Kapitel 1
Mai 1817
London
Im sanften Abendlicht des Salons starrte Miss Elizabeth Armstrong, von Freunden und Familie Bette genannt, ihre Mutter an, welche mit der anmutigen Grazie einer Königin, die Hof hält, auf dem Sofa saß. Sie war überrascht.
„Meine Absichten waren dir doch sicherlich bekannt“, murmelte ihre Mutter und nahm ein paar Schlucke von ihrem Tee. „Ich kann mir nicht vorstellen, warum du so entsetzt dreinschaust, Bette. Das ist wenig schmeichelhaft. Fasse dich, meine Liebe.“
Elizabeth ließ das Buch, in dem sie gelesen hatte – eine aufregende Geschichte über Liebe und Verrat – auf den kleinen Walnusstisch sinken. „Mutter“, begann sie und versuchte, ihre rasenden Gedanken zu beruhigen. „Ich dachte, wir würden England nur für ein paar Monate besuchen. Ich hatte keine Ahnung, dass Sie wollen, dass wir dauerhaft hier wohnen.“
Allein der Gedanke war schon ungeheuerlich.
Ihre Mutter wölbte eine elegante Braue. „Pläne können sich ändern, meine Liebe. Das weißt du doch sicher.“
Elizabeth vermutete, dass dieser Plan schon immer existiert, ihre Mutter sie aber im Unklaren gelassen hatte. „Was ist mit unserem Leben in New York, Mama? Unsere Freunde und Familie dort? Was ist mit Vater? Er wird doch sein Geschäft nicht zurücklassen, um in England zu leben?“
„Wir werden sie kaum vermissen“, sagte ihre Mutter abweisend. „Und wann immer wir es doch tun, können wir nach New York fahren.“
„Mama, ich war froh, die Reise mit Ihnen zu machen, weil ich meinen Bruder vermisst habe und hoffte, ihn überreden zu können, mit uns nach New York zurückzukehren. Ich kann nicht bleiben. Ich beabsichtige, vor Weihnachten nach Hause zurückzukehren. Haben Sie Papa informiert?“
„Sprich mir gegenüber nicht von deinem Vater“, mahnte die Mutter heftig, und in ihren dunkelblauen Augen blitzte eine Emotion auf, die Elizabeth nicht verstand. „So sehr ich deinen Vater auch liebe und darauf vertraue, dass er das Beste für dich will, bei dieser Entscheidung hat er kein Mitspracherecht.“
Vertraue?
„Ist … ist etwas zwischen Ihnen und Vater vorgefallen?“, fragte Elizabeth und hatte das Gefühl, als geriete ihre ganze Welt durcheinander.
„Abgesehen von seiner lächerlichen Entscheidung, dich gegen meinen ausdrücklichen Wunsch in seiner Firma arbeiten zu lassen? Es ist inakzeptabel und schädlich für deine Zukunft.“ Ihre Mutter verzog das Gesicht kurz zu einer Grimasse. „Das war unser einziger Streit.“
Erleichterung erfüllte Elizabeths Brust. „Mama, ich war zweimal in Vaters Büro. Niemand hat mich beobachtet, als ich in einem privaten Raum einige Aufgaben für ihn erledigt habe. Papa schätzt die Arbeit, die ich leiste, und sagte sogar, er würde mir mehr Verantwortung in der Firma übertragen.“
Mit einem entschlossenen Klirren stellte ihre Mutter die Tasse auf dem Tisch ab. „Aus diesem Grund habe ich darauf bestanden, dass du mit mir nach London kommst und hier dein neues Zuhause findest.“
Ein kurzes, ungläubiges Lachen entwich Elizabeths Mund. „Sie haben darauf bestanden, dass ich Sie begleite, weil ich Papa geholfen habe, ein paar Briefe zu schreiben und einige Bücher durchzusehen?“
