Kapitel 1
Geoffrey, Earl of Harrington, Erstgeborener und Erbe des Marquis of Markham, trat aus dem Haus. Er war erleichtert darüber, dass sein Vorhaben, eine Ehefrau zu finden, nun endlich vollbracht war.
Heute war der Tag, an dem er um Lady Charlotte Carpenters Hand anhalten würde. Er hatte ihrem Vormund und Schwager Lord Worthington geschrieben und um ein Treffen gebeten. Bald würde er die begehrteste Lady auf dem Heiratsmarkt heiraten und seine Reise auf den Kontinent beginnen, wo er seinen Posten in Sir Charles Stuarts Stab antreten würde.
Er bog in den Berkeley Square ein. Für diese morgendliche Uhrzeit waren verdammt viele Leute dort. Er betrat den Park und konnte vor Entsetzen nicht weitergehen. Es sah nach einer sich anbahnenden Katastrophe aus. Die zwei Dänischen Doggen von Lady Charlottes Familie waren einigen Bediensteten an die Hand gegeben worden.
Ein grobschlächtiger Mann wurde gerade abgeführt und Lady Charlotte stand mit den Händen auf den Hüften da, ihr Gesicht errötet, und sagte dem Marquis of Kenilworth etwas. Das war der letzte Gentleman, den Geoff jetzt sehen wollte. Der Mann war ihm schon seit seiner Rückkehr nach London ein Dorn im Auge gewesen. Doch er war sich sicher, dass Kenilworth noch nicht um ihre Hand angehalten hatte.
Was zum Teufel könnte jedoch so früh am Morgen vor sich gehen?
»Ich komme mit Ihnen. Sie wird einem einzelnen Mann nicht trauen«, verkündete Lady Charlotte.
Geoffs Blick schweifte zu einer wimmernden weiblichen Bediensteten. Die beiden jüngsten Mädchen, Charlottes Schwestern, versuchten gerade, sie zu beruhigen. Lord Merton, Worthingtons Cousin, hatte sich in die Auseinandersetzung eingemischt.
»Charlotte, das kannst du nicht«, sagte Lord Merton und blickte von ihr hinüber zu Kenilworth. Der Mann zuckte mit den Schultern, als wolle er damit sagen, dass es ihm egal war und er nicht einschreiten würde. »Worthington wird das nicht zulassen.«
Es dauerte noch ein paar Sekunden, bis Geoff verstand, was genau Worthington, Charlottes Schwager und Vormund, nicht erlauben würde. Dann fiel ihm auf, dass Kenilworth seine Kutsche nicht weit von hier stehen hatte. Hölle und Verdammnis! Unter keinen Umständen würde Geoff ihr erlauben, mit solch einem unzüchtigen Rabauken davonzugehen!
»Das sehe ich vollends gleich.« Geoff trat hervor, um ein Wort der Vernunft zu sprechen. »Lady Charlotte, Sie dürfen Lord Kenilworth nicht begleiten. Das verbiete ich.«
»Sie. Sie haben mir nichts zu sagen.« Ihre Stimme bebte vor Wut. »Nichts wird mich aufhalten. Wenn es nötig ist …«
Geoff hatte sie noch nie derartig aufgebracht erlebt. Er wollte gerade versuchen, sie zu beruhigen, als ihr Schwager auftauchte.
»Aufhalten? Wo willst du hin?«, fragte Worthington, während er auf sie zusteuerte. Lady Worthington war an seiner Seite und musste fast rennen, um mit ihm mitzuhalten.
»Miss Betsy hat wieder eine Frau entführen lassen.« Charlotte warf Geoff einen bösen Blick zu, bevor sie ihm den Rücken kehrte. »Kenilworth fährt zu dem Inn, zu dem sie sie bringen. Ich fahre mit ihm.«
»Kenilworth?«, fragte ihr Bruder.
»Ich beschütze sie«, sagte der Mann.
»Ich erhebe Einspruch.« Geoff folgte Charlotte, als sie sich auf den Weg in Richtung Stanwood House machte.
Kenilworth packte Geoff an der Schulter. »Es steht Ihnen nicht zu, Einspruch zu erheben. Es ist die Entscheidung ihres Vormunds, und er hat sie bereits getroffen.«
Er befreite sich mit einem Ruck aus dem Griff des anderen Mannes. »Ich sehe, was hier vor sich geht«, teilte er Worthington mit. »Du ermutigst Kenilworths Werben meinem gegenüber.«
Worthington drehte sich um und starrte Geoff an, als sei dieser wahnsinnig. »Dieser Mann«, er zeigte auf Kenilworth, »hat um die Hand meiner Schwester angehalten, was ich von dir nicht gerade behaupten kann. Ich schlage vor, du gehst, bevor du dazu gezwungen wirst.«
Das konnte nicht wahr sein. Geoff konnte nicht glauben, was er da hörte und sah. Lady Charlotte, die Frau, die er als seine perfekte Gattin auserkoren hatte, fuhr mit diesem Tölpel Kenilworth davon. Und ihr Vormund hatte sich nicht nur geweigert, dies zu verhindern, er unterstützte und bestärkte Kenilworth obendrein.
Geoff klappte den Mund zu und wandte seinen Blick von der Kutsche ab. All seine Planung, all die Zeit und Mühe, die er aufgebracht hatte, um Lady Charlotte den Hof zu machen … alles für die Katz. Was zum Teufel sollte er nun machen?
