Kapitel 1
„Ein leckerer Salat ist ein Widerspruch in sich“, erklärte Lady Stocks.
„Du klingst genau wie William“, bemerkte ihre Tochter, Darina Lisle.
„Dein Ehemann hat auch seine guten Seiten.“
„Das ist bei euch beiden eine wirklich vorhersehbare Reaktion. Komm schon, locker mal deine Vorurteile. Alles, was so gut aussieht, muss auch gut schmecken.“
„Ich wüsste nicht, dass du schon mal einen Renoir verspeist, oder an einer Gabel voll Armani geknabbert hättest!“ Lady Stocks stocherte verdrießlich im äußeren Ring aus knackigen, kleinen Salatblättern herum, der ein Arrangement aus Mangoscheiben, geschälter und gehobelter Tomate, Gurkenstiften und Ananaswürfeln umgab. Kleine, dunkle und duftende Minzblätter dekorierten den Salat, der mit einem Zitronen-Minz-Dressing angemacht war. „Wie auch immer, das hier hat doch keine Substanz, der Körper braucht etwas, mit dem er arbeiten kann.“
„Es muss dir schon besser gehen!“, sagte Darina fröhlich. „Ich wusste, dass dir dieser Ort guttun würde.“
Lady Stocks sah sich in dem großen Speisesaal der Conifers Spa Gesundheitsfarm um. Das Landhaus-Dekor lieferte die Substanz, die dem Essen fehlte, großzügige Arrangements aus Gartenblumen wurden vom Sonnenlicht untermalt, das durch die großen Schiebefenster flutete. „Man kann das hier wohl als angenehm bezeichnen“, sagte Lady Stocks widerwillig.
„Und nachdem wir eine Woche hier verbracht haben, werden wir beide zu allem bereit sein.“
„Ich dachte, der Plan war, dass du etwas abnimmst. Ich weiß nicht, was seit euren Flitterwochen passiert ist!“ Darinas Mutter blickte betont auf das locker sitzende Oberteil, das oberhalb ihrer cremefarbenen Leinenhose an den Hüften zusammengeknotet war. Die Hose war zwar unter dem Tisch verborgen, aber Darina war sich nur zu bewusst, dass sie nicht mehr locker saß.
„Ein paar Pfund weniger würden mir nicht schaden.“ Darina versuchte angesichts des Themas gelassen zu klingen; sich von ihrer Mutter reizen zu lassen war nicht Teil des Plans. „Aber wir sind vor allem hier, um etwas Abstand zu allem zu bekommen, unsere Körper in Form zu bringen, zu genießen und verwöhnt zu werden. Dieses Dressing ist köstlich; koste mal“, sagte sie überzeugend, während sie mit Begeisterung ihre Gabel schwang.
„Gerry sagt immer“, setzte ihre Mutter an, doch dann weiteten sich ihre Augen. Sie blinzelte heftig und presste ihre schmalen Lippen aufeinander, bis ihr Mund nicht mehr auszumachen war, doch die zwei Tränen waren nicht mehr aufzuhalten und rollten langsam über ihre gründlich geschminkten Wangen.
Darina reichte ihr unauffällig ein Taschentuch über den Tisch.
Eine vornehme Hand, nur leicht von Altersflecken entstellt, tupfte rasch die Tränen ab. „Es tut mir leid, Liebes, beachte das gar nicht. Ich bin eine Närrin.“
„Nein, bist du nicht.“
„Ich konnte mich schon ausreichend als Witwe üben, nachdem dein Vater starb. Wie lange ist das her, zwölf Jahre? Und ich war weniger als ein Jahr mit Gerry verheiratet.“
„Die Zeit spielt dabei keine Rolle“, sagte Darina sanft.
„Ja“, stimmte ihre Mutter zu. Sie stocherte mit ihrer Gabel geistesabwesend im Essen herum und ruinierte die kreisrunde Anordnung. „Es kam so plötzlich“, fügte sie hinzu und blinzelte wieder heftig. „Gerry war erst dreiundsiebzig. In einem Augenblick war er noch da, erzählte mir alles über die Kürzungen bei der Armee und wem er deswegen schreiben würde, und im nächsten sackte er nach hinten.“ Die Hand, die das Taschentuch hielt, packte krampfhaft zu, bis die Knöchel weiß wurden. „Er hatte mir versprochen, dass er aus einer langlebigen Familie stamme!“ Die Empörung wirkte beinahe komisch.
„Ich weiß, dass es nicht fair ist“, sagte Darina sanft.
„Als hättest du dir das alles noch nicht anhören müssen. Ich sage dir, ich werde senil.“ Lady Stocks stopfte das zerknüllte Taschentuch in ihre mit goldenen Ketten verzierte Chanel-Handtasche und nahm die Gabel wieder auf.
Darina murmelte unwillkürlich eine Leugnung. Sie war schon ihr ganzes Leben lang daran gewöhnt, sich das Geplapper ihrer Mutter anzuhören. Als geselliges Wesen ernährte sich Ann Stocks am liebsten von Gesellschaft. Aber nach dem plötzlichen Tod ihres zweiten Ehemannes General Sir Gerald Stocks vor ein paar Monaten hatte sie erklärt, dass sie keine Gesellschaft mehr ertragen könne und dass Darina und ihr Schwiegersohn William das als einzige verstünden.
Es war Williams Idee gewesen, dass Darina ihre Mutter ins Conifers Spa bringen sollte.
„Hast du nicht erzählt, dass eine Freundin von dir eine Gesundheitsfarm leitet?“, hatte er Darina gefragt, nachdem sie erwähnt hatte, wie sehr sie sich wegen der Depression ihrer Mutter sorgte. „Carolyn Pierce, heißt sie nicht so? Und meintest du nicht, du würdest dir das auch gerne mal ansehen? Also, warum gehst du nicht mit deiner Mutter für eine Woche dort hin? Sie von all dem wegzubringen, was sie an Gerry erinnert, könnte die Lösung sein.“
„Du weißt, wie leicht sich Ma über mich aufregt“, hatte Darina widersprochen. Und wie sie mir unter die Haut geht, hatte sie im Stillen hinzugefügt.
„Im Moment sicher nicht“, hatte William sie erinnert. „Komm schon, ich weiß, dass du das Spa sehen willst, und es scheint mir der perfekte Plan zu sein. Ich bezahle; eine Firma, von der ich Anteile besitze, wurde gerade übernommen und ich bekomme eine Barauszahlung.“
Darina gewöhnte sich langsam an die gelegentlichen Wohltaten nach einem glücklichen Aktiengeschäft, das der Börsenmakler ihres Ehemannes organisiert hatte. William besaß kein großes Wertpapierdepot, aber es half, sein Gehalt als Inspector bei der Kriminalabteilung der Polizei von Avon und Somerset aufzubessern.
„Liebling, ich hoffe Ma weiß zu schätzen, was sie für einen großartigen Schwiegersohn hat.“
Er hatte kleinlaut den Kopf geschüttelt. „Sie ist nie ganz darüber hinweggekommen, dass du einen Polizisten geheiratet hast.“
„Genauso wie deine Mutter sich nicht damit abfindet, sich mit einer Köchin als Schwiegertochter zufriedengeben zu müssen!“ Sie hatten einander liebevoll angesehen. „Aber du hast recht, ich muss etwas mit Ma unternehmen, ich habe sie noch nie so verloren erlebt. Gerry war so ein Schatz und wusste genau, wie man mit ihr umgehen muss. Es ist ein vernichtender Schlag. Vielleicht wird ihr ein Aufenthalt auf der Gesundheitsfarm etwas Auftrieb verschaffen. Es sollte nicht allzu teuer werden, Carolyn wird mir bestimmt einen guten Preis machen; einer der Vorteile als Autorin einer Koch-Kolumne.“
Es war nicht leicht gewesen, ihre Mutter zum Mitkommen zu überreden. Lady Stocks hatte erklärt, dass sie sich einsam fühlte, aber gleichzeitig keine Menschen aushalten wollte. Daher bedurfte es einer Mischung aus Überredung und sanfter Nötigung.
