Leseprobe God of Malice – Gefährliche Liebe

Anmerkung der Autorin

Hallo liebe Lesefreunde,

wenn ihr bisher noch keins meiner Bücher gelesen habt, dann ist es euch vielleicht noch nicht klar, aber ich schreibe dunklere Geschichten, die für manche verstörend oder erschütternd sein können. Meine Bücher und deren Hauptcharaktere sind nichts für Leute mit schwachen Nerven.

Killian Carson, der Hauptcharakter dieses Buchs, ist ein echter Psychopath. Das ist keine Märchengeschichte über einen bösen Jungen, der irgendwann gezähmt wird. Er ist ein Schurke, der sehr fragwürdig handelt. Wer mit moralisch dunklen Charakteren also nicht umgehen kann, sollte nicht weiterlesen.

In diesem Buch kommen Suizidgedanken vor sowie nicht-einvernehmliche sexuelle Handlungen oder solche, bei denen das Einvernehmen fraglich ist. Ich vertraue darauf, dass ihr wisst, was ihr vertragen könnt, bevor ihr weiterlest.

Dieses Buch ist in sich abgeschlossen.

 

EINS

Glyndon

Desaster nehmen in dunklen Nächten ihren Anfang. Sternenlosen, seelenlosen, leblosen Nächten. Solchen, die sonst nur in alten Schauergeschichten vorkommen.

Ich blicke hinunter zu den tosenden Wellen, die sich gegen die spitzen Felsen unterhalb der Klippe werfen. Meine Beine zittern knapp vor der Kante, während sich blutige Bilder mit der zerstörerischen Kraft eines Hurrikans in meinen Geist zwängen. Jedes Detail, jede verstörende Bewegung spielt sich vor meinem inneren Auge ab. Der aufheulende Motor, das schlitternde Auto und schließlich das entsetzliche Knirschen von Metall auf Felsen gefolgt vom Aufschlag auf den tödlichen Wellen.

Aber hier ist kein Auto und auch keine Person darin. Keine Seele, die sich von einem Moment auf den anderen unaufhaltsam in Luft auflöst.

Hier gibt es nichts als das wütende Tosen der Wellen gegen die unnachgiebigen Felsen.

Trotzdem wage ich es nicht zu blinzeln.

Auch damals habe ich es nicht gewagt. Ich konnte nur starren, nichts als starren, und schließlich kreischen wie eine gespenstische Sagengestalt.

Aber er hat mich nicht gehört. Dieser Junge, dessen Körper und Seele nicht länger unter uns weilen.

Der Junge, der es trotz seiner eigenen mentalen und emotionalen Kämpfe immer geschafft hatte, für mich da zu sein.

Ein plötzlicher Schauer läuft mir über den Rücken und ich ziehe meine Flanelljacke über das weiße Top und die Jeansshorts. Aber es ist nicht die Kälte, die ich bis in meine Knochen spüre.

Es ist die Nacht.

Der Schrecken dieser gnadenlosen Wellen.

Alles ähnelt auf unheimliche Weise der Atmosphäre vor ein paar Wochen, als Devlin mit mir zu dieser Klippe auf Brighton Island fuhr. Einer Insel, die eine Stunde mit der Fähre vor der Südküste Großbritanniens liegt.

Bei unserem ersten Mal hier hätte ich nie gedacht, dass alles einmal ein tödliches Ende nehmen würde.

Auch damals waren keine Sterne zu sehen, und genau wie heute Nacht schien der Mond grell, wie ein Tropfen reinen Silbers auf einer blanken Leinwand. Die unvergänglichen Felsen sind stumme Zeugen des Blutes, des verlorenen Lebens – und eines überwältigenden Gefühls der Trauer.

Sie alle sagen, dass es mit der Zeit besser wird. Meine Eltern, meine Großeltern, mein Therapeut.

Aber es ist nur noch schlimmer geworden.

