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Schottland, Oktober 1715
Reue ist ein kalter Weggefährte, und ich lebte Monate lang mit ihr, nachdem Alex mich verlassen hatte. Sie war mein steter Begleiter, doch nie empfand ich sie stärker als am Ende des Tages, wenn ich die Stufen des Wehrturms erklomm und zusah, wie die Sonne hinter einer blauen Insel unterging. Allein.
Sie leistete mir auch später im Herbst Gesellschaft, als wir Frauen versuchten, Kilgannon am Leben zu erhalten, mit den Kindern und der Handvoll Männer, die zurückgeblieben waren. Sie war stets bei mir, während wir die magere Ernte einfuhren, uns im Fischen versuchten, das Vieh zusammentrieben und auf die Winterweiden brachten. Abends versuchte ich, nicht nachzudenken, während ich meine mit Blasen übersäten Hände verband und mit den anderen Frauen über unsere neu entdeckten Fähigkeiten lachte. Aber die Reue war nie weit weg. Sie stand mit mir am Hafen, als ich zusah, wie die letzten Männer die Briggs bestiegen, um den anderen nachzureisen, während ihre Söhne sie anfeuerten und ihre Frauen weinten.
Die Reue kam mit voller Wucht zur Geltung, als die Herbstnächte immer länger wurden und der Winter nahte, wenn ich am Fenster stand und zusah, wie der eisige Regen daran hinablief. Mitte September war Alex in den Krieg gezogen, vier Wochen nach seinem Geburtstag, eine Woche vor meinem. Die Reue spielte den Ehrengast bei meiner kärglichen Geburtstagsfeier, die Ellen organisiert hatte, um mich aufzuheitern. Ich gab mir Mühe, fröhlich zu wirken, und bedankte mich bei ihr. Tatsächlich war ich sehr froh, sie bei mir zu haben, denn ich konnte mir ein Leben ohne sie nicht mehr vorstellen. Es fiel mir schwer, mich daran zu erinnern, dass sie einst ein Dienstmädchen im Haus meiner Tante in London gewesen war. Sie beklagte sich nie, obwohl ihr Liebster, der Kleine Donald, mit Alex losgezogen war. Dass die Reue auch Ellens ständige Begleiterin war, milderte meinen Kummer nicht, sondern verschärfte ihn noch.
Die langen Oktober- und Novembernächte vergingen quälend langsam. Schlaflos strich ich durch die Flure von Kilgannon, führte Gespräche und hielt Reden in meinem Kopf, dachte daran, was in jedem Teil dieses Hauses geschehen war, oder starrte die Porträts in der Ahnengalerie an, als hätten sie mir etwas zu sagen. Ich bereute, dass ich ihn hatte gehen lassen. Ich bereute, dass er gegangen war. Ich bereute, dass er seine Verpflichtung mir gegenüber nicht allen anderen Pflichten vorgezogen hatte und dass ich seine Entscheidung nicht würdevoll akzeptieren konnte. Ich bereute, dass ich meinem Ehemann all meine Wut und Angst offenbart hatte. Ich hätte ihm sagen sollen, dass ich vollstes Vertrauen in ihn und seine Männer hatte, aber ich hatte nur geweint und ihm gesagt, dass er verlieren würde. Und ich bereute in diesen langen, einsamen Stunden, dass aus unserer Ehe noch kein Kind hervorgegangen war und dass dies nun vielleicht nie geschehen würde. Ich stand jeden Abend an dieser Brüstung auf dem Turm, betrachtete die blaue Insel und schlug Gott einen Tauschhandel nach dem anderen vor, für eine einzige weitere Nacht mit meinem Liebsten. Wie viele Frauen, fragte ich mich, hatten über die Jahrhunderte hinweg ins Leere gestarrt und sich gewünscht, ihre Männer mögen endlich heimkehren? Es ist mir gleichgültig, wer König ist, erklärte ich den Steinen. Es ist mir gleichgültig, wer den Krieg gewinnt. Bringt mir nur meinen Liebsten zurück. Doch die Steine blieben stumm, und schließlich stieg ich wieder hinab zu den anderen.
Ich bereute es niemals, dass ich Alex liebte, dass ich ihn geheiratet hatte oder dass ich mit ihm an diesen unmöglichen Ort gezogen war. Meine Begegnung mit Alex MacGannon in jener Sommernacht im Jahr 1712 hatte mein Leben für immer verändert. Er war wie kein anderer Mann, den ich je getroffen hatte, und von Anfang an hatte mich der blonde Hüne fasziniert, der in seinen Highland-Gewändern, seinen tadellosen Manieren und diesem bezaubernden Lächeln den Ballsaal meiner Tante betreten hatte. Er war ehrlich und direkt, steckte voller Humor und verachtete die Konventionen, an die sich das vornehme London so sklavisch hielt. Außerdem war mir noch nie ein so gut aussehender Mann begegnet. Das hatte sich auch während unserer Ehe nicht geändert. Mir stockte immer noch der Atem, wenn er auf mich zukam, ich war immer noch wie behext von seiner Berührung und erlebte eine Leidenschaft, von der ich mir nie hätte träumen lassen. Auch nach zwei Jahren Ehe brauchte er mich nur mit diesen blitzenden, tiefblauen Augen anzuschauen, und ich gehörte ihm. Und jetzt war er in den Krieg gezogen, und mit ihm war all meine Hoffnung auf Glück dahin, denn es war mein eigenes Land, gegen das er kämpfte. Wie sehr ich damit zu ringen hatte. Und mit ihm – ich hatte ihn angefleht, sich nicht den Jakobiten anzuschließen, keinen Hochverrat zu begehen. Denn das war Hochverrat. Und Wahnsinn. Ich wusste, dass sie nicht gewinnen konnten, dass sie nicht hoffen durften, die übermächtigen Englischen Armeen herauszufordern und den Sieg davonzutragen. Ganz gleich, wie ruhmreich ihre Absichten, wie aufrichtig ihre Überzeugungen oder wie kühn ihre Krieger auch sein mochten, sie konnten nur verlieren.
Dennoch würde ich nicht nach England zurückkehren. Ich würde auf Kilgannon bleiben, seit Generationen das Heim der MacGannons, fürs Erste sicher in dieser beeindruckenden Festung. Alex‘ Zuhause, und nun meines, lag auf einem Hügel oberhalb eines tiefen Meerbusens, der eher einem See glich, und es war sehr gut befestigt. Alex‘ Frau und seine Söhne waren hier gut geschützt. Aber wie lange noch? Ich konnte meine Ängste nicht abschütteln. Alex würde vielleicht nie zurückkehren, er könnte auf irgendeinem fernen Schlachtfeld den Tod finden oder von den Engländern gefangen genommen werden. Meinem Volk. Dem Feind. Aber mein Herz hatte mir die Entscheidung hierzubleiben leicht gemacht. Ich war die Frau des MacGannon, und ob er den Titel des zehnten Earls of Kilgannon – und damit auch meinen Titel als Gräfin – verwirkte oder nicht, spielte keine Rolle. Ich wollte ihn nur wohlbehalten zu Hause haben, bei mir und seinen beiden Söhnen aus seiner ersten Ehe, die nun auch meine Söhne waren.
Politik war mir nicht wichtig. Alex hingegen schon. Und wenn ich ganz aufrichtig zu mir selbst war, musste ich mir eingestehen, dass ich seine Entscheidung sogar mit einem widerwilligen Respekt betrachtete. Ich wusste, dass er mich liebte, aber ich wusste auch, dass er seine Pflicht und Loyalität seinem Volk gegenüber, wie er es sah, stets an erste Stelle setzen würde. Ich bereute es nicht, einen so ehrenhaften Mann geheiratet zu haben, – nur dass ich die MacKinnons und MacDonalds durch unsere Tür gelassen hatte. Als sie gekommen waren, um Alex aufzufordern, er solle sich mitsamt seinem Clan auf die Seite von James Stewart stellen, da hätte ich gnadenlos unhöflich sein und ihnen die Tür weisen sollen. Aber ebenso gut hätte ich versuchen können, die Flut aufzuhalten, wie Alex daran zu hindern, sich diesem Freiheitskampf anzuschließen.
Die Reue begleitete mich natürlich auch an jenem kalten, windigen Abend, als uns die Nachricht von der Schlacht von Sheriffmuir am dreizehnten November erreichte. Der Läufer, ein MacDonald, stand zitternd vor uns.
„Fünf von Kilgannons Männern wurden getötet“, berichtete er. „Andrew, Earvan und Cian MacGannon, Fergus MacManus und Sim of Glendevin. Angus hat keinen Kratzer abbekommen, und Matthew auch nicht. Wenn noch andere Männer aus Kilgannon ums Leben gekommen wären, hätte ich gewiss davon gehört.“ Ellen seufzte erleichtert auf. „Euer Laird ist wohlauf, Lady Mary, aber er wurde verwundet.“
Die Jungen schrien auf, und ich sprang von meinem Stuhl, Ian neben mir ebenfalls. „Alex wurde verwundet? Wie schlimm ist es?“
„Soweit ich weiß, war es keine allzu schlimme Wunde. Es geht ihm schon viel besser.“
Ich nickte, setzte mich wieder und zog Ian ebenfalls auf seinen Stuhl herunter, während der erschöpfte Mann weitererzählte. Die Frauen und Kinder drängten sich um uns, und als er von der Schlacht sprach, sah ich die Augen meiner Söhne aufblitzen.
„Es war eine große Schlacht“, sagte er. „Die Jakobiten unter Mar waren zwölftausend Mann stark. Die Engländer hatten viel weniger, und Campbells“, – er spie den Namen förmlich aus, – „waren auch darunter.“ Robert, dachte ich und erinnerte mich an den jungen Campbell, der in London um mich geworben hatte. Der Läufer fuhr fort: „Eure Männer waren mit uns MacDonalds und den Macleans an der rechten Flanke, unter General Gordon.“
Er nippte an seinem Whisky, während ich mir die Szene vorstellte. Alex und all die Männer aus Kilgannon, die ich so gut kannte, an der Seite der MacDonalds und Macleans. Murdoch Maclean muss hocherfreut gewesen sein, dachte ich, als ich mich daran erinnerte, dass Alex‘ bester Freund außerhalb seines eigenen Clans sich alle Mühe gegeben hatte, Alex zu überreden, damit er sich dieser Rebellion anschloss. Murdoch, einem hünenhaften Mann, sehr leidenschaftlich in allem, was er tat, stand das Lachen besser als das Schlachten von Menschen. Trotz all seiner Mühen hatte er Alex nicht dazu überreden können, sich den Aufständischen anzuschließen. Es war Sir Donald MacDonald gewesen, das Oberhaupt der MacDonalds von Skye, der gewusst hatte, wie man Alex zu so etwas bewegte, und Donald hatte dieses Wissen genutzt. Das würde ich ihm nie verzeihen.
