6. Januar – Samstag
Es war der erste Tag im neuen Jahr, an dem Pana sein Café eröffnete. Vorher musste noch viel erledigt werden. Am Tag davor hatten sie schon alles geputzt, schick gemacht und Vorräte aufgefüllt. Die frischen Sachen holte Pana am Morgen der Eröffnung im Supermarkt seines Vertrauens. Eigentlich war es vielmehr der nächste Supermarkt in der Nähe des Cafés, aber das klang irgendwie besser, fand Pana. Außerdem hatte er mit dem Besitzer, der neben dem Supermarkt ein Restaurant und dahinter noch ein Möbelgeschäft betrieb, Sonderkonditionen vereinbart. Zyprische Geschäftsleute unterstützten sich gegenseitig und liebten Sonderkonditionen.
Pana lud seinen Suzuki voll mit Milch, Bananen, Zitronen und dem leckersten Baklava der Stadt und fuhr beschwingt zum Café. Das Baklava hatte er als Motivations-Leckerli für Sula und Heike gekauft. Heike war immer für Naschis zu haben und bei Sula hoffte er, damit ihre Laune etwas anheben zu können. Die Musik voll aufgedreht sang er: »I like me better when I’m with you« und trommelte im Takt mit den Fingern auf dem Lenkrad und dachte, dass doch nicht jeder Song, der nach den Neunzigern produziert wurde, schlecht war. Die Fahrt dauerte nur zehn Minuten, das reichte aber für den Beschluss aus, sein Angebot im Café zu erweitern. Bisher hatte er nur Kaffee in unterschiedlichen Varianten, Bananen-Milchshake und Tee. Wobei den Tee eigentlich nur er selbst trank, weil er keinen Kaffee vertrug. Es war Zeit für Neues und ihm stand der Sinn nach Veränderungen. »Vielleicht etwas mit Eis«, grübelte er.
Als er im Café ankam, saßen schon zwei Bananen-Bauern am Tisch unterm Olivenbaum, nuckelten an ihrem Frappé und diskutierten dabei heftig. Pana war zu weit weg von ihnen und hörte deshalb nur Fragmente, wie »erzähl mir doch nichts« und »das geht nicht mit rechten Dingen zu« und »gib es doch zu« und irgendwas mit »Bananen und Glygrowmat«.
»Ela re, was macht ihr denn schon hier? Wann merkt ihr euch endlich, dass wir im Winter erst um neun öffnen?«, begrüßte Pana die beiden, die sich aber von ihm nicht stören ließen und seine Anmerkung durch eine kurze Handbewegung wegfegten. Heike war schon da und hatte die beiden bereits versorgt.
Pana lief auf sie zu: »Was wäre ich bloß ohne dich? Kali mera.«
»Kali mera, du Balsam für meine müden Augen! Sag mal, benutzt du eigentlich eine spezielle Nachtcreme, oder wie kriegst du das hin, um diese Uhrzeit schon so frisch auszusehen? Ich musste fünf Schichten Concealer auftragen, um meine Augenringe abzudecken.«
»War wieder eine nächtliche Fantasy-Romance-Session angesagt?«
»Hör auf! Ich bin echt neidisch!«
Pana grinste schelmisch.
»Wirst du etwa rot, Pana?«
»Quatsch!«
»Stimmt, das kann ja nicht sein.« Heike beobachtet seine Reaktion und fuhr nach einer kleinen Pause fort: »In letzter Zeit kommst du mir aber schon irgendwie verändert vor.«
»Verändert? Wie verändert?«
»Na ja, irgendwie … sensibel und verträumt«
»Sensibel? Verträumt?«
»Ja, guck mal, ich kenn’ dich jetzt schon so lang und seit du das Café eröffnet hast, bin ich fast jeden Tag hier, aber so verträumt wie gerade hab’ ich dich noch nie gesehen.«
»Aha. Kann es sein, dass du gerade sehr viel interpretierst und wieder irgendetwas siehst, was gar nicht existiert?«
»Ah Pana! Dann glaub’ mir halt nicht. Ist ok. Lass uns das Thema wechseln.«
Gesagt, getan, wechselte er das Thema: »Worum ging’s denn bei den beiden?« Pana schaute zu den Bauern, die eben noch unterm Olivenbaum diskutierten und jetzt in ihre Pick-ups stiegen und in verschiedene Richtungen davon sausten.