Seit Wochen habe ich keine Nacht mehr als zwei Stunden Schlaf voller verschwommener Albträume bekommen. Immer wenn ich die Augen schließe, sehe ich Devlins freundliches Gesicht vor mir. Dann lächelt er und aus all seinen Körperöffnungen schießt ein scharlachroter Strom heraus.

Ich wache zitternd und weinend auf und verkrieche mich in mein Kissen, damit niemand denkt, ich sei verrückt geworden.

Oder dass ich noch mehr Therapie brauche.

Eigentlich sollte ich die Osterferien mit meiner Familie in London verbringen, aber ich habe es einfach nicht mehr ausgehalten.

Ich bin aus reinem Impuls heraus aus dem Haus geschlichen, sobald alle eingeschlafen waren, bin zwei Stunden gefahren, eine weitere Stunde mit der Fähre und schließlich irgendwann nach zwei Uhr morgens hier gelandet.

Manchmal will ich mich nicht mehr vor allen verstecken müssen, einschließlich mir selbst. Aber oft ist es einfach zu schwer und ich kann nicht mehr richtig atmen.

Ich kann Mum nicht in die Augen sehen und sie anlügen. Ich kann Dad und Grandpa nicht mehr vorspielen, dass ich ihr kleines Mädchen bin.

Ich glaube, die Glyndon King, die sie neunzehn Jahre lang großgezogen haben, ist vor ein paar Wochen zusammen mit Devlin gestorben. Und ich kann mich nicht damit abfinden, dass sie das bald herausfinden werden.

Dass sie nichts als eine Schwindlerin sehen, wenn sie mich anschauen.

Eine Schande für den Namen King.

Deshalb bin ich hier – ein letzter Versuch, die aufgestaute Anspannung in meinem Körper zu entladen.

Der Wind wirbelt mein honigfarbenes, mit hellblonden Strähnen durchzogenes Haar durcheinander und immer wieder in die Augen. Ich streiche es zurück und fahre mit der Handfläche an der Seite meiner Shorts entlang, während ich nach unten starre.

Nach unten.

Nach unten …

Mein Reiben wird immer intensiver, ebenso wie das Rauschen des Windes und der Wellen in meinem Ohr.

Die Kieselsteine knirschen unter meinen Tennisschuhen, als ich einen Schritt näher an den Rand trete. Der erste ist der schwerste, aber dann ist es, als würde ich schweben.

Ich breite meine Arme weit aus und schließe die Augen. Als wäre ich von einer fremden Macht besessen, merke ich nicht, dass ich regungslos stehen bleibe oder dass es mich in den Fingern juckt, etwas mit Farbe zu besprühen.

Irgendetwas.

Ich hoffe, Mum sieht mein letztes Bild nicht.

Ich hoffe, sie wird sich nicht an mich als das untalentierteste ihrer Kinder erinnern. Die Schande, die nicht einmal den Ansatz ihres Genies erreichen konnte.

Die Spinnerin, deren künstlerische Ader in jeder Hinsicht verkorkst ist.

„Es tut mir so leid“, flüstere ich die Worte, die Devlin vermutlich zu mir sagte, bevor er ins Nichts flog.

Licht dringt durch meine geschlossenen Augenlider und ich erschrecke, weil ich befürchte, dass sein Geist aus dem Wasser aufgestiegen und jetzt hinter mir her ist.

Er wird mir dieselben Worte sagen, die er in jedem Albtraum knurrt. „Du bist ein Feigling, Glyn. Das warst du schon immer und wirst du immer sein.“

Dieser Gedanke weckt die Bilder aus den Albträumen. Ich wirble so schnell herum, dass mein rechter Fuß abrutscht und ich schreiend nach hinten stürze.

Nach hinten …

In Richtung der tödlichen Klippe.

Eine starke Hand schlingt sich um mein Handgelenk und zerrt mit solcher Kraft, dass mir die Luft wegbleibt.

