Leseprobe Der Kuppler

Adam

„Es ist mir gleichgültig, ob du ein Dämon oder ein Engel bist“, flüsterte die Banshee und strich mit der Fingerspitze sanft über das rechte geschwungene Horn, das aus der ockerfarbenen Haut seiner Stirn ragte.

Adam Sinclair lehnte sich zurück und las sich den Satz laut vor. Was war denn das für ein süßlicher Mist? Er markierte den Text und löschte ihn. Danach starrte er minutenlang auf den blinkenden Cursor. Etwa hundert Seiten noch, dann wäre seine Bestseller-Trilogie endlich abgeschlossen. Und die Legionen von weiblichen Fans, die Sinclair mit seinem wilden Mix aus Fantasy und Liebesroman gewonnen hatte, würden zum Verkaufsstart des letzten Bandes wieder vor den Buchhandlungen campieren. Die ersten beiden Bücher hatten monatelang die Bestsellerliste angeführt und der Erwartungsdruck war dementsprechend gewaltig. Doch Sinclair zweifelte zunehmend daran, dass er ihn erfüllen konnte, denn es war ihm schwergefallen, den dritten Roman zu schreiben. Anders als bei den Vorgängerbänden, hatten die Musen ihm die Küsse bislang verweigert. Und sein Plan für das große Finale kam ihm lau und langweilig vor.

Auf dem linken der beiden Bildschirme auf seinem Schreibtisch ploppte ein Fenster auf. Als er die Nachricht in grüner Schrift auf schwarzem Hintergrund las, weiteten sich seine Augen:

Hey, du hast doch gesagt, du bist spontan. Wollen wir Nacktbaden gehen?

Adam schluckte. Damit hatte er nicht mehr gerechnet. Seit Tagen hatte er mit der Nutzerin Nachrichten ausgetauscht, hatte um sie geworben mit aller Eloquenz, die ihm als weltbekanntem Autor von Fantasy-Liebesromanen zur Verfügung gestanden hatte. Doch mal hatte sie sich unnahbar gegeben, mal hatte sie ihn gelockt, gereizt oder getriezt. Am Ende ihrer oft stundenlangen Chatsessions hatte er sie immer um ein Treffen gebeten, aber bisher hatte sie stets abgeblockt, hatte vorgegeben, etwas Anderes, Besseres vorzuhaben. Einmal hatte sie ihm sogar offen mitgeteilt, dass sie gar nicht daran denke, sich mit ihm zu treffen, weil er ihr nicht genug zu bieten habe, Bestsellerautor hin oder her. Sie hatte mit ihm gespielt und je weiter er ihr sein Innerstes geöffnet hatte, desto brutaler hatte sie auf seinen Gefühlen herumgetrampelt. Aber - Adam wagte kaum, sich das einzugestehen - gerade das hatte ihm einen besonderen Kick verschafft.

Was sollte er nun zurückschreiben? Sollte er auf ihr Angebot eingehen? Würde sie überhaupt auftauchen, oder war das nur ein weiteres ihrer Spielchen? Er schob die Gedanken beiseite. Sie war das strahlende Licht an der Spitze des Leuchtturms gewesen, das ihn in den letzten Tagen über Wasser gehalten hatte. Das Schreiben war so quälend und schleppend verlaufen, dass er beinahe an sich und seinen schriftstellerischen Fähigkeiten verzweifelt war. Die aufkeimenden Depressionen hatte er, so gut es ging, mit Single Malt Whisky bekämpft, was der Qualität seines Manuskripts jedoch eher abträglich gewesen war. Doch die Chats mit der mysteriösen Unbekannten, hatten es geschafft, ihn aus den tiefsten Löchern heraus zu ziehen.

Hey, bist du noch da? Ich dachte, du willst nichts mehr, als mich zu treffen? Oder bist du zu feige dazu?

Adam spürte, wie sich seine Wangen röteten. Das war ja die Höhe! Er und feige?

Wann und wo?

schrieb er zurück und war dabei stolz, wie knapp und cool seine Worte klangen. Da sollten ihn die Rezensentinnen noch einmal für seinen ausladenden Stil kritisieren!

Am Strand in Porthleven. In zwanzig Minuten.

