Kapitel 1
Ägypten 1926
Wenn man ein exotisches Ziel für eine Reise aussucht, ist es ratsam, einen Ort zu wählen, an dem nicht schon die Luft versucht, einen umzubringen. Ich würde versuchen, mir das fürs nächste Mal zu merken.
„Jane, du siehst ja schrecklich aus bei dieser Hitze. Du tropfst geradezu.“
Die Lippen meiner Tante Millie kräuselten sich, aber dann verzog sie die Mundwinkel zu einem leichten, selbstgefälligen Lächeln. Sie sah aus wie ein frisches Betttuch von der Leine, sie glänzte nicht einmal. Ich seufzte innerlich.
„Mir war nicht klar, wie heiß es zu dieser Jahreszeit noch sein würde.“ Ich betrachtete die langen, breiten Blätter der Ventilatoren über mir, die sich gemächlich drehten. Ich befand, dass sie eher zum Schein dort hingen, als dass sie tatsächlich die stickige Luft bewegten.
Millie rümpfte die Nase und beobachtete wieder die Bar, einen Whiskey-Longdrink fest in einer Hand und mit leicht verschmiertem Lippenstift, der sich jetzt auch als korallenroter Abdruck am Rand des Glases wiederfand. Bei unserer jüngst erfolgten Ankunft im Mena House Hotel hatte ein Drink ganz oben auf der Tagesordnung meiner Tante gestanden; irgendein Drink, solange er ein wenig besser war als das faulige Badewannengesöff aus unserer Heimat.
Die Prohibition war der Erzfeind meiner Tante.
Da Millie versorgt war, entschuldigte ich mich, um mir selbst einen Drink zu besorgen. Ich schlängelte mich durch die anwesenden Gäste bis zur Bar und lehnte mich an das polierte Holz. Es tat gut, nach stundenlanger Reise stehen zu können, und ich streckte mich heimlich, während ich auf meinen Gin Rickey wartete.
Nach wenigen Augenblicken erschien der junge Barkeeper mit meinem Drink an meiner Seite. Ich hoffte, die kühle Limette und der erfrischende Sprudel würden mir den sandigen Staub der Reise aus dem Mund spülen. Meine Tante hatte uns kaum Zeit gelassen, in unseren Zimmern anzukommen, ehe sie mich runter zur Bar gehetzt hatte.
Es hatte nicht einmal dafür gereicht, einen Blick auf die Cheopspyramide zu erhaschen, die, soweit ich wusste, direkt außerhalb dieses Hotels stand.
Ich beobachtete unsere Mitreisenden an der Bar und hielt mich davon ab, meinen Drink in einem Schluck hinunterzustürzen. Ich war ausgetrockneter, als ich gedacht hatte.
„Mrs Wunderly, nehme ich an?“ Das tiefe, angenehme Rumpeln unterbrach meine Betrachtung der mich umgebenden Szene und erschreckte mich beinahe zu Tode.
Ich wandte mich dem breitschultrigen Besitzer des vornehmen, britischen Akzents zu, der mich angesprochen hatte. Als der Blick meiner haselnussbraunen Augen auf seine dunkle, schokoladenbraune Iris fiel, raste ein elektrischer Stoß meine Wirbelsäule hinunter, ehe ich diese Reaktion unterdrücken konnte. Bleib hart. Für schöne Männer hatte ich nichts übrig.
Er überragte mich, und ich war nach modernen Maßstäben keine kleine Frau. Ich betrachtete ihn mit einer hochgezogenen Augenbraue und fragte mich, wie er vor jeglicher Bekanntmachung meinen Namen herausgefunden hatte. Vielleicht beherrschte er Magie. Ein weiteres Schaudern kitzelte meine Wirbelsäule.
„Sie haben also meinen Namen aus dem Hut gezogen. Werden Sie heute Abend noch weitere Zaubertricks vorführen? Wollen Sie vielleicht eine Münze aus meinem Ohr ziehen? Ich könnte tatsächlich eine gebrauchen, um für diesen Drink zu bezahlen.“
Einer seiner Mundwinkel zog sich nach oben. „Ihre Tante erwähnte Sie, als sie sich mir gerade vorstellte.“
„Das ging schnell“, murmelte ich und verfluchte meine Unaufmerksamkeit. Ich war ganz und gar nicht überrascht davon, dass meine Tante ihn ausgemacht und dann herübergeschickt hatte – erst recht, als sie bemerkte, dass er keinen Ehering trug. Ich verfluchte mich, weil das auch mir aufgefallen war. Ich war nur überrascht davon, dass sie es so schnell geschafft hatte. „Es wird keine weiteren Zaubertricks geben.“
„Nun, das ist enttäuschend.“
„Das Einzige, was ich Ihnen für diesen Verlust anbieten kann, ist ein weiterer Drink.“
„Ich schätze, das wird reichen müssen.“
Ein breites Lächeln erhellte sein ohnehin schon schönes Gesicht. Ich schüttelte mich und hielt mir einen ernsten Vortrag über die Tücken der Männer, während er sich umdrehte und dem Barkeeper ein Zeichen gab. Er bestellte mir einen weiteren Gin Rickey und ein Glas Wasser für sich.
