auch nur einen Augenblick aus den Augen zu verlieren. Diese zarte Berührung verursachte wiederum ein wohliges Ziehen in meiner Magengrube und ließ meine Beine endgültig zu Wachs werden. Ich stellte mir vor, wie sich seine Lippen auf den meinen anfühlten und seine Hände meinen nackten Körper berührten. Doch bevor ich meinen Verstand gänzlich verlor, war es der Graf selbst, der mich wieder in die Wirklichkeit zurückholte.

„Ihr habt Eure Zofe verloren, Komtesse? Das bedauere ich sehr. Ich werde sofort meine Soldaten ausschicken, um nach ihr zu suchen. Sie kann im Schlosshof nicht verloren gehen“, versuchte er mich zu beruhigen und gab seinen Heiducken sogleich Anweisungen, nach dem Mädchen Ausschau zu halten. Dann reichte er mir galant seinen Arm und sagte: „Lasst mich Euch nun zu meiner Tante führen. Die Wehranlage und auch der Innenhof sind kein Ort für ein junges hübsches Weib. Gräfin Elisabeth wird entzückt sein, Euch endlich in die Arme schließen zu können. Ihr habt einen großen Eindruck auf sie gemacht. Sie spricht nur noch von Euch, dem Fräulein von Weißenburg. Wäre sie ein Mann, würde ich annehmen, dass sie in Euch verliebt ist“, schwärmte er und führte mich sicher durch das Gedränge. Sein Blick war unverwandt auf mich gerichtet, sodass ich den ganzen Weg über gegen das Erröten ankämpfen musste. In Sichtweite des Gartenpalais, das im Zentrum des Schlossparks lag, gabelte sich der Weg. Wir ließen die Wehranlage hinter uns, schritten durch das Tor einer kunstvoll gestalteten Mauer, vorbei an sauber geschnittenen Rhododendronbüschen, und erreichten endlich das fünfeckige Schloss der Nádasdys.

Im Schlossgarten blieb ich abrupt auf dem Kiesweg stehen. Der junge Graf hob verwundert die Augenbrauen und sagte:

„Was habt Ihr, Komtesse Susanna? Nur noch ein paar Schritte und wir sind am Eingang zu Elisabeths Gemächern.“ Mein Blick folgte seiner Hand, die zu der von Reiterskulpturen gesäumten Hauptallee wies. Dann wusste ich, warum ich stehen geblieben war. Die harte Realität hatte mich wieder eingeholt. Denn jetzt vermisste ich auch noch Johannes. Dummerweise hatte ich nur Augen für meinen Begleiter gehabt und so war mir entgangen, dass uns mein Diener schon eine geraume Weile nicht mehr folgte. Hilfe suchend sah ich den Grafen an. Er erriet meine Verwirrung und erklärte lächelnd: „Er wird zum Wirtschaftshof gelaufen sein. Vielleicht hat er Katica dort entdeckt. Es wäre ja möglich, dass einer unserer Knechte das Herz Eurer Zofe ebenso erwärmt hat, wie Ihr das meine“, schmeichelte er mir.

„Meine Bediensteten verlassen mich nie ohne meine Anweisung. Gerade Johannes würde mich auf keinen Fall schutzlos der Obhut eines fremden Kavaliers überlassen“, erwiderte ich, nicht ohne einen verführerischen Augenaufschlag hinterherzuschicken. Meine Sorge um Johannes wuchs und ein ungutes Gefühl sagte mir, dass etwas passiert sein musste. Da wir uns nur wenige Meter von der Weggabelung entfernt befanden, beschloss ich, zurückzulaufen. Ich löste meine Hand von Gabors Arm, schürzte meine Röcke und lief unter seinen verdutzten Blicken davon. Ich muss gestehen, dass mich der Wirtschaftshof, ein kleiner Innenhof zwischen Schlosstrakt und Burghof, mit seiner ländlichen Geschäftigkeit stark an mein Zuhause erinnerte. Bäcker mit Brotkörben auf den Schultern, ein Metzger, der gerade ein Schwein zum Schlachten trieb, Schreiberlinge, die mit ihren Federkielen Zahlen auf Papier kratzten, Mädchen vor kunstvollen Stickrahmen sitzend und rassige Pferde, angebunden vor erbeuteten türkischen Proviantwagen; all das kam mir sehr vertraut vor, alles, bis auf das Weib, dessen Stimme nun laut über den Hof schallte: „Macht Platz, Leute, die Metze hat es verdient!“ Manchmal ist es tatsächlich nur eine Stimme, die uns einen Menschen, den man noch nie gesehen hat, sogleich verhasst werden lässt. Die Worte waren in einem so lauten und herrischen Befehlston gesprochen, dass es mir kalt den Rücken herunterlief. Ich fragte mich, ob das wirklich ein Weib oder nicht eher ein Mann war. Und da ich zwischen den Knechten, die nun ihre Arbeit unterbrachen und sich neugierig um die Frau scharten, Johannes’ schwarzen Schopf entdeckte, wollte ich zu ihm, um Aufklärung zu erhalten.