Während sie mit halbem Ohr einem Vortrag darüber lauschte, wie unmöglich ihrer Mutter das Leben gerade erschien, ließ Darina ihre Gedanken schweifen. Sie waren früh zum Mittagessen gegangen und immer noch strömten Leute in den Speisesaal. Eine dicke Frau trat ein, gefolgt von einem großen, spindeldürren Mann. Sie schienen kein Paar zu sein, aber der Mann deutete auf einen Tisch in der Nähe von Darina und ihrer Mutter und schien vorzuschlagen, dass die Frau sich ihm anschließen solle. Scheinbar wollte sie zustimmen, doch dann schüttelte sie entschieden den Kopf und gesellte sich zu einer anderen dicken Frau an einem Zweiertisch. Diese andere Frau hatte aufgesehen, als die beiden eintraten, und ihnen einen abwehrenden Blick zugeworfen, der wohl andeuten sollte, dass sie da war und wartete, aber nicht notwendigerweise Gesellschaft wollte. Jetzt lehnte sie sich zur Begrüßung vor, während die andere Frau sich setzte.
Dieser kleine Zwischenfall war in einem Augenblick vorüber, aber Darina ertappte sich dabei, wie sie die Beteiligten interessiert beobachtete. Hatte sich die erste Frau verpflichtet gefühlt, einer Freundin Gesellschaft zu leisten? Oder hatte es mit dem Mann zu tun, dass sie beschloss, seine Einladung nicht anzunehmen? Dann zog die Stimme ihrer Mutter ihre Aufmerksamkeit wieder auf sich.
„Ich werde keine Belastung für dich sein, versprochen.“
Darina unterdrückte ein kleines Seufzen. „Du bist erst fünfundsechzig, bei ausgezeichneter Gesundheit, bist unabhängig, hast viele Freunde und wohnst in einem entzückenden Haus. Wie könntest du eine Belastung sein? Und hätte ich vorgeschlagen, dass wir zusammen herkommen, wenn ich so von dir denken würde?“, fügte sie bestimmt hinzu.
Ihre Mutter blickte nachdenklich über den Tisch und schenkte ihrer Tochter dann ein sehr charmantes Lächeln. „Ich bin eine gemeine, alte Frau und du hast recht, mir eine Lektion zu erteilen. Wir werden zusammen eine wundervolle Zeit haben.“ Nach einem Augenblick fügte sie spontan hinzu: „Ich kann dir gar nicht sagen, wie viel es mir bedeutet, zusammen mit dir hier zu sein.“
Darina betrachtete ihre Mutter erneut und stellte fest, dass ihre Reise schon zur Verbesserung ihres Aussehens beigetragen hatte. Auf ihrer blassen Haut zeigte sich ein Hauch von Farbe, betont von ihrem silbergrauen Haar, das schon früh seine Farbe verloren hatte. Und ihre porzellanblauen Augen schienen einen leicht dunkleren Ton angenommen zu haben, oder war das die Wirkung des gestrickten, blauen Seiden-Zweiteilers, den sie trug? Darina fragte sich zum tausendsten Mal in ihrem Leben, warum sie die Größe und die großen Knochen ihres Vaters hatte erben müssen, statt der zierlichen Figur ihrer Mutter.
Eine junge Frau, nur ein paar Zentimeter kleiner als Darinas knappe über ein Meter achtzig, näherte sich ihrem Tisch. Mit ihrem gut trainierten Körper sprühte sie vor Energie. Die Conifers-Spa-Uniform, die sie trug, war ein türkiser Leinenanzug, schön geschnitten, mit einem aufgestickten Logo der Gesundheitsfarm auf der linken Brusttasche. Allerdings hob sie sich nicht nur durch die Uniform von den Gästen ab. Ihre zielstrebige Art und wie sie sich im Speisesaal umsah, als überprüfe sie, was jeder Anwesende zu sich nahm, kennzeichneten sie als Teil des Managements. Mit ihrem ungeschminkten, kantigen Gesicht konnte man sie nicht gerade als schön bezeichnen und ihr Ausdruck war so ernst, dass er abschreckend wirkte. Sie hielt neben Darina an und ein Lächeln erhellte ihr Gesicht, was sie plötzlich zugewandt erscheinen ließ.
„Miss Lisle, Lady Stocks, kümmert man sich gut um Sie? Mrs. Pierce bedauert, nicht zu Ihrer Ankunft hier sein zu können, sie musste zu einem Meeting nach London. Aber sie sollte recht bald zurück sein. Ich bin Maria Russell, die Gesundheitsmanagerin.“
Darina erwiderte das Lächeln. „Wir haben uns schon eingewöhnt. Unser Zimmer ist entzückend und dieser Salat ist köstlich.“
Maria Russells Lächeln wurde noch wärmer. „Unser Koch ist erstklassig. Ich bin sicher, dass Sie das Essen hier genießen werden.“
„Wenn man uns ein anständiges Essen serviert!“ Lady Stocks schob ihren kaum angerührten Teller etwas von sich weg.
Die Gesundheitsmanagerin sah besorgt aus. „Sie müssen den Salat nicht essen, wenn er Ihnen nicht schmeckt. Allerdings empfehlen wir, den Kreislauf ein paar Tage zu entgiften, mit Salat zum Mittagessen und Naturreis mit gedämpftem Gemüse am Abend.“
Lady Stocks sah entsetzt aus. „Naturreis! Und Gemüse! Das soll uns guttun?“
„Wird es, das verspreche ich Ihnen, und Rick, das ist unser Koch, Rick Harris, bekommt das sehr schmackhaft hin. So, ich glaube, Sie haben um halb drei einen Termin bei mir? Damit wir abklären können, welche Behandlungen Sie wünschen? Der Basispreis beinhaltet täglich vier, aber wir können natürlich jederzeit mehr unterbringen. Wir haben einige hervorragende Abnehmhelfer.“ Die recht kleinen, haselnussbraunen Augen der Gesundheitsmanagerin ruhten mit durchdringendem Blick, der jedes überflüssige Gramm zu erkennen schien, auf Darinas Figur. „Und Mrs. Pierce wird sich mit Ihnen über Ernährung unterhalten.“
Einer Kochbuchautorin eine spezielle Ernährung vorzuschlagen, war, als würde man ein Parlamentsmitglied bitten, weniger Politik zu machen. Eine Kochexpertin hielt sich nur dann an einen speziellen Speiseplan, wenn sie ein Buch darüber schrieb. Darina spielte kurz mit dem Gedanken an ein Konkurrenzwerk zu den verschiedenen Diätbüchern, die bereits auf dem Markt waren, betrachtete nachdenklich die Reste ihres Salats und sagte nichts.
Maria Russell schenkte ihnen ein weiteres Lächeln, wandte sich um und verließ den Speisesaal. Auf dem Weg nach draußen hielt sie am Tisch der zwei dicken Frauen an. Diejenige, die eben erst angekommen war, saß vor einem Teller mit Salat, die andere hatte sich allerdings großzügig vom Buffettisch bedient. Maria Russell sah missbilligend auf den überladenen Teller und schürzte die Lippen. Doch sie sagte nichts, setzte ihren Weg fort und hielt am Eingang zum Speisesaal an, um sich mit einem eintreffenden Pärchen zu unterhalten.
„Da haben wir aber eine mit einer ungesunden Beziehung zum Essen“, sagte Lady Stocks, nahm ihre Gabel und stach auf den Salat ein.