Mein Haar wirbelt wie eine chaotische Symphonie hinter mir, aber mein Blick bleibt auf die Person gerichtet, die mich mühelos mit einer Hand festhält. Er zieht mich jedoch nicht von der Kante weg, sondern hält mich in diesem gefährlichen Winkel, der mich im Bruchteil einer Sekunde umbringen könnte.

Meine Beine zittern, rutschen auf den kleinen Kieseln aus, sodass sich der Winkel, in dem ich über dem Abgrund hänge, noch verschärft – und damit auch das Risiko eines Sturzes.

Die Augen der Person – ein Mann, dem muskulösen Körperbau nach zu urteilen – werden von einer Kamera verdeckt, die er an einem Band um den Hals trägt. Erneut leuchtet grelles Licht direkt in mein Gesicht. Das ist also der Grund für den erschreckenden Blitz von vorhin. Er hat mich fotografiert.

Erst jetzt bemerke ich, dass meine Augen feucht, meine Haare durch den Wind wahrscheinlich völlig durcheinander und die dunklen Ringe unter meinen Augen vermutlich aus dem Weltall zu sehen sind.

Ich bin kurz davor, ihm zu sagen, dass er mich hochziehen soll, denn ich stehe buchstäblich am Abgrund und ich habe Angst, dass ich abstürze, wenn ich versuche, mich selbst aufzurichten.

Aber dann passiert etwas.

Er nimmt die Kamera von den Augen, und meine Worte bleiben mir im Halse stecken.

Eigentlich sollte ich ihn nicht so deutlich sehen können, so mitten in der Nacht und in dem schwachen Licht des Mondes. Aber ich kann es. Es ist, als säße ich in einer Filmpremiere. Einem Thriller.

Oder vielleicht einem Horrorfilm.

Bei den meisten Menschen leuchten die Augen mit irgendwelchen Emotionen, welcher Art auch immer. Sogar Trauer mit all den Tränen, unausgesprochenen Worten und untröstlichem Kummer verleiht ihnen einen gewissen Schein.

Seine jedoch sind matt wie die Nacht und genauso dunkel. Das Merkwürdigste daran ist, dass sie sich kaum von ihrer Umgebung abheben. Würde ich ihn nicht direkt anstarren, könnte ich ihn für ein wildes Tier halten.

Ein Raubtier.

Ein Monster, vielleicht.

Sein Gesicht ist scharf, kantig – die Art von Gesicht, die ungeteilte Aufmerksamkeit einfordert, als wäre es dazu geschaffen worden, Menschen in eine sorgfältig gestellte Falle zu locken.

Nein, keine Menschen.

Beute.

Sein Körper besitzt eine starke maskuline Präsenz, die seine schlichte schwarze Hose und das kurzärmelige T–Shirt nicht verbergen können.

Mitten in dieser eiskalten Frühlingsnacht.

Seine Armmuskeln dehnen den Stoff, ohne auch nur den Anflug einer Gänsehaut oder Unbehagen, als wäre er als Kaltblüter geboren worden. Die Hand, mit der er gerade meinen Arm fest im Griff hält – und damit meinen Sturz in den sicheren Tod verhindert – ist angespannt, aber es gibt keinerlei Anzeichen von Anstrengung.

Mühelos. Das beschreibt ihn am besten.

Sein ganzes Auftreten strahlt völlige Gelassenheit aus. Zu ruhig … zu unbeteiligt – sogar ein wenig gelangweilt wirkt er.

Ein bisschen … abwesend, obwohl er leibhaftig hier ist.

Seine vollen, symmetrischen Lippen bilden eine gerade Linie, aus der eine nicht brennende Zigarette herausragt. Statt mich anzuschauen, blickt er auf seine Kamera und zum ersten Mal, seit ich ihn ansehe, schimmert ein Funken eines Leuchtens hinter seinen Augen durch. Es geschieht schnell, flüchtig und fast nicht wahrnehmbar. Aber ich bemerke es.

