Leseprobe Einmal Schottin für immer, bitte!

Prolog

Eine Limousine stand bereit. Zugegeben, ich war beeindruckt, aber eigentlich hatte ich von Sina auch nichts anderes erwartet. Zoe quietschte begeistert und umrundete die Stretchlimousine, bevor sie mir um den Hals fiel. Wir waren gleich groß, von ähnlicher Statur und unterschieden uns hauptsächlich in unserem Wesen. Denn obwohl wir nur Halbschwestern waren, sahen wir uns leider zum Verwechseln ähnlich.

»Siehst du das?«, fragte sie. Ihre Begeisterung war ohrenbetäubend.

»Ich bin nicht blind, Zoe.« Und stand direkt davor. Da sie mich nun losließ, konnte ich den Wagen erneut mustern. Der Fahrer verstaute das Gepäck. Drei Koffer von meiner kleinen Schwester und einen von mir.

»Wir werden wie die VIPs vorfahren!«

Ich atmete tief ein und ließ den Blick schweifen. Der Flughafen war ebenso riesig wie jener zu Hause in Hamburg: monströs, voll und unübersichtlich. Auch die Straße davor machte nicht viel her. Etliche Taxen standen bereit, Busse in einiger Entfernung, und man sah das Meer der Blechkarossen auf den anliegenden Parkplätzen. Nun, eigentlich erahnte ich die nur.

Zoe kletterte in den Wagen und plapperte munter weiter. »Eine Bar! Lass uns den Sekt köpfen. Endlich wird es spaßig.«

Das riss mich augenblicklich aus meiner Betrachtung. »Du bist fünfzehn«, mahnte ich, dabei war ich es leid, die Mutter zu spielen. Wir hatten eine, sollte die sich mit Zoe herumärgern. Seufzend stieg ich ebenfalls ein und schlug die Tür hinter mir zu. Meine Schwester fummelte am Verschluss der Flasche, die ich ihr eilig aus den Händen riss. »Was wird das?«

»Na, wir feiern. Stell dich nicht so an.« Sie warf sich auf mich, um mir den Sekt wieder zu entwinden, und hielt die Flasche dann außerhalb meiner Reichweite, während sie den Schutzdeckel abnahm und den Korken löste. Der knallte im nächsten Moment quer durch die Limousine, schlug mit einem ohrenbetäubenden Plonk gegen die Zwischenscheibe zum Fahrer und hinterließ einen Riss.

Ich erstarrte augenblicklich, was Zoe nutzte, um die Flasche an die Lippen zu setzen und einen tiefen Schluck zu nehmen.

Warum genau saß ich hier allein, ohne Eltern, mit einem ungehorsamen Teenager?

»Bäh! Der ist ja trocken.« Trotzdem nahm sie einen weiteren tiefen Schluck, bevor sie mir die Flasche in die Hand drückte. In dem Moment ging auch die Tür wieder auf und der Fahrer streckte den Kopf herein. Seine fast schwarzen Augen legten sich auf das Corpus Delicti, dann auf mich.

»Ma’am, Sie müssen vorsichtiger sein«, sagte er.

Der Widerspruch lag mir auf der Zunge, aber ich nickte stattdessen und murmelte eine Entschuldigung. Ärger vibrierte in mir, aber ich wartete, bis die Tür geschlossen war. »Zoe!«

Sie zuckte die Achseln. »Der übertreibt.«

»Die Scheibe ist kaputt.«

»Na und? Sina heiratet einen Viscount. Der ist steinreich.« Sie warf sich auf die Bank längs zur Fahrtrichtung und trat mit ihren Schuhen auf das Polster nahe an meinen Knien. Ich fasste nach ihren Knöcheln.

»Lass es. Mann, du benimmst dich wie ein Kleinkind.«

Sie trat nur noch fester, wobei sie mir einen Blick zuwarf, der mir deutlich sagte, dass sie sich mit Absicht wie ein verzogenes Gör benahm, obwohl sie ein Teenager war und als Erwachsene angesehen werden wollte.

»Zoe! Kannst du dich einen Tag lang wie ein normaler Mensch benehmen und nicht wie die Pest, die du bist?«

Meine Schwester trat nun nach mir. Dabei streckte sie mir die Zunge heraus. Ja, sie mochte mich nicht besonders, aber da war sie auch nicht die Einzige, was meine Zwangsrekrutierung als Babysitter wohl deutlich bewies.

»Ich stopfe dich in den Kofferraum«, warnte ich. Jedoch hatte eine ähnliche Drohung am Flughafen wenig genutzt, denn am Check-in wollte man Zoe nicht als Frachtstück entgegennehmen.

»Warum fährst du überhaupt mit?«, fragte die Schreckschraube. »Sina mag dich nicht.«

Oh, danke! Natürlich lag sie richtig. Sina war Zoes Schwester, nicht meine. Wir hatten einige Jahre im selben Haushalt leben müssen, nachdem ihr Vater und meine Mutter geheiratet hatten, aber es hatte uns nicht zusammengeschweißt.

»Ich denke, das ist offensichtlich«, murrte ich. »Sie wollen dich von der Backe haben und können mich noch damit unter Druck setzen, dass ich schließlich meinen Beitrag zu leisten habe, solange ich mit euch unter einem Dach lebe.« Mein Stiefvater war da nicht subtil gewesen.