Dieses Mal war der Drink großzügig gemixt. Zu großzügig. Ich würde langsam trinken müssen oder mich sturzbetrunken unter einem Tisch wiederfinden.
„Sie trinken nicht?“ Ich betrachtete sein Wasserglas. Winzige Tropfen aus Kondenswasser bahnten sich von der Stelle, an der seine langen Finger geruht hatten, ihren Weg hinunter zur Bar.
„Nach einem langen Tag in der Sonne“, sagte er, „scheint es mir sicherer, bei Wasser zu bleiben.“
„Ich verstehe.“ Ich hielt inne und musterte ihn für einen Augenblick. „Und in welchem Metier arbeiten Sie, Mr ...“ Mir wurde plötzlich bewusst, dass er sich nicht vorgestellt hatte.
„Redvers. Nennen Sie mich Redvers.“ Er zeigte mir ein schelmisches Grinsen, als meine Augenbrauen aufwärts wanderten.
„Und was arbeiten Sie ... Mr Redvers?“
„Ich bin im Bankwesen.“
Es beschämt mich, das zu sagen, aber ich brach in Gelächter aus. Er wirkte leicht erschrocken, als ob er plötzlich in der Öffentlichkeit einem geistig instabilen Verwandten begegnet wäre. Einige Köpfe wandten sich in unsere Richtung.
„Es tut mir leid.“ Ich bekam mich wieder unter Kontrolle und versetzte mir in Gedanken einen Tritt für mein unhöfliches Verhalten. „Für einen Banker sehen Sie einfach zu gefährlich aus.“
Und das tat er. Sein Anzug war aus feinem Leinen und perfekt auf seine athletische Figur zugeschnitten. Selbst mein ungeübtes Auge konnte erkennen, dass er maßgeschneidert und teuer war. Sein dunkles Haar war beinahe ordentlich angelegt, wie es gerade in Mode war, aber seine dicken, lockigen Strähnen machten ihm das Zähmen schwer. Er war voller Energie und Bewegung. Und das wolfsgleiche Grinsen, das er mir jetzt schenkte, gab mir, zusammen mit der aufblitzenden Intelligenz in seinen braunen – beinahe schwarzen – Augen, den Eindruck, dass dieser Mann definitiv nicht hinter einem Schreibtisch gefangen war und Geld zählte.
Wir unterhielten uns freundlich, bis mich eine kurze Flaute in der Konversation dazu veranlasste, ihm einen Ausweg anzubieten: „Wissen Sie, Mr Redvers, wenn Sie heute Abend noch weitere Verpflichtungen haben, verstehe ich das sehr gut. Ich weiß, dass meine Tante sehr überzeugend sein kann, aber ich möchte Sie nicht aufhalten.“
Es war an ihm, mich zu mustern. „Ich gebe zu, dass ich mich Ihnen auf Vorschlag Ihrer Tante vorstellte, aber ich bin hier ganz glücklich.“
Ich zuckte mit den Schultern. Entgegen besserem Wissen genoss ich seine Gesellschaft und war nicht völlig dagegen, sie auszudehnen. Aber ich wollte ihm auch keinen falschen Eindruck vermitteln. Obwohl ich jenseits dessen war, was die Gesellschaft als die besten Jahre ansah, hatte ich einige Angebote abweisen müssen, seit ich zur Witwe geworden war; und manche der Männer hatten die Zurückweisung nicht sehr würdevoll aufgenommen. Ich suchte nicht mehr als eine angenehme Unterhaltung.
Das rief ich mir wiederholt ins Gedächtnis.
Aber Mr Redvers hatte einen scharfen Humor – etwas, das ich zu Hause schmerzlich vermisst hatte. Die Gesellschaftskreise, in denen Millie sich bewegte, waren, höflich ausgedrückt, bieder. Die Familie meines Vaters war solide obere Mittelschicht. Aber seit Millies High-Society-Hochzeit, und später meiner eigenen, war es unvermeidbar, zusammen mit ihr in die höheren Schichten der Gesellschaft hineingezogen zu werden. Allein der Gedanke an diese schicklichen Kreise ließ mich vor Langeweile die Augen verdrehen.
Redvers’ Blick richtete sich auf etwas hinter meiner Schulter und plötzlich wirkte er zaghaft. „Aber ich fürchte, ich muss mich für einen Augenblick entschuldigen. Ich bin bald zurück.“
Ich hob die Augenbrauen, aber entschuldigte ihn anstandslos. Ich fragte mich, was – oder wer – ihn abberufen haben konnte, kurz nachdem er sein Bleiben angekündigt hatte.
Ich wandte mich wieder der prüfenden Betrachtung des Raumes zu.
Wenige Augenblicke später spürte ich eine Präsenz hinter mir und wandte mich um. Ich sah mich einem britischen Gentleman mit Schnauzbart gegenüber, der sich auf einen hölzernen Gehstock stützte. Als er seine breiten Hände bewegte, erhaschte ich einen Blick auf den Messinglöwenkopf, der auf der Spitze des Mahagonistockes saß. Er wirkte gleichzeitig wild und solide.
