Kapitel 1
Darina Lisle hob einen silbernen Löffel, beladen mit zerdrückten Fischstäbchen und Kartoffeln. Augen so blau, dass sie Saphire als überschätzt erscheinen ließen, blickten mit absoluter Konzentration in ihre. Dann verschwand das Essen in einem begierigen Mund, ein wonniger Blick trat in das kleine Gesicht und eine dicke Faust sauste verzückt hinab. Sie erwischte die Kante der Plastikschüssel mit dem hübsch gemusterten Rand, der Inhalt schoss heraus und spritzte an die Küchenwand und auf die Ablage des Hochstuhls.
Die blauen Augen wurden weit vor Erstaunen und das Glucksen aus anerkennenden Geräuschen war beinahe verständlich, während zwei dickliche Finger probeweise in den Klecksen herumstocherten und vorsichtig einen Fischbrocken in den Mund ihres Besitzers beförderten.
„Was für ein Vielfraß“, sagte Jemima Ealham. Sie hatte es sich auf einem gepolsterten Küchenstuhl gemütlich gemacht, schwenkte ihr Weißweinglas und machte keine Anstalten zu helfen.
„Ich würde ihn als eifrigen Esser bezeichnen“, lachte Darina, während sie Essensbröckchen von der Ablage des Hochstuhls rettete. „Rory ist die Art Mann, für die ich gerne koche.“ Etwas von der Schwermut, die sich in den letzten Wochen eingeschlichen hatte, wie Nebel, der sich über einer sonnenbeschienenen Wasserfläche ausbreitet und dabei den Glanz und alle Gedanken dämpft, fiel von ihr ab.
„Lass gut sein“, sagte Jemima müßig, als Darina zur Spüle hinüberging, um einen Lappen zu holen. „Mrs. Starr wird bald da sein, sie kann saubermachen.“
„Wie ich sehe, hast du deine Angewohnheiten seit der Schulzeit nicht geändert. Lässt immer noch alle anderen deine Drecksarbeit machen.“ Sie sagte es mit einer Leichtigkeit, die den Worten jede Schärfe nahm, und Jemima schien keinen Anstoß daran zu nehmen. Sie war eine große Frau, nicht so groß wie Darina, aber weit über dem Durchschnitt; sie war eher mager als schlank und hatte eine ruhelose Energie, die sie ständig im Stuhl herumrutschen, nach dem Teller mit Käsestangen greifen, Wein nachschenken und mit den Knöpfen der Jacke ihres knallrosa maßgeschneidertem Kostüms spielen ließ, unter dem sie anscheinend keine Bluse trug. Die spitzen Knie, die der kurze Rock enthüllte, ließen sie seltsam verwundbar erscheinen, ein Eindruck, der von dem kurzen, braunen Haar und der zu großen Nase verstärkt wurde, die ein elfenhaftes Gesicht dominierte. Große, blaue Augen spiegelten Gefühle, die sich zu schnell veränderten, um sie zu identifizieren.
„Tue nie etwas, das du auch jemand anderen für dich machen lassen kannst, war eine von Dads Maximen, und sieh dir an, wohin ihn das gebracht hat.“ Jemima grinste Darina an.
Darina wischte fertig auf und machte sich wieder daran, das kleine Kind zu füttern. „Wenn du das gegessen hast, und immer noch hungrig bist, brate ich dir noch ein Fischstäbchen“, erklärte sie Rory und brach ausnahmsweise mit ihrem alten Prinzip, nicht in den Häusern anderer Leute zu kochen, wenn sie nicht dafür bezahlt wurde. Menschen zu verpflegen war Darinas Geschäft. Ehe sie zur Autorin und Vorführköchin geworden war, hatte sie im Catering gearbeitet, aber Kleinkinder waren neu. Sie beabsichtigte, es auch dabei zu belassen, aber es war unmöglich, nicht dem Charme seiner großen, staunenden Augen zu erliegen.
„Ich habe Leute erlebt, die sich mit weniger Appetit über ein Rinderfilet hermachen“, kommentierte Darina, als Rory mit Begeisterung den Löffel leerputzte. „Vielleicht ist es an der Zeit, ihm etwas Anspruchsvolleres als Fischstäbchen vorzusetzen?“
„Fang nicht davon an! Dad versucht seine neueste Auserkorene dazu zu bringen, eine Kollektion von Gourmet-Babynahrung herauszubringen, und meint, dass Kinder wie Rory gebildet werden müssen.“
„Wirklich? Das klingt toll. In welcher Sparte arbeitet sie?“
Jemima verlor ihre Lebhaftigkeit. „Val Douglas? Ich bin mir nicht ganz sicher, sie hat diese Firma, irgendetwas mit Lebensmitteln für Menschen, die gewisse Dinge nicht essen können. Sie und Dad sind gerade dicke Freunde. Und, na ja, du kennst Dad, er glaubt immer am besten zu wissen, was gut für andere ist.“
Woran sich Darina bei Basil Ealham am besten erinnerte, war seine Abwesenheit. Jemimas Vater hatte sich nur selten an ihrer Schule blicken lassen. Einmal allerdings landete er mit einem Helikopter auf dem Hockeyplatz. Jemima badete im Ruhm und musste ausnahmsweise nicht erklären, dass er ein Firmenimperium leitete und viel zu wichtig war, um am Gründertag oder zum Sportfest da zu sein. In jüngerer Zeit, bei den seltenen Gelegenheiten, wenn sie mal in die Wirtschaftsseiten sah, hatte sie seinen Namen bei Übernahme-Meldungen gelesen, immer auf der Gewinnerseite.
„Sagtest du Val Douglas? Ich habe sie kennenglernt. Sie schrieb früher Koch-Artikel für eine Frauenzeitschrift, aber ich habe sie seit einer Weile nicht mehr bei Presseterminen oder der Kochautoren-Gilde gesehen.“
Jemima schien sich nicht für diese Information zu interessieren. „Na ja, Dad glaubt, dass die Zeit reif ist, um Gourmet-Babynahrung auf den Markt zu bringen, und dass Val es tun soll.“
„Und wird sie das machen?“
Jemima lachte heiser. „Wenn sie weiter bei Dad gut dastehen will, wird sie es tun. Sie streiten sich so schon genug.“
„Streiten?“ Darina fiel es schwer, sich vorzustellen, dass sich die beherrschte und freundliche Val Douglas mit jemandem stritt. „Weswegen?“
„Oh, ich weiß es nicht, ob eine Rationalisierung in der Produktion die Qualität beeinflussen würde, solche Sachen. Mit Val kann es ziemlich hitzig werden.“
Darina erinnerte sich daran, wie Val sich darüber ausließ, dass kommerzielle Produktionsmethoden selbst die besten Lebensmittel zur Unkenntlichkeit reduzierten.
„Im Moment“, fuhr Jemima fort, „reden sie dauernd darüber, was privilegierte Kleinkinder in der täglichen Ernährung brauchen. Ich verstehe nicht, warum sie sich darum Gedanken machen. Warum keine Fischstäbchen? Die haben immerhin Proteine und alles, oder?“
„Für die Ernährung sind sie ausgezeichnet“, stimmte Darina zu. „Aber sie sind kein kulinarisches Erlebnis. Warum sollte man nicht die Geschmacksnerven eines Kleinkindes herausfordern? Ihren Gaumen stimulieren? Immerhin formen frühe Gewohnheiten den Rest unseres Lebens.“
„Ich nehme an, deine Mutter war eine fabelhafte Köchin“, sagte Jemima träge.
Darina lachte. „Ma hasst es, zu Kochen! Aber ein feinschmeckerischer Cousin lebte bei uns und er experimentierte ständig in der Küche. Ich wuchs damit auf, ständig auf die nächste Mahlzeit zu warten.“
„Und jetzt löst du Delia Smith ab.“ Jemima klang ehrlich beeindruckt.
Darina schnaubte höhnisch. „Ich wünschte, so wäre es! Du siehst eine kämpfende Kochautorin vor dir. Ich habe vor Kurzem meine regelmäßige Kolumne verloren und noch keine neue gefunden.“
„Aber du bist im Fernsehen! Ich habe eine der Sendungen gesehen, wann war das, vor einem Jahr?“
„Vor über einem Jahr, und seitdem nicht mehr“, sagte Darina niedergeschlagen und fühlte sich mehr und mehr deprimiert. „Ich habe im Moment nicht einmal einen Auftrag für ein Buch. Seit meiner Hochzeit scheint nichts mehr gut gelaufen zu sein.“ Das hatte sie nicht sagen wollen, es war ihr irgendwie herausgerutscht.
Jemima setzte sich etwas aufrechter hin, ein böser Glanz lag in ihren Augen. „Darina, die große Optimistin, ist zu Tode betrübt? Das glaube ich nicht. Ich habe wohlgemerkt nie viel von der Ehe gehalten. Lieben und verlassen, dass ist mein Motto.“ Ihre prahlerische Art ließ anderes vermuten.
„Ich will William nicht verlassen“, sagte Darina schlicht.
„Wie lange seid ihr verheiratet?“
„Achtzehn Monate.“ Es war ein kalter Tag im März gewesen, stürmisch, der Wind hatte ihr den Schleier ins Gesicht geblasen, als sie für die Hochzeitsfotos draußen vor der Kirche gestanden hatten. Schließlich hatte der Fotograf um einen Freiwilligen gebeten, der hinter ihr stehen, und den feinen Tüll festhalten sollte. Mit Darinas Größe war es nicht schwer gewesen, eine Begleiterin zu finden, die hinter ihr verschwand und das Familienbild nicht störte.
„Du bist ja praktisch noch eine frischvermählte Braut! Wart’s ab!“
„Hast du es selbst noch nicht versucht?“
„Dafür bin ich zu schlau“, sagte Jemima überzeugt.