Verdammt! Er brauchte eine Frau, und zwar bald. Es musste doch noch eine Möglichkeit bestehen, dass nicht alles verloren war. Es musste einen Weg geben, sie zurückzugewinnen. »Mylord …«
»Wenn du Lady Charlotte hättest heiraten wollen«, der Earl of Worthington unterbrach Geoff und fing an, wegzulaufen, als gäbe es nichts weiter zu besprechen, »dann hättest du nicht mitten in der Ballsaison verschwinden sollen.«
Er war nicht verschwunden. Er hatte Lady Charlotte ausdrücklich darüber in Kenntnis gesetzt, dass er seinen Vater aufsuchen musste. »Aber ich habe dir in einem Schreiben doch deutlich mitgeteilt, dass ich wünsche, mit dir über Lady Charlotte zu sprechen«, sagte Geoff und folgte Worthington über den Platz. Das war schließlich, was von einem anständigen Gentleman erwartet wurde, wenn er wünschte, eine Dame zu heiraten.
Worthington blieb stehen und drehte sich so schlagartig um, dass Geoff ihn beinahe überrannte. »Das mag sein, ich rechne jedoch fest damit, dass meine Schwester Kenilworth heiratet.« Sie hatten inzwischen die Haustür erreicht und Worthington stand nun neben Lady Merton, die gerade einen Bediensteten anwies, einen Koffer in ihre Kutsche zu laden. Er presste die Lippen aufeinander und sagte dann: »Akzeptiere die Tatsachen, wie sie sind, und konzentriere dich darauf, eine andere Lady zu finden.«
Geoff stockte der Atem, als wäre ihm in den Bauch geschlagen worden. Das war unerträglich. Wie zum Teufel sollte er eine Frau finden, die sein Vater akzeptieren würde, und diese in der kurzen Zeit heiraten, die ihm noch blieb?
Sein Mund öffnete sich, doch nichts kam heraus. Schließlich krächzte er: »So spät in der Saison? Das wird geradezu unmöglich sein.«
»Darüber hättest du nachdenken sollen, bevor du die Stadt verlassen hast.« Worthington neigte seinen Kopf. »Ich schlage vor, du schreitest gleich zur Tat. Lady Hollands Ball ist heute Abend. Die heiratsfähigen Ladies, die noch hier sind, sollten dort zugegen sein.«
Doch keine von ihnen war Lady Charlotte. Wenn er die Stelle bei Sir Charles – von dem es hieß, er hielte sich nun in Brüssel auf, um dem Prinzen von Oranien zu dienen – jedoch annehmen wollte, dann musste er heiraten. Worthington hatte recht. Geoff konnte keine Zeit mehr an Lady Charlotte verschwenden. Er musste eine Dame finden, die ihn heiraten und nicht mit einem anderen Mann davonfahren wollte. Doch wen nur? Keine andere Lady hatte seine Aufmerksamkeit erregt. Und er hatte seine Aufmerksamkeit die ganze Saison lang auf keine andere Frau gerichtet.
Er lenkte seine Gedanken wieder zurück zum heutigen Ball. Hatte er überhaupt eine Einladung zum Empfang bekommen? Nicht, dass es einen Unterschied machte. Selbst wenn Lady Holland ihn nicht eingeladen hätte, würde er hingehen können. Sie war eine Freundin seiner Mutter und würde ihn nicht zurückweisen. Keine Gastgeberin würde einem heiratsfähigen Gentleman den Eintritt verwehren. Außerdem könnte sie ihm die Ladies vorstellen, die er noch nicht kennengelernt hatte.
Er konnte sich kaum davon abhalten, sich mit den Fingern durch die Haare zu fahren. Wie konnte ihm das nur widerfahren? Bisher hatte er immer Glück im Leben gehabt. Nichts, was er jemals hatte erreichen wollen, war ihm schwergefallen. Doch nun, weniger als einen Monat, bevor er seine Stelle bei Sir Charles Stuart, Großbritanniens Botschafter in Frankreich und Den Haag, antreten sollte – eine Stelle, die von ihm verlangte, eine Ehefrau zu haben – musste er eine geeignete Frau finden. Aus irgendeinem Grund meinte es das Schicksal wohl nicht gut mit ihm.
Geoff ging auf die Straße zu und verließ den Square in Richtung seiner Unterkunft in der Jermyn Street. Er war sich seiner Zukunft mit Lady Charlotte so sicher gewesen.
Zugegeben, er hatte die vergangenen drei Wochen auf dem Hauptsitz seiner Familie verbracht, um sich um seinen Vater zu kümmern und auf die Nachricht zu warten, die ihm seine Stelle im Auswärtigen Amt als Referent von Sir Charles Stuart bestätigte. Geoffs Vater, der Marquis of Markham, hielt nichts von jungen Männern, die ihre Zeit damit vergeudeten, ihren Vätern beim Sterben zuzusehen. Er selbst hatte als junger Mann eine Weile im Auswärtigen Amt gearbeitet und bestand nun darauf, dass sein ältester Sohn dasselbe tat.
Es war nicht so, dass Geoff dem in irgendeiner Weise entgegenstand. Der Gedanke daran, in Kontinentaleuropa zu leben und mehr über die unterschiedlichen Kulturen zu lernen, und darüber, wie Auslandsbeziehungen die Welt beeinflussten, faszinierte ihn.
