KAPITEL 1
»Mausetot, würde ich sagen.«
Detective Chief Inspector Conor Brennan stand im Wohnzimmer der Madison-Villa nahe des Queen‘s Quarters in Belfast und betrachtete die Frau vor sich. Er kannte die Blondine mit den aufgespritzten Lippen, wenn auch nur flüchtig. Erst vor ein paar Tagen war er ihr bei der Silvester Party in Robinson‘s Bars begegnet.
»Können Sie schon sagen, woran sie gestorben ist, Stuart?« Conor beugte sich über die Leiche und versuchte, Anzeichen von Fremdeinwirkung auf der Haut der Frau zu finden.
»Schwer zu sagen.« Stuart Pearson stand auf und kratzte sich am Hinterkopf. »Ich muss sie zuerst auf dem Tisch haben.«
»In Ordnung«, sagte Conor, drehte sich um und sah zum Sofa herüber, auf dem eine Frau mit rotgelockten Haaren zusammengekauert unter einer Decke saß. Er seufzte leise und machte ein paar Schritte auf die Couch zu. »Fiona?«, flüsterte Conor. Als er seiner Freundin die Hand auf die Schulter legte, zuckte sie zusammen.
»Ich kann einfach nicht glauben, dass sie tot ist.« Fiona hob den Blick. Ihre Augen waren glasig und gerötet. Seit Conor in der Villa eingetroffen war, hatte sie nicht aufgehört zu weinen. »Ich meine, wir waren doch verabredet. U-und jetzt …«, stotterte sie und fuhr sich mit der Hand über das Gesicht, um sich die Tränen von der Wange zu wischen.
»Fi, was ist denn passiert?« Er setzte sich neben sie auf die Couch und strich ihr behutsam über das Haar. Es war nicht der erste Mordfall, bei dem Fiona und er miteinander zu tun hatten. Doch es war das erste Mal, dass Fiona als bislang einzige Zeugin fungierte. Soweit er sie vorhin am Telefon richtig verstanden hatte, war Kimberly Madison in sich zusammengesunken, kurz nachdem Fiona den Raum betreten hatte.
Conor wusste, dass Fiona eine gute Beobachterin war und dass ihr nur selten ein Detail entging. Trotzdem fragte er sich, an wie viel sie sich erinnern konnte, jetzt, wo sie ganz offensichtlich unter Schock stand.
»Wir waren zum Tee verabredet. Carrie, Kimberly und ich«, begann Fiona zu erzählen. Sie hatte die Augen geschlossen, als versuche sie, sich krampfhaft an jedes noch so kleine Detail zu erinnern.
»Carrie? Wo ist deine Cousine?« Conor sah sich um, konnte im Wohnzimmer aber niemanden außer Stuart Pearson und weitere Mitarbeiter der Spurensicherung sowie zwei Mitarbeiter des Bestattungsunternehmens entdecken.
»Ich weiß es nicht.«
»Wie? Du weißt es nicht?«, bohrte Conor forscher nach, als er es vorgehabt hatte.
»Sie war nicht hier. Wir hatten abgemacht, dass wir uns vor dem Eingang treffen, aber sie war nicht da. Deshalb bin ich allein ins Haus gegangen«, antwortete Fiona und schnäuzte in ihr Taschentuch.
»Du hast sie also hier nicht gesehen?«, fragte Conor und machte sich Notizen.
Fiona schüttelte den Kopf. »Nein, es war niemand hier. Die Tür war leicht geöffnet, und als auf mein Rufen hin niemand reagiert hat, bin ich ins Haus gegangen. Ich habe gesehen, wie Kimberly im Wohnzimmer panisch auf und ab ging und kurz darauf ist sie auch schon in sich zusammengesackt.« Sie wischte sich mit dem Taschentuch über die Augen, sodass ihre Wimperntusche verlief und sich schwarze Ränder auf ihrer Haut bildeten. »Meinst du, sie hatte einen Herzinfarkt?«
»Wir müssen im Moment alle Möglichkeiten in Erwägung ziehen, doch ich würde derzeit davon ausgehen, dass mit dem Tee etwas nicht gestimmt hat.« Stuart kam mit einer Tasse, an der pinkfarbener Lippenstift klebte, zu Conor und ließ ihn an der hellbraunen Flüssigkeit schnuppern, woraufhin der DCI das Gesicht verzog.