„Ist das das Leben, das du ertragen willst, Bette? Verschleiert in die Firma deines Vaters zu gehen, weil du dich lächerlich machen und deinen Ruf ruinieren könntest? Willst du dich wirklich allein in einem Zimmer verstecken und arbeiten, nach Hause kommen in dein Elternhaus anstatt zu Mann, Kindern und eigenem Heim?“
Ein scharfer Schmerz durchdrang Elizabeths Brust. „Ich will das Leben nicht ertragen. Ich bin entschlossen, es zu leben und glücklich zu sein.“
„Gut“, sagte ihre Mutter mit sanfter Intensität. „Sich ein paar Mal im Monat im Büro deines Vaters zu verstecken und an den Büchern zu arbeiten, ist das Leben zu ertragen.“
„Mama, Sie übertreiben!“
„Tue ich das?“ Ihre Mutter kniff die Augen zusammen. „Du bist dreiundzwanzig, in ein paar Monaten vierundzwanzig. Das ist der richtige Zeitpunkt, um an die Sicherung deiner Zukunft zu denken, Bette. Du solltest nicht diese unsinnigen Ansichten haben, die dein Vater unterstützt, wo er doch weiß, dass es zu deinem Nachteil ist.“
„Es war nichts Schädliches –“
„Ladys arbeiten nicht! Du bist eine Erbin, eine junge Frau von Anmut, Schönheit und Talent. Du hättest schon vor drei Jahren heiraten sollen!“
„Nicht das schon wieder, Mama! Ich bin unverheiratet. Daran ist nichts Schlimmes.“ Elizabeth hatte nie zu Selbstmitleid geneigt. Zwar pries ihre Mutter diese Eigenschaft, glaubte aber auch, dass sie ihre Tochter starrsinnig machte und sie dazu brachte, einem Leben als alleinstehender Frau ohne Angst entgegenzusehen.
„Dass sich deine Träume nicht erfüllt haben, bedeutet nicht, dass du einfach aufgibst und anfängst zu glauben, du könntest eines Tages deinem Bruder bei der Leitung der Firma deines Vaters helfen.“
„So weit habe ich nie geplant“, sagte Elizabeth mit fester Stimme und faltete die Hände in ihrem Schoß. „Ich wollte lediglich etwas Produktives mit meiner Zeit anfangen. Papa hat das verstanden.“
„Dass dein Vater dafür Verständnis zeigt, ist genau der Grund, warum ich wütend und verletzt bin. So wie ich das sehe, lebst du nicht, Bette. Es bricht mir das Herz. Du hast alle Heiratsanträge in New York abgelehnt. Alles, was ich für dich will, ist, dass du hier in England einen Gentleman findest. Wir werden dieses Jahr nicht mehr nach New York zurückkehren.“ Ihre Mutter setzte sich aufrecht hin. „Ich habe deinen Vater informiert, dass wir mindestens zwei Jahre in London verbringen werden.“
Die Erwartungen ihrer Mutter drückten schwer auf das Schweigen zwischen ihnen. Teils verstand sie die Argumentation ihrer Mutter, andererseits hatte sie Angst, diese alten, phantasievollen Träume wieder aufleben zu lassen. Mit neunzehn war Elizabeth in die New Yorker Gesellschaft eingetreten, doch vier Jahre später war sie immer noch unverheiratet. Als Tochter eines Mannes, der eine Bank und weitere Unternehmen besaß, hatte sie schnell gelernt, dass die meisten Verehrer sich mehr für ihren Reichtum und ihre Verbindungen denn für ihren Charakter interessierten. Im Laufe der Jahre war ihr Herz misstrauisch geworden, und sie hatte acht Heiratsanträge abgelehnt, denn ein Bewerber war durchsichtiger gewesen als der andere.