Der junge Graf hatte mich inzwischen eingeholt und obwohl er offensichtlich noch leicht verärgert über mein eigenmächtiges Verhalten war, erklärte er mir: „Das ist nur die Darvulia, Komtesse, die erste Hofdame meiner Tante. Wahrscheinlich straft sie eine ungehorsame Dienerin. Elisabeth ist sehr ordentlich, müsst Ihr wissen. Schon die kleinste Falte in ihrem Bettzeug, kann ihren Unmut hervorrufen. Meine Tante greift bei ihren Bediensteten hart durch. Deshalb solltet Ihr Eure Eigenmächtigkeiten lassen und Euch mir anvertrauen, sonst könnte es Euch rasch ebenso ergehen.“

Mir wurde bei seinen Worten sogleich heiß und kalt. War es das, was mich bei Hofe erwartete? „Wie viele Lenze zählt Eure Tante, Graf?“, fragte ich mit gemischten Gefühlen. „Ich habe sie noch sehr jung in Erinnerung.“

„Nun ja, so jung ist Elisabeth nicht mehr. Die Gräfin hat die Dreißig bereits überschritten. Aber das Alter konnte ihrer Schönheit bisher nichts anhaben. Ich weiß von verschiedenen Cremes und Wässerchen, die ihr die Darvulia mittels Zauberei jeden Morgen zubereitet“, sagte er mit einem Augenzwinkern.

Seine saloppen Worte beantwortete ich mit einem ungeduldigen Lächeln. Im Augenblick interessierte mich mein Diener mehr als der junge Báthory. Ich ignorierte die Warnung und schlüpfte durch die neugierige Menge zu Johannes. Als er mir das Gesicht zuwandte, stand Erleichterung in seinen Zügen, zugleich forderte er mich mit seinen Blicken auf, wegzulaufen. Sein Hemd war über der Brust zerrissen und mit Blut befleckt. Er befand sich in der Gewalt zweier kahl geschorener, in lange Schafspelze gekleideter Knechte, die ihn zwischen ihren Pranken festhielten und offenbar einzuschüchtern versuchten. Sie hatten ihm die Hände auf den Rücken gebunden. Vor Enttäuschung und Wut vergaß ich meine gute Erziehung und dass ich Gast an diesem Ort war. Mutig baute ich mich vor den Männern auf und befahl ihnen, im Vertrauen auf die gräfliche Verstärkung an meiner Seite, Johannes sofort loszubinden. Danach machte ich hocherhobenen Hauptes einen Schritt auf die Hofdame der Gräfin zu, die mit einer Rute aus Reisig in den Händen gerade im Begriff war, auf meine Zofe einzuschlagen. Es war meine Katica, die das Weib halb nackt hatte an einen Holzpfahl binden lassen. Sie hatten ihr das Hemd bis zu den Hüften heruntergerissen, sodass jeder dieser brünstigen Hunde sich an ihren jungen, prallen Brüsten ergötzen durfte. „Nein!“, schrie ich aufgebracht. „Wage es ja nicht, du Ungeheuer, meiner Zofe auch nur ein Haar zu krümmen, sonst schlitze ich dich vom Nabel bis zur Brust auf, Weib! Ich bin die Komtesse von Weißenburg und ich befehle dir, sofort meine Dienerin loszubinden!“

Ich war so wütend, dass ich den Grafen um seinen Krummsäbel bat, den er mir mit überraschter Miene lächelnd aushändigte, und das Weib mit der schweren Waffe bedrohte. Die Darvulia, wie sie hier von allen gerufen wurde, wich zunächst erschrocken vor mir zurück, erholte sich aber rasch wieder von ihrer Verblüffung, nachdem sie sich der Unterstützung ihrer Helfershelfer vergewissert hatte. Sie betrachtete mich eine Weile mit kleinen Augen und tastete mich mit ihren unverschämten Blicken ab. Aber anscheinend vermochte die Frau nicht einzuschätzen, wie weit sie bei mir gehen konnte. Deshalb überließ sie mir nach einiger Überlegung das Feld. Doch an ihrem verschlagenen Blick erkannte ich, dass sie die Demütigung nur widerwillig hinnahm. Im Augenblick war ich nur wütend über die Unverfrorenheit, mit der man sich an meiner Dienerschaft vergriff. Und als Gast auf Schloss Sárvár wollte ich mit Respekt behandelt werden. Meine Vorfreude auf das Leben am ungarischen Hof war mir erst einmal gründlich verdorben. In Gedanken befand ich mich bereits wieder auf dem Rückweg in meine Heimat. Doch als ich das Johannes zu verstehen zu geben versuchte, kam mir Gabor zuvor. Bis jetzt hatte der Graf sich im Hintergrund gehalten und das Schauspiel amüsiert verfolgt. Nun räumte er sich mit einer einzigen Handbewegung den Weg frei. Als das Weib des Grafen ansichtig wurde, zog sie es vor, sich rasch vor mir zu verbeugen. Den Blick auf den Boden geheftet, rechtfertigte sie sich: „Aber hohe Frau, das Mädchen hat einen Apfel gestohlen. Ich konnte ja nicht ahnen, dass sie Eure Zofe ist. Sie hat sich nicht verteidigt. Deshalb nahm ich an, dass sie zu den Bediensteten meiner Herrin gehört. Woher sollte ich wissen, dass Eure Herrlichkeit bereits angekommen ist, um unseren Hofstaat mit Eurer Anwesenheit zu beehren? Ich bitte vielmals um Verzeihung, hochgeschätzte Frau. Gott ist mein Zeuge. Ich habe nichts Unrechtes getan. Und sollte es so sein, dann möge Gott mich auf der Stelle bestrafen!“ Zur Bestätigung nahm sie eine noch unterwürfigere Haltung an. Aber zu spät. Die Liebenswürdigkeit im Gesicht des Grafen, die mich eben noch fasziniert hatte, war aus seinen Zügen gewichen. Es schien mir, dass er geneigt war, die Szene jetzt auf seine Weise zu beenden. Vielleicht aber wollte der Magnat auch nur sein Gesicht nicht verlieren oder Eindruck bei mir schinden. Er blickte verächtlich auf das Weib herab und sagte: „Jetzt bist du zu weit gegangen, Hexe.“ Dann nahm er ihr die Peitsche aus den Händen, holte aus und ließ sie einmal kräftig auf sie niedersausen, bevor er sie mit seinen Stiefeln von mir wegtrat.

