Kapitel 1
Als ich ihm begegne, haut mich sein Anblick um. Wortwörtlich, denn ich stolperte über meine eigenen Füße und ich fiel der Länge nach hin. Normalerweise bin ich überhaupt nicht tollpatschig. Die Bücher, die ich in den Händen halte, landen neben mir auf dem Fußboden. Zum Glück habe ich bereits mein Mensa-Tablett mit dem Mittagsessen weggebracht. Nicht auszudenken, wenn sich auch noch die Reste der Nudeln mit Tomatensoße bei dem Sturz über meinen Klamotten verteilt hätten.
So sitze ich hier auf dem Mensa-Boden zwischen den Tischreihen und starre diesen Traum von einem Mann an, während er lässig auf mich zukommt. Er bückt sich und hebt eins der Bücher auf, das ihm vor die Füße gerutscht ist. Mit einem amüsierten Grinsen betrachtet er den Einband, dann schaut er mich aus dunklen Augen an, die unter dem etwas zu langen Pony eben noch verborgen waren.
»Gedichte?«, fragt er und hebt eine Augenbraue, als wolle er mir damit signalisieren, wie ich nur auf die Idee kommen könnte, Gedichte zu lesen. Tja, als Literaturstudent komme ich um solche tiefgründigen Werke nicht drum herum. Am liebsten würde ich jetzt cool reagieren, irgendeinen Spruch loswerden, doch ich bleibe bloß stumm auf dem Boden hocken, während ich ihn wie ein Vollidiot anstarre. Mein Körper will sich gar nicht vom Fleck bewegen. Null. Keine Reaktion. Ich bin wie erstarrt.
Super Philipp, ganz große Klasse, spätestens jetzt halten dich die restlichen Studierenden für einen Vollidioten. Nicht nur, dass ich wie ein totaler Nerd aussehe – nicht wirklich groß, eher durchschnittlich, blonde Locken, spießige Klamotten und eine dicke Hornbrille – nein, nun werde ich auch noch als Tollpatsch abgestempelt. Mein erstes Semester hat gerade erst begonnen und schon werde ich zum Gespött der Leute. Großartig, dabei habe ich noch ganze drei Jahre Bachelorstudium vor mir!
Der unbekannte Typ streckt mir seine Hand entgegen. Wie gebannt starre ich auf seine schlanken Finger. Wie kann man nur so schöne Hände haben? Und überhaupt, dieser Kerl ist so verdammt sexy, da bleibt mir die Spucke weg. Sein Haar ist kurz und hat den Ton von dunkler Schokolade, lediglich der Pony sticht hervor, der ihm lang in die Stirn fällt und ein verwegenes Aussehen verleiht. Jetzt erkenne ich, dass seine Augen dunkelbraun, beinahe schon schwarz sind. Er trägt ein weißes Shirt mit Aufdruck, in dem seine breiten Schultern und der flache Bauch sehr gut zur Geltung kommen, eine blaue Jeans im Used-Look und dazu passende Chucks. Ich kann nichts weiter tun, als ihn anzustarren.
Er grinst mich an und sieht sich dann kurz um. »Also, wenn du meine Hand nicht langsam nimmst, wird es wirklich peinlich«, sagt er schließlich.
»Oh!« Schnell ergreife ich die mir dargebotene Hand und lasse mir von ihm auf die Beine helfen. Verlegen klopfe ich unsichtbare Staubfusel von der Hose. Er reicht mir mein Buch.
»Du solltest besser aufpassen, wo du hinläufst«, bemerkt er.
Ich nicke stumm. Sein Lächeln beschert mir weiche Knie. Es ist aufrichtig und so warm, dass mein Herz plötzlich wie wild in meiner Brust pocht. Er nickt mir zu und geht an mir vorbei zu einer Gruppe Studierender, die an einem Tisch am Fenster sitzt. Eilig sammele ich meine restlichen Bücher vom Boden auf, stecke sie in den Rucksack und verschwinde aus der Mensa zur nächsten Vorlesung.
