Leseprobe Deep Blue Love

Sturmböen

Langsam wurde es ungemütlich am nördlichen Strand von Westerland. Über dem Meer braute sich ein Sturm zusammen. Der Wetterdienst behielt Recht mit seiner Voraussage für den Abend. Ich rollte die dünne Bambusmatte, auf der ich bis eben gesessen hatte, zusammen, als ein erster Blitz über dem sich langsam aufbauschenden Meer den wolkenverhangenen Himmel durchschnitt, gefolgt von einem dumpfen Donnergrollen. Hastig wischte ich mir den Dünensand von den Füßen und schlupfte in die roten Turnschuhe, während ich einen Blick in die Runde meiner Bekannten warf, unter denen auch mein werter Kollege Eric weilte, der mit den anderen bei einem weiteren Bier über alte Witze lachte. Sie alle waren schon mehr als angeheitert. Insbesondere Angelique Dihab, Erics neue Praktikantin, schien ordentlich einen sitzen zu haben.

„He Leute, schaut euch mal das Wetter an“, bemerkte ich, wofür ich allerdings nur ein Kichern und abwinkende Hände erntete.

„Die Natur ist einfach aufregend. Ich liebe es, bei Sturm draußen zu sein. Findet ihr nicht?“, jubelte Angelique mit ihrer rauchigen Stimme, die so gar nicht zu ihrer zierlichen Statur, dem Engelsgesicht mit den blauen Augen und einem Rahmen aus blonden Locken, passte.

„Ehrlich? Du auch?“, warf Eric ein und klatschte mit ihr ab. Wie schön, dass wenigstens er sich prächtig mit ihr verstand. Ich konnte mir nicht helfen, irgendwie mochte ich Angelique nicht. Sie hatte etwas Künstliches an sich, womit ich nun nicht nur ihren silikongefütterten Busen und die sichtlich aufgespritzten Lippen meinte. Nein, ich war nicht eifersüchtig oder gar dabei, mich in Eric Kessler zu verlieben. Ich mochte bei Menschen nur kein aufgesetztes Gehabe. Die wievielte an diesem Abend festgestellte angebliche Gemeinsamkeit war das eigentlich zwischen Eric und Angelique, fragte ich mich und biss die Zähne zusammen, um einen Aufschrei zu unterdrücken. In der Redaktion hatte ich gehört, wie Angelique einer Bekannten, die sie abholte, zugeflüstert hatte, dass sie nichts mehr hassen würde als das Wandern, etwa durch die Dünen Sylts ‒ besonders keine ruhigen Strandabschnitte wie diesen hier. Das Gesäusel zwischen ihr und Eric verursachte mir langsam Kopfschmerzen. Angeliques Blick verriet zunehmend, dass sie Eric nicht nur mit kollegialen Augen musterte, wovon er nicht abgeneigt schien. Ob die Frau heiß auf ihn war oder sich nur einen Job in der Redaktion sichern wollte? Nun ja, Eric war nicht von schlechten Eltern, das keineswegs. Eins zumindest war Fakt: Seit Barbie aufgetaucht war, schien Eric wie verhext. Er vertauschte sogar Termine, was sonst nie vorkam, und sprach oft wie ein Wasserfall. Selbst der letzte Artikel über den amerikanisch-deutschen Schauspieler Paul Duval, den sein ärgster Journalistenkonkurrent Jayden Davis geschrieben hatte, war ihm nahezu schnuppe gewesen. Ich war überzeugt, dass ich das als einen weiteren Fakt hinzuzählen konnte, der mir als Ergebnis recht sicher schien. Eric jedenfalls war bis über beide Ohren verknallt. Sofort hatte er jedem die neue Praktikantin vorgestellt und wich ihr kaum von der Seite. Mein Kollege war ein aufstrebender Journalist und sonnte sich gerne im Licht attraktiver Frauen. In den zwei Jahren, in denen ich ihn nun mehr oder weniger kannte, hatte er immer davon gesprochen, sich nie fest binden zu wollen. Im Gegensatz zu mir hatte er einen festen Job bei dem großen Klatschblatt ergattert, für das wir beide arbeiteten, während ich nach dem Volontariat nur einen befristeten Vertrag bekommen hatte. Alle anderen Zeitungen hatten mir eine Absage erteilt, weswegen mir nichts Weiteres übriggeblieben war, als zuzustimmen. Außerdem gefiel es mir auf Sylt. Ich fragte mich, ob Angelique am Ende meinen Platz bekommen sollte.