Darina legte den Löffel ab und wischte mit der Seite ihres Fingers überschüssiges Essen von Rorys Mund. Er schenkte ihr ein gewaltiges Grinsen, das sein Gesicht erhellte wie Nordlichter eine Winternacht, brachte noch mehr fast verständliche Phrasen hervor und nahm den Löffel.
Wieder hob sich die Last der Schwermut von Darina, als sie ihn anlächelte und nach dem Werkzeug griff.
Er schrie entrüstet und wedelte den Löffel besitzergreifend umher. Als er sie ins Auge traf, schwand der kurze Anflug von Mütterlichkeit. „Aua! Lass das!“
„Er hasst es, etwas hergeben zu müssen“, sagte Jemima lakonisch und nippte an ihrem Wein. „Genau wie sein Großvater. Er wird ganz schön schwierig werden.“
„Kannst du wirklich selbst essen?“, fragte Darina Rory. Er schenkte ihr ein weiteres breites Grinsen, sagte: „Da“, grub den Löffel ungeschickt in die Schüssel und hob ein wenig Nahrung an seinen Mund. Unter großer Anstrengung schaffte er es, das meiste davon zu essen.
„Ich kann verstehen, warum du so vernarrt in ihn bist.“
„Ich bin nicht vernarrt in ihn“, erklärte Jemima. „Es fällt mir recht leicht, dem Charme des Wickelns, der nächtlichen Schreie und der überall verteilten Spielzeuge zu widerstehen. Und Rory verfolgt gnadenlos, was er möchte. Wie gesagt, er erinnert mich sehr an Dad.“ Dann ruinierte sie die Wirkung dieser Worte, indem sie dem Kind einen Kuss auf den Kopf drückte, als sie Darina ein Glas Wein brachte.
„Ist er denn gar nicht wie deine Schwester?“, fragte Darina, während sie fasziniert die Bemühungen des Kleinen beobachtete, sein Mittagessen zu essen. So entschlossen, so gierig!
Jemima zuckte mit den schmalen Schultern. „Kannst du irgendwelche Ähnlichkeiten entdecken?“
„Ich habe Sophie nie wirklich kennengelernt“, sagte Darina entschuldigend. „Sie war so viel jünger als wir, zehn Jahre, oder? Ich traf sie nur als kleines Mädchen, als ich mit euch allen in die Ferien fuhr.“ Aus einem tiefen Winkel ihrer Erinnerung zog sie das Bild eines kleinen Kindes hervor, an einen riesigen Teddybär geklammert, der auf der Reise nach Italien viel zu viel Platz einnahm, und an ihrem Daumen lutschend, während sie die Freundin ihrer Schwester mit großen, braunen Augen beobachtete. „Wann ist sie gestorben?“
„Bei Rorys Geburt.“ Jemima drehte ihr Weinglas auf dem Tisch.
„Wie furchtbar! Warum? Ich dachte, eine Geburt ist heutzutage ziemlich sicher.“
„Ich war zu dem Zeitpunkt nicht da, aber Dad sagte, es sei eine Sepsis gewesen.“
„Das klingt als hätte man sich nicht angemessen um sie gekümmert“, deutete Darina zweifelnd an. Es war schwer vorzustellen, dass ein Kind der wohlhabenden Ealham-Familie nicht unter allen Umständen beste medizinische Betreuung bekam, besonders bei einer Schwangerschaft.
Jemima seufzte. „Sie war von zu Hause weggerannt. Hatte sich versteckt. Wir wussten nicht, wo sie war oder was sie tat, bis das Krankenhaus Dad anrief und mitteilte, dass sie ein Kind geboren hatte und im Sterben lag.“
Darina versuchte sich vorzustellen, eine Schwester so aus den Augen zu verlieren, und versagte. „Wie furchtbar! Dein Vater muss vor Sorge außer sich gewesen sein!“
Jemima schwieg.
„Warum ist sie von zu Hause weggegangen?“
Jemima zuckte wieder mit den Schultern. „Ich weiß es nicht. Ich wohnte in der Stadt, als sie verschwand, und führte meine Modeboutique.“ Sie sah Darina an. „Seit Mutter gestorben ist, habe ich nicht mehr viel Zeit zu Hause verbracht. Ich habe versucht, Kontakt zu Sophie zu halten, wirklich, aber es war schwierig.“
Rory schlug mit seinem Löffel auf den Tisch und schrie nach Aufmerksamkeit. Sein Teller war leer.
„Soll ich noch ein Fischstäbchen machen, oder gibt es Nachtisch?“ Jemima biss sich auf die Unterlippe, während sie nachdachte. Sie sah aus wie ein von Dolce und Gabbana eingekleideter Hamster. „Was hat Maeve gesagt, solle er danach bekommen?“, fragte sie in die Luft. „Oh, ich weiß, einen dieser Früchtequarks, und ich glaube, sie sagte Trauben oder eine Mandarine.“ Sie ließ ein Lächeln aufblitzen. „Ja genau, sie hat sich erdreistet mir zu erklären, dass ich sie schälen müsse! Die Frau scheint mich für eine Idiotin zu halten. Der Kühlschrank ist da drüben“, fügte sie charmant lächelnd hinzu.
Darina blieb, wo sie war. Nach einem Augenblick schenkte Jemima ihr ein weiteres lächeln, das zu sagen schien, alles sei einen Versuch wert, und holte den Nachtisch für ihren Neffen.
In der Schule war Jemima die Anführerin gewesen, hatte Befehle erteilt und erwartet, dass sie befolgt wurden. Darina war eines der wenigen Mädchen gewesen, die nicht nach ihrer Pfeife getanzt hatten. Auf einer Klassenfahrt nach Paris hatten sie sich angefreundet. Jemima, damals dreizehn, hatte einen jungen Mann kennengelernt und sich von einer Vorführung russischer Volkstänze weggeschlichen, um ihn zum Abendessen in einem schicken Restaurant zu treffen. Darina hatte sie gedeckt, als Jemimas Abwesenheit bemerkt wurde. Groß, pflichtbewusst und gesetzestreu wie sie war, glaubten die Autoritätspersonen ihr, wenn sie behauptete, dass jemand anwesend sei, obwohl es nicht stimmte. Als Jemima sich bedankte, sagte Darina unverblümt, dass sie eine Idiotin sei, hörte sich aber gerne an, was es zu essen gab. Von diesem Punkt an war eine etwas empfindliche Freundschaft aufgeblüht. Jemima war anscheinend fasziniert davon, dass jemand nicht nach ihrer Pfeife tanzte, und Darina von ihrer respektlosen Lebensanschauung.
Rory wedelte vergnügt mit den Armen, als Darina Himbeerquark in seinen Mund, der so zart und rot war wie eine Rosenknospe, löffelte und beobachtete, wie er sich auf den neuen Geschmack konzentrierte. „Maeve ist sein Kindermädchen?“
„‚Kindermädchen‘ ist ein bisschen viel gesagt für eine Irin, deren einzige Qualifikation ist, soweit ich herausfinden konnte, dass sie zig Geschwister aufgezogen hat. Aber Rory mag sie und ich weiß nicht, wie wir es ohne sie schaffen sollten.“ Sie füllte ihr Glas mit Wein auf. „Dad scheint sie auch für ein gutes Ding zu halten“, fügte sie mit eintöniger Stimme hinzu.
Für eine Weile herrschte Schweigen. Darina fragte sich, wann dieses Kind begreifen würde, dass es keine Mutter hatte. Was würde das für ihn bedeuten? An materiellen Dingen würde es ihm im Leben nicht mangeln. Die Küche sah aus, als stamme sie direkt aus einem Hochglanz-Designer-Magazin, aber es gab kein sympathisches Durcheinander von Küchengeschirr oder das ein oder andere Arbeitsgerät auf den granitenen Arbeitsplatten; keine mit Nachrichten, Einkaufszetteln und Postkarten vollgestopfte Pinnwand, alles war makellos und ohne Herz. Hatte Rory ein Kinderzimmer mit fantasievoll bemalten Wänden und einem Schaukelpferd? Lag Spielzeug herum oder war alles so aufgeräumt wie hier? War diese Maeve für ihn seine Mutter? Es schien auf jeden Fall nicht so, als würde Jemima sich besonders darum bemühen, den Platz ihrer Schwester einzunehmen. „Meine Retterin“, war ihre Begrüßung gewesen, als sie Darina vor einer halben Stunde die Tür zu Blackboys, dem Anwesen der Ealhams, geöffnet hatte, während Rory sich an ihr Bein klammerte. „Es ist Zeit für Rorys Mittagessen und ich bin unfähig, wenn es um ihn geht.“ Dann hatte sie Darina einen herzlichen Kuss gegeben und sie alle in die Küche gebracht.
Jemimas Anruf war aus heiterem Himmel gekommen. Sie hatten sich nicht mehr gesehen, seit sie von der Schule abgegangen waren, und wie sie an Darinas Nummer gelangt war, war ihr ein Rätsel. Trotz der Lücke von so vielen Jahren, hatte Jemima ehrlich begeistert darüber geklungen, wieder mit ihr Kontakt aufgenommen zu haben. So sehr, dass Darina die Einladung zum Mittagessen ohne Umschweife annahm. „Um eine kleine Angelegenheit zu besprechen, bei der ich Hilfe brauche“, hatte Jemima gesagt.
Darina hatte aufgelegt und sich amüsiert gefragt, worum es wohl gehen könnte; Jemima war in der Schule dafür bekannt gewesen, ihre Freundinnen auszunutzen. Dann hatte sie sich selbst getadelt. Hatte Jemima ihr nicht diesen Urlaub in Italien ermöglicht, als sie fünfzehn war? In ihrer Schule gab es etliche Mädchen, die Jemima bei den Hausaufgaben geholfen, ihr Kleidung geliehen oder beliebig viele Gefallen getan hätten, um sie zu der luxuriösen Villa mit Pool und Dienstmagd in den toskanischen Hügeln zu begleiten. Doch sie hatte Darina gefragt, die in Mathe und Latein schlechter stand als sie und deren Kleidung Jemima niemals gepasst hätte, selbst wenn ihr der Stil zugesagt hätte.
