Leseprobe Das Mädchen im Schatten

Kapitel 1

Die Rollen des Koffers ratterten über das Kopfsteinpflaster, während die Mittagssonne gnadenlos auf Charlotte Morin hinabbrannte. Es war lang her, dass sie die Hitze Südfrankreichs auf ihrer Haut gespürt hatte. Die war es anscheinend gar nicht mehr gewohnt, so viel Sonnenlicht absorbieren zu müssen, was Charlotte bereits nach wenigen Minuten den Schweiß auf Stirn, Dekolleté und Rücken getrieben hatte. Da half auch ihr luftiges Sommerkleid nicht, das sie auf der Flughafentoilette gegen das enge Kostüm eingetauscht hatte. Wie ihre Kleidung hatte sie ihr altes unbequemes Leben von sich gestreift und war in ein neues geschlüpft. Sie trug ein Outfit mit Blumenprints, Schmetterlingsärmeln und einem Schnitt, der ihr nicht die Luft abschnürte.

Während sie der breiten Straße folgte, zog sie ihren Koffer an den Häusern vorbei, die bereits seit Jahrhunderten im Familienbesitz waren. Aufmerksam registrierte sie jede Veränderung. Viele waren es nicht. Tatsächlich glaubte Charlotte, dass die einzigen Unterschiede die Pflanzen in den Kübeln und Gärten und auf den Fensterbänken der Bewohner darstellten. Charlotte fühlte sich wieder wie das kleine Mädchen, das hier aufgewachsen und mit den Nachbarskindern durch die Straßen gerannt war.

Wie aufs Stichwort raste eine Gruppe Kinder um eine Ecke. Kreischend und lachend sausten sie an Charlotte vorbei und verschwanden genauso schnell, wie sie gekommen waren um die nächste Ecke, bis ihr Gelächter verebbte.

Was blieb, war die Stille, die an diesem heißen Mittag das Dorf beherrschte. Die Hitze und die schwüle Luft hatten die übrigen Dorfbewohner in ihre Häuser getrieben. Bis auf die Kinder schien es, als hielte der gesamte Ort einen Mittagsschlaf.

Charlotte passierte die Steinhäuser mit den bunten Fensterläden. An den rauen Wänden kletterten Efeu, Flieder oder Wein empor und wogen in der Brise, die zu Charlottes Bedauern nur wenig Abkühlung bot. Immer wieder klopfte ihr Herz schneller, wenn die Erinnerungen auf sie einströmten. Die Straßen, auf denen sie Steine mit Kreide bemalt und mit den anderen Kindern Seilspringen gespielt hatte. Die Gärten, aus denen sie hier und da eine Rose gepflückt hatte, um sie stolz ihrer Mutter zu präsentieren.

Hastig schüttelte Charlotte diese Erinnerungen ab. Sie eilte an verschiedenen Hauseingängen vorbei, in denen sich Katzen verkrochen hatten. Von Neugierde getrieben, öffneten sie die Augen, um zu sehen, wer an ihnen vorbeigerauscht kam. Denn dieses schnelle Tempo waren sie von den Bewohnern sicher nicht gewohnt.

Tatsächlich war die Eile eine lästige Eigenart, die Charlotte mit ihrem Gepäck aus London mitgebracht hatte.

Doch nun hielt sie inne, um sich zu orientieren. Ein Moment der Ruhe, der Raum für das Zwitschern der Spatzen und stete Surren der Grillen bot.

Mit der Hand schirmte sie die Augen vor der Sonne ab. Nervös blickte sie sich um. Sie war angekommen. Erleichtert ließ sie die angehaltene Luft aus den Lungen entweichen und stöckelte auf das kleine freistehende Haus zu. Es war umgeben von einem morschen Holzzaun, hinter dem sich ein kleines Paradies offenbarte. Kräuter, Lavendel, Rosmarin wuchsen durch die Ritzen der Bretter. Hinter ihnen teilten sich üppige Rosenbüsche die Herrschaft über den Garten, der nur zur Linken eine kleine Rasenfläche zeigte, die in eine Terrasse aus Kalkstein überging.

Charlotte öffnete mit zittrigen Händen das Tor und trat auf den Weg, der zum Eingang führte.

Die rechte Fassade des Hauses war mit Flieder überwuchert, dessen schwere Blüten sich nur träge im Wind wiegten und ihren Duft im Garten verströmten. Für Charlotte hatte der Geruch so viel Vertrautes und Tröstliches, dass er sich wie eine warme Umarmung anfühlte.

Im Hauseingang lag eine rot–getigerte Katze. Lächelnd beugte sich Charlotte zu ihr hinunter und kraulte sie hinter den Ohren. Dann erhob sie sich mit einem Seufzen, nahm die Sonnenbrille sowie den Sonnenhut ab und klopfte an die Tür. Es dauerte einige Sekunden, bis ein Geräusch im Inneren des Hauses zu vernehmen war.

»Charlotte Yorkshire! Ich weiß nicht, wann ich dich das letzte Mal gesehen habe, aber es muss Ewigkeiten her sein. Bonjour!« Eine kleine vollbusige Frau, gekleidet in ein blaues knielanges Kleid, das die Sicht auf mit Äderchen durchzogene Waden freigab, stürzte aus der Tür und zog Charlotte in eine kräftige Umarmung, die ihr die Luft herauspresste. Sie legte die dicken Wangen an ihre und deutete zwei Küsschen an.

»Ich heiße wieder Morin«, korrigierte Charlotte Tante Bernadine, nachdem diese sie aus ihrer Umarmung entlassen hatte. Ein verlegenes Lächeln huschte über Charlottes Lippen, während sie versuchte, den Schmerz in ihrer Brust niederzukämpfen.

Bernadine zog die Augenbrauen hoch. Kurz erfüllte nur das Schnaufen ihres hektischen Atems das Schweigen. »Ah, merde! Diese Männer!« Sie lachte, stupste ihr mit dem Ellenbogen in die Rippen, was Charlotte ein Keuchen entlockte, packte ihren Koffer und wuchtete ihn in das Haus.

»Das ist nicht nötig, Tante –«, begann Charlotte, doch das kehlige Lachen der ergrauten Frau ließ sie verstummen.

»Ah, non, non!« Sie drehte sich in dem schummrigen Hausflur zu ihr um und kniff ihr in die Wange. »Alors, sieh dir das an.« Tadelnd schüttelte sie den Kopf und klatschte ihr grob auf die Wange. »Du bist viel zu dünn, Mädchen. Früher, da hattest du noch etwas auf den Rippen.«

»Ich war neun, Tante Bernadine«, gab Charlotte zurück, während sie noch überlegte, ob sie sich nun geschmeichelt oder beleidigt fühlen sollte.

Bernadine grunzte und zuckte die Achseln. »Neun, neunundzwanzig, was macht das für einen Unterschied?« Sie wandte sich um und watschelte nach rechts in die Küche. »Jetzt bist du erst einmal hier und du isst was. In ein paar Tagen wirst du nicht mehr so kränklich aussehen.«

Charlotte verdrehte schmunzelnd die Augen, als sie in den Türrahmen der kleinen Landküche trat. Der Duft von Fleisch in Rotweinsoße und Rosmarin schlug ihr entgegen.