Die Bestätigung seiner Stelle hatte ihn vor drei Tagen erreicht. Die einzige Hürde, die er noch zu überwinden hatte, war seine Heirat. Eigentlich hatte er gedacht, das wäre einfach zu bewerkstelligen. Sein Vater hatte ihm die Erlaubnis erteilt, den Hauptgewinn der Saison zu heiraten, Lady Charlotte Carpenter. Lady Charlotte war alles, was sich ein hoffnungsvoller Diplomat von einer Ehefrau wünschen konnte, ihr Auftreten und ihre Manieren waren perfekt. Sie war nie vorlaut. Sie verlor nie die Fassung – wobei sie in letzter Zeit etwas mürrisch wirkte. Im Grunde genommen war sie in allen Lebensbereichen angemessen. Man nannte sie, ihre Schwester, die ehemalige Lady Louisa Vivers, und ihre Freundin, die ehemalige Miss Stern, auch die Drei Grazien.
Eine Stunde, nachdem der Bote mit der Nachricht seiner Berufung auf dem Anwesen seines Vaters eingekehrt war, hatte Geoff Fulbert Hall verlassen, entschlossen, sich mit Lady Charlottes Vormund zu treffen, um die Heiratspläne zu Ende zu bringen. Nun müsste er noch einmal ganz von vorn anfangen. Wie hatte alles dermaßen schiefgehen können?
»Mylord?« Sein Stallbursche führte sein Paar Blauschimmel mit sich und folgte Geoff.
Er hatte seine Pferde und seine Kutsche völlig vergessen. »Bringen Sie sie in den Stall. Ich gedenke, zu Fuß zu gehen.«
»Sehr wohl, Mylord.«
Geoff wollte nicht in seine Gemächer zurückkehren, doch ihm fiel kein anderer Ort ein, an den er gehen könnte. Offenbar benötigte er Rat, wenn er schnell eine Frau finden wollte. Seine ältere Schwester war in der Stadt. Sie könnte ihm behilflich sein, doch das würde zweifellos seinen Stolz verletzen. Und das würde er lieber nicht über sich ergehen lassen.
Grandmamma war allerdings ebenfalls in der Hauptstadt. Es würde sie mehr als glücklich machen, eine Braut für ihn zu finden. So schwierig sollte es nicht sein. Er war eine überaus gute Partie und alles, was er verlangte, war eine Lady aus gutem Hause, mit einer gewissen Liebenswürdigkeit und der Fähigkeit, ein Gespräch zu führen – sie würde schließlich über allerlei Weltgeschehnisse mit anderen Diplomaten und deren Frauen diskutieren. Zudem sollte sie eine grazile Tänzerin sein – er konnte sich keine Ehefrau vorstellen, deren Unfähigkeit ihn blamieren würde – und über Intelligenz und ein bestimmtes Maß an Eleganz verfügen. Ja, das war alles, was er verlangte. Er wollte eine Lady, deren Anblick keine Zumutung war, doch außerordentliche Schönheit verlangte er nicht. Genau genommen könnte es sogar besser sein, wenn sie bloß etwas hübsch war.
Liebe war nicht wichtig. Ihm jedenfalls nicht. Die Schwierigkeit bestand darin, dass sich viele junge Frauen heutzutage scheinbar eine Liebesheirat wünschten. Seiner Meinung nach war das eine chaotische Art, eine Ehe zu beginnen. Weder seine Eltern noch seine Großeltern hatten aus Liebe geheiratet.
Er war sich sicher, dass seiner Großmutter jemand einfallen würde. Und wer würde besser darüber Bescheid wissen, was genau von der zukünftigen Marchioness of Markham erwartet wurde, als die verwitwete Marchioness of Markham?
Immer mehr überzeugt von dem Vorhaben, begann Geoff, in Richtung des Grosvenor Square zu schlendern, bevor ihm klar wurde, dass der Tag noch jung war. Wenn er Grandmammas Hilfe wollte, sollte er nicht vor elf Uhr bei ihr hereinschneien.
Die einzige Alternative war einer seiner Clubs. Er hielt einen Moment inne und überlegte, ob er ins Boodle’s oder ins White’s gehen sollte. Zu dieser Tageszeit war es nicht unwahrscheinlich, dass das Boodle’s mit Provinzlern gefüllt sein würde. Es reizte ihn nicht gerade, sich deren Gerede über Ernten und Ackerpflanzen anzuhören. Er zuckte mit den Schultern. Dann wohl ins White’s. Er machte sich auf den Weg in die entgegengesetzte Richtung, zur St. James Street.
Auf dem Weg vom Berkeley Square dorthin wurde Geoffs Gefühl, ausgenutzt worden zu sein, immer stärker. Wie konnte Lady Charlotte mit Kenilworth fortgehen, wenn sie doch gewusst hatte – in der Tat, Geoff hatte es ihr gesagt – dass er vorgehabt hatte, mit ihrem Bruder zu sprechen? Nun ja, einem Umzug ins Ausland schien sie ja sowieso äußerst abgeneigt. Und Kenilworth hatte sein Bestes gegeben, um all ihre Aufmerksamkeit für sich zu gewinnen. Geoff verzog das Gesicht. Der Mann hatte ebenfalls eine ganz schön saubere Leistung an den Tag gelegt.