»Gift?«
»Das werden wir herausfinden.« Zusammen mit den restlichen Keksen, packte Stuart die Tasse vorsichtig ein. »Wir werden dann mal aufbrechen.« Er winkte kurz zum Abschied, warf Fiona einen mitleidigen Blick zu und folgte den beiden Bestattern zur Haustür. »Ich rufe Sie an, sobald die Ergebnisse da sind.«
Conor nickte seinem Kollegen zu und kümmerte sich wieder um Fiona.
»Das kann doch alles nicht wahr sein«, murmelte sie kaum hörbar und fasste sich mit der Hand an die Stirn.
»Geht‘s dir gut? Brauchst du einen Arzt?« Conor sah sie besorgt an, doch Fiona winkte ab.
»Nein, in meinem Kopf schwirren nur gerade Tausende Gedanken herum. Was wird Codie nur dazu sagen?«
»Zerbrich dir darüber jetzt nicht den Kopf.«
»Habt ihr ihn schon erreicht?«
»Nein.« Auf Conors Stirn bildeten sich tiefe Sorgenfalten. Ein Ehemann, der nach dem Tod seiner Frau nicht zu erreichen war, war meist kein gutes Zeichen. Doch er wollte Fiona nicht noch mehr beunruhigen.
»Codie Madison hat die Praxis heute Mittag verlassen und ist seitdem nirgends wieder aufgetaucht. Angeblich sollte er beim Golfspielen sein, aber dort haben wir ihn nicht angetroffen.« Ein Mann um die Vierzig betrat das Wohnzimmer. Seine rotbraunen Haare leuchteten im Licht der Wohnzimmerlampe.
Fiona sah auf. Sie hatte den Mann zuvor noch nie gesehen. Er war größer als Conor, hatte breite Schultern und eine, im Verhältnis dazu, schlanke Taille.
»Und sein Handy?« Conor stand auf und ging auf den Fremden zu.
»Ausgeschaltet. Wenn das mal nicht verdächtig ist«, sagte der Rothaarige mit den Sommersprossen im Gesicht, reichte Conor die Hand und stellte sich vor. »DI Kevin Peterson, Sir.«
»DCI Conor Brennan. Schön, Sie endlich persönlich kennenzulernen. Auch wenn die Umstände besser sein könnten. Aber wie ich sehe und höre, machen Sie bereits Ihren Job.« Conor wirkte zufrieden, als er sich zu Fiona umdrehte. »Darf ich Ihnen meine Freundin vorstellen?«
Es musste skurril auf Detective Inspector Peterson wirken, dass sein neuer Boss ihm ausgerechnet an einem Tatort seine Freundin vorstellte, denn er stutzte kurz, als Conor auf das Häufchen Elend auf dem Sofa zeigte.
»Fiona Fitzgerald. Sie war anwesend, als Mrs Madison gestorben ist, und hat mich daraufhin sofort verständigt«, erklärte Conor, als er die Skepsis seines Kollegen bemerkte.
»Sie sind also eine Zeugin des Todes?« Kevin Peterson wischte sich seine rechte Hand an der Hose ab und reichte sie Fiona.
»Leider«, antwortete sie und seufzte einmal mehr.
»In welcher Beziehung standen Sie zu der Toten?« Kevin Peterson stemmte die Hände in die Hüften und sah sich im Wohnzimmer um, als wolle er Fiona das Gefühl geben, er wäre nicht allein auf sie aus.
»In welcher Be…?« Fiona schaute zu Conor hinüber, der sie aufmunternd anlächelte. »Wir sind zusammen zur Schule gegangen.«
»Sie waren also befreundet?«, hakte Kevin nach.
»Als Freundinnen würde ich uns nicht gerade bezeichnen.« Fiona schüttelte den Kopf, als sei es die absurdeste Idee der Welt, dass Kimberly und sie echte Freundinnen gewesen waren.
»Was haben Sie dann hier gemacht?« DI Peterson setzte sich in einen Sessel und verschränkte die Arme vor der Brust.
»Wir waren zum Tee verabredet.«
»Sie waren mit jemandem zum Tee verabredet, den Sie ganz offensichtlich nicht als Ihre Freundin bezeichnen würden?« Peterson runzelte die Stirn. Worauf wollte er hinaus?