Tante Bernadine hatte sich einen Handschuh über die Hand gezogen und holte ein Brot aus dem Ofen. Der süßliche Duft vermischte sich augenblicklich mit dem des Fleisches.

Charlottes Magen zog sich zusammen. Das erste Mal seit … Sie schüttelte den Kopf und atmete gegen die Schnur um ihren Hals an.

»Ich sage dir, Mädchen«, donnerte Tante Bernadines Stimme durch den heißen Raum, »es liegt daran, dass ihr so dünn seid. Deine Mutter … oh, là, là, die Männer waren verrückt nach ihr, sag ich dir … und wie ist sie gestorben?«

Sie ließ den Braten auf ein Brett knallen, stieß ein Messer hinein und drehte sich mit schweißnassem Gesicht zu Charlotte um, die mit gequältem Ausdruck im Türrahmen auf der Stelle trat. Sie wollte nicht an den Tod ihrer Mutter erinnert werden. Zumindest nicht mehr als nötig. Ihr Heimatort trat schon genügend Erinnerungen wie Lawinen los. Noch schmerzhafter war die Tatsache, dass ihre Mutter nicht da war, um sie in dieser schweren Zeit zu begleiten.

»Einsam und mit einem gebrochenen Herzen.«

Charlotte zuckte bei diesen Worten zusammen. Tante Bernadine schnitt ein Stück vom Braten ab und deutete dann mit dem Messer auf sie. »Mädchen, ich sage dir, es wäre nicht geschehen, wenn sie ordentlich Fleisch auf den Rippen gehabt hätte.«

Charlotte presste die Lippen aufeinander. Tante Bernadine hatte schon immer fragwürdige Ansichten gehabt. Aber auch wenn Charlotte zerbrechlicher als je zuvor war, ließ sie sich von den Aussagen ihrer Tante nicht verunsichern. Schließlich kannte sie den wahren Grund, warum ihre Ehe gescheitert war. Trotzdem versetzten die Worte ihr einen leichten Stich. Nicht weil es sie verletzte, sondern vielmehr, weil Charlotte sich vorstellte, was nun für ein hitziger Streit entfacht wäre, wenn ihre Mutter noch gelebt hätte.

Ihre Mutter war nach der Scheidung, die mehr einer Schlammschlacht geglichen hatte, regelmäßig in ihren Heimatort zurückgekehrt, bis sie schließlich hierher gezogen und kurz darauf gestorben war.

Seit jeher hatte Charlotte auch keinen Kontakt mehr zu ihrem Vater. Nicht, dass sie ein schlechtes Verhältnis hatten. Aber sie beide hatten sich nie bemüht, die Verbindung aufrecht zu erhalten, bis sie letztendlich verkümmert war.

»Warum hast du dann keinen Mann?«, flutschte es aus Charlotte heraus. Bereits in der Sekunde, in der die Worte ihre Lippen verlassen hatten, schlug sie sich die Hand vor den Mund. Es musste die Müdigkeit sein, die sie nun dem gereizten Wesen ihrer Mutter näherbrachte, als ihr lieb war. »Es tut mir leid … ich wollte nicht –«

Tante Bernadine drehte sich ein weiteres Mal um und musterte ihre Nichte ernst, ehe ein breites Grinsen auf ihre Lippen trat. »Mädchen, was soll ich sagen? Ich habe eine große Klappe. Welcher Mann soll damit umgehen?« Sie brach in Gelächter aus, das schepperndem Blech glich.

Tante Bernadine knallte ein dickes Stück Fleisch auf Charlottes Teller, dazu Kartoffeln und Gemüse mit einer dunkelbraunen Soße. Dann zerrte sie Charlotte in die Sitzecke, schob ihr den Teller zu und setzte sich ihr gegenüber. »Erzähl mir, Mädchen, ich habe dich so lange nicht gesehen, was machst du?« Tante Bernadine stützte den Kopf auf ihre Hand und sah Charlotte wissbegierig an.

Verlegen widmete sich Charlotte ihrem Essen. Sie mochte es nicht, so angestarrt zu werden. Sie empfand es als aufdringlich, hatte sie schon immer, besonders, wenn sie in der Tube gesessen hatte, eingepfercht zwischen Schlipsträgern und Touristen. Hatte sie da jemand angestarrt, war sie sofort nervös geworden und meist hatte Röte schnell ihr blasses Gesicht gefärbt.

»Was macht das Schriftstellerleben?«, fuhr Tante Bernadine fort, als Charlotte zu lang zögerte.

Wieder eine Sache, an die Charlotte ungern erinnert werden wollte, obwohl sie genau deswegen hier war. Sie blickte in die Augen ihrer Tante, die sie bohrend musterte. »Na ja. Ich … ich habe schon lange nichts mehr zu Papier gebracht.«

»Aber du warst doch so erfolgreich.«

Charlotte lächelte und ließ das zarte Fleisch in ihrem Mund zergehen. »Ja, ein paar Bestseller.«

»Merde, Mädchen. Sag es doch mit Stolz und nicht so verlegen.« Tante Bernadine lachte, stand dann auf und widmete sich dem Abwasch. Sie war schon immer eine Frau gewesen, die nie länger als einige Sekunden sitzen bleiben konnte. »Und dein Exmann?«, fragte sie nach einer kurzen Pause und zierte sich offenbar nicht, dieses Thema anzusprechen. »Warum hat er dich verlassen?«

Charlotte gefror zu Eis, fast wäre ihr das Fleisch im Hals stecken geblieben.

»Oh, tut mir leid, Kindchen, ich wollte dir nicht auf die Füße treten.« Tante Bernadine drehte sich wieder um und zuckte die Achseln.

Charlotte schob den Teller von sich und erhob sich. »Ist es noch das alte Zimmer?«

»Natürlich und denk dran: Fühl dich wie Zuhause.«

Charlotte schlich aus der Küche.

»Kindchen!«, rief Tante Bernadine noch einmal. »Sei nicht traurig. Es gibt viele hübsche Männer hier im Ort.« Sie zwinkerte ihr über die Schulter hinweg zu.

Charlotte zwang sich ein Lächeln auf, nickte und flüchtete dann in den Flur, schnappte sich den Koffer und hievte ihn die schmale Treppe hinauf. Die Stufen ächzten und als sie oben angekommen war, knarzten die Dielen.

Drei Zimmer lagen vor ihr. Rechts ein altes Nähzimmer, von dem Charlotte nicht einmal wusste, ob Tante Bernadine es nutzte. Links befand sich Charlottes Zimmer und geradeaus ein Bad. Links herum den Flur hinab lag das Zimmer ihrer Mutter. Die Tür war verschlossen und als Charlotte so dastand und die laue Brise an den Beinen spürte, fühlte sie sich kurz wieder, als wäre sie neun Jahre alt. Nur für einen Augenblick fühlte sie die Leichtigkeit ihrer Kindheit, spürte, wie leicht es war zu lächeln. Doch mit dem nächsten Knarzen des Holzbodens kehrte Charlotte zurück in die Gegenwart. Da war wieder diese Schwere auf ihrer Brust.

Tief atmete sie ein und zerrte den Koffer in ihr Zimmer.