Ian fragte in die Pause hinein: „Wer hat gewonnen?“ Der Mann sah ihn ausdruckslos an. „Niemand.“
„Niemand?“ Ich konnte nicht stumm bleiben. „Niemand?“
„Nein.“ Der Läufer wirkte betreten. „Beide Seiten haben sich zurückgezogen. Mar ist nach Perth gegangen. Euer Laird wollte unseren Vorteil nutzen, wie auch viele andere, und er wurde sehr laut, als man ihn ignorierte, aber dann erfuhren wir von der Niederlage in Preston ...“
„Preston?“
„Ja. In England. Habt Ihr davon noch nichts gehört? Ein Teil von Mars Streitkräften ist nach Süden gezogen und hat sich den englischen Jakobiten angeschlossen. Sie haben bei Preston gekämpft und verloren. Die Lords Kenmure und Derwentwater gerieten in Gefangenschaft. Viele haben Mar danach verlassen.“
„Und was geschieht jetzt?“
„Wie ich höre, kommen Truppen aus den Niederlanden den Engländern zu Hilfe. Mar ist in Perth. Argyll führt die englischen Truppen an, und er kann nur hoffen, dass Mar seinen Vorteil jetzt nicht ausnutzt. Aber wenn die holländischen Truppen eintreffen ...“ Sein Satz verklang halb beendet. Wenn Argyll die Engländer anführte, dachte ich, dann würde Robert, der stets in der Nähe seines Cousins zu finden war, ebenfalls in diese Schlacht ziehen. Gegen Alex.
„Wie kann es eine Schlacht geben, bei der niemand gewinnt?“, fragte Ian.
Der Läufer warf mir einen Blick zu und sah dann Ian an.
„Ich weiß es nicht, mein Junge, aber so wurde es mir berichtet.“ Ian nickte und fand sich offenbar erst einmal damit ab.
So unschön die Nachrichten auch waren, zumindest wussten wir, dass Alex noch lebte. Aber er war verletzt worden, andere waren gestorben, und Trauer füllte die Halle von Kilgannon.
Ich besuchte die Familien der Männer, die gestorben waren, und wir hielten einen improvisierten Gottesdienst für sie ab, doch ich fand nicht die Worte, den Schmerz zu lindern, und ich glaube nicht, dass ich irgendjemandem helfen konnte. Bei meinem Besuch in Glendevin erfuhr ich, dass Lornas Mann, Seamus MacDonald, in der Schlacht getötet worden war und dass Lorna aus Skye hierher zu ihrer Mutter gekommen war. Ich hielt Lornas Sohn Gannon in den Armen, während sie mir davon erzählte, und dachte an ihre Hochzeit erst vor kurzer Zeit im selben Sommer, in dem Malcolm, Alex‘ jüngerer Bruder, Sibeal MacDonald geheiratet hatte. Und wo war Malcolm jetzt?, fragte ich mich.
Ich verabscheute meinen Schwager. Ich hasste ihn schon seit unserer ersten Begegnung, und erst recht, seitdem seine perfiden Manöver enthüllt worden waren, seine Versuche, Alex zu schaden, bis hin zu einem Mordanschlag. Malcolm hatte Alex vergiftet, um die Tatsache zu vertuschen, dass Malcolm und ein Kapitän sich miteinander verschworen hatten – Malcolm hatte vorgetäuscht, eines von Alex‘ Schiffen sei gesunken, die Diana aber in Wahrheit an den Kapitän ‚verkauft‘ und das Geld eingestrichen. Das Schiff hatten wir wiederbekommen, aber den Giftanschlag hatte ich ihm nie verziehen, ebenso wenig wie die beiden Angriffe auf Alex in London, denn ich war überzeugt davon, dass Malcolm sie ausgeheckt hatte. Beim ersten Anschlag wäre ich selbst fast ums Leben gekommen; beim zweiten Mal Alex. Nein, ich würde Malcolm nie verzeihen. Er war ein Lügner und ein Dieb, und er hatte mit allen Mitteln versucht, sich bei Alex wieder einzuschmeicheln. Das hatte auch geklappt. Vorübergehend. Doch als Malcolm seine Frau verprügelt hatte, weil sie seiner Untreue auf die Schliche gekommen war, hatte er danach auch mich bedroht, und das war sogar für Alex zu viel gewesen. Er hatte Malcolm für immer von Kilgannon verbannt. Selbst da hatte Malcolm es weiterhin versucht, er hatte an Alex geschrieben und ihn um Hilfe angefleht, als der Earl of Mar damit gedroht hatte, Malcolm das Dach über dem Kopf anzuzünden, falls er sich nicht der Rebellion anschloss.
Malcolm lebte auf Clonmor, auf den Ländereien, die Alex ihm geschenkt hatte – Land, das ihre Mutter als Mitgift in den Besitz der MacGannons eingebracht hatte. Und Clonmor unterstand, wie alles Land außen herum, John Erskine, dem Earl of Mar – es war dessen Recht, von Malcolm Truppen und Unterstützung anzufordern, ob es Malcolm nun passte oder nicht. Ich vertraute Malcolm nicht, und auch seine Bitte um Hilfe hatte mich kalt gelassen. Wo war Malcolm jetzt?, fragte ich mich beunruhigt.
Eine ganze Weile blieben Neuigkeiten aus. Kurz nachdem die letzten Männer aufgebrochen waren, hörten wir, dass der französische König Louis XIV. verstorben war. Mit seinem Tod standen die Unterstützung und das Gold auf dem Spiel, das Frankreich den aufständischen Jakobiten versprochen hatte. Frankreich wurde nun von einem Jüngling regiert und galt bestenfalls als schwacher Verbündeter. Die Gerüchte wurden immer wirrer. Frankreich hatte zehntausend Mann geschickt. Oder keinen einzigen. James Stewart war in Schottland angelandet, mit französischen Truppen und Gold. Die Franzosen hatten sich mit den Engländern verbündet. Spanien befand sich im Krieg mit England. Spanien führte Krieg gegen Frankreich. Spanien hatte sich mit England verbündet. Wir warteten auf Tatsachen.
Ich schrieb meiner Tante Louisa in London, der Schwester meiner Mutter, und ihrem Mann, meinem Onkel Randolph. Ich schrieb meinem Bruder Will und seiner Frau Betty, schilderte allen, was geschehen war, und bat sie, nicht wie üblich über Weihnachten zu Besuch zu kommen. Ich erhielt keine Antwort und hatte keinerlei Gewissheit, ob meine Briefe sie überhaupt erreicht hatten. Die Post war stets unzuverlässig und jetzt so gut wie unbrauchbar. In der Vergangenheit hatten wir uns auf die Reisen unserer Briggs verlassen, die uns Neuigkeiten und Briefe mit zurückgebracht hatten. Aber jetzt lagen die Mary Rose und die Katrine auf dem See vor Anker, und auf der Margaret und der Gannon‘s Lady waren unsere Männer davongesegelt.
Ich hatte nicht erwartet, dass ich die Briefe von meiner Familie so sehr vermissen würde. Louisa hatte immer Neuigkeiten aus der Gesellschaft und den jüngsten Klatsch und Tratsch aus London für mich, während Randolph mich politisch auf dem Laufenden hielt und oft auch etwas für Alex einstreute, etwa eine neue Idee in der Pferdezucht oder die jüngsten Neuerungen im Kutschenbau. Dass diese Themen Alex selten interessierten, war nicht der springende Punkt. Wir beide schätzten Randolphs zuvorkommende Freundlichkeit sehr. Mein Bruder schrieb mir von meinem Elternhaus, Mountgarden, von seinen Bewohnern und dem Rhythmus der Jahreszeiten an diesem wunderschönen Ort, und ich dachte dann voll Nostalgie an alles, was ich in Warwickshire zurückgelassen hatte. Und er schrieb von seinem Leben mit der oberflächlichen, aber schönen Betty. Die Ehe meines Bruders war sehr glücklich. Briefe von meiner besten Freundin, Rebecca Washburton Pearson, erreichten mich viel seltener, weil sie den Atlantik überqueren mussten. Sie schilderte mir ihren Alltag in Carolina, und wie sie sich darin schlug, sich nicht nur an das Eheleben, sondern genau wie ich an das Leben mit einem völlig anderen Volk zu gewöhnen. Sie schrieb von ihrer Tochter, und manchmal gestand sie mir, wie sehr sie sich in ihrem ewig gleichförmigen Leben langweilte. Um diese Langeweile beneidete ich sie beinahe ebenso sehr wie um ihre kleine Tochter. Ich hatte längst erkannt, dass mein Leben niemals langweilig sein würde, solange ich mit Alex MacGannon verheiratet war. Ich hatte Rebeccas Briefe wie einen kostbaren Schatz gehütet, sie immer wieder gelesen und manchmal sogar Alex laut daraus vorgelesen. Wie sehr sich unser beider Leben doch von dem unterschied, was wir uns als kleine Mädchen vorgestellt hatten. Becca hatte Lawrence geheiratet und war mit ihm auf seine Plantage in den Kolonien gezogen; und ich hatte meinen Schotten geheiratet und lebte nun auf seiner Burg in den Highlands. Wir hatten immer angenommen, dass wir als Erwachsene sein würden wie unsere Mütter, Nachbarinnen und Freundinnen fürs ganze Leben. Aber, so dachte ich, meine Mutter war früh gestorben, und ihre Schwester Louisa und ihre beste Freundin Eloise, jetzt die Duchess of Fenster, hatten ohne sie weitermachen müssen. Meine Tante und die Herzogin waren allerdings eng befreundet, ebenso mit Beccas Mutter Sarah. Ich war fest entschlossen, dass auch Rebecca und ich für immer Freundinnen bleiben würden, ganz gleich, unter welchen Umständen. Aber wie?, fragte ich mich in den dunkelsten Stunden meiner Einsamkeit und Angst. Wie konnten wir Freundinnen bleiben?
Unser trübseliger Haushalt bemühte sich, die Traditionen einzuhalten. Weihnachten war eine triste Angelegenheit, und obwohl wir das Neujahrsfest mit so vielen lieb gewonnenen Traditionen begingen wie nur möglich, war keiner von uns zum Feiern zumute. Ich glaube, wir alle atmeten erleichtert auf, als wir mit dieser Farce wieder aufhören konnten.
In den frühen Morgenstunden des ersten Januar wickelte ich mich fest in Alex‘ alten Plaid und ließ den Tränen freien Lauf, die ich ständig zurückhalten musste. Schluchzend erinnerte ich mich an die festlichen Feiertage im vergangenen Jahr. ‚Je suis content‘ hatte Matthew gesagt und sich damit gutmütigen Spott zugezogen. Ich hatte ihm insgeheim zugestimmt. Ich war zufrieden gewesen. Und jetzt, zwölf Monate später, hing mein Leben in Fetzen, mein Ehemann war weit fort mit seinen Männern, besiegte Rebellen, die um ihr Leben rannten.
