Leseprobe Ein Viscount zum Heiraten

1. Kapitel

Featherton House, Mayfair, London, Oktober 1818

Miss Georgiana Featherton – oder richtiger, Miss Featherton, seit ihre ältere Schwester verheiratet war – stand vor Gavin, Viscount Turley. Er hatte ihre Hand genommen und war niedergekniet. Er sah so feierlich aus, dass sie sich ein Lächeln verkneifen musste. Seit Monaten – seit der letzten Saison – machte er ihr den Hof. Und seit die Herbstsaison angefangen hatte, wartete sie darauf, dass er ihr einen Heiratsantrag machte.

Jetzt war es endlich so weit. Er schaute mit seinen hellblauen Augen zu ihr auf und ihr Herz fing an zu flattern. Seine Finger auf ihrem Arm brachten ihre Haut zum Kribbeln.

Für Georgie war Lord Turley mit seinen goldenen Locken und breiten Schultern der schönste Mann in ganz London, und bald würden sie heiraten. Dann würden sie für den Rest ihres Lebens zusammengehören. Allein bei dem Gedanken daran wollte sie ihn antreiben. Sie wusste, dass manche Damen überschwängliche Heiratsanträge mochten, aber solange sich zwei Menschen liebten, war es egal, wie man einen Antrag machte. Wichtig war die Hochzeit, um eine Familie zu gründen und ein gemeinsames Leben anzufangen.

Er schluckte und sagte immer noch nichts.

Warum brauchte er so lange? Er musste doch nur sagen, dass er sie liebte und sie zur Frau wollte. Sie hörte auf zu lächeln und verkniff sich das Stirnrunzeln, nach dem ihr zumute war. Vielleicht hatte er eine Rede vorbereitet und den Text vergessen. Das konnte jeden aus dem Konzept bringen.

Schließlich öffnete er seine wundervoll geformten Lippen und schloss sie wieder. Gerade als sie dachte, sie würde vor Ungeduld verrückt werden, räusperte er sich. „Miss Featherton, wie Sie wahrscheinlich wissen, bewundere ich Sie sehr. Wir verstehen uns außerordentlich gut. Sie haben alle Eigenschaften, die sich ein Mann wie ich von einer Ehefrau wünschen kann.“

Georgie hätte ihn fast unterbrochen, um ihm zu sagen, dass sie ihn gerne heiraten würde. Aber das wäre unhöflich gewesen. Lord Turley hatte offensichtlich viel Zeit damit verbracht, seinen Antrag zu formulieren, und trotz ihrer Ungeduld musste sie ihm erlauben, ihn zu Ende zu bringen.

„Ich bin nicht der reichste Mann in England, aber auch nicht der ärmste. Ich habe das Glück, Ländereien zu besitzen, die alle in gutem Zustand sind. Ich nenne noch mehr mein eigen und kann Ihnen und unseren Kindern ein standesgemäßes Leben ermöglichen.“ Er räusperte sich. Vielleicht hätte sie Tee servieren lassen sollen. „Das Geschlecht der Turleys geht auf König William I. zurück. Wir waren zunächst Barone, aber der Titel Viscount geht auf König Henry III. zurück. Es gibt also keinen Grund, sich zu schämen.“

Warum erzählte er ihr das? Seinen Stammbaum konnte jeder im Debrett’s nachschlagen.

„Als meine Frau haben Sie uneingeschränkte Macht über alle Häuser und Angestellten auf meinen Ländereien. Ich habe Ihrem Vater versichert, dass ich mit dem Haushaltsgeld sehr großzügig sein werde.“

Das wohlige Kribbeln, das Georgie anfangs verspürt hatte, legte sich rasch und sie bekam Angst. Es lief ganz anders, als sie erwartet hatte.

„Ich versichere Ihnen, dass ich ein verantwortungsbewusster Grundbesitzer bin. Aus unseren Gesprächen und der Korrespondenz, die wir im Sommer geführt haben, weiß ich, dass Sie sich nicht nur für meine Ländereien und die Pächter interessieren, sondern auch für Politik. Dieser Neigung können Sie nachgehen, wenn Sie meine Viscountess sind.“ Er schluckte. Tee wäre nicht schlecht gewesen. „Würden Sie mir die Ehre erweisen, meine Frau zu werden?“

Das sollte ein Heiratsantrag sein? Es klang eher nach einer Stellenbeschreibung.

Georgie starrte Turley lange an. Er hatte um ihre Hand angehalten, aber er hatte nicht das gesagt, was sie hören wollte. Sie biss sich auf die Unterlippe, denn sie fürchtete sich nun vor der Antwort auf die Frage, die sie stellen wollte.

„Lieben Sie mich?“

Seine Augen weiteten sich und er sah aus wie ein Tier, das zur Flucht bereit ist. Die Lippen, die sie so gern küssen wollte, bewegten sich, brachten jedoch kein Wort heraus.

Sie schloss die Augen. Noch nie war ihr etwas so schwergefallen wie das, was sie jetzt tat. „Danke für Ihren freundlichen Antrag, Mylord. Es ist mir eine Ehre, aber leider kann ich ihn nicht annehmen. Benson wird Sie hinausbegleiten.“

Georgie zwang sich, ruhig und gemessen den Salon zu verlassen und die Haupttreppe hinaufzuschreiten. Doch kaum war sie im zweiten Stock angekommen, rannte sie Hals über Kopf in ihr Zimmer, warf sich aufs Bett und ließ ihren Tränen freien Lauf.

Verdammt noch mal!