„Guten Abend, meine Liebe.“ Er lächelte liebenswürdig. „Hatten Sie schon Erfolg auf der Suche nach Erfrischung?“
Ich lächelte ihn an. Sein Auftreten ließ mich umgehend entspannen. „Gegenwärtig bin ich versorgt, und der Barkeeper war recht aufmerksam.“
„Exzellent.“ Er begegnete dem Blick des jungen Mannes. „Einen Sherry, wenn Sie so gut wären.“ Er wandte sich zu mir und streckte eine Hand aus. „Colonel Justice Stainton, zu Ihren Diensten.“ Seine abgehackten Vokale und die aufrechte Haltung hätten auch ohne den Titel seinen militärischen Hintergrund verraten.
„Jane Wunderly.“ Ich schüttelte seine Hand. Auf meinen festen Griff hin weiteten sich seine blauen Augen leicht, und mein Lächeln wurde als Antwort breiter.
Er räusperte sich. „Was führt Sie ins Mena House, Miss Wunderly?“ Laut gesellschaftlicher Gepflogenheiten wäre „Mrs“ die korrekte Anrede gewesen, aber ich machte mir nicht die Mühe, ihn zu korrigieren. Ich würde lieber heiße Kohlen fressen, als meinen Witwenstatus mit Freunden zu besprechen, ganz zu schweigen von Fremden. Und ich war es leid, das Mitleid zu ertragen, das damit einherging, den Ehemann im Weltkrieg verloren zu haben. Noch mehr fürchtete ich die Menschen, deren falsche Sorgen nur ihre Lust am Drama maskierten. Der Colonel erweckte bei mir nicht diesen Eindruck, aber schlafende Hunde, und so weiter.
„Meine Tante und ich reisen zusammen.“ Ich deutete mit der freien Hand auf Millie, die mich nicht bemerkte, aber recht zufrieden wirkte, jetzt, da sich wieder ein voller Drink in ihrer Hand befand. Hochwertige Spirituosen und warmes Klima waren Millies einzige Forderungen gewesen, als sie vorgeschlagen hatte, dass ich sie auf eine Reise begleiten sollte – auf ihre Kosten natürlich. Und obwohl ich ebenfalls die Aussicht zu schätzen wusste, einen Gin genießen zu können, ohne zu erblinden, war ich eher deshalb überaus begeistert, weil ich mir den Lebenstraum erfüllen konnte, die Pyramiden zu sehen. „Und Sie?“
„Ich wollte meiner Tochter Anna zeigen, dass es in der Welt mehr gibt als Partys in London und junge, reiche Männer.“ Ein ironisches Lächeln bog die Enden seines Zwirbelbarts nach oben, als er in Annas Richtung nickte, die an einem Drink nippte und die Menge beobachtete. Ihr messingblonder Bob leuchtete im sanften Licht der Bar, obwohl er diese spröde Qualität an sich hatte, die mit dem zu häufigen Gebrauch von Peroxid einherging. Ihre jungenhafte Figur eignete sich perfekt, um die aktuelle Mode zur Schau zu tragen. Selbst aus der Entfernung konnte ich sehen, dass das üppig mit Perlen besetzte – und kurze –, marineblaue Kleid echte Couture war.
Ich musste zugeben, dass ich einen kleinen Stich des Neides verspürte, als ich sie betrachtete. Meine Figur passte viel besser in eine Ära, in der man gut gepolsterte Kurven schätzte – Millie hatte (mehr als einmal) erwähnt, dass ich mir vielleicht eines dieser leichten Korsetts zulegen sollte, um meine Kurven in eine modischere Form zu bringen. Der aktuelle Trend zu Kleidern mit tiefer Taille sah schrecklich aus, wenn man nicht gerade die Statur eines Lutschers hatte – oder bereit war, sich in diese Form zu pressen.
Ich genoss das Atmen viel zu sehr, um so etwas auszuprobieren.
Ich wandte mich wieder dem Colonel zu und erwiderte sein Lächeln. „Sie ist reizend.“ Stolz erhellte das Gesicht des Colonels. „Und ich schätze, reiche, junge Männer sind besser als die Alternative.“ Er kicherte und unsere oberflächliche Konversation wandte sich bald unserem gemeinsamen Interesse an historischen Schauplätzen und aktuellen Ausgrabungen zu.
„Ich teile gern mit Ihnen, was ich über die Gegend weiß.“ Die Augen des Colonels tanzten. „Wir sind schon seit einigen Wochen hier und ich war im Krieg in der Nähe stationiert. Hatten Sie geplant, sich bald etwas umzusehen? Es wäre mir eine Freude, Ihnen und Ihrer Tante meine Dienste anzubieten.“
„Ich wollte mir ein oder zwei Tage nehmen, um mich an die Hitze zu gewöhnen, und mir dann von einem einheimischen Fremdenführer alles zeigen lassen.“ So sehr ich auch die Pyramiden sehen wollte, ich wusste, dass ich sie besser genießen könnte, wenn ich mir zugestand, mich erst an das Wetter zu gewöhnen. „Aber ich nehme Ihr Angebot gern an. Sehr freundlich.“
„Ausgezeichnet. Dann haben wir einen Plan.“ Sein Blick driftete über meine Schulter und sein linkes Auge zuckte kaum merklich. Ich drehte den Kopf und entdeckte schnell die Quelle seiner Irritation. Anna hatte eine Gruppe von drei eleganten, jungen Männern unterschiedlicher Attraktivität aufgetan. Ihr Gelächter schwebte in zerbrechlichen Blasen die Bar entlang, die über uns platzten, während die Herren um ihre Aufmerksamkeit rangen. Der größte aus der Gruppe beugte sich vor, um ihre Zigarette anzuzünden, und selbst aus der Entfernung konnte ich sehen, wie ihre Wimpern flatterten.