Diesen einen Moment, in dem seine gelangweilte Fassade aufleuchtet, düster flackert, sich aus dem Schatten aufbäumt und schließlich erlischt.

„Umwerfend.“

Ich schlucke das Unbehagen hinunter, das meine Kehle hinaufkriecht. Es hat wenig mit dem Wort zu tun, das er sagte, sondern mehr damit, wie er es aussprach.

Seine tiefe Stimme wirkt zuerst honigsüß, bis die rauchig–dunkle Note durchklingt.

Mein Unbehagen hat damit zu tun, wie seine Stimmbänder bei diesem Wort schwingen, das wie tödliches Gift die Luft zwischen uns erfüllt.

Und war das ein amerikanischer Akzent gewesen?

Meine Bedenken werden bestätigt, als sein Blick mit tödlicher Zuversicht über mich gleitet und meine zitternden Muskeln zum Stillstand bringt. Aus irgendeinem Grund habe ich das Gefühl, dass ich nicht einmal falsch atmen darf, wenn ich nicht abstürzen will.

Der Anflug von Leuchten ist längst aus seinen Augen verschwunden und ich habe wieder die schattenhafte Version von vorhin vor mir – matt, düster und absolut leblos. „Nicht du. Das Foto.“ Das klang amerikanisch.

Aber was wollte er an einem so abgelegenen Ort, den selbst die Einheimischen meiden?

Seine Hand an meinem Arm lockert sich und als ich mit den Füßen nach hinten rutsche, rutschen einige Steine nach unten ins sichere Verderben. Ein entsetzter Schrei hallt durch die Luft.

Meiner.

Ich denke nicht einmal darüber nach, als ich seinen Unterarm mit beiden Händen packe.

„Was zur … Was zur Hölle machst du da?“, keuche ich zwischen erstickten Atemzügen. Mein Herz stockt. Panik durchströmt meinen Brustkorb, wie ich sie seit Wochen nicht mehr gespürt habe.

„Wonach sieht es denn aus?“ Er spricht immer noch mit einer Gelassenheit, als würde er sich mit Freunden über die Auswahl am Frühstücksbuffet unterhalten. „Ich bringe das zu Ende, was du begonnen hast, damit ich den Moment deines tödlichen Sturzes für die Nachwelt festhalten kann. Ich glaube, dass du eine gute Erweiterung meiner Sammlung abgeben würdest, aber wenn nicht …“ Er zuckt mit den Schultern. „Dann verbrenne ich das Foto einfach.“

Mir bleibt der Mund offen stehen, als eine Flut von Gedanken in meinen Kopf dringt. Hat er gerade gesagt, dass er ein Bild von mir, wie ich in den Tod stürze, zu seiner Sammlung hinzufügen will? Ich habe zu viele Fragen, aber die wichtigste von allen ist: Was für eine Art von Sammlung hat dieser Verrückte?

Nein, das stimmt nicht – die entscheidende Frage ist: Wer zum Teufel ist dieser Typ? Er sieht etwa so alt aus wie ich, ist nach gängigen Vorstellungen attraktiv und er ist ein Fremder.

Oh, und er wirkt wie ein Krimineller, aber nicht wie ein kleiner, gewöhnlicher. Eher wie eine Klasse für sich.

Wie ein gefährlicher, tödlicher Krimineller.

Wie ein Superhirn, das der Kopf hinter unzähligen Verbrechern ist und für gewöhnlich hinter den Kulissen agiert.

Und irgendwie bin ich ihm zufällig über den Weg gelaufen.

Da ich mein Leben lang von Männern umgeben war, die die Welt als ihren Spielplatz ansehen, habe ich ein Auge für Gefahren.

Ich kann Menschen erkennen, von denen ich mich besser fernhalte.

Und dieser amerikanische Fremde fällt eindeutig in beide Kategorien.

Ich muss von hier weg.

Sofort.

