Prolog
Mayfair, London
Mai 1820
Sebastian Carlisle stieg die Stufen zur Tür des Park Place hinauf, als gerade die ersten Rosarottöne des Tagesanbruchs den Himmel erhellten.
Verdammt, er war länger fortgewesen als beabsichtigt. Sehr viel länger. Doch seine Eltern hielten nichts von den Frauen, deren Gesellschaft er bevorzugte, daher hatte er keine andere Wahl als sich die Zeit zu nehmen, seine Spuren zu verwischen. Immerhin war dieses Gespräch mit seinem Vater im vergangenen Jahr, nachdem er zusammen mit Lady Bancroft erwischt worden war, ein Lehrbeispiel gewesen, das ihm fürs gesamte Leben reichen würde. Himmel, er konnte immer noch die Betretenheit dieses Abends spüren. Er wusste nicht, was schlimmer gewesen war – die Tatsache, dass Lord Bancroft ihm mit einem Duell gedroht hatte, oder die Enttäuschung im Gesicht seines Vaters.
Also hatte er beschlossen, den Ruf der Familie und ihr Vermächtnis an erste Stelle zu stellen. Sogar vor seine persönlichen Freuden.
Doch um Himmels willen, er war ein Carlisle! Erwartete sein Vater wirklich von ihm, all seine Wildheit aufzugeben? Er hatte sich definitiv gezügelt und war jetzt deutlich vorsichtiger; inklusive der Tatsache, dass er sich von den verheirateten Frauen des Adels fernhielt. Doch er hatte auch einen Ruf als Schurke aufrechtzuerhalten, und ehrlich betrachtet: Was gab es Gutes am Leben eines Mönches? Er fühlte sich gut, als er das Haus betrat, während der Lavendelduft der Schauspielerin, die ihn die gesamte Nacht unterhalten hatte, noch auf seiner Haut haftete, und wusste, dass er am vergangenen Abend die richtige Entscheidung getroffen hatte. Was Mutter und Vater nicht wussten, konnte sie nicht verletzen. Und er liebte das Theater sehr.
Anscheinend, dachte er mit einem Grinsen, als er sich an das Verlangen der Frau erinnerte, liebte das Theater auch ihn.
Er betrat vorsichtig die Eingangshalle, um niemanden in diesem nachtschlafenden Haushalt zu wecken … und erstarrte.
Sein jüngster Bruder Quinton saß am Fuß der Treppe auf dem Boden, hatte die Ellenbogen auf den Knien abgestützt und den Kopf in die Hände gelegt.
Eine Vorahnung kroch Sebastian eiskalt über den Rücken. Sein Bruder sollte nicht hier sein. Er und Robert hätten bis nach Sonnenaufgang die St. James’s Street unsicher machen sollen.
„Quinn?“, rief er sanft, als hätte er plötzlich Angst, die Ruhe des Hauses zu stören.
Quinton hob den Kopf und starrte ihn ausdruckslos an, als würde er ihn überhaupt nicht erkennen. Sein Gesicht war weiß, seine Augen an den Rändern gerötet und er zitterte heftig am ganzen Körper … Er sprach mit rauer Stimme: „Vater ist tot.“
Nein. Sebastians Körper wurde schlagartig taub, während er Quinn anstarrte und versuchte, die Worte zu begreifen, die immer noch in seinem Kopf herumwirbelten. Nein, er musste sich verhört haben. Unmöglich! Sein Vater konnte nicht … „Tot“, hauchte er beinahe tonlos.
Quinn lehnte den Kopf ans Treppengeländer und kniff die Augen zu, während er in qualvoller Trauer das Gesicht verzog.
Oh Gott … „Mutter!“
Die Sorge um sie verzehrte ihn. Er rannte die Treppe hinauf, ohne die Marmorstufen unter seinen Füßen zu spüren. Er bekam überhaupt nichts mit als das dröhnende Rauschen von Blut, das in seinen Ohren pochte, und das wilde Hämmern seines Herzens: Bei jedem Herzschlag fuhr ihm ein stechender Schmerz durch die Brust, der ihm den Atem raubte.
Er erreichte den Treppenabsatz im ersten Stock, hielt inne und starrte den Flur hinunter, in Richtung der Schlafzimmer der Familie … Es war, als würde ihm der Boden unter den Füßen weggezogen.
Seine Schwester Josephine kauerte vor der Tür zum Schlafzimmer ihrer Eltern im Flur und weinte untröstlich in den Armen ihres Ehemannes. Sie schluchzte so heftig, sie hätte jeden Augenblick in Stücke zerspringen können. An der Wand lehnte Robert und starrte mit leerem Blick auf seine Hände. Scharlachrot … bedeckte seine Finger und Kleidung. Blut. Vaters Blut. Ein blendender Schmerz schoss durch Sebastians Körper und er packte das Treppengeländer, um nicht zu stürzen.
Er sammelte sich mit einem tiefen Atemzug, lief steifen Schrittes an ihnen vorbei und betrat das Zimmer. Stark … er musste stark für sie sein. Er war der älteste, der Erbe. Ihm oblag die Verantwortung, seine Familie zu beschützen. Das hätte sein Vater von ihm erwartet. Doch er wollte schreien.
In dem schwach beleuchteten Zimmer lag Richard Carlisle auf seinem Bett. Sebastians Herzschlag setzte aus. Sein Vater konnte nicht tot sein. Seine Lider waren so entspannt geschlossen, sein Gesicht wirkte gelassen. Er schlief, mehr nicht, nur dass er vollständig bekleidet auf der Bettdecke lag und sogar noch seine Schuhe trug. Unter seinem Kopf lag ein rot beflecktes Handtuch. So unnatürlich starr … Sebastian hielt den Atem an, starrte auf seines Vaters Brust und wartete darauf, dass sie sich hob und senkte, als Beweis dafür, dass alle anderen falschlagen, dass sein Vater nicht … Doch es kam kein Atemzug. Und als Sebastian die Luft nicht länger anhalten konnte, strömte sie in einem erstickten Schluchzen aus seiner Lunge.
Seine Mutter … oh, gütiger Gott, Mutter. Sie saß auf der Bettkante und hielt die Hand ihres Ehemannes fest. So blass, so schwach und zerbrechlich, ihr Gesicht so ausdruckslos – nur das helle Glitzern ihrer Augen im schwachen Schein der Lampe verriet, dass noch Leben in ihr steckte.
Sebastian kniete sich neben sie und legte ihr eine Hand aufs Knie. Seine Trauer war jetzt ein brennender Schmerz. Da sie ihn nicht ansah, flüsterte er: „Mutter?“
„Ja?“ Sie löste ihren leeren Blick nicht vom Gesicht seines Vaters.
„Mutter“, wiederholte er und streckte den Arm aus, um ihre Hand von der seines Vaters zu lösen und sie zu halten. So kalt … wie Eis … Ihre Finger packten seine, als wären sie der einzige Anker, der sie noch in dieser Welt hielt.
Sie blickte zu ihm herunter und die Trauer, die er in ihr sah, zerriss ihn. „Sebastian“, murmelte sie, als sie ihn durch ihre Trauer hindurch erkannte, „es gab einen Unfall …“
Brennende Tränen trübten seinen Blick und er nickte, da ihm die Worte im Halse steckenblieben.
„Wo warst du?“ Sie legte ihm eine zitternde Hand an die Wange. „Wir konnten dich nicht finden.“
Schuldgefühle brachen über ihn herein, zusammen mit einer Selbstverachtung, die so heiß brannte, dass es seine Seele versengte. „Es tut mir leid“, sagte er erstickt.