Adam spürte, wie sein Mund austrocknete. Vor seinem inneren Auge erschienen anregende Bilder, zweier Menschen, die sich eng umschlungen in der Gischt wälzten. Eine dieser Personen war er, die andere die attraktive Blondine mit dem Alias Tryharder27, deren Profilbild ihm nicht aus dem Kopf gehen wollte, seit er es vor drei Tagen zum ersten Mal auf der Dating-Plattform IQ-VE gesehen hatte.

Er speicherte das Manuskript ab, fuhr den PC herunter und ging ins Bad, um sich frisch zu machen. Dann schob er das Handy in die Gesäßtasche, griff nach dem kleinen Geldbeutel und eilte hinaus in die Garage, wo er sich auf sein Fahrrad schwang. Er trat in die Pedale und ließ sich die abschüssige Straße hinunterrollen, die zu dem nur wenige Meilen entfernten Hafenstädtchen Porthleven im äußersten Südwesten von Cornwall führte. Die Vorfreude ließ ihn innerlich förmlich vibrieren. Endlich standen die Sorgen und Nöte wegen seines Manuskripts einmal ganz hinten an. Ein Grinsen breitete sich in Adams Gesicht aus. Die Musenküsse, die dort auf ihn warteten, würden ihn mit dem dringend benötigten Energiestoß versorgen, um seinen Roman mit einem Finale zu krönen, das die Welt noch nicht gelesen hatte.

Daniel

„Ich schaffe es nicht“, sagte Daniel Merton, zog sich die halb zusammengebundene Krawatte vom Kragen des gestärkten Hemdes und hielt sie seiner Mitbewohnerin Sasha entgegen. Er sah, dass sich ihre Lippen kräuselten. Na super, jetzt amüsierte sie sich auch noch über ihn.

„Den Doktortitel haben sie dir jedenfalls nicht für deine Fingerfertigkeit verliehen“, sagte sie und nahm ihm den Schlips ab. „Warum überhaupt so förmlich? Du fängst doch nicht bei einer Bank an oder bei einer Versicherung. Ich dachte, dein neuer Arbeitgeber ist ein hippes IT-Unternehmen. Wetten, dass da keiner außer dir eine Krawatte trägt? Wahrscheinlich würdest du selbst in einem Rollkragenpulli overdressed wirken.“

Daniel seufzte. „Es ist mir aber wichtig, an meinem ersten Tag ordentlich gekleidet zu erscheinen. Einen neuen Job zu finden war schwer genug, ich will ihn nicht gleich wieder verlieren, nur weil ich verlottert aussehe“, sagte er. „Und jetzt hilf mir bitte, dieses blöde Teil zu binden. Ich bin sowieso schon spät dran.“

Sasha grinste, packte ihn bei den Schultern und drehte ihn zu sich. Dann schob sie ihm die Krawatte durch den Kragen und band sie mit schnellen, sicheren Bewegungen zu einem einwandfreien Oxford-Knoten.

Daniel betrachtete sich im Spiegel. „Wie machst du das nur? Warum kannst du so etwas?“

Sashas Grinsen wurde noch breiter. „Du bist so eine Klischeemaschine. Nur, weil ich meine Haarfarbe wöchentlich wechsle und den ganzen Tag vor dem Computer sitze, glaubst du, ich hätte keine Ahnung vom Leben, was? Das Krawattenbinden habe ich mir für mein Men-In-Black-Cosplay beigebracht. Wenn du mal einen schicken schwarzen Anzug und eine passende Sonnenbrille brauchst, sag einfach Bescheid.“

„Danke, aber ich glaube, das würde an der Größe scheitern. Für den Oxford-Knoten hast du aber ein Curry gut bei mir.“

Daniel schnappte sich den Aktenkoffer und wieder sah er, dass Sasha grinste.

