Leseprobe Das Geheimnis der stolzen Lady

Kapitel eins

Sussex, England, 1811

In Daphnes Kopf klingelte es lauter, aber weniger freudvoll, als die zwölf Glocken von St. Paul’s. Vielleicht war es nicht die beste Entscheidung gewesen, Cousin Malcolm einen Kopfstoß zu verpassen.

Kaum war ihr dieser Gedanke gekommen, als ein ohrenbetäubendes Klingeln ihn gemeinsam mit einem quälenden Schmerz auch schon wieder davon jagte. Sie stolperte ein paar Schritte zurück und stieß gegen einen der alten Baumstümpfe, die die Lichtung umgrenzten. Schwarze Punkte tanzten vor ihren Augen. Sie klammerte sich Halt suchend an das raue Holz und blinzelte. Als sie wieder ein wenig sehen konnte, berührte sie ihre pochende Stirn und zuckte zusammen. Ihre Finger waren blutig: von ihrem Blut oder dem von Cousin Malcolm, oder von beidem. Sie wandte ihren Blick von ihrer blutigen Hand ab und ließ ihn über die kleine Lichtung schweifen.

Malcolm lag dort, wo er gestürzt war, inmitten der Trümmer des Picknicks, das Daphne gerade ausgepackt hatte, als er an sie herangetreten war. Er war in den zehn Jahren, seit sie ihn das letzte Mal gesehen hatte, viel älter geworden. Sein braunes Haar, einst dick und glänzend, war dünn geworden und hatte sein Leuchten verloren. Sein aufgedunsener Körper war weit von der schlanken und eleganten Gestalt des Dandys entfernt, der ihre Zukunft kurz – und verheerend – in seinen Händen gehalten hatte.

Elf Jahre trennten sie, und jedes einzelne dieser Jahre war in sein achtunddreißigjähriges Gesicht eingraviert. Ein Gesicht, das nun vor Schmerz und Wut verzerrt war.

Malcolm raffte sich in eine sitzende Position auf und warf ihr einen mörderischen Blick zu, bevor er seine Krawatte von seinem Hals riss und sie an seine blutende Nase drückte.

Daphne dachte, dass ein verdammter, klingelnder Schädel ein kleiner Preis für Malcolms offensichtliches Leid war. Als sie blinzelte, um sein Gesicht besser erkennen zu können, verschwammen seine hervortretenden, blutunterlaufenen Augen und wurden unscharf. Sie befühlte ihren Nasenrücken und unterdrückte ein Stöhnen. Mist! Er musste ihr bei ihrem Gerangel ihre Brille von der Nase gehauen haben.

Sie ging in die Hocke und suchte das Gras zu ihren Füßen nach ihrer Brille ab, wobei sie Malcolm stets im Auge behielt. Die Brille war eine Sonderanfertigung mit einer zweigeteilten Linse, um ihre schwache Sehkraft auszugleichen. Sie war auch das letzte Geschenk ihres Ehemannes vor seinem Tod gewesen. Wenn sie sie verlor, wäre es, als würde sie noch mehr von Thomas verlieren. Es wäre …

„Nun, nun, was haben wir denn hier?“, dröhnte eine tiefe Stimme.

Daphne quietschte wie ein aufgeschrecktes Huhn und fiel auf Hände und Knie, während sie im umgebenden Buschwerk nach dem Eigentümer der Stimme suchte. Ein gestaltloser Schatten trat zwischen zwei Ulmen hervor und wuchs, bis sie schließlich einen Mann auf einem Pferd erkannte. Ein großer Mann auf einem riesigen Pferd.

Seine Züge wurden mit jedem seiner Schritte klarer – und bemerkenswerter. Zwischen Daphne und Malcolm zügelte er sein Pferd. Das kräftige Shire Horse maß mindestens einen Meter achtzig, und der Mann passte in Größe und Stattlichkeit zu seinem Tier.

Sonnengebräunte Haut und goldblondes Haar waren vor dem blassen Grau des englischen Himmels eine exotische Überraschung. Doch es waren die schwarze Augenklappe, die sein linkes Auge bedeckte, und die wilde Narbe, die darunter verschwand, die wirklich fesselnd waren. Ihm fehlten nur ein zerfledderter Dreispitz und ein Entermesser zwischen den Zähnen, um der Vorstellung eines jeden Mädchens von einem gut aussehenden Piraten gerecht zu werden. Hatte er sich auf dem Weg zu einem Maskenball verirrt?

Daphne blinzelte bei der albernen Vorstellung und ihre Gedanken, die normalerweise so ordentlich waren, wie Wellingtons Soldaten, brachen sich Bahn und rasten in alle Richtungen, als der Fremde sie mit seinem einzelnen grünen Auge ansah und lächelte. Er ergab sich gut gelaunt ihrer unverhohlenen Betrachtung.

„Seid Ihr wohlauf, Lady Davenport?“ Entgegen seiner exotischen Erscheinung klang er sehr wie ein englischer Gentleman.

