Leseprobe Diving into Love | Eine Gay Sports Romance über Forbidden Lovers und prickelnde Rivalität

1

Pfiff. Abtauchen. Zug. Pfiff. Abtauchen. Zug. Der Wechsel zwischen der Lautstärke über und der Ruhe unter der Wasseroberfläche faszinierte Dilan jedes Mal aufs Neue. Als wäre sie ein Portal, das von einer Welt in die andere führte, und beim Schwimmen bewegte er sich genau auf dieser Schwelle, trat immer wieder hindurch, um von der einen Welt in die andere einzutauchen.

Er hätte nicht sagen können, welche dieser Welten er mehr mochte. Unter der Oberfläche drangen Geräusche allenfalls dumpf an die Ohren, und auch die Gedanken, die außerhalb drängend waren und seine Aufmerksamkeit an sich zerrten, ließen in ihrer Intensität nach. Es gab nur ihn und den nächsten Zug, der ihn weiter vorantrieb.

Er näherte sich dem Beckenrand, noch zwei, maximal drei Züge, und erlaubte sich, den Kopf nach links zu wenden. Auf der Nachbarbahn schwamm sein ärgster Rivale, mit dem er sich stets ein Kopf-an-Kopf-Rennen lieferte. Aber heute war es anders, denn er konnte Tyler weder neben noch vor sich sehen, was bedeutete, dass er hinter ihm lag.

Das beflügelte Dilan, obwohl sich seine Muskeln bei jedem Zug mit den Armen, dem der mit den Beinen folgte, mit säuerlichem Schmerz meldeten. Er biss die Zähne zusammen. Nur noch ein Zug. Seine Brust brannte, und die Luft in seinen Lungen wurde knapp. Doch dann spürte er den Beckenrand an den Fingerspitzen, wartete den Sekundenbruchteil ab, bis der Vortrieb ihn noch näher herangebracht hatte, sodass er den Rand umfassen und sich daran hochziehen konnte, um gierig Luft in seine Lunge zu saugen.

„Du hast es geschafft!“, begrüßte ihn sein Coach. Am Beckenrand hockend, klopfte er Dilan auf die Schulter. „Du hast deine Bestzeit sogar unterboten. Unglaublich!“

„Echt jetzt?“ Dilan schob die Gläser der Schwimmbrille auf die Stirn und blickte auf die Stoppuhr, die Matt ihm hinhielt. „Hammer!“

„Zwei Hundertstelsekunden schneller. Da darfst du sehr stolz sein.“

„Danke, Matt.“

„Danke dir selbst, Junge. Großes Kino. Wirklich!“ Matt nickte anerkennend.

„Glückwunsch“, hörte Dilan von der Bahn links neben sich.

Er wandte den Blick in die Richtung und erkannte Tyler Walsh.

„Danke“, entgegnete Dilan. Tyler war ein schlechter Verlierer, und Dilan überlegte, ob der bewundernde Blick, mit dem Tyler ihn bedachte, wie auch die Glückwünsche aufrichtig waren.

Lass dir das nicht kaputt machen, schon gar nicht von Tyler, entschied seine innere Stimme.

Mit den auf dem Beckenrand abgestützten Händen drückte er sich aus dem Wasser und zog Badehaube und Brille vom Kopf. Ein Vorgang, den er schon so oft durchgeführt hatte, dass er zu einer Bewegung verschmolzen war. Matt reichte ihm ein Handtuch und klopfte Dilan erneut auf die Schulter, nachdem der sich das Handtuch umgelegt hatte. „Ganz großes Kino, wirklich.“

Dilan grinste über beide Wangen und blickte zur Tribüne herüber. Dort entdeckte er seine Mom, die in der ersten Reihe saß und ihm eifrig zuwinkte. Dilan freute sich sehr, dass sie es heute geschafft hatte, und streckte ihr zwei erhobene Daumen entgegen. Dass sie ihre wenige Freizeit damit verbrachte, ihn auch noch beim Turnier zu unterstützen, wusste Dilan zu schätzen.