„Ja, lach du nur. Ich mag aussehen wie ein Buchhalter aus einem Monty-Python-Sketch, aber so fühle ich mich eben wohl.“

Sasha hob die Hände. „Jeder, wie er mag. Und jetzt lass dich mal drücken, Daniel. Ich wünsche dir viel Glück und vor allem viel Spaß bei deinem neuen Job. Ich weiß, dir wäre es lieber gewesen, wenn du an der Uni hättest bleiben können, bei deinen Daten und deinen Modellrechnungen, aber nun ruft das echte Leben draußen in der freien Wildbahn. Das ist doch auch spannend, oder nicht?“

Daniel verzog das Gesicht. „Der Vorteil an Daten und Modellen ist, dass sie berechenbar sind. Menschen sind das nicht. Ich weiß nicht, wie ich mit so vielen neuen Kollegen auf einmal zurechtkommen soll.“

Sasha klopfte ihm auf die Schulter. „Das wird schon werden. Denk immer dran, du bist der Persönlichkeitspsychologe. Du weißt, wie die Leute ticken. Zumindest theoretisch.“

Daniel atmete tief durch und trat in den Flur hinaus. Er überlegte, ob er den Mantel mitnehmen sollte, aber da es draußen über zwanzig Grad warm war, wäre das dann wohl doch übertrieben gewesen. Auch den Schirm ließ er im Ständer. Sasha hatte recht. Er durfte an seinem ersten Arbeitstag bei IQ-VE nicht aussehen wie die billige Kopie einer der Tausenden von Buchhaltern, die in der City of London ihren Geschäften nachgingen.

Daniel schlug den Weg zur U-Bahn-Station Clapham South ein. Ein Blick auf die Uhr zeigte ihm, dass er viel zu früh dran war. Das war jedoch Absicht, schließlich hatte er einberechnen müssen, dass ihm etwas dazwischenkommen könnte. Und noch schlimmer als schlecht gekleidet zu seinem ersten Arbeitstag aufzutauchen, wäre es, wenn er unpünktlich kommen würde. Trotzdem schritt er zügig voran und atmete erst durch, als er in dem Zug saß, der ihn in die City of London bringen würde. An jeder Haltestelle füllte sich das Abteil noch mehr. Abgesehen von den wenigen Touristen mit ihren Sonnenhüten und ihren Hard-Rock-Café-T-Shirts waren die meisten Leute auf dem Weg zu ihren Arbeitsplätzen. Daniel schluckte schwer. Das würde also nun sein tägliches Los sein.

Wie neu und anders dieses Leben war. Früher als er noch in der benachbarten Roehampton University gearbeitet hatte, war er mit dem Fahrrad in sein Institut gefahren. Doch der Weg in die City of London war dafür zu weit und aufgrund der Verkehrssituation auch zu gefährlich. Er holte sein Handy aus der Tasche und öffnete das Go-Spiel, das er in der Nacht begonnen hatte, als er vor lauter Aufregung nicht hatte einschlafen können. Er setzte einen weißen Stein und die Planung der nächsten Spielzüge drängte wie stets alle schwierigen Gedanken zur Seite.

Er war so in die Partie vertieft, dass er den Ausstieg mit Sicherheit verpasst hätte, wenn er sich dafür nicht einen Alarm einprogrammiert hätte, der ihn aus seiner Go-Trance riss. An der Haltestelle Aldgate verließ er die Tube und reihte sich in die lange Schlange ein, die am Fuß der Rolltreppe darauf wartete, ans Tageslicht befördert zu werden. Er spürte sein Herz hektisch schlagen. Alles Neue und Unvertraute war die Hölle für ihn! Wie sehr er es hasste, ins kalte Wasser springen zu müssen. Warum hatte ausgerechnet er seine Stelle an der Uni verlieren müssen? In Roehampton hatte er sich sicher gefühlt, dort hatte er gewusst, was er tat, und hatte die wenigen Kollegen und ihre Eigenheiten gut einschätzen können. Das hier hingegen war ein Wagnis. Und Daniel Merton war nicht der Mann für Wagnisse.