„Wie …“, begann sie und bemerkte dann, dass sein Blick auf ihrer Brust verharrte. Sie sah hinab und keuchte. Ihr Mantel war vom Kragen bis zur Hüfte aufgerissen und enthüllte ein beschämendes Ausmaß von Unterhemd und Haut. Sie zog das zerrissene Kleidungsstück zusammen und sah auf.

Der Fremde hatte sich jedoch Malcolm zugewandt und starrte ihn an, als hätte er ihre Existenz vergessen. Er glitt in einer flüssigen Bewegung von seinem riesigen Pferd und trat einen Schritt auf den anderen Mann zu, wobei er ein verziertes Vergrößerungsglas hob. Seine blonden Brauen hoben sich, als er den schmutzigen und blutenden Mann auf der Picknickdecke betrachtete.

Nur das entfernte Vogelgezwitscher unterbrach die gespannte Stille, die sich dahinzog und …

Ramsay?“ Malcolms Stimme wurde von der blutigen Krawatte gedämpft, die seine Nase und seinen Mund bedeckte. Hastig ließ er das ruinierte Kleidungsstück sinken und starrte den Riesen mit offenem Mund an.

Daphne sah blinzelnd von ihrem Cousin zu dem Fremden, als würde das sowohl ihr Gehör als auch ihr Sehvermögen schärfen. Hatte Malcolm Ramsay gesagt? Der Name weckte etwas in ihrer Erinnerung. Ramsay, Ramsay … war Ramsay nicht der Titel von Thomas’ verstorbenem Neffen Hugh Redvers? Daphne kramte auf ihrer Unterlippe kauend in ihrer Erinnerung. Ja, er hatte den Titel von Seiten seiner Mutter geerbt – es war einer der seltenen Baronien, die über die weibliche Linie vererbt wurden.

Ihre Augen öffneten sich weiter und sie sah Malcolm an, der den riesenhaften Fremden immer noch angaffte. Sicher meinte der Idiot nicht Baron Ramsay – Hugh Redvers? Daphne stützte sich auf dem Boden ab. Vielleicht war ihre Kopfverletzung schlimmer, als sie gedacht hatte?

Der Riese ignorierte Malcolms Frage und sah ihren Cousin mit zunehmend verächtlichem Gesichtsausdruck an. Malcolm hob die zusammengeknüllte Krawatte höher, sodass nur noch seine Augen über dem blutigen Stück Stoff zu sehen waren, und ertrug die stumme Musterung.

Daphne erkannte die Missgunst im Blick ihres Cousins. Schließlich hatte sie bereits öfter unter seinen Launen gelitten, als sie sich erinnern mochte, als sie das Unglück hatte, unter seinem Dach zu leben. Sie sah den Fremden an, um seine Reaktion abzuschätzen, und begegnete einem grotesk vergrößerten grünen Auge, dessen Farbton sich irgendwo zwischen Smaragd und Peridot bewegte.

Sie schluckte und konnte Malcolms Starren plötzlich nachvollziehen. Sie wusste nun, wie sich ein Insekt unter einer Lupe fühlen musste.

Doch sie war kein Insekt. Sie warf ihre Schultern zurück und sah ihn mutig – wenn auch verschwommen – an. Seine Lippen bogen sich, und nach einer Ewigkeit ließ er sein abscheuliches Vergrößerungsglas sinken, trat einen Schritt vor und reichte ihr eine Hand, die die Größe eines Speisetellers hatte.

Wortlos legte Daphne ihre Hand in seine und er zog sie auf die Füße. Er ließ sie nicht los. Stattdessen beugte er sich über ihre Hand und küsste ihre nackte Haut mit warmen und weichen Lippen. Erstaunlich zart – wo der Rest von ihm doch so … hart aussah.

„Ich bitte Euch um Verzeihung, dass ich mich nicht früher vorgestellt habe, Lady Davenport. Sir Malcolm ist daran schuld. Ich bin Hugh Redvers, Baron Ramsay.“ Ein spöttisches Grinsen breitete sich auf seinem Gesicht aus. „Euer lange verschollener Neffe.“

Daphne schüttelte den Kopf. „Wie kann das sein?“, platzte sie heraus.

Sein Auge glitzerte belustigt. „Nun, der Earl war der älteste Bruder meines Vaters, und seine erste Frau – meine Tante Eloisa – starb, woraufhin der Earl Euch heiratete, was bedeutet, dass …“

Er machte sich über sie lustig. Sie richtete sich zu ihrer vollen Größe auf und fixierte ihn mit einem kalten Blick.

„Ich bin bestens mit Verwandtschaftsgraden vertraut, Sir. Ich meinte, dass es unmöglich ist, dass Ihr am Leben seid.“

Diesen idiotischen Kommentar schien er noch lustiger zu finden.

Daphne ignorierte die Beschämung, die sie bei ihren dummen Worten überkam.