Mit einem dankbaren Blick entledigte ich mich meines Umhanges und verbarg darunter Katicas Blöße vor dem enttäuschten Pöbel. Als ich sie in meinen Armen wegführte, stand Darvulia bereits wieder aufrecht und putzte sich wie eine Siegerin den Schmutz vom Gewand. Mir fiel auf, dass ihre Kleider vom spanischen Hofstil geprägt waren. Das verriet mir, dass Elisabeth einen guten Bezug zum nahen Wiener Hof haben musste. Doch noch so viele Spitzen und Borten vermochten den Wolf in dem Weib nicht zu verbergen. Sie war von untersetzter, kräftiger Statur und besonders ihre groben, harten Gesichtszüge waren es, die mich abstießen. Wer war diese Frau? Musste ich mich vor ihr fürchten? Ich vermochte mir diese Frage nicht zu beantworten und fragte Johannes, den die Knechte losgelassen hatten und der mir nun half, die am ganzen Leibe zitternde Katica zu beruhigen: „Wie konnte es nur dazu kommen, Johannes? Für Katica würde ich meine Hand ins Feuer legen.“

„Herrin, Ihr wart so vertieft in die Plauderei mit dem Grafen, dass ich Euch nicht stören wollte“, antwortete er. „Ich hatte Katica an einem Stand mit Äpfeln entdeckt. Die Früchte waren so rot und frisch wie ihre Wangen. Ich sah, wie sie überlegte, und wollte sie von dort wegholen. Aber ich kam zu spät. Ihr Hunger muss zu stark gewesen sein. Noch bevor ich bei ihr war und sie davon abhalten konnte, griff sie nach einem Apfel und biss herzhaft hinein. Der alte Drachen stand genau neben ihr und hat sich wie eine Furie auf sie gestürzt. Als ich Katica zu Hilfe eilte, hat das Ungeheuer mir erst eins aufs Auge gegeben und dann die Knechte auf mich gehetzt. Ihr müsst mir glauben, ich habe alles versucht, Katica zu befreien.“ Mit schuldbewusster Miene stand er vor mir und ich vertraute ihm.

„Ist schon gut, Johannes“, sagte ich. Doch er legte seine Hand auf meinen Arm und sagte besorgt: „Ihr habt es vorhin schon angedeutet. Lasst uns wieder von hier weggehen, Herrin, so schnell uns unsere Füße tragen. Was wir hier finden werden, ist nicht das Glück, sondern viel eher das Böse!“

Wahrscheinlich hatte er meine Gedanken gelesen. Die Zweifel auf seinem geschundenen Gesicht erinnerten mich an die Verantwortung, die ich für meine beiden Freunde trug. Doch noch bevor ich dazu kam, ihm eine Antwort zu geben, erschien Elisabeths Hofschreiber in Begleitung der Schlossgarde. Der Vorfall war im Schloss nicht unbemerkt geblieben. Der große hagere Mann stellte sich in seiner steifen Hofkleidung vor mich und seine flinken Augen unter der hohen Stirn, mit denen er mich betrachtete, ließen auf einen scharfen Verstand schließen. Ich betrachtete ihn verwundert und zugleich belustigt wegen seiner Steifheit, die so gar nicht in die Umgebung des Wirtschaftshofes passen wollte. Nur mit Mühe vermochte ich ein Lächeln zu unterdrücken, als mein Blick auf seine rosaroten Strümpfe und gepolsterten Kniehosen fiel. Der Mann ignorierte es. Schließlich führte er nur seinen Auftrag aus und das mit einer Korrektheit, die Anerkennung verdiente. Er verbeugte sich vor mir und näselte: „Wir, die hochgeschätzte und gnädige Gattin des viel gerühmten Grafen Nádasdy, bedauern die Misslichkeiten, die Euch bei Eurer Ankunft in der Burg widerfahren sind, und bitten Euch unverzüglich in die herrschaftlichen Gemächer.“ Er drehte sich sogleich auf dem Absatz um und deutete mir mit seinem Taschentuch, mit dem er sich zuvor die Nase betupft hatte, ihm zu folgen.