»Ich glaube, der eine ist sauer auf den anderen, weil der mehr oder größere Bananen hat als der andere oder so. Du weißt, mein Griechisch ist noch nicht perfekt«, entschuldigte sich Heike und fügte hinzu: »Die reden eh nichts mit mir, seit ich sie gebeten habe, ihre Pick-ups auf dem großen Parkplatz da hinten abzustellen und sie nicht immer direkt vor dem Café zu parken. Die Dinger sind so riesig, dass die Leute unser Café im Vorbeilaufen gar nicht sehen können. Aber es hat ja nix genützt, sie stellen ihre rostigen Blech-Monster ja trotzdem noch direkt davor ab. Nur keinen Schritt laufen!«
»Ach, Heike, du weißt doch, wie sie sind. Rege dich nicht auf. Außerdem weiß doch jeder, wo unser Café ist.«
»Touristen nicht«, merkte sie an, atmete einmal tief durch und wechselte dann das Thema. »Aber egal. Viel wichtiger ist, was ist jetzt mit dir und Ute?«, fragte sie und grinste erwartungsvoll.
Pana konnte sich ein Schmunzeln wieder nicht verkneifen, bemühte sich aber um einen entspannten Tonfall: »Was soll da sein? Wir verstehen uns gut, ich habe sie vorgestern vor einer Vogelspinne gerettet und sie will mich zum Dank dafür zum Essen einladen«, erzählte er unbescheiden.
»Och, dass ihr Männer immer so kurze Inhaltsangaben macht. Ich will alles im Detail wissen.« Heike hüpfte von einem Bein auf das andere, während Pana gelassen die Einkäufe einräumte.
»Ena Frappé gliko«, bestellte ein Gast einen süßen Frappé an der Theke.
»Wo ist eigentlich Sula?«, fragte Pana.
»Oh, ich habe gesagt, dass ich heute und morgen ihre Schicht übernehme. Sie ist gerade nicht so gut drauf, weißt du.«
»Wann ist sie das schon?« Sula war schon als Kind kein Sonnenschein gewesen. Jetzt kam noch die Trauer um ihren Vater dazu und es war schwer, diese von ihrer grundsätzlich schlechten Laune zu unterscheiden. Pana wusste oft nicht, wie er damit umgehen sollte.
»Aber sie ist hinten bei Apostolos«, sagte Heike und goss den Frappé in einen To-Go-Becher.
»Ich schau mal kurz nach ihr«, sagte Pana und weg war er.
Als er die Tür zum Stall öffnete, fütterte Sula Apostolos mit Karob-Früchten und die Katze, die auf dem Rücken von Apostolos saß, mit kleinen Lounza-Stückchen. Als er den Stall betrat, sahen alle drei ihn an, als würde er stören. »Sula, gib ihm doch nicht immer dieses süße Karobzeug«, mahnte Pana.
»Aber er liebt es«, gab sie patzig zurück.
»Ja, das sieht man ihm auch langsam an. Schau mal, du weißt doch, dass er nicht merkt, wenn er satt ist. Schon gar nicht bei seinem Lieblingsessen.« Apostolos kaute schneller, um noch so viel wie möglich von der süßen Frucht aufzunehmen und als hätte er geahnt, was Pana gleich sagen würde: »Er wird jetzt auf reine Heu-Diät gesetzt. Du willst ja bestimmt auch nicht, dass er krank wird. Ab jetzt keine Karotten, keine Äpfel und erst recht keine Karob-Früchte. Vier Wochen lang, das wird ihm guttun.« Pana hatte das Gefühl, dass Apostolos jedes Wort verstand, denn er sah ihn so böse an wie ein Esel nur schauen konnte. Pana sagte deshalb an ihn direkt gerichtet: »Ich verzichte gerade auf Weingummi. Ich weiß genau, wie schwer das ist, aber wir müssen mal besser auf uns achten, mein Freund.«
Sula schien sich ein leichtes Lächeln verkneifen zu müssen und motzte: »Also gut, wenn es zu seinem Besten ist.«
»Hallo?« Es klopfte an der Stalltür und Utes Gesicht schob sich gleich darauf durch den Türspalt.
»Hey, hallo!« Panas Freude über den überraschenden Besuch war sogar Sula aufgefallen. Sie zog angewidert die Augenbrauen hoch und sagte nur cool: »Ey.« Apostolos fing an zu iahen, weil Ute offenbar etwas Essbares dabeihatte.
