Kapitel 1
An jenem Morgen jagte ein eisiger Nordwind über die Barentssee.
In diesem Teil der Erde gab es fast nur Wasser und Himmel und dazwischen lag eine karge, schneebedeckte Insel. Eine Seemöwe segelte unter den tiefhängenden Wolken. Nervös folgte sie der Küstenlinie. Die Gezeiten pressten die ersten Eisschollen an das felsige Ufer und das Tier wusste instinktiv, dass der Winter unaufhaltsam auf dem Vormarsch war.
Eine scheinbar immerwährende Finsternis würde diesen Ort in Kürze vollends verschlucken, um ihn dann im Frühjahr, zusammen mit den ersten Sonnenstrahlen, wieder auszuspucken. Doch das war es nicht, was den Vogel beunruhigte; die Möwe verfolgte zwei winzige Gestalten oben auf der Steilküste, die hier fast hundert Meter hoch aus dem aufgepeitschten Meer ragte. Sie sorgte sich um ihre Jungen, die in einer Felsnische auf sie warteten.
Die Punkte standen beinahe still. Sie kamen nur langsam gegen den Wind an. Zwei Männer auf Skiern, am oberen Rand der Klippe; dort, wo der steile Fels in eine flache Ebene überging.
Der hintere der beiden überragte den Vorläufer um beinahe eine Kopflänge. Er trug einen schwarzen Schneeanzug und ein paar Strähnen dünnes, blondes Haar lugten unter der Mütze hervor. Auf dem breiten Rücken trug er ein Gewehr.
Einem intelligenteren Betrachter als einer Seemöwe wäre aufgefallen, dass insbesondere der kleinere Mann mit der Witterung zu kämpfen hatte.
Zwischen den beiden lagen über zwanzig Meter. Als der Nachzügler stehen blieb und ein abgegriffenes Blatt Papier aus seiner Tasche zog, zitterte seine Oberlippe kaum merklich. Er hatte den Brief schon mehrmals gelesen. Auch jetzt stieg wieder eine tiefe Niedergeschlagenheit in ihm auf. Er blickte dem anderen nach, der sich vor ihm durch den Schnee mühte. Seine Bewegungen waren unregelmäßig. Immer wieder wirkte es, als ob er ausrutschen und dabei das Gewehr verlieren könnte, das auf seiner Schulter schaukelte.
Der Größere schnaubte, sah erneut auf die Notiz in seiner behandschuhten Hand. Dann wischte er sich über das orangefarbene Plastik seiner Skibrille und steckte den Brief in die Jackentasche.
Die Traurigkeit flaute ab und Zorn ersetzte sie.
Er hörte sein Blut in den Ohren rauschen, so laut, dass es sogar das Heulen des Windes übertönte. Plötzlich blieb der Vorläufer ebenfalls stehen und drehte sich zu ihm um.
Mit zusammengekniffenen Augen sah der Hintere auf die Figur vor sich. Immer wieder verschwand der Winzling hinter einem weißen Vorhang aus Schnee, den der Wind fast waagrecht über die Klippen blies.
Was ist er doch für ein armseliger Kerl.
Doch dann stellte der Nachzügler erstaunt fest, dass die Hand des anderen auf dem Kolben seiner Waffe zu ruhen schien.
Das Jaulen des Windes drang nun kaum noch zu ihm durch. Auch spürte er die schneidenden Eispartikel nicht mehr, die auf die unbedeckte Haut um seinen Mund schlugen. Seine Augen waren nur noch zwei dünne Schlitze hinter gefärbtem Plastik.
Langsam ließ er den Riemen seines Gewehrs nach unten gleiten, legte die Stütze vorsichtig an seine Schulter.
Über ihm, und für den Mann durch das Wetter nicht auszumachen, hatte der Vogel bereits abgedreht.
***
Nicht viel später, auf dem norwegischen Festland, saß eine Frau mittleren Alters vor einem Funkgerät.
Eine grüne Lampe blinkte auf.
Plötzlich war ein abgerissenes Rauschen aus dem Lautsprecher zu hören. Dann ein Knacken.
Schließlich eine gedämpfte Frauenstimme: „Mayday. Mayday.“
Erneut ertönte ein Knirschen, dann wieder atmosphärisches Rauschen aus dem Funkgerät.