Es war wie früher. Ein großes Bett bestehend aus einem Metallgestell, das an Kopf – sowie Fußende mit verschlungenen Lilien verziert war. Die Matratze war mit einem blumigen Überwurf bedeckt. Der Schreibtisch und der alte Bauernschrank befanden sich zu ihrer Rechten. Das große Fenster, das zum Balkon hinaus führte, war geöffnet, sodass die warme, nach Flieder duftende Luft hineinströmte und die weißen Gardinen im Wind tanzen ließ.

Seufzend ließ Charlotte sich auf das Bett sinken, das ein empörtes Quietschen von sich gab. Empört, weil es so lange nicht mehr benutzt worden war. Sie rieb sich das müde Gesicht, spürte das kalte Metall ihres Eherings um ihren Finger. Ihr Herz zog sich zusammen, als sie ihn betrachtete. In guten wie in schlechten Tagen.

Sie lachte verbittert und schüttelte den Kopf. Es schien die größte Lüge der Menschheit zu sein. Die Wahrheit war, dass man sich gern in der Gesellschaft von Menschen in guten Tagen wusste, doch sobald diese vorüberzogen – und das taten sie – schien ein Schwur, der vor Gott geleistet worden war, nichts mehr wert zu sein. Die schlechten Tage wurden zu schwer, zu lang und warfen einen Schatten über eine Beziehung, die so lange gehalten, aber offenbar nur auf guten Tagen gefußt hatte. Sie hatten ihre Ehe auf wackelige Säulen gestellt, ohne es zu wissen.

 

»Entschuldigen Sie bitte, können Sie mir sagen, wie ich in die Chester Road komme?« Charlotte hielt einen gehetzt wirkenden Mann an, der gerade in Hörweite war. Es waren ihre ersten Minuten in London und schon war das Mädchen, das in einem Dorf aufgewachsen war, vollkommen überfordert mit so viel Tumult, Menschen und Straßennamen.

Entgegen ihrer Erwartung blieb der Mann stehen. Er trug teure Designerkleidung, maßgeschneidert, wie Charlotte vermutete. Auf seinen Lippen zeigte sich ein strahlendes Lächeln, das Charlotte unmittelbar in seinen Bann zog. Blaue Augen strahlten ihr entgegen. Seine schwarzen Haare waren zu einer ordentlichen Frisur gegelt. »Oh, da sind Sie hier ganz falsch«, sagte er mit einem Blick auf ihre Karte und lächelte auf sie hinab. Er roch nach teurem Parfum und sie spürte sein Selbstbewusstsein, das sie magisch anzog.

Er deutete auf den Ausgang der UBahnstation hinter ihr. »Sie hätten an der anderen Seite rausgehen müssen. Das passiert schon mal.« Kurz blickte er auf seine teure Uhr. »Kommen Sie, ich begleite sie. Die Straße ist schwer zu finden.«

»Das ist so freundlich von Ihnen.« Charlotte stolperte hinter ihm her.

Nach nur wenigen Minuten hatte er sie auf den richtigen Weg gebracht und führte sie in die Chester Road. »Da sind wir«, sagte der Mann, ehe er ihr die Hand reichte. »Ich bin übrigens Maxwell Yorkshire.«

»Charlotte Morin.« Sie ergriff seine Hand.

»Morin.« Er lächelte. »Klingt französisch. Was führt Sie her?«

»Meine Schriftstellerkarriere.«

Anerkennend hob Maxwell die Brauen. »Dann kann ich jetzt behaupten, eine Autorin zu kennen?«

Charlotte lachte. »Das können Sie wohl.«

Maxwell musterte sie kurz. »Wissen Sie, was mir mehr gefallen würde?«

»Wenn Sie mal mit einer Autorin einen Kaffee trinken gehen würden?«

Maxwell lachte. »Ja. Und der Kaffee ginge auf mich. Was sagen Sie?«

 

Charlotte drehte den Ring zwischen ihren Fingern und kämpfte mit den Tränen, ehe sie kurz die Augen schloss, um sich zu sammeln. Dann verstaute sie ihn in der Nachttischschublade. Damals hatte sie niemals geglaubt, dass Maxwell, der immer ihr Fels gewesen war, sie in ihrer dunkelsten Zeit allein lassen würde. Ihre Ehe war Stück für Stück zerbrochen. Wie ein Haarriss, der sich durch das gesamte Porzellan gefressen hatte, ehe eine kleine Erschütterung zum Bruch geführt hatte. Charlotte war daraufhin geflohen. Hatte London, die Stadt, die im gleichen Takt ihres Herzens pulsierte, und ihre luxuriöse Penthouse–Wohnung hinter sich gelassen, um Schutz in ihrer Heimat zu finden. Vom Chaos in die Idylle des kleinen Dorfes in Südfrankreich. Charlotte redete sich ein, dass ihre Flucht nur von kurzer Dauer sein würde. Sie wollte die Zeit nutzen, um ihre Wunden heilen zu lassen und wieder einen klaren Kopf für ihre Romane zu finden. Doch schon im Flieger hatte sie tief in ihrem Inneren gewusst, dass sie hier keine Linderung finden würde. Die würde sie nirgendwo finden. Es war ein Besuch auf Zeit, so redete Charlotte es sich ein. Aber sie war sich sicher, dass sie nicht zurückkehren konnte.

Stöhnend sprang Charlotte auf und trat auf den Balkon hinaus. Die schwüle Hitze des Nachmittags umfing ihren Körper, in dem seit mehr als einem Jahr schon eisiger Winter herrschte. Die Brise spielte mit ihrem braunen Haar und küsste ihre Haut. Tief atmete sie ein. Die frische Luft war so anders als in London. Frisch und so gemächlich, dass es sie fast mit Ruhe erfüllte, während die Luft in London verschmutzt war und voller Hektik vibrierte. Eine Hektik, die ihr immer gefallen, aber nicht wirklich gutgetan hatte.

Vielleicht würde sich Charlotte hier nun wieder ihren Büchern widmen können. Ihren Liebesromanen, an deren Ende stets ein Happy End wartete.

So lang hatte sie schon nicht mehr über diese Lügen schreiben können. Charlottes Finger umklammerten die Brüstung des Balkons. Sie holte tief Luft, während sie hastig die Tränen fortblinzelte.

Sicherlich würde es ihr helfen, wenn sie sich erst einmal eingewöhnt hatte. Vielleicht sollte sie mit anderen Menschen wieder in Kontakt kommen. Monatelang hatte sie sich in einer dunklen Wohnung abgeschottet, vor sich hinvegetiert.

Noch einmal holte sie tief Luft, atmete das Leben ein, mit dem Wunsch, es würde sie von Neuem erfüllen.

 

In den Tagen darauf begleitete Charlotte Tante Bernadine in den Ortskern des Dorfes, das sogar morgens noch verschlafen wirkte. Die Bewohner schienen nur von der Kühle der Nacht belebt und auf die Straßen und in die Läden hinausgelockt.

Tante Bernadine watschelte schwerfällig mit ihrem Weidenkorb über das Kopfsteinpflaster. Jeden Versuch, den Charlotte unternommen hatte, ihr den inzwischen gut gefüllten Korb abzunehmen, war in schnaufender Empörung untergegangen. »Kindchen, ich bin zwar alt, aber zäh.«

Tante Bernadine schob Charlotte in ein Blumengeschäft, das sich – wie die anderen Läden auch – in einem der alten Häuser aus rohem Stein befand.