»Dann zieh doch aus.« Der nächste Tritt betäubte meinen Arm, hatte sie doch meinen Musikknochen getroffen, als die Hacke hochflog und ich ihre Schenkel zu Boden drücken wollte. Tränen schossen in meine Augen und ich zog die Gliedmaßen ein, wobei ich die Flasche an meine Brust presste. Zwar hatte ich derzeit keine Ahnung, was ich werden wollte, aber irgendwas mit Kindern schied definitiv aus. Obwohl mir der Job als Au-pair Spaß gemacht hatte. Ich nahm einen Schluck von dem Sekt, der auch mir zu trocken war.

»Mach ich.« Sobald ich wusste, wohin. Leider war mein Erzeuger keine Option. Er hatte den Unterhalt eingestellt, sobald es möglich gewesen war, und gesehen hatte ich ihn seit Jahren nicht.

»Super.« Sie riss sich los und rutschte über den Sitz zur Trennscheibe.

Ich ignorierte sie und richtete meinen Blick hinaus. Es regnete und ein Dunstschleier lag auf dem Land. Wir hatten den Flughafen längst hinter uns gelassen und kurvten über eine Landstraße, die sich tief in die Landschaft schnitt. Berge türmten sich zu beiden Seiten auf.

Unser Ziel war Farquhar, ein Szene-Hotel in den Highlands. Es gehörte Liny, Sinas bester Freundin aus Kindertagen. Sie war mir durchaus ein Begriff, schließlich hatte ich ein Zimmer mit meiner Stiefschwester teilen müssen und damit nur zu oft auch mit Carolina Hildebrecht, wenn die über Nacht blieb, sie lernten oder sich für eine Partynacht zurechtmachten. Nicht selten war ich ausquartiert worden, wenn auch andere Freundinnen kamen. Britta Maier, Ines Schmidt … und später die endlose Reihe an Verehrern.

Ich spielte mit der Flasche herum, knibbelte an der Folie, um mich zu beschäftigen. Die Aussicht war toll. Diffus und auch beängstigend, da der Blick eben durch die Nebelwand verschluckt wurde und man sich in einem Kokon wähnte. Es gab nichts weiter auf der Welt als diese Limousine. Den grimmigen Fahrer mit seinem orangefarbenen Turban und den glühenden Augen, die mir gefallen hätten, hätte er mich nicht für den Sprung im Glas verantwortlich gemacht.

Zoe und ich. Ein Albtraum. Ich runzelte die Stirn. Ich wollte nicht den Rest meines Lebens ausgerechnet mit meiner Schwester verbringen müssen. Ich schaute zu ihr. Der strohblonde Zopf hing schief an ihrem Hinterkopf. Die Nägel waren angekaut, wodurch die falschen French Nails grotesk wirkten. Ihr Oversized-Shirt mit riesigem Aufdruck hing an der einen Schulter herunter. Ihr knallpinkfarbener BH-Träger blitzte hervor. Ihre Jeans war kaum vorhanden, schließlich waren tiefe Schnitte hineingearbeitet worden, und der Stoff war ausgefranst.

Mir hätte man die Ohren lang gezogen, wäre ich so vor die Tür gegangen.

Zoe spielte an ihrem Handy herum und fluchte. »Hier ist kein Netz. In welches Hinterland steckt Sina uns wohl?« Sie drehte sich um und sah mich an. »Wann sind wir denn da?«

»Weiß ich nicht. Frag den Fahrer.« Das war ein Fehler, denn meine Schwester hämmerte gleich mit den Fäusten gegen die Trennscheibe. »Zoe!« Ich hastete ihr nach und riss sie fort, als die Scheibe herunterfuhr.

»Ma’am, wären Sie so freundlich und nutzen die Gegensprechanlage, anstatt die Einrichtung zu zerstören?«

Ich nickte. Meine Wangen glühten und mir wurde erneut bewusst, dass ich die Flasche Schampus in der Hand hielt.

»Verena will nur wissen, wann wir ankommen werden«, mischte Zoe sich ein. »Und Sie sind ziemlich unfreundlich für einen …«

Ich unterbrach sie mit einem Zischen.

Sie zuckte die Achseln. »Ist doch so!«

»Die Fahrt dauert drei Stunden.« Damit wurde die Trennwand wieder hochgefahren und ich sah mich erneut mit meiner Schwester konfrontiert.

»Was für ein Idiot.« Sie verdrehte die Augen. »Die Fahrt dauert drei Stunden«, äffte sie ihn nach. »Ma’am …«

»Hör auf«, befahl ich fest. »Ich kann nichts dafür, dass wir herkommen mussten.«

»Ha!« Sie stieß mich an. »Du wolltest zu Hause nicht auf mich aufpassen. Ich denke schon, dass es deine Schuld ist, dass ich hier in dieser Dreckskarre mit dir abhängen muss.« Sie griff nach der Flasche. »Nicht mal schönsaufen lässt sich dieser Trip.«

So konnte man es sehen. Allerdings hatte nie zur Debatte gestanden, ob Zoe der Hochzeit ihrer Schwester fernblieb. Nur meine Anwesenheit war rege diskutiert worden. Ich war schließlich nicht Sinas Schwester. Ich war nicht nötig, sondern überflüssig.

Ich nahm einen Schluck aus der Pulle. Verdammt, ja, ich sollte gar nicht hier sein!

»Ja, du bist zu bedauern«, murrte ich. »Du fliegst erster Klasse nach Schottland, verbringst sechzehn Tage in einem Luxus-Resort, um an der Hochzeit deiner Schwester mit einem Adligen teilzunehmen … Oh, arme Zoe, buhu!«

Sie schlug nach mir. »Ich kenne Sina nicht«, blaffte sie. »Sie ist mehr deine als meine Schwester!«

»Da sagen die Gene etwas anderes und: Du hast nichts verpasst.«

Sina hatte mir keine Gute-Nacht-Geschichten vorgelesen oder Puppen mit mir gespielt. Nur zu oft hatte ich vor der geschlossenen Tür zu unserem Zimmer gestanden, weil ich störte.