An der Oberfläche wandte er sich nach links, überquerte den Aldgate Square und folgte dem Dukes Place und der Bury Street zu dem gurkenförmigen Hochhaus, das die Skyline von London seit nunmehr zwanzig Jahren mit seiner originellen Architektur bereicherte. Er trat in das chromglänzende Foyer. Mit der Zugangskarte, die ihm gemeinsam mit dem Arbeitsvertrag zugeschickt worden war, passierte er die gläsernen Barrieren und gelangte zu den Aufzügen. Er fuhr in den 24. Stock. Den Weg kannte er immerhin von seinem Vorstellungsgespräch. Auch damals war er hypernervös gewesen und hatte sich vollkommen fehl am Platz gefühlt. Doch das war kein Vergleich zu dem, was er nun empfand. Er spürte einen unwiderstehlichen Fluchtimpuls. Doch dafür war es zu spät. Die Türen des Aufzugs schwangen auf und er zwang sich, nicht ins Erdgeschoss zurückzufahren, sondern in den Flur hinauszutreten.

Die Büros der Dating-App IQ-VE nahmen das gesamte 24. Stockwerk ein. Was Daniel schon bei seinem ersten Besuch irritiert hatte, war, dass hier keine Wände im herkömmlichen Sinne verbaut waren. Alles bestand aus Glas. So sah er von der Tür des Fahrstuhls aus direkt auf den Empfangsbereich und weiter zu den Büros der Mitarbeitenden.

Wie viele Menschen hier hin und her wuselten! Als er sich beworben hatte, war er davon ausgegangen, dass die Belegschaft nur aus ein paar Programmierern und einigen Marketingleuten bestehen würde. Doch bei seinem Vorstellungsgespräch hatte er erfahren, dass IQ-VE, das Steckenpferd des Milliardärs Timothy Nupret, beinahe zweihundert Angestellte beschäftigte. Und nun gehörte auch er dazu.

Der Blick durch die Glaswände zeigte ihm außerdem, dass Sasha recht gehabt hatte. Hier trug niemand einen Schlips und einen Anzug schon gar nicht. So ein Mist. Daniel drehte sich zur Fahrstuhltür um, fummelte den Knoten seiner Krawatte auf und zog sie aus dem Kragen. Dann wickelte er sie ungelenk um seine Hand und ließ sie in der Tasche des Sakkos verschwinden. Anschließend öffnete er den obersten Knopf des Hemdes und atmete tief durch, ehe er sich wieder umdrehte und auf die gläserne Eingangstür seines neuen Arbeitgebers zuging. Diese schob sich geräuschlos zur Seite und er trat ein.

„Herzlich willkommen bei IQ-VE, Dr. Merton“, sagte die Dame am Empfang, die ihm freundlich zu lächelte. Er stutzte. Woher kannte sie seinen Namen?

„Mister Helligan hat mich gebeten, Sie zu begrüßen und Ihnen schon einmal ein paar Unterlagen zum Ausfüllen zu geben. Er wird gleich zu Ihnen kommen.“

Sie reichte ihm ein Klemmbrett, auf dem ein Personalbogen befestigt war, und deutete auf eine Sitzgruppe schräg gegenüber. Daniel nahm auf einem bequemen Stuhl Platz und legte die Formulare auf seinen Oberschenkel. Er holte einen Kugelschreiber aus der Innentasche des Sakkos und begann damit, den Fragebogen auszufüllen. Wie üblich waren die ersten Zeilen seinen Stammdaten gewidmet.

Daniel Merton, geboren am 27.4.1994 in Leeds, ledig, männlich, wohnhaft 24 Honeybrook Lane, Clapham, London.“

Er trug seine Handynummer und seine E-Mail-Adresse ein, ehe es um die Sozialversicherungsdaten ging.

„Aha, da ist ja unser Herr Wissenschaftler“, hörte er eine Stimme sagen. Er blickte auf und sah einen breitschultrigen, untersetzten Mann mit rotbraunen Haaren und meerblauen Augen vor sich, der ihm die Hand entgegenstreckte. Daniel hatte kurz Mühe, das Weglegen des Kugelschreibers und den Handschlag zu koordinieren, und fürchtete, dabei etwas ungelenk ausgesehen zu haben, doch seinem Gegenüber schien das nicht aufgefallen zu sein.

„Mister Helligan, schön Sie zu sehen“, sagte Daniel.