Darina sah ihre Mutter überrascht an. „Was lässt dich sowas sagen?“
„Hast du nicht ihren durchtriebenen Blick gesehen, als du sagtest, wie lecker das Essen sei? Und die bestimmte Genugtuung, als sie die Ernährung erwähnte, zu der man uns hier zwingen wird?“
„Sie sagte, dass du das nicht essen musst.“
„Aber wie sie das sagte! Als würden uns Hölle und Verdammnis erwarten, wenn wir es wagen, nach einem echten Stück Fleisch oder auch nur einem Fischfilet zu fragen.“
Darina lächelte ihre Mutter an. „Ich werde William berichten müssen, dass aus dir noch eine Ermittlerin wird.“ Doch Lady Stocks war schon immer aufmerksam gewesen, wenn es um Menschen ging. Erst seit Kurzem richtete sich ihre Aufmerksamkeit ganz auf sie selbst.
Darina blickte zur Tür, wo sich die Gesundheitsmanagerin gerade von dem Pärchen löste, das sie aufgehalten hatte: Ein Mann im mittleren Alter und von durchschnittlicher Größe mit silbergrauem Haar in Begleitung seiner kleinen, sehr übergewichtigen Ehefrau. Maria Russell konnte man sicher nicht als übergewichtig bezeichnen, doch sie hatte einen breiten Körperbau; und war sie an den Hüften und der Taille vielleicht einen Hauch breiter als nötig?
„Ich bin überrascht, dass sie nichts zu der Frau da drüben gesagt hat.“ Lady Stocks nickte in Richtung des Tisches mit den zwei dicken Frauen. „Wenn hier irgendjemand Salat braucht, dann sie. Schau dir mal an, wie dick die beiden sind, und diese Frau, die gerade reinkam. Ganz schön schändlich, wie weit es manche Leute kommen lassen.“
Darina spürte ihre engen Hosen, und Ärger über ihre Mutter brandete in ihr auf. Was wusste sie denn von diesen übergewichtigen Damen? Vielleicht hatten sie Stoffwechselprobleme; vielleicht waren sie schon dabei, hier Gewicht zu verlieren. Wie auch immer, was spielte das überhaupt für eine Rolle? Gab es nicht wichtigere Dinge, um die sie sich sorgen musste?
„Sie sehen ziemlich fröhlich aus“, stellte Darina nachdrücklich fest. „Und ich weiß nicht, warum Maria Russell diesen Teller so angesehen hat. Alles auf diesem Buffettisch ist extrem gesund.“
„Eine Frage der Menge?“, schlug ihre Mutter säuerlich vor. „Aber da werde ich mich morgen auch bedienen, ich esse keinen dieser Salate mehr, wie gut die auch immer für mich sein mögen.“
Darina sehnte sich selbst danach, sich über das Buffet herzumachen. Würzig aussehende Hühnerbrust, Fisch an gegrillten Peperoni mit Knoblauch, Berglinsen mit Zitronen und Kapern eingelegt, große Garnelen mit einer Schüssel fettreduziertem Joghurt mit Zitronengeschmack und verschiedene einfallsreiche Salatkombinationen waren ihr ins Auge gefallen, als sie auf dem Weg zu ihrem Tisch an der Auslage vorbeikamen. Sie wartete nur darauf, dass ihr Magen einen kurzen Ausflug vorschlug, um bis zum Abendessen durchzuhalten. Ihre Magensäfte schienen allerdings mit der zugegebenermaßen großzügigen Portion Salat, die sie gegessen hatte, durchaus zufriedengestellt.
Das Buffet sah trotzdem spannend aus. Darina dachte noch einmal über die Möglichkeit nach, ein Kochbuch zum Abnehmen zu schreiben. Aber was wusste sie schon über Ernährungspläne? Und Sahne, Butter und Eier waren so lecker. Eine kleine Menge davon konnte einem doch sicher nicht schaden.
Dann dachte Darina schuldbewusst an eine Reihe mächtiger Desserts, Kuchen und Schokolade; seit den Flitterwochen in Frankreich waren ihre Essgewohnheiten definitiv außer Kontrolle geraten. Sie konnte sich nicht länger darauf verlassen, dass ihre Größe ein paar zusätzliche Pfunde kaschierte. Rettungsringe waren nicht so tragisch, aber ihre wurden langsam zu echten Polstern. Sie brauchte diesen Aufenthalt im Conifers Spa genau so dringend wie ihre Mutter.
Lady Stocks nahm ihre Handtasche und die Brille, die sie sich zu tragen weigerte, so lange sie nichts lesen musste. „Wenn es dir nichts ausmacht, Liebes, werde ich mich ein wenig ausruhen. Das hat mein Arzt empfohlen.“
„Eine gute Idee. Ich werde einen Kaffee trinken und dich rechtzeitig für unseren Termin mit der Gesundheitsmanagerin wecken kommen. Da liegt eine Broschüre in unserem Zimmer, die all die verschiedenen Behandlungen erklärt: Massagen, Aromatherapie, Reflexzonenmassage, Elektrostimulation, Sauna, Höhensonne ...“
„Oh, ich weiß genau, was ich nehmen werde“, sagte Lady Stocks unbekümmert und verließ den Tisch.
Darina sah zu, wie sich ihre Mutter leichtfüßig durch den Speisesaal bewegte und bemerkte, wie das gestrickte Seidenjackett locker von ihren Schultern hing und dass ihre Beine mittlerweile eher mager als schlank aussahen. Sie verspürte eine ungewohnte Zärtlichkeit gegenüber ihrer Mutter und dankte ihrem rücksichtsvollen Ehemann William. Dann machte sie sich an die letzten Reste ihres Salates und genoss die Komposition aus Geschmack und Konsistenz sowie das beruhigende Wissen, dass es sowohl gesund als auch kalorienarm war. Während sie aß, bestärkte sie sich darin, ihre Essgewohnheiten ändern zu wollen, und beobachtete die anderen Tische.
Der Speisesaal war etwa halbvoll, die anderen Gäste waren bunt gemischt, hauptsächlich im mittleren Alter und aufwärts. Abgesehen von den drei Frauen, die ihnen schon aufgefallen waren, konnten nur Modebesessene die übrigen als übergewichtig bezeichnen.
Darina betrachtete unauffällig diese drei. Die junge Frau, die mit ihrem Ehemann hereingekommen war – sie nahm an, dass es der Ehemann sein musste, weil sie sich kaum unterhielten, seit sie sich an ihren Tisch gesetzt hatten – hatte einen der Salate bekommen, den man auch Darina und ihrer Mutter serviert hatte. Wie bei Lady Stocks schien er auch ihrem Geschmack nicht zu entsprechen. Sie hatte ein rundes, molliges und offenes Gesicht, das aussah, als wäre es eher zum Lächeln gemacht als für die nach unten gezogenen Mundwinkel und den schmollenden Blick, den sie gerade präsentierte. Sandfarbenes Haar entsprang in dichten, kleinen Locken ihrem Kopf und eine sandfarbene Trainingsjacke aus Velours spannte sich bei dem Versuch, ihre üppigen Kurven zu verdecken. Einige andere Gäste im Speisesaal trugen ähnliche Trainingsjacken, alle auf der linken Brust in marineblau mit dem Conifers-Spa-Logo bestickt. Sie winkte zu dem Tisch der beiden anderen hinüber, ein Zeichen der Kameradschaft unter Mitgliedern eines Clubs, dem niemand beitreten wollte?