„Dann ab unter die Dusche“, sagte Matt, der ebenfalls grinste. „Die Siegerehrung ist in zwanzig Minuten.“

Dilan nickte und verließ die Schwimmhalle durch den Gang, der zu den Duschen führte. Er war froh, den Bereich verwaist vorzufinden, um etwas zur Ruhe kommen zu können. Mit dem Rücken lehnte er sich gegen den Druckknopf, der die Dusche aktivierte, und ließ das warme Wasser auf seinen Kopf prasseln, während er die Arme vor der Brust verschränkt hatte und die Augen geschlossen hielt. Auch wenn das Gefühl nicht ganz an das unter Wasser heranreichte, genoss Dilan auch diesen Moment. Wenn das warme Wasser den dumpfen Schmerz in seinen Muskeln linderte, den die hohe Belastung verursacht hatte, und dieser in den nächsten Tagen zu Muskelkater werden würde.

„Bist ja echt gut in Form“, hörte Dilan eine Stimme neben sich.

Er neigte den Kopf nach vorne, um ihn aus dem Wasserstrahl der Dusche zu halten, und öffnete die Augen. Tyler hatte sich unter die Dusche links neben ihm gestellt. Er griff nach Dilans Schulter und drückte sie. „Hast auch ganz schön zugelegt. Kein Wunder, dass du im Wasser abgehst wie ein Delfin mit Chili im Arsch.“ Er grinste.

Dilan versuchte sich an einem Lächeln. Komplimente verunsicherten ihn. Zudem wusste er nicht, wie ernst dieses gemeint war, da es schließlich von Tyler kam. Sie kannten einander zwar ursprünglich aus dem Schwimmteam und gingen zur selben Highschool, doch vor einem Jahr war Tyler in das Team der Highschool der größeren Nachbarstadt gewechselt. Er behauptete, dort intensiver gefördert werden zu können. Bezeichnenderweise war das die Zeit, als Dilan immer besser wurde und Matt sein Engagement mehr auf ihn konzentrierte.

Dilan war bewusst, dass Matt vor allem beweisen wollte, dass auch er ein Talent aufbauen konnte. Doch da es ihm letztlich zugutekam, war es Dilan recht. Der Erfolg sprach schließlich für sich.

War anfangs Tyler derjenige gewesen, der Dilan in den Duellen der beiden Erzrivalen schlug, als die sie in der lokalen Schwimmerwelt bekannt waren, hatte sich das Blatt seit einigen Monaten gewendet.

So deutlich wie heute hatte Dilan Tyler allerdings noch nie bezwungen. Tyler legte Dilan den Arm um die Schulter und schüttelte ihn leicht. „Ich meine das ernst, bist echt gut in Form.“

Dilan war überrascht über die vertraute Geste und argwöhnte, dass Tyler etwas im Schilde führte. Zumindest war er noch nie derart auf Tuchfühlung gegangen.

Er schlüpfte unter Tylers Arm hervor. „Danke, aber wir müssen los, gleich ist doch die Siegerehrung.“

Tyler zuckte die Schultern. „Wir haben noch zehn Minuten. Das reicht.“ Er zog seine Badehose herunter, und Dilan sprang seine Erektion entgegen. „Zeig mal, ob du da auch so gut gebaut bist“, sagte Tyler mit einem frechen Grinsen.

Dilan war wie erstarrt. Er glotzte auf Tylers erigierten Penis, dann in dessen Augen. Hatte der Typ sie noch alle? Das hätte er Tyler am liebsten gefragt, ihn angeschrien, dass er gefälligst seinen Schwanz wieder einpacken solle, aber da war ein anderes Gefühl, das sich zu Wort meldete und ihn weitaus fassungsloser machte: Es törnte ihn an! Viel mehr als das: Am liebsten hätte er seine Badehose ebenfalls abgestreift und wäre …

Stopp!, schrie er sich innerlich an. Was würde passieren, wenn Matt oder jemand anderes jetzt zu ihnen in die Dusche käme? Zu allem Überfluss spürte Dilan, dass sich seine Badehose spannte.