»Wir haben uns gestern Abend auf einem Klassentreffen wiedergesehen und sind ins Gespräch gekommen. Kimberly hat meine Cousine Carrie und mich daraufhin für heute Nachmittag zum Tee eingeladen.«
»Und wo ist Ihre Cousine jetzt?«
»Ich habe keine Ahnung. Sie ist nicht zu dem Treffen erschienen. Aber das habe ich bereits alles DCI Brennan erzählt.« Fiona sah erneut zu Conor hinüber, der das Gespräch der beiden interessiert mitverfolgt hatte.
»Haben Sie versucht, Ihre Cousine anzurufen?«
»Natürlich habe ich das. Allerdings geht sie nicht an ihr Handy.« Als wolle sie das improvisierte Verhör beenden, streifte sich Fiona die Decke von der Schulter, faltete sie sorgfältig zusammen und setzte sich aufrecht hin.
»Ich denke, das reicht für heute. Fiona sollte sich erst einmal von dem Schock erholen, den sie erlitten hat. Und wir sollten uns darum kümmern, Codie Madison ausfindig zu machen. Schließlich sollte er erfahren, dass seine Frau tot ist.« Conor half Fiona auf die Beine. Sie schwankte leicht, als er beschützend den Arm um sie legte und sie hinausbegleitete.
»Falls er es nicht schon längst weiß«, murmelte DI Kevin Peterson und folgte den beiden.
***
Conor saß an seinem Schreibtisch und dachte nach. Er hatte seinen Kopf auf seine Hände gestützt und die Augen geschlossen. Dass er Fiona ausgerechnet heute Abend allein lassen musste, missfiel ihm ebenso wie die Tatsache, dass sein neuer Kollege Peterson sie vorhin in der Madison-Villa so ausführlich befragt hatte. Natürlich wusste er, dass Fiona rein theoretisch nicht nur als Zeugin fungierte, sondern automatisch zum Kreis der Verdächtigen zählte, da sie die einzige Person war, die anwesend gewesen war, als Kimberly Madison das Zeitliche gesegnet hatte. Doch der Gedanke daran, dass sie etwas mit dem Mord, wenn es denn tatsächlich einer war, zu tun gehabt haben könnte, war für ihn nicht nur ausgeschlossen, sondern vollkommen absurd.
Es war von Peterson nicht nötig gewesen, Fiona derartig zu befragen. Conor hätte einschreiten können, vielleicht sogar müssen, aber er wollte sich auf keinen Fall den Vorwurf gefallen lassen, dass er die Zeugin schonte, nur weil er mit ihr das Bett teilte. Er konnte froh sein, wenn sie ihm den Fall nicht ohnehin aufgrund von Befangenheit entziehen würden. Wahrscheinlich würde er allein deshalb Kevin Peterson einen Großteil der Befragungen, die mit Fiona zusammenhingen, übernehmen lassen, während er sich um Madison kümmerte.
Nachdem Conor Fiona in seiner Wohnung abgesetzt hatte, war er zurück aufs Revier gefahren und hatte sogleich damit begonnen, Codie Madison ausfindig zu machen. Immerhin war er einer der bekanntesten Schönheitschirurgen des Landes. Er konnte nicht einfach so verschwunden sein.
»Wir haben ihn!« Ohne anzuklopfen, stürmte Kevin Peterson in Conors Büro. »Er ist den Nachmittag über in Holywood gewesen und befindet sich jetzt auf dem Weg nach Hause.«
Conor hob den Kopf und seufzte. Er hasste es, wenn Kollegen einfach so in sein Büro stürmten. Doch noch mehr hasste er es, seinen Kollegen zurechtzuweisen. Auch wenn ihm als neuer DCI wohl nichts anderes übrig bleiben würde.
»Würden Sie das nächste Mal bitte anklopfen?«, meinte Conor und versuchte, so freundlich wie möglich zu klingen.
»Oh, klar. Sorry, Sir!« Kevin Peterson errötete und fuhr sich verlegen durch das gelockte Haar. »Ich war nur so euphorisch.«
»Schon gut. Fahren wir also noch mal zurück zur Madison-Villa!« Conor wollte gerade aufstehen, als Peterson ihn zurückhielt.
»Nicht nötig, Codie Madison ist auf dem Weg zu uns. Ich hoffe, es war okay, dass ich ihn aufs Revier bestellt habe?« Kevin Peterson schaute unsicher zu seinem Boss, doch Conor nickte.