In voller Erwartung, der einzige Mann zu sein, der zu dieser Tageszeit anwesend war, betrat er das White’s und merkte, dass er sich geirrt hatte. Als er den Salon zu seiner Linken betrat, waren einige Herren gerade dabei, Zeitung zu lesen, und der Duft von Kaffee durchzog den Raum. Er schaute sich um und suchte nach Herren, die er kannte. Da er jedoch niemanden entdeckte, durchquerte er die Eingangshalle und ging in den anderen Salon.
»Harrington.« Mr. Gavin Turley, der älteste Sohn des Viscounts Turley, grüßte Geoff, als er zur Tür hereinkam. »Habe dich seit Wochen nicht gesehen. Was hast du getrieben?«
»Ich war bei meinem Vater.« Er setzte sich in den großen Ledersessel auf der anderen Seite des niedrigen Tisches. Ein Diener brachte ihm eine Tasse Tee und er nahm einen Schluck. Es war ein entspanntes Gefühl, so bekannt in einem Club zu sein, dass sie dort wussten, was er trank. Kaffee roch vielleicht gut, doch er konnte den Geschmack nicht ausstehen. Er zog in Erwägung, sein dringliches Dilemma für sich zu behalten, doch er war verzweifelt. »Wenn du es unbedingt wissen willst, ich bin auf dem Heiratsmarkt.«
Turley starrte Geoff einen Moment lang an, dann widmete er sich seiner Teetasse und schwenkte sie umher, bevor er schließlich wieder hochblickte. »Bist du das?«
»Ja.« Geoff nickte. »Und ich habe es eilig. Du hast vielleicht gehört … Ach, unwichtig.« Es musste ja nicht die ganze Welt davon erfahren, wie schäbig er von Lady Charlotte behandelt worden war. Dafür zu sorgen, dass andere wussten, dass er heiraten wollte, war allerdings keine schlechte Idee. Schließlich wäre er für jede Lady ein würdiger Kandidat.
»Pass auf«, sagte Turley und lehnte sich nach vorn. »Komm diesen Nachmittag im Haus meines Vaters in der Green Street vorbei und leiste uns zum Tee Gesellschaft.« Turley zog eine dunkelblonde Augenbraue hoch. »Falls du nicht schon andere Pläne hast, versteht sich.«
Das Bild einer Lady mit dem gleichen flachsblonden Haar kam Geoff in den Sinn. Lady Charlotte hatte ihm Miss Turley bereits vorgestellt. Die Schwester von Mr. Turley und die Tochter des Viscounts Turley. »Erinnere ich mich richtig, dass du eine Schwester hast, die auf dem Markt ist?«
»Das tust du.« Er lehnte sich in seinem dunkelbraunen Ledersessel zurück. »Sie genießt gerade ihre erste Saison. Sie ist sehr hübsch – zumindest denke ich das – und ziemlich liebenswürdig. Sogar wenn ich ihr auf die Nerven gehe, schafft sie es, nicht zu fluchen.«
Geoff überlegte, dem anderen Mann mitzuteilen, dass er ihr bereits vorgestellt worden war, doch er entschied sich dagegen. Miss Turley auf einen Tee zu treffen, war schon mal ein Anfang. »Ich habe keine anderen Verpflichtungen. Besser gesagt, ich würde mich freuen.«
»Hervorragend.« Sein Gegenüber setzte seine Tasse ab und stand auf. »Dann sehen wir dich heute Nachmittag um drei Uhr.«
Geoff stand ebenfalls auf und streckte ihm die Hand hin. »Ich freue mich darauf.«
Als Turley gegangen war, versuchte sich Geoff an alles zu erinnern, was er über die Schwester dieses Mannes wusste. Sie war hübsch. Obwohl, er konnte sich eigentlich kaum an ihre Gesichtszüge erinnern. Ihr Bruder hatte blaue Augen. Er nahm an, auch ihre wären es. Gegen ihre Blutlinie gab es nichts einzuwenden. Ihr Adelstitel war recht alt. Sie waren mit den Normannen gekommen, wenn er sich recht entsann. Seines Wissens nach hatte es nie einen Skandal in der Familie gegeben. Seine Großmutter würde sicherlich mehr darüber wissen. Nachdem Lady Charlotte ihm Miss Turley vorgestellt hatte, hatte er sie zu einem Kontratanz aufgefordert. Soweit er sich erinnern konnte, war sie eine reizende Tänzerin und hatte das Gespräch mit ihm aufrechterhalten können. Ob sie nun auch als Ehefrau geeignet war, musste sich erst noch herausstellen. Er zuckte mit den Schultern. Mit etwas Glück würde er im Laufe des Tages mehr erfahren.
Kapitel 2
Geoff ging in den Speisesaal und ließ sich Frühstück bringen. Somit verging mehr als eine Stunde, bis er eine Mietkutsche bestellte, die ihn zum Markham House auf dem Grosvenor Square brachte, wo seine Großmutter während der Ballsaison wohnte.
Ihr älterer Butler öffnete die Tür. Geoff erwartete fast, dass der alte Diener knarren würde wie ein schlecht geöltes Scharnier, als der Mann sich verbeugte. »Willkommen, Mylord. Ihre Ladyschaft ist in ihrem Salon.«
»Ich danke Ihnen, Gibson. Können Sie mir sagen, ob dieser verfluchte Papagei bei ihr ist?«
»Der Admiral hat gerade Freiflug, Mylord. Ich werde Ihre Ankunft verkünden.«
Geoff sandte ein Dankgebet gen Himmel. Seit das Tier seine Finger blutig gepickt hatte, als er ein Kind war, konnte er den verdammten Vogel seiner Großmutter nicht ausstehen. »Das ist nicht nötig. Ich finde mich zurecht.«
Bevor der Butler protestieren konnte, gab Geoff dem Bediensteten seinen Hut, ignorierte den mahnenden Blick des Mannes und ging rasch die Treppe hoch. Am Treppenabsatz bog er nach rechts ab, dann nach links den Korridor entlang zum hinteren Ende des Hauses.