„Da will jemand an die frische Luft!“ Mit einem anzüglichen Grinsen deutete Tyler auf die sich immer deutlicher abzeichnende Beule in Dilans Badehose.

In Dilan tobte ein Kampf zwischen seiner Begierde, die Tylers Aufforderung am liebsten nachgekommen wäre, und seinem Verstand, der ihn anbrüllte, auf gar keinen Fall darauf einzugehen. Gut möglich, dass Tyler ihn nur provozieren wollte, um anschließend überall herumzuerzählen, dass Dilan eine Schwuchtel war.

Und falls nicht?, meldete sich das Verlangen zu Wort, das pulsierend durch seine Erektion zog und ihm fast den Verstand raubte. Tyler war attraktiv, und Dilan hatte nicht nur einmal von einer Situation wie dieser geträumt und sich darauf einen runtergeholt. Aber es war etwas völlig anderes, sich so etwas auszumalen, als es tatsächlich zu erleben.

Als die Tür zur Dusche aufgestoßen wurde, fuhren die Jungen zusammen. Tyler drehte sich mit dem Gesicht zur Wand und zog im selben Augenblick seine Badehose hoch. Dilan hielt sich, etwas unbeholfen, die Hände vor die Badehose und hoffte, dass niemand bemerkte, was darin vor sich ging.

„Jungs, macht mal hinne. Wir warten schon mit der Siegerehrung auf euch.“ Es war Matt, der in der Tür stand.

„Sind sofort da.“ Dilans Stimme klang heiser. Er schnappte sich sein Handtuch und band es sich um die Hüften. Damit fühlte er sich besser, konnte Matt dennoch nicht in die Augen schauen, als er sich an ihm vorbei durch die Tür schob. Ob Matt etwas gesehen hatte?

Ein Gutes hatte der Schreck zumindest – in Dilans Badehose stellte sich zügig wieder Entspannung ein, und er konnte das Handtuch ablegen, bevor er die Mitte des Podestes betrat und die Medaille entgegennahm.

Er betrachtete das glückliche Gesicht seiner Mutter, die ihm, wie die anderen Zuschauer, zujubelte, konnte sich gedanklich aber nicht von der Situation in der Dusche lösen. Eine Mischung aus Erregung und Scham, aber auch Enttäuschung, eine mögliche Chance nicht ergriffen zu haben, als sie sich ihm bot.

Auf dem Weg zur Umkleide spürte er eine Hand am Oberarm und glaubte für einen Augenblick, es wäre Tyler, doch er sah in Bethanys grüne Augen.

„Gratulation, Dilan“, sagte sie und zwinkerte ihm zu.

„Danke, Beth.“

„Was hältst du davon, wenn wir deinen Sieg feiern? Meine Eltern sind heute Abend nicht da.“

„Ich würde gerne, Beth. Aber ich habe meiner Mom versprochen, den Abend mit ihr zu verbringen.“

„Wenn du deine Mom mir vorziehst.“ Bethany verzog spöttisch den Mund, zuckte mit den Achseln und tänzelte ohne ein weiteres Wort davon.

Die meisten Jungs wären begeistert, wenn Beth ihnen Aufmerksamkeit schenken würde – warum gehörst du nicht dazu?

Zu gerne hätte Dilan sich selbst darauf geantwortet, dass es an Bethanys gestylter Fassade und der Fokussierung auf den gesellschaftlichen Status lag, dass er keine Anziehung verspürte.

Legst du nicht gerade selbst die Oberflächlichkeit an den Tag, die du verurteilst, indem du Beth darauf reduzierst?, fragte seine innere Stimme in spöttischem Tonfall.