Endlich schlief ich ein, aber meine Träume waren so lebhaft, dass ich Alex‘ Stimme noch im Schlafzimmer hören konnte, als ich aufwachte. Ich hatte im Traum den Tag durchlebt, an dem er mich zum ersten Mal ‚Mary, meine Rose‘ genannt hatte. Wir hatten Duncan of the Glen besucht, und bei unserem Aufbruch hatte einer seiner Söhne mir eine wunderschöne weiße Rose geschenkt, winzig, aber mit einem starken Duft. Eine Wildrose, hatte Thomas mir erklärt. „Sie ist klein und empfindlich, aber sie treibt immer wieder aus. Wenn sie einmal Wurzeln geschlagen hat, kommt man nicht gegen sie an, ganz gleich, was man auch versucht“, hatte er gesagt. Und Alex hatte lachend und mit leuchtend blauen Augen seine Männer gefragt: „Wen kennen wir, der klein und wunderschön und sehr empfindlich ist?“ Als alle sich daraufhin nach mir umdrehten, hatte Alex gegrinst und gesagt: „Wir nennen sie Marys Rose.“ Später am Abend hatte er bemerkt, wie sehr dieser Name zu mir passte, und seither nannte er mich seine Rose. Als ich aufwachte, hing noch das Echo seiner Stimme im Raum. „Dein Körper ist sehr zart, Mary, meine Rose“, hatte er gesagt. Ich schloss erneut die Augen und hoffte, seine Nähe auch nur für einen Augenblick beschwören zu können. Aber er war fort, und die Nacht dehnte sich endlos vor mir aus.
Das Jahr 1716 brachte scheußliches Wetter und Kälte. Ellen und ich verbrachten die Abende mit den Jungen in der Bibliothek oder in der Halle, wo sich die Frauen des Clans immer öfter mit ihren Kindern versammelten. Dies war einer dieser Abende; draußen fiel Schnee, der Wind heulte in den Fensternischen, und die ersten Männer von Kilgannon kamen heim. Wir hörten einen Aufschrei aus dem Hof und einer der Jungen, denn mehr war uns für Aufgaben wie das Wachen nicht geblieben, platzte zur Tür herein und schrie: „Lady Mary, Reiter nähern sich dem Tal, Männer aus Kilgannon, etwa zwanzig. Sie werden bald hier sein.“ Ich hatte mich erhoben, als er hereingestürmt war. Ich nickte, und mein Herz begann zu pochen. Lieber Gott, betete ich, lass Alex dabei sein, doch noch während ich das dachte, wurde mir klar: Wenn nur zwanzig nach Hause kamen, würde Alex nicht dabei sein. Außer die anderen wären alle tot.
Wir ergossen uns die Treppe hinab, als die Männer in den Hof kamen. Um mich herum schrien Frauen vor Freude, als sie ihre Männer erblickten, und rannten schluchzend und lachend auf sie zu. Ellen und ich blieben mit Thomas MacNeills Frau Murreal auf der Treppe stehen und beobachteten das glückliche Wiedersehen, wechselten dann ernste Blicke und drehten uns um, um wieder hineinzugehen. Alex‘ Cousin Dougall, den Arm noch um seine Frau Moira geschlungen, drängte sich zwischen den vielen Leuten hindurch und rief nach mir. Der hünenhafte Mann wirkte stark gealtert, sein Gesicht war grau vor Erschöpfung, und er hatte eine Narbe an der Wange, die noch immer wie eine frische Wunde aussah, obwohl seit Sheriffmuir Wochen vergangen waren.
„Er ist nicht bei uns, Mary“, sagte Dougall mit brechender Stimme. „Aber er lebt.“ Dougall umarmte mich, während ich mit meinen Gefühlen rang und kein Wort herausbrachte. Dougall bemerkte meinen Zustand nicht, denn er trat zurück und kramte eifrig in seinem Plaid. Schließlich zog er einen zerknitterten Brief heraus und reichte ihn mir. „Von Alex“, erklärte er überflüssigerweise, denn ich hatte die Handschrift sofort erkannt und riss das Siegel auf. Ellen scheuchte mich nach drinnen, und der Rest des Clans drängte sich mit uns in die große Halle. Ich trat beiseite und las den Brief von meinem Mann inmitten des fröhlichen Durcheinanders.
Mary, meine Rose,
Ich gebe Dougall diese Zeilen mit nach Hause. Er wird Dir von Sheriffmuir und den Folgen berichten. Diese Rebellion ist ein größerer Albtraum, als ich es mir je hätte ausmalen können. Wir haben keine einige Führung, und die Hälfte unserer Streitmacht ist geflohen. Wir warten, während die Engländer sich neu bewaffnen und täglich Verstärkung vom Kontinent erhalten. Wenn wir schon nicht gewinnen konnten, als wir ihnen zahlenmäßig überlegen waren, was wird erst geschehen, wenn das Verhältnis ausgeglichen ist?
Überall im Land ziehen englische Truppen umher und üben Vergeltung, und wir mussten uns nach Perth zurückziehen und können kaum etwas tun, um sie aufzuhalten. Mar und die anderen schwingen nur ihre Reden, und ich bin sehr enttäuscht von ihnen, ebenso wie die MacDonalds, die Macleans und viele weitere. Wir sollten inzwischen vor London stehen, und König Georg sollte uns um Waffenstillstand anflehen – stattdessen sitzen wir hier untätig herum. Wenn nicht ein Wunder geschieht, sind wir zum Untergang verurteilt. Alles, was ich je darüber gesagt habe, dass die Clans sich vereinen oder untergehen müssen, wird hier bittere Wahrheit, und ich wünschte, ich müsste das nicht mitansehen. Schottland und die MacGannons werden hierfür teuer bezahlen.
„Mama“, sagte Ian, zupfte an meinem Rock und brachte mich damit in die Gegenwart zurück. Es dauerte einen Moment, bis ich Alex‘ Stimme nicht mehr in meinem Kopf hörte, und ich blickte mich überrascht um, als ich merkte, dass der ganze Clan mich erwartungsvoll ansah. „Komm und setz dich zu uns. Dougall will uns erzählen, was geschehen ist“, sagte Ian. Ich nickte Alex‘ Sohn zu, faltete den Brief zusammen und setzte mich an den Tisch, Dougall gegenüber.
„Alex hat uns nach Hause geschickt“, sagte Dougall, der mit einer Hand aß, den anderen Arm um Moiras runde, schwangere Taille geschlungen. Ihr Alasdair, noch nicht ganz zwei Jahre alt, saß auf dem Schoß seines Vaters, den Daumen im Mund.
„Warum? Was ist mit der Rebellion? Ist alles vorbei?“, fragte ich.
Dougall wirkte betreten. „Nein. Aber es tut sich nichts, also hat Alex diejenigen von uns heimgeschickt, die die kleinsten Kinder haben. Als wir aufbrachen, ging es den anderen gut, Mary. Aber ich muss dir sagen, dass Alex in der Schlacht verwundet wurde.“
Ich nickte. „Das habe ich erfahren. Wie geht es ihm jetzt?“
„Besser. Die Wunde war gar nicht so schlimm, aber sie fing immer wieder an zu bluten, weil Alex nicht im Bett bleiben wollte.“ Als ich fragte, warum, lachte Dougall und genehmigte sich einen Schluck Whisky. „Er war zu sehr damit beschäftigt, sich mit Mar zu streiten. Alex hat einen solchen Aufstand gemacht, dass Mar ihn schließlich von den Kriegsberatungen ausgeschlossen hat. Der MacDonald hat daraufhin erklärt, wenn Alex nicht mehr dabei sei, würde er auch nicht kommen, und die Macleans haben sich angeschlossen, also musste Mar ihn schließlich wieder reinlassen.“ Dougall lachte erneut.
„Ich glaube nicht, dass Bobbing John Erskine, der mächtige Earl of Mar, unseren Alex sonderlich schätzt.“
„Worüber haben sie sich denn gestritten?“, fragte ich.
„Mut“, sagte er, und die anderen Männer nickten.
„Oder den Mangel daran“, sagte einer. „Mar war nicht bereit, seinen Vorteil auszunutzen, und Alex und die anderen haben sich sehr darüber aufgeregt.“
„Ich weiß, was Mar sich dabei gedacht hat“, fuhr Dougall fort, „aber ich kann ihm nicht zustimmen. Nach der Schlacht hatten viele Männer nicht einmal mehr ihre Plaids. Sie hatten sie zum Kampf abgelegt und nur im Hemd gekämpft, aber bald danach begann es zu schneien, und wir hatten viele Männer ohne vernünftige Kleidung. Da sind einige nach Hause gegangen, und noch mehr, als die Nachricht von der Niederlage bei Preston kam. Die Straßen waren verstopft, so viele sind abgezogen.“ Er seufzte, hob das Kinn und warf einen Blick in die Runde der Leute, die sich hinter mir versammelt hatte. „Ihr werdet froh sein zu hören, dass wir die Schlacht auf unserer Flanke gewonnen haben. Wir waren furchterregend, jawohl, und das gilt auch für die Männer von Clonmor. Wir sind nicht eingebrochen, selbst dann nicht, als die linke Flanke und die Mitte zusammengebrochen sind.“ Dougall lehnte sich zurück und fügte mit leiser Stimme hinzu: „Aber ich werde diese Schlacht nie vergessen. Als ich einmal über den nächsten Gegner vor mir hinausgeschaut habe, konnte ich nicht glauben, was ich da sah.
Es war ein rotes Meer. Rotes Blut, rote Plaids, rote Uniformröcke, rotes Haar. Ich habe in meinem ganzen Leben noch nie so viele verschiedene Rottöne gesehen. Und Schlamm und aufgewühlte Erde, so mit Blut getränkt, dass man sich kaum mehr fortbewegen konnte, weil der Matsch die Hufe der Pferde festgesaugt hat.“ Moira schmiegte eine Hand an seine Wange, und er küsste ihre Handfläche. Dann sah er mich an. „Da wurde Alex verwundet. Er war zu Fuß wie Angus und ich und drei Feinde griffen ihn an. Angus ist ihm zur Seite geeilt, und ich auch, aber dann waren plötzlich vier weitere Männer um uns. Ich dachte, wir wären so gut wie tot, aber Gilbey kam an Alex‘ Rechte, und so trafen wir uns alle in der Mitte. Wer hätte gedacht, dass der verfluchte Tutor Alex das Leben retten würde? All die Schwertkampf-Lektionen bei Angus haben sich bezahlt gemacht.“ Er lachte und fuhr dann fort: „Als wir aufblickten, erkannten wir, dass die Schlacht vorüber war. Dann fiel Alex auf die Knie, und Gilbey schrie, er sei verletzt. Er hat so stark geblutet, dass wir schon dachten, wir würden ihn verlieren, aber er wollte das Schlachtfeld nicht verlassen, bis wir alle unsere Männer gefunden hatten.“ Dougall trank noch einen großen Schluck Whisky und starrte einen Augenblick lang ins Leere.