»Sehr gut. Danke.«
KAPITEL 2
Fiona lag auf dem Sofa in Conors kleiner Dreizimmerwohnung und starrte auf den Fernseher. Seit Conor sie vor ein paar Stunden hier abgesetzt hatte, war ihr abwechselnd heiß und kalt gewesen. Wenn sie es nicht besser wüsste, würde sie meinen, dass sie eine Grippe bekam. Doch sie wusste, dass die Schauer, die ihr in Lichtgeschwindigkeit über den Rücken jagten, allein der Tatsache geschuldet waren, dass sie wieder einmal einen Menschen hatte sterben sehen müssen. Dabei war es noch nicht einmal ein Jahr her, dass Shannon O‘Brien auf der Main Street unmittelbar vor ihrer Bonbonkocherei in Portrush getötet worden war.
Fiona schloss die Augen und versuchte, diesem schrecklichen Ereignis nicht die Chance zu geben, sich wieder in ihr Gedächtnis zu drängen. Doch es gelang ihr nur mäßig. Unaufhörlich kreisten ihre Gedanken um Kimberly und den Tod im Allgemeinen.
Schon als sie ins Wohnzimmer gekommen war, hatte Fiona bemerkt, dass etwas nicht stimmte. Obwohl draußen leichte Minusgrade herrschten, war Kimberly schweißgebadet gewesen. Sie war außerdem ungewöhnlich blass um die Nase herum gewesen, doch Fiona hatte es zunächst nur darauf geschoben, dass Kimberly am Abend zuvor deutlich einen über den Durst getrunken hatte und vermutlich fürchterlich verkatert gewesen war.
Carrie und Fiona hatten ihr am Vorabend ein Taxi bestellt, und sie schließlich vom Klassentreffen bis nach Hause begleitet, um auf Nummer sicherzugehen, dass sie auch wirklich bei sich im Bett landete.
Das Klassentreffen hatte sich genau so entwickelt, wie Fiona es bereits von vornherein befürchtet hatte. Es war der reinste Horror gewesen. Ein Schaulaufen derjenigen, die es liebten im Mittelpunkt zu stehen, so wie Kimberly und Codie Madison. Sie hatten sich alle Mühe gegeben, das Vorzeigepaar zu sein, für das sie alle seit der Schulzeit gehalten hatten. Doch je später der Abend geworden und je mehr Alkohol geflossen war, desto schwerer war es den beiden gefallen, die prunkvolle Fassade aufrechtzuerhalten.
Codie hatte es genossen, dass die Frauen ihm bewundernde Blicke zugeworfen, sich gerne an ihn geschmiegt und Selfies mit ihm gemacht hatten. Kimberly war dies jedoch ein Dorn im Auge gewesen. Sie hatte nie einen Hehl daraus gemacht, dass sie alles andere als die gehörnte Ehefrau sein wollte. Doch Codie war bekannt dafür, dass er nur allzu gerne jedem Rock nachstieg, der nicht bei drei auf den Bäumen war. Diesbezüglich war sein Ruf legendär und hatte sich seit der Schulzeit offenbar nicht geändert.
Und so war es gekommen, wie es vielleicht hatte kommen müssen: Mitten auf der Tanzfläche hatte Kimberly ihrem Ehemann kurz vor Mitternacht eine schallende Ohrfeige gegeben, als dieser seinen Kopf in den Haaren von Nelly O‘Grey, der ehemaligen Schulsprecherin, vergraben hatte. Natürlich hatte Codie sich das nicht bieten lassen und war seinerseits auf Kimberly losgegangen.
»Was stimmt denn nicht mit dir?«, hatte er sie angeschrien und so sehr getobt, dass ihn zwei Männer festhalten mussten. »Du schlägst deinen Ehemann hier in aller Öffentlichkeit? Was meinst du, was passiert, wenn die Presse davon Wind bekommt?«
Kimberly hatte daraufhin irgendetwas gelallt, von wegen selbst Schuld, und hatte sich dabei gerade noch aufrecht halten können. Schließlich hatten Fiona und Carrie sich ihrer erbarmt, sich bei ihr eingehakt und sie nach Hause verfrachtet.
»Die Ehe zwischen Codie und mir ist eh schon längst vorbei«, hatte Kimberly auf dem Weg nach Hause unaufhörlich gejammert.