Nach monatelangem Warten hatte Turley ihr endlich einen Antrag gemacht, doch er hatte nicht das Eine – das Einzige – gesagt, das sie hören wollte. Sie sollte nicht einmal fragen müssen, ob er sie liebte. Sein Mangel an … Dass er alle möglichen Gründe für die Ehe aufgezählt, aber nie etwas von Liebe gesagt hatte, hätte ihr eine Warnung sein sollen. Sie hatte erst fragen müssen, ob er sie liebe, und er hatte nicht einmal eine Antwort herausgebracht! Sie sah sein Gesicht vor sich. Er hatte sich verhalten, als sei ihre Frage das Letzte gewesen, das er erwartet hatte. Er hatte ihr nicht einmal in die Augen gesehen.

Wenigstens war er ehrlich gewesen. Er hatte keine Antwort herausgebracht, aber immerhin auch nicht gelogen. Eine Lüge wäre noch schlimmer gewesen. Denn dann wäre später herausgekommen, dass er sie nicht liebte, vielleicht erst nach der Heirat, und dann wäre nichts mehr zu ändern gewesen.

Sie atmete tief durch, um den Tränenstrom einzudämmen, doch das half nicht, und nun lief ihr auch noch die Nase. Sie rollte sich auf die Seite, zog ein Taschentuch hervor und putzte sich die Nase.

Dann begann ihre Brust zu schmerzen. Warum tat es so weh?

Georgie hatte von gebrochenen Herzen gehört, aber nie daran geglaubt, dass ein Herz wirklich physisch brechen konnte. Sie hatte sich geirrt. Trotz all der Aufmerksamkeit, die er ihr geschenkt hatte, hatte sie wohl im tiefsten Inneren gewusst, dass er sie nicht liebte, denn sonst hätte sie gar nicht gefragt. Also sollte es ihr auch nicht so zu schaffen machen, dass er stumm geblieben war. Ein vernünftiger Gedanke, doch leider half er nicht. Jetzt bekam sie auch noch einen Schluckauf und fing so an zu schluchzen, dass sie kaum noch atmen konnte.

Vielleicht hätte sie seinen Antrag einfach annehmen sollen. Dann hätte sie jahrelang Zeit gehabt, seine Liebe zu gewinnen, und wäre jetzt nicht so unglücklich. Doch nun, da sie mit Sicherheit wusste, dass er sie nicht liebte, konnte sie ihn nicht heiraten. Sie wollte tief durchatmen, doch es gelang nicht. Ihr war, als sei etwas in ihr zerrissen.

Georgie wusste nicht, wie lange sie auf ihrem Bett gelegen hatte, als sie sich wieder rührte. Die Gardinen standen noch offen, doch im Zimmer war es schon recht dunkel. Könnte sie nur so tun, als wäre nichts geschehen. Als wäre Lord Turley gar nicht erst erschienen. Als wäre es ein Tag wie jeder andere.

Die Tür ging auf und sie rollte sich auf die Seite.

„Georgie, mein Liebling.“ Großmama Featherton eilte zum Bett, setzte sich auf die Kante und nahm ihre Hände. „Was ist passiert? Warum weinst du so? Wir wollten dir Zeit lassen, Liebes, aber jetzt ist über eine Stunde vergangen. Was können wir tun, um dir zu helfen?“

„Wir“ waren ihre Mutter, Großmutter und Großmutters beste Freundin, die Duchess of Bridgewater. Natürlich waren sie alle gekommen, um ihr zu gratulieren.

„Liebling, wie kann ein Heiratsantrag so schiefgehen?“ Das sonst so fröhliche Gesicht ihrer Großmutter nahm einen grimmigen Ausdruck an. „Er hat dich doch nicht beleidigt, oder? Dann kann er etwas erleben!“

„Nein.“ Georgie kämpfte gegen einen neuen Tränenausbruch an. „Er liebt mich nicht.“

Großmama zog eine Augenbraue hoch. „Bist du sicher?“

„Ja.“ Ein Schluchzen brach sich Bahn und Großmama nahm Georgie in ihre Arme, die viel kräftiger waren, als sie aussahen. „Ich habe gefragt und er konnte nicht antworten.“

Großmama streichelte Georgie beruhigend den Rücken wie einem Kind. „Das ist ganz schlecht. Aber vielleicht noch nicht das Ende. Männer stellen sich oft dumm an, wenn es um Liebe geht. Das ist sogar eher die Regel als die Ausnahme“, sinnierte sie. „Liebe macht das Dasein kompliziert und Männer wünschen sich ein leichtes Leben. Sie sind schlichte Gemüter und viele finden die Liebe verwirrend. Leidenschaft ist ihnen lieber als lange Liebeserklärungen.“

So hatte Georgie es noch nie gesehen. Vielleicht sollte sie versuchen, die Sache mit den Augen eines Mannes zu betrachten. „Wirklich?“

„Auf jeden Fall. Ich würde dich nicht anlügen, wenn es um etwas so Wichtiges geht.“ Ihre Großmutter nickte entschieden. „Das heißt nicht, dass du dich mit weniger als Liebe begnügen solltest. Zu meiner Zeit – und sogar noch in der Jugend deiner Mutter – wurden Ehen einfach arrangiert, viele von uns haben ihren Mann lieben gelernt – doch leider nicht alle. Ich glaube, es gab einen Trick, um glückliche Ehen zu schließen. Dein Großvater hat seinem Vater gesagt, dass er sich für mich interessierte“, ihre Großmutter errötete, was ihr sehr gut stand, „und die Ehe wurde arrangiert. Dein Vater hat dasselbe mit deiner Mutter gemacht. Ich denke, dass Ehen, in denen man sich nicht zueinander hingezogen fühlt, unglücklich werden. Nicht alle, aber das Risiko ist größer.“