Sie flüsterte: „Er hat nach dir gefragt.“
Das Gewicht der Welt brach auf ihn herein, erstickte und erdrückte ihn. Diese Last war nicht zu ertragen. Er spürte eine Schuld im gesamten Körper und in seiner Seele, die er wohl nie würde tilgen können, und vergrub sein Gesicht vor Scham an ihrem Knie. „Es tut mir leid … es tut mir so leid …“
Kapitel 1
Islingham, Lincolnshire
Januar 1822
Miranda Hodgkins spähte vorsichtig hinter der Tür zum Tageswohnzimmer hervor. Der Flur war leer. Gott sei Dank. Sie wappnete sich mit einem tiefen Atemzug und eilte zur Hintertreppe, während sie mit einer Hand ihr Gesicht betastete, um sicherzugehen, dass die Maske immer noch fest an ihrem Platz saß.
Der große Maskenball zu Ehren von Elizabeth Carlisles Geburtstag war zu Ende und jetzt verstreuten sich die Gäste … diejenigen, die in einer langen Reihe aus Kutschen nur für einen Abend gekommen waren, und die wenigen, die noch die letzte Nacht des Festes in ihren Zimmern im Ostflügel verbrachten. Und die Familienmitglieder würden sich irgendwann in ihre Zimmer im Westflügel zurückziehen. Genau dorthin war Miranda unterwegs.
Sie huschte die dunkle Treppe hinauf. Den Weg kannte sie noch blind, nachdem sie in ihrer Kindheit jahrelang in Chestnut Hill mit den Carlisles gespielt hatte. Sie wusste, welche Stufen knarrten und wie man sie nahm, ohne ein Geräusch zu machen, genauso wie sie an ausreichend Festen hier teilgenommen hatte, um zu wissen, dass die Bediensteten unten in den Räumlichkeiten beschäftigt waren und die Familienmitglieder noch einige Minuten brauchen würden, um sämtliche Gäste zu verabschieden oder ihnen eine gute Nacht zu wünschen.
In jeder anderen Nacht wäre sie nicht derart herumgeschlichen. Sie wäre mit ihrer Tante und ihrem Onkel nach Hause zurückgekehrt, statt sich ihr zweites Kostüm des Abends anzuziehen und sich zurück nach Chestnut Hill zu schleichen. Und sie wäre durch die Vordertür hereingekommen, statt durch den Keller. Niemand hätte sich etwas dabei gedacht, sie in dem Haus zu sehen, das direkt neben dem Hof ihrer Tante und ihres Onkels stand und sich für sie wie ein zweites Zuhause anfühlte.
Doch dies war nicht jede andere Nacht. Heute wollte sie Robert Carlisle ihre Liebe gestehen; dem Mann, den sie heiraten und für den Rest ihres Lebens glücklich machen wollte.
Und dem Mann, dem sie in dieser Nacht ihre Unschuld schenken wollte.
Sie erreichte den Treppenabsatz und tastete im Dunkeln vorsichtig nach dem Riegel, um die Tür zu öffnen. Sie kannte Robert seit ihrem sechsten Lebensjahr, in dem ihre Eltern gestorben waren, sie zu Tante Rebecca und Onkel Hamish gezogen war. Damals hatte sie die gesamte Familie Carlisle kennengelernt und war herzlich in ihrer Mitte aufgenommen worden, als wäre sie eine lange verschollene Verwandte und nicht die verwaiste Nichte eines ihrer Pächter. Nur selten war ein Tag vergangen, ohne dass sie in Chestnut Hill gewesen war und dort im Kinderzimmer oder im Garten gespielt hatte. Doch als sie vierzehn gewesen war, hatte ein gestohlener Kuss von Robert alles verändert. Zum ersten Mal hatte sie einen Beweis dafür gehabt, dass Robert in ihr mehr als nur eine Freundin sah, auch wenn er das nie wieder versucht hatte. Sie hatte nie aufgehört, von ihm zu träumen, und in den vergangenen beiden Jahren, seit sein Vater gestorben und er nach Chestnut Hill zurückgekehrt war, hatte sie es gewagt, auf mehr zu hoffen.
Oh, er war einfach wundervoll! Schneidig war er schon immer gewesen, mit dem goldfarbenen Haar und den saphirblauen Augen, die alle Brüder teilten, zusammen mit seiner Größe und den breiten Schultern, der Wildheit und dem Charme der Carlisles. Die drei Männer waren sich körperlich so ähnlich, dass sie beim Sprechen sogar gleich klangen. Doch ihre Wesenszüge waren völlig verschieden, wie auch ihre Art, mit ihr umzugehen. Als sie in Islingham angekommen war, hatte man Sebastian schon nach Eton geschickt, sodass er zu beschäftigt gewesen war, um ihr viel Beachtung zu schenken. Und Quinton war … nun, eben Quinton gewesen. Aber Robert hatte ihr die meiste Aufmerksamkeit geschenkt und war immer freundlich und hilfsbereit gewesen, selbst wenn er sie erbarmungslos geneckt hatte, so wie er es auch mit seiner Schwester Josephine getan hatte. Doch seit er nach Islingham zurückgekehrt war, um Sebastian mit der Verwaltung des Herzogtums zu helfen, war er auch reifer geworden. Laut den Wetten in den Büchern des White’s hätte das unmöglich sein müssen. Doch Miranda hatte schon immer gewusst, wie außergewöhnlich er war, wie hingebungsvoll er sich seiner Familie und insbesondere seiner Mutter verpflichtet fühlte. Und in dieser Nacht wollte sie ihm ihre eigenen Gefühle zeigen.
Ihre Hände zitterten leicht, als sie geräuschlos die Tür hinter sich schloss und innehielt, damit sich ihre Augen an das schwache Licht im Flur gewöhnen konnten. Himmel, wie nervös sie war! Ihr Herz pochte vor gespannter Begeisterung ob ihrer Pläne für diese Nacht so laut, dass die Schläge wie Kanonenfeuer durch ihre Brust hallten. Sie hatte noch nie zuvor versucht, einen Mann zu verführen – es nicht einmal in Betracht gezogen – und ihr einziges Wissen darüber, wie man einen Mann befriedigte, stammte von der Bardame, die sie für ihr Wissen über Männer bezahlt hatte. Ein Wissen, das sich als sehr reichhaltig herausgestellt hatte.
Doch Miranda hatte keine andere Wahl, als ihren Plan in dieser Nacht in die Tat umzusetzen. Ihr lief die Zeit davon. Sie konnte es sich nicht länger leisten, darauf zu warten, dass Robert der vorübergehenden Begegnungen mit einer ganzen Reihe von Frauen müde wurde, denen er Gerüchten zufolge seit seiner Universitätszeit frönte, und sich nach etwas Tiefergehendem und Langfristigerem sehnte. Oder darauf, dass er begriff, dass sie die Frau war, die ihm genau das geben könnte. Er würde sich bald für die Ballsaison nach London begeben und, sobald er dort wäre, Diana Morgan umwerben, die entzückende Tochter eines Generals, von der er seit dem vergangenen Herbst sprach. Sie war auch die Frau, mit der er sich während der Feier immer wieder leise unterhalten hatte, mit der er durch den Garten spaziert war und mit der er heute Abend getanzt hatte … Wenn Miranda jetzt nicht ihre Chance ergriff, wäre sie endgültig verflogen. Und wie sollte sie dann noch mit sich leben können, wenn sie wusste, dass sie es nie gewagt hatte, ihre wahren Gefühle zu offenbaren?
