Kapitel 1
Brompton, außerhalb von London,
6. Januar 1835
„Der Dreikönigstag ist wahrhaft der beste Tag im Jahr“, erklärte Charles Dickens, als die Hausherrin eine köstlich aussehende Marmeladentarte von der Anrichte herübertrug. Der riesige Nachtisch, traditionsgemäß für den Feiertag mit sternförmigem Gebäck und dreizehn verschiedenfarbigen Marmeladensorten dekoriert, duftete nach Früchten und Zucker.
Mrs Hogarths große Familie applaudierte, während sie ihre Kreation in der Mitte des Esstischs platzierte, auf einer Tischdecke, die mit den drei heiligen Königen bestickt war, die das Christkind besuchten. Die Eierglasur des Kuchens glänzte im Kerzenlicht und Charles lief trotz des leckeren Mahls aus Braten, Kartoffeln und Kohl, das sie gerade beendet hatten, das Wasser im Mund zusammen. Am Kopf des Tischs hantierte George Hogarth mit einem sauberen Messer, wobei er sich fast seinen buschigen Backenbart abschnitt.
„Nein, Sir, es ist der schlimmste“, neckte seine Tochter, die hübsche Kate Hogarth, die an Charles’ Seite saß. „Denn dann bringt Vater Gäste mit nach Hause, mit denen wir die wunderbare Tarte meiner Mutter teilen müssen.“
„Sie werden Ihre Lieblingsmarmelade bekommen“, versprach Charles und blickte in die strahlend blauen Augen der neunzehnjährigen Tochter des Hauses.
Er hatte während des gesamten Essens mit dem Mitherausgeber seiner Zeitung übers Geschäft geredet, doch trotz des Dutzends anderer Erwachsener und Kinder im Raum hatte sich sein Auge wieder und wieder an diesem schönen Mädchen erfreut. „Welche ist es?“
„Stachelbeere“, sagte sie errötend. „Doch Sie müssen zuerst wählen. Sie sind Vaters Gast.“
„Ich bin nur ein neuer Angestellter des Evening Chronicle“, erklärte Charles, „kaum der Erwähnung wert.“
„Aber nicht doch“, sagte George Hogarth und legte seine freie Hand auf seine Weste. „Sie sind unser vielversprechendster Journalist. Mit nur zweiundzwanzig Jahren so versiert. Das macht mir Hoffnung, mein Junge.“
„Wie aufregend“, sagte Kate Hogarth mit glänzenden Augen. „Sie müssen uns erzählen, worüber Sie so schreiben, Mr Dickens.“
Als das zustimmende Gemurmel ihrer Kinder verklungen war, schob die Hausherrin Mrs Hogarth, die zehn Jahre jünger als ihr ergrauender Ehemann war, die Tarte zu Charles. Der erzählte gerade, wie er kürzlich einer Parlamentsdebatte beiwohnte, um darüber zu berichten, während der ein Parlamentsmitglied betrunken zu Boden ging, ein Veteran einen Niesanfall bekam, und eine Rede drei Stunden lang dauerte, bis schlussendlich ein älterer Staatsmann einnickte und von der Bank fiel, nachdem er so laut geschnarcht hatte, dass die Menge sich an der Grenze zur Hysterie befand.
Miss Hogarth hielt sich an seinem Ärmel fest, um sich während ihrer Kicheranfälle aufrecht zu halten. Charles war stolz auf seinen Frack mit dem schwarzen Samtkragen. Sein Blick glitt zwischen ihren Fingern auf dem neuen Stoff und dem höchst appetitlichen Kuchen hin und her, der gerade angeschnitten wurde.
Schuldbewusst wandte er sich an seinen Gastgeber, der sein anderer Tischnachbar war. Sein Starren war unhöflich, aber einen derart leckeren Nachtisch hatte der junge Mann noch nie vorgesetzt bekommen.
„Was möchten Sie, Charles?“, fragte Mrs Hogarth.
„Eines von den roten, bitte“, sagte er schwärmerisch. „Miss Hogarth möchte gern eines von den grünen.“
„Wie ihre Mutter“, sagte Mr Hogarth heiter. „Sie macht hervorragende Stachelbeermarmelade.“
„Hatten Sie ein schönes Weihnachtsfest, Mr Dickens?“, fragte Miss Hogarth. Ihr schottischer Akzent war weniger deutlich als der ihrer Eltern. „Haben Sie Ihre Familie besucht?“
Charles nahm den Teller mit seinem Stück Tarte entgegen. Die rote Marmelade war umgeben von einem Dreieck aus Teig. „Mein Vater weilt derzeit draußen in Hampstead, doch der Rest der Familie ist in der Nähe. Mein Bruder Fred lebt sogar bei mir. Ich soll seine Ausbildung beaufsichtigen. Meine Mutter hat mit meinen beiden Schwestern und den zwei Jüngsten, beides Jungen, alle Hände voll zu tun.“
„Wie nett, dass Sie hier Familie haben“, sagte Mr Hogarth, als ein etwa vierjähriges Kind auf seinen Schoß krabbelte und laut rülpste. „Wie alt ist Fred?“
„Vierzehn.“ Charles grinste. „Wir hatten kurz vor Weihnachten anlässlich des Geburtstags meiner Mutter ein ausgezeichnetes Mahl. Doch während der Zwölf Tage habe ich hauptsächlich gearbeitet. Ich schreibe für mehr als eine Zeitung und weil ich kein Familienmensch bin, schien es mir das Beste, so viel zu arbeiten wie ich konnte, um so diejenigen zu entlasten, die Kinder zu Hause haben.“
„Sehr anständig von Ihnen, Sir“, sagte Mrs Hogarth vom anderen Ende des Tischs, wo sie ein Baby mit riesigen dunklen Augen auf ihrem Schoß schaukelte. „Ich bin so froh, dass Sie uns heute Abend besuchen.“
„Ich danke Ihnen für die Einladung“, sagte Charles, bevor er sich zu dem Mädchen an seiner Seite wandte, als wäre er auf magische Weise von ihm angezogen. „Sagen Sie mir, Miss Hogarth, wann sind Sie von Edinburgh hierhergekommen?“
„Vor vier Jahren“, antwortete sie. „Anscheinend habe ich seitdem nichts von meinem schottischen Akzent verloren.“
„Ich finde ihn ganz bezaubernd“, erklärte Charles. „Es ist leicht zu sehen, dass Ihre Familie sehr musikalisch ist, wenn man den süßen Klang Ihrer Stimme und denen Ihrer Schwestern hört.“
„Wir werden ein wenig Musik hören, wenn wir fertig gegessen haben“, sagte Mr Hogarth, schob das Kind von seinem Schoß und schnitt den restlichen Kuchen auf. „Doch Sie haben noch einen langen Heimweg vor sich, wie ich weiß.“
„Wo wohnen Sie?“, fragte Miss Hogarth, während ihr Vater die Teller verteilte.