Desillusioniert von der oberflächlichen Oberschicht New Yorks, hatte sich Elizabeth in den letzten Monaten dem Geschäft ihres Vaters zugewandt. Sie interessierte sich besonders für die finanziellen Aspekte. Ihr Verständnis für Zahlen war unbestreitbar, und sie fand die Herausforderung der Arbeit als belebend – ein starker Kontrast zu den langweiligen Besuchen bei Freunden und den endlosen Festen. Ihre Mutter, eine Frau mit traditionellen Werten, die den Platz der Frau zu Hause oder zumindest innerhalb der vornehmsten Grenzen der Gesellschaft sah, zeigte sich über diese neue Leidenschaft entsetzt.
„Mama“, sagte Elizabeth und brach das angespannte Schweigen. „Wenn ich in New York keinen Ehemann finde, welche Chancen habe ich dann in England? Haben Sie bedacht, dass ich wieder einmal scheitern könnte?“
Ihre Mutter stand auf, durchquerte das Zimmer und nahm Elizabeths Hände. Sie starrte sie an und musterte jedes Detail ihres Gesichts.
Ein Anflug von guter Laune überkam Elizabeth. „Wonach suchen Sie, Mama?“
„Ich suche nach einer Spur des Mädchens, das einst von der Liebe träumte, wie sie in den Romanen beschrieben steht, die sie verschlungen hat. Des Mädchens, das sagte, sie wolle einen Mann und drei Kinder. Das Mädchen, das oft darüber scherzte, dass sie einen Mann heiraten würde, der sie genauso anbetet wie dein Vater mich anbetet.“
Elizabeths Kehle schnürte sich zu, und ein unsichtbarer Stein drückte auf ihre Brust. Darauf hatte sie keine Antwort und konnte den Blick ihrer Mutter nur hilflos erwidern.
„Willst du heiraten, meine Liebe“, fragte diese sanft, „oder ist dieser Wunsch ganz aus deinem Herzen verschwunden?“
Eine heiße Welle des Verlangens durchfuhr Elisabeths Herz. Sie wandte den Blick ab, damit ihre Augen nicht die Sehnsucht verrieten, die noch immer in ihr lebte. Die Sehnsucht nach einer glücklichen Ehe und Kindern. Was, wenn sie es noch einmal versuchte und wieder scheiterte? Die Vorstellung davon hinterließ einen schrecklichen Schmerz in ihrer Brust.
„Bitte sei ehrlich zu mir, Bette“, sagte ihre Mutter.
Elizabeth spürte, wie sich der alte Hunger in ihr regte, ein Gefühl, das sie vor ein paar Jahren begraben hatte.
„Ich will“, flüsterte sie, und das Eingeständnis fühlte sich an wie eine Kapitulation. „Aber ich fühle keine Aufregung bei dem Gedanken, es noch einmal zu versuchen. Es ist ein furchtbar mühsames und wenig erfüllendes Unterfangen.“
„Deine Tante wird dir helfen, durch diese Gewässer zu segeln. Sally hat es mir erst heute Morgen versprochen.“
Elizabeths Herzschlag beschleunigte sich. „Tante Sally war so dramatisch, als sie erfuhr, dass ich weder verlobt noch verheiratet bin. Sie meinte sogar, es sei vielleicht ein Glücksfall, dass ich keinen Ehemann suche. Sie sagte, es gäbe viel jüngere, reichere und hübschere Debütantinnen, die mehr Beachtung fänden.“
„Es gibt Dinge im Leben, für die es sich zu kämpfen und zu opfern lohnt. Deine Zukunft … die, die du für würdig hältst, ist etwas, wofür es sich zu kämpfen lohnt.“ Ihre Mutter drückte ihre Hände und schenkte ihr ein Lächeln, das traurig und verständnisvoll zugleich war. „Du wirst jemanden finden, Bette, einen Mann, der deinen Wert genauso sieht wie ich“, versicherte ihre Mutter und ihre Worte umschlangen Elizabeth wie eine warme Umarmung. „Und vielleicht wird dir ein Tapetenwechsel das bieten, was in New York nicht zu finden ist.“
Elizabeth lächelte und spürte Furcht und Aufregung gleichzeitig aufflackern. Ihre Tante väterlicherseits, Viscountess Barnaby, in deren Stadthaus am Berkeley Square sie residierten, hatte sie über die Befolgung der strikten Verhaltensregeln der Londoner Gesellschaft belehrt – zu Bettes Schrecken waren sie sogar noch strenger und unnachsichtiger als die der New Yorker. Seit sie die Hoffnung auf eine Ehe aus ihrem Herzen gestrichen hatte, genoss Elizabeth ein größeres Maß an Freiheit. Sie konnte sich nicht vorstellen, sich wieder so einzuschränken. Oder herablassende Blicke von denen ertragen zu müssen, die sie für eine abgestellte, alte Jungfer hielten.