Sie wusste, dass ihr Plan für diese Nacht auf schreckliche Weise scheitern konnte, dass er ihre Gefühle für ihn womöglich nicht erwidern mochte … Doch sie wusste auch, dass alles perfekt laufen könnte; dass er in ihr endlich die Frau erkennen könnte, die sie geworden war, und die Verführerin, die sie sein konnte, statt in ihr nichts als die Freundin zu sehen, die schon immer dagewesen war, wie ein gemütliches Sitzmöbel. Wie sollte sie mit ihrem feigen Wesen leben, wenn sie es nicht wenigstens versuchte?
Sie atmete tief durch, stieß sich von der Tür ab und eilte den Flur hinunter, wobei sie die Zimmer zählte … zwei, drei – vier! Hier war das Zimmer, das laut der Information eines Lakaien Robert gehörte.
Sie glitt in den dunklen Raum, dann schloss sie die Tür und lehnte sich dagegen, um Luft zu holen und irgendwie ihren rasenden Herzschlag zu beruhigen. Jetzt gab es kein Zurück mehr. In wenigen Minuten würde Robert diesen Raum betreten und eine maskierte Frau auf seinem Bett vorfinden. Bis die Maske gelüftet wurde, würde er schon zu bezaubert sein, um sie noch länger bloß als die schlichte Miranda Hodgkins zu betrachten. Sie würde ihm zeigen, dass die Frau, die seine Freundin war, auch seine Geliebte und seine Ehefrau sein konnte.
Und dann wäre er endlich der Ihre.
Ihre Augen gewöhnten sich an den dunklen Raum, der nur vom schwachen Schein des Feuers erhellt wurde, auf dem der Kammerdiener bereits für die Nacht Kohlen aufgehäuft hatte. Eine bislang unbekannte Nervosität stieg in ihr auf, die nichts mit ihrer geplanten Verführung zu tun hatte. Himmel, sie war in Roberts Zimmer. In seinem Schlafgemach! Sein privatester Ort. Doch statt sich wie ein Eindringling vorzukommen, fühlte sie sich hier zwischen den schweren Möbeln und der männlichen Ausstattung zu Hause. Als sie sich von der Tür entfernte und eine Runde durch den Raum drehte, überkam sie ihre Neugier. Sie kam an seiner Kommode vorbei und ließ die Hand sanft über seine Dinge gleiten … seine Bürsten, eine Pfeife, die ganz sicher seinem Vater gehört hatte … Ihre Finger berührten kaltes Metall.
Sie hob den Gegenstand auf und drehte ihn in der Handfläche um, dann lächelte sie. Es war einer der Spielzeugsoldaten, die Richard Carlisle den Jungs vor über zwei Jahrzehnten zu Weihnachten geschenkt hatte; lange bevor sie nach Chestnut Hill gekommen war. Gefühle schnürten ihr den Hals zu. Diese Soldaten waren immer der wertvollste Schatz der Jungs gewesen, und Sebastian hatte mehrere der Soldaten in seinen Koffern fortgeschmuggelt, als er ins Internat gegangen war; sehr zu Roberts und Quinns Entsetzen. Doch Robert wäre auch sentimental genug, um ein solches Andenken an seinen Vater aufzuheben … nur einer weiterer Grund dafür, ihn zu lieben.
Sie hob den Soldaten an das sanfte Lächeln auf ihren Lippen und bewegte sich erneut durch den Raum, um so viel wie möglich von Roberts privater Seite wahrzunehmen. Es war wohl der typische Raum eines unverheirateten Gentlemans, nahm sie an. Als sie den Bücherstapel auf dem Nachttisch entdeckte, lachte sie in fröhlicher Überraschung. Natürlich, er war sehr gebildet; Elizabeth und Richard Carlisle hatten sichergestellt, dass das auf all ihre Kinder zutraf. Aber Shakespeare, Milton … Lyrik? Wärme breitete sich in ihrer Brust aus. Auch sie liebte Lyrik, und diese romantische Seite an Robert zu entdecken, bestärkte sie nur noch mehr in der Überzeugung, dass sie zusammengehörten.
Im Flur war ein Geräusch zu vernehmen. Mit dem Donnern ihres Herzschlags in den Ohren hastete sie zum Bett, schleuderte ihre Slipper von sich und drapierte sich verführerisch auf der Bettdecke. Nun, so verführerisch wie möglich, denn ihre Hände zitterten, während sie an ihrem Kostüm herumzupfte, um es grazil über ihren Beinen auszubreiten, und noch einmal die Maske prüfte, um sicherzugehen, dass sie immer noch gut saß.
Die Tür ging auf und ihr Herz blieb stehen.
Miranda starrte den maskierten Mann an, der nur als Silhouette in der Tür stand, und schluckte. Der einzig mögliche Ausgang dieser Nacht war ihr gründlicher und vollständiger Ruin.
Genau so, wie sie es sich erhofft hatte.
Sie betete, dass er das Zittern ihrer Finger nicht sehen konnte, als sie sich mit einer Hand an den tiefen Ausschnitt ihres Kostüms fasste, um seine Aufmerksamkeit auf ihre Brüste zu lenken … oder das, was davon vorhanden war.
Roberts Augen funkelten hinter der Panthermaske. Die Überraschung, die in ihrer Tiefe gelegen hatte, wich verwegenem Vergnügen, und seine sinnlichen Lippen verbogen sich langsam zu einem raubtierhaften Grinsen.
Ihr Bauch verkrampfte sich. Oha.
Ohne den Blick von ihr abzuwenden, schloss er die Tür hinter sich.
Du. Liebe. Güte.
Er pirschte sich langsam ans Bett heran, was sie an den grazilen Panther denken ließ, als den ihn seine Maske aus Papiermaché ausgab. Er hielt am Fuß des riesigen Himmelbettes inne und sein Blick erhitzte sich, während er sie durch die sanften Schatten hindurch anblickte.
„Nun denn“, sagte er mit einer schleppenden Stimme; so leise, dass es fast ein Flüstern war, und so tief wie die Schatten, die sie umgaben. „Wen haben wir denn hier?“
Sie atmete tief durch, um ihren Mut zu sammeln. „Ich sah Euch heute Abend auf dem Maskenball.“ Ihre Nervosität ließ ihre Stimme rauchiger klingen, als sie es beabsichtigt hatte. Gott sei Dank. Sie würde die Verführung in dieser Nacht vollenden müssen. Es musste einfach klappen! „Und ich wollte Zeit mit Euch verbringen.“ Sie machte eine Kunstpause. „Allein.“
Er lächelte. „Ihr wart nicht bei der Feier meiner Mutter.“ Mit einer langsamen Bewegung seiner breiten Schultern zog er sein Jackett aus und warf es über den Sessel vor dem Kamin. „Ich würde mich an Euch erinnern.“
Miranda schnaubte beinahe. Er würde sich an sie erinnern? Unter den zweihundert anderen Frauen unterschiedlichen Alters, die sich zum Geburtstag der Duchess of Trent in den Ballsaal von Chestnut Hill gedrängt hatten? Wohl kaum!
Von hinter der Maske aus wanderte sein Blick über ihr Kleid und Hitze kribbelte auf ihrer Haut.