Charles beobachtete, wie jeder ein Stück des köstlichen Kuchens bekam. In seiner Junggesellenwohnung gab es nichts dergleichen und seine Mutter hatte kein Geld, um solche Köstlichkeiten zu bereiten – mit einem Ehemann, der vor seinen finanziellen Problemen auf der Flucht war. „Ich wohne in Holborn, im Furnival’s Inn. Es ist ein stiller, eher düsterer Ort. Nicht wie hier, mit all den Gärten und Obstwiesen um Ihr Haus. Wir haben engen Kontakt zu unseren Mitmenschen.“
„Das haben wir auch“, sagte Miss Hogarth und zupfte an einem roten Band, das sich am Ärmel ihres grünen Kleids gelöst hatte. „Sehen Sie nur, wie viele Brüder und Schwestern ich habe.“
„Meine Familie ist auch nicht klein“, sagte Charles. „Aber wie wunderbar ist es, seine Familie von dem zu ernähren, was das eigene Land hergibt?“
„Dadurch kann ich so köstliche Marmelade bereiten“, sagte Mrs Hogarth. „Mit Kates Hilfe natürlich.“
Die Lippen der Tochter verzogen sich beim Lob der Mutter zu einem Lächeln, doch dann hob sie ihre Brauen und blickte überrascht.
Charles hatte das Geräusch ebenfalls vernommen. Es kam von außerhalb des gemütlichen Hauses. „Was war das?“ Er fuhr zu den Fenstern herum, die von schweren Vorhängen verdeckt waren.
„Hörte sich wie ein Schrei an.“ Mr Hogarth legte sein Messer nieder und stand auf.
Er, Charles und Miss Hogarth gingen zum Fenster. Mr Hogarth schob einen der winterlich dicken Vorhänge zur Seite, damit sie etwas sehen konnten. Charles legte seine Hände um seine Augen und versuchte im Dunkeln etwas zu erkennen. Doch Nebel war aufgezogen und waberte über die brach liegenden Gemüsebeete. Er konnte nichts erkennen als die geisterhaften Äste kahler Apfelbäume, die sich in der Ferne sanft bewegten. Ein weiterer Schrei ertönte. Miss Hogarth schrak zusammen und erschauderte. „Wer wohnt nebenan?“, fragte Charles.
Mr Hogarth sah ihn stirnrunzelnd an. „Es ist ein vornehmes Haus. Lady Lugoson, die Witwe eines Barons, ist vor ein paar Monaten mit ihren zwei Kindern aus Frankreich hierher zurückgekehrt.“
„Eine allein lebende Witwe?“, fragte Charles mit scharfer Stimme. Die Häuser standen hier weit auseinander. Jedes Unheil konnte geschehen, ohne dass es jemand bemerkte.
Mr Hogarth nickte und sah besorgt drein.
„Wir müssen hinübergehen“, sagte Miss Hogarth mit bewundernswerter Entschlossenheit.
„Mrs Hogarth, würdest du uns ein paar Laternen anzünden?“, sagte Mr Hogarth.
„Natürlich.“ Mrs Hogarth steckte sich eine lose Strähne braunen Haars hinters Ohr und eilte davon.
Die jüngeren Kinder schnatterten aufgeregt, als Charles und Miss Hogarth seinen Umhang und ihren Mantel holten. Sie zog ihre Abendschuhe aus, wobei er heimlich ihre kleinen, schmalen Füße bewunderte, während sie ihre Stiefel suchte und sie schließlich anzog. Wie perfekt sie war und wie weit sie über ihm stand. Dieses Mädchen hatte nie einen Moment des Mangels erlebt, ihr Vater war nie wegen seiner Schulden im Gefängnis gewesen und ihren Brüdern wurde ihre Ausbildung nicht vorenthalten, weil sie aus finanziellen Gründen zu arbeiten anfangen mussten.
Charles sah Mr Hogarths Umhang neben ihren Hüten an einem Haken hängen und brachte die Kleidungsstücke ins Esszimmer. Sobald Mrs Hogarth die brennenden Laternen gebracht hatte, traten sie durch die grün gebeizte Tür in die Küche, wo sie eine junge Magd aufschreckten, und von dort aus durch die nächste Tür in den Garten.
Weitere Schreie drangen über die freie Fläche zu ihnen herüber, gedämpft und verzerrt durch den Nebel. „Werden sie gerade umgebracht?“, rief Miss Hogarth.
„Ich kann drei verschiedene weibliche Stimmen unterscheiden“, sagte ihr Vater.
Charles wusste, dass der Mann ein musikalisches Genie war und vertraute seinen Fähigkeiten. „Leiden sie Schmerzen?“
„Sie befinden sich sicher in einer Notlage.“ Mr Hogarth ergriff einen stabilen Gehstock, der an der Steinwand gelehnt hatte.
Charles und Miss Hogarth folgten dem älteren Mann, der sich seinen Weg an Gemüsebeeten vorbei und um Pfützen herum bahnte, während Nebelschwaden ihre Knöchel umspielten. Nur Miss Hogarth trug angemessenes Schuhwerk, obwohl Charles, der notwendigerweise sparsam war, ebenfalls Schuhe trug, die sich für lange Spaziergänge eigneten. Die Politur, die er gestern Abend mühevoll aufgetragen hatte, würde diese Nässe nicht überstehen.
Sie erreichten das Ende des Gartens und betraten die Streuobstwiese. Unter ihren Füßen war der Grund schlammig und übersät mit den verrottenden Blättern der Bäume.
„Darf ich?“, fragte Charles und deutete auf einen Ast, der nur noch lose an einem Apfelbaum hing.
Mr Hogarth nickte keuchend. „Natürlich. Ich hätte an Waffen denken sollen.“
„Oh, Vater“, rief Miss Hogarth. „Sicher werden wir keine brauchen.“
Charles riss den Ast vom Baum. Er besaß die Länge seines eigenen Arms und könnte in einem Kampf von Nutzen sein. Als er einen weiteren Ast entdeckte, der ein Stück entfernt auf dem Boden lag, reichte er ihn Miss Hogarth.
„Meine Güte“, sagte sie mit weit aufgerissenen Augen. Doch sie nahm den Ast beherzt entgegen und trug ihn den Rest des Weges in der Hand.
Sie hatten den Nebel der Streuobstwiese hinter sich gelassen und traten in den Lichtschein des Herrenhauses. Davor befand sich ein gepflegter Garten mit einem gekiesten Pfad zwischen Buchsbaumhecken. Charles versuchte sich die Form der Büsche vorzustellen und wünschte sich, den Garten aus der Vogelperspektive betrachten zu können.
Er hatte die Eingangstür des Hauses bereits zuvor gesehen, als er mit Mr Hogarth vorbeigelaufen war, und sie dabei genau betrachtet, immer auf der Suche nach Informationen, die er in seinen Artikeln verwenden konnte. Das Haus hatte die Form eines E und war im elisabethanischen Zeitalter erbaut worden. Über die Jahre war es verändert und erweitert worden. Es befand sich in einem hervorragenden Zustand und strahlte Reichtum und guten Geschmack aus.
Nun schritten sie über eine gepflasterte Terrasse an der Seite des Hauses. Durch die Glastüren konnten sie Menschen sehen, die sich hektisch im Raum dahinter bewegten. Schwarz gekleidete Dienstmädchen trugen Handtücher und Diener in formeller Abendlivree bewegten sich auf einen Punkt zu, der außerhalb ihres Sichtfeldes lag. Charles betrachtete den modernen Teppich und die blassen, apfelgrünen Wände. Die neueren, robusten Möbelstücke waren mit georgianischen Stücken gemischt, die aus der Zeit der Jahrhundertwende stammten. Mr Hogarth öffnete eine der Terrassentüren.