„Der Rest war so, wie man sich das vorstellt, sterbende und tote Männer und die Krähen haben schon in den Bäumen darauf gewartet, dass wir das Feld räumen.“ Er wischte sich die Augen, und viele Zuhörer taten es ihm gleich. „Wir haben uns nach Perth zurückgezogen, und dann begann das große Gerede. Ich glaube ja immer noch, wie Alex auch, dass wir hätten handeln müssen. Wir hätten gewinnen können, wenn wir sie sofort angegriffen hätten. Jetzt ist das wohl nicht mehr möglich, außer es geschieht etwas Unerwartetes.“ Er schüttelte den Kopf. „Dann haben wir erfahren, dass Simon Fraser, Lord Lovat, das Oberhaupt der Frasers, aus Frankreich gekommen war. Da er die letzten paar Jahre dem Hof der Stewarts angehörte, haben wir erwartet, dass er sich uns anschließt, aber nein, der Mann hat den Schwanz eingekniffen und im Namen von König Georg Inverness eingenommen. Also sind sämtliche Frasers desertiert, und die Gordons ebenfalls, und dann kamen die englischen Truppen aus Holland zur Verstärkung. Binnen zwei Wochen waren sie dreimal so viele wie wir, und unser Vorteil war verspielt.“
Er beugte sich vor und sprach mit ernster Stimme weiter.
„Und dann kam James Stewart. Wir waren da, als er endlich von Peterhead aus zu uns stieß, und wir hörten, dass das Gold, das er mitgebracht hatte, all dieses spanische Gold, auf See verloren gegangen war.“ Dougalls Miene verfinsterte sich. „Der König rief uns zusammen, und wir dachten, er würde uns Mut machen oder uns für unseren Einsatz danken und uns sagen, was wir als Nächstes tun sollten.“ Er hielt inne und machte schmale Augen. „Er hat gesagt, wir sollten so weitermachen. Das war alles, was er uns an Ermunterung zu geben hatte. ‚Fahrt fort.‘“ Er schüttelte den Kopf. „Und dann erzählte James Stewart uns, wie schwierig die Seereise von Frankreich nach Schottland gewesen sei, und er beklagte sich über das Essen. Er war gerade dabei, Pläne für seine Krönungsfeier zu machen, als wir gegangen sind. Unser großartiger Anführer.“
Hinter mir stellte jemand eine Frage zu der Schlacht, und ich ließ sie gewähren – Dougall zeichnete die Schlachtlinien auf dem Tisch nach, während die Jungen und Männer sich begierig darüber beugten, Ian und Jamie mittendrin. Ich ging in die Bibliothek, faltete mit zitternden Fingern Alex‘ Brief auf und suchte die Stelle, an der ich aufgehört hatte zu lesen.
James Stewart ist eingetroffen, und es ist noch schlimmer als zuvor. Wir hören, dass englische Soldaten die Küste ab suchen und das Gold einsammeln, mit dem wir sie besiegen und unsere Männer ernähren und bewaffnen sollten. Ich werde noch ein wenig bleiben und abwarten, ob wir doch noch Unterstützung erhalten, aber ich schicke jene Männer, die kleine Kinder oder schwangere Frauen haben, mit Dougall nach Hause. Er wird Dich schützen, Mary, du kannst Dich auf ihn verlassen.
Mar erwartet noch immer, dass weitere Männer ihr Zuhause und ihre Familien verlassen, um uns zu Hilfe zu kommen. Er ist ein Narr, aber möglicherweise wird er doch recht behalten. Für den Augenblick sind wir alle am Leben und gesund, und das sollte mir wohl ein Trost sein, aber, mein Mädchen, wie sehr ich Dich vermisse. Ich bin nicht für den Krieg gemacht. Ich bin so furchtbar zornig über die miserable strategische Leitung dieses Kriegszuges, dass ich kaum mehr höflich bleiben kann. Es ist eine Katastrophe. Wenn wir wahrhaftig verloren sind, könnte sogar Kilgannon belagert werden. Falls die Neuigkeiten noch schlimmer sind, wenn Du dies liest, und wenn Du nicht bald wieder von mir hörst, nimm die Jungen und geh fort. Brecht sofort auf, wenn ihr von Truppen hört, die gen Westen ziehen. Versucht nicht, gegen sie zu kämpfen oder die Burg zu verteidigen. Sag den Clansleuten, sie sollen sich in die Heide schlagen, nimm die Mary Rose und segle nach England. Tu es, Mary. Ich muss die Gewissheit haben, dass Du in Sicherheit bist. Ich werde nach Kilgannon kommen, sobald es möglich ist. Die Gannon‘s Lady ist hier in Perth, sie wird uns nach Hause bringen.
Ich vermisse Dich in jedem Augenblick, meine Rose, und ich werde Dich lieben bis in den Tod. Gib gut auf Dich acht und auf meine Söhne. Tu alles, was Du für nötig hältst, um Dich bei Will oder Louisa und Randolph in Sicherheit zu bringen.
Hier veränderte sich seine Handschrift, der Rest des Briefes schien in großer Hast verfasst worden zu sein.
Noch schlimmere Nachrichten. Es wird von Kapitulation gesprochen, angeblich soll Mar eine ganze Reihe von uns den Engländern als Geiseln überstellen, damit es keine weiteren Aufstände mehr geben wird. Falls das stimmt, komme ich womöglich doch nicht nach Hause. Ich vermute, ich wäre unter den Ersten, die in Geiselhaft gegeben werden, denn Mar verabscheut mich geradezu. Wenn sie uns gefangen nehmen, werde ich hier vor Gericht gestellt, und Gott allein weiß, wie ein Gericht aus Tieflandschöffen, die der Krone treu ergeben sind, mit mir verfahren würde. Ich bin mir der Gefahr bewusst und werde tun, was ich kann, um heil wieder nach Hause zu kommen. In Edinburgh möchte ich gewiss nicht sterben. Verzeih mir, Mary. Pass gut auf Dich und meine Söhne auf und sei versichert, dass ich auf ewig Dein Dich liebender Mann bin – Alex.
Die Tage vergingen grauenhaft langsam, und ich fürchtete schon, der Winter wolle niemals enden und wir würden auf ewig von Regen und Schnee drinnen gefangen sein – und warten. Ich versuchte, die Stimmung zuversichtlich und alle auf Trab zu halten, aber ich war nicht Alex, ich war nicht der Anführer, den Kilgannon brauchte. Mir war nie bewusst geworden, wie mühelos er den ganzen Clan führte und wie schwierig es war, die vielen notwendigen Entscheidungen mit demselben Geschick, derselben Gewissheit und guten Laune zu treffen, die ihm so selbstverständlich waren. Auch hatte ich nicht erkannt, wie unersetzlich Angus war. Während Alex den gesamten Clan leitete, war Angus sein Kriegsherr, verantwortlich für das Training der Männer. Angus war einige Jahre älter, aber die beiden waren wie Brüder, denn sie waren zusammen aufgewachsen. Alex vertraute Angus mehr als allen anderen Clanmitgliedern, und Angus, barsch, loyal und wortkarg, erwiderte dieses Vertrauen. Beide hatten in den vergangenen fünf Jahren ihre Ehefrauen verloren – Angus‘ Mairi war im Kindbett gestorben, Alex‘ Sorcha an einer Krankheit, und beide zogen seither ihre Söhne allein groß. Angus‘ Sohn Matthew war schon erwachsen und mit seinem Vater in den Krieg gezogen, und Alex‘ Jungen waren bei mir. Ohne Alex und Angus konnte unser Leben unmöglich so sein wie sonst. Dougall bemühte sich, diese Lücke zu füllen, und das gelang ihm recht gut, wenn man nicht allzu genau hinsah. Und keiner von uns sah allzu genau hin.
Die Neuigkeiten aus dem Osten waren nicht gut. Die Loyalisten waren den Jakobiten nun zahlenmäßig weit überlegen, und Mars Truppen hatten sich nach Montrose zurückgezogen. Und dann, am letzten Tag des Monats Januar, kam Thomas MacNeill, Alex‘ Verwalter, nach Hause.
Sie kamen auf der Gannon‘s Lady, und ein paar herrliche Augenblicke lang glaubte ich, Alex sei bei ihnen. Thomas‘ Sohn Liam platzte in die Halle und verkündete, ein Schiff sei auf dem See, eines von unseren, und wir alle rannten sofort hinaus. Die Gannon‘s Lady kam um die letzte Biegung, bis zur Reling ins Wasser getaucht, so stark war der Wind, und auf ihrem Deck drängten sich die Männer. Ein Jubelschrei erhob sich hinter mir, und als das Schiff näher kam, reckten die Jungen die Hälse, um ihren Vater zu entdecken. Oder Angus. Oder Matthew. Ellen stand an Ians Seite, eine Hand an der Kehle. Als das Schiff den Steg erreichte, erkannten wir alle, wer fehlte.
„Vater ist nicht dabei“, sagte Ian leise.
Dougall, der zu meiner Linken stand, stieß einen Fluch aus und entschuldigte sich dann, als ich zu ihm aufblickte. „Das hatte ich befürchtet, Mary. Du kennst doch unseren Alex. Er wird nicht nach Hause kommen, ehe alle anderen in Sicherheit sind. Vermutlich sorgt er gerade dafür, dass die Männer aus Clonmor heil nach Hause kommen.“
Ich nickte und verstand zwar die Worte, aber nicht den Grund dafür, – warum überließ Alex es nicht Malcolm, seine Männer nach Hause zu bringen? Wir warteten schweigend, während das Schiff anlegte und Männer vom Deck herabströmten. Wie eine Flutwelle brausten sie an mir vorbei und ergossen sich in die Arme ihrer Frauen und Kinder. Die Jungen wandten sich mit ernsten Mienen zu mir um. Ihr Vater war nicht nach Hause gekommen. Auch der Kleine Donald nicht, und Ellen begann zu schluchzen. Ich legte einen Arm um ihre Taille und wartete. Thomas fand endlich den Weg zu mir.
„Mary“, sagte er mit gedämpfter Stimme, „ich muss Euch sprechen.“ Ich nickte ihm zu, und mir fiel auf, wie sehr Alex‘ Verwalter gealtert war. Sein Gesicht war faltig geworden, und sein Blick wirkte erschöpft und niedergeschlagen.
„Thomas, sagt es mir. Lebt er? Ist er verletzt? Ist er frei?“
„Ja. Alex ist am Leben und in Freiheit, und Angus und Matthew ebenfalls.“
„Und der Kleine Donald? Und Gilbey?“
„Ja. Ihnen allen geht es gut.“ Ellen rang zittrig nach Luft.
„Und zusammen?“, fragte ich weiter.
