Leseprobe Funkelnde Antiquitäten

1

Henrietta Hewitt ließ sich mit einem leisen Seufzer auf ihren Stuhl sinken. Trotz der alljährlichen Saure-Gurken-Zeit im Februar hatte sie alle Hände voll zu tun. Sie schaute sich um und betrachtete die ganzen Antiquitäten und Schätze, die überall verteilt waren. In ihrem sonst so gut organisierten Laden herrschte heute Chaos.

„Das ist wohl das Letzte“, meinte Olivia, während sie die Vintage-Teile aufhängte und sich den Staub von den Händen klopfte.

„Es ist mehr, als ich dachte“, erwiderte Henrietta mit einem Blick auf die beiden Kleiderständer, die mit Roben, Jacken, Pelzen und einigen Ballkleidern überladen waren.

„Verleihen wir das alles?“

„Nein.“ Henrietta zog eine elegante weinrote Robe hervor. „Manches ist zu kostbar oder zu empfindlich. Ich schaue mir alles an und entscheide dann, was hierbleibt. Den Rest kannst du später online stellen.“

„Alles klar. Dann kümmere ich mich in der Zwischenzeit um den Bücherstapel von gestern.“

„Danke, Liebes.“ Henrietta lächelte ihre Mitarbeiterin an. Olivias Kurzhaarschnitt und dezenter Boho-Stil ließen kaum erahnen, wie warmherzig und fürsorglich sie war. Sie packte immer gern und mit einem Lächeln bei allen anfallenden Arbeiten mit an und hatte sich unentbehrlich gemacht. Henrietta wollte sie nicht mehr missen.

Olivia schlüpfte hinter die Theke und begutachtete die literarischen Werke, die darauf warteten, katalogisiert und mit Preisen versehen zu werden. Nachdem sie den Vormittag über das städtische Valentinsfest vorbereitet hatten, war nun das Tagesgeschäft an der Reihe. Henrietta freute sich, dass der Stadtrat dem Abend das Motto Ein typisch viktorianischer Valentinsball gegeben hatte. Es verlieh dem Fest nicht nur eine besondere Note, sondern stellte ihr Geschäft in den Mittelpunkt. Das einzige Problem bestand in dem schwindelerregenden Arbeitsaufwand.

Henrietta, die vor keiner schwierigen Aufgabe zurückschreckte, hatte sich sofort bereiterklärt, den Saal mit Gegenständen aus ihrem Geschäft und einigen größeren Stücken, die sie an Einheimische verkauft hatte, zu dekorieren, in der Überzeugung, dass es für diese eine Ehre wäre, sie in einem festlichen Rahmen zu sehen. Die Kunst bestand darin, dies auf eine geschmackvolle, aber für die antiken Schätze sichere Art und Weise zu tun.

Henrietta und Olivia hatten sich am Morgen im Saal umgesehen und die Lage begutachtet. Der vielversprechende Raum ließ Henrietta aufatmen. Sie erkannte, dass sie für einige der wertvollen Stücke separate Bereiche schaffen konnten, die für die Gäste unzugänglich blieben. Gleichzeitig gab es aber Ecken, in denen ihre Repliken als Sitzgelegenheiten dienten.

Es war ein Risiko, Möbel aus ihrem Geschäft aufzustellen, zumal kulinarische Genüsse angeboten wurden, aber das ging sie gern ein. Die potenziellen Aufträge nach der Veranstaltung lohnten sich hoffentlich, ganz zu schweigen von dem historischen Wissen, das die Gäste mitnehmen würden. Vielleicht waren ihre Erwartungen aber auch zu hoch.

„Ach, Henrietta“, sagte Olivia, als sie in den Verkaufsraum zurückkehrte. „Ich habe mich gefragt …“ Sie hielt inne und beobachtete ihre Chefin, die die ersten Kleider sortierte.

„Ja?“, murmelte diese und hob den Kopf.

„Gehst du eigentlich zum Ball?“

Henrietta runzelte die Stirn. „Ich weiß es noch nicht. Wieso?“

„Na ja, es wird bestimmt lustig. Eine altmodische Party mit Verkleidung und historischer Deko – das volle Programm. Das ist doch genau unser Ding, oder?“

Ein Lächeln huschte über Henriettas Gesicht und eine Wärme stieg in ihr auf, weil sie einbezogen worden war. Es klang tatsächlich ganz nach ihrem Geschmack, aber ihrer Mitarbeiterin schien noch mehr auf dem Herzen zu liegen.

„Gehst du denn hin?“

„Wahrscheinlich nicht“, erwiderte Olivia und zuckte mit den Schultern. „Nelson kann Tanzen nicht ausstehen. Ich zitiere: ‚Lieber breche ich mir beim Zocken die Hände.‘ Das sagt wohl alles.“

Henriettas Magen zog sich zusammen, sie presste die Lippen aufeinander. Olivia hatte Nelson Stern online kennengelernt und war seinetwegen nach Heart’s Grove gezogen. Egal, wie sehr Henrietta sich bemühte, etwas Positives an ihm zu finden, er beeindruckte sie kein bisschen. Seine Liebe zu Computerspielen und dass er diese ständig über das Wohl seiner Freundin stellte, machten sie fassungslos.

„Das ist echt schade, mein Schatz.“ Henrietta wählte die nächsten Worte mit Bedacht. „Andererseits … wer sagt denn, dass er mitkommen muss?“

„Stimmt“, murmelte Olivia zögernd.

Ob sie in Gedanken bei dem Streit war, der sie vor ein paar Monaten so mitgenommen hatte? Olivia hatte damals beschlossen, sich von Nelson zu trennen, aber nachdem er sie mit seinem Betteln und Flehen in ein moralisches Dilemma gestürzt hatte, änderte sie ihre Meinung.

„Vielleicht gehe ich ja“, sagte Henrietta, um Olivia zu ermutigen. „Dann kannst du mitkommen und meine Begleitung sein.“

Ihre Mitarbeiterin lachte. „Ich glaube eher, dass du kein Date brauchst.“

Henrietta öffnete den Mund, um zu fragen, was das bedeutete, aber dann flog die Tür auf und das Läuten der Glocken hallte durch den viktorianischen Laden.

„Kann’s losgehen, Henri?“, rief eine heisere Stimme. Ralph Gershwin, der Chef von Gershwin Private Investigators, spähte um die Ecke. Trotz aller Proteste nannte er sie weiterhin Henri und Henrietta hatte sich zähneknirschend damit abgefunden.

„Was für eine Begrüßung“, stöhnte sie und zog ein Gesicht wie ein begossener Pudel, worauf Olivia lachte.

„Oh, Entschuldigung“, brummte Ralph und kam näher. „Guten Tag, gnädige Frau. Würden Sie mir die Ehre erweisen und mich zum Mittagessen begleiten?“ Sein britischer Akzent, der ein wenig gestelzt klang, brachte die beiden Frauen zum Lachen.

„Aber gern“, erwiderte Henrietta und verbeugte sich leicht.

„Wow! Im Ernst“, meinte er ohne Akzent, „ich bin am Verhungern.“

„Natürlich bist du das.“ Henrietta drehte sich zu Olivia um und sagte: „Ich lasse die Ständer einfach hier stehen. Wenn jemand meckert, sag einfach, sie sind für den Ball. Ich bin in einer Stunde zurück und mache dann Fotos, die du hochladen kannst.“

„Okay, dann guten Appetit.“ Die junge Frau winkte ihnen zu, während Henrietta sich ihre Jacke und Handtasche schnappte.