Als Darina Rory den letzten Löffel Quark anbot, erklang das eindringliche Klingeln eines Handys.
Jemima schnappte sich das Gerät vom Tisch. „Dominic, hey!“, sagte sie erwartungsvoll. „Toll von dir zu hören, wie geht’s?“ Sie stand mit dem Telefon auf und lief zur anderen Seite der Küche.
Darina versuchte, sich auf Rory zu konzentrieren, aber sie konnte unmöglich ihre Ohren abschalten. „Nein, tut mir leid Dom, Dad kommt heute Abend zurück und ich will hier sein. Nein, hör mal, ich hab doch gesagt, dass es mir leid tut“, verteidigte sie sich. „Es ist, nun ja, wirklich schwierig. Er wird über die Verhandlungen und all das sprechen wollen. Ich bekomme ihn nicht häufig ohne Val zu sehen.“ Eine Pause. „Natürlich wirst du mir fehlen.“ Ihre Stimme klang sanft. „Ich kann es nicht erwarten, dich zu sehen. Morgen dann? Ich ruf dich an.“ Jemima klappte das Handy zu und kehrte kommentarlos zum Tisch zurück.
„Also“, fragte Darina, während sie für den gierigen Rory die letzten Reste aus dem Becher kratzte, „wobei brauchst du meine Hilfe?“ Bitte verlang nicht von mir, zu kochen, betete sie im Stillen. Die Tage waren vorbei, in denen sie für jeglichen Catering-Auftrag dankbar war, der ihr angetragen wurde.
Jemima sah zu Darina herüber, ihr Blick war offen und direkt. „Ich möchte herausfinden, wer Rorys Vater ist.“
„Das weißt du nicht?“ Darina war erstaunt.
Jemima schüttelte den Kopf. „Als Dad das Krankenhaus erreichte, lag Sophie schon im Koma; sie kam nie wieder zu Bewusstsein.“
„Aber irgendjemand muss es doch wissen“, protestierte Darina. „Was ist mit ihren Freundinnen?“
„Sie hat es niemandem erzählt“, sagte Jemima mit einem endgültigen Unterton.
„Hat dein Vater nicht versucht, es herauszufinden?“ Darina konnte sich nicht vorstellen, dass der mächtige Basil Ealham nicht eine Armee von Privatdetektiven darauf angesetzt hätte, um herauszufinden, wer seine Tochter geschwängert hatte.
Jemima sah verzweifelt aus. „Er sagt, dass es keine Rolle spielt, dass Rory eben Rory ist. Er ist vernarrt in ihn.“ Sie ließ es klingen, als ging es um eine gefährliche Perversion.
„Aber du hältst es für wichtig?“ Darina löste mehrere Mandarinenstücke voneinander und gab eines davon dem Kind. Rory nahm es, und betrachtete es eingehend, bevor er es mit einem zustimmenden Grunzen in den Mund steckte. Sie legte noch einige Stücke vor ihn auf die Ablage. Er mochte es offensichtlich, Kontrolle über sein Essen zu haben.
„Du nicht?“ Jemima klang verblüfft über die Frage.
„Na ja, schon, aber warum hast du so lange gewartet?“ Darina betrachtete, wie das Kind das nächste Stück mit dem Daumen und einem dicken Fingern aufnahm. „Ich meine, Rory ist jetzt wie alt, fünfzehn Monate?“
Jemima dachte für einen Augenblick nach. „Siebzehn Monate.“
„Hättet ihr nicht nach seiner Geburt versuchen sollen, seinen Vater zu finden?“
„Ja, nun, haben wir nicht“, sagte Jemima stur.
„Und niemand hat euch kontaktiert?“
Jemima schüttelte den Kopf. „Wie gesagt, wir wissen nichts darüber, wo sie lebte, was sie tat oder mit wem sie befreundet war.“
Irgendetwas war hier sehr eigenartig. „Ich bin keine Privatdetektivin“, sagte Darina zurückweisend. Sie war sich ganz und gar nicht sicher, ob sie etwas mit dieser eigentümlichen Aufgabe zu tun haben wollte. „Ich wüsste gar nicht, wo ich anfangen soll.“
„Unsinn, wenn nur die Hälfte von dem stimmt, was ich gehört habe, hast du etliche Verbrechen aufgeklärt. Als ich Esther Symes traf, und sie mir erzählte, wie gut du dich geschlagen hast, kam mir die Idee.“
Sie also musste Jemima ihre Nummer gegeben haben. „Du weißt, wie sehr Esther es liebt, alles zu übertreiben. Erinnerst du dich, wie sie uns in der vierten Klasse erzählte, dass ihr Onkel der Präsident der Vereinigten Staaten sei?“
Jemima gluckste vor Lachen. „Was waren wir beeindruckt. Bis wir herausfanden, dass er in Wirklichkeit nur der Präsident irgendeiner amerikanischen Firma war.“ Sie beobachtete Darina genau. „Willst du damit sagen, dass du gar keine Morde aufgeklärt hast?“
„Na ja, das nicht.“ Darina machte Ausflüchte. „Aber es war bloß Glück, ich war zur richtigen Zeit am richtigen Ort.“
„Du warst schon immer von bescheidener Natur. Aber du kannst nicht bestreiten, dass du mit einem Polizisten verheiratet bist, niemand Geringeres als ein Detective Inspector. Er kann dir genau sagen, wie man an die Sache herangeht.“ „Tatsächlich wurde er gerade befördert, er ist jetzt Detective Chief Inspector William Pigram bei der Polizei von Thames Valley. Wir sind von Somerset dorthin gezogen.“
„Ich will mehr über ihn hören“, befahl Jemima. „Esther sagt, er ist traumhaft.“
Darina lächelte. „Ich dachte nicht, dass große, dunkelhaarige und gutaussehende Männer gerade in Mode sind.“
„Oh, er klingt köstlich! Eine Art Mr. Darcy?“
„Na ja, ja“, gestand Darina ein, und dachte daran, dass William mit komplizierten Gefühlen rang, genau wie Jane Austens Protagonist.
„Oh, himmlisch! Weicheier langweilen mich so. Heutzutage scheine ich nichts anderes kennenzulernen, Weicheier oder Machos, die unbedingt beweisen wollen, dass sie keine Frauen brauchen.“ Darina fragte sich, in welche dieser Gruppen Dominic fiel. Aber ein Macho hätte sicher darauf bestanden, dass Jemima an diesem Abend mit ihm ausging. „Ich wette, du kannst William um den kleinen Finger wickeln und ihn dazu bringen, dir bei allem Möglichen zu helfen.“
„Er arbeitet sich gerade in seine neue Stelle ein. Das ist ein wichtiger Schritt und da will ich ihn nicht mit solchen Sachen stören“, sagte Darina abwehrend, wohl wissend, dass ihr einen Rat zu geben, wie sie etwas untersuchen sollte, das Letzte wäre, was William tun würde.
„Komm schon, wenn du keine Bücher schreibst oder Fernsehsendungen drehst, kannst du doch bestimmt ein wenig Zeit für Detektivarbeit entbehren.“ Jemima sah Darina flehend an. „Es würde mir viel bedeuten. Und ich werde dich bezahlen, selbstverständlich.“
Das war mehr, als sonst jemand bisher getan hatte! Doch Darina sagte: „Ich mache das nicht für Geld.“
„Na das solltest du aber. Komm schon, bitte, es ist so wichtig.“ Ihre Augen leuchteten, ihr Körper war angespannt.
Wenn Jemima ihre Verteidigung ablegte, war es schwer, ihr zu widerstehen. Und es stimmte, Darina hatte im Moment keine Abgabefristen. Aber der Kampf um eine geregelte Stelle in der Medienwelt war zeitaufwändig und sie musste auch an William denken. Das Letzte, was er gerade brauchte, war, dass sie in seinen Arbeitsbereich eindrang.
Aber die Suche nach Rorys Vater würde doch sicher nicht als Polizeiarbeit gelten. Immerhin hatte sich kein Verbrechen ereignet. Aber es gab etwas, das Darina nicht verstand. „Warum genau bist du so erpicht darauf, Jemima? Wenn dein Vater damit zufrieden ist, es nicht zu wissen, warum du nicht auch?“
Jemima strich sich mit einer Hand durch ihr kurzes, blondes Haar und wirkte gereizt, als hätte die Antwort völlig offensichtlich sein müssen. „Himmel, Darina, du weißt wie mein Bruder und ich aufgewachsen sind, findest du nicht, dass man Rory davor bewahren sollte?“ Jemimas Gesichtsausdruck war grimmig. „Wenn ich nur gemerkt hätte, wie Dad ihn komplett an sich reißt, wäre ich früher zurückgekommen. Er hat mein Leben ruiniert. Ich lasse nicht zu, dass Rory dasselbe passiert. Wenn dir schon das Essen für Kinder wichtig ist, wie viel wichtiger sind dann richtige Eltern?“
„Er könnte völlig ungeeignet sein.“
„Oder jemand, der ihn anständig erzieht und nicht auf dem Stellenwert von Besitz und Status besteht“, beharrte Jemima.
Darina fragte sich, wie gut Jemima ohne das Geld zurechtkäme, das ihre teure Kleidung und dieses luxuriöse Haus bezahlte. Dann ging sie einem anderen Blickwinkel nach. „Hast du irgendeine Ahnung, wer Rorys Vater ist?“
Jemima schüttelte den Kopf. „Anscheinend hatte sie keinen festen Freund, oder Freundin, wenn wir schon dabei sind. Sophie, also, Sophie empfand Menschen als bedrohlich.“
Jemima war nie besonders scharfsinnig gewesen und Darina wurde klar, dass Sophie einiges an sozialer Kompetenz gefehlt haben musste, damit es für ihre Schwester derart auffällig war.