Gabor Báthory reichte mir daraufhin erneut seinen Arm. Ich sah den Schalk in seinen Augen und wusste, dass er darauf achtgeben würde, dass ich ihm nicht wieder entwischte. „Unser Hofschreiber, man nennt ihn in unserer Sprache Irodiakok“, erklärte er mir, als er meinen Blick bemerkte, den ich den hölzernen Schritten hinterherschickte. „Er scheint nicht ganz Euren Geschmack getroffen zu haben? Nun ja, er wirkt in seinem Aufzug wohl etwas grotesk und ich verstehe auch nicht, warum Elisabeth nicht eine ihrer Hofdamen für Euren Empfang geschickt hat. Aber Ihr werdet es nicht glauben“, plauderte er amüsiert weiter, „seinen Weg begann diese Bohnenstange einmal als Bettelstudent. Später war er Lehrer, arbeitete als Geistlicher und ist heute intelligent genug, um sich mit Schriftstellerei und Buchdruckerei zu beschäftigen. Obwohl wir Magnaten des Lesens und Schreibens mächtig sind, greifen wir immer wieder gern auf unsere Haus- und Hofschreiber zurück. Es ist einfacher und der Zeit angepasst. Das Haus Nádasdy hat sogar mehrere: einen deutschen, einen ungarischen und einen lateinischen Schreiberling. Diesem hier, mit Namen Gabriel, vertraut Franz seine privaten Briefe an. Er ist in die intimsten Geheimnisse des Hauses Nádasdy eingeweiht. Deshalb rate ich Euch, Euch vor ihm in Acht zu nehmen, denn er ist ein mit allen Wassern gewaschener Mann. Aber wenn Ihr es wünscht, wird er Euch in jeder Sprache und sämtlichen denkbaren Wissenschaften unterrichten.“

III. Kapitel

Durch den hellen Sandstein, aus dem die Fassade erbaut war, wirkte das Schloss beim Näherkommen einladender als die Festungsanlage. Dennoch war es für mich ein wahres Labyrinth, in dem ich mich lange Zeit nur schwer zurechtfinden würde. Der Graf blieb am Treppenaufgang, mit einer Entschuldigung auf den Lippen, zurück. Meinen erstaunten und ängstlichen Blick beantwortete er mit der Anordnung, meine Dienstboten zur Schlossküche zu begleiten, wo sie ein Bett, Speise und Trank erwartete. Ich bedauerte es sehr, nun allein weitergehen zu müssen und vermisste seine Unterhaltung bereits. Er hatte mir in dieser feindlichen Umgebung eine gewisse Sicherheit gegeben. Außerdem hatte ich mich bereits Hals über Kopf in ihn verliebt. Doch er beteuerte, zur Befestigungsanlage zurückzumüssen, versprach mir aber mit einem galanten Handkuss, dass wir uns in Bälde wiedersehen würden.

Die privaten Gemächer der Gräfin lagen im ersten Stockwerk des Nordflügels. Also folgte ich dem Hofschreiber mit etwas gemischten Gefühlen durch eine Flucht von luxuriösen Räumen, deren Pracht Zeugnis der engen Verbindung der Familie Nádasdy zur ungarischen Königsfamilie ablegte. Wie ich später erfuhr, war Franz Nádasdy ab seinem zwölften Lebensjahr gemeinsam mit den Kindern des Kaisers Maximilian am königlichen Hof erzogen worden. Jetzt war er Militärberater des Königs und Stallobermeister über die königlichen Stallungen und damit im Besitz der ersten Würden des Reiches.

Alle Räume, von der Bibliothek über die Salons bis hin zum Schlafzimmer, waren größtenteils durch Zwischentüren verbunden. Den in Rot und Gold gehaltenen Eingangsbereich des Schlosses schmückten eine etwas abgegriffene Stuckdecke, imposante Wandpfeiler und Ziersimse. Die Wände waren mit Seidentapeten bespannt. Kostbare Möbel aus wertvollen Hölzern bildeten die Einrichtung, dicke Damastvorhänge vor den Fenstern schluckten Lärm und Sonnenlicht. Auf dem Zitronenholzparkettboden lagen weiche geknüpfte Teppiche aus dem Orient, Malereien zierten die Wände und Statuen italienischer Meister waren in den Ecken aufgestellt. Jedes Zimmer hatte einen Kamin oder Kachelofen, um die eisige ungarische Kälte im Winter fernzuhalten. Ich bestaunte alles bis zum kleinsten Kristallgefäß und ließ die Herrlichkeiten auf mich wirken. Auf Weißenburg hatte es zwar keinen solchen Luxus gegeben, dafür hatten die Zimmer im Schloss vom fröhlichen Lachen und Singen seiner Bewohner gelebt. In diesen Räumlichkeiten jedoch bedrückte mich die kalte leblose Pracht, die lediglich von den über das Parkett huschenden Schritten der Dienerschaft belebt wurde.