***
»Hey, die Pizza ist da«, höre ich meinen Mitbewohner Markus aus dem Wohnzimmer rufen. Das wurde auch Zeit, ich habe schon einen Bärenhunger. Sofort erhebe ich mich von meinem Schreibtischstuhl und eile zu ihm. Ich arbeite gerade an einer Gedichtinterpretation, die mich seit Tagen beschäftigt. Mein Mitbewohner sitzt auf dem Sofa, einen großen Pizzakarton auf dem Schoß und ein Bier vor sich. Ich hole mir ebenfalls ein Bier aus dem Kühlschrank und setze mich zu ihm.
»Iss schnell, sonst wird sie kalt«, meint er mit vollem Mund und beißt ein weiteres Stück von seiner Pizza ab. Seitdem ich mit Markus in der WG zusammenwohne, gibt’s öfter Fast food, als meinen Eltern lieb wäre. Meine Mutter achtete immer darauf, dass ihr Lieblingskind mit ausreichend Vitaminen versorgt wurde.
Ich schnappe mir meinen Karton und öffne den Deckel. Ein köstlicher Duft nach Oregano, Knoblauch und geschmolzenem Käse weht mir entgegen, der mir das Wasser im Mund zusammenlaufen lässt. Ich nehme ein Stück heraus und beiße genüsslich hinein. Das ist auch einer der Vorteile, nicht mehr zu Hause zu wohnen. Pizza und Bier zum Abendessen, bei dieser Mischung würde meine Mutter vermutlich nur den Kopf schütteln. Aber hey, ich bin erwachsen, also was soll’s?
Nach meinem einundzwanzigsten Geburtstag bin ich zum Studieren von zu Hause ausgezogen und habe mich im Studentenwohnheim in der Nähe der Uni eingemietet.
Meine Eltern wohnen ebenfalls in Essen in einem schönen Einfamilienhaus. Sie können es nicht verstehen, warum ich mir die Mühe mache, in eine kleine Zweizimmerwohnung zu ziehen, die ich sogar noch mit jemandem teile, wenn doch daheim genug Platz ist. Aber ich will auf eigenen Beinen stehen. Sollte ich Heimweh bekommen, sind es nur ein paar Haltestellen bis zu meinen Eltern.
Mein Mitbewohner Markus zappt mit der Fernbedienung durch das Abendprogramm, während er genüsslich auf seiner Pizza kaut. Er ist ebenfalls einundzwanzig, studiert Mathe und Sport auf Lehramt, weil er unbedingt Gymnasiallehrer werden will. Außerdem spielt er Fußball und fährt Motorrad. Seine haselnussbraunen Augen, die oft zerzausten braunen Haare und sein strahlendes Lächeln bringen nicht nur Mädchen um den Verstand. Denn dass Markus auf Männer steht, habe ich spätestens am ersten Wochenende nach seinem Einzug in die WG mitbekommen. Ich bin nachts aufgewacht und wollte mir etwas zu trinken holen, als ich ihn mit jemandem – und das war eindeutig ein Kerl – im Wohnzimmer auf dem Sofa erwischt habe. Wir haben eine offene Wohnküche, das war unvermeidlich. Es hat mich nicht weiter gestört, dennoch hätte er wenigstens anstandshalber in sein Zimmer gehen können, schließlich ist dies nicht allein seine Wohnung. Weil ich so lässig reagierte, klärte er mich am Morgen auf, dass er schwul ist. Ich habe damit kein Problem, immerhin bin ich selbst schwul und wollte dieses Thema sowieso nicht vor ihm verheimlichen. Wäre er nicht als Erster mit der Wahrheit rausgerückt, so hätte ich ihn darauf angesprochen und es ihm erzählt.