„Dad sagt, dass Rory ein paar Wochen zu früh kam, du kannst dir nicht vorstellen, wie klein er war, als ich ihn zum ersten Mal sah.“ Jemima blickte zu dem kräftigen Burschen, der auf die Ablage seines Hochstuhls trommelte und ihr Blick wurde kurz sanft, ehe sie ihre Aufmerksamkeit wieder auf Darina richtete. „Sophie wurde seit siebeneinhalb Monaten vermisst, als Rory zur Welt kam. Wenn er sechs Wochen zu früh war, muss der Vater jemand sein, den sie kennengelernt hat, nachdem sie bei meinem Bruder und meiner Schwägerin verschwunden ist, oder?“
Darina sah nicht, dass das notwendigerweise daraus folgte, beschloss aber, für den Augenblick nicht darauf einzugehen.
„Aber wie soll denn irgendjemand eine Ermittlung auch nur anfangen, wenn du nicht weißt, wo Sophie lebte oder was sie tat, als sie schwanger wurde?“
Erleichterung erstrahlte auf Jemimas Gesicht. „Ich wusste, dass du es tun würdest! Und ich weiß genau, wo du anfangen kannst, bei meinem Bruder.“
Rory schlug herrisch auf seine Ablage.
„Was will er denn jetzt?“, fragte Darina. „Noch mehr zu essen?“
Jemima stand auf und holte ein Fläschchen. „Orangensaft, um das Festmahl abzurunden.“
Rory packte das Fläschchen mit beiden Händen und saugte daran. Wie simpel das Leben in diesem Alter war!
„Welcher Bruder?“, fragte Darina. Bei dem Urlaub in Italien waren zwei dabei gewesen: Job, ein introvertierter Student, der Wert darauf gelegt hatte, jeden Kontakt zum Rest der Familie zu meiden, und Jasper, ein zehn Jahre alter Junge, der sie ständig zum Lachen brachte.
„Mein von ganzem Herzen geliebter, älterer Bruder Job“, sagte Jemima ironisch. „Als Sophie von hier verschwand, ging sie zu ihm und Nicola. Wusstest du, dass er geheiratet hat?“
Darina schüttelte den Kopf. „Ich habe seit Jahren nichts von dir oder deiner Familie gehört. Wenn man nie eine Antwort bekommt, verschickt man irgendwann auch keine Weihnachtskarten mehr“, fügte sie ernst hinzu.
Jemima schenkte ihr ein beschämtes Lächeln. „Na ja, ich hatte irgendwie mit anderen Sachen zu tun. Alles ist so aufregend, wenn man gerade den Schulabschluss gemacht hat“, fügte sie hinzu, als würde das alles erklären. „Als ich neulich zufällig Esther begegnete, war es das erste Mal, dass ich einer von uns begegnet bin, seit wir alle fortgingen.“
„Was macht Job heute? Hat er irgendetwas aus seiner Schriftstellerei gemacht? Ich erinnere mich, dass er ständig in ein Notizbuch gekritzelt hat.“ Wobei er große Anstrengungen unternahm, damit es niemand lesen konnte. Jasper hatte es eines Tages geschafft, daranzukommen. Darina sah ihn jetzt vor sich, wie er um den Pool tanzte, es hoch in die Luft hielt und dem rachsüchtigen Job auswich, der ausnahmsweise mal aus seiner düsteren Melancholie gerissen wurde. Beide Brüder und das Notizbuch waren im Wasser gelandet. Jasper hatte den Anstand gehabt, sich zu entschuldigen, und angeboten, zu versuchen, die durchnässten Seiten zu retten, aber Job war davongeschlichen, blind vor Wut, und es hatte Tage gedauert, ehe er sich überwunden hatte, wieder mit einem von ihnen zu sprechen.
„Er redigiert die Lokalseiten einer wöchentlichen Zeitschrift.“
„Aber Job hätte es doch sicher deinem Vater gesagt, wenn er etwas wüsste, oder?“
„Er hasst Dad, er versucht ständig, ihn in seiner Kolumne schlechtzumachen. Er sagt, er habe keine Ahnung, wohin sie gegangen ist, aber ich bin mir sicher, dass er etwas weiß.“
„Warum fragst du ihn nicht?“ Das alles erschien Darina immer seltsamer.
Jemima seufzte. „Wir kamen noch nie wirklich gut miteinander aus, und seit ich für Dad arbeite, will Job nichts mehr mit mir zu tun haben. Es ist, als wäre ich zum Feind übergelaufen.“
„Du arbeitest für deinen Vater? Ich dachte, du hasst ihn.“
„Das war in meiner Jugend. Jetzt kann ich mich behaupten, und ich dachte, es wäre an der Zeit, sich in die Firma einzuarbeiten. Also schlug ich vor, dass er mich als Assistentin einstellt.“ Jemima füllte ihr Glas wieder auf. „Bis er in den Ruhestand geht, werde ich in der Lage sein, die Firma zu übernehmen.“ Die Vorstellung von Jemima, die immer Schwierigkeiten hatte, sich länger als einen Flohsprung auf etwas zu konzentrieren, an der Spitze einer internationalen Organisation, war zwar nicht unbedingt lächerlich, aber dennoch schwer ernst zu nehmen. Hatte sie sich in den vergangenen zwölf Jahren verändert oder machte sie sich etwas vor?
„Wie auch immer, du musst Job nur erzählen, dass Dad Rorys Vaterschaft nicht untersuchen will, dann wird er alles ausspucken.“ Jemima holte einen Zettel aus ihrer Tasche und reichte ihn Darina. „Ich habe seine Kontaktdaten für dich aufgeschrieben.“
Also war sie vorbereitet gewesen, vielleicht hatte sie sich verändert!
Darina überflog die Informationen. Job und Nicola Ealham lebten in Battersea, von ihrem Haus in Chelsea aus nur einmal über den Fluss. Recht praktisch, das musste auch Jemima klar sein. Ohne genau zu wissen warum, faltete sie den Zettel und steckte ihn sorgfältig in ihre Handtasche. „Ich werde darüber nachdenken“, sagte sie. „Ich verspreche nichts.“
„Rede einfach mit Job“, drängte Jemima. Sie lehnte sich vor. „Es ist wichtig Darina, wirklich wichtig.“
Irgendwo schlug eine Tür zu und eine Stimme rief aus der Entfernung: „Jemima? Wo zur Hölle bist du?“
„Dad! Er sollte erst heute Abend zurückkommen!“
Schwere Schritte näherten sich der Küchentür.
Jemima streckte ihre Hand über den Küchentisch zu Darina aus und drückte schmerzhaft fest ihr Handgelenk. „Kein Wort darüber, versprochen?“
Darina nickte. Jemima und sie hatten sich mal ewige Freundschaft geschworen, und dass sie sich nie verpfeifen würden.
Die Küchentür wurde aufgeworfen und dahinter stand Basil Ealham. „Wie geht es meinem Jungen?“, rief er. Rory ließ sein Obststück fallen und warf die Arme in die Luft, sein Gesicht strahlte, als er seinen Großvater entzückt anschrie.
Jemimas Gesicht war schwer zu lesen, als sie beobachtete, wie ihr Vater den kleinen Jungen hochnahm.
Kapitel 2
Basil Ealham hob den entzückten Rory hoch in die Luft.
„Er hatte gerade erst sein Mittagessen“, warnte Darina.
„Hm, vielleicht haben Sie recht.“ Die starken Hände ließen Rory herunter, Basil setzte sich auf einen der Küchenstühle und nahm das Kind auf seine Knie. Rory griff nach der letzten Käsestange. Jemima riss den Teller weg.
„Spielverderberin“, sagte ihr Vater.
Seines Leckerbissens beraubt, richtete Rory seine Aufmerksamkeit auf die Brille, die in der obersten Tasche seines Großvaters steckte, zupfte sie heraus und öffnete einen der Bügel. „Dad, das ist Darina Lisle“, sagte Jemima und deutete mit einer nachlässigen Handbewegung auf ihren Gast. „Erinnerst du dich, sie hat uns das eine Mal nach Italien begleitet?“
Darina wurde mit einem Blick aus blauen Augen gemustert, wie die von Rory, doch deutlich schärfer. „Sie mussten nach ein paar Tagen aus geschäftlichen Gründen nach England zurückkehren“, murmelte sie. „Ich wäre überrascht, wenn Sie sich an mich erinnern.“
„Im Gegenteil“, sagte Basil forsch. „Sie haben am ersten Abend ein tolles Essen für uns zubereitet, Tagliatelle mit Prosciutto, Tomaten und Basilikum, und einen herrlichen Salat. Ich war sehr beeindruckt.“
Genauso wie Darina, ob seines guten Gedächtnisses. Sie hatte die Ankunft dort völlig vergessen. Der Flieger hatte Verspätung gehabt, Mrs. Ealham hatte auf dem Flug Whisky getrunken und war ins Bett gegangen, kaum dass sie ihr Ziel erreicht hatten. Alle anderen waren hungrig gewesen und die Villa, hoch oben in den toskanischen Hügeln gelegen, schien kilometerweit von der nächsten Siedlung entfernt zu sein. Doch auf dem Tisch war für ihre Ankunft eine Auswahl von Lebensmitteln vorbereitet worden.
Rory versuchte, die Brille aufzusetzen. Sie fiel zu Boden.
„Hey!“, protestierte Basil. „Lass das.“ Er barg seine Brille und steckte sie wieder in die Tasche. Rorys Gesicht legte sich in Falten.
Jemima nahm das kleine Kind hoch. „Zeit für dein Nickerchen“, sagte sie.