Die Gedanken ratterten immer lauter in meinem Kopf und übertönten letztendlich sogar das Tosen des Meeres. Fieberhaft überlegte ich weiter, doch schaffte ich es nicht, innere Ruhe zu finden. 

Angelique sollte zudem länger bleiben als für ein Praktikum üblich war. Hendrik hatte ein paar Wochen erwähnt. Die genaue Anzahl hatte er nicht genannt. Vielleicht, weil er es selbst noch nicht wusste. Und genau das machte mich vor allem skeptisch. Das Ganze war Erics Vorschlag gewesen. Als ich ihn dazu durch die Blume angesprochen hatte, hatte er dies nur mit einem belustigten Abwinken zur Kenntnis genommen. Ich wusste, dass Eric von meiner Arbeit nicht überzeugt war. Im Grunde von niemands Arbeit. Nun, Häuptling starker Bär wähnte aber auch alle gerne in seinem Schatten. Für mich war es nicht wichtig, in der Oberliga zu spielen. Ein gehobenes Mittelmaß würde mir reichen. Und ich baute auf Gerechtigkeit. Und ehrlich, auch über die kleinen Dinge des Lebens zu berichten, machte mir Spaß. Dennoch juckte es mir des Öfteren in den Fingern und ich hätte Eric gerne einmal gezeigt, dass mehr in mir steckte, als er vermutete. Bis dato hatte ich dazu leider keine Gelegenheit gefunden, jedenfalls keine, die seine Aufmerksamkeit positiv erregt hätte. Vielleicht, dachte ich, sollte ich doch wieder mit dem Schreiben von Geschichten beginnen. Die Hälfte eines Thrillers befand sich auf einer Datei meines Laptops. Das letzte Mal, als ich an der Story geschrieben hatte, war kurz vor dem Aus mit Philipp gewesen. Seitdem hatte ich mich mehr auf den Job konzentriert und mich darin regelrecht eingebuddelt.

Angelique lehnte sich gegen Erics breite Schulter, was ihm zu gefallen schien. Jedenfalls rückte er keinen Millimeter zur Seite und fuhr sich ein paarmal mit den Fingern durch sein blondes Haar. Er wirkte verlegen. Wenn ich mir die beiden genau betrachtete, hätten sie als Zwillinge durchgehen können. Erics Augen besaßen zum Beispiel die gleiche Farbe wie die von Angelique und wie sie hatte er eine sportliche Figur, nur mit deutlich mehr Muskeln. Als er wieder anfing, von seiner letzten Auszeichnung für eine der besten Klatschkolumnen zu reden, beschloss ich, partymäßig das Handtuch zu werfen und endlich von dannen zu ziehen. Außerdem sahen die Wolkenbänke, die unaufhaltsam auf uns zuzogen, zunehmend bedrohlich aus. Der Wind blies uns um die Ohren. Es kam mir vor, als wolle er uns damit warnen. Hannah, die verrückt liebevolle Kaffeetante der Abteilung, in der ich und Eric arbeiteten, sprang auf und hechtete ein paar flüchtenden Handtüchern hinterher. Derweilen schloss Angelique die Augen und seufzte. Eric hob die Brauen. Ich war sicher, dass sich in diesem Augenblick etwas in seiner Hose regte. Langsam nickte ich für mich und klemmte mir die Bambusmatte, die ich mitgebracht hatte, unter einen Arm.

„Also dann … bis morgen, Leute“, rief ich gegen den Wind an.

Hannah kam mir entgegen. Eines der Handtücher war ihr entwischt und verschwand in den Wellen des Meeres.

„Bleib doch noch, Maya. Der Sturm zieht bestimmt nordwärts.“

„Was macht dich da so sicher?“, wollte ich wissen.

Hannah spitzte ihre dünnen Lippen, während der Wind ihr die schwarzen langen Haarsträhnen ins Gesicht blies. „Ich mach schon so lang das Wetter, dass ich dafür ein Gefühl entwickelt hab.“

Ich zuckte mit den Achseln. „Sorry, aber mein Gefühl sagt mir etwas anderes. Außerdem bin ich müde. Hundemüde!“

Hannah nickte und schielte kurz zu Eric. „Verstehe …“

„Nein, nein. Nicht seinetwegen.“

„Verstehe“, wiederholte sie.