Georgie putzte sich wieder die Nase. „Ich liebe ihn.“

„Natürlich tust du das.“ Großmama drückte Georgie an sich. „Deshalb bist du ja so unglücklich.“ Ihre Großmutter nahm ihr eigenes Taschentuch und wischte Georgie die Augen. „Lass uns sehen, was wir tun können. Ich habe das Gefühl, dass der junge Mann genauso unglücklich ist wie du.“

Ihre Zofe Smith trat ein und Großmama stand auf. „Lass dir von deiner Zofe das Gesicht mit kaltem Wasser waschen und komm dann zu mir in den Salon. Ich habe einen Kriegsrat einberufen.“

Georgie musste wider Willen lächeln. „Ist die Herzogin da?“

„Natürlich.“ Ihre Großmutter grinste verschwörerisch. „Ohne sie können wir keine Pläne schmieden.“

„Und Mama?“

„Ach, du weißt doch, was deine Mutter denkt. Sie hält es für eine ungehörige Einmischung.“ Großmutter winkte ab und verließ das Zimmer.

Also stimmte es. Georgie hatte gehört, dass Mama nicht an den Intrigen mitwirken wollte, die ihre Großmutter und die Herzogin für Georgies ältere Schwester Meg und ihren älteren Bruder Kit gesponnen hatten. Georgie verstand nicht, was ihre Mutter dagegen hatte, denn beide Male, wenn ihre Großmutter sich eingemischt hatte, waren gute Ehen herausgekommen. Ihr Bruder und ihre Schwester waren glücklich und Meg war auf dem besten Weg, als Ehestifterin ebenso erfolgreich zu werden wie Großmama.

Aber Georgie wusste nicht, was die beiden Damen tun konnten, um Lord Turley dazu zu bringen, sich in sie zu verlieben. In so einem Fall halfen keine Tricks.

Sie legte sich auf den Rücken und ihre Zofe platzierte ein kühles Tuch auf ihren Augen, das nach Gurken roch.

Oder gab es vielleicht doch Tricks? Wenn ja, was für welche? Und war es richtig, sich ihrer zu bedienen? Georgie war nicht wohl bei der Vorstellung, ihn zu täuschen. Sie runzelte die Stirn. Eigentlich musste sie gar nichts vortäuschen.

Ein paar Minuten später betrat sie den hellen freundlichen Salon, den Lieblingsplatz aller Hausbewohner und Gäste. Die Wände waren cremeweiß tapeziert und die Blumenmuster auf den Möbeln und Vorhängen gaben einem das Gefühl, man säße in einem blühenden Garten. Wenn die Fenster offen standen, erfüllte Rosenduft das Zimmer. Der Salon heiterte sogar Georgie ein wenig auf.

Ihre Großmutter goss Tee ein und stellte die Tasse auf den Tisch neben dem kleinen Sofa. „Wenn ich mich richtig erinnere, magst du zwei Stück Zucker und Milch.“

„Ja, danke.“ Georgie nahm die Tasse und nippte daran. Der Tee wärmte sie auf. „Genau das habe ich jetzt gebraucht.“ Ihre Mutter pflegte zu sagen, dass man sich mit Tee auf jeden Fall besser fühlte.

Auch ihre Großmutter und die Herzogin nippten an ihrem Tee. Schließlich stellte Großmama ihre Tasse ab. „Ich denke, du solltest die Stadt verlassen – für einen kurzen Urlaub.“

Die Herzogin nickte ebenso energisch, wie Großmama es vorhin getan hatte.

Georgie fiel fast die Tasse aus der Hand. Das war das Letzte, womit sie gerechnet hatte. „Aber warum? Und wo soll ich hinfahren? Wir sind mitten in der Herbstsaison. Welche Entschuldigung kann ich vorbringen?“

Die Herzogin legte den Kopf schief und sah Georgie mit ihren dunkelblauen Augen durchdringend an. „Die Alternative wäre, mit anderen erreichbaren Herren zu flirten …“

„Oder mit unerreichbaren Herren.“ Ihre Großmutter grinste boshaft.

„Aber“, fuhr die Herzogin fort, „aus den Augen heißt nicht unbedingt aus dem Sinn.“

„Sehr richtig.“ Großmama nickte weise. „Oft ist es klug, einen Mann dazu zu bringen, einen zu suchen.“

Aber würde er das tun? Würde Lord Turley sich mitten in der Saison auf die Suche nach ihr begeben? Doch wenn nicht, hatte sie die Antwort. Er liebte sie nicht und würde es auch nie tun.

„Wie sollen wir es einfädeln, dass es nicht so wirkt, als würde ich weglaufen?“

„Gutes Mädchen.“ Die dunklen Augen der Herzogin funkelten über der Tasse.

„Zufälligerweise“, Großmama nippte wieder an ihrem Tee, „hat dein Vater erwähnt, dass er die Stadt verlassen muss. Es gibt ein Problem auf einem Landsitz, um das Kit sich nicht selbst kümmern kann, weil er und Mary gerade wieder ein Baby bekommen haben. Dein Vater wird sicher darauf bestehen, dass deine Mutter ihn begleitet.“ Mit anderen Worten, Großmama würde Papa überreden, Mama mitzunehmen. „Und die Herzogin und ich können dich nicht beaufsichtigen, denn wir besuchen Freunde auf dem Land.“

Georgie verstand nicht, was ihr das bringen sollte. „Wo soll ich denn hin?“

„Du hast doch gerade eine Einladung bekommen, deine Freundin Lady Littleton zu besuchen.“ Großmama zeigte die unschuldige Miene, die die Leute glauben ließ, sie sei einfach nur eine liebenswürdige alte Dame.