»Habe ich auch nicht.« Zoe warf sich auf die Bank und verschränkte die Arme vor der Brust. »Es ist scheiße hier!«

Ich atmete tief durch. Weitere hundertfünfzig Minuten plus mit ihr auf engem Raum? Sicherlich brauchte Zoe sich keine Gedanken darum zu machen, an einer unliebsamen Hochzeit teilnehmen zu müssen, denn ich würde sie unter Garantie noch auf dem Weg dahin erschlagen!

Kapitel 1

Zoe sprang aus dem Wagen. Ich hörte sie rufen, ignorierte es aber. Diese Fahrt kostete mich einiges mehr, als eingeplant gewesen war: mein Nervenkostüm und sicherlich meine Freiheit, denn von dem Gedanken, meine Schwester zu erschlagen, war ich bisher nicht abgerückt, auch wenn wir ohne blutigen Zwischenfall endlich am Hotel angekommen waren.

»Zoe, du bist ja groß geworden«, sagte Sina.

Ich stieg widerwillig aus dem Wagen, wobei die Flasche gegen die Tür stieß. Das Geräusch ließ Sina aufsehen und ihr Blick fiel gleich auf das Corpus Delicti.

»Verena.« Sina schüttelte den Kopf. »Danke, dass du Zoe begleitest.« Ihr Blick klebte immer noch am Schampus.

»Dein Vater und meine Mutter schaffen es nicht vor nächster Woche.« Es brachte wohl nichts mehr, die Flasche im Auto verschwinden zu lassen.

»Ja, ich weiß.« Sie sah mir schließlich doch ins Gesicht. »Immerhin habe ich die Chance, etwas Zeit mit meiner Schwester zu verbringen. Kommt, ich zeig euch alles.« Sie legte den Arm um Zoe und wandte sich ab. Sie schritt die Treppe hinauf, ohne sich noch einmal nach mir umzuschauen. Auf meine Gesellschaft verzichtete sie eben gern. Ich folgte, da ich sonst im Nieselregen gestanden hätte.

Die Freitreppe war riesig, das Portal hatte zwei Flügeltüren, die doppelt so hoch waren wie nötig, und dahinter betrat man eine andere Welt. Der Kronleuchter fing meinen Blick ein. Er war im Durchmesser länger als ich und es steckten mehr Kerzenrepliken in ihm, als ich auf die Schnelle zählen konnte. Er beleuchtete den Raum, trotzdem gab es weitere Lampen an den Wänden zwischen den großen Fenstern und auf der holzgetäfelten anderen Seite. Dort führte eine Treppe hinauf in die erste Etage zu einer weiteren doppelflügligen Tür. An deren Seiten hingen zwei überlebensgroße Gemälde, die je einen Mann und eine Frau zeigten, die in historischen Gewändern abgebildet worden waren. Kleinere Bilder hingen an den Wänden. Sie zeigten ebenfalls Personen, die recht stoisch wirkten. Meist hatten sie schwarzes Haar und graue Augen, aber es gab auch einige blonde Damen und brünette Herren.

Ich folgte Sina und Zoe zur Rezeption.

»Greg braucht deinen Ausweis.« Sina deutete zu dem Mann in Uniform, der mich zumindest anlächelte. Ich erwiderte es und wollte nach meiner Tasche greifen, aber die Flasche störte. Ich stellte sie auf dem Tresen ab und holte meine Papiere hervor. Erst, als ich sie hinüberreichen wollte, fiel mir auf, wie es wirken musste. Hitze schoss mir in die Wangen.

»Die ist von Zoe.«

Greg hob die Brauen, sein Lächeln blieb, aber ich konnte mir denken, dass er mich für eine Lügnerin hielt.

»Du bist unmöglich, Verena«, sagte Sina. »Hast du auch Zoes Pass?«

»Nein, sie ist alt genug und …«

Sina wandte mir halb den Rücken zu. »Zoe?«

Unsere Schwester schüttelte den Kopf. »Verena hat ihn.«

Ich sog den Atem ein. Ich hatte ihr den Pass mit dem Flugticket in die Hand gedrückt, als wir in das Flugzeug eingestiegen waren, und ihn danach nicht zurückerhalten.

Sina machte eine auffordernde Geste.

»Ich habe ihn nicht«, wiederholte ich angestrengt ruhig. »Und ich weiß: Ich bin die Ältere, ich habe aufzupassen und es ist meine Schuld, dass ihr Pass nun weg ist.« Es fiel mir schwer, meinen Frust herunterzuschlucken, aber Sina hatte bereits ausgeschlossen, dass ich mit dem Schampus die Wahrheit gesagt haben könnte, und würde auch hier eine Position beziehen, die gegen mich war. Anders kannte ich es nicht. Es interessierte sie auch nicht, dass Zoe ihre Papiere zumindest an der Einreise-Kontrolle hatte vorzeigen können. Wo waren sie danach wohl gelandet?

Sina runzelte die Stirn, als sie mich musterte. »Er muss irgendwo sein.«

»Ja.« Vermutlich auf der Toilette im Flughafen, aber das sprach ich nicht aus, sondern drehte mich um und schaute zur Tür. Unser Gepäck wurde hereingebracht und wartete auf einem Wägelchen auf uns. Es blieb mir wohl nichts anderes übrig, als die Sachen zu durchforsten. Ich stapfte also los, aber in keinem der Koffer fand sich das gesuchte Dokument. Ich leerte meine Handtasche auf dem Fußboden, nur um sicherzugehen, dass ich den Pass nicht doch geistesabwesend entgegengenommen und verstaut hatte. Aber da war nichts. Dann musste ich mein Versagen wohl eingestehen. Ich schlich zurück zu den Schwestern und schüttelte den Kopf.