Nun ja … vielleicht hätte er sich an sie erinnert, wenn sie dasselbe hauchdünne Kreppkleid getragen hätte wie jetzt, statt des Kostüms, in dem sie eingetroffen war. Dieses Kleid, eine enganliegende, ärmellose Kreation aus rosarotem Flor mit passender Maske, hatte sie ein kleines Vermögen gekostet; Geld, das sie sich aus Nebeneinkünften und ihrem Lohn aus dem Waisenhaus zusammengespart hatte. Außerdem hatte sie mehrfach heimlich nach Helmsworth reisen müssen, um dort die Schneiderin aufzusuchen, die sie ausgewählt hatte, damit in Islingham niemand Verdacht schöpfen konnte. Doch all die Heimlichtuerei hatte sich ausgezahlt, denn das Kleidungsstück verwandelte ihren Körper in eine langstielige Rose. Doch statt in diesem Kleid, war sie der Gesellschaft zu Beginn des Abends in dem Kürbiskostüm vorgestellt worden, das ihre Tante für sie gemacht hatte, mitsamt dem Stiel, der aus ihrem Hut emporragte, und Robert hatte sie den ganzen Abend keines zweiten Blickes gewürdigt.
Doch jetzt nahm er sie ganz gewiss wahr, während sie sich auf seinem Bett zurückgelehnt hatte, den Rücken von angehäuften Kissen gestützt, während jenseits des Rocksaums auf skandalöse Weise ihre Beine ab den Knien entblößt waren. Und es waren ihre nackten Beine, da sie es sich nicht hatte leisten können, die zum Kleid passenden Spitzenstrümpfe zu kaufen.
„Womöglich bin ich Euch nicht aufgefallen, weil ich mit anderen Männern tanzte“, bot sie ihm neckisch an. In dieser Nacht war sie dank ihrer Maske kühn und frei, kokette Dinge zu sagen, für die sie sonst nie den Mut aufgebracht hätte. „Doch ich hätte viel lieber mit Euch getanzt.“
Sie sah, dass seine Hand für einen Augenblick erstarrte, während er nach seiner Krawatte griff. „Dann war das definitiv mein Pech.“ Sein Blick wanderte von ihrem tiefen Ausschnitt an ihrem Körper hinab; über die Kurven ihrer Hüfte und über ihre Beine. „Und Euer Name, Mylady?“
Ihr Herz schlug ihr bis zum Hals hinauf. Oh nein, den konnte sie ihm nicht sagen – noch nicht! Sie hatte absichtlich die Maske und das Kostüm angelegt, damit er diese andere Seite an ihr entdecken konnte, statt sie umgehend abzuweisen. Damit er die Gelegenheit bekäme, sie mit anderen Augen zu sehen; sie als Frau zu erfahren, statt als das Mädchen, das er schon ewig kannte. Würde sie ihre Identität so bald enthüllen, könnte er in ihr niemals mehr als nur eine Freundin sehen.
Also flüsterte sie: „Rose.“
Er löste seine schwarze Krawatte und warf sie zur Seite. „Lady Rose“, murmelte er. Ein wissendes Lächeln umspielte seine sinnlichen Lippen ob ihrer frei erfundenen Antwort. „Seid Ihr also deshalb in meinem Zimmer?“ Seine saphirblauen Augen schürten Hitze unter ihrer Haut, überall dort, wo sein Blick sie traf. Und Himmel, er blickte überall hin! „Weil Ihr mit mir tanzen wollt?“
Tanzen. Das Wort wanderte in einem Schauer an ihrer Wirbelsäule hinunter, während sie ihm dabei zusah, wie er an seiner Weste einen Knopf nach dem anderen öffnete. Sie wussten beide, dass er nicht vom Walzer sprach.
Ein elektrisierendes Kribbeln der Aufregung breitete sich in ihr aus. Es war soweit. Dies war der Augenblick, der ihr den Mann bringen würde, den sie liebte. Der Augenblick, der ihr Leben für immer verändern würde …
Sie atmete zitternd ein. „Ja.“ Das Wort kam ihr als heiseres Kratzen über die Lippen. „Unbedingt.“
Seine vollen Lippen bogen sich zu einem verführerischen Lächeln. Er zog die Weste aus und ließ sie zu Boden fallen. Die Muskeln in seinen Armen und Schultern spannten sich unter seinem schwarzen Hemd an, als er nach oben griff, um das halbe Dutzend Knöpfe unterhalb seines Kragens zu öffnen, wobei der Feuerschein über sein blondes Haar tanzte und sein attraktives Gesicht erhellte, das immer noch hinter der Maske versteckt lag. Ihr Herz hämmerte schmerzhaft gegen ihre Rippen, als er den Hemdsaum aus seiner Hose zog und ihn dann frei an seiner Hüfte hängen ließ.
Er zog sich aus. Und zwar nicht, um sich zur Nacht zu betten. Für einen Augenblick vergaß sie zu atmen.
Als sie sich wieder daran erinnerte, strich die Luft ihr als leises Seufzen über die Lippen. Daraufhin verdunkelte ein rascher Anflug von Erregung seinen Blick, als hätte er dieses Geräusch als Einladung verstanden … eine Einladung zu …
Sie schluckte erneut schwer.
Nun, das war um Gottes willen der Grund dafür, dass sie auf seinem Bett lag. Um von ihm verschlungen zu werden. Aber Himmel, war sie nervös! Sie versuchte, das Zittern ihrer Hände zu verbergen und die Verführerin zu sein, die er haben wollte, während sie sich mit flachen Händen über die Oberschenkel strich. Jedes Mal, wenn sie die Hände nach oben zog, nahm sie den Kreppstoff ein wenig mit, bis auch ihre Schenkel entblößt waren. Sein Blick folgte aufmerksam ihren Händen, während sie sich so streichelte. Die Maske versperrte ihr den Blick auf andere Gefühle, die über sein Gesicht zucken mochten, doch sie konnte seine ausdrucksstarken Augen und Lippen sehen. Sie wirkten lüstern. Erregt.
Du liebe Güte.
Er hob die Hand, um sich die Maske vom Gesicht zu nehmen …
„Nein!“, keuchte sie.
Er erstarrte ob ihres Ausbruchs. Dann neigte er neugierig den Kopf, als hätte er ihre Worte falsch gedeutet.
Doch er hatte sie bestens verstanden. Sie konnte nicht zulassen, dass er seine Maske abnahm. Wenn er das tat, würde er von ihr erwarten, ihre auch abzulegen – oh, dafür war sie noch nicht bereit! Nicht, bis sie sich gewiss sein konnte, dass er sie so sehr wollte, wie sie ihn, und zwar nicht nur für diese Nacht, sondern für immer.
„Die Maskerade hat so viel Spaß gemacht“, erklärte sie rasch und betete, dass er ihr glauben mochte, „dass es schade wäre, dem so bald ein Ende zu setzen.“
„Dann werde ich das nicht tun.“ Er ließ verstohlen seinen Blick an ihrem Körper hinunterhuschen. Ein heißes, sinnliches Versprechen lag in seinen Augen.
„Bitte, legt Eure Maske nicht ab; noch nicht.“ Dann fügte sie so verlockend wie möglich hinzu: „Mylord Panther.“
Er neigte mit dem Nicken eines Gentlemans den Kopf in ihre Richtung.
Ein lustvoller Schauer rauschte durch ihren Körper. Doch natürlich wusste er nicht, dass sie in diesem Kostüm steckte, dachte sie in einem Anflug von Enttäuschung. Doch er würde es bald erfahren, und dann würde sich alles zwischen ihnen verändern.
„Wie Ihr wünscht, Lady Rose.“ Wieder dieses heißblütige Lächeln, dieses Mal, während er vortrat, sich mit einer Schulter an den Bettpfosten lehnte und unverfroren ihren Körper betrachtete. „Euer Kostüm ist wirklich schön.“
„Es gefällt Euch?“ Sie hob die Hand wieder an ihren Hals, um seine Aufmerksamkeit erneut auf ihre Brüste zu lenken, und wölbte den Rücken, um sie so voll wie möglich wirken zu lassen.
„Sehr“, murmelte er genüsslich.