Die Herzogin lächelte hinterhältig. Sie galt überall als scharfsinnig. „Und Lord Littleton wird gewissen Freunden erzählen, dass du seine Frau besuchst.“

„Natürlich erst nach einer Weile“, fügte Großmama hinzu.

Georgie schaute erst ihre Großmutter und dann die Herzogin an. „Ihr wusstet, dass das passieren würde.“

„Nun, bei manchen Dingen kann man nicht sicher sein.“ Großmama zuckte die Schultern. „Aber ich kenne die Familie Turley schon sehr lange und deshalb habe ich es befürchtet.“

Georgie sagte sich, dass die Damen schon anderen geholfen hatten, ihre große Liebe zu finden. Deshalb sollte sie ihnen vertrauen.

„Nun gut. Wann reise ich ab?“

„Du musst erst noch Lady Littleton Bescheid geben, dass du ihre freundliche Einladung annimmst“, sagte Großmama.

„Ich schicke einen Boten zu ihr“, sagte die Herzogin.

„Ich muss die Einladungen ablehnen, die Mama für mich angenommen hat.“ Georgie musste ihre Mutter darüber informieren .

„Ja, genau.“ Großmama nickte. „Es muss unerwartet wirken, aber nicht zu sonderbar.“

Georgie wandte sich an die Herzogin. „Wann rechnen Sie mit einer Antwort von Lady Littleton?“

„Wenn du sofort schreibst, schicke ich meinen Stallburschen nach Surrey. Er kann heute Abend wieder zurück sein. Ich habe Pferde an der Strecke postiert, damit er sie notfalls wechseln kann.“

„Dann“, Großmama stellte ihre Tasse auf den Tisch, „kannst du morgen nach dem Mittagessen aufbrechen.“ Sie legte den Kopf schief und sah Georgie an. „Wenn du dich so schnell reisefertig machen kannst.“

Georgie wäre am liebsten noch heute aufgebrochen und hätte ihre Zofe mitgenommen. „Ja, das schaffe ich.“

„Also“, die Herzogin stand auf, „schreiben Sie an Ihre Freundin und sagen Sie Ihre Verabredungen ab. Schicken Sie Ihren Brief an mich.“

„Danke, das werde ich tun.“ Georgie küsste die Herzogin auf die Wange und umarmte ihre Großmutter. „Ich danke dir – und Ihnen. Ich weiß nicht, was ich ohne dich und ohne Sie tun würde.“

„Hoffen wir, dass du dir darüber noch lange keine Sorgen machen musst.“ Großmama nahm Georgies Hände. „Denk daran, wir helfen dir immer gern.“

„Allerdings, mein Kind“, sagte die Herzogin. „Was auch geschieht, ich glaube fest daran, dass alles so kommt, wie es soll.“

Georgie hoffte, dass die ältere Frau recht hatte. Wenn ihr jemand zum Glück verhelfen konnte, dann diese drei Damen, und sie hatte volles Vertrauen zu ihnen. „Sie haben sicher recht, Ma’am.“

2. Kapitel

Georgie brachte ihre Großmutter und die Herzogin zur Tür und machte sich dann auf die Suche nach ihrer Mutter. Sie fand sie in ihrem Salon.

Mama saß an ihrem Schreibtisch aus Kirschholz, als Georgie anklopfte und eintrat. „Schön, dass du kommst, mein liebes Kind. Ich bin gerade dabei, deine Einladungen abzusagen, und danach wollte ich zu dir. Wir haben ein kleines Problem. Dein Vater besteht darauf, dass ich mit ihm nach Yorkshire fahre. Ich hatte gehofft, du könntest zu deiner Großmutter, aber es sieht so aus, als müsstest du deinen Vater und mich begleiten.“

Georgie setzte sich auf einen der Korbstühle vor dem Tisch ihrer Mutter. „Adeline Littleton hat gesagt, ich dürfte sie besuchen, wann immer ich will. Ich würde lieber zu ihr fahren.“

Mama sah Georgie an, lehnte sich in ihrem zierlichen französischen Lederstuhl zurück und dachte nach. „Erzähl mir am besten genau, was zwischen dir und Lord Turley vorgefallen ist. Ich möchte nicht, dass du Adeline besuchst und er auch dort auftaucht, wenn du ihn nicht sehen willst. So viel ich weiß, sind er und Littleton gute Freunde.“

Georgie erklärte ihrer Mutter, dass Lord Turley ihr nicht sagen konnte, dass er sie liebte. „Wenn er sich dazu durchringen könnte, mich zu lieben, würde ich ihn heiraten.“

„Ich verstehe.“ Mama runzelte ihre glatte Stirn und Georgie glaubte, einen Silberschimmer auf ihrem dunklen Haar zu sehen. „Dann frag Adeline, ob es ihr recht ist, wenn du zu Besuch kommst.“

Georgie atmete auf. „Danke.“ Wenn ihre Mutter darauf bestanden hätte, dass sie mit nach Yorkshire kam, hätte das vielleicht die Pläne ihrer Großmutter durchkreuzt. Worin auch immer die bestanden. Ihr wurde bewusst, dass sie keine Ahnung hatte, was die beiden Damen vorhatten. Vielleicht hätte sie fragen sollen. „Ich schreibe ihr gleich.“

„Hast du noch irgendwelche Termine, von denen du mir nichts erzählt hast?“

„Nicht, dass ich wüsste. Ich sage Henrietta und Dorie Bescheid, dass ich die Stadt verlasse.“

Mama nickte. „Sehr gut.“

Georgie eilte in ihren Salon und ging zu ihrem Schreibtisch. Sie spitzte ihre Feder an, nahm ein Stück Papier und hoffte, die richtigen Worte zu finden.

Meine liebe Adeline,

ich hoffe, es geht Dir gut.