»Na herrlich.« Sina bat Greg, mit Mrs McDermitt sprechen zu können. »Das wird nun schwierig, Verena. Ohne Papiere kann Zoe nicht einchecken.«

»Das tut mir leid, ich habe nicht aufgepasst.« Und sollte es auch nicht müssen. Meine Stirn spannte und ich rieb darüber. »Vermutlich liegt er irgendwo auf dem Flughafen. Ich frage nach.«

»Auf seine Papiere sollte man aufpassen«, sagte Sina mit mahnendem Unterton.

Ich zog meinen Pass vom Tresen und hob ihn in die Höhe, damit er Sina ins Auge fallen musste. Ich passte auf meine Sachen auf! »Zoe ist fünfzehn, nicht fünf.«

»Und was jetzt?«, fragte die sonnig und feixte. »Muss ich nach Hause?«

»Ohne Papiere gehst du nirgendwohin.« So dumm konnte nicht einmal sie sein. »Schon gar nicht über die Grenze.«

Zoe verzog die Lippen. »Dann finde ihn besser!«

Ich wollte mich nicht mit ihr streiten und hob die Hände. »Ich setze mich gleich dran, das Teil zu finden, keine Sorge.« Immerhin würde es mir nicht schwerfallen, mich mit den Einheimischen herumzuschlagen, mein Englisch war auf Muttersprachenniveau und ich hatte bereits ein Jahr in den USA verbracht – als Au-pair, was ich mir selbst nie glaubte, wenn ich mit Zoe zu tun hatte. »Der Ärger tut mir leid.«

Sinas Stirnrunzeln vertiefte sich, aber sie sagte nichts dazu.

»Ich kümmere mich darum«, wiederholte ich, da sie mich immer noch ärgerlich anstarrte.

Hinter der Rezeption öffnete sich die Glastür mit der Aufschrift Privat und Liny kam hervor. Sie war anders, als ich sie in Erinnerung hatte. Älter, was kein Wunder sein sollte, aber sie glich auch meiner Schwester, die in ihrem Kostüm overdressed wirkte. Offenbar hatte ich hier den falschen Blickwinkel und ich war zu leger gekleidet.

Linys braune Haare steckten in einem strengen Knoten und sie schaute mich mit einem strahlenden Lächeln an. Es verunsicherte mich, schließlich bekam ich sonst eher die verkniffenen Mienen ab. »Verena Knappe, wow, du bist erwachsen geworden.«

»Liny, hallo.« Ich zwang mich zu einem Lächeln.

»Und das ist Zoe?« Ihr Blick glitt zu meiner Schwester. Zoe stieß – meiner Meinung nach völlig absichtlich – die Sektflasche an, die nicht mehr sicher auf dem Tresen stand – ich war der Meinung, sie mittig platziert zu haben, aber nun kippte sie um, und ihr restlicher Inhalt ergoss sich über ein dickes Buch. Ich blinzelte und hob erschrocken den Blick.

Greg fluchte und versuchte, den Schaden zu minimieren, indem er alles Elektronische zur Seite schob. Sinas giftiger Blick durchbohrte mich, dabei hatte ich nichts getan!

»Du hast dich nicht geändert, was?« Sina schüttelte den Kopf. »Das Durcheinander tut mir leid, Carolina.« Sie seufzte. »Damit hätten wir rechnen sollen.«

Dass ich Chaos stiftete? War das jetzt ein Witz?

»Zoes Pass ist verschwunden.« Sie hob die Brauen, während ihr Blick mit Ressentiment über mich glitt. »Natürlich.«

Liny prustete und zwinkerte mir zu. »Natürlich. Willkommen auf Farquhar. Ich kümmere mich um die Formalitäten.«

»Danke«, murrte ich. Zur Belustigung der beiden hatte ich immer schon herhalten dürfen. Schön, dass sich da auch nach mehr als zehn Jahren nichts geändert hatte.

»Wir sehen uns zum Dinner?« Die Frage richtete sich wieder an Sina, die mit einem tiefen Seufzen nickte. »Gut. Dann bis später. Genießt eure Schwesternzeit!«

Mir wäre um ein Haar ein Prusten entwichen. Ich war mir recht sicher, dass wir drei dasselbe dachten: Darauf kann ich dankend verzichten!

»Dann zeige ich euch erst einmal die Suite.« Sina bugsierte mich vorwärts, während sie Zoe den anderen Arm um die Schultern legte. »Wie war euer Flug?«

»Langweilig«, stellte Zoe fest. »Gibt es hier keinen Empfang?«

»Wir haben ein gutes WLAN, oben könnt ihr euch einloggen. Ich dachte mir, dass wir uns heute einen ruhigen Nachmittag gönnen, und morgen zeige ich euch die Gegend.«

»Ist das hier das Kaff, in dem du Prinzessin spielst?«, fragte Zoe.

»Das ist Linys Hotel«, korrigierte ich. Schließlich hatte ich ihr dies bereits gesagt.