„Wenn Sie mich entschuldigen würden, Miss Wunderly.“ Ich lächelte liebenswürdig, als der Colonel sich entlang der Bar auf Anna zubewegte.
Beinahe umgehend rumpelte eine Stimme an meinem Ohr.
„Hallo noch mal.“
Kapitel 2
Ich war völlig von der Szene vereinnahmt gewesen, die Anna erzeugt hatte, und zuckte erneut zusammen. Mit der Hand auf dem Herzen wandte ich mich zu Redvers um, der Wort gehalten hatte und zurückgekehrt war.
„Sind Sie sicher, dass Sie kein Magier sind? Das war ein ausgezeichneter Trick.“
„Nur die Gabe der Verstohlenheit.“
„Ich habe Tiger erlebt, die weniger verstohlen waren.“
„Und Sie haben die Bekanntschaft vieler Tiger gemacht?“
„Einer beachtlichen Menge.“
Redvers hielt einen Augenblick lang inne und blickte an der Bar entlang. „Mit wem haben Sie sich unterhalten?“
„Mit einem Colonel Stainton. Er hat sich mir vorgestellt.“ Ich betrachtete Redvers für einen Moment, aber sein Gesicht blieb ungerührt. Es schien mir ein zu großer Zufall zu sein, dass Redvers verschwunden war, als er den Colonel kommen gesehen hatte, und dann ebenso schnell wieder aufgetaucht war. Aber aus welchem Grund könnte er diesem Mann aus dem Weg gehen? Mit einem geistigen Schulterzucken berichtete ich ihm, was ich dem Colonel über unsere kürzliche Ankunft und unsere Reisepläne erzählt hatte. Bald diskutierte ich wieder über mein Interesse an der Archäologie und ihre aktuelle Relevanz.
Es dauerte nicht lang, bis unsere höfliche Diskussion zu einer hitzigen Debatte über das politische Klima ausartete und ich scharf auf die Briten einhieb.
„Aber Sie müssen doch zugeben, dass die fortdauernde Besetzung dieses Landes ungeheuerlich ist! Die Unabhängigkeitserklärung ist drei Jahre her, doch die britische Regierung mischt sich immer noch ein.“
Redvers lachte. „Von einer Amerikanerin klingt das äußert heuchlerisch. Wissen Sie, wie viele Kolonien Ihr Land hat? Außerdem könnte das aktuelle System ohne unsere Einmischung restlos zusammenbrechen.“
Das war ein ausgezeichnetes Argument. Meine Position war vor allem meiner Naivität gegenüber weltpolitischen Belangen geschuldet, also änderte ich den Kurs. „Sind Sie deshalb hier? Um ein besseres Geldsystem mitzubringen?“
„Oh je. Sie sind Banker? Heißt das, dass Sie auch außerhalb der Bank über viel Geld verfügen?“ Verdammt sei dieser Mann, ich hatte nicht bemerkt, dass ich flankiert worden war – dieses Mal von Anna Stainton persönlich. Ich war entrüstet über diese Unterbrechung, schaffte es aber, meinen Gesichtsausdruck zu einem höflichen Lächeln zu glätten, ehe sie es für nötig erachtete, mir einen Blick zuzuwerfen. Redvers, der viel zu aufmerksam war, erwischte mich und wirkte amüsiert.
„Nun, so einfach ist das nicht.“ Er wandte sich Anna zu. „Miss Stainton, nehme ich an?“
„Oh, bitte, nennen Sie mich Anna.“ Sie legte eine Hand auf seinen Arm und ich konnte es mir gerade so verkneifen, mit den Augen zu rollen. Stattdessen wandte ich mich zur Bar und bestellte ein Glas Wasser. Zwei große, sprudelnde Drinks hatten meine Selbstbeherrschung offensichtlich völlig verwüstet und es war an der Zeit, wieder ins Gleichgewicht zu kommen. Während Anna weiterhin Fragen in Redvers’ Richtung gurrte, zog ich es in Betracht, mich zu entschuldigen. Ich würde nicht um die Aufmerksamkeit eines Mannes kämpfen – ganz gleich welcher Mann. Aber ganz besonders wollte ich nicht gegen eine Frau antreten, die zehn Jahre jünger als ich und offensichtlich auf der Pirsch war.
Ein Stück weiter die Bar entlang entdeckte ich einen Mann mit karamellfarbener Haut in einem makellos weißen Leinenanzug. Er sah jetzt in unsere Richtung und für einen Moment war ich besorgt, ich könnte das Ziel seines intensiven Starrens sein.
Dann wurde mir bewusst, dass sich sein Blick in Annas Rücken bohrte.