„Hugh Redvers starb vor beinahe zwanzig Jahren. Mein Mann, der Earl of Davenport, hat durch einen Agenten in seinen Diensten von seinem Dahinscheiden erfahren.“

Der riesige Mann streckte seine Hände zu seinen Seiten aus, als wollte er sagen „Nun, und doch bin ich hier.“

Daphne musterte ihn mit der Eindringlichkeit eines Uhrmachers, der ein seltenes Stück untersucht. Er ertrug ihren Blick, ohne zu blinzeln, und zeigte nichts von der Nervosität, die man von einem Hochstapler erwartet hätte, der behauptete, ihr Neffe zu sein.

Er trat einen Schritt näher, und sie erkannte, dass er älter war, als sie zuerst angenommen hatte – näher an der Vierzig als an der Dreißig – aber deshalb nicht weniger attraktiv. Im Winkel seines grünen Auges entsprangen tiefe Falten, und sein goldenes Haar war an den Schläfen von zahlreichen Silberfäden durchzogen. Gerade lächelte er, doch sein entschlossener Kiefer verriet, dass er ein Mann war, der es gewohnt war, seinen Willen zu bekommen. Die tiefen Grübchen beiderseits seines lächelnden Mundes deuteten darauf hin, dass er es genoss.

Die weiße Narbe, die sein Gesicht beinahe zweiteilte, begann an seiner linken Schläfe, verschwand unter der schwarzen Augenklappe und zog sich über seinen Nasenrücken bis hin zu seinem Unterkiefer.

Daphne verglich den vernarbten, doch immer noch gut aussehenden Mann, der vor ihr stand, mit der Erinnerung ihres zehn Jahre alten Selbst – die Erinnerung eines vernarrten Mädchens, das seinen attraktiven, schönen Nachbarn vergöttert und seinen Tod tief betrauert hatte.

Dieser Mann war bemerkenswert groß, golden und unglaublich attraktiv. Nicht einmal zwei Jahrzehnte, eine brutale Narbe oder die schwarze Augenklappe konnten das verbergen. Er war ohne jeden Zweifel Hugh Redvers, der wahre Erbe ihres verstorbenen Mannes: ein Mann, den alle seit zwanzig Jahren für tot hielten.

Ein Mann, den Daphne seines Titels, seines Landes und seines Vermögens beraubt hatte. Sie öffnete ihren Mund, um – ja, um was zu sagen?

„Mylady?“

Sie fuhr herum und sah Caswell, ihren Pferdeknecht, der auf dem schmalen Weg stand und zwischen Daphne, dem alles überragenden Fremden und dem Edelmann, der blutend auf ihrer Picknickdecke lag, hin- und herblickte.

Bevor sie etwas sagen konnte, drang die Stimme ihres ältesten Sohnes hinter dem Stallknecht hervor.

„Ich erzähle dir keinen Blödsinn, Richard. Der Fisch war riesig – viel größer als die Elritze, die du gefangen hast.“ Lucien klang gekränkt. „Wenn mir nur die Angel nicht aus der Hand gerutscht wäre.“

Richard, der zwölf Minuten jünger war als sein Zwillingsbruder Lucien, hatte nur ein Wort zu der Behauptung seines Bruders zu sagen: „Blödsinn.“

Lucien bewegte sich seitlich an dem erstarrten Pferdeknecht vorbei. „Ich denke, Caswell, ich …“ Und dann hielt auch er in seiner Bewegung inne und formte mit seinem Mund ein überraschtes O. Richard trat an Caswells andere Seite. Er und sein Bruder starrten den Fremden an, ihre identischen Brauen vor Verwirrung gekräuselt.

Weil sie gesunde, blutdurstige Jungen waren, war das Erste, was ihre Aufmerksamkeit auf sich zog, der Mann mit dem roten Stück Stoff unter seiner Nase. Dann wandten sie sich dem einäugigen Riesen neben ihrer Mutter zu. Dieser Anblick war zwar interessant, konnte aber neben Hugh Redvers Ehrfurcht gebietendem Pferd nicht bestehen, das nicht weit hinter ihm graste.

Alle anderen Gedanken waren aus ihrem Kopf verflogen und sie bewegten sich auf das riesige Pferd zu, als würden sie von einem unsichtbaren Seil gezogen. Ramsay beobachtete ihre andachtsvolle Annäherung mit offener Belustigung. Er sagte etwas in einer Sprache, die Daphne für Arabisch hielt, und das Tier bewegte sich vorwärts, streckte ein Vorderbein in Richtung der Zwillinge aus und verbeugte sich tief darüber, bevor es in eine stehende Position zurückkam. Es sah die beiden kleinen Jungen hochmütig an.

„Er ist fantastisch, Sir!“, sagte Lucien zu dem Mann, den er unwissentlich seines Titels, seines Landes und seines Geldes beraubt hatte.

Daphne schloss kurz ihre Augen. Passierte das gerade wirklich?

„Dürfen wir ihn streicheln, Sir?“, fragte Lucien und riss sie aus ihren Gedanken.