Anita Hansen, die wachhabende Funkerin des Küstenradios Nord-Norwegen, drehte sich um und nahm ihren Kopfhörer auf. Die Station war für die Überwachung des maritimen Funkverkehrs und die Koordinierung von Rettungseinsätzen auf Schiffen und Bohrinseln in der Region verantwortlich. Trotz des rauen Wetters war es an diesem Abend ihr erster Notruf. Sie drückte auf einen viereckigen roten Knopf und sprach langsam und deutlich in das Mikrofon: „Hier spricht das Küstenradio Nord-Norwegen, Station Tromsø. Wir empfangen Sie. Was ist Ihre Position und wer meldet den Notfall? Over.“
Routiniert öffnete sie eine detaillierte Karte der Seegebiete, für die die Station zuständig war – die nördliche Norwegische See, bestehend aus dem Nordatlantik und der Barentssee. Gebiete, die immerwährend den zügellosen Naturgewalten ausgesetzt waren.
Sie wartete auf eine Antwort.
Auf dem Bildschirm war auch das Wetter eingeblendet. Eine Sturmfront hatte die gesamte Nordwestküste Norwegens, von Ålesund bis zum Nordkap, fest im Griff. Die Windgeschwindigkeiten wurden mit Windstärke 11 angezeigt. Anita wusste, dass sie es mit einem orkanartigen Sturm zu tun hatten. Mittlerweile wurde das gesamte Seegebiet in ihrem Zuständigkeitsbereich wegen der Wetterlage als Risikogebiet eingestuft. Folglich waren die Rettungskräfte in generelle Alarmbereitschaft versetzt und die Öffentlichkeit gewarnt worden. Anita hoffte inständig, dass der Notruf nicht aus diesem unheilvollen Wettergebiet kam.
Sie biss sich auf die Lippe, prüfte mit einem Blick den Empfang der Funkanlage. Mit dem System war alles in Ordnung, doch aus dem Lautsprecher kam weiterhin nur ein Rauschen. Sie klopfte mit dem Zeigefinger dagegen. Nichts. Anita atmete tief ein, wippte den Kugelschreiber zwischen Zeige- und Ringfinger, sah schließlich auf die Uhr an der Wand und trug in den Notfallrapport auf dem Tisch vor sich Uhrzeit und Datum ein: 22:12 Uhr, 11. Oktober 2010.
Erneut betätigte sie den Mikrofonknopf und wiederholte ihre Nachricht, doch auch dieses Mal blieb eine Reaktion aus.
Anita nahm das Telefon auf. Sie musste die Station in Bodø anrufen, um zu prüfen, ob die Kollegen den Notruf ebenfalls erhalten hatten. Möglich, dass sie dort, mehrere hundert Kilometer weiter im Süden, besseren Empfang hatten. Es klingelte, aber noch bevor ein Operator abnehmen konnte, ertönte plötzlich erneut die Frauenstimme aus dem Lautsprecher des Funkgerätes: „Hier spricht die Wetterstation Herwighamna auf Bjørnøya. Wir brauchen Hilfe!“
Anita neigte verwundert den Kopf und setzte sich den Kopfhörer wieder auf. Sie hatte erwartet, dass der Notruf von einem Schiff oder einer Bohrinsel stammte. „Hier Küstenradio. Herwighamna, wir können Sie hören. Bitte beschreiben Sie die Art des Notfalls. Over.“
Erneutes Knacken und Rauschen.
Anita griff nach dem Notizzettel und schrieb Bjørnøya, Wetterstation in den Kasten, der für die Position des Notrufes vorgesehen war.
Der Lautsprecher erwachte wieder zum Leben.
„Ich werde angegriffen. Verdammt, ich werde sterben, wenn Sie nicht schnell Hilfe schicken …“, erklang die Stimme.
Anitas Augen weiteten sich hinter ihrer Brille. Ihre Finger, die den Kugelschreiber hielten, zitterten plötzlich. „Wetterstation Herwighamna, bitte wiederholen Sie. Wer greift Sie an? Over.“ Sie hatte schon viele schreckliche Situationen auf See erlebt, aber noch niemals solch einen Funkspruch. Die Angst in der Stimme der Frau war nicht zu überhören.
Bjørnøya – Anita Hansen wusste nicht viel über die felsige Insel im Nordmeer. Nur, dass es dort mehr wilde Tiere als Menschen gab. Vor ihrem geistigen Auge sah sie einen Eisbären, der an der Scheibe der Wetterstation kratzte.
Das Rauschen stoppte und wurde abermals durch die erregte Frauenstimme abgelöst: „Schicken Sie Hilfe … Verdammt!“
Etwas wie ein Aufschrei war zu hören. Dann brach die Übertragung endgültig ab.
Kapitel 2
Am Abend hatte der Sturm über Sør-Varanger, der Gemeinde am nördlichsten Zipfel Norwegens, sich vorübergehend gelegt.