»Bonjour, Madame Morin«, piepste die Stimme einer zierlichen Dame.

»Bonjour, Madame Grenoir«, polterte Tante Bernadine.

Beinahe glaubte Charlotte, dass sie die Vasen in den Regalen an der hinteren Wand hatte wackeln sehen.

»Nimm dich vor ihr in Acht. Das hier ist der Dreh– und Angelpunkt allen Geschwätzes, das durch dieses Dorf geht«, flüsterte Tante Bernadine für ihre Verhältnisse leise und stupste Charlotte mit einem Zwinkern in die Seite.

»Wer ist denn diese hübsche Dame?«, fragte Madame Grenoir. Neugierde flackerte in ihrem Blick. Sie trippelte um den Tresen herum. Dabei sackte sie nach vorn, sodass ihr Rücken einen leichten Buckel bildete. Ihre gütigen Augen musterten Charlotte von oben bis unten.

»Das ist Charlotte Morin, meine Nichte«, antwortete Tante Bernadine und schob sich etwas zwischen die beiden Frauen. »Hast du Tulpen hier? Oder Lilien? Was ist mit Lilien?« Tante Bernadine sah sich in dem kleinen Laden um, der vollgestopft mit Blumen jeglicher Art war.

Ihr Duft vermischte sich und kitzelte in Charlottes Nase. Sie fühlte sich plötzlich wieder wie ein Kind, nur war ihre Mutter nicht hier.

»Einen Moment. Ich muss die Sträuße für Monsieur Michel fertig binden.« Die alte Dame wuselte wieder hinter ihren Tresen und machte sich über einen üppigen Strauß Rosen her. »Ist er nicht ein wundervoller Mann? Er schenkt seiner Frau und seiner Tochter jede Woche einen Strauß Blumen.«

Tante Bernadine grunzte mit einem Nicken und rümpfte desinteressiert die Nase.

Madame Grenoirs Augen leuchteten. Es schien sie nicht zu kümmern, dass Tante Bernadine keine Lust auf eine Unterhaltung hatte. »Monsieur Michel lässt mir immer ausrichten, wie sehr sich die beiden über die Sträuße gefreut haben und dass dies der beste Blumenladen weit und breit ist«, sagte Madame Grenoir, wobei sie den Rücken durchstreckte, sodass sie mit geschwellter Brust hinter ihrem Tresen stand.

»Das hier ist der einzige Blumenladen weit und breit«, gab Tante Bernadine zurück und kassierte einen Ellenbogenhieb von Charlotte. »Was? Es ist die Wahrheit«, murrte sie auf Charlottes tadelnden Blick hin.

Madame Grenoir rümpfte beleidigt die Nase und band den zweiten Strauß – ein kleinerer mit weißen Rosen. »So, sollen es nun Lilien oder Tulpen sein?«, fragte sie mit plötzlicher Ungeduld.

»Bonjour die Damen«, vibrierte in diesem Moment eine basstiefe Stimme und zerriss die unangenehme Stimmung.

Charlotte fuhr zusammen und blickte über ihre Schulter. Der Mann betrat den Laden mit einer Haltung, als würde er ihm gehören. Er war groß und breit gebaut, ein Lächeln zierte seine Lippen, ließ seine grünen Augen strahlen und die Lachfalten noch tiefer wirken. Charlotte schätzte ihn auf Ende 30. Er schien viel Zeit in der Sonne zu verbringen. Sein braunes Haar war grau meliert. »Entschuldigung, ich wollte Sie nicht erschrecken«, sagte er und schob die Hände in seine Leinenhose. Die Falten um seine Augen gewannen an Tiefe. Ein Funkeln lag in seinem Blick, das sicherlich die ein oder andere Frau umgehend in ihren Bann zog.

Aber das Letzte, was Charlotte wollte, war ein Flirt, auch, wenn er ihr Typ war. Er besaß eine ruhige Ausstrahlung und sicherlich das Charisma, einen Saal voller Menschen dazu zu bringen, ihm zuzuhören. Und genau das erinnerte Charlotte so sehr an Maxwell, dass sie sich mit einer hastigen Bewegung wegdrehte, den Blick zu Boden gerichtet.

Zeitgleich wandte sich der Mann an Madame Grenoir. »Ich komme wegen den …«

»Den Sträußen, ja, Monsieur Michel, kommen Sie rein, kommen Sie rein.« Als hätte man einen Schalter umgelegt, war Madame Grenoir nun wieder geschwätzig wie zuvor. »Wie geht es Ihrer Frau und Ihrer Tochter?«, fragte sie, während sie die Blumen in Papier einwickelte.

Monsieur Michel wippte auf den Füßen vor und zurück. »Oh, denen geht es ganz ausgezeichnet, vielen Dank, meine Frau lässt liebe Grüße ausrichten.«

Madame Grenoir machte einen verzückten Laut und tippte dann eifrig den Preis in die Kasse. »Das macht dann fünfunddreißig Euro.«

»Hier sind vierzig, behalten Sie den Rest.« Monsieur Michel schob das Geld über den Tresen, nahm die Sträuße und zwinkerte Madame Grenoir zu, die ihn mit strahlenden Augen anhimmelte.

»Au revoir, die Damen«, sagte Monsieur Michel, während sein Blick an Charlotte hängen blieb. Anscheinend versuchte er, sie einzuordnen.

»Tschüss«, hauchte Charlotte.

Tante Bernadine brummte. Sie sah nur kurz zu ihm hinüber.

Er trat aus dem Laden, hinterließ aber den herben Duft seines Parfums, das durch die träge Luft schnitt und angenehm in Charlottes Nase kitzelte.

Tante Bernadine watschelte nach vorn zum Tresen, um ihre Bestellung aufzugeben.

Danach verließen sie den Laden mit einem großen Strauß duftender Lilien und zwei kleinen Bündeln Tulpen.

»Magst du Monsieur Michel nicht?«, fragte Charlotte, die sich über die kühle Reaktion ihrer Tante gewundert hatte.

Tante Bernadine grunzte. »Ich kenne ihn nicht besonders gut. Er wohnt dort hinten auf einem großen Grundstück, am Rande der Felder.«

Sie war stehen geblieben und deutete auf einen Wald, der sich hinter den goldenen Feldern erstreckte. »Er ist ’n reicher Schnösel, der sich im Anwesen seiner verstorbenen Schwiegereltern breitgemacht hat.«

Charlotte sah sie verständnislos an. »Das macht ihn natürlich gleich viel unsympathischer«, gab sie sarkastisch zurück.

Sie seufzte und lief weiter. »Kindchen, in einem kleinen Dorf wie diesem wird viel getratscht, besonders über merkwürdige Leute.« Sie zwinkerte und stupste Charlotte, dieses Mal sanfter, in die Seite.