Doch die Möglichkeit, jemanden zu finden, der sie ihrer Intelligenz und ihres Geistes willen und nicht wegen ihres Vermögens liebte, ließ einen Hauch von Hoffnung in ihrem behüteten Herz aufkeimen.
Sehr bald werde ich wieder zu träumen wagen … und vielleicht werde ich dieses Mal finden, was ich suche. Eine Ehe mit einem Mann, den sie lieben konnte und der sie ebenso schätzte. Elizabeths Herz pochte vor Nervosität und aufkeimender Hoffnung. Vielleicht, nur vielleicht, bot diese Reise nach England mehr, als sie zu erwarten gewagt hatte.
***
Eine Woche später fand sich Elizabeth am Rande eines der prächtigsten Gesellschaftsbälle Londons wieder. Der Raum war ein elegantes Spektakel, das von Hunderten von Kerzen auf Kristallleuchtern erhellt wurde. Ein zwanzigköpfiges Orchester spielte einen lebhaften Walzer, und die Luft war erfüllt von Musik, Lachen, leichtem Geplauder und dem zarten Duft der Damenparfüms.
„Ich hoffe, du hast bemerkt, dass dich niemand zum Tanzen aufgefordert hat, Bette“, murmelte ihre Tante hinter ihrem bemalten Fächer.
Elizabeth war sich dessen durchaus bewusst, störte sich aber nicht daran. Ihre Mutter, die sich mühelos unter die anderen Gäste mischte, warf ihr oft mitfühlende Blicke zu, die zeigten, dass ihr der Mangel an Tanzpartnern ihrer Tochter nicht entgangen war.
Tante Sally seufzte übertrieben. „Die geeigneten Männer denken vielleicht, dass du zu alt bist. Ich sage dir, es ist dieses Kleid! Ich bin nicht glücklich über deinen Eigensinn.“
Ein humorloses Lächeln umspielte Elisabeths Lippen, aber sie antwortete ihrer Tante nicht. Beim Betreten des Ballsaals der Countess war ein Raunen skandalisierten Entzückens und Tadels durch die Menge gegangen, und Elizabeth fühlte eine aufregende Welle der Macht. Sie trug ein rosafarbenes Kleid, das sich fast provokativ an ihre Figur schmiegte. Mit seinem tiefen Dekolleté und dem leuchtenden Farbton war es ein krasser Gegensatz zu den zurückhaltenden Pastelltönen, die Debütantinnen typischerweise bevorzugten.
Sie hatte dieses Kleid ganz bewusst gewählt, denn sie hatte sich geschworen, ihrem Charakter treu zu bleiben und der Gesellschaft ohne Worte mitzuteilen, dass sie eine Lady mit kühnen Absichten war. Es war ein ziemlich riskanter Zug ihrerseits, doch Elizabeth war es sehr wichtig, dass dieser neue Vorstoß in den Heiratsmarkt ihren Vorstellungen entsprach. Ihre Tante, eine Verfechterin des Anstands, war sichtlich entsetzt gewesen, als sie das Kleid zum ersten Mal gesehen hatte.