„Hier entlang, Ma’am“, säuselte Ralph wieder mit Akzent, streckte den Arm aus und lächelte verschmitzt.

„Danke, Sir.“

„Ganz meinerseits.“

***

Henrietta tauchte ihr Sandwich in den French Dip, nahm einen Bissen und schloss genießerisch die Augen. Sie saßen in einem kleinen Diner am Stadtrand, das Ralph manchmal aufsuchte, wenn er wie heute Lust auf Muschelsuppe hatte. Er nahm einen Löffel von der cremigen Brühe und ein Lächeln breitete sich auf seinen ansehnlichen Zügen aus. „Nichts schmeckt besser als das hier. Gar nichts.“

„Schön für dich.“ Sie biss in ihr Sandwich und eine Wärme breitete sich in ihr aus. An diesem kalten, trüben Tag war das genau die richtige Mahlzeit.

„Weißt du was?“ Er nahm einen weiteren Löffel voll.

„Was?“

„Im Moment läuft der Laden so mies, dass ich wahrscheinlich bald dichtmachen muss.“

Sie starrte ihn an. „Das glaube ich dir nicht.“

„Es steht noch nicht fest, aber langsam werde ich verrückt.“ Er schüttelte den Kopf und sein grau meliertes Haar flog in alle Richtungen. „Seit Wochen tote Hose, kein einziger Fall.“

„Du musst der Sache etwas Positives abgewinnen“, meinte Henrietta. „Wenn keine Kriminellen ihr Unwesen treiben, hast du zwar nichts zu tun, aber es ist doch beruhigend, dass niemand krumme Dinger dreht.“

„Herzlichen Dank auch. So gesehen klinge ich wie ein Dreckskerl“, brummte er. „Aber es ist so laaangweilig.“

Sie lachte laut auf. „Ralph, wie alt bist du? Du klingst wie ein Kleinkind in der Trotzphase.“

„Jaja, schon gut“, fuhr er fort und ignorierte ihren Seitenhieb. „Es gab doch einen Auftrag, wir sollten einer Witwe helfen, ihre Schlüssel zu finden. Schlüssel, Henri. Als wären wir ein heruntergekommenes Fundbüro.“

„Habt ihr sie gefunden?“

„Klar. Was glaubst du denn?“ Ein leichtes Lächeln spielte um seine Lippen. „Aber es geht ums Prinzip. Wenn sich nicht bald was ändert, dann …“

„Was dann?“

„Keine Ahnung.“ Ralph, der als ehemaliger Polizist daran gewöhnt war, mehrere Fälle gleichzeitig zu managen, konnte mit Stillstand nichts anfangen.

„Es geht auch wieder aufwärts, so ist es doch immer.“

Er schnaubte nur und starrte mürrisch in seine Muschelsuppe.

„Du kannst mir ja beim Dekorieren des Festsaals helfen“, schlug sie grinsend vor.

„Dekorieren? Da fragst du den Falschen.“ Er hob protestierend die Hände. „Ich sollte deinen Schmuck nicht mal ansehen. Nee, das ist nichts für mich.“

„Dann such dir ein Hobby, Mr. Gershwin.“

„Pff. Ich habe schon ein Hobby – es nennt sich Privatdetektiv. Ich will einfach nur ermitteln, das ist alles.“

„Wie wär’s, wenn du Briefmarken sammelst?“, schlug sie vor und ignorierte seinen Einwand. „Oder lieber Münzen?“

„Briefmarken? Münzen? Ich bin doch kein alter Knacker!“

„Viele junge Leute sammeln solche Sachen. Glaub mir, ich habe regelmäßig mit ihnen zu tun.“

„Vergiss es, Henri. Ende der Diskussion, basta!“

„Hm.“

„Ich hab ’ne Idee“, rief er mit schelmisch funkelnden Augen. „Ich könnte schreiben.“

Ihr Kopf ruckte herum, sie starrte ihn an. „Schreiben?“

„Warum nicht? Ich könnte es mit Krimis versuchen. Zur Abwechslung mal auf dem Papier statt in echt. Könnte erfüllend sein.“ Er lehnte sich mit träumerischem Blick zurück und legte die Hand ans Kinn. „Ich sehe es schon vor mir: ein Roman von Ralph Gershwin. Das hat was.“

„Du und Schreiben“, murmelte sie, rümpfte die Nase und sah aus dem Fenster.

„Ich ziehe dich doch nur auf“, sagte er lachend. „Ich weiß, dass Schreiben dein Steckenpferd ist.“

Sie lächelte gequält. „Ich glaube eher, du willst mir auf die Nerven gehen.“

„Übrigens, wie läuft es mit deinem Buch?“

„Mit welchem?“, fragte sie und seufzte theatralisch. „Meinem geliebten Roman, der mir ans Herz gewachsen ist? Der so oft zerrissen wurde, dass er wahrscheinlich nie erscheint …“ Sie sah sich wie eine Spionin um. „Dir kann ich ja verraten, dass ich an einem Krimi arbeite.“

„Was du nicht sagst!“ Ralph klang auf einmal aufgeregt.

„Ich habe über deinen Rat nachgedacht und ein paar Details aus unserem ersten Fall aufgeschrieben.“

„Es geht also um eine verschwundene Person?“

„Um einen Jungen. Ich muss ein wenig von der Realität abweichen, um Cybils Identität zu schützen. Verstehst du?“

„Klar, logisch.“ Er kratzte den letzten Löffel Suppe aus seiner Schüssel. „Wann kann ich es lesen?“

Bei dem Gedanken, ihre Arbeit herauszugeben, zog sich das vertraute Kribbeln durch Henriettas Bauch. Bei ihrem ersten Roman, einer frei erfundenen Abenteuergeschichte über eine junge Frau auf dem Appalachen-Weg, hatte sie nicht so gezögert. Sie hatte sich mit Leib und Seele diesem Projekt verschrieben, aber die Resonanz war niederschmetternd gewesen.

Als Ralph ihr vorschlug, einen Detektivroman zu schreiben, hatte sie zuerst mit den Schultern gezuckt, doch kurze Zeit später war sie Feuer und Flamme. Sie liebte es, in spannende Geschichten einzutauchen und Kriminalfälle im echten Leben zu lösen. Warum also nicht ihre eigenen Abenteuer zu Papier bringen?

Aber der Gedanke, ihre Texte zu teilen, machte sie kribbelig. Das Schreiben erfüllte sie und sie liebte den kreativen Prozess, aber wie würden andere auf ihre neue Geschichte reagieren? Als gestandene, selbstbewusste Frau brachte sie nichts und niemand aus der Ruhe – außer Kritik an ihrem schöpferischen Schaffen.

„Ich gebe dir Bescheid.“

„Moment mal.“ Ralph stützte die Ellbogen auf den Tisch und starrte sie herausfordernd an. „Ich habe dich auf die Idee gebracht, einen Thriller zu schreiben. Das gibt mir doch das Recht, ihn zuerst zu lesen, oder?“

„Ich denke darüber nach“, meinte sie nur und lächelte schmallippig.