»Ich habe dem Esel ein paar Karob-Früchte mitgebracht, darf ich?«
»Ja klar.« Pana schien die eben verhängte Diät plötzlich vergessen zu haben.
»Boah, das glaub ich ja jetzt nicht! Die darf ihm was geben. Echt toll!«, motzte Sula, stampfte mit großen Schritten zur Stalltür und knallte diese hinter sich zu.
Ute erschrak und sah Pana hilfesuchend an.
»Entschuldige bitte. Sie ist heute nicht besonders gut drauf und ich habe gerade … Ach egal. Schön, dass du da bist.«
»Ich wollte nicht stören.«
»Du störst doch nicht und das eben war auch nicht wegen dir. Mach dir keine Gedanken deshalb«, erklärte Pana.
»Ok, gut. Ich war gerade in der Beach Bar beim deutschen Frauenstammtisch. Der findet einmal im Monat statt. Ich war heute zum ersten Mal da«, erzählte Ute während sie Apostolos mit den Karob-Früchten fütterte, die dieser hinunterschlang, als wäre er schon kurz vor dem Verhungern gewesen. Dankbar ließ er sich von ihr die Nase streicheln.
»Und, war es schön? Hast du nette Frauen kennengelernt?«
»Ja, doch, die sind echt alle sehr nett.« Für Pana klang das nicht überzeugend und er hatte das Gefühl, dass sie irgendetwas bedrückte und hoffte, dass Sula sie nicht eingeschüchtert hatte. Er wusste, welche Wirkung seine Nichte auf andere haben konnte.
»Jedenfalls haben wir ja noch keinen Termin für das Essen ausgemacht und dann dachte ich, ich komme auf dem Weg nach Hause einfach spontan bei dir vorbei.«
»Das war eine gute Idee. Wie wäre es denn mit morgen Abend?«, schlug Pana vor.
»Heute geht’s nicht?« Ute klang enttäuscht.
»Heute bin ich schon mit meinem Freund Dimi verabredet. Er gestaltet nebenbei Flyer und möchte welche für mein Café machen. Das wollen wir heute Abend besprechen, tut mir leid.«
»Nein, alles gut. Morgen ist auch prima.« Pana hatte das Gefühl, dass es nicht gut war, beschloss aber, das Gefühl zu ignorieren. Nach seiner Scheidung hatte er sich geschworen, nie wieder zu versuchen, die Gedanken von Frauen zu lesen. Da lag er immer daneben. Wunscherfüllung nur nach klarer Ansage. »Gut, dann hole ich dich morgen um halb acht ab, ok? Wo möchtest du denn hingehen?«
Ute bemühte sich um einen lockeren Ton: »Och, gerne in die Beach Bar. Da war ich zwar heute schon, aber man sitzt da so schön.«
»Sehr gerne, das ist mein Lieblingslokal – natürlich nach meinem eigenen«, scherzte Pana.
Ute sah auf die Uhr: »Alles klar, ich muss dann mal wieder lossausen, bis morgen.«
Als sie weg war, sagte Pana zu Apostolos: »Findest du nicht, dass sie heute komisch war? Irgendwie angespannt.« Apostolos schnaubte zustimmend.
9. Januar – Dienstag
Umgeben von vielsagender Stille lief Pana den Berg runter zu seinem Café. Eine dicke Sahara-Staubwolke stand in der Luft, tauchte alles in ein diffuses Licht und erschwerte ihm das Atmen. Er freute sich auf den Abend und hoffte, dass es Ute besser ging. Gestern hatte sie ihre Verabredung abgesagt, weil sie mit einer schlimmen Migräne flachlag. Die Arme, dachte Pana und konnte sich die Schmerzen, die man bei einer Migräne hatte, nicht vorstellen. Er wusste nur, dass es schrecklich sein musste.