Trotz der Angst, die meinen ohnehin schon labilen Geisteszustand bedroht, zwinge ich mich, in ruhigem Ton zu sprechen. „Ich hatte nicht vor zu sterben.“

Er zieht eine Augenbraue hoch und die Zigarette in seinem Mund wackelt durch eine leichte Bewegung seiner Lippen. „Ach wirklich?“

„Ja. Kannst du mich also … hochziehen?“

Ich könnte mich selbst an seinem Unterarm aufrichten, aber jede plötzliche Bewegung hätte wahrscheinlich genau den gegenteiligen Effekt; er könnte mich loslassen und mich meinem Schöpfer übergeben.

Er hält mein Handgelenk immer noch mit lässigem Griff fest, holt mit der freien Hand ein Feuerzeug hervor und zündet die Zigarette an. Die Spitze glimmt wie das satte Orange der Abenddämmerung und er lässt sich Zeit, bevor er das Feuerzeug zurück in die Hosentasche steckt und mir eine Rauchwolke ins Gesicht pustet.

Normalerweise muss ich bei dem Geruch von Zigaretten würgen, aber das ist jetzt mein kleinstes Problem.

„Und was bekomme ich als Dank dafür, dass ich dir helfe?“

„Meine Dankbarkeit?“

„Dafür habe ich keine Verwendung.“

Meine Lippen verkrampfen sich und ich zwinge mich, ruhig zu bleiben. „Warum hast du mich dann überhaupt festgehalten?“

Er tippt auf die Kante seiner Kamera, dann streichelt er sie mit der Sinnlichkeit eines Mannes, der eine Frau berührt, von der er nicht lassen kann.

Aus irgendeinem Grund steigt dabei Wärme in mir auf.

Er sieht aus wie jemand, der das häufig tut.

Oft.

Und mit derselben Leidenschaft, die er jetzt ausstrahlt.

„Um ein Foto zu machen. Wie wäre es also, wenn du beendest, was du angefangen hast, und mir das Meisterwerk schenkst, für das ich hier bin?“

„Willst du ernsthaft sagen, dass dein Meisterwerk mein Tod sein soll?“

„Nicht dein Tod, nein. Es wäre zu blutig und unappetitlich anzusehen, wenn dein Schädel an den Felsen unten zerschmettert wird. Ganz zu schweigen davon, dass man bei den Lichtverhältnissen hier kein gutes Bild machen kann. Mir geht es um deinen Sturz. Deine blasse Haut wird einen wunderschönen Kontrast zum Wasser bilden.“

„Du bist … krank.“

Er hebt eine Schulter und pustet noch mehr giftigen Nebel. Sogar die Art und Weise, wie er seine Finger an der Zigarette entlanggleiten lässt und raucht, wirkt mühelos, obwohl er vor Anspannung gefesselt ist. „Ist das ein Nein?“

„Natürlich ist es ein Nein, du Psycho. Denkst du, ich will sterben, nur damit du ein Foto machen kannst?“

„Ein Meisterwerk, kein Foto. Und du hast nicht wirklich eine Wahl. Wenn ich entscheide, dass du stirbst …“ Er lehnt sich mit dem Oberkörper nach vorne, lockert die Finger um mein Handgelenk und senkt die Stimme zu einem beängstigenden Flüstern. „Dann stirbst du.“

Ich schreie auf, als mein Fuß fast einknickt und meine Nägel sich in seinen Arm graben, während in meinen Adern das unbändige Verlangen nach Leben hochkocht, mit all der Verzweiflung eines gefangenen Tieres. Oder eines Gefangenen, der seit einer quälenden Ewigkeit in Einzelhaft sitzt.

Ich bin mir ziemlich sicher, dass ich ihn gekratzt habe, aber er zeigt keine Anzeichen von Unbehagen, falls er wirklich verletzt ist.

„Das ist nicht lustig“, keuche ich mit erstickter Stimme.

„Siehst du mich lachen?“ Seine langen Finger umschlingen die Zigarette und er nimmt einen Zug, bevor er sie wieder aus dem Mund nimmt.