„Eine Debütantin würde keine solchen Farben tragen“, hatte sie geschimpft und Elizabeth mit scharfem Blick und gerunzelten Brauen gemustert. „Das wäre nur für Witwen und verheiratete Frauen akzeptabel.“
Elizabeth hatte nur gelächelt und gehaucht: „Ich dachte, ich hätte bereits Staub angesetzt? Ich bin keine kindliche Debütantin mehr, aber die englische Luft hat in der Tat Wunder vollbracht. Ich würde sogar behaupten, dass ich mich nicht mehr uralt fühle.“
„Du machst Witze! Wir brauchen eine neue, sittsamere Garderobe …“, hatte ihre Tante mit einer Mischung aus Verärgerung und Besorgnis versucht, sie zu beschwichtigen.
„Nein.“ Elizabeths Widerspruch war entschlossen und fest gewesen. „Früher habe ich allen zugehört, die mir sagten, was ich von einem Ehemann brauche. Ich habe Kleidung getragen, die meine Mutter für angemessen hielt, mit meiner Meinung zu Themen zurückgehalten, die für Frauen als unpassend galten, und mein Lachen unterdrückt. Mein Reichtum schwebte wie ein Leuchtturm über mir. Dieses Mal, Tante, wird meine Suche nach einem Ehemann nach meinen Bedingungen vonstattengehen.“
Der Raum war in angespanntes Schweigen verfallen, während sich ihre Tante und Mutter beunruhigte Blicke zuwarfen. Keine der beiden Damen äußerte weitere Einwände, vielleicht weil sie zum ersten Mal den eisernen Willen wahrnahmen, der sich hinter Elizabeths vornehmem Äußeren verbarg.
„Nun“, sagte ihre Mutter und schlug ihren Fächer auf, während sie anmutig auf sie zutrat. „Ein Londoner Ball ist noch lebhafter als wir es gewohnt sind, aber ich hatte gehofft, die Männer wären aufmerksamer.“
„Ich bin ziemlich entsetzt, dass eine junge Dame ohne Partner so unbeachtet bleibt“, sagte ihre Tante und warf Elizabeth einen vorwurfsvollen Blick zu. „Die meisten Männer brauchen einen Anreiz, um sich einer Dame zu nähern. Wir müssen die Gesellschaft wissen lassen, dass –“
„Nein!“ Elizabeth wusste, worauf ihre Tante hinauswollte. „Niemand braucht zu wissen, dass ich eine Erbin bin. Ich mag keine Männer, deren Bewunderung nur auf Eigennutz und sonst nichts basiert.“
„Als ich meinen Mann kennenlernte, trieb mich nur der Gedanke an das Wohlergehen meiner Familie dazu, den Antrag eines Viscounts anzunehmen“, sagte ihre Tante. „Jetzt liebe ich diesen Mann von ganzem Herzen. Die Bedeutung liegt nicht darin, wie eine Bindung beginnt, sondern wie sie endet.“
„Ich werde meine Meinung in dieser Sache nicht ändern. Das müssen Sie respektieren.“
Ihre Tante kniff die Augen zusammen. „Bette! Du bist zu sturköpfig.“
„Wenn meine Wünsche nicht respektiert werden, werde ich mich auf den Heimweg machen.“ Elizabeth schwächte die Drohung mit einem kleinen Lächeln ab. „Es ist wichtig für mein Glück, sonst würde ich Sie beide nicht darum bitten.“
Ihre Tante seufzte und sagte widerwillig: „Nun gut.“
Der Knoten in Elizabeths Bauch löste sich, und als sie den Wirbel von Farben und Bewegungen vor sich sah, fühlte sie sich schmerzhaft distanziert. Sie verstand die Sorgen ihrer Tante. Obwohl ihre Gastgeberin sie gnädig mehreren geeigneten Gentlemen vorgestellt hatte, hatte sie keiner zum Tanz aufgefordert. Elizabeth war nicht die zarte, blonde Schönheit, von der ihr Bruder behauptete, sie sei so begehrt wie die Diamanten und Rosen, die jede Saison gefeiert wurden. Dennoch war sie hübsch. Ihr dunkelbraunes Haar mit den roten Strähnen schmeichelte ihrem hellen Teint. Mehr als ein bewundernder Blick verweilte auf ihr, aber niemand sprach sie an.