Auf einem Sofa erblickte Charles eine pompös gekleidete ältere Dame, die neben einem Herrn saß, der um die zehn Jahre jünger sein musste als sie.
Der Mann mittleren Alters sah sie über seine Brillengläser hinweg an und sagte freundlich: „Guten Abend.“
Kapitel 2
Nach all dem Geschrei, das sie gehört hatten, erschien ihnen der höfliche, mit deutschem Akzent gesprochene Satz völlig deplatziert.
Während Mr Hogarth den Mann grüßte, vernahm Charles eine erhobene Stimme. Vor einem zweiten Kamin lag ein junges Mädchen, das vielleicht ein paar Jahre jünger war als Miss Hogarth. Ihr Kopf neigte sich von einer Seite zur anderen, als wäre sie gerade aus einer Ohnmacht erwacht. Handtücher bedeckten etwas auf dem Fußboden neben ihr und Charles vernahm einen leicht üblen Geruch aus ihrer Richtung. Das Mädchen musste sich übergeben haben, bevor es in Ohnmacht gefallen war.
Miss Hogarth legte ihre Hand über ihren Mund, als der Geruch sie erreichte.
Eine schlanke Frau, die vielleicht zehn Jahre älter war als Charles, kniete neben dem Mädchen. Ihr mit grünen Blättern besticktes, schulterfreies weißes Seidenkleid passte zur Farbe des Raums. Als sie sich erhob, sah Charles, dass ihr Rock an den Knien mit Asche befleckt war. Sie gestikulierte mit ihren Händen vor dem Mädchen, als wollte sie es zum Aufstehen bewegen.
Zwei weitere Frauen standen neben ihr. Eine davon trug ein Abendkleid, dessen geraffter Rock von der Mode des letzten Jahrzehnts zeugte und einen wenig schmeichelhaften Gelbton aufwies. Die Frau zu ihrer Rechten, die aussah wie das heranwachsende Mädchen, das Charles auf einem Gemälde im Raum gesehen hatte, machte in ihrem Kleid mit einem tief ausgeschnittenen Oberteil und einer engen Taille eher ein Zugeständnis an die Mode und die weibliche Anziehungskraft.
Dem Gemälde nach zu urteilen, war die kniende Frau die Witwe des Barons. Das Mädchen, das nun blinzelte, hatte blondes Haar in der Farbe von Engelsflügeln. An der Wand neben dem Kamin lehnte ein Junge im Jugendalter, der eher verwirrt als verängstigt dreinblickte. Die kniende Dame war ebenfalls blond und Charles fiel auf, dass ihre schrägen Nasenlöcher denen des Jungen glichen. Das hier musste also der junge Lord Lugoson sein, der aus irgendeinem Grund nicht in seiner Schule war.
Miss Hogarth hielt nicht inne, sondern schritt beherzt auf die kniende Frau zu, nachdem sie ihren Ast an eine Wand gelehnt hatte. „Mylady, ich bin Miss Hogarth von nebenan. Wir haben die Schreie aus Ihrem Haus gehört.“
Als die Frau ihren Blick hob und Miss Hogarth anblinzelte, bemerkte Charles ihre großen grauen Augen, ihre hohen Wangenknochen und ihr elfenhaftes Kinn. Eine schöne Frau. Er nahm an, dass sie nicht lange Witwe bleiben würde.
Die beiden anderen Frauen waren ein wenig älter. Ihre Haut zeigte erste Zeichen am Unterkiefer und am Kinn ein wenig hinabzusinken. Die weniger modisch gekleidete von ihnen schien selbst der Ohnmacht nahe, doch die andere behielt aufmerksam zwei Diener im Blick, die ans Kopfende und an die Füße des jungen Mädchens traten. Die Dienstmädchen, die sie durch die Terrassentür gesehen hatten, waren bereits verschwunden.
„Können Sie aufstehen, Miss Lugoson?“, fragte Miss Hogarth. „Oder bedürfen Sie der Hilfe dieser Männer?“
„Oh, sie muss sich nicht selbst bemühen“, sagte Lady Lugoson. „Sie ist in Ohnmacht gefallen.“ Sie deutete vage auf die Handtücher.
„Schlug auf dem Boden auf, bevor irgendwer sie auffangen konnte.“ Der junge Lord Lugoson sprach in bewunderndem Ton. Seine Glieder sahen zu dünn aus, um das geringe Gewicht des Mädchens zu tragen.
Die Diener schienen Angst zu haben das Mädchen zu berühren. Ungeduldig ließ Charles sich auf der anderen Seite der Dame auf ein Knie nieder und ließ seinen Ast auf den Teppich fallen. „Ich trage sie mit Freuden, Mylady, wenn Ihre Diener es nicht vermögen.“
Auf ein Nicken von Miss Hogarth hin ließ Charles seine Arme sanft unter die Knie des Mädchens gleiten, während Miss Hogarth ihr half sich aufzurichten. Charles erhob sich langsam mit seiner Last. Er war selbst kein großer Mann, doch das Mädchen war nicht schwer.
Einer der jungen Diener besann sich. Er nahm einen dreiarmigen Kerzenleuchter vom Kaminsims und führte sie von dem übel riechenden Fußboden fort. Miss Hogarth ging neben Charles. Ihr Vater schloss sich ihnen an, geführt von Lady Lugoson und dem zweiten Diener.
„Bitte, Mylady, nehmt meinen Arm“, sagte Mr Hogarth besorgt. Lady Lugoson stützte sich schwer auf ihn, als Charles dem Diener in den Korridor folgte. Das Mädchen entspannte sich in seinen Armen und schien meist ohne Bewusstsein.
„Würde es Ihnen etwas ausmachen, sie auf ihr Zimmer zu bringen?“, fragte Lady Lugoson. „Dort wird sie es bequemer haben.“
„Natürlich“, versicherte Miss Hogarth ihr. „Mr Dickens wird nichts dagegen haben, da bin ich sicher.“
Charles spürte, wie sich seine seltsame Last unter Miss Hogarths liebevollem Blick leichter anfühlte. Das Mädchen in seinen Armen war still. Sie roch nach süßlichem, blumigem Parfüm und Schweiß.
Sie stiegen die große Treppe in den ersten Stock hinauf und gingen dann weiter in den zweiten. Der Teppich hier war altrosa und im Gegensatz zum unteren Stockwerk erhellten nur wenige Kerzen ihren Weg.
Die dritte Tür auf der rechten Seite stand offen. Dahinter lag ein schmuckloses Zimmer, in dessen Mittelpunkt ein großes Bett stand. Charles bemerkte eine antike schwarze Truhe und eine Waschschüssel auf einem einfachen Tisch. Eine Frau, die Lady Lugosons Zofe sein musste, saß auf einem Stuhl neben der Truhe und versah die Kanten eines Taschentuchs mit Spitze. Sie war ein einfaches Wesen von etwa dreißig Jahren. Als die Menge den Raum betrat, weiteten sich ihre Augen alarmiert.
Miss Hogarth entfernte sich von Charles’ Seite und schlug die Bettdecken zurück. Als sie zur Seite trat, legte Charles das Mädchen auf die Matratze. Die junge Frau warf ihren Kopf von einer Seite auf die andere und beruhigte sich dann.