Ich würde einen längeren Brief schreiben, aber ich hoffe, dass ich Dir alle Neuigkeiten persönlich erzählen kann, wenn wir uns sehen.

Georgie hielt inne und überlegte, wie sie ihr Anliegen formulieren sollte. Ihre Freundin schätzte Direktheit. Also fragte sie unumwunden:

Darf ich Dich in der Zeit besuchen, in der meine Eltern auf einem ihrer Landsitze im Norden sind? Wenn Du einverstanden bist, kann ich schon morgen da sein.

Deine ergebene Freundin

Georgie

Sie streute Sand über den Brief und versiegelte ihn, dann klingelte sie nach einem Diener. Sie übergab ihm die Nachricht. „Bitte bringen Sie das sofort meiner Großmutter. Sie wartet darauf.“

Der Diener verbeugte sich. „Sofort, Miss Featherton.“

Sie rang die Hände. Wie sollte sie in den nächsten Stunden die Zeit totschlagen? Es würde schrecklich werden. Sie ging in ihr Ankleidezimmer. Ihre Zofe war dort. „Smith, wir verreisen für ein paar Wochen“, egal, ob sie zu Adeline oder mit ihren Eltern in den Norden fuhr, es würde so lange dauern, „und ich denke, wir reisen morgen Nachmittag ab.“

„Ja, Miss Georgie. Die Zofe der Lady packt schon.“

„Wir reisen nicht unbedingt mit meinen Eltern. Es kann sein, dass wir Lady Littleton besuchen.“

Smith schwieg einen Moment. „Dann warte ich lieber, bis ich ihre warmen Sachen packe, bis wir wissen, wo es hingeht.“

„Danke.“ In Yorkshire war es immer viel kälter als in Surrey, wo sie keine dicken Wollkleider brauchte. „Ich fahre jetzt nach Merton House zu Miss Stern und dann nach Exeter House.“

„Wenn Sie zurück sind, habe ich schon das meiste gepackt. Verstehe ich es richtig, dass Sie heute Abend nicht auf den Ball gehen?“

Lord Turley würde dort sein, deshalb wollte Georgie nicht hingehen. „Den hatte ich ganz vergessen. Fragen Sie am besten die Zofe meiner Mutter. Sie weiß es besser als ich.“

„Ja, Miss, das werde ich tun.“ Smith gab Georgie ihre Handschuhe.

Georgie zog die Handschuhe an, ließ sich von der Zofe in den Mantel helfen, setzte ihren Hut auf und steckte ihn mit einer großen Hutnadel fest.

Es klopfte an der Tür und der Diener, dem sie den Brief gegeben hatte, erschien. „Es ist erledigt, Miss Featherton.“

„Danke. Haben Sie noch etwas zu tun oder können Sie mich begleiten?“

Der Diener straffte die Schultern. „Mr. Benson hat angeordnet, dass ich heute für Sie da bin.“

Gott sei Dank für die weise Voraussicht ihres Butlers.

„Wie heißen Sie?“

„Henley, Miss.“

„Nun, Henley, dann lassen Sie uns gehen.“

Er hielt ihr die Tür auf und sie schritt hindurch, wobei sie sich vorkam wie ein Schiff mit geblähten Segeln. „Wir fahren zuerst zum Merton House.“ Wahrscheinlich würde sie Henrietta und Dorie dort antreffen. „Und danach noch zum Exeter House, falls nötig.“

Die schwarze Wolke an Georgies Himmel hatte sich aufgelöst und sie schöpfte wieder Hoffnung, dass sie und Turley doch noch zueinanderfinden würden. Schließlich hatten Großmama und die Herzogin die Sache in die Hand genommen.

***

Sie hat mich zurückgewiesen! Diese Möglichkeit hatte er nie in Betracht gezogen. Gavin starrte die Tür des kleinen Wohnzimmers an. Er hätte Georgie sagen sollen, was sie hören wollte. Die Lüge wäre ihm auch wirklich fast über die Lippen gekommen, aber eben nur fast. Er hatte Sekunden gebraucht, um den Mund zu öffnen, und keinen Ton herausgebracht.

Bei ihrem Blick, als sie auf seine Antwort gewartet hatte, hatte er sich gefühlt wie der ärgste Taugenichts. Sie hatte sich über seinen Antrag gefreut. Das hatte er ihr angesehen, als sie das Zimmer betreten hatte. Doch dann hatte er alles vermasselt. Verflixt und zugenäht. Warum hatte er sich hingekniet? Im Stehen hätte er sie in die Arme nehmen und sie von ihren Sorgen ablenken können. Ein Loch hatte sich in seinem Innern aufgetan. Und noch bevor ihm eine vernünftige Antwort eingefallen war, hatte Georgie sich auf dem Absatz umgedreht und war anmutig aus dem Salon stolziert.

Nicht nur ihre Augen hatten ihren Kummer verraten, sondern auch ihre kerzengerade Haltung, als hätte sie eine Eisenstange verschluckt. Zum Teufel! Er hatte seinen Antrag einstudiert, bis er ihn auswendig konnte. Er hatte sich sogar hingekniet, doch das hatte nicht geholfen. Er merkte, dass er immer noch auf den Knien hockte, und stand auf. Es war noch keine Stunde her, dass ihr Vater ihm erlaubt hatte, um sie anzuhalten. Er hatte ihr alle Vorteile genannt, die sie als Viscountess Turley haben würde, sie daran erinnert, wie viel sie gemeinsam hatten und dass sie gern zusammen waren.