Er kniff die Augen zusammen und nickte. „Als Künstlerin steht dir das vermutlich zu.“

„Außerdem habe ich im Moment viel um die Ohren. Ich weiß nicht, wann ich wieder zum Schreiben komme.“

„Kann ich mir vorstellen. Der Ball frisst viel von deiner Freizeit, oder?“

„Sozusagen. Und du hast wirklich keine Lust auf ein Hobby?“

„Das kannst du dir abschminken. Aber …“ Er schaute auf seine Schüssel, dann aus dem Fenster und spielte mit seinem Löffel. Seine sonst so selbstsichere Art wich einer seltsamen Nervosität. Aber warum sollte er ausgerechnet in ihrer Gegenwart nervös sein? „Ich habe mich gefragt, ob … vielleicht …“

„Ralph Gershwin.“ Eine brüchige, hohe Stimme durchbrach die Stille.

Beide schauten zum Kopfende des Tisches und sahen eine zierliche ältere Dame mit Gehstock und riesiger Handtasche. Ihre große, runde Brille ließ ihre Augen gigantisch wirken.

„Das bin ich“, sagte Ralph und sah Henrietta fragend an, die mit den Schultern zuckte. Sie kannte diese Frau nicht.

„Ich bin eine Freundin von Eunice. Sie sagt, Sie wären ein Schatz und hätten ihre Schlüssel gefunden. Können Sie auch meine suchen?“

Henrietta wandte sich von der Dame ab und Ralph zu. Sie unterdrückte ein Grinsen, als sie bemerkte, wie seine Mundwinkel zuckten und er mit sich kämpfte, nicht laut aufzustöhnen.

„Ich glaube, du hast einen neuen Fall“, raunte sie und schlüpfte aus der Nische. „Ich muss zurück in den Laden. Danke für das Mittagessen.“ Sie lächelte ihm zu und erntete einen Blick, der laut und deutlich „Verräterin“ schrie.

Mit einem Zwinkern und einem leisen Lachen verschwand sie aus dem Restaurant.

2

Henrietta streckte sich und gähnte herzhaft, während Sepia in Schlangenlinien durch ihre Beine streifte und laut miauend nach ihrem Frühstück verlangte. „Jaja, es gibt gleich was. Lass mich doch erst mal wach werden.“

Sepia maunzte noch lauter und Henrietta seufzte leise, bevor sie in die kleine Küche schlurfte, um das Futter zu holen. Dabei knarrten die Dielen unter ihren Füßen und sie unterdrückte ein weiteres Gähnen. Das Obergeschoss des großen viktorianischen Hauses, in dem sich H. H. Antiques befand, war zu einer Wohnung mit zwei Schlafzimmern, Bad und Küche umgebaut worden. Eine alte, knarzende Außentreppe führte in die Küche. Sie war nichts Besonderes, aber praktisch und gemütlich – genau das, was Henrietta schätzte.

Nachdem sie einen Napf mit Nassfutter und einen mit Trockenfutter auf den Boden gestellt hatte, ging sie nach unten, um die Heizung einzuschalten und die Zeitung zu holen. Dann eilte sie mit klappernden Pantoffeln zurück in die warme Wohnung.

„Ganz schön frostig heute, Sepia“, murmelte sie. Die Katze reagierte wie erwartet: Sie rührte sich nicht vom Fleck und fraß in aller Ruhe weiter.

„Mal sehen, was in der Stadt los ist“, überlegte Henrietta laut und schaltete erst einmal die Kaffeemaschine ein. Danach setzte sie sich an den kleinen Küchentisch und zog die Zeitung aus der Plastikhülle. Zum Glück war sie noch trocken geblieben, denn heute sollte es wieder regnen. Sie faltete das Blatt auseinander, las die Schlagzeile und schnappte nach Luft.

Leuchtturmförderer tot aufgefunden.

Die Kaffeemaschine piepte, doch Henrietta nahm es kaum wahr. Entsetzt starrte sie auf das Foto von Gerald Folsom auf der Titelseite. Sie kannte ihn von Veranstaltungen der Stadt und des historischen Kuratoriums. Er hatte sich immer leidenschaftlich für den Erhalt der geschichtsträchtigen Teile des Ortes eingesetzt und jahrelang an der Restaurierung des Leuchtturms gearbeitet.

Der Artikel gab leider wenig her, die Informationen waren regelrecht dürftig. Obwohl keine eindeutigen Beweise existierten, schien er sich das Leben genommen zu haben. Das erschütterte sie zutiefst. Zwar kannte Henrietta Gerald nur flüchtig, aber in ihren Gesprächen hatte er immer lebensbejahend gewirkt – ein Mann, der seine Arbeit und das historische Gebäude über alles liebte. Sicher hätte er die vollständige Restaurierung des imposanten Bauwerks erleben wollen.

Allerdings konnte man nicht in die Menschen hineinsehen, selbst wenn man sich sehr nahestand. Ob Gerald mit Depressionen gekämpft hatte?

Ihr knurrender Magen riss sie aus ihren trüben Gedanken. Mit einem Seufzen stand sie auf, nahm sich eine Tasse Kaffee und eine Schale voll Knuspermüsli. Zurück am Tisch blätterte sie schnell die Titelseite mit der schockierenden Nachricht um. Es war viel zu früh, um in traurige Grübeleien zu verfallen.

***

„Ich fasse es nicht! So was landet in unserem Nest doch sonst nicht auf der Titelseite. Jedenfalls nicht, seit ich hier wohne.“ Olivia tippte am Computer des Ladens, während sie die Fotos hochlud, die Henrietta tags zuvor von den Kleidern gemacht hatte. Bald würden sie auf der Website zum Verleih angeboten werden.

„Ich hätte den Tag auch lieber fröhlicher begonnen“, stimmte Henrietta zu. „Bis zum Redaktionsschluss gab es wohl nichts Besseres.“

„Aber ausgerechnet vor dem Valentinstag? Hätten sie das nicht später bringen können?“

„Die wollen doch nur ihre Zeitung verkaufen, Olivia“, entgegnete Henrietta. „Da ist Taktgefühl eher nebensächlich.“

„Ja, das stimmt. Hast du ihn gekannt? Diesen Gerald?“

„Nur flüchtig. Bei unseren Begegnungen wirkte er immer so lebensfroh.“

„Warum sagst du das so?“ Olivia wandte sich vom Computer ab und sah Henrietta an. „Glaubst du etwa, es war Selbstmord?“

„Das steht doch im Bericht“, gab sie zurück.

„Nee, eigentlich nicht.“

Henrietta riss die Augen auf. „Nein?“ Sie nahm die Zeitung und überflog den Bericht. „Hm, scheinbar doch nicht. Dann habe ich es wohl missinterpretiert. Aber es klingt, als würden sie davon ausgehen.“

Olivia schüttelte den Kopf. „Henrietta, du bist unglaublich. Sogar beim Lesen stellst du Theorien auf.“

„Eigentlich nicht.“ Sie lächelte leicht. „Ich kann mein kritisches Denken eben nicht abschalten. Vielleicht erfahren wir ja morgen mehr.“

„Meinst du, da kommt noch was?“ Olivia klang entsetzt.

„Natürlich. Das ist eine Geschichte, die Schlagzeilen machen könnte.“

Das Telefon klingelte und ihre Mitarbeiterin zuckte zusammen.