Es war einer der wenigen zusammenhängenden Sätze gewesen, die Kimberly, neben der Einladung zum Tee am folgenden Nachmittag, noch herausgebracht hatte.
Fiona setzte sich auf. Konnte es sein, dass Codie bei Kimberlys Tod seine Finger im Spiel gehabt hatte?
Nein, das wäre zu naheliegend und banal gewesen, dachte Fiona und konzentrierte sich wieder darauf, die Erinnerung an die sterbende Kimberly aus ihrem Kopf zu bekommen. Trotzdem erschauderte sie bei dem Gedanken daran.
Kimberly war nicht einfach eingeschlafen oder plötzlich tot umgefallen, sondern hatte hektisch geatmet, während sie mit panisch aufgerissenen Augen im Wohnzimmer herumgelaufen war und sich ständig an die Brust gefasst hatte.
Schon da war Fiona klar gewesen, dass es kein gutes Ende mit Kimberly nehmen würde. Daher hatte sie auch nicht gezögert, den Rettungswagen zu verständigen. Außerdem hatte sie direkt Conor angerufen, und ihn gebeten zu kommen. Doch als er einige Minuten später in der Madison-Villa eingetroffen war, hatte Kimberly bereits das Zeitliche gesegnet.
Fiona horchte auf. Sie hörte, wie sich die Wohnungstür öffnete, und vernahm kurz darauf leise Schritte im Flur. Ein paar Sekunden später erschien Conor im Wohnzimmer und schaute sie verdutzt an.
»Du bist noch wach?«, fragte er und warf einen flüchtigen Blick auf die Uhr. Es war kurz nach elf.
»Ich kann nicht schlafen«, sagte Fiona, zog die Knie an und legte ihren Kopf darauf.
»Das kann ich verstehen.« Conor löste seinen Schlips und öffnete die oberen Knöpfe seines Hemdes, so wie er es immer tat, wenn er spät abends von der Arbeit kam. Er verschwand in der Küche und kehrte wenig später mit zwei Gläsern und einer Flasche Rotwein zurück. Ohne ein Wort zu sagen, schenkte er ein und reichte Fiona eines der Weingläser. »War ja auch ein harter Tag.«
Fiona nickte und nippte an ihrem Rotwein. Sofort spürte sie, wie sich in ihrem Bauch eine angenehme Wärme ausbreitete. Sie legte ihren Kopf an Conors Schulter und schloss die Augen.
»Habt ihr Codie gefunden?«
Conor nickte. »Ja, er war in Holywood und auf dem Weg nach Hause, als wir ihn endlich telefonisch erreicht haben. Hat wohl doch Golf gespielt, denn sein Alibi scheint wasserdicht zu sein.« Conor drehte den langen, dünnen Stiel des Weinglases in seiner Hand, als würde er über etwas nachdenken.
»Wie hat er reagiert, als er von Kimberlys Tod erfahren hat?« Fiona betrachtete ihren Freund im warmen Kerzenschein. Er hatte sich seit Tagen nicht rasiert, sodass um sein Kinn herum ein kleiner Bart gewachsen war, der das Stadium eines Dreitagebarts längst verlassen hatte. Sie wusste noch nicht, was sie davon halten sollte, denn er sah auf einmal so anders, und beinahe männlicher und wilder aus. Irgendwie gefiel ihr das.
»Kurz dachte ich, er wäre geschockt, doch dazu hatte er sich, meiner Meinung nach, zu schnell wieder gefangen. Er schien eher überrascht zu sein.« Conor stellte das Glas beiseite und wischte sich mit der Hand über die Augen.
»Kimberly sagte, dass die Ehe der beiden schon seit längerer Zeit nur noch auf dem Papier bestanden hat.« Fiona hob ihre Hand und legte sie Conor sanft auf die Schulter. Die Strapazen des Tages waren auch ihm deutlich anzusehen.
»Wusstest du, dass sie herzkrank war?«
»Wer? Kimberly?«
Wieder nickte Conor.