Eine gute Frage, wie er widerwillig einräumen musste, und dennoch erfasste sie nicht, dass er auch bei Mädchen, die sich weniger „bethlike“ inszenierten, wie seine letzte Freundin Gina, stets etwas vermisst hatte.

Einen Moment überlegte er, ob er erneut in die Dusche gehen sollte, um die Chance zu haben, noch einmal auf Tyler zu treffen. Was sollten diese Gedanken? Es war falsch und widerlich, sich so etwas auszumalen, sagte ihm sein Verstand, aber ein Ziehen in seinem Bauch, das bis in seine Lenden zog, sagte etwas anderes. Und das, obwohl er Tyler noch nicht einmal mochte. Er war arrogant und selbstverliebt, jedoch schien das dem Teil in ihm, der sich immer noch nicht von dem Bedauern lösen konnte, dass er nicht weiter gegangen war, egal zu sein.

Er ging nicht noch einmal in die Dusche, sondern suchte die Umkleide auf. Registrierte mit Verärgerung die Betrübnis, die sich einstellte, da er insgeheim gehofft hatte, Tyler hier zu treffen.

Er streifte die Badehose ab und hoffte nicht zum ersten Mal, diese seltsamen Gefühle ebenso abstreifen zu können.

2

„Kannst du Bethany nicht leiden?“

Dilan hätte sich fast an dem Bissen verschluckt, den er gerade im Mund hatte. Die Frage seiner Mutter traf ihn völlig unvorbereitet. „Was?“, fragte er und trank einen Schluck Wasser.

„Ich habe gesehen, dass sie dich nach der Siegerehrung angesprochen hat. Ich weiß nicht, worüber ihr gesprochen habt, aber sie wirkte nicht glücklich mit dem Ergebnis.“

Dilan lag eine patzige Bemerkung auf der Zunge, dass das seine Mutter gar nichts anging, aber er war immer noch gerührt, dass sie sich heute extra freigenommen hatte, um beim Wettkampf dabei zu sein. „Sie hat mir nur zum Sieg gratuliert“, sagte er und aß noch einen Bissen Maccheroni mit Käse, seinem Lieblingsgericht, das seine Mutter zur Feier des Tages gekocht hatte.

„Es geht mich ja auch nichts an.“ Seine Mutter lächelte. „Ich dachte nur, weil sie ein wirklich hübsches Mädchen ist.“

„Aber auch ziemlich arrogant“, erwiderte Dilan.

„Ja, das ist leider bei den meisten hübschen Menschen so. Deshalb bin ich froh, dass du so bescheiden bist.“

„Mom!“ Dilan wurde rot. Er mochte es nicht, wenn seine Mutter ihm Komplimente machte, er konnte nicht genau sagen, weshalb. Irgendwie war es ihm peinlich, und war es nicht ohnehin so, dass für eine Mutter der eigene Sohn der Beste war?

„Ich meine das ernst.“ Die Miene seiner Mutter mit den zusammengezogenen Augenbrauen unterstrich das Gesagte. „Du bist ein gut aussehender Junge, Dilan. Deshalb finde ich es gut, dass du nicht mit jeder anbandelst.“

Dilan nickte und hoffte, dass das Thema damit abgehakt war. Er liebte seine Mom, aber über Mädchen wollte er nicht mit ihr diskutieren.

„Dann iss in Ruhe weiter.“ Seine Mutter tätschelte ihm den Arm.

„Du gehst?“, fragte er mit halb vollem Mund.

„Sorry, Schatz. Ich konnte zwar die Schicht bei Walmart mit Edith tauschen, aber in die Bar muss ich heute trotzdem.“

Dilan nickte. „Ist schon okay.“

„Wirklich?“

„Klar, Mom.“ Dilan schenkte seiner Mutter ein Lächeln. „War super, dass du heute dabei warst. Und ich weiß, dass du das für uns machst.“ Und dass das Geld trotzdem nicht reicht, hätte er fast noch hinzugefügt.