Darina spürte wieder den anschwellenden Ärger, den der gedankenlose Kommentar ihrer Mutter ausgelöst hatte. Was ging es denn überhaupt irgendjemanden außer einen selbst an, wenn man fett war? Sie sah zu den beiden dicken Frauen, die zusammen aßen. Von ihrer Figur abgesehen, hätten sie unterschiedlicher nicht aussehen können. Die Frau, die sich dazugesetzt hatte, war größer als ihre Begleiterin, und hatte eine dominantere Ausstrahlung. Ihr langes, dunkles Haar war in einen Knoten zurückgebunden, was ihr wuchtiges Gesicht betonte, das mit den dunklen, Aufmerksamkeit erzwingenden Augen auf lebendige, fast ursprüngliche Weise eine wilde Attraktivität aufwies. Sie trug einen Trainingsanzug, der ihre Figur auf wundersame Weise schlanker erscheinen ließ. Dazu schmückten sie große, goldene Ohrringe und ein dickes Goldarmband, das genauso leuchtete wie ihre gebräunte Haut.
Die andere Frau trug eine türkise Version des Trainingsanzugs der Gesundheitsfarm. Nicht annähernd so gut geschnitten wie der ihrer Begleiterin, betonte er den fleischigen Körper, der auf den zweiten Blick nicht dicker war, als der der ersten Frau. Blondes Haar hing zu lang um das freundliche Gesicht mit unbestimmtem Ausdruck. Sie hatte etwas Defensives an sich, eine Andeutung, dass ihr Selbstwertgefühl nicht so stark war wie das ihrer Begleiterin.
Ihr Geplauder war lebhaft, aber Darina bemerkte, dass die dunkelhaarige Frau gelegentlich zu dem Tisch blickte, an dem einsam der Mann saß, der sie eingeladen hatte, ihn zu begleiten.
Seine Aufmerksamkeit war auf einen Teller mit großen Krabben in Schale gerichtet. Starke Finger lösten gekonnt das Fleisch heraus, tauchten es in die Joghurtsoße und schoben jedes Stück in einen breiten Mund mit recht schmalen Lippen.
Für Darina sah er nicht aus wie jemand, der zu einer Gesundheitsfarm ging. Nicht nur wegen seines schlanken Körpers; sie kannte immerhin viele Geschäftsleute, die auf diese Weise Entspannung suchten und ihre müden Körper in Form brachten. Sie beobachtete ihn weiter und fragte sich, was ihn anders machte. Wie die anderen trug er einen Trainingsanzug, in dunklem Marineblau mit dem Ralph-Lauren-Polo-Logo. Das war aber das einzige Zeichen von Modebewusstsein. Die Verbindung seines knochigen Gesichts mit dem nach hinten geglätteten, dunklen Haar erweckte das Bild eines East-End-Gangsters, ein Eindruck, der von dem schweren, goldenen Siegelring am kleinen Finger der linken Hand noch unterstützt wurde. Die schmale Uhr an seinem Handgelenk aber war keine Markenware, und sein weltmännisches, aufmerksames Gesicht wirkte zu intelligent für eine so klischeehafte Annahme. Darina war fasziniert. Er war jemand, der verschiedene widersprüchliche Signale aussandte, irgendwie fiel es ihr unmöglich, ihn einzuordnen. Sie lächelte vor sich hin, er war vermutlich ein ganz gewöhnlicher Geschäftsmann.
Dann trafen sich ihre Blicke für einen kurzen Moment. Es war nur ein sehr kurzer Kontakt, doch falls er ein Geschäftsmann war, dann kein gewöhnlicher. Er hatte eine charismatische Ausstrahlung. Da war etwas in seinem Blick, als er sie ansah, ein wachsames Interesse, das nichts mit sexueller Anziehung zu tun hatte. Es war nicht das Starren eines Machos, der seine Attraktivität zur Geltung bringen musste, sondern er ließ sie mit dem sicheren Wissen zurück, dass er an ihr interessiert war.
Der Kontakt brach ab, als ein Neuzugang im Speisesaal seine Aufmerksamkeit auf sich zog, genauso wie die meisten Blicke der anderen.
Die junge Frau, vielleicht Mitte bis Ende zwanzig, trug eine Wolke aus dunklem Haar und die Art Bräunung, die man nur mit stetiger Arbeit erreichte, betont von einem blendend weißen Trainingsanzug. Darina kam nicht umhin, sich zu fragen, wie schwer es für sie war, ihre Modelmaße zu behalten. Ihre großen und runden Augen trugen einen überraschenden Grünton, das Grün frisch ausgetriebener Blätter im Frühling, und ein süßes Lächeln schmückte ihr hübsches Gesicht. Sie schien die Welt zu lieben und zu hoffen, dass dieses Gefühl erwidert wurde.
Die junge Frau hielt für den Bruchteil einer Sekunde im Türrahmen inne. Falls sie den Saal inspizierte, musste es mit der Geschwindigkeit eines Computerscans passiert sein, ehe sie ihren Weg zwischen den Tischen hindurch wählte, der sie auf einen freien Tisch am anderen Ende zuzuführen schien.
Dann passierte sie den Tisch des einzelnen Mannes und schenkte ihm ein anerkennendes Nicken. Er sagte etwas, sie hielt an – und hatte einen Augenblick später ihm gegenüber Platz genommen.
Darina sah mit an, wie er einen kurzen, flüchtigen Blick zum Tisch mit den beiden dicken Frauen hinüberwarf, dann schenkte er der jungen Frau ein offenes, charmantes Lächeln.
Darina musste zu der dunkelhaarigen Frau sehen. Tatsächlich sah sie zu dem Mann und der jungen Frau, für einen Augenblick weiteten sich ihre Nasenlöcher und ihr Blick schien zu erhärten. Doch im nächsten Augenblick sprach sie schon wieder auf besonders lebhafte weise mit ihrer Begleiterin.
So, so! Darina betrachtete nachdenklich wieder den Mann und die junge Frau. Ihr Umgang miteinander hatte eine Leichtigkeit an sich, die nahelegte, dass sie sich gut kannten und sich nicht erst gerade getroffen hatten. Er hatte allerdings keine einladende Geste gemacht, um sie an seinen Tisch zu bitten, und in seiner Art zu sprechen hatte auch keine offensichtliche Einladung gelegen. Darina fragte sich, wie viel sie in diese Körpersprache hineinlesen durfte. Sie sagte sich, dass sie ihrem vortretenden Ermittler-Instinkt einen Riegel vorschieben musste. Der drohte, ihr Leben an sich zu reißen.
Eine Bedienung näherte sich dem Neuankömmling. Nach einer kurzen Unterhaltung ging die junge Frau zum Buffet und bediente sich. Sie kam mit einem kleinen Stück Huhn und zwei Salatblättern zurück, die sie anschließend mit chirurgischer Präzision sezierte, während sie eine flüssige Unterhaltung führte. Ihr Begleiter ging ebenfalls zum Buffet und belud einen großen Teller mit Filetstücken. Darina betrachtete seinen spindeldürren Körper und beneidete den Stoffwechsel, der Essen so gut verarbeiten konnte. Ab und zu hob die junge Frau ihre Gabel zum Mund, doch es schien nie viel darauf zu liegen. Magersüchtig, urteilte Darina.
Sie hatte ihren Salat längst aufgegessen und sah sich jetzt nach der Bedienung um, damit sie Kaffee bestellen konnte. Dann ließ sie davon ab, weil Carolyn Pierce in den Speisesaal kam und ihr entgegeneilte.
Unterwegs hielt sie an anderen Tischen an und wechselte ein paar kurze Worte. Ihre hübsche Figur, in ein schickes, schwarzes Leinenkostüm und einen farbenfrohen Schal gekleidet, erweckte den Eindruck eines arbeitsamen Wirbelwinds. Ihre Hände gestikulierten und ihr dunkelhaariger Kopf nickte, um das eine oder andere Wort zu betonen, und sie tanzte eher, als dass sie lief. Sie schien mit allen auf gutem Fuß zu stehen und mit ihrem Eintreten hatte sich die Stimmung im Raum verbessert.