„Gut.“ Ihre zitternden Finger wanderten zu ihrer Schulter hinauf und zu der Satinschleife, die das Mieder hielt. „Denn ich trage es nur für Euch.“
Seine Lippen teilten sich, als würde er etwas sagen wollen, doch sie zog die Schleife mit einer verführerischen Bewegung auf, die sie den ganzen Nachmittag lang geübt hatte. Die Schulter ihres Kleides fiel herab und entblößte beinahe ihre rechte Brust. Er fixierte sie mit hungrigem Blick; was immer er hatte sagen wollen, war für immer verloren.
Mit einem Geräusch, das halb wie ein Stöhnen und halb wie ein Knurren klang, packte er sein Hemd und riss es sich über den Kopf. Dann kam er näher und kroch auf Händen und Knien über das Bett auf sie zu. Ganz so, wie ein Panther sich anschleichen würde, um seine Beute zu erlegen.
Ihre Augen weiteten sich und sie ließ sich auf den Rücken sinken, als er über die gesamte Länge ihres Körpers an ihr heraufkletterte, bis sie zwischen seinen Händen und Knien gefangen war. Das hatte sie gewiss nicht erwartet! Und auch nicht die Tatsache, dass er seinen Kopf senkte, um ihr über die nackte Schulter zu lecken, als würde er zuerst von ihr kosten, bevor er entscheiden konnte, ob er noch eine Weile mit ihr spielen oder sie gleich am Stück verschlingen sollte.
„Hm“, schnurrte er an ihrer Haut, während sein Mund zu ihrem Hals wanderte, wo sie sich sicher war, er könne ihren pochenden Herzschlag unter seinen Lippen spüren. „Vielleicht ist es ja gut, dass ich Euch auf der Feier nicht bemerkt habe.“
„Warum das?“ Sie bebte, als er mit den Zähnen an ihrem Hals knabberte, da sie nicht auf die Hitze vorbereitet gewesen war, die ihr von Kopf bis Fuß durch den Körper schoss. Das hier war ganz anders als der Kuss, den er ihr vor all diesen Jahren gegeben hatte.
„Ich hätte mich mitten im Ballsaal bei dem Versuch blamiert, zu Euch zu gelangen.“ Er fuhr mit einer Fingerspitze über ihre nackte Schulter und zeichnete unsichtbare Muster auf ihre Haut, bis hinunter zu der Wölbung ihrer Brust. „Wir hätten miteinander getanzt, dafür hätte ich gesorgt.“
Seine Finger tauchten unter den Ausschnitt ihres Kleides, wo er weder Stäbchen noch weitere Schichten fand, die ihn aufgehalten hätten, sodass er verführerisch über ihren Nippel streichen konnte, der immer noch unter dem Stoff verborgen lag. Sie keuchte und er lächelte begeistert, ob ihrer Reaktion. Anscheinend hatte er sich dazu entschlossen, noch mit ihr zu spielen.
Er ließ die Hand ganz unter den hauchdünnen Stoff gleiten und umfasste ihre blanke Brust. „Dann werden wir jetzt tanzen“, flüsterte er.
Hitze strömte von seiner großen Hand in ihren Körper und sie wand sich unter seiner Berührung, da sie plötzlich nicht mehr in der Lage war, stillzuliegen, während sie ein zufriedenes Stöhnen unterdrückte. Sie hatte seit Jahren davon geträumt, seine Hände so an ihrem Körper zu spüren, seine Berührungen, sein Streicheln … doch sie hatte sich nicht ausgemalt, dass es so warm und wundervoll sein würde. Sanft und doch dringlich.
„Schönes Kleid.“ Er verlagerte sein Gewicht wieder auf die Knie, griff ihr mit der freien Hand an die andere Schulter und öffnete geschickt die Schleife. Er zog, das Mieder fiel von ihrem Körper ab und beide Brüste waren dem Feuerschein ausgeliefert. Und seinen Augen, die sich jetzt vor Verlangen verdunkelt hatten, während er hungrig auf sie herunterblickte. „So wunderschön.“
Trotz der Gänsehaut, die sich überall dort ausbreitete, wo er hinblickte, widerstand sie dem nervösen Drang, sich zu bedecken. Es war Robert, er war derjenige, der das Recht hatte, sie so zu sehen. Weil sie ihn kannte, seit sie fünf Jahre alt gewesen war. Weil sie ihn liebte. Weil sie nicht wollte, dass irgendjemand anderes außer ihm sie jemals so sah; heute Nacht und für den Rest ihres Lebens.
Sie biss sich schüchtern auf die Unterlippe. „Ihr findet mich nicht … reizlos?“
Er lachte so tief, dass das rumpelnde Geräusch durch ihren Körper wirbelte, bis es zwischen ihren Beinen landete. Er ließ den Kopf zu ihr herabsinken. „Wohl kaum.“
Ihr Atem stockte. Für einen Augenblick dachte sie, er würde sie küssen … dort, auf ihre nackten Brüste. Stattdessen hob er mit sanften Fingern ihr Kinn und seine Lippen begegneten den ihren in einem so zarten Kuss, dass sie erbebte. Seine Lippen waren warm, überraschend weich und er war herrlich begabt darin, genüsslich die ihren zu kosten, ganz frei von dem jungenhaften Übereifer aus ihrer Erinnerung, es war kein hastiger, unerfahrener Kuss mehr. Er war ein selbstbewusster Mann, der wusste, was er wollte.
Und was er wollte – sie erschauderte – das war sie.
„Ihr zittert.“ Er berührte mit der Zungenspitze ihren Mundwinkel.
Sie erbebte so heftig, dass sie sich ans Bettlaken klammern musste, um stillzuhalten. „N… nein.“
„Und jetzt lügt Ihr“, tadelte er, lächelte aber an ihren Lippen.
Er fing ihre Unterlippe zwischen seinen Zähnen ein und biss sanft zu, während er sich auf sie sinken ließ.
Nein, dachte sie, während sich sein muskulöser Körper auf ihren herabsenkte, er hatte eindeutig nichts jungenhaftes mehr an sich.
„Was kann ich noch tun, um dich zum Zittern zu bringen, hm?“ Er griff mit einer Hand nach ihrem Rock und zog ihn an ihren Schenkeln empor. Das versprochene Schaudern folgte der Berührung nach.
Miranda ließ den Kopf nach hinten kippen und überließ sich ihm. Sie hatte sich diesen Moment so lange herbeigewünscht, und jetzt, da es endlich geschah – oh, bei Gott, es geschah! Sie konnte kaum glauben, dass sie nicht träumte. Robert lag in ihren Armen, seine Lippen an ihren und er liebkoste sie auf verlockende Weise mit seinen Händen. Ihr Herz pochte so wild, dass sie den Blutstrom in ihren Ohren hören konnte. Sie war sich sicher, dass er es spüren konnte, denn als sie ihre flache Hand auf seine Brust legte, raste sein Herz unter ihren Fingerspitzen.
Er arbeitete sich knabbernd an ihrem Hals hinab und bewegte sich dann weiter nach unten, um mit der Zunge durch das Tal zwischen ihren Brüsten zu lecken. Als sie erzitterte und die Arme um seinen Hals schlang, damit sie ihn enger an sich ziehen konnte, legten sich seine Lippen um ihren aufgerichteten Nippel und er saugte daran.
Sie stöhnte und ihr Rücken wölbte sich von der Matratze empor. „Robert …“
Er hielt inne und seine Lippen erstarrten. Dann gab er langsam ihre Brust frei und hob den Kopf. Er fixierte sie mit seinen blauen Augen. „Was habt Ihr gesagt?“
„Ich habe gar nichts gesagt. Nur …“
„Himmel!“ Er zog die Panthermaske zur Seite und enthüllte sein Gesicht.