Gavin fuhr sich mit den Fingern durch sein wohlfrisiertes Haar. Das hatte er bei anderen Männern gesehen, aber nie verstanden, warum sie es taten. Bis jetzt. Sein Kammerdiener würde „sehr enttäuscht“ sein, es jedoch nicht laut sagen. Warum war Liebe so wichtig? Auch seine Schwester hatte darauf bestanden, bevor sie heiratete. Oder richtiger – jetzt, da Gavin darüber nachdachte – sie hatte gar nicht nach diesen Worten gefragt, sondern dem armen Harrington das Leben zur Hölle gemacht, bis er es gesagt hatte. Sogar Dorie Exeter, eine sehr vernünftige Dame, hatte sich eine Liebesheirat gewünscht. Gavin hatte Exeter in der letzten Saison dafür bedauert, dass er sich über seine Gefühle klar werden musste. Eine leise Furcht stieg in Gavin auf. Kein Mann sollte seine innersten Gefühle so preisgeben müssen. Er glättete sein Jackett und seine Ärmel. Trotzdem hätte er es wissen müssen. Die Tatsache, dass Viscount Featherton es abgelehnt hatte, die Ehe zwischen Gavin und Georgie zu arrangieren, hätte ihm Hinweise darauf geben müssen, dass auch dieser etwas mehr von der Ehe erwartete als nur Ebenbürtigkeit. Schließlich war Georgie die Tochter eines Viscounts.

Mit ihrem Stammbaum konnte sie sich Hoffnungen machen, einen Mann zu finden, der einen höheren Rang innehatte als den eines Viscounts. Doch er hatte sich so gefreut, als der Lord mit seinen Heiratsplänen einverstanden war, dass er sehr siegesgewiss gewesen war.

Auch darin hatte er sich verrechnet. Doch Liebe war ein Gefühl, das Gavin sich nicht leisten konnte. Seine Eltern hatten aus Liebe geheiratet, und wie war es ausgegangen? Nach dem Tod seiner Mutter hatte sich sein Vater von der Welt zurückgezogen. Papa hatte es Gavin überlassen, dafür zu sorgen, dass seine Nachlässigkeit keinen Schaden anrichtete. Dann hatte sein Vater auch noch alles kritisiert, was er getan hatte. Seine Schwester, die noch ein Schulmädchen gewesen war, musste den Haushalt führen und sich um die Pächter kümmern. Schließlich hatte der Kummer seines Vaters zu seinem frühen Tod geführt. Gavin konnte nicht zulassen, dass ihm das Gleiche widerfuhr. Liebe war ein zu gefährliches Gefühl. Selbst wenn es gut ging – es bestand kein Zweifel, dass seine Eltern sich geliebt hatten –, führte es zu Zerstörung. Er konnte es sich nicht erlauben, eine Frau so sehr zu lieben, dass er sich verlieren würde, wenn sie starb.

Er durfte nicht zulassen, dass Rivercrest, sein Hauptlandsitz, oder irgendein anderer Landsitz vor die Hunde ging, weil sein Besitzer verliebt war. Oder seinen Kindern die Möglichkeit zu nehmen, langsam in ihre Aufgaben hineinzuwachsen, statt ins kalte Wasser geworfen zu werden.

Gavin verließ den Salon und begab sich in die Halle. Dort händigte der Butler der Feathertons ihm seinen Hut und seinen Stock aus. Zu seiner Erleichterung gab der ältere Mann mit keiner Miene zu erkennen, dass er wusste, was passiert war – obwohl dem Diener sicher bewusst war, dass nicht alles glattgegangen war. Er schritt durch die Tür, als wäre nichts gewesen, ging die wenigen Stufen hinunter und blieb auf dem Bürgersteig stehen. Was sollte er jetzt tun? Es nahte das diesjährige Debüt junger Damen, einige hatten es schon eine Weile hinter sich und noch keinen Mann gefunden. In der Kirche St. George’s am Hanover Square war viel los gewesen. Ganz zu schweigen davon, dass Georgie im letzten Frühjahr und in diesem Herbst die einzige Dame war, die seine Aufmerksamkeit erregt hatte. Wenn er es sich recht überlegte, hatte er nicht einmal in Betracht gezogen, einer anderen den Hof zu machen.

Er seufzte frustriert. Und nun wollte sie ihn nicht, weil sie diesen albernen Träumen von einer Liebesheirat nachhing. Zum Teufel mit all den Schriftstellerinnen, die an sich vernünftigen Damen Flausen in den Kopf setzten! Es half Gavin nicht, dass sich seine besten Freunde verliebt hatten. Was würde passieren, wenn ihre Ehen scheiterten? Wahrscheinlich musste er ihnen dann helfen, die Scherben zu kitten.

Er bog in die Curzon Street ein und steuerte Brooks an. Sein bester Freund Littleton würde nicht da sein. Jetzt, da er mit Adeline verheiratet war, die dem Stadtleben ebenso wenig abgewinnen konnte wie er, würde er wohl nur noch nach London kommen, wenn es unbedingt sein musste. Aber vielleicht war Exeter da.

Gavin konnte einen Schnaps vertragen, doch er trank nur ungern allein. Er stieg die Stufen zu Brooks hinauf und die Tür ging auf.

„Guten Tag, Mylord.“ Ein Diener verbeugte sich.

„Guten Tag, Johns. Haben Sie Lord Exeter gesehen?“

„Ja, Mylord. Er ist im Lesesaal. Er ist wohl gerade aus Paris zurück und will erfahren, was hier während seiner Abwesenheit vorgegangen ist.“ Der Diener nahm Gavin Hut und Stock ab. „Er sagte mir, er habe sich bestens amüsiert.“

Kein Wunder, es war ja seine Hochzeitsreise gewesen. „Danke.“

„Gern geschehen, Mylord.“

Gavin durchquerte die Halle und betrat den Lesesaal. Dort saß Exeter mit einem Stapel Zeitungen.