„Dürft ihr“, sagte Redvers. „Geht nur nicht hinter ihn. Ein Tritt von ihm würde euch bis Newcastle bringen.“

Die Jungen grinsten, als ob derartige Warnungen die Aussicht, das Pferd zu streicheln, nur noch attraktiver machen würden.

„Sein Name ist Pasha.“

Malcolm räusperte sich und alle Köpfe drehten sich in seine Richtung. Seine Brust war vorgewölbt wie die einer Taube. Er glich einem übergroßen, dicklichen Schuljungen, der ordentlich verprügelt worden war und verzweifelt um seine Würde kämpfte.

„Was zur verdammten Hölle geht hier eigentlich vor, Ramsay?“

„Eure Sprache, Hastings.“ Ramsays einzelnes Auge verengte sich zu einem Schlitz. „Wisst Ihr, dasselbe habe ich mich gerade gefragt.“ Er sagte die Worte ganz ruhig, aber eine Kälte erfüllte die Luft, als er den anderen Mann betrachtete.

Malcolm hob seine blutige Krawatte. „Was, das? Das ist nichts.“ Er zuckte mit den Schultern. „Mein Pferd ist sehr nervös und etwas hat es erschreckt.“

Ramsay sah zu dem gelassenen Pferd hinüber, das ein paar Meter entfernt in aller Seelenruhe graste, und dann mit gehobenen Brauen wieder zurück zu Malcolm.

„Natürlich bin ich drauf geblieben, habe aber einen ziemlich blöden Kopfstoß abbekommen.“ Malcolm warf einen Blick auf die blutige Picknickdecke. „Es tut mir schrecklich leid um deine Decke, Cousine.“ Er sah Daphne hämisch lächelnd an, bevor er sich wieder Ramsay zuwandte.

Die Männer starrten einander gespannt an. Malcolm murmelte etwas Unverständliches, führte sein Pferd zum nächsten Baumstumpf und zog sich in den Sattel. Er ruderte mit den Füßen, als er nach den Steigbügeln suchte.

Sobald er sicher auf seinem Pferd saß und seinen Stolz zurückgewonnen hatte, ließ er einen hasserfüllten Blick über die kleine Gruppe schweifen, wobei er Daphne am längsten ansah. Sie verstand die Drohung deutlich: Er war noch nicht mit ihr fertig und würde weder vergeben noch vergessen, was sich heute zwischen ihnen zugetragen hatte. Er trat seinem Pferd unnötig grob in die Flanken und donnerte davon. Ein unbehagliches Schweigen lag über der kleinen Lichtung, als das Geräusch der Pferdehufe verklang.

„Ein fürchterlicher Sitz, würde ich sagen“, beobachtete Lucien.

Das abwertende Urteil ihres Sohnes betreffend Malcolms reiterlicher Fähigkeiten entlockte dem einäugigen Fremden ein bellendes Gelächter.

Er ist kein Fremder; er ist der Earl of Davenport.

Ein Zittern überlief Daphne, doch nicht, weil es kalt war. Einen Moment lang war sie von der Größe dessen, was gerade geschah, überwältigt – von der schieren Unmöglichkeit des Ganzen. Sie holte tief Luft und atmete nicht wieder aus, bevor ihre Lungen brannten. Das Gefühl ließ sie wieder ins Hier und Jetzt zurückkehren. Sie war eine Frau der Wissenschaft und der Vernunft und kein verängstigtes Schulmädchen. Sich angesichts von Fakten in die Hysterie zu flüchten, war nicht ihre Art. Sie atmete aus und zusammen mit der Luft verließ auch der Schrecken ihren Körper. Sie tat das noch ein paarmal, bis ihr Herzschlag sich verlangsamt hatte. Dann sah sie den sehr lebendigen Mann vor sich an.

Seine Rückkehr von den Toten war … nun, Daphne hatte keine Worte, um das unerwartete Ereignis zu beschreiben. Aber im Moment musste sie auch nicht die richtigen Worte dafür finden; sie konnte sie später finden – wenn Hugh Redvers nicht direkt vor ihr stand.

„Ich verhungere, Mama. Dürfen wir essen?“

Luciens Frage war so banal, dass sie zu dem Gefühl der Unwirklichkeit beitrug. Die ganze Angelegenheit war eine Art Farce – ein Dreiakter, der die englischen Sitten verhöhnte und dessen erster Akt mehr als ein Jahrzehnt früher jenseits der Bühne stattgefunden hatte.

Eine untypische Blase hysterischen Gelächters prickelte in ihrer Kehle wie ein schlechter Jahrgang Champagner. Sie brauchte mehrere Anläufe, um es hinunterzuschlucken. Daphne sagte sich, dass ein bisschen Hysterie gerechtfertigt war – zuerst Malcolm und seine Drohungen und nun das – das – nun, was immer es auch war.

Trotzdem würde ein Lachanfall niemandem helfen, am allerwenigsten ihren Söhnen. Daphne sah von Luciens und Richards erwartungsvollen Gesichtern in Ramsays interessiertes. Essen? Jetzt? Wo ein Mann von den Toten zurückgekehrt war?