„Du hast Zeit bis meine Raucherpause vorbei ist, um mir etwas zu bieten.“

„Etwas zu bieten?“

„Was auch immer du bereit bist zu tun, um mich für meinen ritterlichen Akt der Rettung einer Jungfrau in Nöten zu entschädigen.“

Mir entgeht nicht, wie er das Wort „ritterlich“ betont, oder die provokante Art, wie er sich Worten im Allgemeinen bedient. Als wären sie Waffen in seinem Arsenal.

Ein Bataillon unter seinem Befehl.

Das hier macht ihm wirklich Spaß. Diese ganze Misere, die mit meinem Versuch, zu vergessen, begann, ist für mich zu einem Albtraum geworden. Mein Blick wandert zu der halb gerauchten Zigarette, und gerade als ich überlege, wie ich Zeit schinden kann, raucht er den Rest in ein paar Sekunden auf und wirft die Kippe weg. „Deine Zeit ist um. Adieu.“

Er schickt sich an, sich aus meinem Griff zu befreien, aber ich kralle mich noch tiefer fest. „Warte!“

Seine Gesichtszüge verändern sich nicht, selbst als der Wind sein Haar verwirbelt. Dabei kann er sicher spüren, dass ich zittere wie ein verzweifeltes Beutetier, das um sein Überleben kämpft.

Nichts scheint irgendeine Wirkung auf ihn zu haben.

Und das macht mir eine Scheißangst.

Wie kann jemand so … so kalt sein?

So distanziert?

So leblos?

„Hast du deine Meinung geändert?“

„Ja.“ Meine Stimme bebt, auch wenn ich versuche, mich unter Kontrolle zu halten. „Zieh mich hoch und ich tue alles, was du willst.“

„Bist du sicher, dass du es so formulieren möchtest? Was ich will, könnte eine Reihe von Dingen beinhalten, die in der Öffentlichkeit eher ungern gesehen werden.“

„Das ist mir egal.“ In dem Moment, in dem ich mich auf sicherem Boden befinde, bin ich raus aus dem Griff dieses verrückten Wichsers.

„Ich habe dich gewarnt.“ Seine Finger umschlingen mein Handgelenk in einem unerbittlichen Griff und er reißt mich mit verblüffender Leichtigkeit von der Kante weg.

Als ob ich nicht gerade eben noch am seidenen Faden über einem tödlichen Ende gehangen hätte.

Als ob das Wasser unter mir nicht seine Reißzähne geöffnet hätte, um mich zwischen ihnen zu zermalmen. Vielleicht, nur vielleicht, ist das nicht unbedingt gut, angesichts des Teufels, dem ich jetzt gegenüberstehe.

Meine schweren Atemzüge klingen animalisch in der Stille der Nacht. Ich versuche, sie zu kontrollieren, aber es nützt nichts.

Ich wurde dazu erzogen, einen stählernen Willen und eine imposante Präsenz zu zeigen. Ich bin mit einem überlebensgroßen Nachnamen aufgewachsen und mit einer Familie und Freunden, die überall für Aufsehen sorgen, egal wo wir hingehen.

Und doch scheint alles, was ich wusste, in diesem Moment zu verschwinden. Es ist, als würde ich mich von dem distanzieren, was ich eigentlich sein sollte, und mich in eine Version verwandeln, die ich nicht einmal zu ergründen vermag.

Und das alles nur wegen des Mannes, der vor mir steht. Seine Gesichtszüge sind leer, seine Augen immer noch stumpf und leblos, erfüllt von jeder düsteren Farbe, die die Palette hergibt.

Wenn ich ihm eine Farbe zuordnen müsste, wäre es definitiv Schwarz – ausdruckslos, kalt und ein unendlicher Farbton.

Ich versuche, mein Handgelenk aus seinem Griff zu befreien, aber er hält mich so fest, dass ich mir sicher bin, er wird mir die Knochen brechen, nur um einen Blick hineinwerfen zu können.