Charlotte wollte fragen, was sie damit schon wieder meinte, doch ihre Tante kam ihr zuvor. »Aber ich schreibe niemandem vor, wie er sein Leben zu leben hat.«

Nachdenklich blickte Charlotte auf die hohen Pappelbäume, die sich zum Himmel streckten und das Grundstück zu umrahmen schienen. Merkwürdige Leute. Charlotte ließ die Worte noch einmal durch ihren Kopf kreisen. Zwar waren es nur wenige Minuten gewesen, aber Monsieur Michel hatte keinen merkwürdigen Eindruck auf sie gemacht. Was immer das auch bedeuten sollte. Er hatte wie ein höflicher Mann gewirkt. Tatsächlich belustigte Charlotte der Gedanke, dass ein höflicher Mann, der mit seiner Familie abseits des Dorfes lebte und seiner Frau regelmäßig Blumen schenkte, von den Dorfbewohnern als merkwürdig abgestempelt wurde. Obwohl Charlotte lange nicht hier gewesen war, wusste sie dennoch, wie eigenbrötlerisch und eingeschworen diese Gemeinde war. Lieber machte sie sich einen eigenen Eindruck von den Menschen hier, obwohl sie soziale Kontakte gerade eher weniger reizten.

Sie war hauptsächlich aus anderen Gründen hier, was sie daran erinnerte, dass sie morgen versuchen würde zu schreiben. Vielleicht würde sie endlich etwas zu Papier bringen. Den ersten Schritt hatte sie bereits getan. Sie hatte die schwarze Kleidung dazu verdammt, ein tristes Dasein in ihrem Koffer zu fristen. Dafür trug sie ein weißes Sommerkleid mit blauen Schwalben darauf. Der Wind, der von den Feldern herwehte, spielte mit dem Saum ihres Kleids und mit ihren Haaren, als würde er sie willkommen heißen.

Lächelnd hielt sie die Nase in den Wind und atmete noch einmal tief ein, genoss die Wärme der Sonne auf ihrer Haut. Das erste Mal durchströmte sie eine leise Zuversicht. Vielleicht könnte sie eines Tages heilen. Vergessen würde sie diese schmerzlichen Erfahrungen nie, aber sie würde heilen. Es war das erste Mal, dass sie Zuversicht schöpfte.

Kapitel 2

Am nächsten Tag versuchte Charlotte wieder etwas zu schreiben. Sie hatte eine Vase mit frischen Lilien auf ihren Schreibtisch gestellt und genoss das Licht, das das Zimmer durchflutete. Ihre Finger ruhten auf der Tastatur ihres Laptops. Sie starrte auf den Strich, der munter im steten Takt vor sich hinblinkte, in Erwartung, dass Charlotte jede Sekunde zu tippen beginnen würde.

Sie wollte die Geschichte einer Frau erzählen, die glaubte, ihre große Liebe gefunden zu haben, ehe sie sich in einer toxischen Beziehung wiederfand. Es war eine Geschichte voll Schmerz und über die verzweifelte Suche der Protagonistin nach sich selbst. Sie wollte ihre eigene Geschichte erzählen. Doch als ihre Finger über die Tastatur flogen, driftete der Text in die Dunkelheit ab, die Charlotte noch immer umgab. Eine Dunkelheit, die finsterer als die nach der Scheidung war, denn dieser Schmerz war überwältigender als das, was Maxwell ihr angetan hatte.

»Die Leser wollen die alte Charlotte zurück. Sie wollen prickelnde Liebesgeschichten mit viel Drama, aber einem Happy End. Charlotte, das würde deiner Karriere schaden«, hörte sie die Stimme ihrer Agentin, nachdem sie das Exposé zu ihrer neuen Geschichte gelesen hatte. Gemeinsam – na ja, das hieß vielmehr nach der Vorstellung ihrer Agentin – hatten sie der Geschichte ein Happy End verliehen. Nun musste das Buch nur noch geschrieben werden.

Charlotte tippte, löschte, tippte wieder neu, um es dann endgültig zu löschen. Frustriert stöhnte sie auf. Die Richtung, die diese Geschichte nehmen sollte, war eine ganz andere, als jene, die Charlotte beim Schreiben immer wieder einschlug. Es fühlte sich an, als versuchte sie ihren Fuß in einen viel zu kleinen Schuh zu zwängen. Es passte einfach nicht. Sie würde sich das langsam eingestehen müssen. Wobei das noch die leichteste Übung war. Viel schwerer würde es sein, ihre Agentin davon zu überzeugen, dass sie diesen Roman nicht so schreiben wollte, wie ihre Agentin ihn sich vorstellte.

Keine Frage, ihre Karriere war Charlotte wichtig. Aber sie konnte keine Geschichten schreiben, die sich nicht richtig anfühlten. Sie konnte keine Lügen schreiben.

Um sich nicht mehr mit ihren tosenden Gedanken und dem Manuskript beschäftigen zu müssen, stöberte Charlotte durch ihr E–Mail–Postfach.

Ihre Agentin bat sie bereits darum, sie zu informieren, sobald es etwas Neues zu berichten gab. Charlotte lachte frustriert. Das würde lange dauern. Dann stolperte sie in die Mail ihrer Therapeutin.

Charlotte, ich möchte Ihnen dringend zu einer weiteren Sitzung und einer engmaschigeren Betreuung raten. Die Symptome verschlimmern sich. Ich stehe ebenfalls im Austausch mit Ihrem Exmann, der –

Charlotte brach ab. Ihr Herz krampfte sich schmerzhaft zusammen. Hastig verschob sie die Mail in den Mülleimer ihres Postfachs. Sie wollte alle Verbindungen kappen. Sie wollte nicht mehr an ihr Leben in London und an die dramatische Wende, die es genommen hatte, erinnert werden. Sie wusste, dass sie die Therapie und die Sitzungen brauchte, aber es sprach doch nichts dagegen, die nächsten zwei Wochen so eine Art Urlaub davon zu nehmen. Sie war es leid, immer dieselben Dinge zu erzählen. Mit einem Seufzen klappte sie den Laptop etwas zu harsch zu und sprang auf.

Getrieben vom Drang sich zu bewegen, eilte sie die Treppen hinab zur Haustür. Vielleicht würde ihr ein Spaziergang guttun.

»Wo willst du hin, Kindchen?« Tante Bernadine streckte das runde Gesicht aus der Küchentür. Ihre Wangen waren errötet und ein herzhafter Duft suchte Charlotte heim.

»Ich gehe etwas spazieren«, antwortete sie und wich verlegen ihrem Blick aus.

Charlotte konnte sehen, dass sie etwas erwidern wollte, doch sie schwieg und nickte nur.

Draußen umfing sie die Sommerbrise, die durch die Büsche raschelte. Schwalben tanzten durch die Luft und trällerten ihre Lieder. Sobald Charlotte die vier Wände ihres Zimmers und ihren Laptop hinter sich gelassen hatte, schien sie in eine Lebendigkeit zu stolpern, die sie für die ersten Atemzüge überforderte. Als wäre sie vom Leben überreizt.

Charlotte kraulte die Katze, die sich neben ihr auf der Türschwelle räkelte, dann verließ sie den Garten. Sie hatte keine Lust, auf Menschen zu treffen, also hielt sie sich rechts in Richtung Felder. Die späte Nachmittagssonne stand schräg und tauchte alles in goldenes Licht, sodass das Dorf hinter ihr fast surreal schien, als wäre es einem Reisekatalog entsprungen. Die Gerste wiegte sich im Wind und gab ein leises Rascheln von sich, wie ein Flüstern, das nur von den Grillen und den Schwalben unterbrochen wurde, die über die Wellen des Feldes hinwegflogen und halsbrecherisch nach Insekten jagten. Trotz des Spätnachmittags war die drückende Hitze noch immer präsent. Doch Charlotte hatte sich inzwischen daran gewöhnt. Lächelnd reckte sie das Gesicht gen Himmel, während sie über den staubigen Feldweg schlenderte. Ihre Hand strich über die Gerste, erspürte jede Faser.