Henrietta nahm den Hörer ab. „H. H. Antiques. Was kann ich für Sie tun?“

„Henri, hier ist Ralph.“

„Guten Morgen“, sagte sie und schaute auf den Grundriss des Festsaals. Die geplanten Bereiche nahmen langsam Gestalt an, fast alle Teile waren vorhanden. „Wie geht’s dir?“

„Du musst ins Büro kommen“, antwortete er angespannt. Sein knapper Tonfall ließ vermuten, dass etwas im Argen lag und er persönlich mit ihr reden musste.

„Ich bin schon unterwegs.“ Sie legte auf und sagte zu Olivia: „Ich muss noch was erledigen. Kommst du allein klar?“

„Logo. Außer den Vorbereitungen für den Ball gibt es ja nichts zu tun.“

„Das stimmt.“ Henrietta lachte. „Ich bin bald zurück, dann gehen wir den Plan durch.“

„Okay.“

Henrietta schnappte sich Mantel und Regenschirm und sprang in ihren Mini Cooper. Da für den Rest des Tages Regen vorhergesagt wurde, hatte sie lieber ein Dach über dem Kopf und brauste los. Bei Ralph angekommen, parkte sie neben seinem riesigen spritschluckenden Pick-up und stieg aus dem Auto, wobei sie geschickt einer großen Pfütze auswich.

„Hallo?“, rief sie, als sie die Hintertür aufdrückte. Sie war nicht abgeschlossen, da Ralph sie erwartete. Dennoch ging sie auf Nummer sicher, schließlich gab es hier Schusswaffen. Obwohl er und sein Sohn und Geschäftspartner Scott sich strikt an die Sicherheitsvorschriften hielten, handelte sie lieber getreu dem Motto Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste.

„Hier drin“, kam Ralphs Stimme aus seinem Büro auf der rechten Seite des Flurs. Gegenüber befand sich ein kleinerer Raum voller Vorräte und Arbeitsutensilien. Scotts Schreibtisch stand direkt an der Glasfront, sodass er den Eingang bei der Arbeit im Auge behalten konnte.

Als Henrietta die Tür öffnete, sah sie eine junge Frau, die Ralph gegenübersaß und sich mit einem Taschentuch die Augen trocknete. Sie warf ihr einen kurzen Blick zu, dann Ralph. „Ich nehme an, es geht um den angeblichen Selbstmord von Gerald Folsom.“

***

Henrietta war seit ihrer Kindheit dafür bekannt, mit der Tür ins Haus zu fallen. Obwohl sie sich bemühte, ihre unverblümte Art mit einem sanften Ton und einer präzisen Wortwahl abzumildern, gelang ihr das nicht immer.

Diesmal hatte sie wieder einmal zu schnell gesprochen, ohne nachzudenken. Die junge Frau schien mit dem Verstorbenen verwandt zu sein, und Henriettas unbedachte Bemerkung traf sie vermutlich mitten ins Herz. Außerdem hätte sie mehr Taktgefühl beweisen und daran denken müssen, wie ihre schonungslosen Worte ankommen könnten.

Ralphs entsetztes Gesicht sprach Bände und sie wusste sofort, dass sie sich entschuldigen musste. Zum Glück war sie nicht zu stolz, ihre Fehler zuzugeben.

„Es tut mir schrecklich leid“, sagte sie und ging ins Zimmer. „Das ist falsch rübergekommen.“

Die Frau, deren gerötete Augen ihren Schmerz erahnen ließen, schüttelte den Kopf und schniefte. „Eigentlich bewundere ich Ihren Scharfsinn und Ihre Ehrlichkeit. Ich bin Amelia, Gerald Folsoms Tochter.“

Henrietta zuckte kurz zusammen. „Ich … nun, da bin ich erleichtert. Schön, Sie kennenzulernen. Ich möchte mein aufrichtiges Beileid aussprechen. Auch wenn das gerade gefühllos klang, glaube ich, dass wir in dieser Situation keine Zeit verlieren dürfen.“

„Sicher.“ Amelia schniefte noch einmal, dann straffte sie den Rücken und gewann ihre Fassung wieder. „Sie haben den Nagel auf den Kopf getroffen. Mein Vater hat sich definitiv nicht umgebracht, und Sie müssen das beweisen.“

„Definitiv? Was soll das heißen?“, warf Ralph ein.

„Das war vielleicht missverständlich.“ Amelia biss sich auf die Lippe und betrachtete das Taschentuch in ihrer Hand. „Ich weiß nur, dass er sich niemals das Leben genommen hätte. Er hatte so viel, wofür es sich zu leben lohnte …“ Ihre Stimme brach und sie wischte sich die Tränen ab. „Ich glaube nicht, dass er mir das angetan hätte.“

Henrietta behielt diese Information im Hinterkopf – ein Gefühl lieferte zwar keinen handfesten Beweis, aber es half, sich ein Bild von der Gemütsverfassung des Toten zu machen. Wenn seine Tochter sicher war, dass er sich nichts angetan hätte, würden sie ihr fürs Erste glauben. Zumindest so lange, bis sie das Gegenteil belegen konnten.

„Ihr Verlust tut uns sehr leid, Miss Folsom“, fuhr Henrietta mit sanfter Stimme fort. „Wir tun alles, was in unserer Macht steht, um herauszufinden, was wirklich passiert ist. Ich halte es jedenfalls für voreilig, die Selbstmordtheorie als gesichert zu betrachten. Sollte die Polizei allerdings etwas anderes feststellen, können wir den Fall nicht mehr beeinflussen.“

„Dieser neue Detective hat sich längst eine Meinung gebildet.“ Amelia ließ den Kopf hängen und rümpfte die Nase. „Ich durfte nicht mal erklären, warum Dad sich nicht umgebracht hat. Er hat mich bloß an seinen Kollegen weitergereicht, damit der meine Aussage aufnimmt.“

„Ein neuer Detective?“ Henrietta schaute Ralph mit hochgezogenen Brauen an.

„Ich …“, er öffnete und schloss den Mund wie ein Fisch, ohne ein Wort herauszubringen. „Keine Ahnung, wer das ist.“

„Irgendeine große Nummer. Nicht von hier, so viel steht fest.“ Amelia packte ihre Sachen. „Es tut mir leid, dass ich schon gehe, aber ich muss noch so viel organisieren. Bitte halten Sie mich auf dem Laufenden.“

Sie verabschiedeten sich, und nachdem Amelia den Raum verlassen hatte, wagte Henrietta einen weiteren Versuch. „Was für ein neuer Detective?“

„Das wusste ich gar nicht!“ Ralph sprang auf und tigerte durch den Raum. Die Nachricht brachte ihn völlig aus der Fassung. „Wo kommt der überhaupt her? Von einer anderen Dienststelle?“

Obwohl ihm in der Sache die Hände gebunden waren, brachte es nichts, ihn daran zu erinnern. Also ließ Henrietta ihn etwas Dampf ablassen, bevor sie ihn zum eigentlichen Thema zurückbrachte.