»Richtig, Farquhar gehört Liny und Lachlan. Kin House ist … im Norden, aber dort will man nicht feiern.«

»Schlimmer als hier kann es kaum kommen«, murmelte Zoe. Man sah ihr an, dass sie von dem Ambiente keineswegs angetan war. »Was ist das, ein Museum?«

»Hier haben schon Generationen von McDermitts gelebt«, erklärte Sina. »Ursprünglich war das Schloss Anfang des achtzehnten Jahrhunderts für Natalia McDermitt umgebaut worden. Sheamus McDermitt machte daraus ein Lustschlösschen und seither geht es als Hochzeitsgeschenk an den Erstgeborenen des Duke of Skye.«

»Na, da bekommt man einen ganz schönen Klotz ans Bein gebunden.« Zoe schaute sich verdrießlich um.

Ich behielt meine Meinung für mich, schließlich interessierte sich niemand dafür, dass ich alten Gebäuden und deren Historie einiges abgewinnen konnte. Die Decke lag hoch und war verziert. Stuck in einer Herzgirlande, wenn ich das richtig sah. Wie süß. »Ihr Mann ist ein Duke?«

»Nein, ihr Schwager ist der Duke. In dieser Generation läuft einiges anders.« Sina kicherte. »Zu viel deutsches Blut.«

Das klang diskriminierend. »Aha.«

Der Gang war endlos und Zoe beschwerte sich ausgiebig. Wir kamen an einem Restaurant vorbei. Dann an einer Bar.

»Können wir uns darauf einigen, dass du dich am Riemen reißt?«

Sinas Worte schreckten mich auf und ich riss den Blick von dem modernen Ambiente der Hausbar los, die in einem warmen Rotbraun gehalten war. Dunkles Leder und blitzendes Chrom, wohin man sah. Ich schaute zu Sina zurück und bemerkte, dass sie tatsächlich mich meinte. »Wie bitte?«

»Keine Saufgelage und keine springenden Billardkugeln.« Sina hob bedeutend die Brauen. »Liny mag ihr Hotel, wie es ist, und plant keine Grundrenovierung, sobald du wieder abgereist bist.«

Ich klappte den Mund zu. Aha.

»Ansonsten stehen euch die Einrichtungen zur Verfügung. Ein Fitnessbereich, ein Schwimmbad, eine Saunalandschaft …«

»Cool.« Zoe grinste. »Und die Bar.«

Sina runzelte die Stirn. »Wie gesagt, ich brauche keine Hochzeit, von der man sich noch in den nächsten zwanzig Jahren berichten wird.«

Der Hinweis irritierte mich, aber ich hielt meine Neugierde in Schach.

Zoe lachte unbeschwert.

»Versprichst du mir, keinen Eklat zu provozieren?« Die Frage war erneut an mich gerichtet, und ich presste die Lippen aufeinander. Nicht zu fassen, dass sie mir meine kindlichen Dummheiten immer noch vorhielt.

»Ich war sieben, Sina, und konnte nicht wissen, dass ihr Alkohol trinkt anstelle von Kirschsaft.« Natürlich hatte ich nichts an der Bowle zu suchen gehabt, die meine Mutter für Sinas achtzehnten Geburtstag vorbereitet hatte.

Zoe kicherte immer noch, als wir am Fahrstuhl anlangten.

»Versprich mir einfach, nachzudenken, bevor du handelst«, beharrte Sina.

Solange ich nicht versprechen musste, auf Zoe achtzugeben! Ich zuckte die Achseln. »Mache ich.«

»Gut.« Sina seufzte. »Wir haben die Suite 203 mit einem großen Wohnbereich und sechs Schlafzimmern. Wir müssen im zweiten Stock nach rechts. Iona ist oben. Sie ist Islays Schwester, aber sprecht sie nicht darauf an.«

Wir betraten den Lift.

»Warum nicht?«, fragte Zoe.

Ich hätte Sina warnen können, dass sie kritische Informationen besser für sich behielt. Aber es war nicht meine Aufgabe, ihr Leben zu erleichtern.

»Sagen wir, die Verwandtschaft ist eher aufgedrängt.« Sina warf mir einen Blick zu. Oh ja, unsere Verwandtschaft war ganz sicher aufgedrängt! Danke für die Erinnerung. Ich atmete tief durch.

»Und sie mag ihn nicht?« Zoe grinste breit. »Das kommt mir bekannt vor.«

»Iona liebt Islay«, korrigierte Sina.

Zoe lachte schallend, was in dem engen Raum nicht besonders angenehm war. »Das wird lustig!«

»Als Bruder?«, fragte ich, nur um es richtiggestellt zu bekommen. Ich wusste nicht viel über Sinas Leben, aber ihr Vater kannte eben nur wenige andere Gesprächsthemen als seine erfolgreiche große Tochter, und somit bekam ich eben doch hin und wieder etwas mit. Iona war Sinas Assistentin in ihrer Hochzeitsagentur, Islay ihr Bräutigam, Viscount Irgendwas, Erbe des Earls Irgendwasanderes.

»Ja.« Sina runzelte die Stirn. »Natürlich.«

»Hm.« Ich nickte und machte ein Gesicht, als hielte ich meine eigene Frage für idiotisch. Mein Spiegelbild in der verchromten Oberfläche der Fahrstuhltür bewies dies deutlich.

»Na, wer weiß. Ich bin gespannt auf deinen Fang.« Zoe feixte. »Auf den Bildern sieht er voll jung aus.«

Das dachte ich mir zwar auch, fand es aber gleichzeitig frech, es aufzugreifen. Ich biss mir auf die Lippe und schaute weiterhin an die Tür. In der Spiegelung bekam ich mit, wie Sina die Fassung verlor und Zoe überrascht ansah.