Als er die Gemächer seiner Großmutter erreichte, klopfte er an die Tür. Wenige Momente später machte eine Cousine, die fast so alt wie Grandmamma war, sie auf.
»Harrington, wie nett, dass du uns besuchst. Wie ich sehe, wolltest du nicht auf Gibson warten.« Von einer entfernten Verwandten würde man vielleicht erwarten, dass sie ihre Etikette bewahrte und wenigstens knickste, nicht aber von Cousine Apollonia. Obwohl, was seine Großmutter anging, war das auch gut so. »Wahrscheinlich hast du damit seine Gefühle verletzt.«
»Lieber ein gebrochenes Herz als gebrochene Knochen.« Es hätte Geoff nicht überrascht, wenn der Bedienstete die Treppe heruntergefallen wäre. »Er ist nicht gerade stabil auf den Beinen. Wie kann es sein, dass er noch nicht in den Ruhestand entlassen wurde?« Er gab seiner Cousine einen liebevollen Kuss auf die Wange, die sie ihm hinhielt.
»Ich muss sagen, ich sehe es auch so, dass er ziemlich wackelig geworden ist. Trotzdem möchte Ihre Ladyschaft keinen jüngeren Butler. Sie sagt, es würde sie beunruhigen. Das kann man ihr nicht übel nehmen. Du weißt ja, wie eigensinnig sie ist. Einen neuen Butler anzulernen, würde ihre Nerven strapazieren.« Apollonia legte ihre Hand auf Geoffs Arm. »Abgesehen davon wäre es grausam, den armen Gibson von seinem Zuhause und seinen Freunden zu trennen, da er doch selbst nie geheiratet hat und keine Familie besitzt.«
Nun, das wies Geoff in seine Schranken. »Wenn du es so ausdrückst, komme ich mir tatsächlich nicht nett dabei vor, ihm den Ruhestand gewünscht zu haben. Ich schätze, ich werde ihn wohl weiterhin davor bewahren müssen, die Treppe herunterzufallen.« Aus dem Vorzimmer, das in Creme, einem Grünton, der dem Salbei im Garten seiner Mutter ähnelte, und Gold dekoriert war, steuerten sie auf den Salon seiner Großmutter zu, der ihm immer das Gefühl gab, er wäre in einem Garten. »Wie geht es Grandmamma?«
»Sie ist kein bisschen ruhiger geworden.« Seine Cousine lächelte liebevoll. »Ich glaube, sie denkt, es würde sie jung halten, sich ständig herumzutreiben. Obwohl«, Apollonia warf ihm einen Blick zu, »wir nicht mehr bis in die frühen Morgenstunden das Tanzbein schwingen. Wir bevorzugen es inzwischen, um Mitternacht nach Hause zu gehen.« Sie tippte ihm mit dem Finger auf den Arm. »Wenn du heute Abend auf Lady Hollands Ball gehst, erwarte ich, dass du sie zum Tanz aufforderst. Sie zieht es vor, mit jüngeren Männern zu tanzen. Sie sagt, sie seien fit.«
Geoff verkniff sich ein Lachen. »Selbstverständlich werde ich mit ihr tanzen.«
Doch wenn dieser Abend wie jeder andere wäre, würde es seiner Großmutter wohl kaum an geeigneten Tanzpartnern mangeln.
»Und nicht nur mit Ihrer Ladyschaft«, fuhr Apollonia fort. »Es dürften noch ein paar heiratsfähige junge Damen dort anwesend sein, die du um einen Tanz bitten könntest. Falls ihre Tanzkarten noch nicht voll sind, versteht sich. Es ist ja schon das Ende der Ballsaison und die meisten im Ton sind nach Brüssel gereist.«
Auf die Fähigkeit seiner Cousine, immer auf dem neuesten Stand zu bleiben, war Verlass. Aber der Vorfall mit Charlotte hatte sich gerade erst zugetragen. »Woher weißt du von Lady Charlotte?«
»Mein lieber Junge«, Cousine Apollonia zog eine rote Augenbraue hoch, »die Nachricht, dass Lady Charlotte Kenilworth heiraten würde, hatte sich schon in der ganzen Stadt verbreitet, bevor du zurückgekommen bist. Du hast dir mit ihr einen wirklich unglücklichen Spielzug geleistet.«
War er wirklich so blind gewesen, was Charlotte anging? Er dachte, er hätte alles Nötige getan, um sicherzustellen, dass sie ihn heiraten würde. Aber Moment mal. »Bevor ich zurückgekommen bin?«
»Dir ist doch sicherlich aufgefallen, wie viel Aufmerksamkeit er ihr geschenkt hat?«
»Ja, aber was ich nicht wusste, ist, dass sie verlobt sind.« Seltsamerweise hatte sie nie ein Wort über die Verlobung verloren.
»Du stellst dir doch nicht etwa vor, dass die Leute einfach zu dir herüber spazieren und es dir erzählen?«
»Nein.« Obwohl er sich durchaus wünschte, jemand hätte ihn davon abgehalten, sich zum Narren zu machen.