Männlicher Besuch geht seit dem Abend fast jedes Wochenende bei uns ein und aus. Markus macht keinen Hehl aus seinen vielen One-Night-Stands. Und es sind eindeutig bloß One-Night-Stands, denn nie bleibt jemand zum Frühstück oder kommt ein zweites Mal, soweit ich es mitbekommen habe.
»Du siehst aus, als hättest du länger keinen Spaß mehr gehabt«, sagt Markus aus heiterem Himmel und reißt mich damit aus meinen Gedanken. Sein Bier ist bereits leer, und er greift nach meinem, um das letzte Stück Pizza damit runterzuspülen.
»Wie kommst du plötzlich drauf? Und wie definierst du Spaß?«, frage ich irritiert und verdrehe sogleich die Augen. »Meinst du etwa das, was du jedes Wochenende in deinem Bett treibst?«
»Nicht nur im Bett. Ich habe es auch in der Küche auf dem Tresen getan, als du bei deinen Eltern warst«, entgegnet Markus mit schelmischem Grinsen, und ich verziehe angewidert mein Gesicht. So etwas will ich mir definitiv nicht vorstellen. Erst recht nicht, wenn ich esse. Ich bin zwar nicht prüde, doch meine sexuellen Erfahrungen beschränken sich auf ein paar schlechte Pornos, die ich mir im Internet angeschaut habe, und auf das, was ich mit meiner rechten Hand mache. Mich mit einem wildfremden Mann einzulassen, kam mir noch nicht in den Sinn.
»Nein, im Ernst. Nicht nur Sex. Ich meine Spaß, vielleicht Party, ein bisschen tanzen, mit Freunden ausgehen. So etwas eben.« Er zuckt mit den Achseln. »Seitdem wir zusammenwohnen, habe ich nicht mitbekommen, dass du ausgegangen bist.«
»Hab noch nicht viele Freunde an der Uni, wie dir vielleicht aufgefallen ist. Die meisten, mit denen ich zur Schule gegangen bin, studieren in ganz Deutschland zerstreut«, antworte ich wahrheitsgemäß. »Und ich gehe nicht gern auf Partys.«
Markus beäugt mich mitleidig und legt seine Hand auf mein Knie. »Du brauchst eine Ablenkung, dann kommst du vielleicht auch zum Zug. Mir ist schon ein paar Mal dein sehnsuchtsvoller Blick aufgefallen, wenn ich jemanden mitgebracht habe. Viel Kontakt zu anderen Männern hattest du bisher nicht, oder? Also, du weißt schon, wie ich das meine … Weil du eben noch Jungfrau bist.«
»Mach dich nur lustig.« Dass ich mit einundzwanzig noch keinen Sex hatte und zu allem Übel auch noch ungeküsst bin, ist mir echt peinlich. Nicht, dass ich nicht schon verliebt war. Das war ich wirklich oft. Nur leider eben in Typen, die mich nicht bemerkt oder ignoriert haben. Aber Markus hat recht mit seiner Vermutung. Eine ganze Weile denke ich bereits darüber nach, ob ich meinen Kumpel darum bitten sollte, mich von diesem Umstand zu befreien. Schließlich hat er genug Erfahrungen mit Männern, sicher würde es ihm nicht so viel ausmachen, mit mir zu schlafen, statt jedes Wochenende jemand neuen in einem Club aufzureißen. Mit ihm könnte ich es mir durchaus vorstellen, schließlich sind wir Freunde, kommen gut miteinander aus, und ich vertraue ihm.
»Wenn’s dich so sehr stört, dann kannst du auch … könnten wir … ich meine, dir ist doch eh egal, welcher Kerl in deinem Bett landet.« Diese Worte auszusprechen fällt mir nicht leicht, obwohl der Gedanke eine ganze Weile in meinem Kopf ist. Aber wenn’s irgendjemand sein soll, der mich von meiner Jungfräulichkeit erlöst, dann bitte ganz sicher kein wildfremder Kerl aus einem Club!