„Glaub ich nicht.“ Ich winkte ab. „Egal. Lassen wir es gut sein. Bis morgen. Ciao.“

„Ciao, Bella!“, rief Hannah mir hinterher. Man konnte sie auch als die gute Seele der Abteilung bezeichnen, stets ein Lächeln auf den Lippen. Ich mochte sie für ihre natürliche und nette Art und langsam entwickelte sich zwischen uns eine richtige Freundschaft.

Wütend, dass Eric mich nicht einmal aufgehalten hatte, stapfte ich durch die Dünen. Hier und da bogen sich gelbgrüne Gräser im Wind. Seit rund zwei Jahren wohnte ich nun hier in einem kleinen Häuschen am östlichen Rande von Westerland zur Miete und genoss die Ruhe der Insel. München vermisste ich jedenfalls nicht und war froh, dass ich die Enttäuschung und Scheidung mit Philipp nun hinter mir hatte ‒ verbucht unter schlechten Erfahrungen. Er war meine erste große Liebe gewesen. Wir hatten uns während des Studiums kennengelernt, schnell geheiratet. Niemals hätte jemand gedacht, mich eingeschlossen, dass er mich betrügen würde. Dabei hatte ich mir damals sogar ein Kind gewünscht, wollte glücklich mit ihm werden, bis zum Rest meines Lebens. Bei mir traf das Klischee des verflixten siebten Jahres voll ins Schwarze. Ich schüttelte den Kopf, wenn ich daran dachte. Wie lange hätte er mich noch geblendet, wenn ich die beiden nicht durch Zufall in flagranti erwischt hätte? Sand stob in meine Schuhe. Nein, Gedankenstopp, rief ich mir innerlich zu und verbannte Philipp aus meinem Kopf. Zu oft hatte ich mir schon das Gehirn über diesen Mann zermartert. Seine Ausflüchte interessierten mich nicht mehr, auch nicht die Entschuldigungsbriefe, die viel zu spät kamen. Der letzte war drei Wochen alt.

Abermals durchzuckte ein Blitz den aufgewühlten Himmel. Der darauffolgende Donner ließ mich kurz zusammenzucken. Schon als Kind hatte ich große Ehrfurcht vor Gewittern gehabt. Ich erinnerte mich, wie mein Vater beinahe von einem herabfallenden Ast eines Baumes im Garten erschlagen worden wäre, in den ein Blitz gefahren war. Noch heute steckte mir das Erlebnis tief in den Knochen und brachte mein Herz zum Rasen, wenn ich daran dachte.

Der Wind nahm mehr Fahrt auf. Es fröstelte mich. Ich zog die Strickjacke vorne zusammen und verschränkte die Arme fest vor der Brust, während ich weitereilte. Die Fahne auf der Rettungsstation war nicht mehr gehisst, was bedeutete, dass sie nicht mehr besetzt war und mir niemand schnell zur Hilfe eilen konnte, wenn mich doch einer der Blitze treffen sollte, die intensiver wurden. Kurzerhand beschloss ich, Schutz in einer Dünenbucht zu suchen, in der Hoffnung, das Gewitter würde bald von dannen ziehen. Ich hatte keine Lust, als gegrilltes Hähnchen zu enden. Der Wind heulte über das Meer und plötzlich war mir, als trüge er Stimmen zu mir. Aufgebrachte, gehetzte männliche Stimmen. Ich war verwundert. Kamen die anderen etwa doch zur Vernunft und mir nach? Ich lugte um den Felsen herum, konnte aber durch den aufwühlenden Sand nichts entdecken. Ausatmend lehnte ich mich gegen die Felswand und starrte hinaus auf das sich zunehmend aufbauschende Meer. Die Gischt war wie ein Schleier aus weißer Seide. Durch ihn hindurch sah ich ein kleines Segelboot. Ganz in der Nähe schwammen drei junge Männer. Sie schienen immer weiter nach draußen zu treiben. Einer von ihnen machte ein Schlauchboot bereit, während die anderen an dem Boot herumrissen, sodass es bald in Schieflage geriet. Was sollte das denn werden? Es sah so aus, als hätten diese Idioten vor, das Boot absichtlich zum Kentern zu bringen.