„Ralph, wie wollen wir anfangen?“

Endlich hielt er inne und drehte sich zu ihr um. „Zuerst finde ich heraus, wer dieser Typ ist. Ich brauche sowieso mehr Infos über Folsom. Vielleicht verrät mir der Rechtsmediziner was oder wenigstens mein Kumpel da drüben. Wir können erst ermitteln, wenn wir die Todesursache kennen.“

Henrietta nickte und erhob sich. „Aber deshalb sollte ich nicht herkommen, oder?“ Sie zog eine Augenbraue hoch und fixierte ihn herausfordernd.

„Eigentlich nicht. Du solltest Amelia kennenlernen und dir einen ersten Eindruck verschaffen.“

„Glaubst du, sie steckt da irgendwie mit drin?“

„Nein. Wer seinen Vater killt, engagiert doch keine Ermittler.“

Henrietta schauderte bei der brutalen Ausdrucksweise, aber die Logik war klar: Amelia hätte niemals aktiv nach ihnen gesucht, wenn sie schuldig gewesen wäre. Dass sie trotzdem auf Mord beharrte, sprach für einen handfesten Verdacht.

„Gut, dass du mich gerufen hast. Ich denke, man kann ihr vertrauen oder sie ist eine verdammt gute Schauspielerin.“

„Da ist vielleicht was dran.“ Er stand auf und kam hinter seinem Schreibtisch hervor. „Danke, dass du so kurzfristig gekommen bist. Ich wusste, dass es nicht lange dauert, deshalb bin ich froh, dass du dir die Zeit genommen hast. Ich bringe dich zur Tür.“

„Gehst du jetzt aufs Revier?“

„Nicht direkt.“ Er grinste breit und sein gelegentlich mürrisches Gesicht hellte sich auf. „Eigentlich will ich zum Deli gegenüber der Wache.“ Seine Augen funkelten so schelmisch, dass Henrietta lachte. „Dort gibt’s nämlich die essenziellen Infos.“

„Das glaube ich dir sofort.“ Sie entriegelte ihren Wagen und stieg ein. „Dann viel Glück.“

3

Langsam, aber sicher verwandelten sie den Festsaal in ein Schmuckstück. Der diesjährige Valentinsball würde das schönste Ereignis sein, das Heart’s Grove je gesehen hatte. Zumindest hoffte Henrietta das von ganzem Herzen. Sie war zwar kein Fan vom Tanzen oder von großen Festen, aber beim Gestalten der kleinen Kulissen blühte sie auf. Am Vormittag hatten sie alles genau ausgemessen, um sicherzugehen, dass die geplanten Elemente passten.

Jetzt öffneten sie den Laden eine Stunde später als sonst, doch Henrietta störte das nicht im Geringsten. Es war ohnehin nichts los, und die Zeit, die sie mit Putzen oder Umräumen verbracht hätte, floss in die Ausstattung der Feier.

„Das Wohnzimmer mit dem Grammofon gefällt mir am besten. In allem steckt ein Stück Geschichte. Wenn die Leute nicht tanzen, können sie deine Kreationen bewundern, Henrietta.“

„Danke, das ist lieb von dir, Olivia“, sagte Henrietta lächelnd. „Das Ganze macht mir sogar mehr Spaß, als ich dachte. Es könnte aber sein, dass ich demnächst abgelenkt werde. Neulich habe ich …“

„Halloooo“, trällerte eine Stimme von vorn.

Beide hoben die Köpfe und erblickten Gina Russo, die Besitzerin von Espresso Yourself, dem Café direkt neben H. H. Antiques.

„Gina“, freute sich Henrietta. „Was machst du denn hier? Oh, du hast auch was mitgebracht.“

„Ich dachte, ihr könntet einen Muntermacher gebrauchen. Meine Vertretung springt für mich ein, damit ich euch Latte bringen kann.“

„Oh, cool!“ Olivia nahm das dampfende Getränk begeistert entgegen.

„Übrigens gibt’s auch Zitronen-Scones! Die haben zwar keine Saison, aber im Winter kann jeder was Zitroniges vertragen, oder? Ich kann das Schmuddelwetter nämlich nicht mehr sehen.“

„Stimmt.“ Olivia biss mit glänzenden Augen in das Gebäck. „Mhm, lecker.“

„Danke, Gina.“ Henrietta griff nach Scone und Kaffee.

„Kein Thema. Wie geht’s euch denn? Ihr seid vorhin vom Ballsaal gekommen, stimmt’s? Ich hab euch gesehen.“

Dann plauderten sie über den Tanzabend und Henrietta erklärte, wie sie sich das Ganze vorstellte. Gina gehörte zu den Sponsoren und bekam glänzende Augen, als sie von den fantastischen Details hörte.

„Ich glaube, so schlagen wir zwei Fliegen mit einer Klappe. Die Stadt nimmt etwas Geld ein und die Stimmung der Leute hebt sich.“ Gina schüttelte den Kopf. „Die Sache mit Gerald hat uns alle ziemlich mitgenommen.“

Henrietta nickte ernst. „Es ist wirklich schlimm.“

„Die arme Amelia. Das kann sie jetzt überhaupt nicht gebrauchen. Na ja, eigentlich braucht niemand so was. Du weißt schon, was ich meine.“

„Eigentlich nicht.“ Henrietta kniff die Augen zusammen. „Du kennst Amelia?“

„Wir sind im selben Buchklub. Wir haben uns vor ein paar Jahren in der Bibliothek kennengelernt und sind dann zusammen dem Klub beigetreten. Es hat immer Spaß gemacht, und jetzt das … Sie tut mir so leid.“

„Ich wusste nicht, dass ihr befreundet seid.“

„Doch, doch. Dabei steckt sie mitten in den Hochzeitsvorbereitungen. Was für ein Schock!“

„Ich wusste nicht, dass sie verlobt ist.“ Henrietta erinnerte sich an ihre Begegnung. Ihr war kein Verlobungsring aufgefallen, möglicherweise wurde er gerade angepasst.

„Doch. Seit einem halben Jahr, oder so. Wer weiß, vielleicht wirft sie jetzt alles über den Haufen. Vielleicht schwebt sie aber auch auf Wolke sieben, deshalb glaube ich nicht, dass sie ihre Pläne ändert. Entsetzlich!“ Gina schüttelte wieder den Kopf.

„Das ist echt traurig“, murmelte Olivia, die das Gespräch wie ein Sportereignis verfolgte.

„Ich gehe besser zurück. Die Neue macht sich zwar gut, aber ich lasse sie lieber nicht zu lange allein. Genießt euren Latte, Mädels.“ Gina winkte und marschierte zur Tür.

Henrietta sah ihr hinterher und ließ das Gespräch Revue passieren. Amelia stand kurz vor der Eheschließung und ihr Vater hatte sich das Leben genommen? Selbst wenn sie ein schlechtes Verhältnis zueinander gehabt hätten, was sie nicht annahm, erschien ihr das seltsam. Er hatte sich bestimmt darauf gefreut, seine Tochter zum Altar zu führen.

***

Am Nachmittag erhob sich Henrietta von ihrem Platz hinter der Kasse und streckte sich. In den letzten drei Stunden hatten sich nur zwei Kunden in den Laden verirrt. Eigentlich wollte sie Olivia früher in den Feierabend schicken, aber da die Bucherfassung so gut lief, blieb sie. Ihr Handy vibrierte – eine Nachricht von Ralph. Das war eine echte Überraschung! Er schrieb eher selten, telefonierte lieber, aber manchmal schickte er eine WhatsApp. Mit knappen Worten bat er sie, in sein Büro zu kommen, sobald sie Zeit habe.