„Endlich bist du wieder da!“

„Turley!“ Der Mann sprang auf und fegte dabei ein paar Zeitungen vom Tisch. „Wie schön, dich zu sehen!“
Gavin hatte Exeter noch nie so glücklich gesehen. Sein Freund schüttelte ihm die Hand.

Gavin warf einen Blick auf die Zeitungen und sagte: „Du sorgst also dafür, dass dir nichts entgeht, das während deiner Abwesenheit vorgefallen ist.“

„Dorie“, das Gesicht seines Freundes nahm einen verträumten Ausdruck an, als er seine Frau erwähnte, „und ich waren nicht die ganze Zeit in Paris, sondern auch in einer Gegend, in die keine Nachrichten aus England vordrangen. Und bei der Rückreise haben wir Paris ausgelassen und sind direkt über Calais nach Hause gefahren.“ Exeter grinste. „Sie hat sich alle Zeitungen zu uns nach Hause liefern lassen und ackert sie sicher gerade durch. Aber ich dachte, hier erfahre ich mehr.“ Er starrte Gavin an und runzelte die Stirn. „Ist alles in Ordnung?“

„Ich brauche ein Glas Branntwein.“ Oder am besten gleich eine ganze Flasche.

„So schlimm?“ Exeter ließ seine Zeitung sinken. „Gehen wir ins Esszimmer. Es ist ja gleich Zeit zum Mittagessen.“

Sie gingen zu dem Ecktisch, den ihr kleiner Kreis in der letzten Saison für sich beansprucht hatte.

„Was ist passiert? Deiner Schwester und ihrer Familie geht es doch gut? Oder ist etwas passiert, seit wir sie letzten Monat gesehen haben?“

„Keine Sorge. Elizabeth, Harrington und ihrer Tochter geht es blendend. Sie hat mir geschrieben, dass schon wieder Nachwuchs unterwegs ist – im Frühling ist es so weit.“ Gavin überlegte, ob er seinem Freund erzählen sollte, was ihm Kummer machte. Er entschied sich dafür, denn er brauchte Turleys Rat und jemanden, mit dem er einen trinken konnte. Er atmete tief durch. „Ich habe um Miss Feathertons Hand angehalten und sie hat mir einen Korb gegeben.“

„Wirklich?“ Exeter riss die Augen und den Mund auf, doch er fing sich schnell wieder. „Das kommt überraschend.“

Warum war er so verblüfft? Oder richtiger, was war Gavin entgangen?

„Ich habe das Gefühl, dass du etwas weißt, das ich nicht weiß.“

Der Mann schaute beiseite und starrte in Richtung Wand, die weit weg war. „Ja, äh, nun. Verstehst du – Dorie war sicher.“ Exeter runzelte die Stirn, unsicher, wie er fortfahren sollte. „Und ich hatte auch den Eindruck, dass Miss Featherton einen Antrag von dir erwartete und ihn mit Freuden annehmen würde.“

Verdammt. Gavin hätte sich ohrfeigen können. Hätte er doch einfach gelogen. Aber war das der richtige Anfang für eine Ehe? „Vielleicht war es so, aber sie verlangt etwas, das ich ihr nicht bieten kann.“

Sein Freund zog fragend seine dunklen Augenbrauen hoch. Himmel, war das Ganze peinlich, doch er wollte Georgie immer noch heiraten und brauchte Hilfe. „Sie hat gefragt, ob ich sie liebe, und ich konnte nicht antworten.“

Exeter nippte an dem Wein, den der Kellner gebracht hatte. Gavin hatte vergessen, dass sein Freund tagsüber keinen Schnaps mochte. „Nicht klug. Sehr unklug von dir.“

„So weit war ich auch schon!“ Gavin konnte nicht verhindern, dass er sarkastisch klang. „Ich werde nicht in die Fußstapfen meines Vaters treten. Eine Liebesheirat ist schön und gut, wenn man damit umgehen kann – auch wenn ich nicht sicher bin, dass sie halten –, aber nachdem ich mitangesehen habe, was Vater durchgemacht hat, als meine Mutter starb … Das kann ich meiner Familie und meinen Pächtern nicht zumuten. Es wäre ungerecht.“

„Ich verstehe deine Bedenken“, sagte Exeter und nahm noch einen Schluck Wein. „Meine Eltern haben sich nicht geliebt, jedenfalls viele Jahre lang nicht. Meine Mutter träumte von der großen Liebe und deshalb wurde die Ehe unglücklich. Doch Dories Eltern waren verliebt und sind es immer noch. Ich hatte auch Zweifel an einer Liebesheirat. Wir sind erst ein paar Monate verheiratet, doch ich prophezeie uns eine glückliche Zukunft.“ Er zuckte die Achseln.

"Andererseits hat sie gesehen, wie man es macht. Wenn du sie immer noch willst, kann dir vielleicht ihre Schwester, die ehemalige Miss Featherton, helfen. Ich habe gehört, dass nicht nur ihre Eltern, sondern auch sie und ihr älterer Bruder aus Liebe geheiratet haben."