Statt sich zurückzuziehen, umklammerte Lady Lugoson Mr Hogarths Arm umso fester und zog ihn zu dem Bett und dem darauf liegenden Mädchen, das noch immer sein weißes Abendkleid trug, das ebenso fest geschnürt war wie das seiner Mutter.
„Ich werde ihrer Zofe helfen sie für das Bett vorzubereiten“, sagte Miss Hogarth. „Habe ich Ihre Erlaubnis, Mylady? Ich bin es gewöhnt, mich um meine jüngeren Schwestern zu kümmern.“
Die Frau lächelte leicht und nickte. „Agnes wird Ihnen behilflich sein.“
Mr Hogarth nickte der unglücklichen Baronin auf seine freundliche Weise zu. „Dann sollten wir zu Ihren Gästen zurückkehren. Vielleicht sollten Sie einen Diener vor der Tür abstellen, damit er Nachrichten überbringen oder besorgen kann, was immer sie benötigen?“
„Eine hervorragende Idee“, sagte Lady Lugoson nach einer Pause. Sie nickte dem ersten Diener zu. Er stellte seine Kerze auf dem Tisch neben dem Bett ab und begleitete den Großteil der Gruppe zur Tür hinaus.
Charles lächelte in die Richtung, in der Miss Hogarth saß, doch die eifrige kleine Krankenschwester hatte nicht einmal ihren Mantel ausgezogen, geschweige denn schenkte sie ihm Beachtung, als sie sich über ihre Patientin beugte.
„So ein großartiges Mädchen, Ihre Tochter“, sagte er zu Mr Hogarth.
„Sie ist ein gutes Kind. Hat ihrer Mutter oder mir niemals irgendwelchen Ärger gemacht.“ Er wandte sich zu der beunruhigten Mutter des Mädchens. „Ich hoffe, Ihre Tochter leidet nicht öfter in dieser Weise, Mylady.“
„Nein.“ Lady Lugoson hob ein kleines Taschentuch an ihre Augen. „Das ist sehr ungewöhnlich.“
Sie kehrten nach unten zurück, wo sie die ältere Dame und ihren deutschen Begleiter vorfanden. Lady Lugosons Butler half ihnen in ihre Pelze und Mäntel.
„Vielen Dank, dass Sie gekommen sind, Lady Holland“, sagte die Hausherrin.
Erst jetzt wurde Charles klar, dass das hier Lady Holland war. Sie war berühmt in politischen Kreisen und wegen ihrer anrüchigen Vergangenheit. Charles und Mr Hogarth warteten, bis die Gäste gegangen waren, und folgten Lady Lugoson dann zurück in den Salon.
Charles zählte fünf Menschen, die dort nach wie vor versammelt waren. Lady Lugoson schritt durch den Raum zum zweiten Kamin. „Mr Hogarth, darf ich Ihnen meinen Sohn vorstellen? Ich fürchte, ich kenne den Namen des jungen Mannes nicht, der so freundlich war.“
„Natürlich, Mylady“, sagte Mr Hogarth. „Das hier ist Charles Dickens, ein Angestellter des Evening Chronicle. Vielleicht ist Ihnen bekannt, dass ich dort Mitherausgeber bin.“
Charles neigte seinen Kopf und war erfreut zu sehen, dass die Handtücher und was auch immer sie verdeckt hatten, während ihrer Abwesenheit gemeinsam mit ihren improvisierten Waffen verschwunden waren.
„Sehr erfreut. Ja, Ihr Beruf ist mir bekannt, Mr Hogarth“, sagte Lady Lugoson. „Ich habe Ihre Frau und zwei Ihrer Töchter kennengelernt. Sie kamen mich eines Nachmittags besuchen.“ Lady Lugoson streckte ihre Hände nach ihrem Sohn aus. Mürrisch legte der Junge ein Sammelalbum zur Seite und stand auf. Charles bemerkte, dass das Sammelalbum voller Zeitungsausschnitte war. Auf dem Einband war ein Theater abgebildet. Drury Lane höchstwahrscheinlich.
„Lord Lugoson“, sagte die Lady zu dem Jungen. „Darf ich die herausragenden Journalisten Mr George Hogarth und Mr Charles Dickens vorstellen? Mr Hogarth ist unser Nachbar. Ach, meine Herren“, wandte sie sich an Charles und Mr Hogarth, „das war meine Tochter, Miss Christiana Lugoson, der Sie geholfen haben.“
„Sie interessieren sich fürs Theater?“, fragte Charles, nachdem er den jungen Lord begrüßt hatte.
„Oh ja“, sagte Lord Lugoson, wobei sich sein Gesicht zum ersten Mal aufhellte. „Wir haben eine Verwandte, die am Theater arbeitet.“
Charles beließ seine Augenbrauen mit Mühe an Ort und Stelle. Ein paar frühere Theaterdamen hatten zwar Aristokraten geheiratet, jedoch würde eine entsprechende Familie im Gegenzug dazu kaum eine Verbindung zum Theater hervorheben.
„Ja“, sagte Lady Lugoson in einem Ton, der sich deutlich von ihrem üblichen Ausdruck unterschied. „Die Kinder lieben das Theater. Sie sammeln Zeitungsausschnitte über berühmte Produktionen.“
„Ich mag die Oper am liebsten, vor allem Mozart“, sagte der Junge eifrig mit brüchiger Stimme. Er hatte einen breiten Mund und ziemlich große Zähne, die in einem schmalen Kiefer saßen. „Doch Christiana bevorzugt Shakespeare.“
„Das sind auch meine Interessen“, sagte Charles. „Doch erklären Sie mir, was hier heute Abend passiert ist? Nach den Schreien hatten wir Angst, es sein ein Mord geschehen.“
„Christiana schlurfte durch den Raum wie eine Figur aus einem Theaterstück“, schilderte Lord Lugoson. „Dann übergab sie sich und brach zusammen. Ziemlich schockierend, um ehrlich zu sein.“
Seine Mutter blickte den Jungen an. Sie zog ihre Mundwinkel herab, wodurch ihr Gesicht älter wirkte. Er räusperte sich unbeholfen und widmete sich wieder seinem Sammelalbum.
„Ich bin Eustace Carley“, sagte ein Mann, der sich zuvor in der Mitte des Raumes befunden hatte, und kam auf sie zu. Carley, ein Mann mit buschigem, grau meliertem Haar und grauem Schnäuzer, trug eine Weste, die sich über seinem Leib spannte. Er hielt den Arm der gut gekleideten Frau in seiner fleischigen Umklammerung. Während Mr Carley um die fünfzig Jahre alt zu sein schien, hatte seine Frau noch immer die schmale Taille und das braune Haar einer jüngeren Dame, vielleicht in ihren späten Dreißigern.
„Ein Parlamentsmitglied, wenn ich mich nicht irre.“ Mr Hogarth nickte ihm zu.
„Richtig.“ Mr Carley neigte seinen Kopf. „Wir sind Nachbarn, da meine Frau unseren Landsitz unserem Zuhause am Grosvenor Square vorzieht, und waren zum Dreikönigsessen eingeladen.“
„Meine Tochter ist eine besondere Freundin von Miss Lugoson“, sagte Mrs Carley. Die Edelsteine in ihren goldenen, tropfenförmigen Ohrringen glitzerten im Feuerschein.