„Einen Augenblick, junge Dame“, sagte Basil scharf. „Warum bist du nicht im Büro?“
„Ich kümmere mich um Rory. Es ist Maeves freier Tag, weißt du noch?“
„Und wo ist dann Mrs. Starr?“
„Sie hatte einen Zahnarzttermin“, sagte Jemima ruhig.
Darina erinnerte sich an diesen Ton aus ihrer Schulzeit. Sie fragte sich, was Jemima Mrs. Starr gesagt hatte, um sie davon abzuhalten, am Morgen herzukommen.“
„Also habe ich Darina angerufen und vorgeschlagen, dass wir hier Mittagessen, statt in der Stadt.“
„Was ist mit Jasper, hätte er sich nicht um ihn kümmern können?“
„Er ist in der Stadt, sagte, er müsse seinen Agenten treffen.“
„Jasper macht sich einen Namen als Autor“, sagte Basil zu Darina. „Zu experimentell für mich, aber anscheinend schätzt man ihn“, fuhr er ausdruckslos fort. Dann wandte er sich wieder an seine Tochter. „Ich nehme an, im Büro ist alles auf dem neuesten Stand?“
„Natürlich, Dad, du weißt, dass du dich auf mich verlassen kannst!“, sagte Jemima in verletztem Ton. „Hast du irgendetwas gegessen? Ich kann noch einen Teller decken, es gibt noch reichlich Hummersalat.“
„Nein danke, ich wurde im Flugzeug verköstigt.“
„Was ist aus der Besprechung von heute Vormittag geworden?“
„Die Italiener wollten nicht zusammenarbeiten, also habe ich sie sitzengelassen.“ Vergnügen erfüllte sein Gesicht. „Sie müssen höllisch wütend sein. Sie waren sicher, dass ich einen Kompromiss eingehen würde.“
„Da sind sie selbst schuld.“ Jemima hob Rory auf ihre Hüfte. „Sie werden bereuen, nicht kooperativer gewesen zu sein.“
„Na, und ob!“, sagte Basil unheilvoll. „Ich dachte, ich rufe an und besuche Rory, bevor ich ins Büro gehe. Ich konnte es kaum glauben, als ich draußen deinen Wagen sah.“
Jemima hielt das Kind fester. „Würdest du für mich Darina ein wenig unterhalten, während ich Rory hinlege?“ Ihr Ton war selbst für Basil Ealham ausreichend gebieterisch.
Seine rechte Augenbraue hob sich schief. Dann sagte er: „Mit Freuden“, und schenkte Darina ein Grinsen, das dem seiner Tochter erstaunlich ähnelte. „Machen wir es uns irgendwo gemütlich.“
Darina ließ sich in den gewaltigen Salon führen, der mit dick gepolsterten Sofas und Sesseln möbliert war, deren blasse Bezüge von auf Hochglanz polierten, antiken Beistelltischen kontrastiert wurden.
„Was trinken Sie?“ Basil öffnete eine Tür in der Ecke des Raumes und Darina erhaschte einen Blick auf eine gut bestückte Bar.
„Danke, aber Jemima hat mir schon Wein angeboten.“ Darina hielt das Glas hoch, das sie mitgenommen hatte. „Und ich muss fahren, also reicht mir das völlig.“
„Braves Mädchen! Ich trinke Tonic Water mit einem Spritzer Angosturabitter.“ Er tauchte mit einem großen Glas voll rosafarbener Flüssigkeit auf und setzte sich auf das Sofa ihr gegenüber.
Basil Ealham war eine so beeindruckende Gestalt, wie sie ihn in Erinnerung hatte. Er war etwa einen Meter achtzig groß und hatte einen kraftvollen Körper, was aber von seinem gut geschnittenen Anzug heruntergespielt wurde. Sein schöner Kopf war stets etwas vorgestreckt und seine Hakennase, die Jemima unglücklicherweise geerbt hatte, durchschnitt die Luft, als müsse sie einen Pfad für den Rest seines Körpers bahnen. Er hatte dieselbe ruhelose Energie an sich, die auch seiner Tochter innewohnte, und Darina wäre nicht überrascht, wenn sie sich auch in Rorys Genen wiederfände.
Basil lehnte sich vor, die Beine leicht gespreizt, seine gesamte Aufmerksamkeit auf sie fokussiert. „Schön, sie wiederzusehen. Ich dachte immer, dass aus Ihnen eine tolle Frau werden würde.“ Es gelang ihm, das ernst und nicht abgedroschen klingen zu lassen. Sein Blick war bewundernd, wahrte aber eine gewisse Distanz. „Was machen Sie dieser Tage? Nein, verraten Sie es nicht.“ Er betrachtete sie noch intensiver, und Darina fühlte sich wie eine Maus, die von einer Python betrachten wird, die nur ans Mittagessen denkt. „Ich bin sicher, dass Sie etwas aus Ihrem Kochtalent gemacht haben, aber ich sehe Sie nicht als Köchin. Ich weiß es, sie leiten Ihre eigene Cateringfirma.“ „Ich bin beeindruckt“, sagte Darina ruhig und fragte sich, ob es wirklich eine Vermutung war, oder ob er etwas über sie wusste. „Das habe ich mal. Aber heute verdiene ich meinen Lebensunterhalt, indem ich übers Essen schreibe, statt es zuzubereiten. Oh, und gelegentlich trete ich im Fernsehen auf – als Vorführköchin.“ Sie konnte nicht widerstehen, das hinzuzufügen.
„Jetzt ist es an mir, beeindruckt zu sein“, sagte Basil heiter, ohne die Intensität seines Blickes auch nur für einen Moment zu lockern. „Ich werde meiner Freundin Val sagen, dass sie Sie kennenlernen muss. Ich bin mir sicher, sie wird Ihren Namen kennen.“
Das legte nahe, dass es ihm nicht so gegangen war. Na ja, warum sollte ein Industrieller eine bescheidene Kochbuchautorin kennen.
Dennoch wurde Darina deprimierter. „Jemima erwähnte Val Douglas. Ich kenne sie flüchtig, wir begegneten uns gelegentlich auf Presseempfängen, aber ich habe sie seit einer Weile nicht mehr gesehen.“
„Sie konzentriert sich mittlerweile auf die Lebensmittelproduktion. Es läuft außergewöhnlich gut. Ich helfe ihr, mit den Abläufen, der Betriebsführung, solche Dinge.“ Er versuchte nicht einmal, bescheiden zu klingen.
Darina erinnerte sich sehr gut an Val. Auf ihre Weise war sie eine ebenso stattliche Erscheinung wie Basil, groß und attraktiv, doch Darina hätte vermutet, dass Basil Ealham sich nicht für derart lebhafte Frauen interessiert, eher die sinnlichen. Dann tadelte sie sich. Sie hatte Val nur als Geschäftsfrau erlebt, vielleicht war sie im sozialen Umfeld milder und öffnete sich, wie eine Aubergine, die unter Hitze zu süßem Wohlgeschmack zerschmolz. Sie hielt angesichts dieses komischen Bildes ein Lachen zurück und konzentrierte sich auf Basils Worte.
„Val erkannte den potenziellen Markt für Menschen mit Lebensmittelunverträglichkeiten und hat sich darauf gestürzt. Heute ist sie sogar in Supermärkten vertreten. Wirklich beeindruckend! Aber es ist noch eine kleine Angelegenheit, sie muss mehr Werbung machen und eine neue Produktreihe einführen, die für mehr Umsatz sorgt. Gourmet-Babynahrung, ich habe ihr gesagt, dass sie daran arbeiten muss. Der Markt umfasst einhundertzwanzig Millionen Pfund, selbst ein Prozent davon wären zehnmal mehr Umsatz, als sie im Moment macht. Und mit ihrem Talent könnte sie leicht deutlich mehr erreichen.“ Er lächelte sie an. „Wenn sie ihre Auswahl zusammen hat, müssen Sie zur Verkostung kommen, wir planen eine große Einführung für die Presse.“
„Ich bin sehr interessiert.“
„Wenn wir schon von Val sprechen, macht es Ihnen etwas aus, wenn ich sie kurz anrufe?“ Darina bewunderte, dass er auf ihre Antwort wartete, eher er ein Handy aus seiner Innentasche zückte.
„Val?“ Basil lehnte sich in eine Ecke des Sofas zurück, sein Blick war auf einen Punkt an der Decke fixiert. „Ich bin zurück. Ja, heute Morgen, ich habe versucht, dich auf dem Weg vom Flughafen anzurufen, aber du warst nicht an deinem Schreibtisch.“ Eine kurze Pause, während Basil sich anhörte, welche Erklärung Val auch immer dafür haben mochte, nicht am Telefon zu kleben und auf einen eventuellen Anruf seinerseits zu warten. „Okay. Jetzt hör mal, komm heute Abend vorbei, dann können wir die Projekte durchgehen, an denen du gearbeitet hast.“ Eine weitere Pause.
Darina erhob sich und ging zu den bis zum Boden reichenden Fenstern hinüber. Der Garten leuchtete in herbstlichen Farben. Wohlgeordnete Blumenbeete säumten die glatte Rasenfläche mit einem kleinen, dekorativen Springbrunnen in der Mitte. Jenseits davon erhielt sie einen flüchtigen Blick auf den Rand eines Pools.
„Gut, ich verstehe, dass du mich nicht so früh zurückerwartet hast. Na gut, dann werden wir heute nur essen und gehen morgen Abend die Zahlen durch, wie ursprünglich geplant.“ Basils Stimme hatte an Schärfe gewonnen. Er war offensichtlich nicht gewohnt, dass Menschen nicht für das bereit waren, was er wollte, wenn er es wollte. Doch Val hielt wacker stand, dachte Darina leicht amüsiert, als klar wurde, dass sie für den Abend andere Pläne hatte.