„Meine Liebe, es tut mir so leid, dass ich bei deiner Ankunft nicht da war.“ Sie beugte sich herunter, gab Darina einen Kuss auf die Wange, und warf sich dann in den anderen Stuhl. „Ich hatte ein furchtbares Meeting.“
Kapitel 2
Darina lächelte sie an. „Sicher nichts, womit du nicht fertig wirst.“
Carolyn stöhnte leise. „Was weißt du schon!“ Sie sah sich um. „Aber wo ist deine Mutter?“
„Hat sich hingelegt. Hast du zu Mittag gegessen?“ Carolyn nickte. „Trinkst du einen Kaffee mit mir und bringst mich auf den neuesten Stand?“
Carolyn hob einen Finger in Richtung der Bedienung. „Ich muss dich warnen, Darina, Kaffee erlauben wir hier nicht.“
„Dann muss ich mich wohl auf die Entzugserscheinungen gefasst machen. Was bietet ihr als Alternative an?“
„Mein übliches Getränk ist Pfefferminztee.“
Darina verglich in Gedanken faden Kaugummi mit komplexen Geschmäckern, die das Adrenalin zum Pumpen brachten und seufzte. „Okay, ich schließe mich an.“
Carolyn warf ihr ein mitfühlendes Grinsen zu. „Gutes Mädchen! Zwei Pfefferminztee bitte, Judy, im Wintergarten.“ Die junge Frau nickte schnell, räumte Darinas Teller ab und verschwand.
Carolyn erhob sich in einer geschmeidigen Bewegung, die wie dafür gemacht schien, die schmalen Hüften und die schlanke Taille zu betonen.
Darinas Versuch, sich ähnlich elegant zu erheben, wurde von ihrem Absatz ruiniert, der sich an einem Stuhlbein verfing. Sowohl die Bedienung als auch Carolyn kamen, um den Stuhl aufzuheben, der umgestürzt war und sich zwischen Darinas Beinen verheddert hatte. Sie gab den Versuch zu helfen auf, stand nur da, entschuldigte sich für ihr Ungeschick und fühlte sich unbeholfen und übergewichtig. Als sie hinter Carolyn den Speisesaal verließ, spürte sie Blicke auf sich und war sich sicher, dass alle ihre enge Hose bemerken würden.
„Im Wintergarten sollte es ruhig sein.“ Carolyn rief den Satz über die Schulter, während sie sie durch die Empfangshalle und zu einer Tür führte, auf der „Salon“ stand.
„Carolyn!“ Die Stimme der statuenhaften Gesundheitsmanagerin drang mit gebieterischem Ton zu ihnen, als sie unter einem großen Bogen im hinteren Teil der Halle erschien.
„Ja, Maria?“ Carolyn stand selbstsicher da, mit einer Hand an der Türklinke. Mach schnell, sagte ihre Haltung, ich habe nicht viel Zeit für dich.
Maria Russell kam in autoritärer Gangart näher. „Ich muss mit dir über den Dienstplan sprechen, nächste Woche haben wir Probleme.“
„Du brauchst sicher nicht meine Hilfe, um das zu regeln, Maria. Die Kunst der Unternehmensführung und so weiter, weißt du?“ Sie warf ihr ein stählernes Lächeln zu, öffnete dann die Tür und schlüpfte hindurch.
Als Darina ihr folgte, bemerkte sie Verdruss und noch irgendetwas im Gesichtsausdruck der Gesundheitsmanagerin. „Personalprobleme?“, raunte sie Carolyn zu, während sie einen luxuriös ausgestatteten Raum hin zu den Terrassentüren durchquerten, die sich zu einem großen Wintergarten öffneten.
Carolyns schmale Schultern spannten sich an. „Sind andere Menschen nicht immer die Ursache der schlimmsten Probleme?“ Ihr Gesicht trug einen Ausdruck bestimmter Entschlossenheit. „Komm und setz dich, und bring mich auf den neuesten Stand in deiner Welt.“ Sie klopfte auf einen weißen, gusseisernen Stuhl mit einem gemütlichen Polster in einem marineblau- und sandfarben-gestreiften Bezug.
Darina setzte sich. Ringsherum erhoben sich dicht belaubte, grüne Pflanzen aus feuchter Erde und bildeten eine reiche, fruchtbare Atmosphäre, mit einem Hauch ursprünglicher Kraft. Helles Sonnenlicht strömte blass durch das Dach aus Milchglas und die Blätter zweier großer Palmen; irgendwo plätscherte emsig Wasser. Verglichen mit dem sauberen Glanz der Luft draußen erschien diese feuchte Atmosphäre überwältigend und etwas unheimlich.
„Erzähl mal“, drängte Carolyn, „wie ist das Eheleben? Es tut mir so leid, dass ich nicht zur Hochzeit kommen konnte, es gab hier eine Krise und ich kam nicht weg.“
„Mir tut es genauso leid, dass ich nicht in Hong Kong war, als Robert starb.“
Carolyns Ehemann war im vergangenen Sommer bei einem Auffahrunfall mit mehreren Beteiligten Autos auf der M4 ums Leben gekommen. Darina hatte mitbekommen, dass Carolyn aus dem fernen Osten zurückgekehrt war. Sie hatte sofort angerufen und sie hatten darüber gesprochen, sich zu treffen, doch irgendwie hatten sie es nie geschafft, sich zu verabreden.
Früher hatten Carolyn und Darina zusammen kichernd in der Schule gesessen, hatten Klatsch und Rezepte getauscht; später hatten sie sich gemeinsam den Kopf über ihre festen Freunde zerbrochen, oder das Fehlen derselben, während sie damit rangen, in unterschiedlichen Karrieren Fuß zu fassen. Als Carolyn geheiratet hatte, war Darina oft übers Wochenende eingeladen worden. Aber es waren jetzt schon viele Jahre vergangen, seit sie sich regelmäßig gesehen hatten.
Carolyn glättete den schwarzen Seidenstoff ihres Rocks, ihr Gesichtsausdruck war verhärtet. „Ja, nun, das liegt jetzt alles hinter mir“, sagte sie und sah dann wieder zu Darina auf. „Komm schon, erzähl, erzähl. Er ist Polizist, oder, dein William? Oder nennt er sich Bill?“
„Ja, er ist mittlerweile Inspector, und nein, William. Bill hasst er, obwohl oder vielleicht gerade, weil er dauernd so genannt wird.“
„Dann erzähl mir mehr, wie ist er so – abgesehen von wundervoll natürlich?“
Darina beäugte Carolyn. Sie erinnerte sich an ihren Ehemann. Ein schwieriger, komplizierter Mann, ständig in seine Geschäfte verwickelt und trotzdem eifersüchtig auf die Karriere seiner Frau als Ernährungsberaterin. Mit der Hochzeit hatte sie ihre Arbeit bei einer kommerziellen Lebensmittelfirma aufgeben müssen, es dann aber geschafft, sich als freie Journalistin mit Artikeln über Ernährung und Gesundheit einen Namen zu machen. Dabei jonglierte sie mit den Forderungen der Abgabefristen, des Haushaltes, ihres Ehemannes und ihres kleinen Sohnes, Michael.
„William ist groß, dunkles Haar und gutaussehend.“ Darina kicherte, plötzlich war sie wieder zurück in ihrer Teenager-Zeit. „Etwas altmodisch auf gewisse Art.“ Dann hielt sie den Atem an, als eine plötzliche Sehnsucht sie überschwemmte. In den vergangen zehn Tagen hatte William undercover für eine benachbarte Polizeitruppe gearbeitet und sie hatte ihn nicht zu Gesicht bekommen.