Der CEO von IQ-VE lächelte ihm zu. „Sie hätten sich nicht so schick machen brauchen. Ein Sakko trägt hier niemand. Wenigstens haben Sie auf eine Krawatte verzichtet.“

Daniel schluckte schwer. Manchmal war es schwierig, die eigenen Vorstellungen davon, wie man sich in der Welt draußen zu verhalten hatte, mit der Realität abzugleichen. Helligan forderte ihn auf, mitzukommen. Er führte ihn durch die von Glaswänden gesäumten Gänge. Immer wieder hielt er an und stellte ihn Mitarbeitenden vor, aber Daniel konnte sich weder die Namen noch die Gesichter, geschweige denn die Kombination aus beidem merken. Nach kurzer Zeit fühlte er sich überrollt von all den Informationen und er war froh, als der CEO ihn in ein Büro am Ende des Ganges führte. Durch die bodentiefen Fenster konnte er in der Ferne das silberne Band der Themse glitzern sehen.

„Ich hoffe, Sie sind mit der Aussicht zufrieden. Schöner geht es nicht.“

„Es ist ein großartiger Ausblick von hier oben“, bestätigte Daniel. Wieder einmal wurde ihm bewusst, dass Small Talk nicht zu seinen Stärken gehörte.

„Aber verlieben Sie sich nicht zu sehr in das Panorama!“

„Natürlich, Mister Helligan, ich bin hier, um zu arbeiten“, erwiderte er, froh darüber das Gespräch in ein Fahrwasser gleiten zu sehen, das ihm vertrauter war. „Und ich habe auch schon einige Vorschläge ausgearbeitet. Ich fand das Vorstellungsgespräch sehr anregend und habe mir bereits Gedanken gemacht, wie man die Algorithmen der Partnervermittlung weiter verbessern könnte. Wie Sie wissen, habe ich viel zum Datingverhalten geforscht. Sehen Sie, ich habe hier etwas vorbereitet.“ Er öffnete seinen Aktenkoffer und legte ihn auf den gläsernen Schreibtisch. Darin befand sich ein Stoß von Papieren, die in einer engen, kleinen Handschrift beschrieben waren. Helligans Augenbrauen schossen nach oben. Er hob die Hände und lachte.

„Nein, nein, lassen Sie es gut sein. Jetzt kommen Sie erst mal an. Richten Sie sich in Ihrem Büro ein, spitzen Sie Ihre Bleistifte, sorgen Sie dafür, dass Sie einen Zugang zum Intranet bekommen und merken Sie sich die Namen Ihrer Kollegen. Ihre Vorschläge lassen Sie bitte in diesem Koffer. Und den lassen Sie am besten zu Hause. Mr. Nupret hat viel Zeit und Geld in die Entwicklung der KI-basierten Algorithmen gesteckt. Die funktionieren reibungslos und sie sind es, die unser Alleinstellungsmerkmal in der Dating-Szene ausmachen. Ich habe Sie nicht eingestellt, um daran etwas zu ändern.“

Daniel spürte, wie ihm der Mund austrocknete. „Aber ich bin davon ausgegangen, Sie würden einen Persönlichkeitspsychologen suchen, der Ihnen dabei helfen kann, noch bessere Vermittlungsergebnisse zu erzielen.“

Helligan grinste. „Wo haben Sie das denn her? In der Stellenanzeige stand das bestimmt nicht. Und ich kann mich nicht erinnern, dass ich mich im Vorstellungsgespräch dementsprechend geäußert hätte. Ja, wir haben einen Persönlichkeitspsychologen gesucht, aber nicht, um unsere Vermittlungsergebnisse zu verbessern, sondern aus einem ganz anderen Grund. Ich verspreche Ihnen, Sie werden sich nicht langweilen. Wir haben einen Spezialauftrag für Sie. Aber dazu morgen mehr. Jetzt kommen Sie erst einmal an, und lassen Sie sich von Jerry, unserer Büroassistentin, die Kaffeemaschine erklären. Für das Teil braucht man wirklich einen Hochschulabschluss.“

Er nickte Daniel zu und ging aus dem Büro. Dieser sah ihm hinterher und spürte, wie sich ein Gefühl der Enttäuschung in ihm breitmachte. Er hatte sich darauf gefreut, die Vermittlungsalgorithmen zu durchdringen und mithilfe seiner Forschungsergebnisse zu optimieren. Und nun? Ein Spezialauftrag? Was das wohl war?