Am Café angekommen, ging er erstmal hinters Haus zum Stall, um die Tiere zu füttern. Apostolos iahte, als er ihn hörte. Er schloss die Tür auf und suchte alle Ecken nach eventuellen Angstgegnern ab. Seit der letzten Begegnung in Utes Spülmaschine, ließ er nicht nur wieder nachts die Nachttischlampe brennen, sondern suchte auch vorsichtshalber jeden Raum ab, bevor er ihn betrat. Die Katze Thea schnurrte ihm um die Beine, dass er fast stolperte. Er war offenbar der erste heute. Sonst war Sula um die Uhrzeit schon im Stall. Pana hatte den Eindruck, dass Apostolos und Thea die einzigen Lebewesen auf der Welt waren, die Sula an sich ranließ. Er seufzte, füllte Futterschale und Heutrog auf und sagte tröstend zu Apostolos, der lustlos auf dem Heu rumkaute: »Keine Sorge, mein Freund, nächsten Monat dürfen wir mal wieder schlemmen.«
Er ging zurück zum Café und stellte die Stühle auf. Im Winter lehnte er sie abends immer schräg an die Tische, damit sich kein Wasser auf der Sitzfläche sammeln konnte, falls es regnete. Er sah die gelbliche Staubschicht, die sich über die Tische und Stühle gelegt hatte und beschloss, erstmal einen Eimer mit Wasser zu holen, um alles sauberzumachen.
»Hallo«, begrüßte ihn Sula, die in dem Moment an ihm vorbeilief.
»Hallo, wo kommst du denn her?« Pana wunderte sich, dass sie aus Richtung Meer kam.
»Ich war spazieren.«
»Du? Spazieren?«
Sie zuckte die Schultern und lief Richtung Stall.
»Die beiden habe ich eben schon gefüttert.«
Sula fragte pampig: »Darf ich sie vielleicht trotzdem besuchen?«
»Klar, nur zu«, antwortete Pana müde und rief ihr noch hinterher: »Arbeitest du heute oder übernimmt Heike wieder deine Schicht?«
»Ja, obwohl es mir echt nicht gutgeht. Aber Heike kann heute nicht.«
»Was hast du denn?«
»Ach, das verstehst du eh nicht«, wehrte sie jede weitere Erklärung ab.
Gerade als Pana die Vordertür seines Cafés aufschloss, kam Dimi in seinem Jeep angedüst. Er parkte schräg gegenüber, vor der großen Bananenplantage, hüpfte aus seinem Auto und lief fröhlich auf Pana zu. In der Hand hielt er ein kleines Bündel. »Schau mal, ich habe schon mal ein paar Flyer zur Probe drucken lassen«, rief er von weitem.
»Guten Morgen erstmal«, sagte Pana, der jetzt eigentlich gar keinen Kopf für Flyer hatte.
Dimi meinte deshalb etwas enttäuscht: »Ey Alter, freust du dich denn gar nicht? Da saß ich vorgestern nach unserer Besprechung die ganze Nacht dran.«
»Doch, klar freu ich mich. Zeig doch mal her«, beschwichtigte Pana. Der erste Blick verriet ihm schon, dass Dimi mal wieder seine Liebe zu neonfarbenen Schriften übertrieben hatte. Zum Glück kam in dem Moment sein Vater angefahren. Er hatte den Anhänger voll mit Heu für den Esel. »Bitte entschuldige, da muss ich kurz helfen. Gleich danach schau ich mir die Flyer an, ok?«
»Hm«, maulte Dimi, legte die Flyer auf dem Tresen ab und packte mit an. Zu zweit lenkten sie den Anhänger auf den kleinen Weg rechts vom Café, der nach hinten zum Stall führte, während Theo mit dem Auto rückwärts einfädelte.
Sula kam aus dem Stall und packte ebenfalls mit an. Wenn es um den Esel ging, war sie immer eifrig mit dabei. Wenigstens was, dachte Pana. »Könnt ihr alleine abladen? Ich muss vorne sein, falls Gäste kommen«, sagte Pana und ging ins Café. Als hätte er den ersten Gast des Tages damit gerufen, hielt dieser mit seinem Pick-up direkt vor dem Café. Es war der Bananen-Bauer Philippos, der jeden Tag bei Pana seinen zweiten Frappé trank, bevor er weiter zum Ausliefern oder aufs Feld fuhr und auch jeden Tag direkt vor dem Café parkte. Pana warf einen flüchtigen Blick auf die Ladefläche des Pick-ups und sah, dass diese voll beladen war mit halbreifen Bananen. In Bananenbauernkreisen wunderte man sich über die Menge und Häufigkeit seiner Ernte. Pana hielt sich da gerne raus. Als Café-Besitzer nahm er lieber einen neutralen Standpunkt ein, um nicht zwischen die Stühle zu geraten.