„Fand ich auch, und dann auch noch so ein Rennen.“ Sie drückte Dilan an sich. „Ich bin so unglaublich stolz auf dich.“

„Danke, Mom.“

„Ich muss los“, sagte seine Mutter mit Blick auf die Uhr. „Hast du heute noch was vor?“

Dilan zuckte mit den Schultern. „Ich glaube, ich lege mich auf die Couch und streame irgendwas.“

„Hast du dir auch verdient“, sagte seine Mutter und klopfte ihm auf die Schulter. „Dann bis morgen. Räumst du den Teller in die Spülmaschine?“

„Klar. Bis morgen.“

Seine Mutter verließ die Küche, und kurze Zeit später fiel die Haustür ins Schloss. Wieder einmal dachte er, wie lächerlich sich dieses Geräusch anhörte, als würde man den Deckel einer übergroßen Konservendose zufallen lassen. Ein seltsam scheppernder Laut. Auch nach den Jahren, die sie hier lebten, erschien sie Dilan immer noch wie eine Requisite, wie ihr gesamtes Haus, das den Namen ebenso nicht verdiente.

Die Vorhänge mit Karomuster am Küchenfenster, das eher eine Luke war und die seine Mutter einmal im Monat wusch, damit sie nicht zu sehr den Küchengeruch in sich trugen, der sich beim Kochen im gesamten Domizil verbreitete. Die Poster mit Aufnahmen von Grand und Bryce Canyon an den Wänden – seine Mom gab sich wirklich Mühe, ihr Zuhause wohnlich zu gestalten. Obwohl der Frühling sich bereits ankündigte, wurde es nachts noch kühl, und während er am Küchentisch saß, kroch die Kälte durch die dünne Außenhülle und die Türen seine Beine hinauf.

Kaum zu glauben, dass in wenigen Monaten solche Hitze herrschen wird, dass man denkt, man ist in einem Backofen, dachte er und schüttelte den Kopf.

„Sie möchten das authentische Texas-Erlebnis? Dann ist dieser Trailer genau das Richtige für Sie. Im Winter frieren Sie sich die Eier ab und im Sommer werden Sie gar gekocht.“ Er grinste breit. „Wäre doch ein toller Werbespot“, murmelte er und schüttelte kichernd den Kopf.

Er stellte seinen Teller in die Spülmaschine, ging rüber ins Wohnzimmer und ließ sich auf das Sofa plumpsen, das seiner Mutter in der Nacht als Bett diente. Ihm überließ sie das einzige Zimmer neben Wohnzimmer, Küche und Bad. Eine kleine Kammer mit einem winzigen Fenster, in die kaum mehr als sein Bett passte, dennoch war er sich des Privilegs bewusst.

Dass er nach der Anstrengung des Nachmittags erledigt war, war nicht der einzige Grund, warum er heute für sich bleiben wollte. Was Matt zu ihm gesagt hatte, kurz bevor Dilan zu seiner Mutter ins Auto gestiegen war, arbeitete in ihm. „Du hast dich in den letzten Monaten weiter verbessert.“ Er hatte Dilan eine Hand auf die Schulter gelegt. „Damit hast du tatsächlich Chancen auf ein Stipendium.“

Das war Dilans großer Traum: ein Stipendium für das Austin College in der Hauptstadt. Die Stätte, die viele Profi-Schwimmer, sogar Olympia-Teilnehmer, hervorgebracht hatte. Wenn er als Sportler erfolgreich würde, könnte er genug Geld verdienen, um seine Mutter aus diesem Trailerpark herauszuholen. Das war sein größter Wunsch.

Er zappte von Amazon zu Netflix, aber keiner der Inhalte konnte ihn von seinen Gedanken ablenken, die immer wieder die Szene unter der Dusche mit Tyler durchgingen.