„Altmodisch? Du meinst, er hätte seine Frau gern zu Hause, ist es das?“ Carolyn sah sie mit leuchtenden Augen an.
Darina schüttelte den Kopf. „Ganz und gar nicht, er unterstützt mich immer sehr bei meiner Karriere.“
„Du Glückspilz!“ Die Aussage kam von Herzen.
„Es sei denn, ich mische mich in seine Kompetenzen ein“, fuhr Darina fort. „Dann wird er sehr still und etwas schwierig. Aber nur ein bisschen“, fügte sie schnell hinzu.
Die Bedienung kam und stellte ein Tablett auf den kleinen Tisch zwischen ihnen. Carolyn dankte ihr und füllte zwei Tassen mit einer dampfenden, hellgoldenen Flüssigkeit.
Darina trank einen Schluck. „Oh, das ist erfrischend“, sagte sie überrascht.
„Ich weiß, ich kann dir gar nicht sagen, was es für einen Unterscheid gemacht hat, den Kaffee aufzugeben. Der hat mich so überdreht gemacht!“ Carolyn strich mit einer Hand durch ihr kurzes, dunkles Haar.
„Überdreht“ war genau der Ausdruck, mit dem Darina den momentanen Zustand ihrer Freundin beschrieben hätte. Carolyns Blick kam nie zur Ruhe, sie schien das ständige Bedürfnis zu haben, alles um sich herum zu überprüfen. Einer ihrer Füße wackelte zu einem unhörbaren Rhythmus, unter den mandelförmigen, braunen Augen lagen dunkle Streifen und ihre weißen, gleichmäßigen Zähne bissen in die Unterlippe, als sie ihre Tasse wieder auf den Tisch stellte.
„Was ist los?“
„Nichts.“ Carolyn sprang auf und brach einige verwelkte Blüten in einem Topf voller Geranien ab, die unter einem ausladenden Farn standen.
„Was ist bei dem Meeting passiert? Ich kann mir kaum vorstellen, dass es etwas mit dem Spa zu tun hat, hier brummt es doch vor Erfolg.“
Carolyn brachte die welken Pflanzenreste zum Tisch zurück und warf sie auf das Tablett, ihre Lippen formten eine angespannte, gerade Linie. „Wir haben einige freie Zimmer und könnten viel mehr Tagesbesucher versorgen. Und das in der Hochsaison. Bald werden alle ihre Hüften und Bäuche in Wintersachen verstecken und schon beim Gedanken ans Schwimmen zittern. Das Meeting war eine Vorstandssitzung und, nun ja, sie sind nicht sicher, wie lange sie noch mit laufenden Verlusten weitermachen wollen.“
„Jemand hat hier eine beträchtliche Investition getätigt“, sagte Darina und blickte in den Salon mit seinen gutgepolsterten Sofas und Stühlen zurück. „Sie müssen doch wissen, dass es Zeit braucht, ein neues Geschäft zum Laufen zu bringen.“
„Das sage ich ihnen immer wieder“, jammerte Carolyn frustriert. „Aber es gibt so viele, gut etablierte Konkurrenten.“ Dann hellte sich ihr Gesicht etwas auf. „Allerdings gab es auch eine gute Neuigkeit. Anscheinend ist jemand interessiert, mehr Kapital zur Verfügung zu stellen. Wenn das passiert, können wir etwas länger aushalten. Unser Ruf wird sich bald verbreiten.“
„Natürlich wird er das“, sagte Darina überzeugt. „Aber was ist mit dem Personal?“, regte sie etwas zögerlicher an. „Hast du nicht gesagt, es gäbe Probleme mit der Gesundheitsmanagerin?“
„Maria? Oh, wir haben unsere kleinen Meinungsverschiedenheiten“, sagte Carolyn sorglos, „aber sie leitet die Behandlungen mit Bravour. Diese Einrichtung sollte eine erstklassige Investitionsmöglichkeit sein. Das müssen sie doch erkennen!“ In Carolyns Augen glomm das Licht erbitterter Entschlossenheit, und ihre Hand schloss sich krampfhaft um die Blüten, die sie auf das Tablett geworfen hatte.
„Wann weißt du denn, ob das zusätzliche Kapital kommt?“
„Der Vorstand sagte, dass der Investor in ein paar Tagen seine Entscheidung treffen wird.“ Carolyn öffnete ihre Hand und ein Regen aus kleinen, trockenen Bruchstücken rieselte auf den Tisch. Gedankenverloren fuhr sie fort, die Blütenstile weiter zu zerreiben. „Die Sache ist, wir brauchen öffentliche Aufmerksamkeit. Ich war begeistert, als du anriefst. Du kannst über uns schreiben, oder?“ In ihrer Stimme lag eine unverhohlene Bitte und sie sah Darina direkt ins Gesicht.
„Das sollte ich schaffen. Ich hatte eine Unterhaltung mit meinem Redakteur und wir haben beschlossen, dass ein paar gesunde Rezepte von eurem Koch gut funktionieren könnten. Wie man im Winter die Energie des Sommers behält, sowas in der Art. Alles eingeleitet mit einem Abschnitt über meinen Aufenthalt hier.“
Carolyns Gesichtsausdruck wurde klar. „Perfekt! Ich werde dir Rick vorstellen, sobald du deinen Tee ausgetrunken hast. Rick Harris, unser Koch“, sagte sie mit einem Hauch von selbstgefälligem Besitzanspruch. „Er hat wundervolle Ideen, er wird dich inspirieren. Nicht dass du Inspiration nötig hättest“, fügte sie hastig hinzu. „Aber Rick, na ja, er ist speziell.“
„Speziell, ja?“ Darina sah Carolyn fragend an. „Erzähl mir mehr“, forderte sie.
Carolyns Blick wurde sanfter und Darina erkannte ihre alte Freundin wieder. „Oh, Darina, ich hatte so ein Glück, ihn zu finden. Er führte sein eigenes Restaurant in London, L’Auberge, in Knightsbridge.“
„L’Auberge? Da war ich schon mal“, rief Darina. „Französisches Essen, wirklich gut. Es ist vor ein paar Monaten verschwunden. Was ist passiert?“
„Rick beschloss, sich zu vergrößern, die Arbeiten gingen weit übers Budget hinaus und so hat er alles verloren.“ Carolyns glänzender Blick wurde schwächer. „Ich glaube, dieses Restaurant hat ihm alles bedeutet. Aber dann hörte er, dass wir nach einem Koch mit dem gewissen Extra suchen, unser erster war eine traurige Enttäuschung, da hat er Kontakt aufgenommen.“ Das sanfte Licht kehrte in ihre Augen zurück. „Wir haben uns sofort gut verstanden. Er ist toll und ein großartiger Koch. Essen ist so wichtig, nicht wahr? Die Leute müssen genießen, was sie essen.“
„Ich nehme an, du hast ihn über Kalorien und all das belehrt? Ihr müsst viel Zeit zusammen verbringen.“
„Schau mich nicht so besorgt an, Darina, Rick ist ganz anders als Robert, ihm werfe ich bestimmt nichts an den Kopf!“
„Gut, das zu hören!“ Das letzte Wochenende, das Darina mit Carolyn verbracht hatte, endete mit einem spektakulären Streit nach einer Party, weil Robert ihr vorwarf, mit einem Nachbarn geflirtet zu haben. Darina, die gerade Kaffee machte, war ins Wohnzimmer geeilt, weil sie Carolyn schreien hörte, und fand Robert auf dem Fußboden vor, wo ihm Blut aus einer Kopfwunde strömte. Eine verzweifelte Carolyn hatte ihr gesagt, dass sie so wütend auf ihn gewesen war, dass sie das Erstbeste nach ihm warf, was sie in die Finger bekam. Die Waffe ihrer Wahl war ein schwerer Aschenbecher aus Glas gewesen.