Oh Gott.
Die Luft strömte ruckartig aus ihrer Lunge. „Sebastian.“
Oh Gott, oh Gott, oh Gott, oh Gott!
„Wer seid Ihr?“ Sebastian Carlisle packte ihre Maske und riss sie herunter. Seine Augen weiteten sich vor Überraschung. „Miranda?“
Er starrte sie an, als könnte er seinen Augen nicht trauen – Oh, er schaute sie an! Heiße Röte stieg ihr ins Gesicht und sie schlug ihm fest gegen die Brust. „Runter von mir! Runter …“
Er presste ihr eine Hand auf den Mund. „Still!“ Wut zeichnete Falten auf seine Stirn. „Man wird dich hören.“
„Ist mir egal!“, murmelte sie gegen seine Handfläche.
„Nur, bis man uns hier zusammen findet …“, sein Blick schweifte erneut über ihren Körper, „… so.“
Mit einem beschämten Ächzen verdrehte sie die Augen. Sie wollte sterben!
Er hob eine Augenbraue, um sie dazu zu ermahnen, leise zu bleiben, zog seine Hand weg, rollte sich vom Bett und murmelte leise etwas vor sich hin, während er sein Hemd vom Boden aufhob und es sich mit groben Bewegungen anzog.
Miranda wollte sich eilig bedecken, doch ihre Finger zitterten so sehr, dass sie kaum die Schleifen an ihren Schultern binden konnte. Eine Seite knotete sie mehr schlecht als recht zusammen.
Er wirbelte zu ihr herum. „Was tust du hier, Miranda?“
„Ich?“, quietschte sie, während sie mit einer ruckartigen Handbewegung einen weiteren Knoten festzog. „Was machst du in Roberts Zimmer? Du solltest dich besser anziehen und verschwinden, bevor er …“
„Das hier ist mein Zimmer.“ Er deutete besitzergreifend auf den Boden.
„Dein … Nein“, protestierte sie vehement, während sie sich panisch umsah, obwohl sie die Zimmer der Brüder in Chestnut Hill ohnehin nicht hätte unterscheiden können. Doch dies hier war Roberts Gemach, davon war sie angesichts des Spielzeugsoldaten und der Gedichtbände überzeugt. „Ich habe den Lakaien gefragt. Er hat mir diesen Raum genannt.“
Seine Augen verengten sich. „Du hast einen Lakaien gefragt, welches Zimmer Robert gehört?“
„Ich war diskret.“ Sie schnaubte ob der Unterstellung, sie sei so leichtsinnig gewesen, ihre geplante Verführung einem Lakaien anzuvertrauen. Wenn eine Frau plante, sich auf dem Bett ihres zukünftigen Liebhabers zu drapieren, würde sie das gewiss nicht den Bediensteten verkünden. Das wusste selbst sie. „Und ich habe eine Maske getragen.“
Er stützte die Handflächen auf dem Bett ab und lehnte sich zu ihr, bis sein Gesicht auf der gleichen Höhe war wie ihres. „Und wie genau erkundigt sich eine maskierte Dame bei einem Lakaien nach dem Schlafgemach eines unverheirateten Gentlemans?“
Pfui, er war so frustrierend! Sie drückte gegen seine Schultern, um ihn wegzuschieben, doch natürlich rührte er sich nicht. Der Mann war ein wortwörtlicher Berg aus Muskeln und Verärgerung.
Mit einem Schnauben verschränkte sie die Arme vor der Brust und hob das Kinn. „Während sie ihre Maske trägt, tritt sie während der Feier an einen Lakaien heran, steckt ihm eine Münze zu und deutet auf den Gentleman in seiner Maske. Dann fragt sie in völliger Anonymität nach dem Zimmer …“
Er hob eine Hand, um sie zu bremsen. „Wenn der Gentleman eine Maske trug, woher wusstest du, auf welchen Mann du gezeigt hast?“
„Weil ich gestern Roberts Kammerdiener bestochen habe, um herauszufinden, welche Maske er …“ Sämtliche Farbe wich aus ihrem Gesicht, als sie ihren Irrtum begriff. „Oh nein.“
„Oh ja.“ Mit einer Grimasse warf er die Panthermaske zu ihren Füßen aufs Bett. „Wir haben vor der Feier die Masken getauscht. Der Mann, auf den du heute Abend gezeigt hast, Miranda, war ich.“
Ihr wurde flau im Magen. „Sebastian, ich hatte keine Ahnung.“
„Offensichtlich nicht.“ Er richtete sich zu seiner vollen Größe von über einem Meter achtzig auf und blickte mit diesem autoritären Blick auf sie herunter, den sich alle Carlisle Brüder – insbesondere Sebastian – ihr gegenüber erlaubten, nur weil sie zusammen aufgewachsen waren. „Nun gut, wir haben ermittelt, wie du hier oben gelandet bist.“ Er verschränkte die Arme vor der Brust; eine einschüchternde Pose, die sie gut kannte. „Sag mir, warum.“
Doch sie hegte nicht die geringste Absicht, ihm das zu sagen. War sie nicht bereits ausreichend gedemütigt? „Das spielt keine Rolle. Ich … ich muss gehen.“
Sie rutschte zur Bettkante hinüber und zog bei jedem Wackeln ihrer Hüfte an ihrem Rock, um ihre Beine bedeckt zu halten; auch wenn sie nicht wusste, warum sie das kümmerte, nachdem gerade seine Lippen ihre Brust berührt hatten.
Ihr Gesicht brannte. Oh Gott … Sebastians Lippen hatten mit ihrer Brust gespielt!
„Auf der Stelle …“ Ihre Stimme brach vor Panik und Entsetzen. „Ich muss auf der Stelle gehen.“
„Bleib“, befahl er mit dem majestätischen Ton, den alle drei Brüder in unterschiedlich starker Ausprägung von ihrem Vater geerbt hatten und den Sebastian als der aktuelle Duke of Trent am besten beherrschte.
Sie verharrte an der Bettkante und erduldete schweigend ihre Demütigung.
„Du hast erwartet, dass Robert in dieses Zimmer kommen und dich auf seinem Bett vorfinden würde – so angezogen.“ Skepsis blitzte in seinen blauen Augen auf. „Seid ihr beide …“ Immerhin hatte er den Anstand, den Blick abzuwenden, als er über diese Anschuldigung stolperte. „Intim?“
„Nein!“ Sie blinzelte brennende Tränen weg. Die Demütigung hatte gerade neue Höhen erreicht, ganz zu schweigen davon, dass sie in dieser Nacht tatsächlich auf Intimität mit Robert gehofft hatte.
„Warum hast du dann in seinem Bett auf ihn gewartet?“, hakte er nach.
Mit einem Seufzen legte sie den Kopf in die Hände. Sie hatte lediglich eine simple Verführung angestrebt, doch ihr Traum war zu einem Alptraum geworden. „Was tut das denn zur Sache?“
Er hob eine Augenbraue. „Er ist mein Bruder, und er ist mir wichtig.“ Seine Stimme wurde sanfter. „Und du auch.“
Pah! Das konnte sie ihm nicht eine Sekunde lang abnehmen. Als ältester der drei Carlisle-Brüder war Sebastian derjenige, den sie am schlechtesten kannte, doch auch derjenige, über den sie sich am häufigsten ärgerte; vermutlich, weil er zehn Jahre älter war als sie und sehr ungeduldig bei den Spielen, die sie mit seinen Brüdern gespielt hatte. Er war fünfzehn Jahre alt gewesen, als sie nach Islingham gekommen war, schon in Eton eingeschrieben und dadurch die meiste Zeit fort. Und selbst bei den seltenen Besuchen während der Ferien war er zu versessen darauf gewesen, Zeit mit seinem Vater zu verbringen und alles über das Anwesen zu lernen, um ihr mehr als distanzierte Freundlichkeit entgegenzubringen. Als er die Universität erreicht hatte, war er mehr damit beschäftigt gewesen, Frauen hinterherzusteigen oder Spaß mit seinen Brüdern und ihren wilden Plänen zu haben, als sich darum zu kümmern, was in Islingham geschah. Und es hatte gegolten: Je wilder, desto besser.