»Nein, woher auch? Wir haben uns schließlich jahrelang nicht gesehen.«
»Laut ihrem Mann litt sie an Herzrhythmusstörungen und bekam dagegen auch schon seit ein paar Jahren Medikamente.«
»Könnte das eine mögliche Todesursache sein? Ich meine, dass sie tatsächlich einen Herzinfarkt hatte?« Fiona runzelte die Stirn. Sie musste zugeben, dass sie gar nicht genau wusste, wie sich ein Herzinfarkt bemerkbar machte. Doch es konnte durchaus sein, dass Kimberly kurz vor ihrem Zusammenbruch starkes Herzrasen gehabt hatte. Das würde zumindest ihre hektische Atmung und ihr übermäßiges Schwitzen erklären.
»Wir müssen die Ergebnisse der KU abwarten, alles andere wäre reine Spekulation, und aus meiner Erfahrung sind wir noch nie gut damit gefahren, wenn wir uns darauf verlassen haben.« Er lehnte sich zurück und zog Fiona in seine kräftigen Arme.
»Wir?« Sie spürte die vertraute Wärme, die von ihm ausging und sah zu ihm auf.
»Na, immerhin ist das nicht der erste Mordfall, in dem wir als Team zusammenarbeiten, oder?« Er zwinkerte ihr zu und stupste zärtlich gegen ihre Nasenspitze, dass es sie kitzelte.
»Ich kann nicht glauben, dass du uns als Team bezeichnest. Ich meine, es ist noch nicht lange her, da hast du alles versucht, um deinen Job aus meinem Leben herauszuhalten.« Fiona setzte sich hin und sah ihn an. »Woher der Sinneswandel?«
Conor lächelte und nahm ihr Gesicht zwischen seine Hände. »Weil ich verstanden habe, dass ich dich von einem Fall, der dich interessiert, sowieso nicht fernhalten kann. Ich kann noch so viel Kraft dazu aufwenden, … es gelingt mir einfach nicht, da du hinter meinem Rücken doch nur dein Ding durchziehst.« Er legte seine Stirn gegen Fionas und sah ihr tief in die Augen. »Also habe ich beschlossen, dich mit ins Boot zu holen. Vielleicht gelingt es mir ja so, dich besser unter Kontrolle zu haben.«
»Unter Kontrolle zu haben?« Fiona hob ihre Augenbrauen.
»Ich möchte dich lieber an meiner Seite wissen, wenn du deine hübsche Spürnase in meine Fälle steckst. Denn wenn ich ein Auge auf dich habe, passiert dir hoffentlich nichts«, erklärte er und küsste sie.
Fiona lächelte zufrieden. »Danke.«
***
Der Anruf aus der KU kam am nächsten Morgen schneller als erwartet. Conors Telefon klingelte bereits vor dem Frühstück, auf das sich Fiona nach dem aufregenden gestrigen Tag ganz besonders gefreut hatte. Sie kam gerade aus dem Badezimmer, als Conor ans Telefon ging und wie angewurzelt zwischen Herd und Küchentisch stehen blieb.
»Also, das Herz, meinst du?«, fragte er und reichte Fiona den Kochlöffel, damit sie sich um das Rührei und die Pancakes kümmern konnte. »Was? Und wie?«
Fiona verstand nicht alles, was Stuart Pearson ihrem Freund durchs Telefon erklärte, dennoch konnte sie erste Schlüsse aus dem ziehen, was Conor antwortete und fragte.
Nach weiteren fünf Minuten legte Conor auf und schüttelte fassungslos den Kopf.
»Keine guten Neuigkeiten?« Fiona hob eine Augenbraue und sah zu Conor hinüber, der immer noch schräg hinter ihr stand.
»Wie man es nimmt. Wir wissen jetzt, woran Kimberly gestorben ist«, sagte er und stellte sich hinter Fiona an den Herd. Er schlang seinen Arm um ihre Taille und vergrub sein Gesicht in ihren roten Haaren.
»Und?« Fiona stoppte und legte den Kochlöffel beiseite. Sie nahm die Pancakes aus der Pfanne, legte sie auf einen Teller und schaltete den Herd aus.
»Es war tatsächlich ihr Herz. Sie hatte wohl eine Art Kammerflimmern, was letztlich zu ihrem Tod geführt hat.« Conors Stimme war ruhig und abgeklärt.
»Also doch ein natürlicher Tod?« Fiona lehnte sich an ihn und genoss seine Nähe. Wenn Conor bei ihr in Portrush war, kamen sie viel zu selten in den Genuss eines gemeinsamen Frühstücks. Doch seit sie bei ihm Urlaub in Belfast machte, war es ein lieb gewonnenes Ritual geworden, die erste Mahlzeit des Tages zusammen einzunehmen.