Allerdings nicht lange.
„Sag es ab“, sagte Basil ruhig. „Ich will dich hier haben.“ Der Besitzanspruch in seiner Stimme war nicht zu überhören. „Soll ich einen Wagen schicken? Nein? Na gut, ich erwarte dich um acht.“ Es folgten weitere Proteste vom anderen Ende der Leitung. „Nein“, sagte er mit leichter Schärfe in der Stimme, „nur du und ich. Du weißt, dass Jasper nie mit uns isst, und Jemima wird ausgehen.“ Darina erinnerte sich an Dominic, jetzt würde Jemima ihn doch sehen können – allerdings auf Kosten des ruhigen Abends mit ihrem Vater, auf den sie sich gefreut hatte. „Weißt du“, Basils Stimme veränderte sich, „ich habe dich vermisst. Ich kann den Abend kaum erwarten, tschüss.“ Mit einem deutlichen Klicken rastete die Hülle des Handys ein. „Entschuldigen Sie.“
Darina kehrte zu ihrem Platz zurück, während Basil das Handy wieder in seine Jacke gleiten ließ.
„So, wo waren wir?“, fragte er zufrieden. Darina schien es, als wäre er nicht nur froh, Val seine Macht demonstriert zu haben, sondern auch ihr.
Basil lehnte sich entspannt zurück und sagte mit neuem, jungenhaften Charme: „Ich bin so froh, dass Jemima Kontakt zu einigen ihrer alten Freundinnen aufnimmt. Sie braucht ein paar Verbindungen nach draußen. Ich denke manchmal, dass sie zu sehr mit der Familie beschäftigt ist.“
Das war keine Eigenschaft von Jemima, die Darina wiedererkannte. In der Schule hatte sie immer reichlich Freunde gehabt und ihre Gunst so großzügig verteilt, wie Erdbeermarmelade auf Scones. Ihr rascher Verstand, ihr respektloses Auftreten und ihr attraktives Äußeres hatten sie zu einer Ikone gemacht.
Doch vielleicht hatte sie nie eine richtige Freundschaft geschlossen. Seit der Schulzeit hatte Darina ihren Namen gelegentlich in Klatschkolumnen gelesen, in Verbindung mit verschiedenen jungen Männern, alle reich und berühmt.
„Sie sagt, dass sie gerne mit Ihnen zusammenarbeitet“, murmelte sie. „Ah, ja, meine rechte Hand! Na ja, das lässt sie anständig bleiben, und wer weiß, vielleicht erweist sie sich eines Tages als nützlich.“
Darina gefiel die abschätzige Art nicht, mit der er das sagte. „Sie war immer sehr geschäftstüchtig“, sagte sie nachdrücklich, „und sie interessiert sich wirklich für Ihr Unternehmen.“
„Ja.“ Basil zog das Wort in die Länge, als wäre Jemimas Einstellung irgendwie fragwürdig. Das alte Gefühl beschlich sie, sich als Mädchen gemeinsam gegen die Autoritäten zu stellen.
„Für uns alle war Jemima immer das Mädchen, das in jedem Feld, das sie sich aussuchte, Erfolg haben würde“, sagte sie in offen provokativer Art.
„Sie wusste schon immer, wie sie sich darstellen muss“, stimmte Jemimas Vater seidenglatt zu. „Das ist ein wertvoller Vorzug – so lange er von echter Hingabe begleitet wird.“
Plötzlich verlor Darina den Antrieb, auf Jemimas Seite zu kämpfen. Sie waren keine Schulmädchen mehr, und was wusste sie schon von Jemimas Taten, nachdem sie ihre Schuluniformen abgelegt hatten?
„Ist ihr Enkel nicht großartig?“
Basils Gesicht erhellte sich. „Das kleine Monster“, sagte er stolz, während eine Hand nachlässig mit der Ecke eines Kissens spielte. „Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm! Ich kann mir gut vorstellen, dass er das Imperium leitet, wenn ich mich zu guter Letzt für den Ruhestand entscheide.“
Wie alt war Basil?, fragte Darina sich. Er sah aus wie fünfzig, aber alle Fakten deuteten darauf hin, dass er auf die Sechzig zuging. Immerhin musste Jemimas älterer Bruder jetzt etwa fünfunddreißig sein. Doch Darina hatte irgendwo gelesen, dass Basil Ealham nie zur Universität gegangen war, er hatte sich von bescheidenen Anfängen aus hochgekämpft, also könnte er früh geheiratet haben. Wollte er wirklich sein Imperium führen, bis sein Enkel bereit war, es zu übernehmen? Machte Jemima sich deshalb Sorgen? Hatte es vielleicht gar nichts damit zu tun, dass ihr Vater Rorys Leben dominieren würde, wenn er älter wurde?
Darina war sich keineswegs sicher, dass sie Jemimas Auftrag annehmen wollte, doch sie dachte sich, dass sie Basils Stimmung auch ausnutzen könnte, der nach seinem kleinen Sieg über Val entspannt und selbstgefällig war. „Es tat mir leid, als ich von der armen Sophie hörte. Das muss niederschmetternd gewesen sein, sich so lange Sorgen zu machen und dann Ihre schlimmsten Befürchtungen bestätigt zu sehen, so ...“ Darina brach den Satz ab, als sich Basils Gesicht verfinsterte, im wahrsten Sinne des Wortes. Blut durchflutete sein Gesicht und seine Augen funkelten gefährlich.
„Was hat Jemima erzählt?“ Seine Stimme klang rau.
Dieser Wandel in ihm war mehr als beunruhigend. Darina fand seine plötzliche Feindseligkeit abstoßend. „Ich habe mich für Rory interessiert“, sagte sie steif, während sie versuchte, sich nicht zu fühlen, als müsste sie sich rechtfertigen. „Sophie war so ein kleines Mädchen, als ich sie zum letzten Mal sah. Es war schwer zu begreifen, dass sie erwachsen geworden ist, ganz zu schweigen davon, dass sie so einen großen Jungen zur Welt gebracht hat.“ Basils Augen schlossen sich, als könne er die Erinnerung nicht ertragen. „Ihr Tod muss furchtbar gewesen sein“, fügte sie sanft hinzu.
Er öffnete seine schmerzerfüllten Augen. „Ich habe mich noch nie in meinem Leben so hilflos gefühlt“, sagte er schlicht. „Da war ich, fähig alles zu verlangen, was man mit Geld kaufen kann, doch ich konnte nichts tun, um ihr Leben zu retten. Sie sah so klein aus, so geschrumpft.“ Er klang ausgelaugt. „Ich konnte es nicht glauben, niemand stirbt heutzutage noch bei der Geburt. Die Ärzte sagten, es sei eine Präeklampsie gewesen, und dass man alles unter Kontrolle hätte bringen können, wenn man sie eher hätte behandeln können. Sie hätte gar nicht sterben müssen. Gott weiß, wo oder wie sie gelebt hat.“ Als könnte er es nicht ertragen stillzusitzen, stand er auf und ging zu einem Tisch, der mit Fotos in silbernen Rahmen übersäht war. Er nahm eines hoch und hielt es Darina hin. „Das war Sophie, ehe sie ihr Zuhause verließ.“
Es war eine gestellte Studioaufnahme, so wie sie auch das Titelblatt von Country Lifehätte zieren können. Das Mädchen mit der einreihigen Perlenkette und passenden Steckohrringen sah aus wie siebzehn. Das braune Haar wurde von einem samtenen Haarreif aus dem scheuen, gutgläubigen Gesicht gehalten, mit Augen voll süßer Unschuld. Darina fiel die große Ähnlichkeit zu ihrer Mutter auf.
„Es tut mir leid, ich sollte das vermutlich nicht fragen, aber ich komme nicht umhin, mich zu fragen, warum sie weggelaufen ist.“
Sie hatte befürchtet, dass seine Feindseligkeit zurückkehren würde. Stattdessen zuckte Basil in einer hilflosen Geste mit seinen breiten Schultern. „Wenn ich das nur wüsste! Sie können sich nicht vorstellen, wie oft ich mir diese Frage gestellt habe. Sie wissen, wie Kinder sind, so durcheinander, dass sie kaum selbst wissen, warum sie etwas tun.“ Es war schwer zu sagen, ob er das wirklich glaubte oder nicht.
„Und Sie wissen nicht, wer Rorys Vater ist?“
Das Blut flutete wieder in Basils Gesicht. „Jemima hat Ihnen auch das erzählt, oder?“ Darina sagte nichts.
„Wenn ich den Mann in die Hände bekäme, der sie so sitzengelassen hat, würde ich ihn lynchen“, brachte Basil knirschend hervor.
Warum hatte er nicht versucht herauszufinden, wer der Mann war? Wenn er so rachsüchtig war, hätte er dann nicht jede Unterstützung angeheuert, die er für sein Geld anwerben konnte? Dann ging Darina plötzlich auf, dass er es vielleicht versucht – und versagt hatte. Vielleicht wollte er nicht eingestehen, dass es noch etwas anderes gab, das er mit seinem Geld nicht kaufen konnte. Welche Chance hätte sie in diesem Fall noch?
„Also wird Rory aufwachsen, ohne seinen Vater zu kennen“, beharrte Darina.
„Das wird ihm nicht schaden“, betonte Basil und nahm das Foto zurück. „Besser so, als dass er die Last eines nutzlosen Versagers am Hals hat, während er aufwächst.“
„Das war der Mann Ihrer Meinung nach, ein nutzloser Versager?“
Basils Augen wurden schmal. „Sie sind sehr neugierig“, sagte er mit einer plötzlich kalten Stimme.
Darina beschloss, dass es nicht ungefährlich war, diesen Mann zu verärgern. „Seit ich Rory kennengelernt habe, komme ich nicht umhin, darüber nachzudenken.“
Wieder stellte sich der Enkel als Schlüssel zu Basil Ealhams sanfterer Art heraus.