„Geht es ihr schon besser?“, quiekte Miss Carley, die Tochter des Paares, die Charles zuvor ebenfalls in der Mitte des Raumes hatte stehen sehen. Sie saß auf einem Stuhl neben einer Harfe und ihre Hände bewegten sich rastlos auf ihrem Schoß. Dauernd verschränkte sie ihre Finger ineinander und löste sie wieder. Ihr Kleid passte ihr nicht richtig und sah aus, als wäre es ein von ihrer Mutter abgelegtes Stück, das in einem schwachen Versuch an die Tochter angepasst worden war. Trotz ihrer cremeweißen Haut und ihrer rosigen Wangen war sie keine Schönheit. Ihre Haarfarbe konnte mit keinem Wort besser beschrieben werden als mit „mausbraun“.
„Oh ja, meine Liebe. Sie muss sich nur ausruhen.“ Lady Lugoson lächelte freundlich.
„Ich kann mir nicht vorstellen, was passiert ist“, sagte die weniger modisch gekleidete Frau in gelb und kam auf sie zu. Sie war geringfügig älter als Mrs Carley und hatte silberne Strähnen in ihrem schwarzen Haar. „Als wir ankamen, schien es ihr sehr gut zu gehen.“
„Das ist Mrs Decker.“ Lady Lugoson deutete in Richtung der Frau. „Eine weitere Nachbarin. Sie wohnt hinter dem Haus der Carleys. Ihr Ehemann ist heute Abend nicht da.“
„Er ist in New York“, sagte Mrs Decker mit Stolz in ihrer Stimme. „Einer seiner Cousins ist verstorben und er kümmert sich um den Nachlass des armen Mannes.“
Lady Lugoson nickte. „Wenn Sie mir vergeben würden, ich muss mit Panch sprechen und ihn um frischen Tee bitten. Wir brauchen alle eine Erfrischung.“ Sie rauschte aufgeregt davon.
„Lady Lugoson war eine bekannte politische Sprecherin, wenn ich mich recht erinnere“, sagte Mr Hogarth.
„Das war sie zu der Zeit, als der alte Lord Lugoson noch lebte“, sagte Carley. „Doch er hat die Wirren der Sterblichen vor fast zwei Jahren hinter sich gelassen und sie ist mit den Kindern für einige Zeit zu ihrer Tante nach Frankreich gezogen. Sie sind erst vor Kurzem zurückgekehrt.“
Sie sprachen über den vergangenen Glanz des Hauses Lugoson und Charles fragte sich die ganze Zeit, warum die Hogarths nicht zu dieser Gesellschaft eingeladen worden waren, wo die anderen Nachbarn doch anwesend waren. Sie standen wohl nicht hoch genug auf der gesellschaftlichen Leiter, nahm er an, und da half es auch nicht, dass ihr Zuhause so dicht neben dem Herrenhaus stand.
Lady Lugoson kehrte zurück und bat alle vor dem ersten Kamin, wo Sofas und Sessel standen, Platz zu nehmen. Ihr Sohn blieb in der Nähe des zweiten Kamins stehen. Das Carley-Mädchen flüsterte seiner Mutter etwas ins Ohr und verließ dann den Raum.
„Ich kehre gerade erst in die Gesellschaft zurück“, sinnierte Lady Lugoson, während ein Dienstmädchen frischen Tee hereinbrachte. „Es tut mir leid, dass meine erste Party auf diese Weise endet.“
„Sind Sie ebenso über die sozialen Reformen besorgt wie Ihr verstorbener Ehemann es war?“, fragte Mr Hogarth.
„Oh ja.“ Sie legte ihre Hände an ihre Wangen. „Ich bin besonders gegen die Armenhäuser. Dieses neue Armengesetz aus dem letzten Jahr ist schrecklich. Ich behalte meinen Sohn hier in London, damit er sieht, wie die Dinge wirklich sind, statt mit anderen Jungen seiner Klasse irgendwo weggesperrt zu sein.“
Der Butler, der um die vierzig Jahre älter war als die Diener, betrat den Raum. Seine Miene war noch abwesender als vorher. Lady Lugoson runzelte die Stirn. „Entschuldigen Sie mich.“ Sie erhob sich und ging auf den Butler zu, als offenbar wurde, dass er nicht näher kommen wollte.
Der Butler neigte seinen Kopf, der auf einem langen Hals saß, und sagte ihr leise etwas ins Ohr. Ihre Augen weiteten sich und ihr wich die Farbe aus dem Gesicht. Charles konnte die Katastrophe von ihrer Miene ablesen. Instinktiv stand er auf und trat an ihre Seite. „Was ist passiert, Madam? Kann ich behilflich sein?“
„Christiana fühlt sich erneut schlecht“, flüsterte sie und spielte nervös an dem Granatanhänger, der an einer Kette um ihren Hals hing. „Oh, Mr Dickens, ich muss zu ihr gehen.“
Sie trat einen Schritt vor und zögerte dann.
„Ich werde Sie begleiten“, sagte Charles. „Lassen Sie uns gehen.“ War das Mädchen wieder ohnmächtig geworden, während es im Bett lag? Oder war sie aufgestanden und hatte die Konsequenzen dafür tragen müssen?
Lady Lugoson nahm Charles’ Arm, ebenso wie sie sich zuvor an Mr Hogarth geklammert hatte. Panch führte sie an. Miss Carley folgte ihnen laut schluchzend zurück zu Miss Lugosons Zimmer. Der Diener war verschwunden und die Tür stand offen. Charles spähte in den Raum.
„Was ist los?“, fragte er und betrachtete das bleiche Gesicht des schwer atmenden Mädchens auf dem Bett, als er eintrat. Er blickte zurück. Miss Carley folgte ihm händeringend. Tränen tropften von ihrer Nase. Miss Hogarth saß über Miss Lugoson gebeugt auf der anderen Seite des Bettes und betupfte ihre Stirn mit einem Tuch. Sie hob ihren Kopf und sah Charles an. Ein Stöhnen lenkte ihre Aufmerksamkeit zurück auf die bemitleidenswerte Gestalt auf dem Bett.
Charles entzog Lady Lugoson seinen Arm und deutete mit seinem Finger auf Agnes.
„Ich bin zur Toilette gegangen, Sir.“ Das Dienstmädchen mit dem unordentlichen, krausen Haar schluchzte. „Als ich zurückkam, fand ich Miss Christiana so vor.“
„Rufen Sie einen Arzt“, sagte er.
Niemand rührte sich. In der Hoffnung, der Butler befände sich noch im Raum, drehte er sich um. Er nahm die kalte, schwielige Hand des Dienstmädchens in seine und sah ihr in die Augen. „Holen Sie einen Arzt. Miss Lugoson braucht medizinische Versorgung.“
Kapitel 3
Eine Stunde verging. Der Butler war gekommen und wieder gegangen, nachdem er den Auftrag erhalten hatte, weitere Ärzte zu rufen. Charles saß ebenso unauffällig wie das Dienstmädchen in einer Ecke und blickte auf das Mädchen, das sich auf dem Bett wand und über Bauchschmerzen und Übelkeit klagte. Er wollte nicht gehen, weil alle Anwesenden nicht gerade entscheidungsfreudig zu sein schienen. Miss Hogarth saß nach wie vor neben dem Bett und tupfte Schweiß von Miss Lugosons Stirn, wobei sie leise Gebete murmelte. Charles bewunderte ihre bedingungslose Unterstützung. In Gedanken formulierte er einen Artikel für den Chronicle über die tragische Szene.