»Er ist sechsundzwanzig«, stellte sie fest. »Das ist nicht so jung.«

»Verena ist zweiundzwanzig und passt viel besser zu ihm. Nicht wahr?« Sie stieß mich an. »Und du stehst auf blonde Typen.«

Sina lachte schrill. Zum Glück ging die Tür auf und ich stürzte hinaus. Unsere Schwester war keine Hilfe, die ohnehin angespannte Beziehung zwischen Sina und mir zu kitten. Aber ich hatte auch nicht wirklich erwartet, dass wir uns irgendwann tatsächlich als Familie sahen.

»Ihr Letzter war Polizist und …« Zoe pfiff. »Durchtrainiert. Islay ist dann wohl ganz ihr Fall.«

Ich horchte auf, denn eigentlich sollte Zoe dieses Detail gar nicht wissen. Sie kannte meinen Ex nicht und konnte ihn maximal gesehen haben, wenn er mich abgeholt hatte. Da ich ihm aber verboten hatte zu klingeln, konnte Zoe uns nur aus dem Fenster heraus beobachtet haben. Also eine schlichte Vermutung? Denn Bilder hatte ich von Helge auch nicht aufgestellt.

»Aha«, machte Sina, und ich konnte mir denken, was durch ihren Kopf schoss. Die nächste Warnung konnte sie sich sparen. Ich würde freiwillig einen Bogen um … Die Tür zur Suite Nummer 203 ging auf, als ich die Klinke hinunterdrücken wollte, und ich stolperte vorwärts. Direkt in die Arme eines blonden Typen, der eine breite Brust besaß – an der ich landete – und verdammt gut roch.

»Daingead«, brummte er und schob mich von sich. »Deine Schwester?« Er musterte mich aus blaugrünen, zusammengekniffenen Augen.

»Verena«, krächzte ich. »Sorry.«

»Ja«, bestätigte Sina. Sie trat an mir vorbei und legte dem Hünen die Hände auf die Brust. Sie musste sich strecken, um ihm einen Kuss auf den Mund zu drücken.

Es war Islay, wie ich bereits wusste, trotzdem stellte sie ihn vor.

»Das sind Verena und unsere kleine Schwester Zoe.«

Unser Bindeglied feixte. »Sagte ich es nicht?« Sie goss noch Öl ins Feuer und wusste es bestimmt. Zoe war ein typischer Widder, ging mit dem Kopf durch die Wand und liebte es, ihre Kräfte mit ihrem Umfeld zu messen. Für mich war es zu anstrengend. Ich brauchte Ruhe und Harmonie. »Verena ist schon auf der Jagd.«

»Unsinn«, murrte ich. »Das war ein Versehen.«

»Natürlich.« Zoe lachte und warf sich an Islays Hals. »Hallo! Du bist wirklich riesig.«

Islay nahm Farbe an und suchte Sinas Blick. »Hallo …«

»Ich zeige euch eure Zimmer.« Sie deutete den Gang hinunter, der links aus dem Wohnbereich hinausführte, in dem wir standen. Mir blieb keine Zeit, mich genauer umzusehen. »Papa und Sybille haben das Zimmer am Ende des Gangs.« Sie zeigte geradeaus, dann auf die hintere der beiden Türen zur Rechten. »Dann kommt Zoes, und das hier ist deines, Verena.« Sie schob die Tür auf und deutete hinein. »Wenn Tante Kerstin doch noch zusagt, musst du allerdings bei Zoe schlafen.«

Na herrlich. Ich nickte und trat in das Zimmer. Ein breites Bett, eine Kommode und ein Kleiderschrank, der in die Wand integriert war. Alles hell und mit abgerundeten Ecken. Nett, wenn auch nicht großartig. »Danke.«

»Ich zeige Zoe ihr Zimmer.« Sina schob die Schwester weiter. Mir war es recht. Ich ließ mich auf das Bett fallen und legte den Arm über mein Gesicht. Immerhin war ich die Verantwortung los. Ach nee. Den Pass musste ich noch finden. Trotzdem gönnte ich mir einen Augenblick. Sinas Stimme und Zoes Gelächter wehten zu mir herüber.

»Du bist also Verena?«, fragte eine weibliche Stimme. Ich schreckte auf und sprang aus dem Bett. An der Tür lehnte eine Kopie von Sina. Blond, blauäugig, das Haar zu einer Banane aufgedreht, und selbst Rock und Bluse wirkten identisch. Sie musterte mich ebenfalls und streckte dann die Hand aus. »Iona.«

»Aha.« Ich trat auf sie zu und schüttelte die Hand.

»Du bist die Nicht-Schwester.« Sie zwinkerte mir zu. »Ich bin auch eine.«

»Wenn ich das richtig verstehe, ist Sinas Nicht-Schwester Zoe. Ich bin … nichts.« Zumindest, wenn man den direkten Vergleich zog.

Iona kicherte. »Stimmt. Aber Zoe ist ein Kind und mit dir kann ich die Nächte an der Bar verbringen.« Sie grinste. »Nur, um die Geschwister auf die Palme zu bringen. Du verstehst schon.«

»Tja, das hat man mir bereits verboten.«

Sie lachte und schüttelte den Kopf. »Na herrlich!«

»Iona, konspirierst du schon wieder gegen mich?«, brummte Islay vom Flur her. »Ich dachte, wir wären uns einig.«

Iona lehnte sich zurück, um in den Gang zu schauen, während sie immer noch im Türrahmen stand. »Du warst dir einig. Ich wurde nicht gefragt, nur informiert.«

So war es mir auch ergangen. »Vielleicht bin ich doch das passende Gegenstück«, murmelte ich. Immerhin bekam ich stets Vorhaltungen zu hören.