Charlotte ließ sich einfach treiben, übergab ihren Füßen die Kontrolle und versuchte, im Moment zu sein, versuchte, die Ruhe durch ihre Poren einzusaugen, die jahrelang nur mit Hektik und Smog gefüttert worden waren. Eigentlich hatte sie nie nach London ziehen wollen, auch wenn diese Stadt ihr sehr ans Herz gewachsen war. Viel lieber hatte sie in eine kleinere englische Stadt an der Küste ziehen wollen. Aber es war anders gekommen. Und nachdem sie Maxwell kennengelernt hatte, hatte sie ein Leben gelebt, das sie nie hatte leben wollen. Dieses glamouröse Dasein einer Autorin, die mit einem reichen Bänker verheiratet war. Max hatte sie auf jede seiner Veranstaltungen mitgeschleppt und sie hatte sich immer bemüht, einen guten Eindruck zu hinterlassen und seine Kollegen zu verzücken. Schnell hatten die Oberflächlichkeit und Gespräche über Geld und Kapitalanlagen sie gelangweilt. Trotzdem kam sie jedes Mal wieder mit. Für ihn. Aber bat sie ihn, zu einer Lesung zu erscheinen oder zu einer Preisverleihung oder einer Verlagsveranstaltung, ließ er sie stets im Stich, oftmals auch spontan.

Ein Kloß bildete sich in ihrem Hals bei diesen Erinnerungen. Wie bittere Galle kroch die Enttäuschung ihre Kehle hinauf. Das alles hätte sie ihm noch verzeihen können, wenn er sich auch nur einmal ernsthaft dafür entschuldigt hätte, statt ihr einen flüchtigen Kuss auf die Stirn zu drücken mit den Worten: »Sorry, Honey, beim nächsten Mal.« Beim nächsten Mal. Sie schnaufte verächtlich und blickte auf ihre Füße, die sie über den staubigen Boden trugen. All das wäre verzeihlich gewesen, nur diese eine Sache nicht, diese eine Sache würde sie ihm nie verzeihen.

Seufzend hielt sie inne und blickte sich um. Sie hatte gar nicht bemerkt, wie weit sie bereits gelaufen war. Vor ihr befand sich eine Weggabelung. Der Pfad nach rechts führte – soweit sie das erkennen konnte – ins Nachbardorf, weiter zwischen Feldern entlang. Nach links führte er an dem Grundstück vorbei, auf dem sich das Anwesen der Michels befinden sollte. Nachdenklich blickte Charlotte zwischen den beiden Optionen hin und her. Ohne es kontrollieren zu können, schlenderte sie links weiter. Die Neugierde hatte sie gepackt. Als Kind hatte sie nichts von diesem Grundstück und dem Anwesen gewusst. Sie wusste auch nicht, wer die Schwiegereltern von Monsieur Michel sein sollten. Nun verzehrte es sie, einen Blick auf das Grundstück und vielleicht auf das Haus zu werfen. Was war das für ein Anwesen, in dem sich die Michels zurückzogen? Und warum hielten die Einwohner sie für merkwürdig? Auch wenn sie wusste, dass sie auf diese Frage keine Antwort erhalten würde, trieb sie die Wissbegierde voran.

Neben den Pappeln wogen sich Fichten und Kiefern im Wind. Trotz der Idylle, die diesen Ort in Watte einhüllte, erfasste Charlotte ein kribbelndes Gefühl, als täte sie etwas Verbotenes. Dabei gehörte das Betreten eines überwucherten Feldweges sicherlich nicht dazu. Vielmehr rührte das Gefühl daher, dass sie sich wieder fühlte wie das Kind, das hier aufgewachsen war. Wie damals stellte sie sich vor, sie würde fremde Länder entdecken oder verfluchte Orte besuchen. Ihre Fantasie pulsierte.

Auf dem Feldweg wucherte das Gras kniehoch. Verträumt glitt Charlotte mit dem Finger am Maschendrahtzaun entlang, der das gesamte Grundstück umgab. Der dichte Fichtenwald lichtete sich und zum Vorschein kam ein See. Enten ruhten am Ufer. Ein Baum war umgestürzt und ins Wasser gefallen.

Charlotte blieb stehen, atmete tief ein und genoss die Ruhe, die sie umgarnte. Mit einem genaueren Blick auf die gegenüberliegende Seite konnte Charlotte eine gepflegte Rasenfläche durch das Geäst hindurch erkennen. Nach einem Haus oder der Ahnung davon suchte sie vergeblich. Nicht einmal ein Dachgiebel lugte hervor. Offenbar war das Grundstück so groß, dass es sich noch weiter nach hinten verlor.

Ein Windhauch, der plötzlich viel kühler war, als zuvor, strich ihr um die nackten Beine und jagte eine Gänsehaut über ihren Körper. Beinahe schien es ihr, als trüge die Brise ein leises Flüstern mit sich.

Sie blickte sich um, starrte auf die klare, beinahe unbewegte Wasseroberfläche, auf der sich die Bäume und der Himmel spiegelten. Weder Vögel noch Fische regten sich. Ein Ort der Stille, erfüllt vom Rauschen der Pappeln – und Kinderlachen.

Charlotte öffnete die Augen, die sie geschlossen hatte, um die Ruhe aufzusaugen. Ihr Blick erfasste die seichten, unscheinbaren Wellen, die von kleinen Papierbooten ausgingen.

Gemächlich schipperten sie hinter einem Busch hervor. Die Finger um den Maschendrahtzaun geklammert trat Charlotte einige Schritte nach links, um hinter den Rhododendron blicken zu können.

Zum Vorschein kam ein Mädchen. Charlotte schätzte sie auf ungefähr neun. Langes braunes Haar fiel über ihren Rücken. Sie trug ein limettengrünes Kleid, das sich immer wieder aufbauschte, sobald sie sich bückte, um weitere Papierboote hinaus auf den See zu schubsen. Mit einem vergnügten Glucksen sah sie ihnen dabei zu, wie der See sie schließlich verschlang.

Lächelnd beobachtete Charlotte das Schauspiel, bis das Mädchen keine Boote mehr in ihren sicheren Untergang schickte.

»Bonjour!«, rief Charlotte.

Das Mädchen zuckte zusammen und blickte über ihre Schulter. Zaghaft kletterte sie die Böschung empor, blieb aber mit einem gebührenden Abstand vor dem Zaun stehen.

Braune Augen leuchteten Charlotte entgegen. Nach der anfänglichen Verunsicherung zuckte ein Lächeln über die Lippen des Mädchens. Sie faltete die Hände vor dem Bauch. Getrocknete Blätter hatten sich in ihrem Kleid und ihren Haaren verfangen. »Bonjour, Madame«, antwortete das Mädchen mit einer Stimme so süß wie das Zwitschern der Feldlärchen. Mit neugierigem Funkeln in den Augen trat sie näher an den Zaun.