Der Wasserstrahl der Dusche prasselt in Zeitlupe auf Tylers Kopf, perlt über das Gesicht und sammelt sich zu Tropfen, die von seiner Nasenspitze fallen, während der Blick aus seinen braunen Augen ihn taxiert. Tyler streift die Badehose herunter, dieses Mal ganz, und kickt sie mit dem Fuß zur Seite, wobei er den Mund zu einem schiefen Grinsen verzieht, das Dilan ein Kribbeln beschert, welches seinen Körper vom Scheitel bis zu den Zehenspitzen durchläuft.

„Zeig mir, wie gut du in Form bist“, sagt er und kommt auf Dilan zu. Drängt sich an ihn und schließlich gegen die gekachelte Wand. „Zeig mir, was du hast, Sexy.“ Er stöhnt, die Lippen nah an Dilans Ohr.

Und in seiner Fantasiewelt traut Dilan sich, zieht sich ebenfalls die Hose herunter und spürt, wie sein Penis Tylers berührt.

„Na endlich“, sagt Tyler. „Wurde auch Zeit.“ Mit der einen Hand fasst er Dilans, mit der anderen seinen Schwanz, und die Vorstellung ist so real, dass Dilan tatsächlich glaubt, die Berührung zu spüren, ebenso Tylers stoßweise gehenden Atem an seinem Hals.

Mit der Zunge fährt Tyler den Hals, dann die Brust hinab bis zu Dilans Brustwarzen, die er leckt und küsst. Dann weiter hinab, bis er vor Dilan in die Knie geht. „Darauf warte ich schon lange“, sagt er und sieht von unten zu Dilan hoch.

Dieser Ausdruck in seinen Augen, das Verlangen, ist ebenso heiß wie das Bild, als er den Mund öffnet, um Dilans Penis darin aufzunehmen.

Sosehr Dilan auch versuchte, die Bilder zur Seite zu schieben, sie blieben vor seinem geistigen Auge, liefen dort in Endlosschleife ab, bis die Erektion in seiner Hose fast schmerzhaft pulsierte. Er masturbierte dreimal, bis das drängende Verlangen so weit unter Kontrolle war, dass er, zumindest halbherzig, einer Serie folgen konnte. Was war nur los mit ihm? Es war nicht das erste Mal, dass er solche Gedanken hatte. Bis vor einigen Jahren hatte er sich damit herausgeredet, dass das in seinem Alter normal wäre. Aber jetzt? Er war achtzehn. Sollte er sich da nicht eindeutig und ausschließlich zu Mädchen hingezogen fühlen?

Ob er Devon und Sidney anrufen und fragen sollte, was die heute vorhatten? Immerhin war Samstagabend. Nicht dass es bei ihnen im Dorf irgendetwas gegeben hätte, was sie hätten unternehmen können, außer im Auto auf dem Parkplatz eines Fastfood-Ladens am Stadtrand zu sitzen, Musik zu hören und Bier zu kippen, wenn man denn an welches kam. In Texas musste man nämlich einundzwanzig Jahre alt sein, um Alkohol kaufen zu können. An Bier zu kommen, wäre jedenfalls kein Problem gewesen. Devon und Sidney hatten ältere Brüder, die für ein gewisses Honorar gerne den Bierboten spielten und manchmal auch Whisky oder Wodka beschafften.

Aber Dilan war immer noch nicht nach Gesellschaft. Besonders, weil Sidney und Devon meist auf Krawall aus waren, entweder irgendetwas zerstörten oder sonst wie Druck abließen. Das war nicht Dilans Ding, aber wenn er dabei war, musste er sich wohl oder übel beteiligen. Beim letzten Mal hatten sie die Reifen von Mrs. Bricks Auto aufgestochen. Dilan war noch nicht einmal klar gewesen, warum ausgerechnet ihre Biologielehrerin das Opfer war, denn sie war eine der wenigen Lehrkräfte, die sich wirklich engagierte und der die Schüler am Herzen lagen. Sie waren zwar nicht erwischt worden, und Dilan war auch nur dabei gewesen. Dennoch konnte er ihr bis heute noch kaum in die Augen schauen.