»Sina braucht keinen Ärger.« Islay tauchte in meiner Tür auf. Er warf mir einen Blick zu, der dann wieder zu Iona sprang. »Bitte?«

Iona schnaubte. »Also, wie wäre es mit einer Tour durch das wunderschöne Farquhar?« Sie bedeutete mir, ihr zu folgen, und schob Islay aus dem Weg.

»Ich glaube, Sina möchte selbst mit den beiden …«

»Nicht mit mir«, unterbrach ich ihn. »Zoe ist ihre Schwester. Ich bin nur hier, weil ihr Vater nicht früher freinehmen wollte.« Ich zuckte die Achseln. »Was gibt es zu sehen?« Ich vergewisserte mich, dass meine Handtasche an Ort und Stelle hing, und folgte Iona in den Flur.

»Das Schloss.« Iona hielt mir die Tür auf, damit wir die Suite verlassen konnten. »Wir sind zum Dinner pünktlich drüben.« Damit griff sie nach meiner Hand und zog mich mit sich. »Hast du ein Glück, dass dein Zimmer im anderen Flur liegt. Kein Mensch will den beiden beim Kopulieren zuhören.« Sie zwinkerte mir zu.

»Echt? Ist sie nicht schwanger?« Oder hatte ich das falsch verstanden?

»Dadurch wird man ja nicht reizlos.« Sie zwinkerte wieder und rief den Lift. »So, du bist also die nervige Tochter der Stiefmutter.«

»So hätte ich mich nicht beschrieben.« Allerdings wunderte mich Sinas Einschätzung nicht, auch wenn sie mich traf. »Ich bin nicht nervig.«

»Bibi Blocksberg zum Einschlafen.« Iona grinste belustigt und ich schnaufte verdrossen.

»Ich war zehn, als sie auszog. Ja, ich mochte Hörspiele, und ja, sie musste sie mithören. Dafür machte ich meine Hausaufgaben unter Berieselung von Tokio Hotel!«

»Schlimm?«, fragte Iona und verengte die Augen. »Ich machte meine Hausaufgaben am Küchentisch, während meine Mutter bei Sara King mitsang.«

Fand ich jetzt nicht tragisch, es sei denn, die Mutter klang wie eine Katze in der Waschtrommel. »Hör sie dir an und bilde dir selbst eine Meinung. Ich kann nicht durch den Regen laufen, ohne einen Ohrwurm zu haben.«

»Hm.« Die Tür glitt auf und wir stiegen ein. »Auf der Gästeliste stehen einige Freunde, die mir nichts sagen. Es kommt Sina nie jemand aus Deutschland besuchen. Nicht einmal ihre Schwester oder ihr Vater.«

»Mark ist zu beschäftigt.« Ich hatte nicht vor, ihn zu entschuldigen. Er sollte seine Gründe fein selbst darlegen, denn zu beschäftigt war eine böse Ausrede – fand ich.

»Und Zoe? Sie ist alt genug, um allein zu reisen.«

»Ha!« Witzig. »Ihr Pass ist verschwunden. Sie hatte ihn zur Passkontrolle und gerade war er nicht mehr auffindbar. Sie kommt eben nicht allein klar. Deswegen musste ich ja mit.« Zugegeben, es wäre kein Drama, ein paar Tage in diesem Schloss zu verbringen, wenn ich nicht auf Zoe achten müsste. Allerdings hatte ich auch nicht vor, mir das Leben schwer zu machen. Hier konnte Sina ein Auge auf sie haben.

»Wundervoll.« Iona lachte. Die Tür ging auf und sie bedeutete mir, ihr zu folgen. »Hier ist der Fitness-Bereich.« Sie öffnete die Tür. »Es gibt einige Laufbänder und Fahrräder in einem separaten Raum nur für Frauen. Der hier ist für Männlein, Weiblein und Diverse.«

Es gab neben den benannten Sportgeräten noch eine Hantelbank, eine Schmetterlingsbank für die Rückenmuskulatur und eine Rudermaschine.

»Nebenan geht es zum Schwimmbereich.« Sie setzte sich wieder in Bewegung und öffnete eine weitere Tür. »Hier sind die Umkleidekabinen und auf der anderen Seite geht es zum Becken.« Gegenüber zeigte ein Schild in großen Lettern an, dass wir eine Wohlfühloase betreten würden. »Lust auf Fleischbeschau? Allerdings ist das Hotel derzeit nicht ausgelastet und wir könnten Pech haben und allein dort sitzen.« Iona zwinkerte.

»Wäre mir recht«, murmelte ich. »Aber du hast sicherlich Besseres zu tun.« Ich deutete auf ihren Aufzug. »Du wirst nicht zufällig als Sinas Zwilling herumlaufen.«

»Tatsächlich arbeite ich.« Sie zuckte die Achseln. »Aber die Vorbereitungen laufen zur Abwechslung mal von selbst und ich habe so gesehen frei, um die Familie kennenzulernen. Warum also nicht in der Sauna?«

Was für ein Angebot. »Okay.«

Kaum hatten wir den Wellness-Bereich betreten, trat uns eine Angestellte des Hotels entgegen und begrüßte uns mit den Namen. Ich war erschrocken, schließlich war ich zum ersten Mal hier und hatte gerade erst eingecheckt. Immerhin kannte sie meine Schuhgröße nicht, was mich etwas beruhigte. Zwar war ich mit Dauerüberwachung der Medien aufgewachsen, trotzdem fand ich es befremdlich, wenn ich einen Ort betrat und man mir meine Lieblingsschokolade unter die Nase hielt.