Auch hier trug er Schnee mit sich, der auf die dunkle, eisige Wildnis der Finnmark herabfiel. Immer wieder hob der Luftstrom die zusammengefrorenen Eiskristalle auf, nur um sie einen Moment später abermals loszulassen.
Ein Windstoß änderte die Bahn einer Schneeflocke, die von der Barentssee über das Land geweht worden war, und ließ sie auf die winzigen Lichter einer Stadt zufliegen – die nächtlichen Schimmer von Kirkenes.
Zu guter Letzt schwebte die Flocke in ein Wohnviertel und näherte sich gemächlich dem trüben Lichtkegel einer Straßenlaterne.
Die Laterne beleuchtete die Einfahrt und die Veranda eines gelben Holzhauses. In der Auffahrt stand ein älteres Modell, ein grüner Audi 80.
Die Flocke landete sanft auf der Windschutzscheibe des Autos, auf der sich bereits eine Schicht feinkörnigen Schnees abgelagert hatte.
Von draußen war es kaum zu erkennen, doch hinter dem Steuer saß eine Person. Der Mann musste eine ganze Weile dort verbracht haben, denn die Fußabdrücke im Schnee, die von der Veranda des Wohnhauses zu dem Fahrzeug führten, waren vom Wind längst verwischt worden.
Der Mann auf dem Fahrersitz trug einen selbstgestrickten, abgetragenen Wollpullover mit dem typischen Norweger-Muster. Aus seinem Mund entwich mit jedem Atemstoß eine Dampfwolke, die an der Windschutzscheibe kondensierte und zu einer dünnen Eisschicht gefror. Es war still im Auto; nur gelegentlich stieß der Insasse einen leisen Seufzer aus. Er zitterte. Doch anstatt ins Haus zu gehen, um sich aufzuwärmen, nahm er einen tiefen Schluck aus einer Flasche.
Der Alkohol schien die gewünschte Wirkung zu erzielen und der Mann entspannte sich etwas. Er ließ seinen Kopf gegen die Nackenstütze fallen und fuhr sich mit der Zunge über die aufgesprungenen Lippen, schmeckte den scharfen Wodka darauf. Dann wischte er sich mit dem Ärmel über das bärtige Kinn. Er erinnerte sich nicht, wann er sich das letzte Mal rasiert hatte; früher hatte er das täglich getan. Kari hatte es gefallen, sie hatte sich an den Stoppeln gestört. Wobei „früher“ auch nicht länger als ein knappes Jahr her war. Es fühlte sich trotzdem an wie ein ganz anderes Leben. Jetzt waren die Stoppeln egal, es war niemand mehr da, der sich daran störte.
Langsam kroch ein Gefühl von Wärme durch seinen Körper und er schloss die umschatteten Augen. Als er sie wieder öffnete, sah er auf die Armaturen vor sich. Er schürzte die Lippen und strich hingebungsvoll mit der Hand über das abgegriffene Leder des Lenkrades. Dann blickte er auf und berührte den Wimpel von Rosenborg Trondheim, des Fußballvereins, der am Rückspiegel hing. Er dachte an das letzte Fußballspiel, das sie zusammen gesehen hatten, er und sein Vater.
Ein Stöhnen entkam seiner Kehle. Er konnte sich gut an den Tag erinnern, als sein Vater Anfang der 1990er Jahre mit dem Audi nach Hause gekommen war. Olav war so stolz gewesen. Er hatte ihn hier in der Einfahrt abgestellt, weil er sich nicht getraut hatte, ihn in der engen Garage zu parken. Aus Angst, ihn zu beschädigen. Das Auto hatte seinem Vater viel bedeutet. Nun war es das Einzige, was von ihm geblieben war.
Seine Augen verengten sich.
Warum bist du nicht früher zum Arzt gegangen, du eitler Kerl?
Er vergrub sein Gesicht in den rauen Händen und seufzte erneut.
Es verging eine ganze Weile, bis er die Haltung aufgab und das Radio einschaltete. Die Stille in dem Fahrzeug wurde urplötzlich von Countrymusik zerrissen. Er hörte einen Augenblick mit hängenden Mundwinkeln zu, drückte dann erneut auf den Knopf und nahm die Kassette aus der Anlage. Auf dem Label stand mit einem roten Filzstift Big Hand Johansen geschrieben. Eine Träne bildete sich in seinem Augenwinkel, rollte langsam über die bärtige Wange, die von braunen Locken eingerahmt wurde.
Er nahm einen weiteren Schluck aus der Flasche.