Ich drehte mich um, um meine beiden Begleiter zu fragen, ob sie den Mann kannten, als ich plötzlich die kalte Flut einer Flüssigkeit spürte, die sich über die Vorderseite meiner Kleider ergoss, während ich hörte, wie an meinen Füßen einige Eiswürfel zu Boden fielen. Ich seufzte und blickte auf meine jetzt völlig durchtränkte Brust hinab.
Das war kein Unfall gewesen. Ich hatte gesehen, wie Anna das Glas mit der Hand umgestoßen hatte, während sie mich aus dem Augenwinkel beobachtete. Tatsächlich war das eine erstaunliche Leistung gewesen, da ich fast einen Kopf größer war, und sie dennoch exakt meine Brust getroffen hatte. Mein erster Schock wandelte sich kurz in Wut um, die ich genauso schnell wieder unterdrückte. Ich weigerte mich, mich über diese Frau aufzuregen. Tatsächlich bewunderte ich sie beinahe – es war eine sehr effiziente Lösung, um die Konkurrenz um Redvers’ Aufmerksamkeit loszuwerden. Er war immerhin der attraktivste Mann im Raum.
Das war lediglich eine Beobachtung. Kein Interesse.
Ich hätte es niemals zugegeben, aber die Kälte, die in meine Kleidung sickerte, fühlte sich recht angenehm an – es war noch immer ein warmer Abend. Allerdings war ich froh, dass ich vor dem Abendessen dunklere Kleidung angezogen hatte. Dünner Stoff und Flüssigkeit waren nicht gerade ein Rezept für Sittsamkeit.
„Oh, das tut mir schrecklich leid“, sagte Anna ohne einen Hauch von Aufrichtigkeit.
„Kein Problem“, sagte ich. „Ich verschwinde nur kurz auf mein Zimmer und ziehe mich um.“
„Ich hoffe, ich habe nicht diese ... bezaubernde Bluse ruiniert.“ Ich lachte beinahe. Eine Katze, deren Krallen sich in mein Bein bohrten, wäre nicht offenkundiger gewesen. Ich lächelte sogar.
„Wenn es Ihnen dann besser geht, lasse ich gern die Rechnung für die Reinigung auf Ihr Zimmer schicken.“
Ich wollte mich gerade entschuldigen, als weißes Leinen aufblitzte und an uns vorbeieilte, wobei Annas Arm von hinten angestoßen wurde und ihr die mit silbernen Perlen besetzte Clutch entglitt. Der Verschluss sprang auf, als sie den Boden berührte und sie und ich bückten uns umgehend, um ihre Besitztümer wieder einzusammeln. Mit dem Rücken zur Bar konnte Redvers sich nicht bücken, um uns zu helfen, aber er schob mir einige der Gegenstände mit seinen vorbildlich polierten Budapestern zu. Ich sammelte die Dinge auf, die mir am nächsten lagen – ein Lippenstift, eine Puderdose, die auf wundersame Weise unbeschädigt schien, und einige vereinzelte Münzen. Ich reichte ihr die Gegenstände, während sie hastig alles in die Handtasche stopfte und den Verschluss mit einem deutlichen Klicken zuschnappen ließ. Dann presste sie die Lippen aufeinander und starrte mich zornig an.
Wir hätten einander den ganzen Abend lang anstarren können, doch ein Dankeschön wäre nie über diese rubinroten Lippen gekommen.
Ich beschloss, dass es der perfekte Zeitpunkt für einen Abgang war, und wünschte ihnen beiden eine gute Nacht. Als ich mich durch die Menge schlängelte, hielt ich nach dem weißen Leinenanzug Ausschau, der mit Anna kollidiert war, doch der war so schnell wieder verschwunden, wie er aufgetaucht war. Ich war mir sicher, dass es der Mann gewesen war, der Anna angestarrt hatte, aber ich konnte mir nicht erklären, warum er absichtlich Annas Handtasche auskippen sollte. Und es hatte definitiv nach Absicht ausgesehen.
Ich verspürte einen Anflug egoistischer Erleichterung, weil ich es diesmal nicht selbst gewesen war, die sich öffentlich zur Schau gestellt hatte. Es war mir nicht fremd, mich mit meinem eigenen Ungeschick zu blamieren.
Tante Millie saß plaudernd mit zwei jungen Frauen an einem Tisch, als ich vorbeikam. Ich deutete auf die durchnässte Vorderseite meiner Bluse. Millie warf einen kurzen, verzweifelten Blick gen Himmel und widmete sich wieder ihrer Unterhaltung. Ich hatte keine Ahnung, wie viele Drinks sie schon intus hatte, aber ich machte mir keine Sorgen um sie. Sie konnte auf sich selbst aufpassen.
Der Großteil der Gäste hatte sich entweder für die Nacht zurückgezogen, oder hielt sich verstreut in der Bar auf, wodurch die mondbeschienenen Flure, die ich durchquerte, leer waren. Das Pochen meiner Absätze auf dem Marmor hallte durch die Stille und ich musste mir eingestehen, dass mich das Geräusch etwas schreckhaft machte. Das Hotel war ein einziges Labyrinth und ich wusste nicht, wohin der Herr im weißen Anzug verschwunden war. Leere Durchgänge öffneten sich zu dunklen und mysteriösen Pfaden und ich merkte, dass ich jedes Mal meine Schritte beschleunigte, wenn ich an einem vorbeikam.