»Kali mera Philippos«, grüßte Pana und machte sich sofort an die Zubereitung des Frappés.
»Kali mera Pana«, rief der Bauer zurück, während er sich wie immer an den Tisch unterm Olivenbaum setzte. »Diese Staubwolke liegt wieder schwer in der Luft. Das klebrige Zeug legt sich in jede Ritze«, stellte Philippos fest.
»Ja, aber was sollen wir da machen?« Pana sprach nicht gerne über Dinge, die man nicht ändern konnte. »Hier bitte, genieße deinen Frappé«.
In dem Moment kam der andere Bananen-Bauer, George, angefahren, parkte seinen Pick-up hinter dem von Philippos, hatte allerdings keine Bananen geladen. Hoffentlich kriegen die sich nicht wieder in die Haare, hoffte Pana und seufzte kurz. Dann dachte er an seine Verabredung mit Ute am Abend und war sofort wieder voller Freude. Hoffentlich geht es ihr heute besser, dachte er, während er den Frappé für George machte.
Sula, Dimi und Theo kamen den Seitenweg am Café entlang und blieben vorne stehen, um sich von Theo zu verabschieden. Plötzlich rief Dimi: »Was zum Geier ist denn das?« Alle Blicke richteten sich auf ihn und folgten dann seinem starren Blick auf die Laderampe des vor dem Café abgestellten Pick-ups von Phillippos. Etwas stach unter den bis zum Rand getürmten grünen Bananenbündeln hervor, das da nicht hingehörte. Etwas Rotes blitzte auffällig aus dem grün-gelben Hintergrundbild heraus. Pana ging einen Schritt auf den Pick-up zu, beugte sich über die Laderampe und sah mit vor Schreck geweiteten Augen, was da aus dem Bananenstapel ragte. Es war ein rot lackierter Zehennagel! Er riss seinen Blick weg, während er sich die Hand vor den Mund hielt und keuchte: »Da … da ist eine Leiche!«
Die Terrasse des Cafés erstarrte in entsetzter Stille. »Ich rufe die Polizei!«, verkündete Pana, seine Stimme klang rau und angespannt.
Dimi stand direkt neben ihm: »Abnormal ey, wer ist denn da drunter?«
Pana sah, wie er seine Hand ausstreckte, um die Bananen zur Seite zu räumen.
»Bist du wahnsinnig?«, rief er und lauter an die Menge gewandt: »Keiner fasst hier jetzt was an, verstanden! Die Polizei wird Fingerabdrücke nehmen. Wir setzen uns alle hin und warten auf die Polizei.«
Das Café Edro, wo eben noch Gelächter und die Gespräche der beiden Bauern zu hören waren, war nun der Schauplatz eines grausamen Ereignisses.
Nach fünfzehn Minuten stieg eine attraktive junge Frau aus ihrem Fiat 500, lächelte kurz in die verdatterte Runde und holte eine große Tasche aus ihrem Kofferraum. Neben ihrem zierlichen Körper wirkte die Tasche riesig. Ihre langen schwarzen Locken wippten geschmeidig, als sie auf Pana zulief. Dimi stellte sich neben Pana und staunte: »Boah, Alter, wenn das nicht die zukünftige Frau Papadopoulou ist!«
»Das wäre die Erste, die dich in Eheketten legt. Mach’ mal den Mund zu, das ist ja erbärmlich«, bat Pana.
»Guten Morgen, ich bin Eleni Paraskeva, die Gerichtsmedizinerin«, stellte sie sich vor und nahm dabei ihre Sonnenbrille ab. Ihre braunen Augen ließen sie harmlos wirken, doch ihr Blick war feurig. »Ich komme direkt von Zuhause. Kann ich mich hier irgendwo umziehen?« Pana zeigte ihr, wo die Toiletten waren, aus denen sie fünf Minuten später in einem weißen Überzieh-Overall wieder erschien. Ihre Haare hatte sie zu einem Zopf gebunden und fragte schwungvoll: »Wo ist die Leiche?«
Die Polizei unter der Leitung von Hauptkommissar Yannis Polychroniadis kam 30 Minuten nach Panas Anruf in Begleitung der Spurensicherung. Sonst war die zyprische Polizei nicht so schnell vor Ort, aber eine Leiche hatte man hier draußen in Pegeia nicht so oft. Außerdem war die Hauptdienststelle in Paphos ja schon 20 Minuten Autofahrt entfernt.