Er begegnete meinem Blick. „Ja, Mary. Sie sind zusammen.“
„Wo sind sie?“
Er schüttelte den Kopf. „Ich weiß es nicht. Zuletzt haben wir sie in Montrose gesehen, wo sie uns am Hafen verabschiedet haben.“
„Ich verstehe.“ Ich holte tief Luft. „Ich danke Euch. Geht zu Murreal und Eurer Familie, Thomas. Für den Augenblick genügt es mir zu wissen, dass er nicht bei Euch ist. Den Rest werdet Ihr mir gewiss später erzählen.“
„Jawohl, Mary, und danke sehr.“ Er holte einen zerfledderten Brief aus seinem Plaid. „Von Alex. Ich werde Euch bald aufsuchen.“
Der Brief war auf die Rückseite einer Karte gekritzelt, schmutzig und voller Risse. Ich drückte mir den Brief kurz an die Brust und öffnete ihn dann an Ort und Stelle auf dem Dock.
Meine liebste Mary,
ich schicke Dir dies mit Thomas und bete darum, dass mein Brief Dich bei guter Gesundheit erreicht. Wir sind nun wahrhaftig verloren, und ich versuche, so viele Männer wie möglich zu retten. Nimm die Mary Rose und flieh, sofort. Bring Dich in England in Sicherheit, wenn es möglich ist, oder auf Skye, falls Du nicht nach England gelangen kannst, und bitte Morag um Zuflucht. Bitte verzeih mir diese Katastrophe. Gib gut auf meine Söhne acht, und sage ihnen, dass ihr Vater sie sehr geliebt hat. Flieht jetzt, ehe die Engländer über Kilgannon herfallen. Ich liebe Dich, Mary. Falls ich dies hier überlebe, werde ich Dich finden. Alex.
Morag Maclean werde ich niemals um Zuflucht bitten, dachte ich und erinnerte mich an die vielsagenden Blicke, mit denen sie Alex während unserer Hochzeitsfeier auf Kilgannon beobachtet hatte, an die verstohlenen Gesten der Zärtlichkeit, von denen sie glaubte, ich hätte sie nicht bemerkt, – jedes Mal wieder, wenn wir uns seit der Hochzeit begegnet waren. Alex war nicht auf sie eingegangen, aber er musste ihre Annäherungsversuche bemerkt haben. Zweifellos hatten sie ihn daran erinnert, was einst zwischen den beiden gewesen war. Morag, damals noch Morag MacLeod, war das Mädchen, in das Alex sich verliebt hatte, als er sechzehn und Morag fünfzehn Jahre alt gewesen war. Um ihretwillen war er bereit gewesen, sich seinen Eltern zu widersetzen und die arrangierte Ehe mit Sorcha MacDonald platzen zu lassen. Morags wegen war er für ein Jahr nach Frankreich geschickt worden, damit er sie vergaß. Sie war die erste Frau, mit der er geschlafen hatte. Und Morag hatte auf Alex gewartet, sogar nach seiner Hochzeit mit Sorcha; sie hatte Murdoch Maclean erst geheiratet, nachdem Alex ihr und der ganzen Welt unmissverständlich klargemacht hatte, dass Alex mich aus Liebe geheiratet hatte und unsere Ehe sehr glücklich war. Aber Morag hatte ihre Romanze nie vergessen, ebenso wenig wie ich.
Ich las Alex‘ Brief noch dreimal und hielt ihn gut fest, denn der Wind drohte ihn mir aus den Händen zu reißen. Dann blickte ich auf den Ehering, der an meinem Finger glitzerte. Nein, ich würde Morag nicht um Zuflucht bitten, und ich würde auch nicht nach England fliehen. Ich würde auf Kilgannon bleiben, Alex‘ Anweisungen zum Trotz. Wir hatten oft genug darüber gestritten, ehe er aufgebrochen war. „Dies ist mein Zuhause“, hatte ich ihm erklärt, als er mich gebeten hatte, mit seiner Tante Deirdre und den MacDonalds nach Frankreich zu fliehen. „Wenn du mich brauchst, werde ich hier sein, Alex. Und ich kann zu dir kommen, ganz gleich, wo in Schottland du bist“, hatte ich gesagt. Dann hatte ich versucht, ihm klarzumachen, dass er nicht der Einzige war, der sich für den Clan verantwortlich fühlte. Ich war dazu erzogen worden, Verantwortung für die Menschen auf Mountgarden zu übernehmen, und obwohl ich erst seit kurzer Zeit hier war, hatte ich bereits die Rolle von Alex‘ Partnerin eingenommen. Der Mantel der verantwortlichen Führung war kein Kleidungsstück, das ich einfach ablegen konnte, wann immer es mir gefiel. Ich würde auf Kilgannon bleiben, solange ich konnte, um für die Leute da zu sein. Und um Alex so nahe zu sein, wie es eben ging.
2
Berta, unsere tüchtige Hausdame, hieß alle mit Whisky und einer guten Mahlzeit willkommen. Ich saß mit den Jungen und Ellen auf der Bank, während die fröhliche Begrüßung in der Halle weiterging. Ich tröstete die Jungen, so gut ich konnte, und verbot mir die Fragen, die mir im Kopf herumschwirrten. Ich hatte gehofft, Thomas und ich würden uns in Ruhe unterhalten können, damit ich endlich die Neuigkeiten erfuhr, aber die Männer brannten darauf, ihre Geschichten zu erzählen, also blieb ich gemeinsam mit den anderen sitzen und hörte zu.
„Tja“, sagte einer der Männer, als er eine Frage beantworten wollte, „ich halte nicht mehr viel von unserem James Stewart – nicht, nachdem er uns derart im Stich gelassen hat.“ Ein Aufschrei ging durch die Halle, und er blickte sich unter den Leuten um. „Habt ihr es denn noch nicht gehört? James Stewart und seine großartigen Freunde haben sich mitten in der Nacht davongestohlen und sind nach Frankreich zurückgekehrt. Nicht zu fassen, dass ihr davon noch nichts erfahren habt.“
„Ja, es ist wahr.“ Thomas sprach mit ruhiger Stimme hinter mir, und alle Köpfe wandten sich ihm zu. Er trat an den Kamin und ließ sich auf eine Bank sinken, während die Leute sich um ihn versammelten. „Nach den ersten paar Tagen haben wir den König nicht mehr zu Gesicht bekommen, und dann mussten wir uns noch weiter zurückziehen, diesmal nach Montrose. Alex hat uns befohlen, die Gannon‘s Lady zu besteigen, sonst wären wir jetzt nicht hier.“ Thomas schüttelte den Kopf. „Wir haben in Montrose gewartet, während die meisten anderen Highlander zu Fuß nach Aberdeen aufgebrochen sind. Alex hat uns befohlen, nicht mit den anderen zu gehen. Er und Angus haben halbe Nächte in Besprechungen verbracht, und mit jedem Tag wurde er zorniger. Und dann eines Nachts, weit nach Mitternacht, hörte ich großen Lärm aus dem Erdgeschoss des Hauses, in dem wir einquartiert waren.“
Er beugte sich vor. „Als ich die Treppe hinunterrannte, sah ich den MacDonald persönlich, und die Maclean-Brüder, an denen man kaum vorbeikommen konnte, und Angus und Alex mit wahrhaft mordlüsternen Mienen. Mar hatte alle nach Aberdeen geschickt, um sich mitsamt dem Stewart nach Frankreich abzusetzen. Jemand hatte es dem MacDonald, den Macleans und Alex erzählt, und sie beschlossen, dem Gerücht selbst nachzugehen. Man hat mir erzählt, der MacDonald sei auf die Knie gefallen und habe James Stewart angefleht zu bleiben. Aber der Stewart war nicht dazu zu bewegen. Also sind sie geflohen, James Stewart und Mar, noch in finsterer Nacht. Sind einfach davongesegelt und haben uns dort zurückgelassen. James Stewart hat einen Brief an jene gesandt, die sich in Aberdeen sammeln sollten: ‚Lebt wohl, Jungs, seht selbst zu, wie ihr zurechtkommt. Ich rette meine eigene Haut. Und danke schön für den Krieg‘.
Na ja, ihr kennt ja unseren Alex. Er war nicht bereit, mit dem Stewart zu fliehen, und ich bezweifle, dass Mar ihn überhaupt mitgenommen hätte – sie können einander nicht leiden, vor allem, seit Alex ihn praktisch einen Feigling genannt hat. Angus sagt, er habe schon darauf gewartet, dass die beiden handgreiflich werden, und der König hätte nur mit langem Gesicht in der Ecke gesessen und zugehört. Nun, da waren wir jedenfalls in diesem alten Haus mitten in der Nacht. Der MacDonald war kalkweiß und furchtbar wütend, die Macleans brüllten finstere Drohungen, und Angus sah aus, als wolle er jemanden entzweihauen. Der MacDonald und die Macleans sind gegangen, und Alex hat sofort unsere Männer geweckt und ihnen gesagt, sie sollten sich bereit machen. Alex wollte nach Aberdeen reiten und jene warnen, die noch auf dem Weg dorthin waren, und Angus hatte vor, ihn zu begleiten. Sie haben uns befohlen, aufzubrechen und hierher zu kommen, nach Hause. Und zwar äußerst nachdrücklich, möchte ich hinzufügen.“ Er lächelte traurig und fiel dann in das Gelächter der Männer ein, die eifrig nickten. „Er hat uns auf die Gannon‘s Lady verfrachtet, und da sind wir nun. Argyll zog in Montrose ein, als wir ablegten. Wir sind um Haaresbreite entkommen, und ich nehme an, die anderen haben es auch geschafft.“ Er trank einen großen Schluck Whisky. „Der MacDonald geht nach Frankreich, habe ich gehört, und die Macleans haben sich in die Heide geschlagen. Alex und Angus und die anderen sind irgendwo in der Nähe von Aberdeen, und die Clonmor-Männer sind bei ihnen. Das Land wimmelt von englischen Soldaten.“
„Wie sollen sie denn nach Hause kommen?“ In der entstandenen Pause klang Ians Stimme sehr laut.
Thomas begegnete meinem Blick und sah dann Ian an.
„Dein Vater wird schon einen Weg finden, mein Junge. Er ist ein prächtiger Anführer. Er bringt seine Leute sicher nach Hause.“
„Aber Ihr sagtet doch, die englischen Soldaten sind überall.“
„Ja, das stimmt“, entgegnete Thomas. „Aber was sind schon ein paar englische Soldaten gegen einen Gälen, der seine Heimat kennt wie kein Zweiter? Dein Vater ist mit dem Land hier vertraut. Er wird Wege finden, um nach Hause zu kommen, die die Engländer nicht kennen. Keine Sorge, Ian, euer Vater wird bald hier sein.“ Ian nickte und sah mich dann mit ausdruckslosem Gesicht an. Jamie folgte seinem Blick. Ich versuchte zu lächeln, aber ich sah nichts als den harten Winter und eine Handvoll Männer in roten Plaids, die im Schnee vor den Soldaten flohen.