»Was …?« Hinter Markus’ Stirn arbeitet es, dann fällt der Groschen. »Nein! Philipp! Das kann ich nicht machen.«
»Wieso? Passe ich nicht in dein Beuteschema? Stehst du nur auf muskelbepackte Machos, die nichts als Stroh in der Birne haben?«, brumme ich missmutig. Ich hätte nicht gedacht, dass er auf meinen Vorschlag so geschockt reagiert.
Markus sieht mein betretenes Gesicht, rutscht näher an mich heran und legt seine Arme um mich. »O nein, so war das nicht gemeint. Ich stehe total auf blond und niedlich, das kannst du mir glauben. Da wärst du sofort der Erste auf meiner Liste, ehrlich. Aber du bist mein Freund. Sex unter Freunden ist für mich tabu.« Er senkt den Kopf und küsst meine Nasenspitze.
Ich seufze. In den drei Wochen, die wir nun zusammenwohnen, habe ich Markus wirklich sehr lieb gewonnen. Die Idee war nur ein dummer Vorschlag und ist mir bloß rausgerutscht.
Er löst sich von mir und grinst. »Du kommst am Samstag einfach mal mit mir in den Club. Vielleicht lernst du ja jemanden kennen, der dir gefällt, und dann löst sich dein Problem bestimmt von ganz allein«, meint er zwinkernd und wuschelt mir durchs Haar.
Kapitel 2
Samstagabend kommt schneller, als mir lieb ist. Skeptisch stehe ich vor dem Spiegel und betrachte mein Erscheinungsbild. Die obligatorischen karierten Hemden, die zu meiner täglichen Garderobe gehören, seitdem ich fünfzehn bin, habe ich gegen ein schwarzes Shirt mit rotem Aufdruck auf der Brust eingetauscht, das ich in den Tiefen meines Kleiderschranks gefunden habe. Ein Geschenk meiner Mutter, das ich noch nie getragen habe. Meine dunkelblaue Jeans sitzt eng und betont meine schlanken Beine. Das Haar hat mir Markus frech gestylt, damit es nicht so langweilig aussieht wie in der Uni. Außerdem habe ich meine Brille gegen Kontaktlinsen eingetauscht. Mit Brille in einen Club zu gehen ist ein absolutes No-Go, wenn man jemanden aufreißen will, hat mein Mitbewohner mir erklärt. Und es sei eine Schande, meine schönen Augen hinter den dicken Brillengläsern zu verstecken, meinte er.
»Bist du so weit?«, fragt Markus und steckt seinen Kopf zur Tür meines Schlafzimmers herein. Er mustert mich und pfeift anerkennend. »Wow. Du siehst heiß aus!«
»Danke«, sage ich verlegen. Tatsächlich gefalle ich mir ebenfalls in diesem Outfit. Markus schnappt sich seine Jacke und öffnet die Tür, lässt mir den Vortritt. Na dann, auf geht’s!
***
Das Blue Heaven ist ein ziemlich angesagter Schwulenclub in einem Industriegebiet außerhalb der Stadt. Dorthin geht Markus immer, wenn er feiern und spontanen Sex haben will. Zwar habe ich bereits einiges im Internet über diesen Club gelesen, bin aber noch nie hier gewesen. Allein habe ich mich nie getraut. Zwar wussten meine Freunde vom Abi über meine Homosexualität Bescheid, doch mit ihnen war ich eher in Clubs für Heterosexuelle, wenn ich mich überhaupt dazu durchringen konnte, feiern zu gehen.
Der Türsteher winkt uns hinein. Drinnen ist die Hölle los, halb nackte Typen drängen sich an Markus und mir vorbei auf die Tanzfläche oder an die Bar. Ich weiß gar nicht, wohin ich zuerst schauen soll. Mein Kopf dreht sich hin und her, erstaunt sehe ich mich zu allen Seiten um. Wahrscheinlich ähnele ich gerade dem Wackeldackel im alten Golf meines Vaters. Markus lacht mir aufmunternd zu und zieht mich zur nächstgelegenen Bar, wo er bei einem blonden, wirklich attraktiven Barkeeper eine Runde Bier für uns beide bestellt. Markus will erst langsam anfangen und nicht gleich mit dem harten Zeug starten, ich vertrage Alkohol sowieso nicht so gut, weshalb Bier okay ist.