Muss ich immer zuerst für meinen Reichtum geliebt werden?
„Ich brauche ein bisschen frische Luft. Ich komme gleich wieder.“
Die Mutter warf ihr einen mitfühlenden Blick zu und nickte. Als Elisabeth davon eilte, spürte sie die besorgten Blicke ihrer Tante und ihrer Mutter in ihrem Rücken. Sie nahm einem Diener, der sich mit einem Tablett geschickt durch die Menge bewegte, ein Glas Champagner ab, schob sich durch das Gedränge und erreichte die Türen zur Terrasse. Sie schlüpfte hinaus und ein Seufzer der Erleichterung entrang sich ihren Lippen, als sie den in sanftes Mondlicht getauchten Balkon menschenleer vorfand.
Die kühle Nachtluft war wie Balsam. Gerade als Elizabeth darüber nachdachte, den Ball vorzeitig zu verlassen, erregte eine plötzliche Bewegung im Inneren des Saals ihre Aufmerksamkeit. Gemurmel drang auf den Balkon heraus, wie Herbstlaub, das von einem Windstoß erfasst wird.
„Es ist der Duke of Basil“, keuchte eine Dame, ihr Tonfall verriet Schock und zugleich einen Hauch von Erregung.
„Ich habe ihn schon lange nicht mehr auf einer dieser Veranstaltungen gesehen. Nicht mehr, seit Sie wissen schon … dem Skandal“, antwortete eine andere dramatisch flüsternd. Ihre Stimme vermittelte Missbilligung und Freude.
Elizabeth amüsierte sich, ihre Lippen kräuselten sich vor Belustigung. Es schien, dass die Damen in England die gleiche Vorliebe für Klatsch und Tratsch besaßen wie die in New York.
„Gütiger Himmel, ist Lady Clara in der Stadt?“, fragte jemand in gedämpftem Ton.
„Oh, Mary, sprich nicht davon“, antwortete die erste Dame. „Wir wollen nicht, dass dieser furchtbare Klatsch wieder aufflammt. Clara war so am Boden, weil er sie nicht zu seiner Duchess gemacht hat.“ Ihre Stimme war voller Mitgefühl.
Versteckt hinter der Tür und einem großen Palmwedel tratschten drei Ladys eifrig miteinander. Elisabeths Neugier war geweckt, und sie reckte den Hals, um einen Blick auf den berüchtigten Duke zu erhaschen. Ein paar Gentlemen trieben sich herum, aber keiner von ihnen hatte die Aura, die sie von einem Duke erwartete.
„Das war sehr unehrenhaft von ihm“, klagte eine Dame. „Man hat sie zusammen erwischt. Wie konnte er ihr gegenüber nur so gefühllos sein? Die arme Clara ist seit zwei Jahren auf dem Land. Ich hatte gehofft, sie könnte das alles hinter sich lassen.“
„Mary, man kann einen ruinierten Ruf nicht einfach abstreifen und das Geschehene hinter sich lassen“, konterte eine andere scharf.
„Ich für meinen Teil könnte einen solchen Mann niemals bewundern, selbst wenn er so gut aussieht wie Luzifer selbst“, erklärte eine andere schnaubend. „Mit einem teuflischen Humor und Charme dazu!“
„Ein ziemlich makabrer Vergleich!“, war die schnelle Erwiderung.
So gut aussehend wie Luzifer?
Elizabeth verdrehte die Augen auf undamenhafte Weise. Die müßigen Zungen klatschender Damen verblüfften sie immer wieder – oh! Ihre Gedanken zerstreuten sich, als eine hochgewachsene Gestalt aus dem Gedränge hervortrat. Er hielt sich königlich aufrecht und distanziert.
Meine Güte, sieht der gut aus. Ist das der Luzifer dieser Ladys?