Lupita

„Puh, ist das öde.“ Police Constable Lupita Mugabo ließ die Scheibe an der Beifahrerseite des Streifenwagens herunter und blickte auf den Weiher am Ortsrand der Kleinstadt Helston in Cornwall hinaus. Ein einzelnes Tretboot in Form eines überdimensionierten Schwans pflügte durch die spiegelglatte Oberfläche des algendurchsetzten Gewässers, hinter dem sich ein bewaldeter Hügel erhob. Ein verliebtes Teenagerpärchen saß in dem Kahn, mehr mit Knutschen als mit Navigieren beschäftigt.

„Das Aufregendste, was hier jemals passieren wird, ist, dass diese zwei Turteltäubchen mit ihrem Schwan in die Uferpromenade krachen“, sagte Lupita.

Pete, ihr Kollege hinter dem Steuer, zuckte mit den Schultern. „Da könntest du recht haben. Ich glaube auch nicht, dass wir an der Uferpromenade einen international gesuchten Drogenbaron aus Kolumbien oder einen Mafiaboss aus Sizilien verhaften werden. Aber sieh es doch mal positiv. Dann haben wir wenigstens keinen Stress. Ich kann mir Schlimmeres vorstellen, als bei schönem Wetter in einem Streifenwagen zu sitzen und auf einen Weiher hinauszuschauen.“

Lupita verdrehte die Augen. „Das liegt wohl an deiner mangelnden Vorstellungsgabe. Ich könnte mir ein Dutzend Dinge vorstellen, die ich jetzt lieber täte. Was machen wir hier überhaupt?“

„Wir zeigen Präsenz.“

„Präsenz? Wozu?“

„Was weiß ich“, sagte Pete. „Der Chief hat mir heute Morgen aufgetragen, dass wir möglichst öffentlichkeitswirksam durch den Ort fahren und an diversen Stellen Halt machen sollen, damit wir bemerkt werden. Irgendeine Anordnung aus London. Wahrscheinlich will die Regierung mit Blick auf die kommende Wahl gut Wetter machen und zeigen, dass man die Sache hier im Griff hat.“

„Politiker!“, knurrte Lupita und verdrehte erneut die Augen.

Das Funkgerät knackte. „MW 23, bitte kommen“, knatterte es aus dem Lautsprecher. Das war Oscar, der heute in der Station Dienst tat. Lupita nahm das Mundstück und sprach hinein: „Hier MW 23. Wir hören.“

„Wir haben einen Notruf erhalten, 14 Gwawas Hill. Schaut bitte mal nach, was da passiert ist.“

„Kannst du uns wenigstens grob sagen, worum es sich handelt? Nur, damit ich nicht plötzlich vor einem bewaffneten Einbrecher stehe. Oder mit gezogener Pistole vor einem Kätzchen, das sich in einen Baum geflüchtet hat“, sagte Lupita.

Sie hörte ein heiteres Lachen aus dem Lautsprecher, dann erwiderte die blecherne Stimme: „Das ist die Adresse eines Schriftstellers namens Adam Sinclair. Seine Haushälterin hat angerufen. Sie vermisst ihn. Schaut mal nach dem Rechten, wir wollen uns schließlich nicht sagen lassen müssen, dass wir die Anliegen von irgendwelchen poshen Künstlertypen nicht ernst nehmen.“

Pete hatte bereits den Wagen gestartet und bog in Richtung Innenstadt ab.

„Adam Sinclair“, sagte Lupita. „Hast du mal was von dem gelesen?“

Pete schüttelte seinen beinahe kahlen Kopf. „Du weißt doch, dass ich kein großer Leser bin. Meine Bibliothek zu Hause besteht aus dem Stapel Comics in der Toilette.“

Lupita biss sich auf die Zunge und schluckte den scharfen Kommentar hinunter, der darauf gelegen hatte. Es war sinnlos. So wie Pete dachten alle Kollegen hier. Ihren Horizont als eng zu beschreiben, wäre eine Untertreibung gewesen, und die Aussicht, die nächsten Jahre Streifendienst in dem kleinen Städtchen in Cornwall zu leisten, hinterließ ein flaues Gefühl in ihrem Magen.