Charlotte ging in die Knie, um auf Augenhöhe mit dem Mädchen zu sein. Ihre Wangen waren gerötet, sie hatte ein Stupsnäschen und volle Lippen. Eine seichte Brise strich durch ihr Haar, das im Sonnenlicht schimmerte.

Ihr Shampoo roch nach Erdbeere, vermischte sich mit dem Geruch des Sees und der Süße der Pappeln. Charlotte legte den Kopf schief. »Das sind hübsche kleine Boote.«

Das Mädchen blickte kurz über die Schulter, dann nestelte sie an dem Saum ihres Kleides. »Sie schwimmen so schön.« Ihr Mundwinkel zuckte nach oben.

»Das stimmt«, sagte Charlotte. »Wie heißt du?«

»Claudine.« Sie drehte den Körper hin und her, sodass das Kleid um ihre Knie tanzte. »Und Sie?«

»Nenn mich ruhig Charlotte.«

»Du bist hübsch, Charlotte.« Das Mädchen trat näher an den Zaun. Sie betrachtete Charlotte eingehend mit Augen, die einen intelligenten Geist bargen. »Aber du kommst nicht von hier.«

Ein Lachen entrang sich Charlottes Kehle. »Dankeschön. Ich finde dich auch sehr hübsch.« Das Mädchen errötete, senkte den Blick für eine Weile. »Ich bin seit einigen Tagen hier.« Charlotte lehnte sich vor und schmunzelte verschwörerisch. »Aber ich verrate dir ein Geheimnis.«

Claudines Augen leuchteten. Sie beugte sich vor, sodass Charlotte ihr ins Ohr flüstern konnte. »Ich bin hier aufgewachsen, genau wie du.«

Der Blick des Mädchens durchdrang sie, bohrte sich durch ihre Brust direkt in ihr Herz. »Warum bist du zurückgekommen?«

Eine plötzliche Schwere, die nicht zu der nach Lavendel duftenden Leichtigkeit passte, erfasste Charlotte und empfing sie mit Dunkelheit. Mit ihrer Dunkelheit. Also antwortete sie das, was sie allen antwortete: »Ich bin hier, um ein Buch zu schreiben.«

Das Mädchen öffnete die Lippen. Ihre Finger klammerten sich um die großen Maschen des Zauns. »Du schreibst Bücher?«

Charlotte nickte. »Ja, magst du Bücher?«

Ein Glanz spiegelte sich in ihren Augen wie das Sonnenlicht auf der Oberfläche des Sees. Das Mädchen nickte eifrig. »Ich lese sehr gern. Am liebsten gefallen mir die Märchen von Oscar Wilde.«

Charlotte hob anerkennend die Brauen. »So jung und du kennst bereits seine Märchen … Sie sind nicht gerade das, was ich …« Charlotte zögerte. Sie wollte nicht bevormundend klingen, doch das Mädchen wirkte intelligent und aufgeweckt. »Was ich als fröhlich bezeichnen würde.«

»Sie machen mich fröhlich.« Claudine hob das Kinn, nicht aus Trotz. Es war eine Geste, wie es Kinder taten, die schon reifer waren als Gleichaltrige. Sie besaß nicht mehr dieselbe Naivität einer Neunjährigen, nicht das unerschütterliche Vertrauen an das Gute in der Welt. Doch dann senkte sie den Blick. »Ich habe nicht sehr viele Bücher.« Die Art, wie sie das sagte, schmerzte Charlotte wie Luft, die in ihrer Lunge Feuer gefangen hatte. Ihr entging nicht der Schatten, der für den Bruchteil einer Sekunde den Schimmer in den Augen des Mädchens dimmte.

»Wieso nicht?«

Nun hielt Claudine den Blick gesenkt, während ihre Schuhe Linien in die Erde malten. »Mein Papa sagt, dass Lesen und Träumen Zeitverschwendung sind.« Claudine kaute auf ihrer Unterlippe, ehe sie Charlotte einen verstohlenen Seitenblick zuwarf. »Ich soll lieber wichtige Dinge lernen.«

Mitfühlend blickte Charlotte zu Claudine, die versuchte, sich zu einem Lächeln durchzuringen. Sie war schockiert und empört. Lesen und Träumen sollten Zeitverschwendung sein? Besonders für Kinder waren diese Dinge unglaublich wichtig. Unweigerlich malte Charlotte sich aus, wie trostlos es nicht nur in Claudines Kinderzimmer aussehen musste, aber auch in ihrem Geist, wenn es ihr nicht erlaubt war, sich auf fantasievolle Dinge zu konzentrieren.

Charlotte wollte Monsieur Michel nicht verurteilen. Es war nicht so, dass der erste Eindruck, den sie gestern von ihm bekommen hatte, einen Riss erlitten hatte. Die Tatsache, dass er seine Tochter und seine Frau regelmäßig mit schönen Blumen überraschte, ließ auf einen Mann schließen, der sich Mühe gab und kümmerte. Vielmehr plagte sie Unverständnis, warum er so etwas sagte.

»Das ist bestimmt langweilig.«

Claudine nickte eifrig, traute sich nun etwas näher heran. Sie kniete sich auf den Boden und zerpflückte ein Blatt zwischen den Fingern. »Manchmal«, sagte sie und lächelte wieder, wobei dieses Mal ihre Augen leuchteten. »Deswegen mopse ich Mamas Bücher und lese heimlich abends im Bett.« Sie kicherte und legte dann verschwörerisch den Zeigefinger an die Lippen.

Charlotte zwinkerte und tat es ihr gleich. »Ich werde dich nicht verpetzen«, versprach sie. Dann überlegte sie kurz. »Du lebst hier, richtig?«

Das Mädchen nickte. »In dem Haus hinter den Bäumen da.« Sie zeigte auf die Tannen, die jedoch so dicht standen, dass es Charlotte kaum möglich war, etwas dahinter zu erkennen.

Sie schaute wieder zu Claudine, nachdenklich, während sie auf der Unterlippe kaute. In ihr rotierten die Gedanken. Einerseits ging es sie nichts an, was die Eltern dem Mädchen ermöglichten und was nicht. Andererseits konnte Charlotte den Gedanken nicht ertragen, dass Claudine offenbar so gern ihre Nase in Bücher steckte, diese aber nicht bekam. Was sprach also dagegen, wenn sie Claudine Bücher aus ihrer Kindheit schenkte? Was sprach gegen das Geschenk einer Frau, die in diesem Dorf aufgewachsen war und ihre Tage lesend im Schatten der Olivenbäume verbracht hatte?

Mit einem verschwörerischen Lächeln beugte Charlotte sich vor. »Wie wäre es, wenn ich mal in meinem alten Bücherregal schaue, ob da noch spannende Geschichten für dich dabei sind?«

Claudines Augen leuchteten. Ein regelrechtes Feuer entfachte in ihnen. »Echt?«, fragte sie, als könnte sie ihr Glück kaum fassen. »Das würdest du machen?«

Charlottes Herz hüpfte. Sie nickte eifrig. Ein Gefühl der Wärme durchströmte sie. »Natürlich.«

Doch nun erlosch das Feuer in Claudines Augen. »Aber mein Papa …«

Ein Knoten bildete sich in Charlottes Magen. Sie wollte die Michels nicht hintergehen oder gegen sich aufbringen. Aber etwas an Claudine wirkte so unfassbar traurig und sogleich so glücklich über die Aussicht auf den Lesestoff. »Weißt du, vielleicht können wir einfach zusammen etwas lesen? Ich bringe ein Buch mit. Für dich und für mich.«

Das Mädchen nickte stürmisch. »Ja, ja, ja!« Sie quietschte vor Freude.