Henrietta steckte den Kopf ins Hinterzimmer und fand Olivia in ein Buch vertieft vor, ihre Nase berührte fast die Seite.

„Du klebst ja richtig an diesen Wälzern.“

Ihre Mitarbeiterin zuckte zusammen und sah auf. „Ich habe dich gar nicht gehört. Stimmt, wir lieben uns heiß und innig.“

„Das sehe ich.“ Henrietta betrachtete den Stapel mit den fertigen Bänden. „Du kommst ja super voran. Erstaunlich, wie produktiv man sein kann, wenn man nicht ständig von Kunden unterbrochen wird.“

„Da hast du recht.“

„Ich gehe zu Ralph. Es gibt wohl was Neues in unserem derzeitigen Fall.“

„Soll ich nach vorn gehen?“

„Nein.“ Henrietta schüttelte den Kopf. „Wahrscheinlich schließe ich heute früher. Du kannst gehen, wenn ich wiederkomme oder wenn du mit dem Buch fertig bist. Beides ist okay.“

„Alles klar.“

„Aber übertreib’s nicht, ja?“

„Mach ich nicht“, antwortete Olivia lächelnd.

Henrietta zog ihren Mantel an, hängte sich die Handtasche über die Schulter und marschierte zu ihrem Auto. Kurz darauf trottete sie durch den Flur des Gershwin-Büros und hörte Amelias helle Stimme. Also gab es tatsächlich Neuigkeiten in ihrem Fall.

„Hallo“, grüßte sie beim Eintreten.

„Schön, dass du kommen konntest“, bemerkte Ralph.

„Hallo noch mal“, sagte Amelia.

Henrietta setzte sich und musterte die beiden. „Worum geht’s denn?“

„Mein Vater ist offiziell als Selbstmörder eingestuft worden“, erzählte Amelia. Ihre Augen glänzten feucht, aber sie hielt die Tränen zurück.

„Das tut mir leid.“

„Mir auch. Angeblich hätte er unter der Jahreszeit gelitten, meine Einwände haben sie einfach abgewiegelt. Das ist doch absurd. Dad hatte keine Probleme mit schlechtem Wetter. Wie auch immer, jetzt möchte ich Sie erst recht engagieren, Mr. Gershwin. Beweisen Sie, dass er sich nicht umgebracht hat.“

„Einen Moment.“ Ralph hob eine Hand. „Natürlich tun wir alles, um den Tod Ihres Vaters aufzuklären. Aber wir gehen jedem Hinweis nach, egal in welche Richtung der uns führt.“

„Ich verstehe. Sie werden ganz sicher feststellen, dass er nicht freiwillig gegangen wäre.“

Amelia klang so entschlossen, dass Henrietta ein Schauer über den Rücken lief, bevor sie sagte: „Ich denke, Sie haben recht. Er hatte zu viel, wofür es sich zu leben lohnte. Wie Ihre Hochzeit.“

Amelia schaute auf ihre Hände und ein trauriges Lächeln huschte über ihr Gesicht. „Sein Tod überschattet natürlich alles, aber ich freue mich trotzdem darauf. Nur ohne ihn …“ Jetzt brachen sämtliche Dämme.

„Keine Sorge, Miss Folsom, wir kümmern uns darum.“

„Danke“, stammelte sie. „Es ist nur … es kam so plötzlich.“

„Natürlich.“ Henrietta legte Amelia tröstend die Hand auf den Arm. „Wir geben unser Möglichstes, so schnell wir können.“

Die junge Frau schenkte ihnen ein zittriges Lächeln, bevor sie das Büro verließ.

Als die Tür hinter ihr ins Schloss fiel, wandte sich Ralph mit hochgezogenen Augenbrauen an Henrietta: „Wir? Du unterstützt mich also?“

„Hast du mich nicht deshalb beide Male hergebeten?“

„Schon“, gab er zu, „ich habe aber nicht damit gerechnet, dass du einfach so einsteigst. Du musst dich ja auch um den Ball kümmern.“

Sie lachte und zwinkerte. „Olivia und ich könnten die Halle im Schlaf auf Vordermann bringen. Außerdem ist im Laden sowieso nichts los. Aber das hier hat Vorrang, denn ich mochte Gerald Folsom und will wissen, was wirklich mit ihm passiert ist.“

„Ich auch.“ Ralph zog einen vollgekritzelten Block hervor. „Ich habe mir schon mal ein paar Notizen gemacht, bevor du gekommen bist. Wahrscheinlich ist es am besten, wenn wir getrennt vorgehen.“

„Und wie stellst du dir das vor?“

„Scott recherchiert in seiner Freizeit, weil er auch für die Polizei arbeitet. Er wurde unter Vertrag genommen, was sich anbietet, solange es hier ruhig ist.“

„Das stimmt.“

„Ich nehme den Fall selbst in die Hand und versuche, mehr Details von meinem Informanten zu bekommen.“

„Wie ist euer Treffen eigentlich gelaufen?“

Er schnaubte laut. „Gar nicht. Er ist nicht zu seinem üblichen Mittagessen aufgetaucht. Deshalb habe ich ihm eine WhatsApp geschickt. Er meinte bloß, er hätte zu viel um die Ohren. Irgendwie komisch. Aber wir sind für morgen verabredet. Hoffentlich erfahre ich dann etwas Nützliches.“

„Und was soll ich machen?“

„Nimm Folsoms Leben auseinander. Finde heraus, was er vorhatte, wie das mit dem Leuchtturm gelaufen ist, solche Dinge. Du hast ein Händchen dafür, lose Fäden zu finden und sie zu verknüpfen. Also leg los.“

Sie runzelte die Stirn und nickte bedächtig. „Okay.“

„Bist du sicher, dass du Zeit hast?“

„Ja, das sollte passen.“

„Alles klar. Sag Bescheid, wenn du mehr weißt, dann treffen wir uns für ein Update.“

Henrietta nickte und verzog die Lippen zu einem dünnen Lächeln. Es klang so professionell, dass sie sich wie eine echte Privatermittlerin fühlte. Dennoch würde sie Ralph die richtige Arbeit überlassen und auf eigene Faust recherchieren.

Sie winkte und marschierte zum Ausgang. Um Geralds Tod zu verstehen, musste sie sich zuerst einen Überblick über sein Leben verschaffen.

4

Am frühen Morgen bekam Henrietta eine E-Mail von Amelia mit den Fotos von Geralds Terminkalender, um die sie gebeten hatte. Sie öffnete die Nachricht und schaute sich die Einträge der letzten Monate an. Einer stach ihr sofort ins Auge: ein Termin bei Dr. Mays, nur wenige Tage vor seinem Tod. Da Henrietta den Arzt kannte, beschloss sie kurzerhand, ihn vor der Sprechstunde aufzusuchen – womöglich war die ärztliche Schweigepflicht durch Folsoms Tod hinfällig geworden.

Sie klopfte an die Seitentür von Dr. Mays Wohnung und ließ erleichtert die Schultern sinken, als er lächelnd öffnete.

„Henrietta Hewitt. Was führt Sie zu mir?“

Sie lächelte zurück und erinnerte sich an den Porzellanschrank, den er letztes Weihnachten für seine Frau gekauft hatte.