Apollonia zog ihn durch die Flügeltür, die in Grandmammas Salon führte. »Schau mal, wer gekommen ist, um uns zu besuchen.«
Grandmamma drehte sich nach ihm um und Geoff trat schnell hervor, senkte ein Knie vor ihrem Sessel und nahm ihre Hand in seine. Sie hatte die Siebzig bereits überschritten, doch sie sah etwa ein Jahrzehnt jünger aus und verhielt sich auch so.
»Grandmamma, du bist reizender als je zuvor.«
»Schwätzer.« Ihr Tonfall war streng, doch ihre warmen, grauen Augen tanzten. »Du solltest dich schämen, eine alte Frau um Geld anzuschnorren.«
»Ich doch nicht. So ehrlos bin ich nicht.« Er stand auf und verbeugte sich. »Ich bin hier, um dich um einen Tanz zu bitten – und um deine Hilfe dabei, eine Ehefrau für mich zu finden.«
Ihre Lippen hoben sich zu einem Lächeln. »Es wird mir eine Freude sein, dir bei beidem auszuhelfen.«
Er zog einen Hocker hervor und setzte sich neben ihr Knie. »Ich hatte gehofft, dass du das sagst.«
»Nun, junge Dame.« Miss Elizabeth Turleys Tante, Lady Bristow, platzte in den kleinen Salon des Turley Hauses herein und setzte sich. »Lord Harrington ist zurückgekehrt und sucht verzweifelt nach einer Braut.«
Elizabeth legte ihren Stickrahmen weg und atmete tief ein. Sie hatte bereits gewusst, dass ihre gute Freundin Charlotte beschlossen hatte, Harrington eine Absage zu erteilen. Wenn er denn überhaupt dazu gekommen wäre, einen Antrag zu machen, was er nicht war. Sie war sogar diejenige, die Elizabeth Harrington vorgestellt hatte.
Immer noch … verzweifelt nach einer Braut? Das klang nicht gut.
»Woher weißt du das?«
Ein Bediensteter kam mit einer frischen Kanne Tee herein, setzte sie ab und ging wieder. Elizabeth fing an, sich und ihrer Tante einzuschenken. Sie bereitete den Tee ihrer Tante so auf, wie diese ihn gern trank.
»Ich habe es von Lady Collingwood erfahren. Ihm wurde eine Stelle unter Sir Charles Stuart zugesagt, allerdings muss er dafür verheiratet sein. Und wie du weißt, will Lady Charlotte nichts von ihm wissen. Lady St. John hat sie heute Morgen sogar in Kenilworths Kutsche mitfahren sehen, woraufhin nur ein paar Minuten später Lady Mertons Kutsche folgte. Harrington wurde also eindeutig zurückgewiesen.« Tante Bristow nahm die Tasse Tee von Elizabeth entgegen. »Er muss möglichst bald zum Kontinent aufbrechen, wenn er diese Stelle antreten will. Und dafür braucht er eine Gattin.« Sie nahm einen Schluck und zog eine Braue hoch. »Für dich stellt sich nun die Frage, was du bereit bist, hinzunehmen.«
Sie hatte sich die ganze Zeit gefragt, wohin Charlotte wohl gefahren war, als der Satz ihrer Tante Elizabeths Aufmerksamkeit erregte. »Hinnehmen?« Sie kostete ihren Tee und gab noch mehr Zucker hinzu. Ihre Tante hatte offenbar beschlossen, mehr Assam in die Mischung zu geben, als Elizabeth lieb war. »Ich verstehe nicht.«
»Zwei oder drei Wochen werden wohl kaum genug Zeit sein, um eine Liebesheirat zu ermöglichen«, spottete ihre Tante. »Würdest du bloße Vereinbarkeit als Grundlage für die Ehe hinnehmen, wenn eine Chance besteht, dass sich die Liebe später noch entwickelt?«
Ganz und gar nicht. Das war genau, was ihre Cousine Lavvie getan hatte, und diese Ehe war ein Desaster gewesen. Nur der Tod ihres Mannes hatte sie retten können. Demnach zu urteilen, was Elizabeth diese Saison beobachtet hatte, waren zwei Wochen außerdem mehr als genug Zeit, um sich zu verlieben. Lady Louise Vivers, inzwischen die Duchess of Rothwell, hatte es innerhalb von ein paar Tagen geschafft, wenn nicht sogar weniger. Dotty und Merton hatten auch nicht lange gebraucht. Deren Gentlemen hatten sich sogar auch verliebt. Bei Charlotte hatte es zwar länger gedauert, bis sie sich in Kenilworth verliebt hatte, aber es musste wirklich passiert sein. Sie hätte nämlich niemals eingewilligt, ihn zu heiraten, wenn sie nicht ebenso verliebt in ihn gewesen wäre wie er in sie.
Elizabeth war sich bewusst, dass das nicht bedeutete, dass sie und Lord Harrington sich in genauso kurzer Zeit verlieben würden. Und doch waren ein paar Wochen genügend Zeit, um herauszufinden, ob ein Liebesbund entstehen könnte. Sie musste sichergehen, dass es eine Aussicht auf Liebe gab, bevor sie sich darauf einlassen konnte, einen Mann zu heiraten.