„Schauen Sie“, sagte er, während er das Foto auf den Tisch zurückstellte, „sind wir nicht alle gebeugt von der Last unserer Eltern? Was ist mit Ihren? Hat Ihr Vater keinen Einfluss auf ihre Lebensanschauung gehabt? Was machte er? Ah, ich erinnere mich, er war Arzt.“
Was für ein Gedächtnis dieser Mann hatte.
„Also wird er Ihnen Normen der Fürsorge aufgebürdet haben, und der Verpflichtung. Ohne seinen Einfluss hätten Sie sich vielleicht ganz anders entwickelt.“
Darina wollte nicht über die Einflüsse nachdenken, die sie geformt hatten. „Und werden Sie Rorys Erziehung lenken?“
„Darauf können Sie wetten! Sehr viel besser als ein Kerl, der liebt und verschwindet, ohne darüber nachzudenken.“
War es so gelaufen? Darina erinnerte sich an das liebliche, gutgläubige Gesicht von Sophie Ealham. Hinter solch süßen Gesichtern verbargen sich manchmal weniger attraktive Charakterzüge. Basil wäre nicht der erste Vater, der seine Augen vor der Wahrheit verschloss, wenn es um die eigene Tochter ging. Darina merkte, dass sie in das Mysterium um Rorys Geburt hineingezogen wurde, weil sich ihr Frage um Frage stellte. Es war, als hätte man eine unerwartete Kombination von Zutaten vorgesetzt bekommen und fragte sich, wie man sie zu einem zufriedenstellenden Gericht kombinieren konnte.
„Jemima braucht aber lange, um Rory ins Bett zu bringen“, kommentierte sie.
Jemima trat ein. „Rory hat sich endlich hingelegt“, sagte sie und fuhr sich mit einer Hand durchs Haar, als wäre es sehr erschöpfend gewesen, Rory zu beruhigen. „Wollen wir essen?“
Kapitel 3
Nach dem Mittagessen verabschiedete Jemima Darina mit Bedauern. Sie hatte so viele schöne Erinnerungen zurückgebracht.
Manchmal glaubte Jemima, dass die Schulzeit tatsächlich die schönste Zeit ihres Lebens gewesen war. Ihre Mutter hatte noch gelebt und ihr Leben schien in gewisser Weise unter Kontrolle gewesen zu sein – es hatte Hoffnung gegeben, dass es besser werden würde. Dann war die Schule vorbei und kurze Zeit später war Jemima nach einem ausgedehnten Einkaufsbummel in dem neuen Wagen, der ihr Geschenk zum achtzehnten Geburtstag gewesen war, nach Hause zurückgekehrt. Ihre Mutter hatte sie nicht begleiten können, schlimme Kopfschmerzen, hatte sie gesagt. Also hatte Jemima Hochglanz-Tüten voller fantastischer Kleidungsstücke hereingetragen und war die Treppe hinaufgeeilt, um sie vorzuführen, in der Hoffnung, die Kopfschmerzen hätten sich gebessert.
Jemima hatte das Schlafzimmer als erwartungsvolle Jugendliche betreten, und es als verbitterte Erwachsene wieder verlassen. Sie hatte sofort Bescheid gewusst, als sie die reglose Gestalt gesehen hatte. Es war nicht nötig gewesen, den Brief zu lesen, der an der leeren Pillendose lehnte. Eine Weile hatte sie auf dem Bett gesessen, die kalte Hand gehalten und sich an die letzten Worte ihrer Mutter erinnert. „Ohne dich wird es nicht halb so viel Spaß machen, Mum“, hatte Jemima gesagt. Und Julie Ealham hatte geantwortet: „Ich hoffe, dir wird dein Leben immer Spaß machen, Liebes.“ Damit war Jemima aus dem Zimmer stolziert, wütend auf ihre Mutter, weil das Leben ihr so viel zu geben hatte, wenn sie es nur annehmen würde.
Doch Jemima, ihre beiden Brüder und ihre Schwester hatten für Julie Ealham nicht ausgereicht. Sie hatten ihren Vater und sein Verhalten nicht ausgleichen können.
Jemima hatte in das kalte, steife Gesicht geblickt und gespürt, wie etwas in ihr zusammenschrumpfte, wie eine Seeanemone, die ihre Tentakel einzog. Dann hatte sie Basil angerufen und den Arzt, und das Haus, in das Sophie am Morgen geschickt worden war. Nachdem sie scheinbar alles Notwendige getan hatte, hatte sie systematisch die neuen Anziehsachen aufgehängt.
Während Jemima ihr Mercedes Coupé schnell über die schmalen Straßen steuerte, wusste sie, dass ihr Vater in seinem Büro saß wie eine hyperaktive Spinne in ihrem pulsierenden Netz. Sie hatte Darina gesagt, dass sie die Firma übernehmen wollte, wenn Basil sich in den Ruhestand begab. Lächerlich. Jemima Ealham verantwortlich für ein Multi-Millionen-Unternehmen!
Warum hatte sie ihrer alten Freundin nicht die Wahrheit gesagt? Dass ihre Boutique Pleite gegangen war, weil Basil weitere Geldmittel verweigert hatte, dass sie niemanden finden konnte, der ihr eine interessante Stelle anbot und dass die einzige Wohnung, die sie von ihrem aktuellen Gehalt bezahlen konnte, zu eng und zu weit ab vom Schuss war, um auch nur für einen Augenblick in Erwägung gezogen zu werden. Alle, die sie aus der Schule kannte, schienen interessante Karrieren zu verfolgen oder hatten aufstrebende Männer geheiratet. Warum war sie, das Mädchen, das beim Abschluss als am wahrscheinlichsten erfolgreich gewählt worden war, die einzige Versagerin?
Dann dachte sie daran, worum sie Darina gebeten hatte und kämpfte einen Augenblick lang mit der Panik. Was hatte sie da angestoßen? Würde Darina die Wahrheit aufdecken können? Esther hatte erzählt, wie klug sie war. „Die Sache ist, Süße, dass sie niemals aufgibt. Sie macht immer weiter, bis sie die Antwort hat. Das hat nichts mit Fingerabdrücken und dem ganzen Zeug zu tun, ich glaube, sie schafft es, weil sie den menschlichen Faktor durchschaut.“ Da war Jemima diesem plötzlichen Impuls gefolgt.
Jetzt fragte sie sich, ob die Wahrheit vielleicht besser nicht ans Licht kam. Vielleicht würde sie Rory kein besseres Aufwachsen als ihr bringen. Und was würde ihr Vater tun? Die Vorstellung von Basil, dem drohte, dass Rory seiner Kontrolle entzogen wurde, war plötzlich so furchteinflößend, dass Jemima fast auf der Stelle Darina angerufen hätte, um die Untersuchung abzublasen. Dann schob sie den Gedanken beiseite, weil die komplizierte Gefühlsmischung in voller Stärke zurückkehrte, die sie dazu veranlasst hatte, ihre alte Freundin anzurufen. Ihr Vater musste lernen, dass andere Menschen auch Rechte haben.
Sich daran klammernd, parkte Jemima den Wagen hinter dem Ealham Haus, ein aggressiv aussehendes Gebäude aus roten Backsteinen, das für seine progressive Architektur einige Auszeichnungen gewonnen hatte, und ging schnellen Schrittes hinein. Wenn man zielstrebig wirkte, hielten die Leute einen für wichtig.
Rosie Cringle sah auf, als sie das Büro betrat. „Mr. Ealham möchte Sie in seinem Büro sehen. Er sagte, sobald sie zurück sind.“ Jemimas Sekretärin war eine graue Maus, aber eine sehr tüchtige, junge Frau.
Jemima zupfte unbewusst am unteren Saum ihres Jacketts, nahm die Akte, die auf ihrem Schreibtisch lag, klopfte an die Verbindungstür zwischen ihrem Büro und dem des Vorstandschefs und des Geschäftsführers und trat ein, ohne auf eine Antwort zu warten.
Basil telefonierte. Er winkte sie heran und ließ sie auf einem Stuhl vor seinem enormen, blanken Schreibtisch Platz nehmen. Hinter ihm konnte sie sehen, dass er bereits die neuesten Produktionszahlen für die mühseligste Firma des Mischkonzerns herausgesucht hatte. „Gut, machen Sie das“, sagte Basil emotionslos in den Hörer. „Denken Sie einfach daran, dass Ihre Stelle davon abhängt und es keine zweite Chance gibt“, fügte er freundlich hinzu, ehe er auflegte. „Ah, Jemima. Das war ein nettes Mittagessen, oder? Ein nettes Mädel. Also, hier sind die Notizen, die ich auf dem Rückflug gemacht habe. Lass sie ausdrucken.“ Er reichte ihr eine Diskette. „Du wirst darin einige Anweisungen finden, trödle damit nicht herum. Wann ist die Besprechung, die du arrangieren solltest?“
„Morgen um zehn“, sagte Jemima ruhig und recht zufrieden mit sich. Basil hatte von ihr verlangt, einen schwer erreichbaren Industriellen zu fassen zu bekommen, der ein tiefes Misstrauen in den Ealham Konzern pflegte. Es hatte einiges an Beharrlichkeit gebraucht, ihn ausfindig zu machen und ihn dann zu überzeugen, dass es ein Fehler wäre, nicht mindestens einem Treffen zuzustimmen.
„Gute Arbeit“, sagte Basil abwesend. Von ihm war das ein großes Lob, und sie spürte einen Anflug von Triumph.