„Keine Krankheit, Dr. Mays. Darf ich trotzdem kurz stören? Sie haben sicher viel zu tun, aber ich müsste Ihnen ein paar Fragen stellen.“

„Natürlich.“ Er ließ sie eintreten und führte sie in sein privates Arbeitszimmer. Es wirkte warm und einladend, vor dem massiven Eichenschreibtisch standen zwei bequeme Lederstühle. Henrietta nahm auf einem Platz, während er sich lässig auf seinen breiten Ledersessel fallen ließ. Mit einer routinierten Bewegung griff er nach seinen Notizen und blätterte darin.

„Wie kann ich Ihnen helfen?“

„Ich arbeite gerade an einem Fall mit Ralph Gershwin.“

„Seit wann sind Sie denn Privatdetektivin?“, fragte der Arzt lachend.

„Seit Ralph mich angefleht hat“, konterte Henrietta.

Er gluckste und nickte. „Was hat das mit mir zu tun?“

„Wir untersuchen den Tod von Gerald Folsom. Offenbar hat er sich nicht das Leben genommen. Wir vermuten, dass etwas Heimtückisches dahintersteckt.“

„Heimtückisch?“ Dr. Mays beugte sich vor. „Wie meinen Sie das?“

„Ich kann jetzt nicht ins Detail gehen, aber ich weiß, dass er Sie vor ein paar Tagen aufsuchte. Natürlich sind Sie an die Schweigepflicht gebunden, aber da er tot ist und seine Tochter uns engagiert hat, dachte ich …“

Manchmal sehnte sich Henrietta nach dem pulsierenden Leben in der City. Aber in Momenten wie diesen, wenn sie die Vertrautheit und Hilfsbereitschaft der Menschen in der Kleinstadt spürte, war sie froh, hier zu leben. In der Großstadt hätte sie kaum so offen mit einem Arzt über Patientendaten sprechen können.

„Eigentlich darf ich dazu nichts sagen“, erklärte Dr. Mays. „Aber Sie haben nicht ganz unrecht. Er lebt nicht mehr … und ich möchte gern helfen.“

Henrietta lehnte sich zurück, ein leichtes Lächeln umspielte ihre Lippen. Sie hielt ihre Begeisterung aber lieber im Zaum, damit der Mann es sich nicht doch anders überlegte.

„Wie wirkte er bei Ihrem Termin? Vielleicht deprimiert?“

„Im Gegenteil“, entgegnete Dr. Mays. „Er wirkte optimistisch, sogar aufgeregt.“

„Wissen Sie, warum?“

„Weil er sich auf die Hochzeit seiner Tochter freute. Außerdem war er kerngesund, bis auf das Zucken in seinem rechten Zeigefinger. Deshalb habe ich ihn an einen Orthopäden überwiesen.“

„War er deswegen hier?“

„Nein. Er kam zu seinem jährlichen Check-up. Er hat vorausgedacht und wollte für seine Enkel fit sein, auch wenn noch keine anstehen.“

Henrietta wurde das Herz schwer. Alles deutete darauf hin, dass Gerald Folsom jeden Grund zu leben gehabt hatte und sich nie umgebracht hätte.

„Hat die Polizei mit Ihnen gesprochen?“

„Wie man’s nimmt“, brummte er mit einem feindseligen Unterton.

„Wie meinen Sie das?“

„Dieser neue Detective hat mich befragt. Ich habe ihm dasselbe erzählt“, knurrte er und verzog das Gesicht. „Der hat kaum zugehört und alles abgewiegelt, was seiner Theorie widersprach. Scheinbar ist es ihm wichtiger, seinen ersten Fall schnell abzuschließen. Dass Mr. Folsom nichts fehlte und guter Dinge war, hat er als Geschwätz abgetan. Schwachsinn!“

Henrietta nickte ernst. Wenn niemand diesen neuen Polizisten in die Schranken wies, würde er wohl für Wirbel sorgen. Andererseits befand er sich in der Eingewöhnung und brauchte vermutlich Zeit, um zu erkennen, dass es in der Provinz nicht so zuging wie in der Großstadt. Falls er von dort kam.

„Das hilft mir sehr, Dr. Mays. Vielen Dank.“

„Kein Problem. Wie gesagt, die Beamten interessierte es nicht, dass sie falschliegen. Angeblich hätte Mr. Folsom keinen anderen Ausweg gesehen.“

Henrietta verzog ratlos das Gesicht und zuckte mit den Schultern. „Mal sehen, was wir finden.“

„Hoffentlich widerfährt Folsom Gerechtigkeit. Er war ein guter Mensch und hat so ein Ende nicht verdient – egal, wer dahintersteckt.“

„Da bin ich ganz Ihrer Meinung.“

Sie bedankte sich und verließ das Büro des Arztes in Gedanken versunken über den neuen Polizisten und die Informationen, die sie gerade erhalten hatte. Gerald konnte doch unmöglich innerhalb weniger Wochen so tief gesunken sein, oder?

***

„Der Typ ruiniert die Stadt!“, brauste Ralph auf und erntete einen missbilligenden Blick von Henrietta. „Tut mir leid.“ Er hob beschwichtigend die Hände.

„Was ist denn los?“

Sie saßen in einem Fischrestaurant mit Blick aufs Meer, die Sonnenstrahlen tanzten auf den schaumgekrönten Wellen. Nach dem erkenntnisreichen Gespräch mit Dr. Mays hatte sie Ralph angerufen, um ihn auf den neuesten Stand zu bringen, worauf er sie spontan zum Essen einlud. Da Henrietta sich weder eine köstliche Mahlzeit noch Ralphs Gesellschaft entgehen ließ, sagte sie zu. Jetzt fragte sie sich, ob das Gespräch nicht besser in seinem Büro stattgefunden hätte.

„Ich habe Ken getroffen. Du erinnerst dich doch an den guten alten Kenny, oder?“

Henrietta nickte und nahm einen Bissen von ihrem butterzarten Heilbutt.

„Wir treffen uns immer in diesem Deli. Jedenfalls sagte er, dass mit diesem neuen Grünschnabel alles den Bach runtergeht.“

„Wie heißt er denn?“

„Abraham Paige. Kommt aus Chicago, hält sich für den Größten und glaubt, das Rad neu erfinden zu müssen.“

Henrietta verzog missbilligend den Mund und schüttelte den Kopf, worauf Ralph mit den Schultern zuckte.

„Na ja, vielleicht mache ich aus einer Mücke einen Elefanten. Oder eine ganze Herde“, fügte er hinzu, als Henrietta die Brauen hochzog und den Kopf neigte. „Jedenfalls will er die ‚Kleinstadtmethoden‘ abschaffen oder so.“

„Im Klartext?“

„Die Fälle sollen möglichst schnell abgeschlossen werden, als ob das nicht ohnehin das Ziel wäre. Und dafür hat Paige eine lange Liste mit ‚effektiven Maßnahmen‘.“

„Das könnte doch aber nützlich sein.“

Ralph warf Henrietta einen eisigen Blick zu. „Von wegen. Er streicht bewährte Praktiken, die seit Jahren reibungslos funktionieren. Heart’s Grove ist weder Chicago noch Seattle und wird es wohl auch nie sein. Aber was weiß ich schon? Du musst Strategien finden, die zu deinem Standort passen – und der Junge hat von Tuten und Blasen keine Ahnung.“

„Ralph, das weißt du nicht.“

„Wie er mit dem Fall Gerald Folsom umgeht, sagt doch alles.“

Henrietta zuckte mit den Schultern. Ja, die Sache lief nicht rund, dennoch wollte sie Paige nicht voreilig als Trottel abstempeln. Möglicherweise musste man einen anderen Blickwinkel einnehmen, um seine positiven Seiten zu entdecken. Aber das behielt sie lieber für sich.