Kaum haben wir das erste Bier geleert, steht auch schon ein attraktiver Kerl neben Markus und legt ihm die Arme um den Oberkörper.
»Hallo Süßer«, raunt er ihm ins Ohr und wohl noch einiges andere, denn Markus grinst anzüglich und leckt sich über die Lippen. Dann rutscht er vom Hocker und lässt sich von dem Kerl ausgiebig küssen.
»Phil, kann ich dich für einen Moment allein lassen? Dauert auch nicht lange«, ruft er mir über den Lärm der Musik hinweg zu. Ich nicke, und Markus verschwindet mit dem Typen auf der Tanzfläche. Seufzend nippe ich an meinem Bier und lasse meinen Blick durch den Mainroom schweifen. Viele der Männer bewegen sich so aufreizend, dass man es als Aufforderung zu mehr nicht verleugnen kann. Vielleicht sollte ich einfach rübergehen und jemanden antanzen? Irgendwann muss ich mich überwinden und aus meinem Schneckenhaus herauskommen. Laut Markus bin ich schließlich kein hässliches Entlein, das sich vor der Welt verstecken muss. Ein bisschen Spaß kann mir nicht schaden, dafür bin ich ja hier. Das Bier beginnt bereits in meinem Blutkreislauf zu zirkulieren und mir etwas mehr Mut zu machen.
»Du bist wohl neu hier«, höre ich eine Stimme dicht hinter mir, als ich gerade von meinem Hocker aufstehen will. Ich drehe mich um und starre überrascht in zwei dunkle Augen. Verdammt, das ist doch tatsächlich der Typ von letzter Woche, dem ich in der Unimensa begegnet bin. Heute sieht er sogar noch besser aus als bei unserem ersten Zusammentreffen. Seine Jeans ist eng, betont seine schlanken Beine perfekt, während das Shirt eher locker seinen Körper umspielt. Der dunkle Pony fällt ihm wieder in die Stirn, und er streicht ihn sich hinters Ohr, um mich besser ansehen zu können.
Mein Gegenüber ist nicht minder erstaunt über meinen Anblick. Anerkennend lässt der Mann seinen Blick über meinen Körper wandern und dass ihm gefällt, was er sieht, steht ihm deutlich ins Gesicht geschrieben.
»Wahnsinn! Ich hätte dich beinahe nicht wiedererkannt ohne die Brille und in diesen Klamotten. Du siehst echt heiß aus!«, staunt der Kerl, was mich zum Erröten bringt. Das ist jetzt wirklich ein lustiger Zufall! Erst treffe ich meinen absoluten Traummann in der Mensa und dann steht er hier vor mir und findet mich … heiß? Ich traue meinen Ohren kaum. Aber dass er mich überhaupt erkannt hat, freut mich so ungemein, dass mein Herz gleich einen Takt höherschlägt.
Er lächelt mich an und streckt mir seine Hand entgegen. »Ich bin Kai«, stellt er sich vor.
Zögernd ergreife ich seine Hand. Hoffentlich schwitzen meine Finger nicht, das wäre echt peinlich. »Ich heiße Philipp«, krächze ich. Meine Stimme scheint irgendwo auf dem Weg aus meinem Mund verloren gegangen zu sein. Zumindest hört sie sich in meinen Ohren ganz fremd an.
»Möchtest du vielleicht tanzen?«, fragt Kai und lächelt aufmunternd.
Ob ich tanzen will? Mit ihm? Ich? Ich hätte sogar ja gesagt, hätte er mich aufgefordert, nackt aus dem Fenster zu springen.