Charlotte konnte nicht anders, als zu lächeln. »Dann sehen wir uns morgen wieder. Um dieselbe Uhrzeit.«

»Okay«, sagte das Mädchen und richtete sich auf, ehe sie den Kopf in die Höhe reckte, als hätte sie ein verdächtiges Geräusch vernommen. »Meine Mama ruft mich. Ich muss gehen.« Sie rannte los, blieb aber noch einmal stehen, um sich umzudrehen. »Tschüss, Charlotte. Bis morgen.«

Charlotte winkte ihr zu. »Bis morgen.«

 

Sogar als Charlotte wieder Zuhause war, hielt das Gefühl der Wärme und der inneren Ruhe an. Als hätte Charlotte die Luft und die Atmosphäre des Orts in sich eingefangen. Sie war etwas schläfrig, während sie verträumt in den lilanen Himmel starrte.

»Ah«, erklang Tante Bernadines Stimme hinter ihr. »Hier bist du, Mädchen.« Stöhnend setzte sie sich auf den klapprigen Stuhl neben ihrer Nichte.

Charlotte lächelte ihr zu, widmete sich dann wieder dem Sonnenuntergang und dem Zirpen der Grillen. Tante Bernadines Schnaufen gesellte sich dazu. »Und? Wie war dein Spaziergang?«

»Sehr schön. Es hat sich kaum etwas verändert.«

»Oui, es ist furchtbar.« Tante Bernadine streckte die schwieligen Füße ins Gras. »In diesem Kaff verändert sich nie was. Nicht mal die Alten sterben hier weg.«

Charlotte blickte ihre Tante tadelnd an.

Tante Bernadine ignorierte sie, wie sie es immer tat, nachdem sie etwas Idiotisches gesagt hatte, ehe sie direkt darauf das Thema wechselte. »Du wirst dich hier schnell langweilen. Dir werden die Restaurants fehlen, die Cocktailbars, die Menschen.«

Charlotte starrte wieder in den Himmel. »Nein«, sagte sie und verschränkte die Arme, ehe sie ebenfalls die Beine ausstreckte. »Ich habe erst einmal die Nase voll von Cocktailbars und Menschen.«

»Was sind wir Dorfbewohner dann für dich? Kühe?«

Charlotte lachte. Tante Bernadine stimmte grunzend mit ein. Aber Charlotte stand nicht der Sinn danach, noch tiefer darüber zu philosophieren, warum London ihr zu laut geworden war. Also war sie nun diejenige, die das Thema wechselte. »Sag mal, hast du noch meine Kinderbücher?«

Mit zusammengekniffenen Augen musterte Tante Bernadine sie. »Natürlich«, antwortete sie nach kurzer Stille.

»Wo sind sie?«

»In einer Kiste im Keller. Mädchen, was willst du jetzt mit deinen Kinderbüchern?«

Kurz wägte Charlotte ab, ob sie Tante Bernadine davon erzählen sollte. Sie biss sich auf die Unterlippe, sah dann zu ihrer Tante. »Ich war am Grundstück der Michels und habe Claudine kennengelernt.«

»Wer zum Henker ist Claudine?«

Charlotte runzelte die Stirn. »Die Tochter von Monsieur Michel.«

»Ah.«

»Kennst du das Mädchen gar nicht?«

Tante Bernadine überlegte kurz. »Noch nie gesehen, non.« Charlotte wollte antworten, klappte den Mund dann aber wieder zu, ehe Tante Bernadine fortfuhr. »Die Michels leben sehr zurückgezogen.«

Charlotte nickte langsam.

»Was hat das jetzt mit den Büchern zu tun?«

»Na ja, ich kam mit dem Mädchen ins Gespräch. Sie liest gern, aber ihre Eltern … ihre Eltern scheinen es ihr nicht wirklich zu erlauben.«

Tante Bernadine runzelte die Stirn, ehe sie abfällig lachte. »Großes Grundstück, großes Haus, aber spart bei den Büchern.«

»Ich glaube nicht, dass es etwas mit dem Sparen zu tun hat.« Charlotte schüttelte nachdenklich den Kopf. »Claudine meinte, ihr Vater sagte, dass Lesen Zeitverschwendung sei.«

»Dass er ein Spatzenhirn hat, sieht man ihm an.«

Charlotte legte die Stirn in Falten. Das glaubte sie nicht. Zwar kannte sie Jean Michel nicht, aber sie bezweifelte, dass er dumm oder ungebildet war.

»In jedem Fall ist es eine Schande, seinen Kindern Bücher vorzuenthalten.« Tante Bernadine musterte sie aus den Augenwinkeln und hob eine Braue. »Und deswegen willst du dich über die Eltern hinwegsetzen und dem Mädchen Bücher schenken?« Sie lachte gequält. »Bist mehr Tochter dieses Dorfes, als ich gedacht hab.«

Charlotte blinzelte. »Ich … ich setze mich nicht über sie hinweg.« Hektisch ordnete sie ihr Haar, das ein seichter Windstoß zuvor durcheinandergebracht hatte. »Ich bringe ihr ein Buch mit, das wir zusammen morgen am See lesen. Mehr nicht.«

Tante Bernadine sah ihre Nichte lange und eindringlich an. »Ich werd dir nicht sagen, was du zu tun hast, Mädchen, aber seine Finger überall hineinzustecken, kann sie einem auch schnell kosten.«

Charlotte lachte laut los. »Tante Bernadine, es ist nur ein bisschen Lesen. Ich trichter ihr keine verkorksten Weltansichten ein.« Charlotte schluckte. »Das arme Mädchen liest heimlich abends im Bett … so als … als würde darauf die Todesstrafe folgen.«

Tante Bernadine seufzte und wischte einen unsichtbaren Krümel vom Tisch. »Alors, wie gesagt, ich kann und werde dir nichts vorschreiben. Aber kümmere dich lieber um dich selbst.«

»Das tue ich schon. Keine Sorge«, sagte Charlotte versöhnlich und tätschelte die Hand ihrer Tante. »Ich gehe ins Bett«, sagte sie dann. »Gute Nacht.« Mit einem Küsschen auf die Wange verabschiedete sie sich und kehrte in ihr Zimmer zurück.

Angenehm milde Nachtluft kroch durch die Gardinen in ihr Zimmer. Charlotte ließ sich auf das Bett sinken, strich über die Blumenbettwäsche, sog ihren fremdartigen Geruch ein. Nichts war hier wie Zuhause und dennoch vertraut. Aber das Gefühl, das sie vom Grundstück der Michels mitgenommen hatte, war bereits verblasst. Also widmete sich Charlotte dem Ritual, dem sie schon länger folgte. Sie griff zu den Tabletten in ihrem Nachtschränkchen, damit sie einen ruhigen Schlaf finden konnte.