Eine Bewegung riss den Mann aus seinen Gedanken; er starrte aus dem Fenster, war sich sicher, dass er einen Schatten gesehen hatte, der sich durch die Schneewehen vor dem Haus kämpfte. Seine Miene hellte sich etwas auf. Begleitet von einem leisen Knirschen kurbelte er die Fensterscheibe runter, versuchte, seine müden Augen zu fokussieren.
Die Pupillen in den grünen Iriden hatten sich geweitet, sich den Lichtverhältnissen angepasst. Doch der Schnee vor der Veranda lag nun wieder still und reglos da.
Dann bewegte sich doch etwas und ein schwarzes, pelziges Etwas watete geduldig über die Schneedecke auf das Haus zu.
„Nossan“, sagte er und ein fragiles Lächeln breitete sich von den Mundwinkeln bis hin zu den verweinten Augen aus.
Er zog den Schlüssel aus dem Zündschloss und öffnete die Fahrertür.
Die halbleere Flasche in der einen Hand versuchte er mit der anderen, das Auto zu verschließen. Es war gar nicht so einfach, den Metallstift in das schmale Türschloss zu bekommen; immer wieder traf die Schlüsselspitze den grünen Lack rechts und links des Schlosses.
Der Mann stieß ein irritiertes Grummeln aus, gab dann auf und drehte sich um. Kein Krimineller mit einem Funken Verstand würde sein Auto stehlen. Jeder in Kirkenes wusste, wer und vor allem was er war.
Niemand würde Kommissar Karl Sortland beklauen.
Er lachte voller Bitterkeit und wankte die Auffahrt Richtung Veranda hinauf. Der Boden war glatt unter dem Schnee und er verfluchte sich dafür, dass er nicht gestreut hatte.
Auf halbem Weg zog es ihm den Boden unter den Füßen weg. Der Kommissar reagierte zu langsam, versuchte, den Sturz mit den Händen abzufedern. Ein klirrendes Geräusch, dann ein stechender Schmerz. Sein benebeltes Gehirn hatte Schwierigkeiten, die in kurzer Reihenfolge auftretenden Sinneseindrücke richtig einzuordnen. Verständnislos sah er sich um und bemerkte, dass sich in die Lache aus Wodka eine zähe, rote Flüssigkeit gemischt hatte.
Der Kommissar fluchte laut auf. Er war in die Scherben seiner Wodkaflasche gefallen, hatte seinen letzten Alkohol vergossen.
Einen Moment lang blieb er auf dem Rücken liegen und sah hinauf in das verschwommene Schneegestöber. Was hätte sein Vater wohl gesagt, hätte er ihn so zu Gesicht bekommen. Was Kari gesagt hätte, wusste er nur zu gut.
Er rieb sich mit der Hand über die Augen.
Was ist bloß aus mir geworden?
Einige Augenblicke lang verharrte er in dieser Position. Dann hörte Karl erneut ein Geräusch von der Veranda, das ihn aus den finsteren Gedanken riss. Eindeutig Miauen. Er raffte sich auf und begutachtete die Schnittwunde an seiner rechten Hand. Der Schnee und die Kälte schienen die Blutung gestoppt zu haben. Der Kommissar ließ die Scherben liegen und stapfte zielstrebig auf das Haus zu. Der Sturz hatte seine Gedanken seltsam aufklaren lassen.
Auf der Veranda schoss ihm die Katze durch die Beine und beinahe wäre er erneut gestürzt. Er wankte, kniete sich schließlich vor das Tier und kraulte ihm das dicke Fell. Nossan schien es zu gefallen, denn er gab ein zufriedenes Schnurren von sich.
„Na, dann komm mal mit rein, du Rumtreiber“, brummte Karl und öffnete ihnen beiden die Tür.
Als sie sich hinter dem breiten Rücken des Polizisten wieder schloss, wurde es aufs Neue totenstill unter der Straßenbeleuchtung im Doktor-Palmstrøms-Vei.
Lautlos fiel mehr und mehr Schnee auf die Veranda und den Audi. Die kalten Flocken füllten alsbald die frischen Fußabdrücke, mischten sich mit dem Blut und ließen schließlich nur eine gleichmäßige, weiße Decke zurück.
Kapitel 3
„Was hast du mit deiner Hand gemacht?“ Der Tonfall der Frau mit den tiefschwarzen Locken suggerierte, dass sie die Antwort bereits kannte. Sie stellte eine Tasse dampfenden Kaffee vor ihm auf den Schreibtisch und musterte Karl, ihre linke Augenbraue hochgezogen, die Arme vor der Brust verschränkt.