„Was ist mit dem Picknickkorb passiert, Mama?“ Luciens goldbraune Augen, die denen seines Vaters so sehr glichen, starrten auf die zerknüllte Decke und die darauf verstreuten Dinge.

Ramsay sah genauso neugierig aus wie ihr Sohn, doch aus gänzlich anderen Gründen, vermutete sie.

Daphne zwang sich zu einem Lächeln. „Mittagessen ist eine ausgezeichnete Idee, Lucien.“ Warum sollten sie nicht essen? Ja, was sollte sie sonst tun? Vor ihren Kindern und dem Diener mit der Wahrheit herausplatzen? Ja, zuerst essen. Erklärungen und Geständnisse später – viel später. Und wegen Ramsay …

„Ihr müsst Euch zu uns gesellen, Lord Ramsay.“

Er neigte seinen Kopf. Es war deutlich zu sehen, dass er bereit war, in dieser Farce seine Rolle zu spielen.

„Es wäre mir eine Freude.“ Er deutete auf das verstreute Essen und Geschirr. „Kann ich behilflich sein?“

Bevor Daphne antworten konnte, stieß Lucien einen Laut entsetzter Begeisterung aus und zeigte auf Ramsays behandschuhte linke Hand – eine Hand, deren Mittelfinger fehlte.

„Was ist mit Eurem Finger passiert?“ Lucien musste seinen Kopf so weit in den Nacken legen, um dem Riesen in die Augen sehen zu können, dass er Gefahr lief hintenüber zu kippen. „Und mit Eurem Auge?“, fügte er hinzu.

Hitze überzog Daphnes Gesicht. „Lucien!“

Sein Kopf schnellte herum. „Ja, Mama?“, fragte er, ganz die großäugige Unschuld.

„Noch weitere derartige Fragen und du wirst den Rückweg nach Lessing Hall in diesem leeren Picknickkorb zurücklegen.“

Lucien warf einen besorgten Blick auf den Korb. Seine Schultern sanken erleichtert nach unten, als ihm klar wurde, dass die Drohung seiner Mutter rein physikalisch unmöglich war. Kleinlaut sah er zu dem riesigen Lord auf. „Es tut mir leid, dass ich unhöflich war, Sir.“

Ramsay lächelte. „Ich bin sicher, wir werden noch genug Zeit haben, um über all meine fehlenden Körperteile zu sprechen. Aber nun geben wir eurer Mutter ein paar Minuten, während Pasha euch ein paar seiner anderen Tricks zeigt.“ Er wandte sich ab und gab Daphne ein wenig dringend benötigte Privatsphäre. Angesichts dieser Freundlichkeit hätte sie beinahe geweint.

Sie wandte sich an Caswell – der die Unterredung gespannt verfolgt hatte, um zweifelsohne die Dienerschaft während des Dinners damit zu unterhalten.

„Bitte sehen Sie nach, was noch zu retten ist, Caswell.“

„Sehr wohl, Mylady.“

Daphne fand ihren plattgedrückten Hut unter einem großen Tonkrug und benutzte eine Hutnadel, um ihren Mantel zu schließen. Ihre Brille lag nicht weit von ihrem Hut entfernt. Ihre Gläser waren intakt, doch das filigrane Nasenstück war verbogen. Vorsichtig richtete sie das biegsame Gold gerade, bis die Brille auf ihrer Nase saß, wenn auch ein wenig schief. Danach beschäftigte sie sich mit ihrem Haar, das sich während des Gerangels gelöst hatte und nun in alle Richtungen hing. Sie durchkämmte mit ihren Fingern das hüftlange, weizenblonde Gewirr, drehte es zu einem Knoten und steckte diesen mit den wenigen ihr verbliebenen Haarnadeln fest. Als sie alles getan hatte, was sie konnte, eilte sie Caswell zu Hilfe.

Der Koch hatte genügend Brot, Früchte, geröstetes Geflügel, Scotch-Eier, Schinken, Kekse, Obstkuchen und Sahnetorte eingepackt, um ein Dutzend hungriger Männer satt zu bekommen. Nur wenig davon war durch das Gerangel zerstört worden.

Daphne nahm einen Teller, stapelte Essen darauf und reichte ihn ihrem Pferdeknecht, der zunächst zögerte.

„Seien Sie nicht dumm, Caswell, es ist mehr als genug Essen für uns alle da.“

Röte stieg ihm ins Gesicht, doch er nahm den Teller und nickte. „Danke, Mylady.“

Daphne wusste, dass ihr egalitäres Verhalten – ein Relikt ihrer Erziehung durch ihre Mutter, die eine Kohlenerbin gewesen war – die Dienerschaft von Lessing Hall auch nach einem Jahrzehnt noch erschütterte. Aber ehrlich, warum sollte der Mann herumstehen, während das Essen schlecht wurde?

Sie bereitete vier weitere Teller vor, und nach kurzer Zeit saßen sie alle auf der Decke und aßen.