Für einen Moment glaubte ich, sie hätten mich entdeckt, da sie kurz in meine Richtung zeigten. Erschrocken wich ich ein paar Schritte zurück. Ich erkannte, dass einer der Männer eine Vollglatze und ein rundes Mondgesicht hatte. Er schien der Anführer der Bande zu sein, denn er fuchtelte wild mit den Händen und redete ständig auf die anderen beiden ein. Ich ließ den Blick in den Himmel schweifen. Nach wie vor blitzte und donnerte es. Als ich zurück zu den Männern schaute, sah ich, dass einer von ihnen sein rotes Hemd in die immer stärker werdenden Wellen warf und Richtung Schlauchboot schwamm. Die anderen beiden kletterten ins Boot und halfen ihm dann beim Einstieg in selbiges.

Die müssen betrunken sein, durchfuhr es mich. Jedenfalls sahen sie nicht so aus, als wollten sie Hilfe. Vielmehr schien alles einen seltsamen Plan zu beinhalten, hinter den ich gerne gestiegen wäre. Mein Journalisteninstinkt wurde wach. In mir wühlte der Gedanke, mich bemerkbar zu machen, um ihre Reaktion zu sehen. Kurzerhand fasste ich den Entschluss, es zu tun. Das Gewitter flaute bereits ab. Ich wagte mich aus meinem Versteck hervor und riss die Arme nach oben. Gerade als ich den drei Männern etwas zurufen wollte, wurde ich zurückgerissen. Der Schrei blieb mir in der Kehle stecken und mein Herz geriet aus dem Takt. Hektisch sah ich mich um, direkt in das von Regen benetzte Gesicht von Eric.

„Gott, hast du mich erschreckt!“, stieß ich aus.

„Was tust du hier?“, fragte er und zog die Stirn in Falten.

Perplex schüttelte ich den Kopf und zeigte dann Richtung Meer.

„Das Schlauchboot mit den drei Männern … sie haben das Segelboot zum Kentern gebracht“, stammelte ich.

Eric folgte meinem Blick. „Was? Welches Schlauchboot, welche Männer denn, Maya?“

„Hm?“ Ich verstand nicht und sah erneut aufs Meer hinaus, das nun auch Eric, einem Scheinwerfer gleich, scannte. Meine Gedanken überschlugen sich. Ich schluckte trocken. Das konnte doch nicht sein! Wo waren die Männer so schnell hin? Alles, was von ihnen übrig geblieben war, war das Segelboot, das in Schieflage auf dem Wasser trieb.

„Aber … sie waren da! Drei Männer! Neben dem Boot!“, erklärte ich Eric hektisch.

„Ganz langsam und von vorn. Was genau hast du denn gesehen?“, wollte der wissen und warf mir seine Jacke um, was mich erstaunte. Das letzte Mal, als er mir gegenüber so aufmerksam gewesen war, war schon eine Ewigkeit her. Ich schenkte ihm ein Lächeln, was er jedoch nicht erwiderte. Vielmehr ließ er mich los und ging ein paar Schritte nach vorn, während ich ihm meine Beobachtungen von Anfang bis Ende schilderte.

„Vielleicht ist da noch jemand und braucht Hilfe“, stellte Eric daraufhin in weiser Einsicht fest.

Plötzlich gesellten sich Angelique und die anderen zu uns.

„Was ist denn?“, fragte die Praktikantin und versuchte sich eine Zigarette anzuzünden, was bei dem Wind unmöglich schien. Ihre Hartnäckigkeit wurde aber belohnt und zeigte mir, dass sie nicht so schnell aufgab, wenn sie etwas wollte. Eric erklärte vor allem ihr, was ich zu sehen geglaubt hatte. Danach zog er sich seinen Pulli aus und drückte ihn der schmunzelnden Angelique in die Hände.

„Was hast du vor?“, fragte ich ihn.

„Nachsehen natürlich. Wer kommt mit?“, wollte Eric wissen und warf einen Blick in die Runde.

Angelique war sofort Feuer und Flamme und schnippte ihre Zigarette zur Seite. Neben ihr erklärten sich zwei Männer bereit, den Sprung in die aufgewühlten Wellen zu wagen.