Während Carolyn Robert, der sich ein Geschirrtuch auf seine blutige Wunde drückte, in die nächste Notaufnahme führ, hatte Darina sich um Michael gekümmert, den sieben Jahre alten Sohn, und das Blut und die Glasscherben vom Teppich entfernt.
„Weißt du, danach war es nicht mehr dasselbe.“ Carolyns Mundwinkel senkten sich, während sie wieder mit den verwelkten Blüten spielte. „Ich konnte Robert nie etwas rechtmachen und er war so eifersüchtig. Als er starb, fand ich heraus, dass alles in einem schrecklichen Zustand war. Er hatte immer diese fantastische Fassade eines erfolgreichen Geschäftsmannes, aber weißt du, er war überall verschuldet! Ich hätte wissen müssen, dass es nicht gut lief, als er mir erlaubte, diese Stelle anzunehmen.“
Vor fast drei Jahren hatte man Carolyn eine Stelle als Assistenz der Geschäftsführung bei einer alteingesessenen Gesundheitsfarm in Surrey angeboten. Damals hatte Darina sich gefragt, wie sie ihren Ehemann hatte überzeugen können, sie zur Arbeit gehen zu lassen.
„Das tut mir so leid, Caro. Hat sich denn alles geregelt?“
„So langsam. Roberts Buchhalter hat geschuftet, als wären die Höllenhunde hinter ihm her, und vielleicht waren sie es auch. Er muss zumindest zum Teil für dieses Fiasko verantwortlich gewesen sein. Er hat mich vor dem Bankrott gerettet, aber es ist absolut kein Geld mehr übrig. Wenn das hier scheitert, weiß ich nicht, was Michael und ich tun sollen.“
„Ist Michael hier? Ich habe mich darauf gefreut, ihn wiederzusehen.“
In Carolyn glomm ein Licht auf. „Er entwickelt sich so gut, Darina! Er ist gerade im Sommercamp. Sein bester Freund wollte dort hin, und es war echt witzig! Michael dachte, dass es mich ärgern würde, dass er auch hinwollte. Während ich mir nur darum Sorgen machte, wie ich ihm die Ferien angenehm gestalten konnte, weil ich hier doch so eingebunden bin. Die Schule, die ich für ihn ausgewählt habe, hat viel ausgemacht. Er hatte nie großes Selbstvertrauen und Robert sagte ihm dauernd, dass er sich den Dingen stellen und kein Muttersöhnchen sein solle! Das ist noch ein Grund, warum ich dieses Spa zum Erfolg führen muss. Es könnte ewig dauern, eine neue Stelle zu finden, und die Schulgebühren wollen regelmäßig bezahlt werden.“ Carolyns lebhaftes Gesicht verfinsterte sich für einen Augenblick, dann lehnte sie sich spontan über den Tisch, lächelte und drückte Darinas Hand. „Oh, es tut so gut, dich wiederzusehen. Erinnerst du dich, wie viel Spaß wir in der sechsten Klasse hatten?“
„Fürchterliche Hauswirtschaftslehre, igitt!“ Darina schnitt eine Grimasse. „All diese Nährwerte! Ich habe mich nur dafür interessiert, kochen zu lernen. Aber du hast es genossen, nicht wahr?“
„Es war immer eher das, was das Essen mit den Menschen macht, was mich interessiert hat, nicht so sehr, wie es schmeckt. Da musste erst Rick auftauchen, damit ich verstehen konnte, dass Essen nicht nur notwendig ist, sondern auch ein Genuss sein kann.“ Also waren sie wieder beim Koch! Darina freute sich schon darauf, jemanden kennenzulernen, der seinen Salat in ein gastronomisches Abenteuer und Carolyn, die höchst angespannte Superfrau, in einen Teenager in den Qualen der ersten großen Liebe verwandeln konnte.
„Wie viel Wert legt ihr im Conifers Spa auf das Essen?“, fragte Darina, die hören wollte, wie sie ihre Riesenschenkel so weit transformieren konnte, dass sie sie im Gymnastikanzug oder in Strumpfhosen zeigen konnte.
Carolyn lehnte sich mit ernstem Blick vor. „Wir betreiben hier nicht wirklich Diätprogramme. Die Essensprobleme der meisten Menschen kommen von einem negativen Selbstbild. Die Gesellschaft zwingt uns eine völlig falsche Vorstellung von schönen Körpern auf.“
Darina starrte sie ungläubig an. „Wie werde ich dann diesen ganzen Speck los?“ Sie tätschelte defensiv ihre gut gepolsterten Hüften.
„Training wird dich bald in Form bringen. Du bist groß, gut gebaut und siehst wunderbar aus.“
„Gut gebaut! Du meinst fett! Das ist das ganze Zeug, das wir in den Flitterwochen gegessen haben, und danach.“
„Warum auch nicht? Mach dir mal keine Sorgen deswegen. Ich garantiere dir, dass sich deine Essgewohnheiten innerhalb eines Monats oder so wieder regulieren werden und damit geht auch dein Gewicht zurück. Du wirst nie so dünn wie Schilfrohr sein und wenn du es versuchst, machst du dir nur selbst Probleme.“ Das war für Carolyn leicht gesagt, dachte Darina leicht gereizt. Wenn man aussah wie sie, konnte man es sich leisten, anderen zu empfehlen, sich ums Essen keine Sorgen zu machen.
Carolyn rückte ein Stück näher. „Wenn du nur die vielen sehr dicken Frauen gesehen hättest, die ich kennengelernt habe. Sie eiern wie ein Jo-Jo zwischen einem für sie akzeptablem Gewicht und dem ballonartigen Auseinandergehen hin und her. Alles weil sie, meistens in viel zu jungen Jahren, irgendeine lächerliche Diät gemacht haben.“
„Aber man wird doch sicher deshalb dick, weil man zu viel isst, oder?“
Carolyn wedelte in einer verzweifelten Geste mit der Hand. Darina erinnerte sich an eine der engagiertesten Lehrerinnen an der Schule, die immer versuchte, ihre Schüler mit ihrer eigenen Begeisterung für ihr Fach anzustecken. Was war es noch – Geschichte, Erdkunde?
„Manche Menschen sind einfach rundlicher und schwerer als andere. Sie können ihre Körper zwingen, dünner zu sein, aber dann sind sie entweder zu einem Leben mit unglaublicher Selbstkontrolle verdonnert, wobei sie alles, was sie essen, genau begutachten, oder die Natur drängt sie wieder zurück und sie sind hinterher dicker als zum Beginn ihrer Diät.“ Ihre braunen Augen fixierten Darina; sie konnte den missionierenden Eifer in dieser Botschaft spüren. „Dann machen sie mit einer anderen Diät weiter und sehnen sich nach einem, wie sie sagen, sündhaften Stück Schokolade oder Kuchen, oder sogar nur Brot oder Butter. Dann schaffen sie es nicht, sich auf ein oder zwei Stück zu beschränken und fressen sich dumm. Und dann sind sie wiederum noch dicker als zuvor. Dann fühlen sie sich noch schuldiger und fangen an, sich selbst zu hassen. Diese schlechten Gefühle drängen sich in ihr Leben und ruinieren ihnen alles.“
Darina erinnerte sich plötzlich an das Fach der Lehrerin, als vor ihrem geistigen Auge ein Bild von Rubens fleischigen Akten vorbeizog. Sie hörte die Stimme der Lehrerin: „Denkt daran, Mädchen, die Ideale weiblicher Schönheit haben sich durch alle Zeithalter hinweg verändert. Damals musste man sich nicht wegen ein paar Schokoriegeln Sorgen machen.“
Darina dachte an all die Abnehm-Konzepte, die sie versucht hatte: Grapefruit-Diät, Kalorienzählen, Ernährung mit wenig Fett oder wenig Kohlenhydraten, vielen Proteinen oder vielen Ballaststoffen. Bei allen hatte sie Gewicht verloren – und ja, danach wieder zugelegt! Aber ein Traumkörper konnte sich doch sicher nicht nur auf vernünftiges Essen stützen.