Daphne hatte keinen Appetit. Statt zu essen, zerkrümelte sie ein Stück des ausgezeichneten Brots in immer kleinere Teile, während ihre Söhne Ramsay mit Fragen über sein Pferd bombardierten.

Sie hatte ebenfalls Fragen, die sich wie hungrige Wiesel auf dem Weg zum Hühnerstall ihren Weg in ihren Kopf bahnten. Die wichtigste Frage war, wie viel Ramsay gehört hatte, bevor er ihre unwürdige Rauferei mit Malcolm unterbrach.

Hatte er Malcolms Drohungen gehört? Die Erpressung? Die Anschuldigungen betreffend der Zwillinge?

Seit Jahren wurde sie von Albträumen heimgesucht, in denen jemand von ihren Lügen erfuhr und sie der öffentlichen Schande und Lächerlichkeit preisgab. Niemals hätte sie erwartet, dem Mann gegenüberzutreten, dem sie mit ihrem Betrug das größte Unrecht angetan hatte. Daphne sah ebendiesen Mann durch gesenkte Wimpern an. Sie war noch ein Mädchen gewesen, als Hugh Redvers verschwunden war, aber – wie jedes andere weibliche Wesen zwischen acht und achtzig – war sie vom schönen und wilden Erben des Earls of Davenport verzaubert gewesen. Der junge Lord hatte nicht nur wie ein griechischer Gott ausgesehen, sondern auch immer ein freundliches Wort und ein Lächeln für das linkische, schüchterne Nachbarsmädchen übrig gehabt, das eine Brille trug und zehn Jahre jünger war als er.

Er lachte gerade über etwas, das einer der Jungen gesagt hatte, und riss Daphne damit aus ihren Gedanken. Sie bemerkte, dass sie sich zu ihm gebeugt hatte, wie eine Motte, die zu dicht um eine Flamme kreiste.

Daphne schüttelte den Kopf über diesen fantasievollen Gedanken und nahm ihre Betrachtung wieder auf. Sie musste zugeben, dass die Zeit – die seinen fehlenden Teilen nach zu urteilen nicht immer einfach gewesen war – ihn noch attraktiver gemacht hatte. Sie riss ihren Blick von seinem Gesicht los und musterte seinen restlichen Körper.

Er war gekleidet wie ein englischer Landedelmann, doch sein Aufzug hatte etwas unterschwellig Fremdländisches an sich. Seine waldgrüne Reitjacke war auf seinen breiten Rücken und seine massiven Schultern geschneidert. Seine Weste war von einem blassen Grün, das der Farbe seines verbleibenden Auges zu sehr glich, um zufällig zu sein. Und die weiche Lederhose, die seine Beine bedeckte? Nun, je weniger dazu gesagt wurde, desto besser. Daphne dachte noch immer über dieses hautenge Kleidungsstück nach, als Luciens drängende Stimme ihr ungezogenes Gaffen unterbrach.

„Stimmt das nicht, Mama?“ An Luciens Ton erkannte sie, dass es nicht das erste Mal war, dass er ihr diese Frage stellte.

„Hm?“ Daphne sah vom hartnäckigen Gesicht ihres Sohnes in das grinsende von Hugh Redvers. Hitze stieg in ihr Gesicht wie bei einem Schulmädchen – ein Umstand, der mit zunehmendem Alter offenbar nicht abnahm. Der grässliche Mann wusste, dass sie ihn einer schonungslosen, ordentlichen und intimen physischen Inspektion unterzogen hatte; und er genoss es.

Daphne ignorierte sein Grinsen und wandte sich an ihren Sohn. „Was sagst du, Lucien?“

„Papa hat versprochen, dass Richard und ich unsere eigenen Pferde bekommen, wenn wir zehn sind. Und das sind nur noch ein paar Monate“, erinnerte er sie, als ob Daphne den Tag vergessen könnte, an dem sie ihre einzigen Kinder zur Welt gebracht hatte. Lucien stieß seinen schweigenden Bruder an und Richard nickte, um den Älteren zu unterstützen. Daphne seufzte. Das nervende Thema der eigenen Pferde kam mindestens einmal täglich auf.

„Darüber können wir später sprechen, Lucien.“ Oh, und das würden sie; ihr Sohn war sehr hartnäckig.

Sie blickte vom störrischen Gesicht ihres Sohnes in das lächelnde des Barons und entschied, dass sie sich am Gespräch beteiligen würde.

„Seid Ihr erst vor Kurzem nach England zurückgekehrt, Mylord?“ Es war eine dämliche Frage, aber – ganz ehrlich – welche Frage wäre das zum gegebenen Zeitpunkt nicht?

Ramsays Lächeln wurde breiter, als ob er ihre Gedanken hören könnte. „Komm schon, wir sind eine Familie – Ihr müsst mich Hugh nennen.“

„Familie?“, wiederholte Lucien und vergaß – zumindest für den Moment – das Thema Pferde. „Seid Ihr ein Cousin, so wie unser Cousin John Redvers?“ Lucien runzelte die Stirn. „Obwohl der jetzt tot ist.“

Ramsay lachte. „Ich hoffe, dass ich nicht wie Cousin John Redvers bin – ob tot oder lebendig.“

Das hoffte Daphne ebenfalls. John Redvers war ein rattengesichtiger Trunkenbold gewesen, dessen einziger Verdienst im Leben die bemerkenswerte Geschwindigkeit gewesen war, mit der er sein Erbe durchgebracht hatte.