Es gab drei Saunen. Eine Dampfsauna, eine mit sechzig Grad und eine, deren Temperatur bei achtzig Grad lag. Ich bat um die mittlere. »Auf nüchternen Magen sollte ich es hier nicht übertreiben. Fürs Frühstück reichte die Zeit nicht und Mittagessen mit Zoe …« Mein Gewissen ließ mich verstummen. Ich sollte nicht schlecht über meine Schwester sprechen.

»Versteht ihr euch nicht?«, fragte Iona, als wir uns auf die Bänke setzten.

»Wir sind grundverschieden.« Das galt auch für Sina und mich.

»Das muss nicht schlecht sein.« Iona streckte die Schultern und schloss die Augen.

»Dann bin ich nicht gesellschaftskompatibel.« Oder strengte mich nicht genug an, wie mir Mark ständig vorhielt.

Iona lachte. »Oh, das bin ich auch nicht. Ich stoße mein Umfeld gern vor den Kopf, bin herrisch und arrogant.« Sie verdrehte die Augen. »Islay ist introvertiert, hat absolut kein Verständnis für irgendetwas und bekommt nicht einmal eine halbwegs glaubbare Entschuldigung hin. Wer also ist schon gesellschaftskompatibel

»Sina.« Da brauchte ich nun nicht lange zu überlegen. »Sie kommt mit jedem klar, macht Karriere und heiratet auch noch einen Adligen.« Ich runzelte die Stirn. »Ich wette, in drei Tagen hat sie Zoe gezähmt, was ich mir dann für den Rest meines Lebens anhören muss.« Da war mein Stiefvater leider gnadenlos. Na, Sina kam nach ihm, schließlich holte sie die alten Kamellen raus und warf mir vor, dass ich ihren achtzehnten Geburtstag gecrasht hatte, weil ich mit einer Alkoholvergiftung ins Krankenhaus gebracht werden musste. Seither konnte ich keinen Kirschsaft mehr trinken, ohne dass mir übel wurde. Bowle war seltsamerweise kein Problem.

»Ist sie so schlimm? Entschuldige, wenn ich es anspreche, aber es hörte sich an, als wärst du das schwarze Schaf.« Iona rollte den Kopf. »Das tut gut. Eine Massage wäre das i-Tüpfelchen.«

»Mach dir selbst ein Bild«, sagte ich. »Ich halte mich für ein Lämmchen.«

Iona kicherte. »Ja, ich denke auch, dass ich ein liebes, nettes Ding bin, das es verdient hat, gut behandelt zu werden.«

Ich biss mir auf die Lippe, konnte meine Neugierde aber nicht im Zaum halten. »Behandelt Islay dich schlecht?«

Sie legte den Kopf schräg. »Er ließ mich jahrelang im Unwissen darüber, dass er mein Bruder ist. Im Allgemeinen hält man mich für nachtragend und ungerecht und behauptet, ich übertreibe.« Sie zuckte die Achseln. »Dabei bin ich der Ansicht, dass er es mir hätte sagen müssen. Ich fühle mich von ihm belogen und hintergangen.«

Ich nickte nachdenklich. »Das wird eine spannende Hochzeit, hm?«, fragte ich leise. »Mit lauter unerwünschten Gästen.«

»Oh, ich bin durchaus gewollt, das hat Islay mehrfach betont. Täglich.« Sie schnaubte verdrossen. »Du wirst es hören. Er ist sehr froh, dass ich Sina unterstütze und nicht einfach alles liegen lasse, um Ewan zu folgen.« Sie klang angespannt, sofern ich das nach der kurzen Bekanntschaft sagen konnte. Da lag offenbar einiges in der Luft und es beruhigte mich doch etwas, dass nicht nur ich Probleme mit meiner Verwandtschaft hatte.

»Und Ewan ist …?«, fragte ich, da es unverfänglicher war, als weiter über familiäre Schwierigkeiten zu lamentieren.

»Islays Cousin.« Iona feixte und zwinkerte mir zu. »Und das komplette Gegenteil von ihm.«

»Klingt nett.« Obwohl ich mir nicht wirklich etwas darunter vorstellen konnte.

Iona seufzte wieder und lehnte sich zurück. »Und bei dir? Ich kenne einige Singles, solltest du Interesse an einer schottischen Affäre haben.«

»Es wäre eine kurze Affäre. In sechzehn Tagen geht mein Flug zurück.« Und der Typ müsste mich schon umhauen, damit in so kurzer Zeit tatsächlich etwas lief.

»Ich glaube, generell haben die Herren damit kein Problem.« Iona lachte und stand auf. »So, abbrausen und ausruhen.«

Ich folgte ihr. »Ich leider schon«, behielt ich das Thema bei, damit ich nicht mit Kerlen zugeschüttet wurde, mit denen ich eh nichts anfangen konnte. »Ich verzichte lieber auf die schottische Affäre, so reizvoll es klingt.«

Iona lachte wieder. »Wie du meinst, ich stelle dir Stephen trotzdem vor.«

War ja klar. Das Stöhnen verkniff ich mir. Es wurde zu einem erschrockenen Schrei, da Iona den Eiskübel über mir leerte, den ich nicht einmal bemerkt hatte.

»Abgekühlt?«

»Wow, du wirst dich wundervoll mit Zoe verstehen«, grummelte ich. »Ich sehe da deutliche Parallelen.« Ich schnappte mir mein Handtuch, um mich trocken zu rubbeln.

»Ich gestehe, ich konnte nicht widerstehen.« Iona schob mich zu den Ruhebänken. »Die sind beheizt, dir wird also schnell wieder warm.«