„Hast du was gelesen von diesem Sinclair?“, fragte Pete.

Lupita schüttelte den Kopf. „Ich habe gehört, er schreibt Fantasy-Romane. Aber nicht so klassisch wie Tolkien, sondern mit vielen Szenen, die man heutzutage als spicy bezeichnen würde.“

„Oh, dann sollte ich mir vielleicht doch mal eins seiner Bücher vornehmen“, sagte Pete und kicherte wie ein Zwölfjähriger, der auf der Schultoilette mit einem Exemplar des Playboys erwischt wurde.

Glücklicherweise dauerte es nicht lange, bis sie die Adresse erreicht hatten, die Oscar ihnen genannt hatte. Das kleine Anwesen auf einer Anhöhe über dem Ort sah nobel aus. Auf den ersten Blick konnte man erkennen, dass in die Anlagen viel Geld geflossen war. Das schmiedeeiserne Tor stand offen und Pete lenkte den Wagen die Einfahrt hoch. Vor dem dreistöckigen Gebäude in Natursteinoptik wartete eine Frau um die fünfzig, der die Sorge um ihren Arbeitgeber an den zusammengekniffenen Lippen und den rotfleckigen Wangen abzulesen war. Die Polizisten stiegen aus und Lupita ging auf die Person zu, in der sie die Haushälterin von Adam Sinclair vermutete.

„Sie haben uns gerufen?“, fragte sie, nachdem sie sich und Pete vorgestellt hatte.

„Ja, ich bin Anny Wilkins, Mr. Sinclairs Mädchen für alles. Er ist verschwunden.“

„Mister Sinclair ist der Besitzer dieses Hauses?“, fragte Pete.

Mrs. Wilkins musterte ihn mit gerümpfter Nase.

„Natürlich. Kennen Sie ihn nicht? Den weltbekannten Schriftsteller? Er ist der berühmteste Sohn unserer Stadt.“

Ehe Pete sein Unwissen weiter zur Schau stellen konnte, fragte Lupita: „Seit wann vermissen Sie Mister Sinclair denn?“

„Ich habe gestern Nachmittag die Wäsche gemacht. Das ist keine allzu große Arbeit, denn Mister Sinclair trägt meistens Freizeitklamotten und besteht nicht darauf, dass seine Hemden gebügelt werden. Er saß in seinem Arbeitszimmer und hat am letzten Buch seiner Trilogie gearbeitet. Es soll im Herbst erscheinen.“

Die Augen der Haushälterin glänzten. War sie etwa auch ein Fan von Sinclairs expliziter Prosa?

„Das bedeutet, Sie haben ihn gestern Nachmittag zum letzten Mal gesehen. Wann ist Ihnen dann aufgefallen, dass er nicht da ist?“

„Ich bin heute Mittag gekommen, um ihm den Lunch zu bereiten. Na ja, ich habe Fish & Chips mitgebracht. Das mag er am liebsten und ich wollte ihm eine Freude machen. Es sollte gestärkt sein, damit er das Buch endlich fertig schreibt. Wir warten alle darauf.“

„Und als Sie dann mit den Fish & Chips angekommen sind, war Mr. Sinclair nicht da?“, fragte Pete.

Mrs. Wilkins nickte eifrig. „Das Bett war unberührt. Genau so, wie ich es gestern gemacht hatte. Auch das Abendessen hat er nicht angerührt. Das steht noch in der Küche. Sein Geldbeutel liegt daneben. Er hat aber die kleine Brieftasche mitgenommen, die er immer bei sich trägt, wenn er aus dem Haus geht. Da sind die nötigsten Dinge drin. Personalausweis, Kreditkarte und etwas Geld.“

„Hatte er Ihnen mitgeteilt, dass er noch ausgehen wollte?“, fragte Lupita.

Die Haushälterin schüttelte den Kopf. „Eben das ist es doch, was mich stutzig macht. Er hat mir sonst immer gesagt, wann er außer Haus war. Er wollte nicht, dass ich ihm etwas zu essen bereitstelle, wenn er es danach nicht aß. Mister Sinclair ist in armen Verhältnissen aufgewachsen. Verschwendung ist ihm zuwider.“

„Lebt Mr. Sinclair alleine hier?“, fragte Pete. Wieder musterte ihn Mrs. Wilkins mit einem empörten Blick.