»Ich weiß es nicht«, sagte sie langsam und setzte ihre Tasse ab. Dann nahm sie ein Stück Kümmelkuchen. »Es wird davon abhängen, was ich von ihm halte.« Anfangs hatte Lord Harrington sie mit seinen langen, blonden Locken an Lord Merton erinnert. Lord Harrington hatte allerdings kein trauriges Gemüt, wie Lord Merton es gehabt hatte, bis er Dotty heiratete. Das lag wahrscheinlich daran, dass er seine beiden Eltern noch nicht verloren hatte. Lord Harringtons blaue Augen schienen die meiste Zeit mit Freunde erfüllt zu sein. Das Problem war, dass seine Aufmerksamkeit diese Saison fast ausschließlich um Lady Charlotte gekreist war.
Während sie einen Bissen vom Kuchen nahm und die Mischung der Gewürze darin auskostete, dachte sie über die Frage ihrer Tante nach. »Zuerst muss ich ihn dazu kriegen, mich zu bemerken. Es wäre äußerst hilfreich, wenn Gavin mit ihm befreundet wäre.«
»Mit wem befreundet wäre?« Ihr Bruder schlich in den Raum, schnappte sich drei Stück Kuchen und fing an, sie zu verschlingen, als hätte er nicht vor gerade einmal zwei Stunden ein reichliches Frühstück zu sich genommen.
»Lord Harrington.« Elizabeth schenkte ihm eine Tasse Tee ein und gab Zucker und Milch hinzu.
Einer seiner Mundwinkel schoss hoch. Ein klares Zeichen, dass er etwas im Schilde führte. »Ich war mit ihm in Eton und Oxford. Warum?« Gavin aß den Kuchen auf, ließ seinen schmalen Körper in einen Sessel auf der anderen Seite des Tisches fallen und nahm die Teetasse entgegen.
»Ich denke, Harrington wäre ein vortrefflicher Partner für deine Schwester«, sagte ihre Tante und machte ein paar Sekunden den Eindruck, als würde sie Gavin mustern. »Wir müssen einen Weg finden, ihn auf sie aufmerksam zu machen.«
»Das warst du?«, fragte Elizabeth ihren Bruder. »Das hast du noch nie erwähnt.« Allerlei Ideen begannen, ihr durch den Kopf zu gehen, bis eine schließlich hängen blieb. »Du«, sagte sie zu Gavin, »könntest ihn diese Woche zum Dinner einladen.«
Die Augen ihres Bruders weiteten sich unschuldig, als er den Rest seines Tees herunterschluckte. »Tatsächlich, könnte ich das?«
»Ja, und ich denke, du solltest es«, sagte Elizabeth entschieden.
Er setzte seine Tasse ab und begann, sich zu erheben, als ihn die Spitze des Gehstocks seiner Tante in den Bauch stach. Er gab ein leises »Uff« von sich. »Nicht so schnell, junger Mann. Wir haben ein paar Pläne zu schmieden.«
Gavin sah bereit zur Flucht aus und wenn Elizabeth nicht schnell einschritt, würde sie ihre Chance verpassen. »Du liegst mir schon die ganze Saison darüber in den Ohren, dass ich heiraten soll. Du hast mir sogar Lady Louisas und Lady Charlottes Erfolge vorgehalten. Deren Brüder haben ihnen geholfen. Jetzt bist du an der Reihe, mich zu unterstützen.«
»Im Übrigen«, sagte ihre Tante und bewegte den Gehstock dabei nicht von Gavins flachem Bauch weg, »sucht Harrington gerade nach einer Braut. Er muss heiraten oder aber auf die Stelle verzichten, die sein Vater durch mühevolle Überzeugungsarbeit bei Castlereagh für ihn aushandeln konnte. Elizabeth hat recht. Du solltest ihn zum Dinner einladen.«
Gavin lehnte sich gegen den Sessel und Elizabeth reichte ihm schnell mehr Tee und das letzte Stück Kuchen. »Es spricht nichts dagegen, ihn zum Dinner einzuladen, aber ich habe eine bessere Idee. Ich werde ihn zum Tee einladen.«
Der scharfe Blick seiner Tante richtete sich auf Gavin und ihr Gehstock nahm wieder seinen gewohnten Platz neben ihrem Stuhl ein. »Warum Tee?«
»Das ist ungezwungener. Wenn sie einander gefallen, können du oder Lizzy vorschlagen, dass sie einen Spaziergang im Garten unternehmen oder so etwas.« Geistesabwesend schaufelte ihr Bruder den Kuchen in sich hinein. »Und wenn es gut läuft, können wir ihn fragen, ob er uns an einem Abend zum Ball begleiten oder an einem anderen mit uns dinieren möchte.« Gavin hob träge eine Augenbraue und wandte sich wieder Elizabeth zu. »Reicht das?«
Tee? Sie machte sich Gedanken über das Angebot ihres Bruders. Es würde ihr eine Gelegenheit geben, Harrington ein bisschen näher kennenzulernen. Elizabeth schenkte ihrem Bruder ein breites Lächeln. »In der Tat, das tut es. Ich danke dir. Gib mir Bescheid, sobald du mit Seiner Lordschaft gesprochen hast und er eingewilligt hat, uns zum Tee Gesellschaft zu leisten.«
»Rein zufällig«, Gavin schmunzelte, »habe ich ihn heute früh im White’s getroffen und ihn bereits zum Tee heute Nachmittag eingeladen.«
»Gavin, du Schuft!« Elizabeth wünschte sich, sie hätte etwas Hartes zur Hand, um es nach ihm zu werfen, doch sie musste sich mit einem Kissen zufriedengeben.