Ich hielt Eric an einem Arm fest. „Das ist viel zu gefährlich jetzt. Außerdem sind die schon weg. Da ist sicher niemand mehr. Wir informieren besser die Küstenwache. Hast du dein Handy dabei? Ich nicht.“

Er riss sich los und rannte weiter. Wieder einmal kam ich mir mit meiner Meinung überflüssig vor. Hannah kam zu mir und stupste mich leicht mit dem Ellbogen an.

„Ich glaube, diese Angie, wie Eric sie gerne nennt, ist eine von den ganz windigen Schlangen. Ich hab gehört, wie sie sich bei irgendeinem Typen beschwert hat, ihre Aufgaben in der Redaktion seien öde, sie wolle mehr oder würde schnell wieder verschwinden“, flüsterte sie und zwinkerte mir zu.

Ich seufzte, ohne den Blick von Eric und den anderen Helden abzuwenden. Tief durchzuatmen war das Einzige, was ich nun tun konnte, um den Vulkan, der in mir brodelte, in Schach zu halten, damit er nicht ausbrach. Denn manches Mal hatte ich das dringende Gefühl, dass Eric genau das erreichen wollte. Zudem untermauerte das, was Hannah gesagt hatte die Vermutung in mir, dass Angelique ihre übertriebene Freundlichkeit nur spielte und Eindruck bei Eric schinden wollte, um sich einen Job bei unserer Zeitung zu sichern.

Nach wenigen Minuten hatte die private Rettungscrew das Boot erreicht. Das Unwetter war fast vorbei und die Meereswogen legten sich, anders als mein Puls.

„Und?“, fragten Hannah und ich gleichzeitig, als Eric dicht gefolgt von den anderen wieder an Land kroch.

„Nichts.“

„Aber das Boot wird ja nicht von selbst da rausgesegelt sein“, bemerkte Ellen, eine weitere Kollegin Erics und von mir.

„Das gab es schon. Kann also gut sein. Daran hab ich nämlich gleich gedacht, wenn ich ehrlich bin“, entgegnete Eric.

„Ich sagte doch, drei Männer sind mit einem Schlauchboot abgehauen, nachdem sie das Boot zum Kentern gebracht haben. Jedenfalls sah es sehr danach aus, als wäre es Absicht gewesen.“ Hannah gab mir auf meine Bitte ihr Handy. Ich wählte die Nummer der Küstenwache, um dort Bescheid zu geben.

„Es sah so aus. Zwischen Glauben und Wissen liegt ein großer Unterschied, Maya Andersen“, hielt Eric mir vor und zog die rechte Braue nach oben. Das tat er immer, wenn er etwas spöttisch meinte und kam mir dabei wieder einmal vor wie ein Oberlehrer. „Wen rufst du jetzt an?“, wollte er wissen.

„Na die Küstenwache. Vielleicht wissen die mehr“, antwortete ich.

„Ist doch völlig überflüssig“, bemerkte Eric, was mich staunen ließ.

„Ich weiß, was ich gesehen habe“, entgegnete ich energisch und gab Eric die Jacke zurück, die er doch prompt Angelique umhängte. Die schenkte ihm dafür einen zuckersüßen Augenaufschlag, den er mit einem breiten Lächeln belohnte.

Als sich die Küstenwache meldete, nahm Eric mir das Handy aus den Händen und schilderte eilig, wo das Boot zu finden sei.

Dieses Mal atmete ich gleich mehrere Male tief durch und pustete die Luft stoßweise aus.

„Warum hast du das mit dem Schlauchboot nicht erwähnt?“, fragte ich Eric, der mit den Augen rollte.

„Meine Güte, weil ich keins gesehen habe. Ganz einfach.“

„Ist dir nicht gut?“, fragte Angelique und rieb mir kurz über den rechten Oberarm.

„Doch, natürlich, alles bestens“, quetschte ich heraus und versuchte zu lächeln.

„Ich glaube, wir könnten nun alle einen Kaffee mit einem Schuss Rum vertragen. Maya wird euch einen kochen“, verkündete Eric und gab Hannah ihr Handy zurück.

Ich glaubte nicht richtig zu hören. „Wie bitte?“

„Wir müssen uns aufwärmen. Dein Haus ist nicht allzu weit weg. Du willst doch nicht, dass wir krank werden, oder?“, verkündete Eric und winkte bereits alle mit sich. Hannah schüttelte den Kopf über ihn.