„Was macht ihr mit Frauen, die wirklich Gewicht verlieren müssen?“, fragte sie und dachte an die drei, die sie beim Mittagessen gesehen hatte.
„Sie ermuntern, sehr, sehr langsam abzunehmen, indem sie zu einem vernünftigen Ernährungsplan wechseln, nicht nur während sie hier sind, sondern für immer. Und ich rede nicht davon, sich auf die Kalorienzahlen zu konzentrieren, oder fettarme Dinge wie hoch verarbeitete Margarine oder Zucker-Ersatzstoffe zu verwenden; nur frische, unverarbeitete Lebensmittel, viel Obst und Gemüse, Fisch und weißes Fleisch und Olivenöl statt Butter. Und wir betonen die Bedeutung von Training. Wir haben viele Geräte hier, die helfen, sich in Form zu bringen. Was dich angeht, wäre mein Rat, deinen Körper kennenzulernen, zu erfahren, wie er sich gut anfühlt und nicht darauf zu achten, was dir die Waage jeden Tag erzählt. Kennst du den Unterschied zwischen echtem Hunger und dem, was ich Mundhunger nenne?“
„Hunger ist Hunger“, sagte Darina. „Es geht sicher darum, den Appetit zu zügeln.“
„Ja und nein. Wir können Hunger auf Geschmäcker habe, auf Ess-Erlebnisse, obwohl unser Körper kein Essen braucht. Lerne, diesen Hunger zu erkennen und ob bestimmte Lebensmittel ihn verstärken. Ich nenne sie Auslöser. Ich weiß zum Beispiel, dass ich nicht aufhören kann, wenn ich einmal anfange, Käse zu essen. Das hat nichts damit zu tun, ob ich wirklich hungrig bin. Also fasse ich Käse nur als spezielle Belohnung an.“ Carolyns Anspannung ließ etwas nach und sie lächelte Darina an. „Hier ist ein erheiternder Gedanke für dich. Es wurden Studien gemacht, die nahelegen, dass die Menschen mit der längsten Lebenserwartung dreißig Prozent über dem jeweiligen Idealgewicht liegen. Also mach dir keine Sorgen darum, gelegentlich ein köstliches Dessert zu genießen, oder eine fettige Soße. Du wirst vermutlich feststellen, dass wir hier Gerichte servieren, die man nicht in der Nähe einer Gesundheitsfarm erwarten würde“, fügte sie hinzu.
„Trotzdem setzt man mir Naturreis und Gemüse vor!“, rief Darina.
Carolyns Ausdruck wurde wieder ernst. „Das hilft, deinen Kreislauf zu reinigen, den ganzen Giftmüll loszuwerden. Du wirst beeindruckt sein, wie viel besser du dich nach ein paar Tagen fühlst. Du musst dich nicht daran halten, wenn du nicht willst, aber es wird dich vermutlich auch Gewicht verlieren lassen!“
„Wenn das so ist, werde ich auf jeden Fall dabei bleiben. Deine Gesundheitsmanagerin sagte, dass der Koch dem ganzen einen guten Geschmack verleiht“, fügte sie verschlagen hinzu.
Carolyn sprang auf. „Lass uns Rick suchen. Er will dich unbedingt kennenlernen.“
Sie gingen zurück durch den menschenleeren Salon, kühl und mit einer wunderschönen, stuckverzierten Decke. Die Küche lag im hinteren Teil des Gebäudes.
Auf den ersten Blick schien sie verlassen zu sein. Dann sah Darina in einer Ecke einen Kerl mit fettigen Haaren und einem langen, schwermütigen Gesicht, der gerade einen großen Geschirrspüler belud.
„Der Küchenchef ist draußen.“ Er deutete mit einer Hand zur Hintertür. „Sagte, er wolle schnell ne Kippe rauchen.“ In seiner Stimme lag eine versteckte Anspielung, und ein neugieriges Lächeln teilte seine mürrischen Lippen.
Carolyn schien das nicht zu bemerken. „Danke, Pete“, sagte sie.
Darina folgte ihr, als sie die Tür zum Hof öffnete, und bekam hastige Bewegungen zu sehen, als sich die dünne, junge Frau aus dem Speisesaal von einem jungen Mann löste, der sich an einem geparkten Lieferwagen räkelte. Er trug eine weiße Kochjacke, eine gut geschnittene, blauweiß karierte Hose und makellos weiße Pantoffeln. Sein langes, dunkles Haar hatte er zu einem Pferdeschwanz gebunden und eine Höckernase dominierte sein quadratisches, offenes Gesicht, was sein einfaches, gutes Aussehen auf interessante Weise individuell werden ließ. Darina verstand sofort, wie er Carolyn für sich vereinnahmen konnte.
Es war unmöglich zu sagen, wie nah sich die junge Frau und der Mann gekommen waren. Eine vertrauliche Unterhaltung – oder ein Kuss? Der Koch schien von der Störung zumindest nicht allzu irritiert. Er stieß sich von der Seite des Lieferwagens ab und sagte fröhlich: „Hey, Carolyn, hast du Jessica schon kennengelernt?“ Er deutete achtlos auf die junge Frau, die jetzt ein paar Meter von ihm entfernt stand und deutlich nervöser aussah als er. „Sie kam häufig in mein Restaurant in London, schöne Überraschung, sie hier zu treffen!“
Jessica lächelte unsicher. „L’Auberge war für uns wie eine zweite Heimat, so oft haben wir dort gegessen.“ Sie sprach schnell, als könnte sie ihre Worte nicht ganz im Zaum halten. „Es war von unserer Wohnung aus gerade um die Ecke und Rick war ein guter Freund von uns, von mir und Paul, meinem Ehemann. Er hat mir immer Ratschläge zum Kochen gegeben. Ich war in der Küche nicht gerade umwerfend, aber ich habe viel von ihm gelernt.“ Man konnte zusehen, wie sie beim Sprechen selbstsicherer wurde, bis sie bei einem beinahe triumphierenden Ton angelangte und ihnen ihr entzückendes Lächeln schenkte.
„Na so was!“, sagte Carolyn.
Die junge Frau sah auf ihre Uhr. „Ich muss los, Zeit für meine Massage. Wir sehen uns, Rick!“ Sie warf ihm ein Lächeln zu, das eine gute Werbung für Zahnpasta abgegeben hätte, und verschwand.
„Ich seh dich in meinem Büro, Rick“, sagte Carolyn mit frostiger Stimme, dann schien sie sich plötzlich an Darina zu erinnern. „Maria wird jetzt dein Programm mit dir durchgehen wollen, ich stelle dich später unserem Koch vor.“ Sie machte auf dem Absatz kehrt und ging wieder rein.
Rick Harris sah kurz auf, mit seinen dunklen Augen, die fast schwarz zu sein schienen, wie Kohlen. Nur dass in Kohlen nicht so viel Schalk stecken konnte. „Zurück in den Schweinestall!“, sagte er und lächelte Darina an.
„Darina!“, rief Carolyn aus der Küche.
Darina eilte ihrer Freundin hinterher. Worauf hatte Carolyn sich da nur eingelassen? Rick Harris mochte ein Genie sein, was Essen betraf, aber wenn es um Frauen ging, bezweifelte Darina, dass er seinen Appetit besser zügeln konnte als ein Hund in der Nähe eines saftigen Knochens. Und hatte er irgendeine Vorstellung, worauf er sich mit Carolyn eingelassen hatte?