Der Kommissar blickte seine Vorgesetzte Aino Petersen zögerlich und aus zusammengekniffenen Augen an. Er senkte den Blick, sah auf den verschmutzten Verband, der dilettantisch um seine rechte Hand gewickelt war. Zu guter Letzt zuckte er teilnahmslos mit den Schultern.
„Wenn du es unbedingt wissen musst: Ich habe mich an einer Konservendose geschnitten“, sagte er.
Aino betrachtete ihn noch einen Augenblick wortlos durch die ovalen Gläser ihrer Panto-Brille, mit einem Blick, der eher Besorgnis als Ärger ausdrückte. „Willst du damit nicht lieber zum Arzt gehen? Nicht, dass sich die Wunde entzündet.“
Er machte eine wegwerfende Geste, versuchte dabei unbeholfen, die verletzte Hand hinter seinem Rücken zu verbergen. „Vergiss die Verletzung.“
Der Kommissar setzte sich auf seinen Bürostuhl und sah auf den Schirm, drehte der Abteilungsleiterin dabei demonstrativ den Rücken zu, als wollte er ihr nahelegen, dass das Gespräch zu Ende sei. Insgeheim wusste er, dass der Versuch zum Scheitern verurteilt war.
„Ich brauche keinen neuen Partner“, fügte er etwas leiser hinzu.
Aino Petersen hatte die Leitung der Ermittlungseinheit der Polizei in Kirkenes erst vor etwas über einem Jahr übernommen. Die stämmige Frau mit finnischen Wurzeln war aus Bergen in den hohen Norden versetzt worden und nur wenig älter als Karl. Sie hatte von Anfang an bewiesen, dass sie sich von ihren männlichen Kollegen nicht würde einschüchtern lassen. Wenn die Situation es verlangte, konnte sie aber durchaus auch Einfühlungsvermögen zeigen.
Sie lehnte sich an den Fensterrahmen neben Karl und legte ihre Hand auf seine Schulter. In dieser Position verharrte sie ein paar Augenblicke und atmete langsam ein und aus. „Ich weiß, dass du Trygve gern mochtest. Ihr habt auch gut zusammengearbeitet. Aber er ist nun mal in Pension gegangen, und es ist besser für dich, wenn du nicht allein unterwegs bist.“
Karl verzog den Mund und dachte an den älteren Mann, der in den ersten Jahren bei der Polizei wie ein Mentor für ihn gewesen war. Er hatte nach Trygves Pensionierung im Frühjahr ein paar Monate allein gearbeitet und eigentlich hatte ihm das ganz gut gefallen. Er hatte seinen Arbeitsalltag selbst bestimmen können. Ganz ohne jemanden, der ihm vorwurfsvolle Blicke zuwarf, wenn er spät erschien oder zu früh aus dem Büro verschwand.
Mit einem Seufzen strich sich er sich mit der linken Hand über die geschlossenen Augenlider. Er hatte einen furchtbaren Kater.
„In Ordnung“, sagte er. „Wie wäre es mit Sven? Er könnte mein Partner werden.“
Aino lächelte und klopfte ihm sanft auf die Schulter. „Nein. Ich möchte, dass du mit dem Neuen zusammenarbeitest. Er heißt Mats und ich bin mir sicher, dass ihr euch gut verstehen und ergänzen werdet. Er ist nicht wie …“ Ihr Lächeln wurde noch breiter. „Er ist ein netter Kerl. Eine Frohnatur.“ Sie drehte sich um und ging auf die Tür zu. Ihre flachen Schuhe klackten gedämpft auf dem Parkettfußboden.
Karl, der sich langsam nach ihr umdrehte, sah, dass sie im Türrahmen stehen geblieben war.
„Und seit wann stellen wir Schweden ein?“, fragte der Kommissar in einem letzten verzweifelten Versuch, die Autorität seiner Vorgesetzten zu untergraben.
Nun grinste sie ihn geradewegs an, während sie die Arme ausbreitete. „Jetzt sei nicht so ein Miesepeter. Mats hat die Staatsbürgerschaft beantragt. Für einen Schweden ist das kein Problem hier bei uns. Wir brauchen hier oben ja dringend Leute. Er ist also schon bald Norweger. Morgen fängt er an und ihr beide bildet ein Ermittlerduo.“
In diesem Moment klingelte Ainos Mobiltelefon. Sie kramte es aus der Tasche und sah auf das Display, dann wieder zu Karl. „Widerrede ist zwecklos. Versuch lieber, ihm den Einstieg zu erleichtern, als dich dagegen zu wehren.“
Noch bevor er antworten konnte, hatte die Abteilungsleiterin das Gespräch angenommen und war im Gang verschwunden.