„Vielleicht sollten wir ihm erst mal eine Chance geben.“

„Ja, kann sein. Ich bezweifle, dass Ken mir jetzt noch Infos gibt. Der Diktator regiert offenbar mit der Peitsche.“

„Ich bin mir sowieso nicht sicher, ob es gut ist, wenn du Details von alten Kontakten bekommst.“

„Fang du nicht auch noch an.“ Ralph verdrehte die Augen und vertilgte den Rest seines Lachses.

„Jedenfalls habe ich etwas Interessantes von Dr. Mays erfahren.“

„Was denn?“

Sie erzählte es ihm und er nickte nachdenklich. „Das ist eine überzeugende Aussage. Wenn dieses Greenhorn auf den Arzt gehört hätte, würde er anders über die Sache denken. Der ist doch auf beiden Augen blind!“

„Oder er muss sich erst eingewöhnen und lernen, verstehst du?“

„Kann sein“, murmelte Ralph skeptisch.

Nachdem sie die Rechnung bezahlt hatten, zogen sie ihre Mäntel an und gingen zur Tür. Kaum hatten sie die Schwelle erreicht, hallte Henriettas Name durch den Raum.

„O nein“, stöhnte Ralph und packte ihren Arm. „Spiel die Taube, wir verschwinden.“

„Ralph“, schimpfte sie leise und drehte sich um. Bürgermeister Ricky Lawrence schlängelte sich zwischen den Tischen hindurch und steuerte auf sie zu. „Es dauert nur eine Minute. Geh doch schon mal zum Auto.“

Er schaute sie nur schief an und sagte nichts mehr, weil Lawrence bereits vor ihnen stand. „Henrietta Hewitt, Sie kommen wie gerufen.“

„Guten Abend, Ricky“, grüßte sie. „Sind Sie mit Lois hier?“

„Ja, genau. Sie pickt gerade die Muscheln aus ihrer Muschelsuppe.“

„Ich … oh“, murmelte Henrietta und runzelte die Stirn. Was sollte sie dazu sagen?

„Sie mag die Dinger nicht, sie wären zu zäh. Wie auch immer, ich freue mich, Sie zu sehen. Ich wollte sowieso mal bei Ihnen vorbeischauen, aber im Moment komme ich zu nichts. Es ist die Hölle los, das können Sie sich nicht vorstellen.“

„Doch, kann ich“, brummelte Henrietta.

„Wie läuft’s mit den Ballvorbereitungen?“ Er verschränkte erwartungsvoll die Hände.

„Sehr gut. Dank Olivias Hilfe geht es zügig voran, und wir arrangieren bald die großen Teile.“

„Wird alles rechtzeitig fertig?“, fragte er besorgt.

„Natürlich“, versicherte sie und lachte leise. „Wir hören erst auf, wenn alles perfekt ist.“

„Es ist nur …“, er hielt inne, schaute sich flüchtig um, bevor er flüsterte, „ein bisschen … eng. Sie wissen schon … finanziell. Dieser Ball muss alles übertreffen, was Heart’s Grove je gesehen hat. Verstehen Sie? Er muss lukrativer sein als je zuvor.“

„Wir geben unser Bestes. Die Kasse wird auf jeden Fall klingeln“, fügte sie hinzu, um ihm den Wind aus den Segeln zu nehmen.

„Gut, gut, gut.“ Er warf Ralph einen kurzen, bedeutungsvollen Blick zu, bevor er sich Henrietta zuwandte. „Ich habe Gerüchte gehört, dass Sie Mr. Gershwin bei einem Fall unterstützen. Das ist sicher nicht wahr, so beschäftigt, wie Sie sind.“ Er lachte aufgesetzt.

„Ich arbeite mit Ralph zusammen“, erklärte sie, brach aber ab, als Ricky entsetzt zurückzuckte. „Ich habe aber Zeit für beides.“

Und auch für Ihr Geschäft?“

„Momentan ist es ruhig.“

Er musterte sie zweifelnd.

„Ricky, die Kulissen stehen praktisch. Sie müssen nur noch aufgebaut werden. Ich verspreche, dass alles rechtzeitig fertig werden und fantastisch aussehen wird.“

„Ich …“

„Gut, dass wir darüber gesprochen haben“, mischte Ralph sich ein, klopfte dem Bürgermeister energisch auf den Arm und packte mit der anderen Hand Henrietta. „Wir müssen los. Geschäftlich.“

In dem Moment klingelte Henriettas Handy. Die perfekte Gelegenheit, sich aus dem Staub zu machen. „Wir schaffen es pünktlich, es wird zauberhaft. Versprochen!“ Sie wedelte mit dem klingelnden Telefon, während sie aus dem Restaurant verschwanden und Ricky händeringend zurückließen.

Bevor Ralph zu Wort kam, nahm Henrietta den Anruf an. „Hallo?“

„Spreche ich mit Henrietta Hewitt?“

„Ja.“ Die Stimme kam ihr bekannt vor, durch den aufkommenden Wind erkannte sie sie aber nicht.

„Oh gut, hier ist Amelia Folsom.“

„Hallo, Amelia“, sagte sie mit erhobener Stimme, damit Ralph wusste, wer dran war.

„Entschuldigen Sie den späten Anruf. Ich habe Ihre Nummer von Gina, das ist hoffentlich in Ordnung.“

„Natürlich. Was kann ich für Sie tun?“

„Beim Aufräumen im Leuchtturm habe ich etwas gefunden. Das sollten Sie sich ansehen. Ralph meinte, Sie kümmern sich um den persönlichen Hintergrund meines Vaters und … ich denke, das gehört dazu.“

Henrietta hob die Augenbrauen und nickte. „Ja, das stimmt. Ich kann morgen vorbeikommen, wenn das passt.“

„Wir könnten uns um zehn treffen.“

„Super, dann bis morgen.“

„Danke und gute Nacht.“

„Gute Nacht“, sagte Henrietta und legte auf.

„Gibt es was Neues von Amelia?“

„Ja, anscheinend hat sie etwas Interessantes gefunden.“

„Genial.“ Er grinste breit. „Soll ich mitkommen?“

Henrietta überlegte kurz, schüttelte dann den Kopf. „Fürs Erste gehe ich lieber allein. So lerne ich Amelia besser kennen. Vielleicht erzählt sie mehr, wenn wir unter uns sind.“

„Wie du willst. Ich vertraue auf dein Bauchgefühl.“

„Sehr schön. Heißt das, du fährst mich jetzt zu Bert’s?

Der Name ihrer Lieblingseisdiele rief ein Augenrollen bei Ralph hervor. „Wenn dein Bauch dir das zuflüstert, geht’s wohl nicht anders.“

Sie schmunzelte und er bot ihr seinen Arm an – auf zu Bert’s Ice Cream.