In dem prunkvollsten dieser Gemächer trafen wir die Gräfin Elisabeth vor ihrem Cembalo. An der Wand hinter ihr hingen Gemälde, die die Mitglieder ihrer Familie zeigten. Die Gräfin trug Hauskleidung: ein rotes Samtkleid und ein mit Silberstickereien und goldenen Perlen abgesetztes Mieder. Das schwarze Haar hatte sie zu Locken aufgesteckt und mit einem schimmernden Netz unzähliger kleiner Diamanten geschmückt. Ihre schlanken, ringgeschmückten Finger glitten wie von selbst über die Perlmutttasten. Mit leicht zurückgelehntem Kopf und geschlossenen Augen nahm sie die schwermütige ungarische Melodie in sich auf. Ich hatte ein huldvolles Lächeln, wenigstens ein angenehm überraschtes Gesicht erwartet. Doch sie verzog bei unserem Eintritt lediglich schmollend die Mundwinkel. Anscheinend war sie zu sehr in ihre Musik versunken, sodass sie uns nicht gleich erkannte. Zumindest entschuldigte ich damit ihren Gefühlsausbruch. Denn zu meiner Verwunderung begann sie wie ein Marktweib zu zetern. „Oh Gott, wie ich diese Störungen hasse! Besitzen diese Bittsteller denn überhaupt kein Herz? Ich habe Kopfschmerzen! Ilona, mein Riechflakon!“

Unbeirrt von ihrem Unmut klopfte der Hofschreiber mit seinem Stock auf das Parkett und verneigte sich. „Die Komtesse Susanna von Weißenburg, Herrin!“, kündigte er mich an und verbeugte sich gleich noch etwas tiefer, als die Gräfin ihm ihr gereiztes Gesicht zuwandte. Nun erst schien sie mich erkannt zu haben und augenblicklich verschwand der Unmut aus ihren schönen Zügen. Der Sekretär sah seine Aufgabe als beendet und entfernte sich langsam rückwärtsgehend.

Auf ihrem Gesicht strahlte jetzt jenes so betörende Lächeln, das ich bereits von unserer ersten Begegnung her kannte, jenes Lächeln, das sich bei genauerer Betrachtung als falsch und aufgesetzt herausstellen sollte. „Da seid Ihr ja endlich, meine Teure!“, rief Elisabeth, stieß gleichzeitig das mit Spitzen besetzte Fußkissen zur Seite und kam mir mit offenen Armen entgegen. „Was treibt Euch nur unter unser Kriegsvolk, Gräfin? Die Burgfeste ist zwar ein strategisch wichtiger Stützpunkt gegen die Osmanen, aber deswegen noch lange kein Ort für eine junge Adlige.“

„Ich habe mich verlaufen, Euer Hochwohlgeboren“, log ich und machte einen Knicks. Doch Elisabeth zog mich in ihre Arme und erwiderte: „Was hätte Euch nicht alles passieren können, zwischen all den wilden Kreaturen? Gar nicht auszudenken, was sie mit Euch angestellt hätten. Ich hätte Euch nicht einmal helfen können. Unser Beschützer, mein hochgeschätzter Gemahl, befindet sich gerade in Begleitung unserer Unterhändler beim Beg von Szigetvar. Ohne Franz sind unsere Soldaten wie eine Hydra ohne Kopf. Und mein Neffe ist ein voreiliger Hitzkopf. Erst vor wenigen Minuten hat mir der Kurier meines Ehemannes berichtet, der Beg habe das geforderte Lösegeld für seinen Bruder bezahlt. Ich bin gespannt, wie Gabor sich da wieder herauswindet, wenn Franz erfährt, dass er die Gefangenen hat hinrichten lassen. Versprecht mir, nie wieder die Festungsanlage zu betreten! Hier im Schloss findet Ihr gewiss viele Zerstreuungen, die für ein Mädchen wie Euch angemessener sind.“

„Die Männer wurden grausam gepfählt, Gräfin“, berichtigte ich sie, um gleichzeitig ihren Redeschwall zu stoppen.