Nachdem er das Handy aus der Tasche gezogen hatte, loggte er sich bei Instagram ein. Die App verkündete, dass zwei Nachrichten eingegangen waren. Die eine war von Bethany:

Solltest du es dir doch noch anders überlegen, du hast ja meine Nummer.

Dilan seufzte. Seine Mutter hatte recht. Bethany war hübsch. Was kümmerte es ihn, ob sie arrogant war? Vielleicht war ein Treffen mit Bethany genau das Richtige, um ihn auf andere Gedanken zu bringen?

Er tippte eine Antwort, war sich jedoch unsicher, die abzuschicken. Stattdessen rief er die andere auf. Sie stammte von Tyler.

Vielleicht bist du ja doch mutig und meldest dich?

Kribbelnd schoss Aufregung in seinen Bauch. Meinte Tyler das, was Dilan dachte? Oder interpretierte er das nur hinein? Irgendwie war das eine ähnliche Situation wie heute unter der Dusche. Wer konnte bei jemandem wie Tyler schon wissen, ob er etwas so meinte? Tyler gehörte zu den Typen, die gerne provozierten, die stets versuchten, aufzufallen. Die lieber aneckten und Ärger kassierten, als übersehen zu werden. Gehörte das hier in die gleiche Kategorie? Wollte er von Dilan nur eine Reaktion bekommen, um ihn dann vorzuführen?

Dilan starrte auf das Display, las noch einmal Tylers Nachricht, dann Bethanys. Ihm war, als wäre er zweigeteilt. Sein Verlangen in seinem Bauch und seinem Penis, der sich wieder in Erinnerung rief, riet ihm, Tyler zu antworten und zu sehen, wohin es führte. Sein Kopf und Verstand hingegen sagten ihm, er solle Bethany antworten.

So verharrte er einige Minuten, schleuderte schließlich wütend das Handy in die Ecke des Sofas. Dieses beschissene innere Chaos! Er sprang auf und ging vor dem Fernseher auf und ab.

Er musste raus, sich auspowern, obwohl er eigentlich kaputt war. Doch er wusste, dass er nur zur Ruhe kommen würde, wenn er so richtig platt war. Er schlüpfte in seine Laufschuhe, Trainingshose und Shirt trug er ohnehin bereits, griff seinen Schlüssel vom Haken an der Wand und stieß die Tür auf.

Es dämmerte, doch war es eine laue Frühlingsnacht. Er schloss die Tür hinter sich ab und trabte los. Durchquerte den Trailerpark, in dem er mit seiner Mutter wohnte und der außerhalb der Stadt lag, die mehr ein Dorf war, und schlug den Weg ein, der um den Park herumführte.

Er dachte an Coach Matt und das Stipendium, fragte sich, ob er tatsächlich eine Chance hatte. Wie es wäre, dieses gottverlassene Kaff zu verlassen und nach Austin zu ziehen? Ob seine Mom ohne ihn zurechtkäme?

Immer wieder schob sich Tylers grinsendes Gesicht zwischen seine Gedanken und die Szene unter der Dusche. Jedes Mal, wenn das geschah, legte Dilan einen Spurt ein, rannte, bis schwarze Punkte vor seinen Augen tanzten.

So legte er mehrere Runden zurück. Er zählte sie nicht. Das war unerheblich, wenn er lief, um den Kopf freizubekommen, und als er vornübergebeugt, keuchend, die Hände auf den Oberschenkeln abgestützt, am Eingang des Trailerparks zum Stehen kam, stellte er zufrieden fest, dass es ihm erneut gelungen war.

Auf pochenden Beinen taumelte er nach Hause zurück, ließ sich auf das Sofa fallen und schlief unmittelbar ein.