„Ja, seit seine Frau vor drei Jahren mit seinem Agenten durchgebrannt ist, wohnt er alleine hier. Er ist kinderlos und ehe Sie fragen: Mr. Sinclair lebt für seine Arbeit. Er hat keine Frauengeschichten.“

„Dann sehen wir uns mal im Haus um“, sagte Lupita.

Mrs. Wilkins führte sie in eine Eingangshalle. An der Wand neben dem Treppenaufgang hing ein riesiges Elchgeweih. Im Erdgeschoss befand sich die Küche, auf der Anrichte sah Lupita das erwähnte Abendessen, eine Art Brei, der hellbraun unter einer Plastikfolie durchschimmerte. Sie konnte es Adam Sinclair nicht verübeln, dass dieser das Essen nicht angerührt hatte. Neben dem Teller lag eine Brieftasche. Die Haushälterin führte sie in den ersten Stock, wo sich der Wohn- und der Arbeitsbereich des Schriftstellers befanden. Pete nahm sich das Schlafzimmer vor und Lupita war ihm dankbar dafür. In Männerhöhlen von Junggesellen entdeckte man die widerlichsten Dinge. Sie widmete sich stattdessen dem Arbeitszimmer, von dem aus der fantastische Ausblick bis zur ein paar Meilen entfernten Küste und weit hinaus über das Meer reichte. Der Schreibtisch wirkte ein wenig überdimensioniert. Zwei große Bildschirme standen darauf, darunter ein kleiner, silberner Computer. Eine spartanisch aussehende, sehr flache Tastatur und eine Art Mousepad lagen daneben. Eine Mouse sah sie nicht. Auf einem Regal neben dem Schreibtisch entdeckte sie das Ladegerät eines Handys.

„Haben Sie versucht, Mister Sinclair telefonisch zu erreichen?“

„Ja, aber da geht sofort die Mailbox ran“, sagte die Haushälterin.

Lupita ließ sich die Telefonnummer des Schriftstellers geben und probierte es selbst einmal, wurde jedoch auch zu dessen Anrufbeantworter weitergeleitet.

Pete kam zu ihnen. „Abgesehen von den üblichen Perversitäten war nichts Auffälliges im Schlafzimmer“, sagte er und zwinkerte Lupita mit einem anzüglichen Grinsen zu.

Sie ging nicht darauf ein, sondern wandte sich wieder an Mrs. Wilkins: „Haben Sie nachgesehen, ob das Auto von Mr. Sinclair in der Garage steht?“

„Ja, es befindet sich dort, aber sein Fahrrad fehlt. Er ist häufig damit unterwegs. Mr. Sinclair ist sehr sportlich.“

Pete zuckte mit den Achseln. „Für mich sieht die Sache relativ harmlos aus. Mister Sinclair hatte spontan Lust auf eine Radtour, ist vielleicht in der Kneipe versackt und hat bei einem Kumpel übernachtet, um seinen Rausch auszuschlafen. Der wird schon wieder auftauchen.“

Die Haushälterin warf ihm einen zornesfunkelnden Blick zu. „Mister Sinclair ist niemand, der in der Kneipe versackt. Er ist ein Genie. Und er muss einen Roman fertigstellen. Er kann sich keine längeren Ausflüge leisten.“

„Gerade von Genies kennt man es doch, dass sie gerne dem Alkohol zusprechen. Ich sehe keinen Anlass dafür, dass wir hier die Pferde scheu machen. Wir müssen sowieso noch mindestens vierundzwanzig Stunden warten, ehe wir eine Vermisstenanzeige aufgeben können. Ich gehe allerdings davon aus, dass Mr. Sinclair bis dahin wohlbehalten zurückgekehrt ist“, erwiderte Pete ungerührt. Er nickte der Haushälterin zu und ging hinaus.

Die Frau sah Lupita flehend an. „Unternehmen Sie doch was! Da stimmt etwas nicht! Da stimmt etwas ganz gewaltig nicht!“