Schließlich verschlimmerte sich die Situation. Miss Lugoson übergab sich wiederholt und wurde zusehends schwächer. Ein Arzt nach dem anderen erschien. Keiner der verbleibenden Gäste schien krank zu sein. Die Deckers und Carleys gingen nach einer Stunde nach Hause, nachdem Mrs Carley ein Mädchen geschickt hatte, um die mausbraune, hysterisch schluchzende Miss Carley aus dem Zimmer zu rufen.
Irgendwann zog sich Lady Lugoson in ihr Schlafzimmer zurück. Eine halbe Stunde später kehrte sie in einem einfachen schwarzen Kleid zurück, das aus ihrer Trauergarderobe stammen musste. Sie bedeutete Charles mit ihr gemeinsam zu beten und sie knieten sich neben das Bett.
Eigentlich konnte er es sich zeitlich nicht erlauben am Bett der Kranken zu bleiben, doch er wusste, dass es seine Pflicht war – dem unglücklichen Mädchen ebenso wie der beherzten Miss Hogarth gegenüber.
Schließlich erschien ein Diener mit einer Nachricht an ihn. Charles entschuldigte sich und las die Notiz von Mr Hogarth. Er würde zu seiner Familie zurückkehren und seine Tochter Kate Charles anvertrauen. Das Versprechen, seine Herausgeber bei beiden Zeitungen über seine Abwesenheit am nächsten Tag zu informieren, beruhigte ihn.
Kerzen brannten um das Bett herum und erhellten den Raum trotz der absoluten Dunkelheit draußen. Die Stunden vergingen und Charles fügte das Bild seiner Erinnerung hinzu, wie er es seit seinem achten Lebensjahr mit allen interessanten Dingen tat. Der traurige Anblick des Mädchens auf dem Bett, die voluminösen Locken, die sich auf ihrem schweißfleckigen Kopfkissen ausbreiteten und einer jungen Frau gehörten, die eigentlich gesund und stark sein sollte, zogen ihn an. Er wollte ihr in ihrem Kampf gegen den Tod beistehen. Sein Puls schien sich mit jedem weiteren Zeichen ihres Verfalls zu verlangsamen.
Es war der Tod, den er fürchtete, obwohl die Symptome im Morgengrauen nachließen. Miss Hogarth half Miss Lugoson ein wenig Rinderbrühe zu trinken. Ein Gefühl der Erleichterung drang zu Charles vor, der sich in einem traumähnlichen Zustand befand. Er bemerkte, dass seine Kleidung nach einer Nacht am kontinuierlich geschürten Feuer an ihm klebte.
„Ah!“, rief Miss Hogarth. Die Tasse mit der Brühe fiel ihr aus der Hand und die Flüssigkeit verteilte sich auf dem Teppich.
Charles stand aus seiner knienden Position auf. Ein Stöhnen vom Bett erschreckte ihn und er ließ sich wieder hinab, wobei er sich den Kopf an dem harten hölzernen Bettgestell anstieß. Er erholte sich schnell und half Lady Lugoson gerade rechtzeitig auf die Beine, damit sie bei ihrer Tochter sein konnte, als diese sich wieder übergab.
Miss Hogarth betupfte Christianas Schläfen mit einem Tuch, während Lady Lugoson ihren Kopf in ihre Hände sinken ließ. Das Dienstmädchen holte Handtücher, um das jüngste Malheur zu bereinigen.
Der Teppich unter Charles’ Schuhsolen war von der Brühe durchnässt. Er trat an Miss Hogarths Seite. „Sie müssen die Küche sorgfältig reinigen lassen, bevor noch jemand krank wird“, sagte er zu Lady Lugoson. „Werfen Sie all Ihre Vorräte fort und kaufen sie neues Essen.“
„Glauben Sie, dass etwas mit der Brühe nicht in Ordnung war?“ Lady Lugoson rang die Hände.
Charles deutete auf das Bett. „Vor einer Stunde schien sie sich ein wenig erholt zu haben. Ich hatte bereits darüber nachgedacht, Miss Hogarth zu ihrer Familie zurückzubringen.“
„Sie sind mehr als freundlich“, sagte Lady Lugoson. „Bleiben Sie noch so lange, bis ich erneut einen Arzt gerufen habe?“
„Natürlich.“ Miss Hogarth begegnete seinem Blick. Ihr kummervolles Gesicht erweckte in ihm den Wunsch ihre Hand zu drücken und ihr Trost zu spenden.
„Können wir sonst noch irgendetwas tun, Mr Dickens?“, fragte sie.
„Wir sind nicht so weit auf dem Land. Die Familie wird nach mehr Ärzten schicken. Irgendjemand muss doch wissen, was zu tun ist“, sagte er nüchtern.
Im Laufe des Vormittags kamen drei Ärzte und berieten sich über Christiana. Einer von ihnen ließ sie zur Ader, doch Lady Lugoson unterbrach sein Vorhaben, als Christiana ohnmächtig wurde. Der Mann bandagierte den Arm des Mädchens und marschierte mit seiner Schüssel voll Blut davon. Dunkelrote Tropfen sprenkelten das weiße Laken. Die lebendige Farbe bildete einen scharfen Kontrast zu dem blassen, stillen Mädchen. Der Geruch von Rinderbrühe und Blut mischte sich in die allgemeine Atmosphäre der Krankheit im Raum.
Vom jungen Lord Lugoson sah Charles keine Spur.
„Ihr Sohn?“, fragte er Lady Lugoson plötzlich, als eine Stunde des Schweigens vergangen war. Miss Hogarth saß ihm gegenüber. Die Bänder an ihren Armen lagen auf der fleckigen Tagesdecke. „Ist er ebenfalls krank geworden?“
„Nein, Sir. Er ist bei seinem Lehrer. Ich möchte nicht, dass er in Christianas Nähe kommt. Vielleicht ist sie ansteckend.“
Abermals starrte er Miss Lugoson an. Diese zarte, zarte Person. „Ich würde das Essen nicht ganz außer Acht lassen. Schließlich hat sie stark auf die Brühe reagiert.“
Lady Lugoson nickte. „Ich habe Anweisungen gegeben die Küche auszuräumen und zu reinigen.“
Charles überlegte, ob er eine Lebensmittelvergiftung nur in der Hoffnung annahm, dass Miss Lugosons Leiden nicht auf ihn oder Miss Hogarth übersprang. Er befühlte seinen Hals und fand keine Anzeichen für die Schwellungen, die einer Krankheit oft vorausgingen. Auch Lady Lugoson sah zwar abgespannt aus und man konnte ihr jedes ihrer dreiunddreißig Lebensjahre ansehen, doch sie wirkte nicht krank.
„Ich denke, dass die Sahnesoße, die zu den Kartoffeln serviert wurde, vielleicht schlecht war“, überlegte ihre Ladyschaft. „Möglicherweise liegt es daran.“
„Sie sollten herausfinden, wer alles davon gegessen hat, und Ihre Gäste dazu anhalten auf Symptome zu achten“, sagte Charles.
„Ich schreibe Briefe, sobald ich kann“, sagte Lady Lugoson mit schwacher Stimme. Sie sank neben dem Bett auf die Knie und fing wieder an zu beten, wobei sie den nicht bandagierten Arm ihrer Tochter hielt, die nach dem Aderlass noch nicht wieder richtig bei Bewusstsein war. Charles kniete sich neben sie auf den feuchten Teppich und fiel in ihr Gebet ein.