Die Wartezeit füllten wir mit Arbeit. Wir bereiteten Kilgannon auf eine Belagerung vor und arbeiteten unablässig. Alle Vorräte, die wir finden konnten, wurden in den Wehrturm gebracht, und der Tunnel vorbereitet, falls wir ihn brauchen sollten. Die Katrine wurde im äußeren See vor Anker gelegt und die umliegenden Siedlungen gewarnt. Die meisten Männer waren nach Hause gegangen, aber sie patrouillierten an den Grenzen des Kilgannon-Landes und sandten uns Läufer, um uns mitzuteilen, was jedes einzelne Dorf unternahm. Als Alex fortgegangen war, hatte ich all die Dinge eingesammelt, die er mich mitzunehmen gebeten hatte, falls ich fliehen musste, und diese Taschen standen noch immer in der Bibliothek. Die Jungen und ich hatten unsere Kleidung eingepackt. Und Alex‘ Sachen, auch sein Skizzenbuch. Wir waren bereit zur Flucht, jeden Augenblick, wenn es sein musste. Und dann warteten wir.
Der Winter kroch langsam dahin, kalt und nass, und wir arbeiteten buchstäblich bis zum Umfallen. Die Jungen waren sehr tapfer, aber sie hatten Angst, und ich verwandte viel Zeit darauf, sie aufzuheitern und ihren Unterricht fortzuführen. Meine Ängste behielt ich für mich. Während der geschäftigen Stunden des Tages gelang es mir, sie zurückzudrängen, doch am Ende des Tages waren sie unweigerlich wieder da, und die Nächte zogen sich schier endlos hin. Ich streifte in den dunkelsten Stunden immer noch durch die Burg und betrachtete jede Nacht die Porträts, die die Treppe säumten; stets fragte ich Alex‘ Bild, wo er jetzt sei.
Ich war in der großen Halle, als eines Tages im Morgengrauen die Nachricht von einem Schiff auf dem See kam. Während ich wartete, betete ich still vor mich hin. Mir sank der Mut, als wir erfuhren, dass es keines von unseren Schiffen war, doch heiterte mich die nächste Nachricht ein wenig auf: Es war ein Schiff der MacDonalds, und Sir Donald selbst stand an Deck. Aber Alex war nicht an Bord.
Ich wartete mit Thomas und Dougall am Dock, als das Schiff über den inneren See segelte und winkte, als der MacDonald uns begrüßte. Steif kletterte er von Bord, seine Bewegungen wirkten wie die eines viel älteren Mannes. Er nickte mir zu und ging wortlos den Hügel hinauf. Ich folgte dem Mann, der Alex dazu gebracht hatte, in diesen Krieg zu ziehen, dem Anführer der MacDonalds. Ich hatte ihn einst sehr gemocht, nicht nur, weil er gut aussah – er hatte eine fesselnde Ausstrahlung, obwohl er zwanzig Jahre älter war als Alex –, sondern auch, weil er schlagfertig und intelligent war.
In der Halle ließ Sir Donald sich langsam an einem Tisch nieder und nahm stumm den Whisky entgegen, den ich ihm einschenkte. Dougall und Thomas ließen sich zu meiner Rechten nieder, mit bewusst ausdruckslosen Mienen. Ich ließ die Hand an der Steingut-Flasche ruhen, die sich angenehm kühl anfühlte, und spürte mein Herz ebenso kalt werden. Wenn du nicht gewesen wärst, dachte ich, während ich ihn beobachtete, dann wäre Alex jetzt hier bei mir. Er konnte mir kaum in die Augen sehen, doch ich empfand keine Reue für die Kälte, mit der ich seinem Blick begegnete.
„Seht mich nicht so hasserfüllt an, Mary MacGannon“, sagte er schließlich. „Es war nicht meine Absicht, ihn in so etwas hineinzuziehen.“ Er blickte sich in der Halle um, wich aber den Blicken der Kilgannon-Männer aus, die sich in respektvoller Entfernung aufgebaut hatten, aber in Reichweite blieben, falls ich sie brauchen sollte. „Ich habe versucht, ihn mitzunehmen, Mary, aber ich konnte ihn nicht dazu überreden. Und jetzt bin ich hier, um Euch zu bitten, mit uns nach Frankreich zu kommen.“ Ich beobachtete, wie er sich vorbeugte und in ernstem Ton zu mir sprach. „Mary, mein Mädchen, hört auf mich. Als ich Euren Mann am Hafen von Montrose zurückgelassen habe, wollte er seine Männer nach Hause bringen und dann hierher kommen, zu Euch. Ich weiß nicht, was danach geschehen ist.“ Er seufzte und rieb sich das Kinn. „Ich habe versucht, ihn zu überreden, Mary. Ich schwöre bei Gott, ich habe mein Möglichstes getan. Ich wollte, dass er mit mir kommt. Und deshalb bin ich hier. Meine Familie ist größtenteils nach Frankreich geflohen. Ich hole jetzt die Letzten ab. Kommt mit uns, Ihr und die Jungen. Kommt mit, Mary. Alex wird Euch nachfolgen, und Ihr alle werdet in Sicherheit sein.“ Ich sagte nichts. Er seufzte erneut und betrachtete sein Glas. Als er wieder aufblickte, glänzten unvergossene Tränen in seinen Augen. „Ich habe es versucht, Mary“, sagte er mit erstickter Stimme. „Und Alex ebenfalls. Er hat sich unglaublich gut geschlagen. Aber Mar wollte nicht hören, und die anderen haben auf Mar gehört.“ Er trank einen kräftigen Schluck Whisky. „Es hat mir das Herz gebrochen, als James Stewart abgereist ist. Hat mir das Herz gebrochen. Er wusste, was das für uns alle bedeuten würde, und dennoch ist er gegangen.“ Er starrte ins Nichts, und ich spürte, wie ich allmählich weich wurde.
„Kommt mit uns, Mary. Ihr kennt doch Angus‘ Mutter Deirdre? Sie und seine Schwestern sind dort. Und Eure Schwägerin Sibeal. Ihr werdet nicht allein unter Fremden sein.“
„Sibeal? Sibeal ist in Frankreich? Und Malcolm?“
Er sah mich ruhig an. „Nein. Ihre Ehe ist alles andere als glücklich.“
„Ich verstehe“, sagte ich, blickte auf meine Hände hinab und sah ihn dann wieder an. „Euch ist bewusst, dass Alex nicht in den Krieg gezogen wäre, wenn Ihr ihn nicht dazu gedrängt hättet. Murdoch und den anderen hat er sich noch widersetzt.“
„Ja, das weiß ich. Ich wusste an jenem Tag, dass er mit uns ziehen würde.“ Wir saßen schweigend da, dann seufzte er.
„Das werdet Ihr mir niemals verzeihen, nicht wahr?“
Ich sah ihm in die Augen. Was auch immer ich von diesem Mann halten mochte, ich musste zugestehen, dass er mutig und aufrichtig war. Also antwortete auch ich wahrheitsgemäß: „Nein.“
Er nickte. „Ich habe den Gälen in ihm angesprochen, Mary, und es war der Gäle in ihm, der geantwortet hat. Wir hätten gesiegt, wenn mehr von uns diesen Ruf gehört und ihm gefolgt wären.“
„Jene, die ihm nicht gefolgt sind, sitzen jetzt sicher zu Hause, Sir Donald. Und Ihr?“
Er sah mich mit glühendem Blick an. „Ich bin frei. Frei, Mary. Ich bin frei.“
„Nicht hier, Sir Donald. Wenn Ihr hierbleibt, werdet Ihr nicht mehr lange frei sein. In Frankreich – möglicherweise. Aber was ist mit all den anderen? Und Alex? Er hat auf Euch gehört, und Ihr setzt Euch nach Frankreich ab, um Euch in Sicherheit zu bringen. Und wo ist mein Mann?“
Er sah mich lange an. „Ich habe ihn gebeten, mit uns zu kommen, und jetzt bitte ich Euch darum. Ihr habt die Wahl, ob Ihr Euch uns anschließen wollt oder nicht.“
„Wie die Wahl, vor die Ihr Alex gestellt habt? Sich Euch anzuschließen oder von Euch ausgeräuchert zu werden? Hättet Ihr uns wahrhaftig das Dach über dem Kopf angezündet?“
Er blinzelte verblüfft, und noch mehr von seinem alten Feuer glomm in seinen Augen auf. Er lächelte. Und nickte. „Ja. Das hätten wir getan. Wenn es anders ausgegangen wäre – ja. Ich hätte es nicht selbst getan, aber ich hätte niemanden daran gehindert.“
„Wie könnt Ihr so etwas sagen?“, fauchte ich ihn an.
Er überlegte, bevor er sprach. „In England, Mary, kämpfen die Männer nicht so, wie wir es hier tun. Sie schwingen Worte und Gesetze und zielen auf die Börse und das Ansehen ihres Gegners. Wir hier gebrauchen Claymores und Breitschwerter. Das ist viel leichter zu verstehen.“
Ich schüttelte den Kopf. „Ich werde das nie verstehen.“
„Wahrscheinlich nicht. Aber so ist es eben in den Highlands. Daran wird sich nichts ändern.“
„Selbst dann nicht, wenn es so endet?“
Er beugte sich mit glitzernden Augen vor. „Es ist noch nicht vorbei, Mary MacGannon. Solange noch einer von uns am Leben ist, wird dieser Kampf nie vorbei sein. Eine Weile leben wir vielleicht unter englischer Herrschaft, aber es gefällt uns gewiss nicht. Es nagt an uns, es quält uns, und die Saat der Rebellion wartet stets darauf, neu aufzugehen. Diesmal mögen wir versagt haben, doch wir werden es überleben, um später wieder zu rebellieren. Wartet nur ab, Mary. Wenn Schottland diesmal nicht befreit wird, werden wir uns wieder erheben.“ Wir starrten einander an.
„Und was geschieht jetzt?“, fragte ich.
Er zuckte mit den Schultern. „Wir gehen nach Frankreich und werben dort erneut um Unterstützung. Wenn die Franzosen uns Truppen geschickt hätten, hätten wir gewonnen.“
„Ihr wart ihnen vier zu eins überlegen. Was hättet Ihr denn noch gebraucht?“
Er knallte die Faust auf den Tisch. „Einen Anführer. Wir hätten einen Anführer gebraucht. Wir hätten einen Mann gebraucht, der es versteht, Männer in den Kampf zu führen, der diese Schlachten gewonnen hätte. Dann hätten wir auch noch einen Mann gebraucht, der die politischen Spielchen spielen und gewinnen kann. Ihr wisst, dass ich nicht der richtige Mann für die Politik bin, und Euer Alex ist es auch nicht, aber der richtige Mann könnte viel bewirken. Mit Frankreichs Unterstützung hätten wir die Freiheit erringen können.“
„Habt Ihr aber nicht.“
„Diesmal nicht.“
„Ihr geht also nach Frankreich.“
„Wir gehen nach Frankreich und planen weiter. Kommt mit uns, Mary. Kommt mit uns, und Alex wird Euch nachfolgen. Wir brauchen ihn jetzt umso dringender.“
„Mar verabscheut ihn. Und James Stewart vermutlich ebenfalls.“
„Das stimmt.“ Er seufzte. „Mar ist bestenfalls ein miserabler Anführer. Schlimmstenfalls ein Feigling und ein Narr.“ Er fuhr sich mit der Hand durchs Haar. „Kommt mit uns, Mary. Bringt Euch in Sicherheit. Und Alex‘ Söhne. Kommt mit.“
Er sah mir fest in die Augen, und ich überlegte. Was würde Alex wollen? Zweifellos würde er sich wünschen, dass ich uns in Sicherheit brachte. Aber Alex war nicht hier, und die Entscheidung lag allein bei mir. Der MacDonald bot uns dreien Schutz und Sicherheit. Ich blickte mich in der Halle um. Auf Kilgannon lebten Hunderte von Menschen.