»Yia sou«, begrüßte der Hauptkommissar seinen Cousin kurz. »Yia sou Yannis, lange nicht gesehen. Wie geht’s dir?«
Pana stellte fest, dass sein Cousin nicht gut aussah. Sein Hemd hatte einen großen Kaffeefleck auf dem Bauch und steckte unmotiviert nur teilweise in seiner Hose. Seine Haare hingen ihm fettig in die Stirn und seine Augenringe waren so dunkel, dass man sie auch für Veilchen hätte halten können. Hinzu kam die präsente Antipathie, die er unmissverständlich im Gesicht trug. Yannis winkte nur gelangweilt ab und wollte im Gegenzug nicht wissen, wie es Pana ging. Stattdessen sprach er mit belegter Stimme, wie man sie nach einer durchzechten Nacht hat, das Offensichtliche aus: »So, bei dir wurde also eine Leiche gefunden.«
»Nicht bei mir direkt. Sie liegt auf der Laderampe des Pick-ups, der vor meinem Café geparkt wurde.«
»Aha, aha, und wem gehört das Fahrzeug?«, fragte Yannis fachmännisch. Pana stellte ihm den Bauer vor: »Das ist Phillipos Kiziridis, ihm gehört der Pick-up und die Bananen.«
»Die Leiche auch?« Yannis lachte schallend und fügte dann hinzu: »Nein, ernsthaft, hast du die Leiche auch erst hier gesehen?«
Philippos verdreht die Augen: »Nein, ich habe die Leiche unter meiner Bananenernte versteckt und bin dann hierhergefahren, um erstmal einen Frappé zu trinken.«
»Haha, verarschen kann ich mich selber. Ich weise darauf hin, dass du hier mit mir in der Funktion eines Staatsbediensteten redest und ich dich auf der Stelle einbuchten werde, wenn du meinst, mit mir Spielchen zu treiben«, gab Yiannis gereizt zurück.
»Siga, siga«, sagte Philippos und hob beruhigend die Hände.
Yiannis wollte es aber keineswegs ruhig angehen. Pana hatte sofort bemerkt, dass die Laune seines Cousins schon im Keller war, bevor er hier auftauchte. Bestimmt musste er wegen des Anrufs sein Online-Glücksspiel unterbrechen. Und wahrscheinlich war er dabei so nah dran, einen Bonus zu erhalten, wie schon lange nicht mehr. So nah dran und dann kam der Anruf und hat alles zerstört. Er würde wieder von vorne anfangen müssen. Bei den Gedanken musste Pana grinsen, während Yiannis sich mit zitternden Händen eine Zigarette anzündete und seinen Kollegen anwies: »Befrage du mal die anderen, die da hinten rumstehen und schreib alle Namen auf und was sie gesehen haben.«
»Geht klar, Chef«, antwortete dieser gehorsam.
»Nun nochmal zu dir«, wandte er sich wieder dem Bauer zu. »Wann hast du die Bananen geerntet und wo kommst du jetzt her?«
»Die Bananen habe ich gestern geerntet und auf meinen Pick-up geladen, und zwar nur die Bananen.« Wobei er »nur« betonte und fortfuhr: »Ich habe meinen Wagen neben der Plantage stehen lassen, damit ich die Bananen vor der Auslieferung nicht unnötig in der Gegend rumfahren muss.«
»Aha und wann wolltest du sie ausliefern?«, fragte Yiannis weiter.
»Heute. Ich wollte gerade los. Habe hier nur noch, wie jeden Morgen, einen Frappé getrunken.«
»Kommissar, Sie sollen zu Frau Paraskeva kommen«, rief der junge Polizist.
»Ich komme gleich«, antwortete Yiannis muffig und wies den Bauer noch darauf hin, dass er sich zu seiner Verfügung halten solle. Der wollte noch wissen: »Wann bekomme ich meinen Pick-up und meine Bananen zurück?«
»Beides erstmal bis auf Weiteres beschlagnahmt«, sagte der Kommissar knapp.
»Aber ich muss doch …«
»Wie ich eben sagte, erstmal nicht. Komm morgen auf die Dienststelle, damit wir deine Aussage aufnehmen können.«
»Sehr lustig. Wie soll ich bitteschön ohne Auto nach Paphos kommen?«
»Das ist mir ehrlich gesagt scheißegal, Philippos. Außerdem ist das keine Bitte. Sei froh, wenn ich dich nicht sofort einbuchte. Du bist hier derjenige, der eine Leiche in seiner Bananen-Ladung hat. An deiner Stelle würde ich also nicht so große Töne spucken«, erwiderte Yiannis scharf und ging zum Pick-up.