»Nein. Stuart meint, es gibt einige Punkte, die dagegensprechen. Unter anderem hatte sie eine viel zu hohe Kaliumkonzentration im Blut.«
»Kalium? Ich wusste gar nicht, dass man davon zu viel haben kann, sondern dachte eher, dass das Herz es braucht, um gut zu funktionieren.« Fiona verteilte Rührei und Speck auf die Teller.
»Schon, aber überdosiert kann das Elektrolyt eben Herzrhythmusstörungen auslösen.«
»Du meinst also, sie ist durch eine Überdosis Kalium gestorben?« Für Fiona sprach Conor in Rätseln. An ihr war wirklich keine Medizinerin verloren gegangen.
»Stuart ist sich nicht sicher und muss noch weitere Untersuchungen vornehmen. Der Kaliumspiegel im Körper steigt nach dem Tod automatisch an, daher ist es sehr schwierig, ein Tötungsdelikt durch Kalium zu entdecken.« Conor nahm die beiden Teller von der Küchenzeile und setzte sich an den Tisch. Fiona folgte ihm mit zwei großen Bechern Kaffee.
»Dann muss sich derjenige, der Kimberly töten wollte, mit Medizin ausgekannt haben, oder?«
»Vieles spricht zumindest dafür.« Conor nahm einen großen Schluck Kaffee, und begann zu frühstücken.
Eine Weile sagten sie nichts und jeder hing seinen eigenen Gedanken nach.
»Codie kennt sich mit Medizin aus«, durchbrach Fiona schließlich die Stille.
»Besser wäre es, angesichts der Tatsache, dass er plastischer Chirurg ist.« Conor lachte, wurde aber schnell wieder ernst. »Ich denke trotzdem nicht, dass er es war. Ich meine, was für ein Motiv hätte er – außer, dass er sie wegen einer möglichen Geliebten hätte loswerden wollen?«
»Das würde aber keinen Sinn ergeben. Er hat die ganze Kohle verdient. Er ist der Star. Soweit ich mich erinnern kann, hat Kimberly nie wirklich gearbeitet. Ihre Aufgabe war es, ihm den Rücken freizuhalten, Partys zu organisieren und das hübsche Anhängsel an seiner Seite zu sein.«
»Das klingt aber fies.«
»Mag sein, aber etwas anderes ist sie leider nie gewesen. Außer vielleicht noch sein Versuchskaninchen. Es ist erschreckend, was Codie aus seiner einst so hübschen Frau im Laufe der Jahre gemacht hat. Ich hätte sie Silvester im Pub kaum wiedererkannt.« Fiona nippte nachdenklich an ihrem Kaffee.
»Du meinst, sie war nicht immer so ausladend gebaut?« Conor gab sich alle Mühe, konnte sich ein Schmunzeln aber nicht ganz verkneifen.
»Also, weißt du!« Fiona haute ihm spielerisch mit der Serviette auf den Arm.
»Autsch!«
»Geschieht dir ganz recht«, sagte Fiona und grinste.
»Ich weiß nicht, was du meinst.« Conor nahm einen großen Bissen von seinem Pancake und sah auf die Uhr. »Ich muss los«, sagte er, trank seinen Kaffee aus und stand auf.
»Wohin denn?« Fiona sah ihn verdutzt an. Sie hasste es, wenn er so plötzlich vom Esstisch aufsprang.
»Zu Codie Madison. Ich habe um neun Uhr einen Termin mit ihm.«
»Ich komme mit.« Fiona stand ebenfalls auf und wischte sich ihre Hände am Handtuch ab, das neben der Spüle lag.
»Fiona, ich werde eine offizielle Befragung durchführen, da kannst du nicht mit dabei sein. Wie soll ich Kevin Peterson erklären, dass du dabei bist?« Conor seufzte.
»Tja, das ist dein Problem. Du hast gesagt, wir sind ab sofort ein Team. Schon vergessen?« Ihre tiefgrünen Augen funkelten ihn herausfordernd an.
»Du schaffst mich echt, Fi.« Conor lächelte und rieb sich verlegen den Nacken.
»Aber das hast du doch schon von Anfang an gewusst, oder?« Fiona zwinkerte Conor zu und ging an ihm vorbei aus der Küche.