„Ich danke Euch für Euer Angebot, Sir Donald.“ Er machte schmale Augen. „Aber?“
„Aber ich muss es ablehnen. Ich kann nicht fortgehen.“
„Ihr meint, Ihr wollt nicht.“
„Ich werde nicht fortgehen.“
„Warum? Alex wird bald hier sein, dann könnte er zu Euch kommen.“
Ich wies mit einer Handbewegung auf die Menschen im Raum. „Und was wird aus ihnen? Wer soll sie beschützen?“
„Wäre es nicht klüger von Euch, für eine Weile fortzugehen und dann zurückzukehren, um sie in die Freiheit zu führen, statt hierzubleiben und womöglich mit ihnen unterzugehen?“
„Nein“, erwiderte ich. Er hob das Kinn und starrte mich mit schmalen Augen an. „Ich werde hier auf meinen Mann warten, und er wird das entscheiden. Ich werde nicht ohne ihn fortgehen.“
„Dann werdet Ihr also zu uns kommen, wenn er zurück ist?“
„Das wird Alex entscheiden.“
„Wenn Ihr jetzt mitkommt, wird er sich dafür entscheiden, Euch zu folgen.“
Ich schüttelte den Kopf. „Ich werde nicht mit Euch fortgehen.“
Der MacDonald dachte lange nach, erhob sich dann steif und kletterte über die Bank. Er richtete sich auf und drehte sich zu mir um. „Mary, überlegt es Euch noch einmal.“
„Sir Donald, ich werde Kilgannon nicht schutzlos zurücklassen.“
„Was kann ein zierliches Frauenzimmer denn gegen die englische Armee ausrichten?“
Ich lächelte. „Fragt doch Jeanne d’Arc.“
Da lachte er bellend und wandte sich zum Gehen. Nach einigen Schritten drehte er sich mit breitem Grinsen zu mir um. „Mary MacGannon, ich bin froh, Euch kennengelernt zu haben.“
Ich erhob mich. „Gleichfalls, Sir Donald.“
„Kommt mit, Mary, dann könnt ihr Jeanne persönlich fragen.“
Nun lachte ich. „Sie ist vor Jahrhunderten gestorben, Sir.“
„Der Geist der Freiheit stirbt niemals, nur die Leiber jener, die sie zu erringen versuchen. Der Geist der Freiheit wird auch in Schottland wieder aufleben.“
Ich nickte. „Ich danke Euch für Eure Einladung.“
„Aber Ihr wollt sie nicht annehmen.“
„Ich werde sie nicht annehmen.“ Er nickte und verließ uns. Ich sah ihm nach, als er zur Tür hinausging, ohne noch einen Blick zurückzuwerfen.
Der Winter hielt an. Jeden Abend stand ich an den Fenstern der Bibliothek oder oben auf dem Wehrturm, und oft waren die Jungen bei mir. Wir starrten in die Ferne, als könnten wir Alex herbeiwünschen, indem wir uns vorstellten, wie er auf dem See erschien. Die Stürme setzten sich fort, es kam einer nach dem anderen. Ich war so müde. Ich arbeitete oft die halbe Nacht hindurch, weil ich die quälenden Träume fürchtete, und schlief dafür häufig tagsüber ein. Eines Nachmittags sank ich auf einen Stuhl in unserem Schlafzimmer, schloss die Augen und erinnerte mich an damals, als Alex in mein Leben getreten war. Ich befand mich in London auf den Stufen vor dem Bureau des Landschaftsgärtners und wartete auf meine Tante Louisa und meine Schwägerin Betty, als ich ihn entdeckte. Alex kam auf mich zu, hatte mich aber noch nicht gesehen, sodass ich ihn unverhohlen beobachten konnte. Seine Schultern schwangen bei jedem seiner festen Schritte mit, sein Haar, das er lose unter dieser Mütze mit der Adlerfeder trug, fiel ihm bis auf die Schultern und leuchtete vor der grauen Mauer hinter ihm wie eine Flamme. Er wandte den Kopf, entdeckte mich und lief grinsend auf mich zu.
„Mistress Mary, seid Ihr wach?“ Ich schlug die Augen auf. Ellen stand in der Tür. „Angus ist mit den Männern und der Margaret zurückgekehrt.“
Ich stand hastig auf. „Ist Alex bei ihnen?“
Ein mitfühlender Ausdruck trat in ihre Augen. „Nein.“ Als ich zusammenfuhr, erklärte sie rasch: „Sie berichten, er sei am Leben. Aber er ist nicht bei ihnen.“
Ich war schon auf dem Weg zur Tür. „Wo ist Angus?“
„Auf dem Hof.“
„Ich will sofort mit ihm sprechen.“ Ich lief auf die Treppe zu, drehte mich aber wieder um. „Ellen, der Kleine Donald? Ist er da?“
Tränen liefen ihr über die Wangen, und mir blieb das Herz stehen. Lieber Gott, betete ich, bitte, nicht auch noch Donald. Lass wenigstens ihren Liebsten zurückgekehrt sein, wenn ich meinen schon nicht wiederhaben kann. Sie nickte, und ich atmete auf.
„Er ist da.“ Ihre Stimme brach. „Gott sei Dank, er ist da.“ Ich umarmte sie. „Das freut mich sehr für dich, liebe Freundin.“
„Mistress Mary, ich wünschte nur ...“
Ich brachte sie mit einer weiteren Umarmung zum Schweigen. „Ich weiß, Ellen, und ich danke dir.“ Ich wandte mich ab, ehe sie etwas dazu sagen konnte, vermochte aber die Stimme in meinem Kopf nicht zum Schweigen zu bringen, die Fragen stellte und sogleich selbst beantwortete. Die Wolke der Furcht, mit der ich so lange gelebt hatte, hüllte mich ein, und ich stand wie erstarrt am Kopf der Treppe, gelähmt von der Angst davor, was ich unten vorfinden würde. Ich war immer noch da und starrte die Treppe hinunter, als Angus am Fuß derselben erschien und seine Handschuhe auszog. Mit aschfahlem Gesicht blickte er zu mir auf. Mein Herz begann zu pochen, während ich ihn musterte. Das war mehr als reine Erschöpfung.
„Mary.“ Angus‘ Stimme klang grimmig. „Wir müssen uns unterhalten.“
„Wo ist er?“, fragte ich und stieg endlich die Stufen hinab. Angus schüttelte den Kopf. „Ich weiß es nicht. Er war am Leben, als wir uns getrennt haben“, sagte er mit tonloser Stimme. Ich spürte, wie die Wolke um mich herum immer dichter wurde.
„Angus? Wo ist er?“ Meine Stimme war nur noch ein Flüstern.
„Ich habe ihn am Ufer des Loch Linnhe zurückgelassen.“
„Warum?“ Ich stand nun vor ihm und sah ihm in die Augen. „Warum, Angus? Warum ist er nicht bei dir? Wo ist er?“
„Vermutlich bei Robert Campbell.“
Robert. Der Name traf mich wie ein Schlag, und ich schwankte leicht. Ich hatte es gewusst. Irgendwie hatte ich immer gewusst, dass die Wege dieser beiden Männer, die vor langer Zeit als Rivalen um meine Zuneigung gekämpft hatten, sich eines Tages wieder kreuzen würden. Robert war gewiss bei Argyll. Wenn die Campbells aufseiten der Engländer kämpften und Argyll deren Anführer war, konnte Robert nirgendwo anders sein. Alex hatte ihn nicht erwähnt, doch jetzt hörte ich das Echo von Roberts Worten über viele Jahre hinweg: „In Schottland sind wir Feinde“, hatte er damals in London gesagt. Lieber Gott, was war geschehen?
Angus drückte mich grob an sich, und ich klammerte mich an ihn. Alex‘ Cousin war ein großer Mann, sogar größer als Alex. Mit seiner Größe und der Brust wie ein Fass konnte er furchterregend wirken. Er hatte sich das Haar kurz geschoren, wie alle Männer, ehe sie in den Krieg gezogen waren, doch es war genauso seidig und goldblond wie Alex‘ Haar, seine blauen Augen eine Schattierung heller, und nun, da er mich losließ, standen Tränen darin.
„Ist Alex gefangen genommen worden?“, fragte ich.
„Ich weiß es nicht, Mary. Als ich ihn verließ, war er frei.“ Ich blickte mich in der Halle um und bemerkte die Männer, die mit Angus gekommen waren. Erschöpft und mit hängenden Schultern saßen sie auf den Bänken, und die Frauen drängten sich um sie. Gilbey, der Tutor der Jungen und mein bester Verbündeter, ehe er in den Krieg gezogen war, lächelte mir schwach zu, doch sonst wollte keiner der Männer mir in die Augen sehen.
„Komm und erzähl mir alles“, sagte ich, und Angus nickte und ließ sich von mir in die Bibliothek führen, wo er sich schwer in einem Sessel niederließ. „Wo ist Matthew?“, fragte ich, als mir auffiel, dass ich ihn nirgends gesehen hatte. Angus‘ Sohn, der große, gut aussehende Matthew, wich seinem Vater kaum von der Seite, außer er war bei Gilbey, denn die beiden waren sehr gute Freunde. Matthew, dachte ich besorgt und setzte mich Angus gegenüber.
„Bei Alex.“ Angus starrte ins Feuer, und ich wartete. Ich war sicher, dass Alex und Matthew von den Engländern gefangen genommen worden waren. Das hatte ich befürchtet, seit Sheriffmuir und vor allem seit Perth. Damit sämtliche Kilgannon-Männer sicher nach Hause kamen, quer durch ein Land, das nun von den siegreichen Feinden besetzt wurde, hätte schon ein Wunder geschehen müssen. Dass überhaupt so viele nach Hause gekommen waren, war ein Segen. Warum nur konnte mein Mann nicht darunter sein? Ich kämpfte gegen die aufsteigende Panik an, als das Dienstmädchen Leitis Whisky und etwas zu essen brachte. Ich schenkte Angus ein Glas Whisky ein, und er schaute stumm ins Feuer, während er daran nippte. Schließlich brach ich das Schweigen.