Das Wehklagen des Dienstmädchens war das erste Anzeichen dafür, dass etwas nicht stimmte. „Das Röcheln“, rief sie. „Dieses Röcheln.“
Beide sprangen auf die Füße und starrten das Mädchen an. Miss Lugosons Kopf war nach hinten gebogen und die Sehnen an ihrem Hals traten deutlich hervor. Miss Hogarth berührte ihre Schulter und rief ihren Namen. Lady Lugoson warf sich aufs Bett und begrub ihre Tochter halb unter sich. Miss Lugoson gab ein leises, pfeifendes Geräusch von sich und war dann still.
„Einen Spiegel!“, rief Charles.
Der anwesende Arzt öffnete seine Tasche und zog einen Spiegel hervor, den er ein paar Minuten lang vor die Nase des Mädchens hielt. „Es tut mir leid, aber offenbar lebt sie nicht mehr.“
Fast fünfzehn Stunden nachdem Lady Lugoson ans Bett ihrer Tochter gerufen worden war, vielleicht siebzehn Stunden, nachdem ihre Dinnerparty begonnen hatte, verließ Christiana Lugosons Seele ihre sterbliche Hülle.
Eine Stunde später ging Charles mit Miss Hogarth über die Streuobstwiese und blinzelte im schwachen winterlichen Sonnenlicht. Sie hatte die Bänder ihrer Haube gefasst, um deren Seiten trotz des starken Windes dicht an ihren Wangen zu halten. Sie hatten es abgelehnt, für die kurze Distanz die Familienkutsche der Lugosons zu nehmen, doch Charles’ Hut war bereits einmal von seinem Kopf geflogen, weswegen seine Krempe nun schmutzig war. Seine Kleidung hatte Flecken von Schweiß und Rinderbrühe. Alles in allem sah er wie ein Mann aus – und roch auch so –, der den größten Teil eines Tages in einem Sterbezimmer verbracht hatte.
Auf der anderen Straßenseite konnte er Arbeiter sehen, die in den Gärten Obstbäume pflanzten und die Hecken stutzten, die die einzelnen Obstwiesen voneinander trennten. Ein paar Straßen weiter läuteten die zehn Glocken im Turm der Kirche des Heiligen Lukas die späten Morgenstunden ein.
„Ich würde es vorziehen, Ihnen Komplimente zu machen, weil Sie die Apfelbäume Ihrer Familie so gut beschnitten haben“, bemerkte Charles, „um nur nicht über den schrecklichen Vorfall reden zu müssen.“ Er wagte es Miss Hogarths Arm zu fassen, als sie eine besonders schlammige Senke unter einem Baum passierten.
Sie dankte ihm. „Aber das wäre nicht angemessen.“
„Ich fürchte nicht. Haben Sie je so etwas wie Miss Lugosons Ableben gesehen?“, fragte Charles. Hinter den Bäumen kam das Haus der Hogarths in Sicht. Charles erkannte, dass dieser intime Moment mit Miss Hogarth vielleicht nie wieder kommen würde, und verspürte eine Kälte, die nicht nur vom Wind kam.
„Nein. Ich habe Babys sterben sehen, die armen kleinen Schätze“, sagte Miss Hogarth unter dem Schutz ihrer Haube. Er konnte kaum mehr als ihre Nase sehen. „Doch nichts dergleichen. Wenn meine Zeit kommt, hoffe ich, dass es friedlicher zugeht.“
„Und nicht so plötzlich“, stimmte Charles zu und ließ ihren Arm los, als sie sich einen Schritt von ihm entfernte und ihm die Schicklichkeit in Erinnerung rief. „Fühlen Sie sich krank?“
„Nicht im Geringsten. Doch eine Krankheit braucht ein paar Tage, um sich in einem Haushalt auszubreiten. Da heute Dienstag ist …“ Sie sprach nicht weiter.
„Nun bereits Mittwoch“, sagte er sanft.
„Meine Güte“, sagte sie, blieb an der Ecke des Kräutergartens stehen und sah ihn an. „Das habe ich ganz vergessen. Ich bin noch nie zuvor eine ganze Nacht lang auf gewesen.“
Er lächelte über ihren törichten Gesichtsausdruck, weil er zu müde war, um zu lachen.
„Dann am Freitag. Wir müssen am Freitag schauen, ob es uns gut geht. Werden Sie mir schreiben, damit ich weiß, dass Ihnen nichts fehlt?“
Sie legte ihre behandschuhten Finger über ihren Mund. „Glauben Sie, Mutter würde das gutheißen?“
„Sie können Ihrem Vater am Freitagmorgen eine Nachricht mitgeben“, sagte er. „Er kann sie mit ins Büro bringen.“
„Nun gut“, sagte sie und machte einen Schritt auf das Haus zu. „Solange ich die Zustimmung meiner Eltern habe. Kommen Sie mit hinein?“
„Nein, ich mache mich am besten auf den Weg, damit ich heute wenigstens noch ein bisschen arbeiten kann.“
„Ich hoffe, Sie haben nicht vor nach London zu gehen, nachdem sie die ganze Nacht wach waren.“
„Das ist bei Weitem nicht das erste Mal“, sagte er heiter. „Wenn ich an einem Gasthaus vorbeikomme, vor dem eine abfahrbereite Kutsche steht, springe ich darauf. Versprochen. Aber ich kann ebenso schnell laufen.“
„Oh. Na schön. Wenn ich mir nur nicht sicher wäre, dass Vater schon lange fort ist. Möchten Sie zuerst etwas zu essen?“
Das wollte er gern, doch trödeln wäre nichts, womit er den Vater dieses schönen Mädchens beeindrucken konnte, und der würde genau wissen, wie lange Charles sich im Hause seiner Familie ausgeruht hatte. „Nein, danke. Das kann ich auch unterwegs erledigen.“
„Dann ist das nun der Abschied.“ Sie schob den Zweig einer Pflanze, der über den Pfad ragte, zurück ins Beet.
Charles neigte seinen Kopf. „So tragisch diese Nacht auch gewesen ist, Miss Hogarth, bitte seien Sie versichert, dass ich nur das Höchste von Ihnen denke. Sie waren für die Lugosons ein wahrer Engel in ihrer Not.“
„Ich wünschte, es hätte einen Unterschied gemacht.“ Sie schlug ihre Hände zusammen. Die Bänder ihrer Haube flatterten nun lose um ihr Gesicht herum, als würden sie das Gesagte unterstreichen wollen. Plötzlich lächelte sie. „Sie waren auch ein Engel, Mr Dickens.“
Er sah der schlanken Gestalt verwirrt hinterher, als sie durch den Kräutergarten lief und im Haus verschwand. Erst dann machte er sich mit nassen Füßen und schmerzendem Körper auf den Weg, den Mr Hogarth am Abend zuvor zurückgelegt hatte, und ging nach Osten in Richtung der Stadt.