„Seht nur, meine teure Susanna, genau das ist es, was mich so verärgert“, plauderte Elisabeth munter weiter, während sie mich am Arm zu einem kleinen Tisch führte, auf dem Gebäck und Tee serviert worden waren. Steif ließ ich mich auf der Ottomane vor ihr nieder. „Franz hätte die Türken nie gepfählt. Er ist dafür bekannt, dass er die Burgzinnen zur Abschreckung seiner Feinde mit ihren abgeschlagenen Köpfen ziert. Aber ich will Euch nicht länger mit solchen Dingen langweilen. Das Kriegshandwerk ist nichts für ein junges Mädchen. Ich freue mich ja so sehr, Euch nun endlich bei mir am Hof zu haben.“ Bei den letzten Worten tippte sie sich schuldbewusst an die weiße Stirn. „Aber was rede ich nur – sicher seid Ihr müde von der langen Reise und sehnt Euch nach einem weichen Bett. Meine Dienerin Ilona wird Euch gleich in Eure Zimmer bringen, wo alles Weitere für Euer Wohlergehen bereitsteht. Morgen kehrt mein Gemahl zurück und dann werde ich ihm zu Ehren einen Ball geben. Die Festlichkeit soll Euch die Aufnahme unter meinen Hofdamen erleichtern. Zuvor müsst Ihr mir aber unbedingt noch von Eurer Reise berichten.“

Was für ein Empfang! Ich war hin- und hergerissen. Sie ließ mich die ganze Zeit kaum zu Wort kommen und ich spürte instinktiv, dass es besser war, der Gräfin nicht zu widersprechen und nur zu reden, wenn ich gefragt wurde. Als ich später in meinem Bett lag, auf einem Berg Kissen, und träumend zum Baldachin aufschaute, sah ich noch lange ihr Gesicht vor mir. Einerseits hätte ich so viel Liebenswürdigkeit von der mächtigsten Frau Ungarns nicht erwartet, andererseits verunsicherten mich ihr ungarisches Temperament und ihre Sprunghaftigkeit. Aber verzeiht einer Närrin, die mit vollem Magen in einem weichen, königlichen Bett glücklich wie ein Kind und mit Ausblick auf eine goldene Zukunft sanft einschlief. Welche junge Frau durfte da nicht ein wenig von einem Leben in Pracht und Herrlichkeit träumen? Sind eine gute Ausbildung und ein reicher Ehemann von hohem Stand nicht das erklärte Ziel jeder vornehmen Frau?

In dieser Nacht schlief ich tief und fest und erwachte gestärkt im zeitigen Morgengrauen. Im Zimmer war es noch dunkel. Lediglich mein Bett wurde spärlich von zwei Kerzen erhellt, die die Diener aufgestellt hatten, als ich noch schlief. Noch benommen vom Schlaf benötigte ich einen Augenblick, um mich zu orientieren, bevor ich meine Füße langsam unter der Decke hervorschob. Mein erster Weg führte mich zum Fenster, um es zu öffnen. Ich schob die schweren Vorhänge zur Seite und riss die Fensterflügel weit auf. Frische, kalte Winterluft schlug mir entgegen. Der ungarische Winter war über Nacht überraschend hereingebrochen und hatte das Land unter einer weißen Schneedecke begraben. Plötzliche Wetterumschwünge waren in der sonst eher milden ungarischen Tiefebene nichts Ungewöhnliches. Über den weißen Schneeteppich stolpernd bewegte sich die Dienerschaft über den Schlosshof und ging wie jeden Morgen ihrer gewohnten Arbeit nach. Eine Troika, ein von drei Pferden gezogener Schlitten, fuhr von hellem Glockenklingen begleitet in den Hof. Der Kutscher sprang vom Bock und legte warme Decken über die Tiere. Während er die Gestänge und das Gefährt vom Schnee befreite, sprang der Hund, der ihn begleitete, freudig an ihm hoch und leckte ihm das Gesicht. Lächelnd sog ich das friedliche Bild mit der frischen Luft ein, während es erneut zu schneien begann und der Wind große Flocken vor sich hertrieb. Vor dem Hintergrund der schneebedeckten Gipfel der Karpaten stiegen winzige graue Rauchfahnen von den Plattformen der Festungsanlage zum verhangenen Himmel auf. Entfernter Kanonendonner übertönte das leise Heulen hungriger Wölfe. Mich fröstelte und so schloss ich das Fenster wieder. Etwas beunruhigt sah ich mich nach einer Zofe um. Katica und Johannes waren mir wieder eingefallen. Ich hatte sie in der Aufregung des vergangenen Tages völlig vergessen und schämte mich nun dafür. Doch als ich nach der kleinen goldenen Klingel auf dem Teetisch griff, um nach der Zofe zu läuten, wurde ich von Stimmen auf dem Flur abgelenkt. Ich horchte gespannt, lief zur Tür und legte mein Ohr an den Rahmen. Mir fiel sofort die Gräfin ein. Ich fasste mir ein Herz, öffnete die Tür und blickte neugierig den Gang hinunter. Für die herrschaftlichen Bewohner des Schlosses war es noch früh am Tag und so herrschte derzeit überall noch verschlafene Ruhe. Eigentlich war es nicht meine Art, mich um Dinge zu kümmern, die mich nichts angingen. Doch die Aufregung der letzten Stunden und der Gedanke an meine Begleiter, die von mir getrennt waren, schärften meine Sinne für neue Gefahren, was mich bewog, den Stimmen nachzugehen. Beim Verlassen meines Gemachs stolperte ich über einen schlummernden Diener. Er ließ sich in seinem Schlaf nicht stören und so durchquerte ich barfuß und mit geschürzten Röcken, um keinen Lärm zu verursachen, den verwinkelten Flur, bis ich eine halb geöffnete Tür entdeckte. Mein Herz schlug vor Aufregung bis zum Hals und mein Bauchgefühl riet mir zur Umkehr. Dennoch blieb ich stehen, als ich hörte, wie eine Männerstimme sagte: „Seid Ihr bereit, Euch meinem Wunsch zu fügen? Oder höre ich wieder nur Vorwürfe von Euch?“ Die Stimme klang rau, aber nicht unangenehm. Ich näherte mich auf Zehenspitzen der Tür und spähte durch den Spalt. Ein mir unbekannter Mann in Reitstiefeln saß in einem ausladenden Lehnstuhl. Ich sah nur die hohe Rückenlehne, vermutete aber aufgrund der gebieterischen Frage den Hausherrn. Die Gräfin stand in einen weiten, bis zum Boden reichenden Morgenmantel gehüllt mit offenem Haar vor ihm. Ihr Gesichtsausdruck war ernst, mir schien sogar, dass ihre Züge unsicher und verwirrt wirkten. Die Arme hielt sie vor der Brust verschränkt, den Oberkörper herausfordernd vorgeneigt. Diese Frau war mir fremd. Sie schien nicht die Gräfin, die ich am Tag zuvor erlebt hatte.