„Ich weiß, dass Kilgannon verloren ist und dass es Vergeltungsmaßnahmen geben wird.“ Ich bemühte mich, das Zittern in meiner Stimme zu unterdrücken. „Ich weiß, dass Alex noch lebt, und Matthew ebenfalls, und dass Robert irgendwie an der Sache beteiligt ist. Jetzt erzähl mir den Rest. Es kann nicht schlimmer sein als das, was ich mir bereits ausgemalt habe.“
Er hob den Blick und sah mir in die Augen. „Ach, Mary, du hast recht. Entschuldige, das war unhöflich von mir. Hier sitze ich herum und hänge meinen Gedanken nach, ohne daran zu denken, dass du ja gar nicht weißt, was geschehen ist.“
„Dougall hat uns von Sheriffmuir erzählt, und Thomas hat uns berichtet, dass James Stewart und Mar sich nach Frankreich abgesetzt haben und ihr Übrigen euch allein durchschlagen musstet. Und der MacDonald hat mir gesagt, ihr wolltet nach Aberdeen gehen und versuchen, von dort aus nach Hause zu kommen. Die meisten von euch haben es bis hierher geschafft. Was ist geschehen? Wo ist Alex?“
„Der MacDonald war hier?“ Ich nickte.
„Warum?“
Ich erzählte ihm von dem Besuch und meiner Antwort auf sein Angebot, und er nickte.
„Gut.“
„Angus, wo ist Alex?“
„Zuletzt habe ich ihn am Ostufer des Loch Linnhe gesehen.“ Er trank einen Schluck Whisky und sah mir in die Augen. „Und mein Sohn ist bei ihm geblieben.“ Er wandte den Blick wieder dem Feuer zu. „Wir waren in Montrose, und James Stewart hielt ein Treffen mit den Clanoberhäuptern ab. Alex war da; ich habe mit Duncan Maclean draußen gewartet. Als Alex zu uns herauskam, hättest du ihn nicht wiedererkannt. Ich habe ihn noch nie so zornig gesehen. Denk daran“, – er sah mich unter buschigen Brauen hervor an, und seine Augen glitzerten stahlblau, – „dass viele der Clans bereits nach Norden, nach Aberdeen geschickt worden waren. Wir waren nur wegen unserer Verbindung zum MacDonald noch in Perth, sonst wären wir mit den anderen nach Norden gezogen.“ Er rutschte auf dem Sessel herum. „Wo war ich? Ach ja. Offenbar haben sich die Clanoberhäupter alle Mühe gegeben, aber der Stewart war fest entschlossen abzureisen. Also hat er sich davongemacht, und wir blieben uns selbst überlassen.“
„Und der MacDonald ist ebenfalls gegangen.“
„Ja, nach einer Weile. Er hat uns gebeten mitzukommen. Er hat uns beinahe angefleht. Ich habe den Mann noch nie so gebrochen erlebt.“
„Warum seid ihr nicht mit ihm gegangen?“
„Na ja, Mary, er hatte keinen Platz für vierundzwanzig zusätzliche Männer, er hätte höchstens vier oder fünf an Bord nehmen können. Ich habe Alex gedrängt, mit ihm zu gehen, aber er wollte uns nicht im Stich lassen. Und die Männer aus Clonmor auch nicht. Außerdem hatten wir gehört, Clonmor werde belagert. Da standen wir also, mitten in der eiskalten Nacht, und sahen zu, wie König James davonsegelte und sein Land und seine Leute sich selbst überließ.“ Er schüttelte den Kopf.
„Wir zogen nach Norden, warnten die Leute auf dem Weg nach Aberdeen und berichteten ihnen, was geschehen war. Dann wandten wir uns nach Westen, nach Clonmor.“ Er seufzte. „Aber wir kamen zu spät. Das Haus war niedergebrannt, viele waren tot. Wir taten für die Leute dort, was wir konnten, und die Clonmor-Männer, die wir bei uns hatten, erklärten, sie würden schon allein zurechtkommen. Also sind wir nach Hause aufgebrochen. Wir dachten, wir könnten über Inverness nach Westen gelangen, aber die englischen Truppen waren überall, und es schneite wie verrückt, also zogen wir nach Süden und hielten uns so hoch wie möglich. Aber jedes Mal, wenn wir in ein Tal hinabstiegen, trafen wir auf weitere Soldaten.“ Er schüttelte gedankenverloren den Kopf. „Wir gerieten in ein paar Scharmützel, und bei einem davon verloren wir Finlay und Gabhan. Wir schichteten Steine über ihren Gräbern auf und zogen weiter. Ich hatte schon die Hoffnung aufgegeben, dass wir es durch den Schnee schaffen würden. Der Sturm war so schlimm, dass wir keine vier Fuß weit sehen konnten, und so sehr wir uns bemühten, wir kamen kaum voran. Nachts schliefen wir in Höhlen oder in der Scheune oder Küche irgendeiner guten Seele.“
Er umklammerte sein Glas fester. „Dann kam der Tag, an dem ich dachte, wir alle würden auf der Stelle sterben. Alex bildete die Nachhut, ich führte die Männer an. Ich konnte kaum etwas sehen, so heftig schneite es, und wir alle sahen aus wie Gespenster. Es war auch schwer, sich zu verständigen – du weißt ja, dass man den Mund kaum bewegen kann, wenn man so durchgefroren ist, also drehte ich mich um, um Alex zuzuwinken. Ich sah ihn dort stehen, und dann verschwand er plötzlich. Alle anderen konnte ich noch sehen, aber Alex schien sich in Luft aufgelöst zu haben. Er war fort.“ Er kippte den Rest Whisky herunter, ehe er meinem Blick begegnete. „Wir haben nach ihm gesucht, bis wir nicht mehr konnten und uns eine Höhle suchen mussten, um abzuwarten, bis der Schneesturm nachließ. Wenn ich ein altmodischerer Mensch wäre, hätte ich geschworen, das Feenvolk hat ihn geholt. Er war da, und plötzlich war er fort.“ Er schüttelte sich, als wollte er die Erinnerung vertreiben. „Wir haben ihn am nächsten Morgen gefunden. Er sagte, er hätte die Nacht in einer leeren Hirtenhütte verbracht, aber er war ebenso erschüttert wie ich.“ Er sah mir nur kurz in die Augen. „Er sagte, er hätte nur mich sehen können, und dann hätte ich mich plötzlich in Luft aufgelöst. Das war eine Warnung, Mary, und wir haben sie nicht beachtet.“
Ich schlang mein Tuch fester um mich, während er fortfuhr. Behindert vom heftigen Schneefall und Rudeln englischer Soldaten, zogen sie in südöstlicher Richtung aus den Bergen. Sie begegneten Landsleuten, die den Jakobiten freundlich gesonnen waren, und erfuhren, dass der Norden fest in der Hand der Loyalisten war und dass Inverness, nun von den Frasers besetzt, ihnen auch keine Zuflucht geboten hätte, wenn sie es hätten erreichen können. Also zogen sie noch weiter gen Süden und dann nach Westen, wobei sie ständig den Truppen ausweichen mussten, die einfach überall waren. Sie versuchten die Margaret zu erreichen, die im Loch Linnhe vor Anker lag. Irgendwo westlich von Stirling bemerkten sie, dass eine bestimmte Truppe englischer Soldaten ihnen folgte. Sie bewegten sich also noch vorsichtiger und ließen immer ein oder zwei Männer ein Stück zurück, um die Verfolger im Auge zu behalten. Wenn das Wetter es zuließ, zogen sie so rasch wie möglich weiter, suchten sich vorsichtig ihren Weg durch Flander‘s Moss, das von Sümpfen durchzogene Land der MacGregors. Und dann erreichten sie das Land ihres Cousins Lachlan, der Angus vor Monaten geschrieben hatte. Sie hatten vor, die Nacht in seiner Scheune zu verbringen, als ein Brief eintraf, überbracht von einem Jungen, der erklärte, er sei dafür bezahlt worden, bei Lachlan zu warten und Kilgannon diese Nachricht auszuhändigen.
„Wir waren in Lachlans Haus“, erzählte Angus, „und haben mit ihm getrunken und uns endlich einmal sicher gefühlt. Lachlan berichtete, die Soldaten seien schon eine Weile nicht mehr bei ihm gewesen. Du kannst dir sicher vorstellen, was wir dachten, als der Brief kam. Zuerst konnten wir uns keinen Reim darauf machen.“ Er trank den letzten Schluck Whisky aus seinem Glas, und ich stand auf, um ihm nachzuschenken.
„Wir hatten selbst nicht mit Sicherheit gewusst, wo wir die Nacht verbringen würden, woher konnten die Engländer also wissen, dass wir in dieser Scheune sein würden? Es hatte den ganzen Tag lang geregnet, und Alex und ich hatten selbst die Nachhut gebildet und nach Verfolgern Ausschau gehalten. Wir waren sicher, dass uns niemand hierher gefolgt war, und wenn Lachlan sich nicht sehr verändert und den Engländern einen Boten geschickt hatte – und er schwor, dass er das nicht getan habe –, woher hatten sie das wissen können? Wir hatten uns auf Umwegen genähert und waren schließlich nach Osten gezogen, um zu Lachlan zu gelangen. Keiner von uns hatte die Gruppe verlassen, also glaubten wir nicht an einen Verräter in den eigenen Reihen. Wir waren sehr besorgt.“ Angus schloss seufzend die Augen. „Als Alex den Brief öffnete und las, wurde er bleich. Er faltete ihn zusammen und steckte ihn in seinen Plaid. Erst wollte er uns nicht sagen, was darin stand, – er befahl den Männern nur zusammenzupacken, weil wir sofort wieder aufbrechen würden.“ Er öffnete die Augen und blickte grimmig ins Feuer. „Ich habe ihn noch einmal gefragt, was darin stünde, und da hat er ihn mir gegeben.“ Er trank einen großen Schluck Whisky, den ich frisch eingeschenkt hatte.
„Was stand darin?“, fragte ich. Ich stand immer noch vor ihm, und als er meinem Blick begegnete, war ich schockiert über die rasende Wut in seinen Augen.
„Da stand unsere gesamte Route, wo wir vermutlich Rast machen würden, wo sich Höhlen und Verwandte entlang der Route befanden. Und wo am wahrscheinlichsten ein Schiff auf uns warten würde. Da stand außerdem, dass wir ungehindert abziehen dürften und Kilgannon unberührt bleiben würde, wenn Alex sich den Engländern ergab. Und dass man dir sicheres Geleit nach England zusichern würde. Sollte er sich nicht ergeben, so stand da, würde man uns verfolgen, uns aufspüren und uns alle gefangen nehmen. Und falls man uns nicht finden könnte, würdest du gefangen genommen und als Geisel verschleppt werden. Danach würden sie Kilgannon niederbrennen und alle Bewohner töten. Alle. Der Brief war unterzeichnet von Robert Campbell.“