Ich konnte die Kreuzung sehen, an der ich zu meinem Zimmer abbiegen musste. Doch als ich einen weiteren dunklen Durchgang passierte, schoss eine Hand daraus hervor und berührte meinen Arm.
Ich schrie auf und stolperte vorwärts.
Kapitel 3
„Oh, meine gute Miss Wunderly, es tut mir so leid, Sie erschreckt zu haben.“ Der Colonel legte die Stirn in Falten. „Ich sah Sie vorbeigehen und dachte, ich könnte Sie einholen. Ich wollte mich für meine Anna entschuldigen – ich hörte, was gerade in der Bar passiert ist.“ Er schaffte es, seinen Blick auf meine Augen zu richten und nicht zu der feuchten Bluse abzugleiten. Ein echter Gentleman.
Mit einer Hand auf der Brust konnte ich spüren, wie mein Herz raste, aber ich lächelte und versicherte ihm, dass es mir gut ginge. „Ich bin mir sicher, dass es keine Absicht war. Nur ein unglücklicher Unfall.“ Eine kleine Lüge von meiner Seite, aber eine harmlose. Es hatte keinen Zweck, ein Zerwürfnis mit Annas Vater heraufzubeschwören. Ich ließ meinen Arm sinken und wischte mir heimlich die feuchte Hand an meinem Rock ab.
Er lächelte, irgendwie auf traurige Weise. „Da bin ich mir sicher. Sie wirkt schwierig, aber sie hatte es wirklich schwer, seit ... nun, sie ist schnell aufgebracht.“ Er führte den Grund nicht aus und ich machte ihm keinen Druck. Es war leicht zu erraten, dass die Familie irgendeinen Verlust erlitten hatte, höchstwahrscheinlich im Krieg. Der Weltkrieg hatte das Leben aller auf die eine oder andere Weise beeinflusst.
„Ich bin mir sicher, dass es nur ein Unfall war. Und ganz ehrlich, Colonel, es ist nichts passiert.“ Ich hielt inne. „Wir sehen uns gewiss morgen irgendwann. Haben Sie eine angenehme Nacht.“
Er lächelte, offensichtlich erleichtert, und tätschelte ungeschickt meinen Arm, während er sich zum Gehen wandte. Ich sah ihm einen Moment nach, während er sich unter dem Tippen seines Gehstocks zur Bar zurückbegab, ehe ich wieder meiner Wege ging. Die nasse Bluse wurde in der sich rasch abkühlenden Nachtluft immer unangenehmer. Ich betete, dass ich es bis zu meinem Zimmer schaffen würde, ohne noch jemandem zu begegnen – in einer feuchten Bluse ein Gespräch zu führen, war ... gelinde gesagt, peinlich.
In meinem Zimmer angekommen, zog ich die nassen Kleider aus und wusch sie im angrenzenden Badezimmer. Was immer Anna getrunken hatte, war stark genug gewesen, um einen bleibenden Geruch zurückzulassen, und ich wollte weder an meiner Kleidung noch in meinem Zimmer den Geruch einer Flüsterkneipe haben. Als ich davon ausgehen konnte, dass der Gestank im Abfluss verschwunden war, hängte ich die Kleider über den Wannenrand und machte eine mentale Notiz, sie anständig reinigen zu lassen. Zum Glück hatte Annas Getränk eine helle Farbe gehabt und ich war zuversichtlich, dass es keine Flecken hinterlassen würde.
Statt für den Abend neue Kleidung anzulegen, beschloss ich, mich zur Nacht hinzulegen. Nach der tagelangen Reise, der Aufregung des Abends und den Geheimnissen eines sehr fremden Landes konnte ich kaum noch die Augen offen halten. Ich sank auf das weiche Bett und fiel in einen traumlosen Schlaf.
Am folgenden Morgen erwachte ich früh, zog an, was vermutlich meine ägyptische Uniform werden würde – eine leichte, ärmellose Baumwollbluse und einen locker sitzenden Rock – und begab mich allein zum Frühstück nach unten. Ich vermutete, dass Tante Millie die Folgen der vergangenen Nacht ausschlafen würde, also machte ich mir nicht die Mühe, nach ihr zu sehen. Ich war mir sicher, dass ich sie erst zum Mittagessen wiedersehen würde.
Ich lief langsam Richtung Frühstücksraum und hielt immer wieder inne, um die Architektur zu bewundern, wenn ich arabische Türöffnungen durchschritt, an denen sich dunkler und heller Marmor abwechselte und eindrucksvolle Streifen formte. Ich ließ meine Finger über den kühlen Marmor gleiten und spürte die glatte Oberfläche unter meinen Fingerspitzen. Bei Tageslicht hatten die Durchgänge die Bedrohlichkeit der vergangenen Nacht gänzlich verloren und ich musste ein wenig über mich lachen – das Hotel war durchweg wunderschön. Während ich weiterging, bemerkte ich Topfpalmen, die im Hotel verteilt standen und Wärme und Leben in die marmorne Umgebung brachten.