»Das ist ja diese Deutsche!«, rief Philippos erschrocken, als er Yiannis zum Pick-up folgte. Die Leiche war inzwischen freigelegt worden und konnte als Frau identifiziert werden.
»Kennst du sie?«, fragte Yiannis
»Ja, das ist die Frau, die vor ein paar Tagen mein Ferienhaus angemietet hat.«
»Interessant. Dann warte da hinten bei den anderen. Wir gehen nachher gemeinsam zu deiner Ferienwohnung«.
»Aber ich dachte, ich soll morgen …«
»Hast du Bananenmus in den Ohren? Warte da hinten!« Yiannis klang jetzt sehr gestresst.
»Weiblich, circa 30 Jahre alt. Sie hat keine Papiere mit sich. Sie wurde offensichtlich mit einer Flüssigkeit übergossen. Dem Geruch nach zu urteilen mit Diesel.«
»Todesursache?«
»Auf den ersten Blick konnte ich keine Spuren von Fremdeinwirkung erkennen.«
»Naja, sie wird sich wohl kaum selbst umgebracht und dann in den Pick-Up unter die Bananen gelegt haben.«
»Das wahrscheinlich nicht. Sie ist allerdings schon eine Weile tot, schätzungsweise seit 16 Stunden. Mehr kann ich erst sagen, wenn ich sie genauer untersucht habe«, berichtete Eleni ernst.
»Alles klar, Danke.« Yiannis fotografierte die Tote mit seinem Handy und lief rüber zu Pana. »Du hast einfach ein schönes Leben. Das muss sein, wie jeden Tag Urlaub zu haben, oder?«
»Ja, wenn nicht gerade ein Pick-up mit einer Leiche davor gefunden wird«, scherzte Pana, obwohl es ihm gar nicht danach zumute war. Er wusste, dass sein Cousin neidisch auf ihn war und hatte keine Lust, sich auf seine Sticheleien einzulassen. Nicht heute.
»Aber was will man auch anderes machen, wenn man nur gelernt hat, wie man Partys plant.« Yiannis hatte offenbar schon Lust auf Sticheleien.
Pana wusste, dass nur der Frust aus seinem Cousin sprach und fragte lässig: »Ich bin sicher, dass dein Job keine Plaudereien zulässt. Also, wie kann ich dir helfen?«
»Ha, du und mir helfen. Das kann ich mir kaum vorstellen, aber ein paar Fragen kannst du mir beantworten«, schnaubte Yiannis zurück. Er hielt ihm sein Handy hin: »Kanntest du die Tote?«
Pana sah sich das Foto an und überlegte kurz: »Die habe ich schon mal gesehen.«
»Aha. Und wann und wo?«
»Das war vor ein paar Tagen in der Beach Bar. Sie war dort mit einem Mann.«
»Und weiter?« Yiannis rollte mit den Augen und machte eine beschleunigende Handbewegung.
»Nichts weiter. Ich habe sie nur einmal dort kurz gesehen. Sie hat sich mit ihrem Begleiter gestritten und dann sind die beiden auch schnell abgedüst.«
»Sie haben sich gestritten? Das ist zum Beispiel ein wichtiges Detail. Lass dir doch nicht alles aus der Nase rausziehen!«
»Ich muss doch überlegen. Schließlich will ich ja nichts Falsches sagen«, grinste Pana. Yiannis bekam einen roten Kopf, rang aber um Beherrschung und fragte betont langsam: »Wann genau war das?«
»Hmmmm, das war vor fünf Tagen. Nein, warte, vor sechs. Ach, jetzt fällt es mir wieder ein, das war am zweiten Januar.« Pana genoss das Spielchen inzwischen richtig.
»Treib es nicht auf die Spitze«, warnte Yiannis, notierte sich das Datum und fuhr fort: »Ok, also es war am zweiten Januar. Sicher?«
Pana nickte.
»Und wo?«
»In der Beach Bar in Coral Bay«, antwortete Pana.