Je näher Charles dem Büro des Chronicle kam, desto mehr tat sein Kopf weh und desto stärker brannte der alte Schmerz in seiner Seite. Er erinnerte sich an Miss Hogarths weise Worte darüber, dass eine Krankheit Zeit brauchte, um sich auszubreiten, doch er hatte von dem Tee getrunken, den die Lugosons in dieser Nacht angeboten hatten. Wenn ihre Küche verunreinigt war, konnte er sich durch den Konsum des Getränks infiziert haben. Oder er könnte sich doch bei Miss Lugoson angesteckt haben.
Diese Sorgen musste er beiseiteschieben, denn es gab eine Parlamentsdebatte, über die er schreiben musste, und er wollte mit Skizzen für Mr Hogarths neuen Artikel beginnen, in dem er Gedanken über London Ausdruck verlieh. Charles stolperte ins Büro der Reporter und fand seinen Schreibtisch. Unter Schmerzen sammelte er Tinte, Füller und Papier zusammen. Ein Assistent der Herausgeber, Thomas Pillar, kam kurze Zeit später vorbei.
„Ich brauche den Artikel über diese Debatte, Charles“, sagte er und stellte eine gebutterte Scheibe Brot neben ihn auf den Tisch.
„Danke.“ Charles gab dem freundlichen, mittelalten Mann seine Seiten und griff nach dem Brot. „Laudanum wäre vielleicht besser gewesen. Ich bin heute halb tot.“
„Ich wollte nichts sagen“, bemerkte William Aga, der am Tisch hinter ihm saß. Sein Kollege, der ein paar Jahre älter war als er und sowohl über Theatervorstellungen und Kriminalfälle als auch über Politik schrieb, hatte seinen Stuhl herumgedreht. „Was ist mit dir los? Hat es einen Postkutschenunfall gegeben? Du siehst aus als wärst du in der Nacht von Dover hierher gelaufen.“
Charles stieß sich von seinem Tisch ab und verschlang sein Brot, während der Assistent der Herausgeber seinen Artikel überflog. „Das Schlimmste ist passiert.“
„Was meinst du?“, fragte William. Er war immer zu einem Scherz aufgelegt und hatte eine anziehende, unkomplizierte Art an sich. Dazu war er groß, breitschultrig und stets gut gekleidet. Es war kein Wunder, dass er Blicke auf sich zog und neue Freunde fand, wohin er auch ging.
Charles’ Stimme war zu einem Krächzen geworden. „Ein Mädchen ist gestorben. Ich habe zugesehen, wie das Leben aus ihr gewichen ist.“
„Wo? Auf der Straße?“, fragte William. Thomas blickte von dem Artikel auf.
„Nein, in ihrem Bett. Sie ist – war – eine Nachbarin von Mr Hogarth. Erst siebzehn. Ist nach dem Dinner zusammengebrochen.“ Er beschrieb den Verlauf der Krankheit.
„Es tut mir leid das zu hören“, sagte Thomas. Er war von der Schilderung des Todesfalls ein wenig grün im Gesicht. „Aber trotzdem haben Sie einen ordentlichen Artikel zustande gebracht. Ich muss ein paar Änderungen daran vornehmen und ihn dann in die Druckerei schicken.“
Nachdem der Assistent gegangen war, zog William eine Flasche aus einer verborgenen Tasche seines Mantels und schraubte den Verschluss ab. „Gin. Der wird helfen.“
Charles griff nach der Flasche und nahm einen Schluck. „Davon bräuchte ich ungefähr drei.“
„Hatten die Ärzte irgendwelche Theorien?“, fragte William.
„Ich weiß es nicht. Warum?“ Charles nahm einen weiteren Schluck. Der billige Fusel kratzte in seiner Kehle.
William sog Luft durch seine Zähne. „Es ist merkwürdig, aber ich habe gehört, wie jemand genau so einen Todesfall beschrieben hat. Es war sogar der gleiche Tag. Der Dreikönigstag, vor einem Jahr. Ich habe den Fall für den Chronicle verfolgt.“
Charles reichte William die Flasche. Der Alkohol konnte ihm nicht schon zu Kopf steigen. „Habe ich dich richtig verstanden?“
William nickte und leerte die Flasche. „Ein siebzehnjähriges Mädchen, das nach einer langen Nacht des Todeskampfs starb, gestern vor einem Jahr.“
Charles ließ seine Arme schlaff an seine Seiten sinken. Plötzlich kam ihm ein Gedanke. „Zwei Engel, die zu ihrem Erlöser gegangen sind. Es ist unsere Pflicht herauszufinden warum.“
„Was meinst du?“, fragte William und versteckte die leere Flasche.
„Der Tod von Christiana Lugoson und des Mädchens, von dem du erzählt hast, könnten zusammenhängen.“ Charles sah blicklos durch den Raum und ignorierte die umherwuselnden Reporter, Redakteure und Sekretärinnen. „Sie könnten.“
„Es war ein Herzfehler, dieser Todesfall vor einem Jahr. Ein Mädchen aus gutem Hause, wenn ich mich recht erinnere. Starb in ihrem Bett irgendwo in Kensington.“
„Nicht allzu weit vom Haus der Lugosons entfernt. Ich dachte, es wäre vielleicht schlechtes Essen oder eine Art ansteckende Krankheit gewesen.“ Charles neigte seinen Kopf von einer Seite zur anderen und vernahm ein Knacken in seiner Halswirbelsäule. „Kein Herzfehler. Hast du die Leiche gesehen?“
„Ja. Sie war schön.“ William schnalzte mit der Zunge. „Eine Schande.“
Charles streckte seine Beine und Arme, um seinen steifen und erschöpften Körper zu lockern. „Lady Lugoson sagte, eine Soße habe schlecht geschmeckt. Ich frage mich, ob einer der anderen Dinnergäste krank geworden ist.“
„Du warst zum Dinner einer Lady eingeladen?“, fragte William mit mehr als nur einem Hauch Neid in seiner Stimme.
„Nein. Ich war bei den Hogarths. Wir hörten Schreie von jenseits der Streuobstwiese, die zwischen den Häusern liegt“, erklärte Charles und setzte sich wieder auf. „Wir gingen nachsehen.“
„Doch nun musst du aufhören, der Sache weiter nachzugehen“, sagte William. „Das Parlament ruft. Du hast zu viel Arbeit zu erledigen, um weiter über diesen Vorfall nachzudenken. Vielleicht kannst du eine kleine Abhandlung über das Leben dieses Mädchens schreiben.“
„Ja“, sagte er enthusiastisch. „Ich werde Mr Hogarth den Vorschlag machen. Ich schreibe ihm eine Nachricht und schicke einen der Jungen zu ihm ins Büro. Dann arbeite ich an meinem nächsten Artikel.“
„Das ist alles? Von dir?“ Er lachte. „Kein Plan für einen Kreuzzug gegen die Aristokraten, die ihren Kindern verdorbene Soßen kredenzen? Oder ein neuer Gesetzesentwurf, der den Tod von allen schönen jungen Mädchen fernhält?“
„Es muss eine Neuerung in der Nahrungsmittelversorgung geben oder etwas Ähnliches, worüber ich einen Artikel schreiben kann“, sinnierte Charles und gab vor, Williams Sarkasmus nicht gehört zu haben. „Etwas Handfestes.“
William lachte. „Hier ist der Dickens, den ich kenne. Hat immer eine Meinung.“
Von der Wahrheit überzeugt erhob Charles seine Stimme. „Lady Lugoson hat uns aus einem Grund in Miss Lugosons Sterbezimmer gebracht. Ich muss das tun.“