„Mir sind wiederholt Beschwerden über Euch eingegangen“, wurde ich aus meinen Beobachtungen gerissen. „Euer Temperament geht zu oft mit Euch durch. Ihr solltet endlich Beherrschung üben!“

„Wieso soll ich mich beherrschen?“, entrüstete sich die Gräfin. „Sicher hat sich eine Eurer Huren bei Euch beschwert, dass ich sie nicht mit Samthandschuhen anfasse. Ich will doch nur meinen Mann in meinem Bett. Oder liebt Ihr mich nicht mehr?“

„Ich liebe Euch, wie es der Mutter meiner Kinder gebührt.“

„Dann bin ich also nur die Mutter Eurer Kinder?! Dass ich nicht lache! Gut, ich habe Euch zwei Töchter geschenkt. Aber wie, Franz, soll ich Euch denn einen Erben gebären? Nie seid Ihr im Schloss, nie bei mir. Ständig seid Ihr unterwegs im Kampf gegen unsere Feinde. Bin ich es, die Euch forttreibt? Ich brauche Euch. Versteht Ihr denn nicht, dass ich mich einsam fühle? Was habe ich nur falsch gemacht, dass Ihr meinem Bett die Lager der Mägde vorzieht?“

Der Graf erhob sich daraufhin und lief nun, die Hände hinter dem Rücken verschränkt, vor ihr auf und ab.

„Ihr weicht wie immer aus und macht Euch lächerlich, Elisabeth.“ Sein Ton klang jetzt verärgert. „Wir wurden jung verheiratet. Und erzählt mir nicht, dass Ihr vergessen habt, warum ich nicht das Lager mit Euch teile.“

„Dann sagt mir ins Gesicht, dass Eure Liebe zu mir erloschen ist!“

„Das hat nichts mit meiner Liebe zu Euch zu tun. Ihr braucht nur dieses Weib wegzuschicken, dann bin ich wieder in Eurem Bett. Oder habt Ihr vergessen, was in der Hochzeitsnacht passiert ist?“

„Aber ich habe doch auf Euer Geheiß die Darvulia aus dem Schloss gejagt.“

„Und sie wieder zurückgeholt!“

Die Schritte des Grafen wurden ungeduldiger, er steuerte auf die Tür zu. Wahrscheinlich sah er in der Flucht die einzige Möglichkeit, weiteren Vorwürfen zu entgehen. Dabei drehte er mir sein Gesicht zu und obwohl ich in Liebesdingen noch unerfahren war, verstand ich durchaus Elisabeths Beweggründe. Franz war groß und von athletischem Wuchs. Wahrlich ein Kriegsmann. Über einem Hemd aus rotem Samt trug er einen ausladenden schwarzen Mantel nach türkischer Mode, der bis zum Boden reichte, und an den Füßen halbhohe Lederstiefel. Auf seinem Kopf saß eine rote, mit Perlen bestickte Samtkappe, unter der sich das tiefschwarze Haar über einer hohen Stirn ringelte, während ein kräftiger schwarzer Schnurrbart sein energisches Kinn betonte. Der Graf war eine Augenweide für jedes Frauenherz.

Enttäuscht und wütend, mit leicht gebeugten Schultern, rauschte Elisabeth zum Fenster, wo sie einen Augenblick in Schweigen verharrte und auf den Hof hinaussah, bevor sie mit tonloser Stimme feststellte: „Dann wollt Ihr also nicht einmal Euren gesellschaftlichen Verpflichtungen nachkommen und mich auf den heutigen Ball begleiten?“

„Ihr habt es erraten, meine teure Elisabeth, ich reise noch im Laufe des Tages zur Festung Raab. Prinz Michael von der Walachei ist unzufrieden mit den immer höher werdenden finanziellen Forderungen aus Istanbul und plant eine Revolte gegen den Sultan. Ich vermute, es wird in Bälde zu einer Schlacht mit den Osmanen kommen. Meine Anwesenheit als Kriegsmann ist unverzichtbar“, hörte ich ihn von der Tür aus, ganz in meiner Nähe antworten.