Wenige Augenblicke nach meiner Ankunft im Speisesaal wurde ich von einem dunkelhäutigen Mann begrüßt, dessen rabenschwarzes Haar an den Schläfen erste Grauspuren aufwies. Er trug das traditionelle, lange, weiße Gewand des Hotelpersonals, aber seine Uniform wurde ergänzt durch einen runden Filzhut in kräftigem Rot, an dessen Seite eine fröhlich goldene Troddel herabhing. Seine großen, dunklen Augen wirkten warm und waren in den Augenwinkeln von Falten umgeben, umrahmt mit Wimpern, für die eine Frau töten würde.
„Guten Morgen Ma’am“, sagte er in einem Englisch mit wundervollem Akzent. „Ich bin Zaki, und ich bin hier im Mena House der Oberkellner. Bitte hier entlang.“
Als er mich zu meinem Tisch führte, konnte ich es mir nicht verkneifen, den Speisesaal zu begaffen, in den ich geführt wurde. Ein unvergesslicher Anblick – entworfen, um den Innenraum einer Moschee zu imitieren, war er anders als alles, was ich je in einem Hotel gesehen hatte – oder auch sonst irgendwo. Von der hohen, kuppelförmigen Decke hingen etliche Lampen aus gelochtem Metall herab, die faszinierende Schatten auf die weißen Tischtücher und das glänzende Silberbesteck warfen. Wände, Fenster und Decke waren übersäht mit atemberaubenden Schnitzarbeiten in komplizierten Mustern. Während wir daran vorübergingen, konnte ich sehen, dass arabische Schriftzüge in die Muster eingearbeitet waren.
„Zaki.“ Ich deutete an die Wand, nachdem er mir einen Stuhl angeboten, ihn sanft herangeschoben und mir die Frühstückskarte gereicht hatte. „Was ist das für eine wunderschöne Holztäfelung?“
„Ah, Sie haben einen exzellenten Geschmack, Madam. Man nennt sie Maschrabiyya und sie wurden von vorzüglichen Handwerkern handgeschnitzt. Sie waren vor vielen hundert Jahren sehr beliebt. Diese Paneele hier wurden von den neuen Besitzern des Hotels aus einer nahen Stadt gerettet.“ Er strahlte mich an. „Wenn Sie Fragen haben, stehe ich immer gern zur Verfügung. Ich werde gleich jemanden schicken, um Ihre Bestellung aufzunehmen. Ich wünsche ein angenehmes Frühstück.“
„Vielen Dank, Zaki.“
Ich entschied mich für ein einfaches Frühstück mit Eiern und Toast und gab meine Karte und die Bestellung ab, ehe ich den Rest des Raumes auf mich wirken ließ. Es waren nicht so viele Menschen da, wie ich erwartet hatte, auch wenn man in Betracht zog, dass es noch sehr früh war – aber es war Ende September und damit das Ende der Nebensaison. Das warme Wetter im Winter und Frühling würde gewiss mehr Touristen aus den Staaten und vom Festland herführen, aber im Augenblick hatten nur wenige Anlass gefunden, ihr eigenes, annehmbares Klima zu verlassen. Ich fragte mich, ob es richtig gewesen war, so früh in der Saison herzukommen, aber ich beruhigte mich mit der Aussicht, dass die Sehenswürdigkeiten weniger überlaufen sein würden.
Nach meinem ruhigen Frühstück setzte ich mich auf der breiten Terrasse hinter dem Hotel in den Schatten einer großen Palme. Vor mir entfaltete sich ein Postkartenmotiv: Die Pyramiden schienen über den Bäumen zu schweben und ich war ganz abgelenkt von der Aussicht und den Möglichkeiten, die vor mir lagen. Ich freute mich darauf, die Pyramiden und vielleicht sogar einige der archäologischen Ausgrabungsstellen zu erkunden – ich machte mir eine geistige Notiz, den Colonel später nach seinen Empfehlungen zu fragen.
Ich hatte gerade das Buch aufgenommen, das ich mir mitgebracht hatte, als meine Tante Millie vor mir auftauchte.
„Tante Millie!“ Ich konnte meine Überraschung nicht verbergen. „Ich hatte nicht erwartet, dass du schon so früh auf sein würdest!“
„Mein liebes Mädchen. Man kann doch nicht den ganzen Tag herumliegen. Mir ist bewusst, dass wir einige Zeit hier verbringen werden, aber die kann man doch nicht im Bett vergeuden. Diese Damen hier werden mich auf eine Runde Golf begleiten.“
Ich war so überrascht von Millies frühem Auftauchen, dass mir zwei Dinge völlig entgangen waren: Meine Tante trug etwas, das als Sportkleidung durchgehen mochte, und die beiden jungen Damen vom Vorabend folgten ihr auf dem Fuße. „Das hier ist Miss Lillian Hughes.“ Millie deutete auf die große, schlanke junge Frau mit goldbraunem Haar, die zur Begrüßung lächelte, aber abgelenkt wirkte. Ihr Blick wanderte zu irgendetwas jenseits der Bäume. „Und das ist Miss Marie Collins.“ Marie hob kurz eine Hand zum Gruß, doch ihr Blick wich kaum von Lillian.