Ich habe ihn erst vor einer Minute kennengelernt, aber es würde mich ehrlich gesagt nicht wundern, wenn er mir das Handgelenk bräche. Immerhin wollte er ein Foto von mir machen, wie ich in den Tod stürze.

Und das ist nicht nur seltsam, sondern auch beängstigend. Denn ich weiß, ich weiß einfach, dass dieser amerikanische Fremde in der Lage wäre, dies ohne mit der Wimper zu zucken zu tun, ohne einen Gedanken an die Konsequenzen zu verschwenden.

„Lass mich gehen“, sage ich knapp.

Seine Lippen kräuseln sich an den Mundwinkeln. „Wenn du nett fragst, vielleicht.“

„Was heißt denn nett für dich?“

„Sag Bitte oder geh auf die Knie. Beides ist möglich. Beides gleichzeitig zu tun, wäre sehr ratsam.“

„Wie wäre es mit weder noch?“

Er neigt den Kopf zur Seite. „Das wäre sowohl zwecklos als auch dumm. Schließlich bist du mir ausgeliefert.“

Mit einer raschen Bewegung stößt er mich wieder an den Rand. Ich versuche, mich der Brutalität seiner Bewegung entgegenzustemmen, aber meine Stärke ist nichts als ein Strohhalm gegen seine rohe Kraft.

Im Handumdrehen hängen meine Beine am Rande der Klippe, aber diesmal halte ich mich am Riemen seiner Kamera, an seinem Hemd und an jeder Oberfläche fest, in die ich meine Nägel graben kann.

Kalt.

Er ist so kalt, dass meine Finger gefrieren und mir der Atem stockt. „Bitte!“

Ein anerkennender Laut entweicht seinen Lippen, aber er zieht mich nicht zurück. „Das war doch gar nicht so schwer, oder?“

Meine Nasenflügel weiten sich, aber ich schaffe es, zu sagen: „Kannst du damit aufhören?“

„Nicht, wenn du deinen zweiten Teil der Abmachung noch nicht erfüllt hast.“

Ich starre ihn an und sehe wahrscheinlich völlig entgeistert aus. „Zweiter Teil?“

Er legt eine Hand auf meinen Kopf und in diesem Moment fällt mir erst auf, wie groß er ist. So groß, dass es einschüchternd wirkt.

Zuerst streichelt er nur ein paar Strähnen meines Haares hinter meinen Ohren. Die Geste ist so intim, dass mir der Mund trocken wird.

Mein Herz klopft so laut, dass ich befürchte, es würde aus meinem Brustkorb platzen.

Noch nie hat mich jemand mit einem derartigen, unerschütterlichen Selbstvertrauen berührt. Nein, kein Vertrauen. Es ist Macht.

Die überwältigende Art von Macht.

Seine Finger, die gerade noch mein Haar gestreichelt haben, graben sich in meinen Schädel und drücken ihn so fest nach unten, dass meine Beine nachgeben. Einfach so.

Kein Widerstand.

Nichts.

Ich falle.

Falle …

Falle …

Ich glaube erst, er hat mich doch in den Tod gestoßen, aber meine Knie stoßen auf den harten Boden und mein Herz auch.

Als ich aufschaue, entdecke ich wieder dieses Leuchten. Vorhin dachte ich, es sei ein Lichtblitz, ein Anflug von Weiß in der Schwärze.

Ich habe mich geirrt.

Es ist schwarz–auf–schwarz.

Ein Schimmer von absoluter Dunkelheit.

Purer Sadismus leuchtet in seinen Augen, während er meinen Kopf als Geisel hält, und das Schlimmste daran ist, dass ich, wenn er loslässt, sicher nach hinten stürzen werde.

Ein beängstigendes Grinsen umspielt seine Lippen. „Auf den Knien zu sein, ist in der Tat sehr empfehlenswert. Sollen wir jetzt anfangen?“