Nein, natürlich wollte ich nicht alle im Regen stehen lassen. Dennoch fand ich es dreist, dass Eric mich so damit überrollte.

Den Rest des Weges bis zu meinem kleinen weißen Haus mit Reetdach und roten Fensterläden konzentrierte ich mich darauf, den Vulkan in mir weiter unter Kontrolle zu behalten. Ich kam mir vor wie eine billige Angestellte Erics. Und auch wenn das nicht zum ersten Mal der Fall war, ich würde mich nie daran gewöhnen und wollte es auch nicht. Es musste sich endlich etwas ändern. Doch die Zeichen dafür standen nicht gerade auf Grün.

Während ich für alle den Kaffee kochte und die Tassen aus dem weißen Hängeschrank meiner Küche nahm, kamen mir wieder das Boot und die drei Männer in den Sinn. Ich war gerade dabei, den Kaffee in die alte Porzellankanne zu füllen, die ich von meiner Mutter geschenkt bekommen hatte, als Angelique zu mir in die Küche stakste und wissen wollte, ob sie mir behilflich sein könne. Wie nett, wenigstens eine, die fragte. Aber gerade sie, damit hätte ich nicht gerechnet und ehrlich gesagt gerne darauf verzichtet.

Weniger überkandidelt säuselnd gab ich zurück: „Sie können die Tassen schon mal rausbringen. Stehen dort auf dem Tablett. Danke.“

„Ich finde, wir sollten uns duzen“, schlug Angelique vor, warf ihr Haar zurück und reichte mir eine Hand.

Zögernd nahm ich den Vorschlag an, was Angelique nahezu bis zu den Ohren lächeln ließ. Dieses bestimmte, hochnäsige Lächeln, das sie mir schon den ganzen Abend über zugeworfen hatte, wenn sich unsere Blicke trafen. Ignorieren und drüberstehen, sagte ich mir. War zwar nicht immer einfach, aber manchmal klappte es. Außerdem interessierte mich im Moment etwas anderes.

„Haben Sie … ich meine, hast du da draußen vielleicht noch was gesehen?“, fragte ich die Blondine.

„Nur das Boot“, gab die zurück. Das Thema schien sie zu langweilen.

Ich biss mir auf die Unterlippe. „Hm. Ich habe gesehen, dass einer der jungen Männer sein Hemd ins Wasser geworfen hat. Es war knallig rot.“

Angelique schüttelte den Kopf. „Ich hab jedenfalls keines gesehen, als wir draußen waren. Das wäre mir sicher aufgefallen. Vielleicht hast du dich getäuscht, Maya“, erwiderte sie.

„Nein. Ich bin mir sicher.“

Die Praktikantin zuckte mit den Schultern. „Keine Ahnung. Ist doch auch egal jetzt.“

„Egal? Na klar …“ Ich ging an ihr vorbei.

Gemeinsam servierten wir den Kaffee. Dabei fragte ich wie nebenbei, ob vielleicht jemandem ein rotes Hemd aufgefallen sei. Fehlanzeige.

„Wenn es dich beruhigt, Maya, dann frage ich morgen bei der Küstenwache nach, wem das Boot gehört und ob ein rotes Hemd aus dem Wasser gefischt wurde“, versprach Eric mit genervtem Unterton.

„Warum nicht gleich nachfragen?“, wollte ich wissen.

Eric streckte sich. „Weil ich jetzt zu müde bin. Lass mich das morgen machen. Ich bekomme Auskunft. Man kennt mich hier schließlich als seriösen Journalisten. Ich bin sicher, die sagen, dass das Boot allein rausgesegelt ist“, gab er nüchtern und nicht ohne mit stolzgeschwellter Brust zurück, was Angelique mit gespitzten Lippen und einem Aufblitzen in den Augen kommentierte. Eric schien sich regelrecht darin zu aalen.

„Ich finde, er hat absolut recht, Maya“, mischte sich Angelique prompt ein.

Natürlich, dachte ich. Eric nickte mir zu, als wolle er sagen: Ja siehst du! Ich bin der Boss. Unübertrefflich! Ich würde für ihn wohl immer nur ein winziger Stern am Journalistenhimmel sein, den sein Schein stets überstrahlte. Aber man sollte den Tag nicht vor dem Abend loben.

„Ärger dich nicht, steh drüber“, riet mir Hannah leise im Vorbeigehen und wieder einmal versuchte ich es.