Als Hugh Redvers vor all den Jahren für tot erklärt worden war, war es John gewesen – sein nutzloser jüngerer Cousin – der der nächste Erbe des Earl of Davenport geworden war. John war einer der Gründe gewesen – wenn nicht der Grund – warum der Earl in seinen Siebzigern noch einmal geheiratet hatte.

Ein weiterer Grund war, dass die verwaiste Tochter seines engsten Freundes siebzehn und im zweiten Monat schwanger war und verzweifelt einen Ehemann brauchte.

„Mama?“

Daphne wurde klar, dass Lucien immer noch darauf wartete, dass sie ihm seine Verwandtschaft mit dem faszinierenden Neuankömmling erklärte.

„Baron Ramsay ist der älteste Neffe eures Vaters. Der, von dem wir glaubte, er wäre vor vielen Jahren auf See verschollen.“ Daphne warf ihm einen anklagenden Blick zu, den Ramsay nicht zu bemerken schien – oder einfach ignorierte – wenn sie nach seinem Lächeln ging. Er hatte tatsächlich noch immer denselben Ausdruck träger Belustigung im Gesicht, den er trug, seit er die Lichtung betreten hatte. Das einzige Mal, dass er nicht erfreut gewesen war, war, als er mit Malcolm gesprochen hatte.

„Papa hat uns von Euch erzählt, Mylord“, sagte Richard, ihr normalerweise stiller und zurückhaltender Sohn. „Er sagte, niemand kämpft besser mit einem Schwert als Ihr.“ Richards feierlicher Ton verriet, dass ein Lob seines geliebten Vaters in der Tat ein hohes Lob war.

Ramsays Lächeln verblich und seine vollen Lippen öffneten sich; zur Abwechslung kam nichts heraus. Es war, als hätte das Kompliment von Daphnes verstorbenem Mann, dessen Differenzen mit Hugh Redvers legendär gewesen waren, ihn seiner Sprache beraubt.

Durch diesen Riss in seiner Fassade fühlte Daphne sich weit weniger nervös, was sie getan hatte, seit er auf die Lichtung gekommen war und sie auf der Suche nach ihrer Brille auf allen vieren und mit offenem Mantel im Gras herumkriechen gesehen hatte. Sie hatte wie das verdammte, zerlumpte Chaos ausgesehen, während er auf seinem Märchenpferd gesessen hatte, mit seinem schönen Gesicht und seinem großen, wunderbaren Körper und … Nun, genug davon. Jedenfalls genoss sie seine Verwirrung, so kleinlich das auch sein mochte.

„Ich bin erfreut zu hören, dass euer Vater wenigstens ein paar nette Erinnerungen an mich hatte.“ Ramsays Ton war leicht, aber Daphne hörte die Spannung dahinter. Er sah von einem Zwilling zum anderen und lächelte. „Ich muss zugeben, dass ich sehr erfreut bin, zwei so nette Cousins zu treffen.“

Die Jungen erröteten vor Freude.

Ramsays grünes Auge richtete sich von den Jungen auf Daphne. „Zwei nette Cousins und eine Tante.“

Auch wenn Daphne keine Erfahrung mit hübschen, kräftigen Männern unter siebzig hatte, konnte sie sehen, welche Art Mann er war: ein gefährlicher. Zumindest für Frauen wie sie – ernsthafte, bodenständige Mütter; Frauen, die ihn sicher nicht interessieren würden.

Was auch immer er in ihrem Gesicht sah, brachte sein Piratenlächeln zurück und ließ zwanzig Jahre in einem Augenblick verschwinden. Daphne war wieder ein linkisches kleines Mädchen, das eine riesengroße Heldenverehrung betrieb. Es war zum Verrücktwerden; es war beschämend.

Sie riss ihren Blick von seiner faszinierenden Person los. Ihr Gesicht fühlte sich so heiß an, dass möglicherweise Dampf von ihrem Kopf aufstieg. Sie bemerkte, dass alle Teller außer ihrem leer waren, und klammerte sich an diesen Vorwand.

„Wir müssen zurückkehren“, sagte sie und stand auf. Sie ignorierte die enttäuschten Laute, die die beiden Jungen von sich gaben, fegte Krümel von ihrem zerknitterten, grasfleckigen Rock und sah überall hin, nur nicht in Hugh Redvers’ Gesicht. Sie musste eine gewisse Distanz zwischen sich und den Mann bringen – auch wenn es nur ein paar Meter waren.