Bis Richard Carlisle zum Duke wurde. Da waren die rauflustigen, unbändigen Brüder ernster geworden; insbesondere Sebastian, der als Erbe immer schon die Last der Verantwortung gespürt hatte, die er einst tragen würde. Er hatte ihr davor schon nur spärliche Beachtung geschenkt; jetzt, da er der Duke war, nahm er kaum noch ihre Existenz wahr.
„Miranda“, seufzte er geduldig. „Mir fällt kein guter Grund ein, warum du in Roberts Bett liegen solltest.“
Sie zog eine Grimasse. „Nein, natürlich nicht … ich meine … Ach verdammt!“
Es war ihr egal, dass sie in seiner Gegenwart fluchte; insbesondere, da die Carlisle-Brüder es gewesen waren, die sie noch als Kind das Fluchen gelehrt hatten. Erst recht, da Sebastian sie ohnehin nie als sittsame, höfliche Dame der gehobenen Gesellschaft betrachtet hätte. Und vor allem würde es ihn nicht einmal kümmern, dass sie in dieser Nacht alles durcheinandergebracht hatte.
Doch sie wusste auch, dass er seine Familie erbittert beschützte und sie nicht gehen lassen würde, bis sie ihm erklärt hatte, was sie mit seinem Bruder vorgehabt hatte.
Sie gab sich mit einer Grimasse geschlagen und räumte leise ein: „Robert wird um ihre Hand anhalten, ich weiß es.“
„Um wessen Hand?“, fragte er verblüfft.
„Diana Morgan.“ Ihre Sicht verschwamm in einer Mischung aus Wut und Demütigung, und ihre Schultern sanken unter dem Gewicht dieser Gefühle herab. „General Morgans Tochter. Er hat sie zur Hausparty eingeladen und wird sie während der Ballsaison umwerben.“
„Was hat das mit all dem hier zu … Oh.“
„Ja.“ Sie verdrehte die Augen. „Oh. Heute Abend war meine letzte Chance, um von ihm als etwas anderes als eine Freundin wahrgenommen zu werden. Deshalb habe ich dieses Kostüm getragen.“ Sie deutete mit einer hoffnungslosen Handbewegung auf das Kleid, das jetzt ganz zerknittert war, nachdem er auf ihr gelegen hatte. Gütiger Himmel, wie konnte ein Kleidungsstück, an dem so wenig Stoff dran war, so teuer sein? „Und die einzige Person, die mich darin gesehen hat, warst du. Niemand Wichtiges.“
Er verzog mürrisch den Mund. „Danke.“
„Ach, du weißt, was ich meine!“ Ihre Hand schoss in die Höhe und sie wischte sich über die Augen. „Aber ich dachte, wenn Robert mich so sehen könnte, würde er mich vielleicht … nur vielleicht …“ Sie zuckte mit einer Schulter und kam sich jämmerlich vor. „… bemerken.“
„Aber … Robert?“
Sie zuckte beschämt zusammen und schob ihn weg, um aus dem Bett zu steigen. Sie hätte beinahe vergessen, ihre Maske mitzunehmen, bevor sie an ihm vorbei zur Tür eilte.
Ein Schluchzen blieb ihr im Halse stecken. Was für eine entsetzliche Nacht! Sie wollte nur noch flüchten und sich nie wieder in Chestnut Hill oder Islingham Village blicken lassen, oder sonst irgendwo in England, wenn sie ehrlich war; nur damit sie niemals aus Zufall Sebastian begegnen würde. Oder Robert, denn Sebastian würde seinem Bruder gewiss hiervon erzählen. Oh, die beiden würden sich köstlich darüber amüsieren …
„Warte.“ Er packte sie am Arm und zog sie wieder zu sich.
Sie geriet aus dem Gleichgewicht, machte einen Schritt nach hinten und ihre Beine verfingen sich in dem hauchdünnen Rock. Sie stolperte gegen ihn und er legte seine Arme um sie, damit sie nicht fiel.
Erneute Demütigung erhitzte ihre Wangen. Sie war vor ihm gestolpert, wie ein stümperhafter Tölpel, und dann direkt in seine Arme gestürzt. Auf diese jämmerliche Weise. Ihre Sicht verschwamm. Wie sich herausstellte, bestand diese Nacht nur aus einer Reihe von Blamagen.
„Lass mich gehen“, flehte sie.
Er lockerte die Umarmung nicht. „Miranda, es tut mir leid.“ Seine Entschuldigung klang überraschend freundlich. „Ich hatte keine Ahnung, dass du …“
Sie hob den Blick in sein Gesicht und wappnete sich gegen das Mitleid, das sie dort gewiss entdecken würde.
Doch stattdessen sah sie ungläubige Neugier. „Ich bin nur überrascht“, erklärte er sanft.
Ihr Hals schnürte sich zu. Er hatte das gewiss nicht als Beleidigung gemeint, doch zusammen mit all den Erniedrigungen dieser Nacht schmerzten seine Worte. „Überrascht, mich in deinem Gemach vorzufinden?“ Mit einem pikierten Schnauben reckte sie die Nase in die Luft. „Oder überrascht, weil ich womöglich Gefühle für deinen Bruder habe?“
„Ja“, antwortete er aufrichtig, „beides.“
Mit einem wütenden Ächzen drückte sie gegen seine Brust, um sich von ihm wegzuschieben.
Er packte ihre Schultern und hielt sie fest; sein strammer Körper bewegte sich nicht einen Zentimeter. „Und ehrlich gesagt auch darüber, dass du überhaupt Robert willst, statt eines netten Mannes aus dem Dorf.“
Sie biss sich auf die Lippe, um nicht zu schreien. War es das, was alle Carlisle-Männer in ihr sahen? Ein törichtes Mädchen vom Lande, das einen langweiligen Vikar oder einen Landwirt heiraten und für den Rest ihres Lebens Kirchenbänke polieren oder auf einem Hof die Schweine jagen würde? War das das Beste, was sie in ihrem Leben würde erreichen können? Oh, sie wollte so viel mehr! Sie sehnte sich nach Abenteuern und Spannung, nach einer eigenen, großen Familie, die sie lieben konnte, und nach einem Zuhause hier in Islingham, umgeben von den Menschen, die ihr am Herzen lagen und für die sie alles tun würde. Sie war nicht so närrisch, zu glauben, dass sie einen Mann von Rang heiraten könnte, wie einen Gentleman mit Landbesitz oder einen Adligen.
Aber den Bruder eines Adligen …
Doch wenn Robert sie ähnlich betrachtete wie Sebastian, dann würde er sie nie als eine Frau wahrnehmen, mit der er den Rest seines Lebens verbringen könnte, und alles, was sie in dieser Nacht durchgemacht hatte, wäre nur eine gründlich erniedrigende Zeitverschwendung. Und Geldverschwendung obendrein. Man hätte sie in dieser Nacht auch ins Regal stellen und mit einem Nicht-anfassen-Schild versehen können, denn ihr Leben, so wie sie es sich ausgemalt hatte, war unwiderruflich vorbei.