»Ist das die mit den albernen Muschelketten und dem ganzen komischen Holz-Zeug?«
»Ja genau. Die wunderschön gestaltete Beach Bar.«
Yiannis verzog das Gesicht und notierte sich auch diese Info in seinen zerfledderten Notizblock. Pana dachte kurz, dass der kleine schmuddelige Block gut zu Yiannis passt – schmierig, ungepflegt und unhandlich.
»Aha, und um wie viel Uhr war das?« Yiannis sah auf seine Uhr und man merkte, dass er langsam unruhig wurde.
»Das muss so gegen halb fünf gewesen sein. Es war auf jeden Fall noch hell.« Yiannis sah ihn gereizt an, deshalb ergänzte er: »Ja, sorry. Wenn ich gewusst hätte, dass die genaue Zeit so eine wichtige Rolle spielen würde, hätte ich natürlich auf die Uhr gesehen.«
»Haha, witzig. Ich schreibe also mal halb fünf auf«. Yiannis verließ nun vollständig die Geduld, oder die Lust, oder beides? Das konnte Pana nicht genau feststellen.
»Gut, dann hätten wir es erstmal. Bitte halte dich zu unserer Verfügung«, sagte Yiannis müde.
»Der Spruch ist wohl noch von der Polizeischule hängen geblieben, was? Willst du denn gar nicht wissen, mit was für einem Auto die beiden von der Beach Bar weggefahren sind?«
Yiannis rollte mit den Augen: »Doch, klar. Also, was für ein Auto hatten sie?«
»Es war ein schwarzer Range Rover mit rotem Kennzeichen.«
»Also ein Mietwagen«, stellte Yiannis fest, ohne weitere Details wissen zu wollen, wandte sich von Pana ab und rief in die Richtung seines Kollegen: »Wir sind hier erstmal fertig. Lade alle für morgen auf die Dienststelle ein, damit wir dort ihre Aussage aufnehmen können.«
»Willst du denn gar nichts über den Mann wissen, mit dem die Tote in der Bar gestritten hat?«, wollte Pana wissen.
Yiannis wollte offensichtlich dringend gehen, weshalb er genervt Luft holte, seine Fäuste ballte und sich nochmal zu Pana umdrehte: »Doch, das will ich natürlich. Aber nicht jetzt. Ihr kommt alle morgen nach Paphos und dann nehmen wir eure Aussagen auf.«
Pana konnte sehen, dass Yiannis kurz vor dem Platzen war. »Ok, wie Herr Kommissar befehlen. Du willst dich bestimmt schnell wieder deinen Spielchen widmen.« Pana salutierte. »Um wie viel Uhr?«
»Das ist mir scheißegal!«
Pana fand es angemessen, das Café für den Rest des Tages zu schließen. Er hing das »closed«-Schild an die Tür und bat seinen Vater, Sula mit nach Hause zu nehmen. Sie war ganz bleich und noch wortkarger als sonst. Die beiden Bauern hätten sich gerne weiter über diesen Skandal bei einem vierten Frappé unterhalten, aber Pana schickte sie heim: »Hier gibt es jetzt nichts mehr zu besprechen. Wir gehen erstmal alle nach Hause und verdauen den Schock. Morgen treffen wir uns hier und fahren zusammen nach Paphos zur Polizei.«
Alle nickten zustimmend und trotteten davon. Nur Dimi blieb stehen und fragte: »Und du? Was machst du jetzt? Kann ich dir noch irgendetwas helfen?«
»Nein, Danke. Ich gehe jetzt erstmal zu Ute. Die Tote ist die Freundin von ihrem Ex-Mann, ich meine, war. Das wird sie sicher wissen wollen.«
»Alter! Ohne Scheiß? Abnormal. Ich fahre dich hin«, bot Dimi an.
»Pana, das ist ja eine Überraschung. Wir sind doch erst heute Abend verabredet. Ist alles in Ordnung?« Ute sah ihm an, dass nicht alles in Ordnung war.
»Darf ich reinkommen?«
»Natürlich.« Ute zog besorgt die Augenbrauen hoch.
Pana blieb im Flur stehen und berichtete: »Es ist etwas Tragisches passiert, das irgendwie auch dich betrifft. Die Freundin deines Ex-Mannes wurde heute tot aufgefunden.« Pana legte eine dramatische Pause ein und fuhr dann fort: »Ich wollte dich nur vorwarnen, weil die Polizei sicher früher oder später bei dir auftauchen wird.«