»Warum hast du es uns nicht sofort gesagt?«
Er fing das Kissen und grinste sie an, bevor er es auf das Sofa legte. »Es war weitaus amüsanter, mitanzusehen, wie du und Tante Bristow versucht, mich dazu zu überreden, euch einen Gefallen zu tun.«
Er schluckte den Rest seines Tees herunter. »Wir sehen uns später.«
»Wohin gehst du?«, fragte seine Tante.
Gavins Augen leuchteten auf. »Ins Tattersall’s und in meine Clubs. Ich wette, dass Harrington nicht der einzige Gentleman ist, der diese Saison noch eine Gattin sucht.«
»Das ist er wahrlich nicht.« Ihre Tante nickte. »Es freut mich, zu sehen, dass du das Anliegen deiner Schwester, einen Ehemann zu finden, endlich ernst nimmst. Bitte sei zum Tee wieder zurück.«
»Das werde ich mit Sicherheit sein.« Er grinste. »Lasst euch niemals gesagt sein, dass ich die ehelichen Bemühungen meiner Schwester nicht unterstütze.«
»Nun ja, bei Merton warst du anderer Meinung«, erinnerte Elizabeth ihren Bruder.
»Merton wäre nichts für dich gewesen, Lizzy.« Gavin bückte sich und gab ihr einen Kuss auf die Wange.
»Gavin«, sagte Elizabeth, plötzlich besorgt über ihr Unwissen. »Ich kenne Harrington nicht gut. Wie ist er denn so?«
Die Augenbrauen ihres Bruders zogen sich leicht zusammen. »Netter Bursche. Kommt mit fast allen gut aus. Teuflisch klug. Er war der Jahrgangsbeste in Oxford. Einen Bücherwurm kann man ihn nicht nennen, denn er interessiert sich auch für Sport. Nicht besonders bestückt im Gürtelbereich, worüber du dich glücklich schätzen solltest.«
»Gavin Turley«, sagte seine Tante in einem verächtlichen Ton. »Du weißt genau, dass du solche Themen vor deiner Schwester nicht ansprechen sollst.«
»Besser, sie erfährt es jetzt, als dass sie es später herausfindet. Sieh dir doch mal an, was Lavina widerfahren ist. Hätte irgendwer sich die Mühe gemacht, ihr zu sagen, was Manners für ein Kerl war, dann hätte sie ihn wohl kaum geheiratet.«
»Das kann ich nicht bestreiten.« Seine Tante presste die Lippen zusammen, als hätte sie auf eine Zitrone gebissen.
»Können wir jetzt bitte wieder über Lord Harrington sprechen?« Es war nicht so, dass Elizabeth nicht zustimmen würde, dass die Ehe ihrer Cousine das Schlimmste war, was man sich nur hätte vorstellen können. Doch sie musste vor seinem Besuch heute Nachmittag so viel wie möglich über Lord Harrington in Erfahrung bringen. Und jetzt war ihre einzige Gelegenheit, dies zu tun. »Was kannst du mir noch sagen?«
Gavin setzte sich wieder hin. »Er kann ein bisschen spießig sein. Nicht ansatzweise so sehr wie Merton, natürlich. Aber er, oder besser gesagt sein Vater, sorgt sich um Blutlinien, Skandale und solche Dinge.«
»An den Turleys gibt es nichts auszusetzen«, warf seine Tante ein. »Hätte es etwas gegeben, wäre es eurer Mutter nicht erlaubt gewesen, euren Vater zu heiraten. Und keine Seite der Familie war je in Skandale verwickelt. Nicht einmal eine heimliche Hochzeit.«
»Wir sind ein öder Haufen«, sagte Gavin und grinste Elizabeth an.
»Daran ist rein gar nichts öde.« Ihre Tante blitzte ihn zornig an. »Es bedeutet lediglich, dass wir mehr Verstand haben als viele andere.«
Plötzlich fiel Elizabeth auf, dass ihr eine entscheidende Information fehlte. »Gavin, was hat dich dazu verleitet, Lord Harrington zum Tee einzuladen? Du hast so etwas noch nie getan, sogar, als ich es in der Vergangenheit vorgeschlagen habe.«
»Ach.« Er rieb sich den Nacken. »Nun ja, ich war heute Morgen im White’s und habe versucht, Neues darüber herauszufinden, was Napoleon im Schilde führt, als er in den Salon hereinkam. Wir haben angefangen, uns zu unterhalten, und er hat erwähnt, dass er auf dem Heiratsmarkt ist. Ich habe ein paar Sekunden darüber nachgedacht und entschieden, dass ihr beide euch gut ergänzen würdet. Du wolltest schon immer reisen, und, wie inzwischen wirklich jeder mitbekommen hat, wird er für Sir Charles Stuart arbeiten.«
Sie hätte fast gequietscht. Manchmal schaffte sie es, sich ausgesprochen peinlich zu benehmen. »Was du damit sagen willst, ist, dass wir beide versuchen werden, herauszufinden, ob wir den anderen näher kennenlernen wollen?«
»Ganz genau.« Ihr Bruder sah erleichtert aus. »Hör mal, Lizzy, du musst nicht heute entscheiden, ob du ihn heiraten willst.«
»Ja, das ist wahr«, nuschelte sie in sich hinein. »Wenn er überhaupt kommt.«
»Mach dir keine Sorgen.« Er grinste. »Ich werde ihm keine andere Wahl lassen.«