„Und diese Hochrechnungen, um die ich gebeten habe?“
Sie reichte die Akte rüber und dankte Rosie dafür, dass sie ihr am Vortag Druck gemacht hatte, sie fertigzustellen. Sie fühlte sich tüchtig. Diese Arbeit stellte sich als Erfolg heraus. Hochrechnungen zu erstellen war langweilig, aber sie liebte es, bei den Besprechungen dabei zu sein und zuzusehen, wie ihr Vater Großindustrielle in die Tasche steckte, in dem er Ideen vortrug, die von den Wänden widerhallten und dann einen revolutionären Weg aufzeigte, mit einem Problem fertigzuwerden, an dem alle anderen gescheitert waren. Manchmal waren die Ideen so simpel, dass man wusste, sie würden nicht funktionieren – bis er darauf bestand, es auszuprobieren, und sie Wirkung zeigten. Sie freute sich schon sehr darauf, am Abend zu hören, was in Mailand passiert war. Sie hatte selbst ein oder zwei Ideen, über die sie mit ihm reden wollte.
„Du hast hier nur die Hälfte der Zahlen“, sagte Basil und warf die Hochrechnungen auf den Schreibtisch. „Was stimmt nicht mit dir, denkst du ständig an diesen Versager Dominic?“ Er klang eher gelangweilt als verärgert, und Jemima sah plötzlich, dass auf dem Tisch schon ähnlich aussehende Dokumente lagen.
„Übrigens, Val kommt heute Abend vorbei. Ich nehme an, du hast Pläne?“ Basil drehte sich zu seinem Bildschirm herum und Jemima wusste, dass ihre gemeinsame Zeit beendet war.
„Ja“, sagte sie schnell. „Dominic führt mich aus.“
Basil knurrte, seine Aufmerksamkeit lag schon wieder auf den Zahlen, mit denen er herumspielte.
An diesem Abend fuhr Jemima nach London, Oasis plärrten aus dem Autoradio. Sie sang lauthals mit und weigerte sich, an etwas anderes als den frustrierend dichten Verkehr zu denken. Sie musste früh da sein, weil Dominic sonst vielleicht beschloss, irgendwo etwas trinken zu gehen, und sie würde sicher nicht die verschiedenen Bars absuchen, unter denen er wählen konnte.
Vor Dominics Wohnung einen Parkplatz zu finden war immer ein Problem, wenn man keinen Parkausweis für Anwohner besaß. Jemima stellte ihren Wagen auf einer Bordsteinecke ab, nahm ihre Prada-Tasche mit dem langen Riemen und warf sie sich über die Schulter. Ihre Stöckelschuhe klapperten vernehmlich, während ihre Beine in einer engen Lackhose funkelten. Sie hatte den Schlüssel zu Dominics Wohnung schon in der Tasche. Als sie sich selbst einließ, rief sie: „Überraschung!“
Und was für eine es war.
War sie eine Idiotin gewesen, oder hatte sie ihn in flagranti erwischen wollen? Jemima wusste nur, dass sie nicht überrascht war, als sie das Schlafzimmer betrat und die beiden bei der Sache fand wie zwei Frettchen in einem Hosenbein.
Das Mädchen hatte sie zuerst entdeckt. Ihr erschrockener Blick traf auf Jemimas wütenden, dann gruben sich ihre grün lackierten Nägel in Dominics Rücken, sodass er sich von ihr weg wölbte, aufschrie und dann zusammensank, seine schweißbedeckte Haut glänzte im schwachen Licht.
Jemima marschierte aus dem Schlafzimmer und schenkte sich ein großes Glas Whisky aus Dominics Schnaps-Sammlung ein, die er auf einem Beistelltisch aus Glas und Chrom aufbewahrte. Sie hatte ihm geholfen, diese Wohnung einzurichten, hatte das silberne und weiße Dekor ausgewählt. „Zu sehr 30er, Engel, aber es passt zur Architektur“, hatte sie kichernd gesagt, während sie Champagner tranken, um den Abzug des Inneneinrichters zu feiern.
„Also weißt du es jetzt“, sagte Dominic, während er sich ihr von hinten näherte und die Schärpe seines Kimonos zuband. Er goss sich ein ebenso großes Glas The Macallan ein. Seine Atmung hatte sich normalisiert, sein Haar war zurückgestrichen, sein Ton plauderhaft. „Tut mir leid, dass du es so herausfinden musstest. Du hättest mir sagen sollen, dass du dich wegen heute Abend umentschieden hast.“
Jemima zuckte mit den Schultern und bewegte sich von ihm weg; er brauchte eine Dusche.
Er setzte sich in einen der quadratischen Sessel. Der Kimono öffnete sich und entblößte seine weichen Knie und haarigen Beine. „Wie ein Bär“, hatte sie immer gesagt, während sie ihre Finger über den dunklen, weichen Flaum gleiten ließ und spürte, wie die Berührung sinnliche Botschaften durch ihre Nerven sandte.
„Wer ist sie?“ Jemima lehnte sich an das Chrom-Regal, das sich an einer Wand erstreckte.
„Du kennst sie nicht.“ Die Hälfte von Dominics Whisky war geleert, doch er schien völlig normal, sogar gelangweilt. Wie hatte sie diesen kultivierten, aber aufgeblasenen Narren je unterhaltsam finden können?
Der Schmerz, der seit dem Tod ihrer Mutter nie weit weg gewesen war, erfüllte ihre Eingeweide. Warum verschwanden alle Menschen, die sie liebte?
„Sie ist ein süßes, kleines Ding“, sagte Dominic träge.
„Süßes ... kleines ... Ding“, wiederholte Jemima durch geschlossene Zähne. Plötzlich hob sie das schwere, geschliffene Glas und warf es fest und zielgenau durch den Raum.
Dominic duckte sich, das Glas prallte an die Wand und zerschmetterte das Glas der modernen Radierung, die ein Einweihungsgeschenk gewesen war.
„Du Bastard“, schrie sie und warf sich auf ihn, ihre Fingernägel schafften es, ihm eine blutige Wunde zuzufügen, ehe er mit überraschender Kraft ihr Handgelenk packte und sie zu Boden presste. Sie wehrte sich, Zorn, Erniedrigung und eine Menge weniger genau identifizierbare Gefühle verliehen ihr eine Kraft, die sie nie gekannt hatte. Doch das war nicht genug, am Ende brach sie auf dem Teppich zu einem Haufen zusammen und schluchzte, als würde ihr Herz zerbrechen.
Dominic bediente sich am Whisky. „Tu nicht so, als würde dir das nahegehen“, sagte er rasch atmend. „Der einzige Mensch, der dir wichtig ist, bist du. Oh, und dein Vater“, fügte er hinzu.
„Ich hasse meinen Vater!“, warf Jemima ihm mit wie bei einem Schluckauf stockender Stimme entgegen.
„Das sagst du immer. Du lässt dir keine Gelegenheit entgehen, über ihn herzuziehen, und doch nimmst du sein Geld. Du bist verwöhnt, unreif und egoistisch“, fuhr er leidenschaftslos fort, „und es ist Zeit, dass du dich am Riemen reißt. Du bist gut im Bett, aber im Leben geht es um mehr als Sex.“
Seine Unverschämtheit machte sie sprachlos. Wenn sie nur daran dachte, wie er sie um Sex angebettelt hatte. Wie er unter ihren Liebkosungen gewinselt hatte.
Sie stand auf und nahm ihre Tasche. „Du hast Glück, wenn es mit ihr nur halb so gut ist“, sagte sie ihm kühl. „Du verdienst niemanden wie mich.“
Seine Augen wurden auf unsympathische Weise schmal. „Ein Mann der dich verdient, muss aus der Gesellschaft ausgeschlossen werden.“
Sie lachte unstet. „Hab Spaß mit deinem Flittchen, ich schätze, sie kennt keinen besseren als dich, arme Kuh.“
Auf halbem Weg durch den Flur hörte sie, wie er rief: „Lass den Schlüssel da, du Schlampe.“
Sie warf ihn in seine Richtung, so schlecht gezielt, dass das Metall klirrend von der Wand abprallte und glitzernd auf dem Teppich liegenblieb, während sie aus dem Gebäude schwankte.
Ihr Wagen war mit einer Parkkralle versehen worden. Er hatte nur eine halbe Stunde dort gestanden, und schon eine Parkkralle!
Na ja, da konnte sie auch dafür sorgen, dass sich das Bußgeld lohnte. Jemima ging zu einer nahen Kneipe, wo sie einigermaßen sicher war, jemanden zu treffen, den sie kannte.
Sehr, sehr viel später bezahlte sie in Begleitung eines bulligen Mannes in seinen Zwanzigern, der auf rührende Weise dankbar dafür war, dass sie plötzlich in seinem Leben aufgetaucht war, ihr unverschämtes Bußgeld. „Bitte schön“, sagte der junge Stier, nachdem die Kralle entfernt worden war, und öffnete ihr die Tür. Sie stieg ein, er schlug die Tür zu und trat zurück.
Dann wurde ihr klar, dass er nicht nach ihrer Nummer gefragt hatte. Nachdem sie ihn großzügig mit all ihrer Fachkenntnis verwöhnt hatte, wollte er sie nicht einmal wiedersehen.
Sie warf den Motor an. Kerle wie ihn gab es im Dutzend billiger, sie konnte so viele haben, wie sie wollte – jederzeit. Sie brauste davon, ohne in den Rückspiegel zu sehen, als sie ihn zurückließ.
Nach ihren exzessiven Aktivitäten fühlte sie sich wieder nüchtern, fuhr aber trotzdem mit ungewohnter Vorsicht nach Hause. Beim Fahren suhlte sie sich in Selbstmitleid. Das Schicksal war gegen sie. Wenn sie den Abend nur mit ihrem Vater hätte verbringen können, wäre alles in Ordnung gewesen. Sie hätte weder von Dominics Untreue gewusst, noch hätte diese unreife Sau sie als One-Night-Stand benutzt.
In den frühen Morgenstunden erreichte sie Blackboys und Jemima entschied, dass Val Douglas für alles verantwortlich war, was in ihrem Leben schief lief.