„Wie geht es Ihnen, meinen Damen? Sehr angenehm“, sagte ich. „Ich wusste nicht, dass du Golf spielst, Tante Millie.“
„Ich schätze, es gibt einige Dinge, die du nicht über mich weißt, Jane.“ Millie warf mir ein verspieltes Lächeln zu und hakte Lillians Arm bei sich unter. Lillian lächelte Millie an und das Pärchen bewegte sich Richtung Golfplatz, während Marie ihnen folgte. Mein Mund stand noch immer offen, als sie aus meinem Blickfeld verschwanden. Ich hatte noch nie erlebt, dass Millie jemandem eine derart physische Zuneigung entgegenbrachte, und ich konnte mir nicht ansatzweise vorstellen, was Millie mit zwei jungen, britischen Frauen verband, die gerade mal die zwanzig erreicht hatten.
Abgesehen von Golf, wie es schien.
Im Stehen konnte ich das grüne Gras des Golfplatzes im eindrucksvollen Kontrast zum alles umgebenden, goldenen Sand ausmachen. Ich hatte nicht gewusst, dass es beim Hotel einen Golfplatz gab. Mir war nie in den Sinn gekommen, dass etwas so Grünes mitten in der Wüste überleben könnte, obwohl ich natürlich wusste, dass Ägypten nicht vollständig aus Sand bestand. Es gab immerhin den Nil.
„Sie machen sich nichts aus Golf, Mrs Wunderly?“ Ich zuckte zusammen und bemerkte, dass Redvers an meiner Seite aufgetaucht war, verstohlen wie üblich. Ich musste wirklich an meiner Beobachtungsgabe arbeiten, wenn ich dieses Trommelfeuer der Überraschungen überleben wollte.
„Ich habe mir nie viel aus sportlichen Aktivitäten gemacht.“
„Jeglicher Art?“
Ich konnte spüren, wie mir die Röte den Hals emporkletterte. Ich ignorierte das Gefühl, setzte mich wieder und bedeutete ihm, sich zu mir zu gesellen.
„Vielleicht einen Kaffee, Mr Redvers? Das hiesige Gebräu ist recht gut. Oder lieber eine Cuppa?“ Er hob eine Augenbraue ob der britischen Umgangssprache. „Meine Mutter war Engländerin“, erklärte ich.
„Ah“, sagte er. „Aber Sie haben es nicht geschafft, Geschmack an Tee zu finden?“
„Am Nachmittag ist Tee in Ordnung, aber ich fürchte, am Morgen brauche ich etwas Kräftigeres. Sie haben meine Frage nicht beantwortet. Darf ich Ihnen etwas bestellen?“
„Nein, leider nicht, Mrs Wunderly. Ich habe am Vormittag Termine in der Stadt und bin nur für einen kurzen Zwischenstopp hier. Obwohl ich unsere Unterhaltung gern heute Abend bei einem Drink fortsetzen würde, wenn Sie abkömmlich sind. Ich war enttäuscht, als sie gestern Abend nicht zurückkehrten.“
So sehr ich mich nicht dafür interessieren sollte – mich nicht dafür interessierte –, was dieser hübsche und etwas mysteriöse Mann von mir hielt, war ich doch angenehm überrascht, weil er meine Abwesenheit bemerkt hatte. Natürlich war ich auch ein wenig entsetzt über mein vordringliches Verhalten am vergangenen Abend.
„Es gefällt Ihnen, wenn eine Frau mit Ihnen über Politik diskutiert?“ Ich versteckte mich hinter meiner Tasse, während ich einen Schluck trank, und vermied es, ihn anzusehen.
„Ich debattiere lieber mit einer intelligenten Frau, als zwei Minuten in der Gesellschaft einer einfältig lächelnden zu verbringen.“
„Nun, ich kann Ihnen versichern, dass ich niemals einfältig lächle.“
„Nein, das kann ich mir bei Ihnen auch nicht vorstellen.“
Ich lächelte ihn an, entgegen meiner Absicht.
Redvers nahm seinen knochenweißen Panamahut vom Tisch und wandte sich zum Gehen. „Dann bis heute Abend?“
Mir wurde bewusst, dass ich seine erste Frage nicht beantwortet hatte und verlor den inneren Konflikt darüber, ob ich ihn abweisen sollte. Ich wollte ihm nicht den falschen Eindruck vermitteln, aber meine Tante schien ihre eigenen Pläne zu haben und ich könnte auf dieser Reise häufiger ohne Beschäftigung sein, als ich angenommen hatte. Es konnte nicht schaden, einige freundliche Gesichter in der Menge zu kennen.
„Es wäre mir eine Freude, Mr Redvers. Bis heute Abend“, sagte ich. Er erhob sich und verbeugte sich leicht, ehe er im kühlen Schatten des Gebäudes verschwand. Ich tat so, als würde ich mich wieder meinem Buch widmen, beobachtete allerdings über die Seiten hinweg seinen Abgang.
Doch sobald er verschwunden war, kehrten meine Gedanken zu Millie zurück, einer Frau, bei der ich darauf gesetzt hätte, dass sie mich nicht überraschen konnte.
Diese Wette hätte ich verloren.