„Aber warum seid Ihr dann überhaupt zurückgekommen?“ Elisabeths gespannte Fingerknöchel verfärbten sich weiß. Es war deutlich zu sehen, dass sie mühsam gegen einen Wutanfall ankämpfte.

„Wegen unserer Töchter, Anna und Katharina.“

„Und um Eure Huren zu begatten!“, erwiderte sie jetzt heftig und drehte ihm wieder ihr Gesicht zu. Ihre Augen schleuderten Blitze. Sie war nur noch wütend und ich sah deutlich, dass sie es darauf anlegte, ihn zu verletzen.

„Was werft Ihr mir vor? Ich bin nun mal ein Mann. Aber ich kann dieses Hexenweib nicht ertragen. Ihr Bild verfolgt mich überallhin. Erinnert Euch, es gab eine Zeit, zu der sie nicht im Schloss war – in dieser Zeit habt Ihr von mir unsere zwei wunderschönen Töchter empfangen. Also schmeißt das Weib endlich für immer raus und ich komme zurück! Ansonsten zeuge ich meinen Sohn mit einer Magd!“

„Und ich war so dumm, so verliebt, dass ich um Euretwillen sogar meinen Glauben geopfert habe!“

„Jetzt werdet Ihr ungerecht.“ Franz lachte leise. Es war ein verletztes Lachen. „Ich habe Euch nicht gezwungen, meinen Glauben anzunehmen. Durch Eure Mutter sind doch die protestantischen Geistlichen auf unsere Landgüter gekommen und sogar eine lutherische Schule wurde von ihr gegründet. Ich bin Euch zu nichts verpflichtet.“

„Vergesst nicht, dass ich Euch überlegen bin, Franz. Lieber bringe ich Eure Huren um, als dass meine Amme geht. Sie ist die Einzige, die mir während Eurer ständigen Abwesenheit Nähe gibt. Ich will keinen Hurenbegatter zum Ehemann – ich will den Mann, den ich liebe, in meinem Bett!“ Zornig stampfte sie mit den Füßen auf. Die Verzweiflung und die Enttäuschung gaben ihr den Mut dazu. Neue vernichtende Worte wollten über ihre Lippen. Wie zwei Kampfhähne standen sie sich gegenüber. Der rote Schein des Kaminfeuers beleuchtete ihre Gesichter. Der Graf wirkte gereizt. Ihr Wutausbruch hatte ihn sichtlich getroffen, und so reagierte er nun handgreiflich auf ihre verletzenden Worte. Er trat hastig einen Schritt auf sie zu und lachte drohend, bevor seine Hand blitzschnell an ihren Hals fuhr. Ihr weißer Hals war so schlank und so zerbrechlich, doch Franz umschloss fest ihre Gurgel und drückte Elisabeth gegen die Wand. Dann kam er ihrem Gesicht sehr nahe, drückte seinen Schoß gegen ihren Oberschenkel und zischte heiser und unmissverständlich, die Etikette vergessend: „Wehe dir, du vergreifst dich auch nur noch ein einziges Mal an einer meiner Gespielinnen. Ich warne dich! Ich habe es dir schon oft genug gesagt – lass die Mädchen in Ruhe und jage diese Hexe aus dem Schloss! Sie ist nicht gut für dich und sie prügelt wie ein Mann. Man redet bereits über sie. Beim letzten Kirchgang hat ihr der Pastor angedroht, sie Ostern vom heiligen Abendmahl auszuschließen, wenn sie weiter so unsere Mägde verprügelt.“

Er nahm die Hände von ihr, wischte sie an seinem Mantel ab und schickte sich an, das Gemach zu verlassen. Mit energischen Schritten kam er auf die Tür zu und ich drückte mich ängstlich gegen die Wand. Gott sei Dank rettete mich ein Pfeiler davor, von ihm entdeckt zu werden, als er an mir vorbeistürmte. Ich hörte noch, wie sie ihm nachrief: „Aber die Darvulia ist besser als jeder Geliebter! Den Teufel werde ich tun, Franz!“ Sie wollte ihn verletzen und gleichzeitig zurückgewinnen.

Aber der Graf hielt es nicht mehr für nötig, sich nach ihr umzudrehen. Ich hörte ihn nur ärgerlich in seinen Bart murmeln:

„Dann musst du mit den Konsequenzen leben! Du treibst mich gerade weit weg von dir, Weib!“

 

Ich war soeben Zeuge eines heftigen Ehestreits geworden und mir war bewusst, Worte gehört zu haben, die nicht für meine Ohren bestimmt waren, die mir aber zugleich einen erschütternden Einblick in das Eheleben der berühmtesten Frau Ungarns gaben. Bedrückt und mit einem unsicheren Gefühl, was meine Zukunft betraf, begab ich mich zurück in meine Gemächer.