Sie wandte das Gesicht ab und blinzelte mehrfach. Sie wollte lachen! Und bitterlich weinen.
„Für das, was ich eben getan habe“, sagte Sebastian, nachdem er tief eingeatmet hatte, „tut es mir aufrichtig leid.“
Ja, davon ging sie aus. Jetzt, da er wusste, dass sie es war, und keine Verführerin, die sich schamlos in sein Gemach geschlichen hatte, um mit dem Duke eine wilde Nacht zu verbringen. Immerhin hatte er nicht sonderlich zaghaft gewirkt, als er ihren Rock hochgezogen hatte.
Er drückte ihre Schultern in einer Geste freundlicher Zuneigung. Es waren dieselben Hände, die noch vor wenigen Augenblicken ihre nackten Brüste gestreichelt hatten; was ihr so sehr gefallen hatte, dass der Gedanke jetzt noch ein Kribbeln durch ihren Körper schickte …
„Oh Gott, nein!“ Sie presste sich eine Hand auf die Lippen, in Entsetzen ob ihres plötzlichen Ausbruches – und mehr noch in Entsetzen darüber, dass es ihr gefiel, wie er sie berührt hatte. Ausgerechnet Sebastian!
„Wie bitte?“ Er runzelte die Stirn und wirkte verwirrt, ob ihres Verhaltens.
„Ich meine, dass keine Entschuldigung nötig ist. Es war nichts.“ Sie trat einen Schritt zurück und dieses Mal ließ er sie los. „Ein Irrtum, mehr nicht. Und ich wüsste es sehr zu schätzen“, sie machte einen weiteren Schritt nach hinten, damit sie mit einigen weiteren Schritten die Tür erreichen und in den Flur fliehen könnte, ehe die Tränen sie übermannten, „wenn du so gut wärst, für dich zu behalten, was heute Nacht hier geschehen ist.“
„Natürlich“, willigte er feierlich ein.
Verlegenheit brannte auf ihren Wangen. „Ich meine es ernst, Sebastian. Wenn du irgendjemandem hiervon erzählst, insbesondere Robert oder Quinton, werde ich … ich werde …“
„Was wirst du tun?“ Er stellte ihren schwachen Versuch einer Drohung auf die Probe und duckte sich, bis seine Augen auf einer Höhe mit den ihren waren. Verflucht sollte er sein, für seine Größe! Und für seine … Dukehaftigkeit.
Sie streckte kühn das Kinn vor, als sie eine Inspiration überkam, und sagte forsch: „Ich werde deiner Mutter erzählen, was wirklich mit dieser chinesischen Vase passiert ist, die dein Vater ihr zu Weihnachten geschenkt hat!“
Einen Moment lang starrte er sie ausdruckslos an und schien nicht begreifen zu können. Dann kniff er die Augen zusammen, als würde er im Parlament einen politischen Gegner mustern und nicht das lästige Mädchen von nebenan. Er richtete sich zu seiner vollen Größe auf … so unglaublich groß. Eigenartig, dass ihr das noch nie zuvor aufgefallen war. Oder, wie viel muskulöser sein großer Körper im Vergleich mit Robert war, oder dass ihm sein goldblondes Haar so verwegen in die Stirn fiel, dass sie es wegwischen wollte.
Es war verblüffend, welche Details eine Frau an einem Mann bemerken konnte, nachdem sie seine Lippen gespürt hatte.
„Dann sind wir uns einig?“, hakte sie nach.
Es war bestenfalls eine schwache Drohung – ihr Ruf gegen eine Vase, die vor Jahren auf beschämende Weise zerstört worden war; auf einer Feier, die die Brüder veranstaltet hatten, während die Eltern in London gewesen waren. Doch seine Mutter hatte diese Vase geliebt, und Miranda scheute sich nicht davor, das zu ihrem Vorteil auszunutzen.
„Einverstanden“, sagte er.
Gott sei Dank! Sie drehte sich zur Tür um und atmete tief durch, um loszurennen …
Er streckte einen Arm über sie hinweg und legte seine Hand an die Tür, damit sie sie nicht aufreißen konnte. „Warte.“
Warte? Ihr Herzschlag setzte kurz aus, dann pochte es so wild in ihrer Brust, dass sie zusammenzuckte. Dieser Mann verärgerte sie nicht nur, er war auch noch schrecklich grausam … Warte?
Als sie ihn über die Schulter hinweg ansah, glaubte sie zu sehen, wie sein Blick von ihren Brüsten zu ihrem Gesicht heraufzuckte. Doch das war unmöglich. Sebastian würde niemals derart an ihrem Kleid hinunterschauen. Nicht mehr, jetzt, da er wusste, wer sie war … oder?
Doch als er nach dem Jackett griff, das er über den Sessel geworfen hatte, und es ihr hinhielt, verdrehte sie die Augen, da sie sich völlig albern vorkam. Oh, er hatte durchaus auf ihre Brüste geschaut … und nach einem guten Weg gesucht, um sie zu verhüllen.
„Es wäre besser, wenn man Euch nicht in diesem Kleid aus meinem Zimmer schleichen sähe, Lady Rose“, warnte er.
Sie zog das Jackett an und ihre Eingeweide verkrampften sich, als sie seinen Duft einatmete, der von dem überaus feinen Stoff aufstieg. Sie unterdrückte ein Stöhnen der Niederlage. Natürlich roch er gut.
Dann deutete er auf ihre Maske und sie reichte sie ihm. Er hob sie an die richtige Stelle und band sie hinter ihrem Kopf fest. Als er eine Hand auf ihre Schulter legte, während er mit der anderen langsam die Tür einen Spaltbreit öffnete, sickerte die Wärme seiner Finger langsam in ihre Haut, bis hinunter zu ihren Brüsten. Unter dem dünnen Kostüm stellten sich ihre Nippel verräterisch auf, während sie daran dachte, wie seine Hände mit ihnen gespielt hatten.
Angesichts dieser vollendeten Demütigung wurde ihr flau im Magen. Selbst ihr eigener Körper hatte sich in dieser Nacht gegen sie verschworen und fraternisierte mit dem Feind.
Er warf einen Blick an ihr vorbei in den Flur und senkte dann seine Lippen an ihr Ohr. „Geh über die Hintertreppe bis ins Erdgeschoss. Der Flur unten wird mittlerweile dunkel und leer sein. Geh durch die Terrassentür in meinem Arbeitszimmer nach draußen und halte dich an die Gartenmauer, wo die Schatten am dunkelsten sind, bis du an den Ställen vorbei bist. Und lass dich auf keinen Fall entdecken.“ Seine tiefe Stimme kitzelte an ihrer Wange und sie erschauderte. „Insbesondere nicht von meiner Mutter.“
„Woher weißt du so viel darüber, wie man sich hinausschleicht?“, fragte sie flüsternd, da sie die detaillierten Anweisungen überraschten.
Er antwortete mit einem heißblütigen Glucksen, das rumpelnd durch ihren Körper fuhr. „Weil ich einer der Carlisle-Brüder bin.“
Als sie den Kopf drehte, um ihn über die Schulter hinweg anzuschauen, gab er ihr einen Klaps auf den Po. Sie zuckte zusammen.
„Los!“
Sie trat in den Flur hinaus und floh so schnell aus Chestnut Hill, wie ihre Füße sie trugen. Ihre nackten Füße. Sie ächzte ob ihrer eigenen Torheit und verdrehte die Augen, weil sie ihre Slipper in seinem Gemach zurückgelassen hatte. Und sie würde nicht dorthin zurückkehren.
Niemals.