Während Daphne den Picknickkorb wieder einpackte, halfen Caswell und Ramsay den Jungen dabei, ihre Ponys zu satteln. Als sie ihre jeweiligen Aufgaben erledigt hatten und bereit zum Aufsitzen waren, warf Ramsay Lucien mit einer Leichtigkeit in den Sattel, die den Jungen zum Lachen brachte. Richard hatte sein Pony bereits zu einem Baumstumpf geführt, also wandte Ramsay sich an Daphne.

„Tantchen?“ Sechs Augen hätten nicht boshafter blicken können als sein einzelnes. Sie sah böse zu ihm auf und ärgerte sich darüber, dass sie errötet war, als er sie „Tantchen“ genannt hatte. Schließlich war sie seine Tante, auch wenn sie mehr als zehn Jahre jünger war und keine Blutsverwandtschaft bestand. Also warum …

Zwei große Hände legten sich um ihre Hüften und hoben sie in den Sattel. Es kostete Ramsay so viel Anstrengung wie ein normaler Mann brauchte, um ein Bild aufzuhängen. Daphne war ebenso atemlos wie Lucien – kicherte aber dankenswerterweise nicht – als Ramsay ihr die Zügel übergab. Und ihr dann zuzwinkerte.

Hitze stieg in ihrer Brust auf und sie öffnete ihren Mund. Er lächelte mit gehobenen Brauen zu ihr hinauf und ihr wurde klar, dass er eine empörte Reaktion ihrerseits erwartete – ja, vorhersah. Sie schloss den Mund.

Er kicherte und wandte sich seinem Pferd zu. Mit seiner linken Hand griff er den Knauf seines Sattels und schwang seinen Zwei-Meter-Körper in einer so leichten und anmutigen Bewegung auf das riesige Shire Horse, dass Daphne sich fragte, ob sie richtig gesehen hatte.

Ihre Söhne machten ehrfurchtsvolle Geräusche. „Kannst du uns zeigen, wie das geht, Cousin Hugh?“

Ramsay musste über einen halben Meter nach unten sehen, um in Luciens Augen zu blicken.

„Na klar. Aber dafür müsstet ihr eure Ponys ein wenig länger behalten – ich kann euch nicht beibringen, auf ein Pferd zu springen, zumindest noch nicht.“

Beide Jungen schienen die Information zu verdauen. Ihre identischen Gesichter blickten ernst und nachdenklich – und mehr als nur halb überzeugt.

Der Baron lächelte nicht, als er Daphne ansah, aber sie spürte seine Belustigung, weil er das lästige Thema Pferde so leicht beiseite gewischt hatte.

Sie ignorierte ihn. „Reiten Sie voraus, Caswell.“

Der Pferdeknecht ließ Richard vorausreiten und Lucien hinter sich.

„Nach Euch, Lady Davenport“, sagte Ramsay, als Daphne versuchte, ihr Pferd ans Ende der Reihe zu manövrieren. Seine Stimme war ein sinnliches Schnurren, obgleich seine Worte unschuldig klangen.

Daphne schüttelte den Kopf, hielt sich aber nicht mit einem Streit auf. Das Zwinkern, die heimlichen Blicke – was sollte das bedeuten? Flirtete er mit ihr?

Sicher nicht.

Da sich Daphne selbst niemals solchen Frivolitäten hingegeben hatte, war sie kaum darin bewandert zu erkennen, wann jemand mit ihr flirtete. Nicht, dass sie sich jemals gewünscht hätte zu flirten. Selbst wenn sie gewollt hätte, hatte sich nie die Gelegenheit geboten. Sie war siebzehn gewesen, als sie den Earl of Davenport geheiratet hatte. Und davor? Ihre Hände schlossen sich fest um die Zügel. Nun, vor ihrer Hochzeit hatte es nur Malcolm gegeben.

Ihre Stute zuckte mit den Ohren, als sie Daphnes Anspannung spürte, und sie zwang sich zu entspannen. Sie würde später über Malcolm und seine Forderungen nachdenken. Im Moment hatte sie alle Hände voll mit dem Mann hinter ihr zu tun.

Es spielte keine Rolle, ob er mit ihr flirtete oder nicht. Daphne mochte beklagenswert unerfahren sein, wenn es ums andere Geschlecht ging, doch selbst sie wusste es besser, als mit einem Mann einen Flirt einzugehen, der bereits im zarten Alter von zwanzig Jahren ein abgehärteter Lebemann gewesen war. Flirten war für den schrecklich attraktiven Mann wahrscheinlich so natürlich wie atmen.

Daphne würde einfach sämtliche Köder ignorieren müssen, die er ihr hinwarf – und außerdem würde er sein bezauberndes Lächeln und sein freundliches Zwinkern ablegen, wenn sie ihm erst die Wahrheit sagte. Sie erschauderte, als sie sich dieses Gespräch vorstellte. Aber wie konnte sie ihm zurückgeben, was von Rechts wegen ihm gehörte, ohne dabei die Zukunft ihrer Söhne zu zerstören? Wie?

Sie grübelte immer noch über das katastrophale Thema, als ihr Pferd den Hügel erklomm und eine fantastische Szene alle Gedanken aus ihrem Kopf vertrieb.