Gavin traute seinen Ohren nicht. „Woher weißt du von ihrem Bruder und ihrer Schwester?“

„Ich habe sie darüber reden hören – Dorie und Miss Featherton.“ Sein Freund errötete. „Natürlich habe ich nicht gelauscht, aber ich habe gehört, dass Dorie meinen Namen sagte, als ich an der Tür zum Salon vorbeikam …“

„Hör auf.“ Gavin hob die Hand. „Ich brauche keine Erklärung.“

„Sie haben auch von dir gesprochen.“

Himmel! Aber er musste doch nachfragen: „Was haben sie gesagt?“

„Dass sie einen Antrag von dir erwartete und sich auf die Ehe freute.“ Exeter runzelte die Stirn. „Sie muss geglaubt haben, dass du sie liebst. Ich frage mich, warum sie plötzlich Zweifel hatte und nachgefragt hat.“

Das war eine gute Frage. „Ich habe keine Ahnung.“ Das hatte ihn schon auf dem Weg zu Brooks bedrückt. Warum hatte sie ihm diese Frage gestellt? „Ich habe meine Rede geprobt, bevor ich bei ihrem Vater war. Ich habe ihr all die Gründe aufgezählt, warum wir gut zusammenpassen, und ihr dann meinen Antrag gemacht. Da hat sie gefragt, ob ich sie liebe.“

„Hmm“, machte Exeter nachdenklich und nahm noch einen Schluck Wein. „Daran könnte es daran gelegen haben.“

„Woran?“ Gavin stürzte sein Glas Wein hinunter und goss sich noch eines ein.

„Oh, daran, dass du nicht romantisch warst.“ Sein Freund zog die Augenbrauen zusammen und nickte vor sich hin. „Ja, ich denke, das ist es. Wenn du einfach ihre Hände genommen und gesagt hättest, dass du sie als Frau und Mutter eurer Kinder brauchst und sie dann geküsst hättest, wäre sie nicht auf die Idee gekommen, zu fragen.“

Gavins Hirn war wie von Nebelschwaden umhüllt und er schüttelte den Kopf, um Exeters Worte zu begreifen. Es gelang nicht. „Das verstehe ich nicht.“

Exeter lehnte sich zurück und legte die Fingerspitzen aneinander. „Ich denke, du hast mit ihr genauso gesprochen wie mit ihrem Vater. Logisch und vernünftig. Aber wenn es um das Heiraten geht, wissen Damen wie meine Frau und Miss Featherton schon lange, dass diese Dinge zur Ehe gehören. Und sie wissen auch schon, dass der Herr, der um sie anhält, ihnen all das bieten kann. Es wäre deine Aufgabe gewesen, sie zu überzeugen, dass sie deine große Leidenschaft ist.“ Er sah Gavin durchdringend an. „Das ist sie doch, oder?“

Wenn man bedachte, dass er seit Monaten davon träumte, das Bett mit Georgie zu teilen … „Ja. Auf jeden Fall.“

Exeter nickte. „Das dachte ich mir.“ Er setzte sich auf und nahm noch einen kleinen Schluck Wein. Dann schüttelte er langsam den Kopf. „Ich fürchte, jetzt, da du alles vermasselt hast, habe ich keinen Rat für dich – außer dass du ihr sagst, dass du sie liebst.“

Er hatte sich wirklich in Schwierigkeiten gebracht. Er hätte seinem Instinkt statt seinem Kopf folgen sollen, dann wäre er jetzt verlobt und das gefürchtete Thema Liebe wäre nicht zur Sprache gekommen. „Deine Analyse ist mir keine Hilfe.“

„Das kann ich mir vorstellen“, räumte sein Freund liebenswürdig ein. „Ich werde gründlicher darüber nachdenken, ja? Vielleicht gibt es einen anderen Ausweg für dich.“

„Das wäre gut.“ Gavin hatte allerdings keine Ahnung, was Exeter tun könnte. Doch er selbst hatte Exeter und Littleton erfolgreich dabei unterstützt, eine Frau zu finden. Nun ja, sie hatten sich gegenseitig geholfen. Also konnte Exeter vielleicht auch Gavin unterstützen. „Danke.“ Ihm kam der Gedanke, dass sein Freund vielleicht seine Frau einweihen würde. „Ich wäre dir dankbar, wenn dieses Gespräch unter uns bleiben würde.“ Er atmete tief durch. „Mit anderen Worten: bitte nicht deine Frau um Hilfe. Es könnte Miss Featherton zu Ohren kommen.“

Exeters Miene hatte sich in rascher Folge verändert – von verwirrt über beleidigt bis verständnisvoll. „Ah, ich verstehe. Wenn ich meine Frau bitte, diskret zu sein, wird sie sich daran halten. Aber es geht um dich, deshalb musst du die Geschichte erzählen, nicht ich.“

Gavin wollte nicht, dass irgendjemand diese Geschichte erfuhr. Er kam sich vor wie ein Dummkopf. Er hätte wissen müssen, dass man einer Dame zeigen musste, wie sehr man sie wollte, statt ihr vor Augen zu führen, wie vernünftig sein Ansinnen war. „Danke.“

„Wenn du vor deinem nächsten Anlauf deine Strategie besprechen willst, wende dich gern an mich.“ Exeter errötete. „Ich könnte einiges tun.“

Gavin kicherte beinahe. Als sein Freund der Dame, die jetzt seine Frau war, seinen ersten Antrag gemacht hatte, hatte sie ihn energisch abgewiesen. „Nun, du hast einen Weg gefunden. Das kann man von mir nicht sagen.“

„Das lag nur daran, dass ich mich in meine Frau verliebt hatte.“ Exeter schnitt eine Grimasse. „Ich wünschte, ich hätte nicht so lange gebraucht.“

Diese Möglichkeit kam für Gavin nicht infrage. „Danke. Wenn ich Ideen diskutieren will, komme ich zu dir.“ Er leerte sein Glas. „Wenn mir etwas Neues einfällt, erfährst du es als Erster.“ Gavin verabschiedete sich von seinem Freund und verließ den Klub. Wie sollte er sie jetzt, da er seinen Antrag vollkommen vermasselt hatte, überzeugen, ihn zu heiraten? Wenn ihm jemand die Antwort geben könnte, wäre er ein glücklicher Mensch.