»K… klar!« Ich hüpfe etwas zu enthusiastisch vom Barhocker und falle in seine Arme, denn hätte er mich nicht gehalten, hätte ich die Balance verloren und wäre erneut am Boden zu seinen Füßen gelandet.
»Oh, du gehst ja ran.« Sein Lachen und das amüsierte Funkeln seiner Augen lassen mich sofort erröten. Ein Glück, dass es hier so dunkel ist und er meine glühenden Wangen nicht sehen kann. Etwas unbeholfen will ich mich von ihm lösen, doch er lockert die Umarmung nicht. Also schmiege ich mich an seinen Körper und schaue unsicher zu ihm auf. Mir schlägt das Herz bis zum Hals, zum Takt des Technobeats aus den Boxen.
»Mh, das gefällt mir«, raunt er mir ins Ohr und zieht mich noch etwas fester an sich. Seine Hände wandern zu meinem Hintern und packen fest zu. Wow, es überrascht mich, dass er so forsch ist. Eigentlich habe ich gar nicht damit gerechnet, ihn hier zu treffen und ihm gleich so nah zu sein. Bisher bin ich wohl viel zu zurückhaltend gewesen, für Kai scheint so ein intimer Körperkontakt beim Tanzen nichts Neues zu sein. Bevor ich irgendwie auf seine Nähe reagieren kann, spüre ich auch schon seine Lippen auf meinem Mund. Als er mit der Zunge zwischen meine Lippen dringt, halte ich den Atem an.
Wow.
Wahnsinn.
Passiert das hier gerade wirklich oder träume ich?
Mein Herz hämmert wild gegen den Brustkorb. Ich zerfließe, vergehe vor Verlangen. Alles um mich herum verschwimmt in bunten Farben, ich schließe die Augen, um das Gefühl seiner Lippen noch mehr genießen zu können. Dieser Kuss raubt mir die Sinne, ich bin völlig benebelt und kann nur noch fühlen und schmecken. Ich presse meine Lippen fester auf Kais, ermuntere ihn dadurch zu einem wilden Tempo. Er küsst mich hingebungsvoll und massiert weiter meinen Hintern. Es ist offensichtlich, was Kai von mir will. Ich bin völlig von der Rolle, Erregung breitet sich von den Zehenspitzen bis zu den Haarwurzeln in mir aus, rauscht heiß durch meine Adern und Blut sammelt sich zwischen meinen Beinen. Dass mich mein erster Kuss so heiß macht, hätte ich im Leben nicht gedacht!
»Oh, wie ich sehe, hast du bereits jemanden kennengelernt«, sagt jemand hinter mir, ein Lachen dringt zu mir durch. Kai löst sich von mir, und ich fahre herum. Markus ist wieder da. Sein anzügliches Grinsen ist überdimensional und lässt darauf schließen, dass es ihn amüsiert, mich auf frischer Tat zu ertappen.
»Hey, ich wollte euch jetzt wirklich nicht stören«, sagt mein Kumpel direkt und hebt abwehrend die Hände. »Ich habe mich nur gewundert, ob es tatsächlich Phil ist. Weil ich nämlich gleich fahren wollte. Bleibst du noch hier?« Markus sieht mich fragend an, und ich nicke automatisch.
»Schon okay, kein Problem«, meint Kai schulterzuckend und rückt ein wenig von mir ab. Unsicher schaue ich zu ihm. So schnell das Verlangen über mich gekommen ist, so schnell überkommt mich nun die Verlegenheit, dass ich mich sofort an den erstbesten Mann geklammert habe, der mir seine Zunge in den Hals steckte.
»Wir sehen uns dann … äh, in der Uni?«, frage ich zaghaft, weil ich insgeheim hoffe, dass der Kuss gerade keine einmalige Sache gewesen ist. Es funkt zwischen uns, das spüre ich.
»Auf jeden Fall«, erwidert Kai grinsend und leckt sich über die Lippen.