Leseprobe God of Pain – Verbotene Liebe

Anmerkung der Autorin

Hallo liebe Lesefreunde,

wenn ihr bisher noch keins meiner Bücher gelesen habt, dann ist es euch vielleicht noch nicht klar, aber ich schreibe dunklere Geschichten, die für manche verstörend oder erschütternd sein können. Meine Bücher und deren Hauptcharaktere sind nichts für Leute mit schwachen Nerven.

Dieses Buch beinhaltet Themen wie Kindesmisshandlung und Suizidgedanken. Ich vertraue darauf, dass ihr wisst, was ihr vertragen könnt, bevor ihr weiterlest.

Dieses Buch ist in sich abgeschlossen.

EINS

ANNIKA

Da draußen ist jemand.

Oder mehrere.

Der Klang ihres schweren Atmens dringt von draußen in das Zimmer, wird immer schneller und schneller, wie das Stakkato eines verletzten Tieres in einer Falle.

Ein wildes Tier.

Meine Augen springen auf und ich stolpere aus dem Bett, glätte mein Haar, sodass es mir bis zum unteren Rücken fällt. Dann ziehe ich mein lila Schlafshirt herunter, das kaum meinen Hintern bedeckt.

Schatten tänzeln in der Ecke, krümmen und winden sich wie ausgehungerte Raubtiere. Das einzige Licht stammt von der Glühbirne auf dem Balkon, die ich immer brennen lasse. Ich strecke nicht die Hand nach dem Dimmer der Lampe aus oder versuche auch nur, ihn zu berühren.

Irgendetwas sagt mir, dass die Situation eine hässliche Wendung nehmen wird, wenn ich das Tier, das da draußen lauert, ins Licht setze.

Meine Schritte sind lautlos, was für mich ganz normal ist. Ruhig zu bleiben, ist es leider nicht.

Es ist unmöglich, das Erschaudern zu kontrollieren, das durch meine Glieder fährt, oder den Schweiß, der meinen Rücken hinunterrinnt und mein Shirt an meiner überhitzten Haut kleben lässt.

Irgendetwas stimmt hier nicht.

Das Anwesen meines Bruders sollte der sicherste Ort auf dem Campus und der zweitsicherste Ort auf der gesamten Erde gleich nach unserem Zuhause in New York sein.

Deshalb besteht er darauf, dass ich bestimmte Nächte hier verbringe. Ich mische mich nicht in seine Angelegenheiten ein, aber ich weiß, was in diesen Nächten vor sich geht – Chaos, Verwüstung, das Abschlachten armer Seelen.

Der beste Ort, um mich zu beschützen, ist daher direkt vor seiner Nase, wo mich ein Dutzend Wachleute bewachen.

Ihr wisst schon, wie der Elfenbeinturm, in dem Rapunzel lebte. Mein Zimmer im Anwesen der Heathens – der von Anarchie geprägte Club meines Bruders – ist die Verkörperung davon.

Teufel noch mal, es stehen sogar Wachen unter dem Balkon, die mich auffangen würden, sollte ich tatsächlich versuchen, den Baum hinunterzuklettern. Sie würden mich böse anfunkeln, grunzen und meinem Bruder und meinem Vater von meinem Vorhaben berichten.

Was gar nicht gut wäre.

Positiv betrachtet bin ich jedoch in Sicherheit. Ich bin seit dem Tag, an dem ich in die Familie Volkov hineingeboren wurde, in Sicherheit.

Und ich bin eine Volkov.

Ich lache fast über den Angstschauer, der sich nicht aus meinem Körper vertreiben lässt. Ich weiß nicht, wie es woanders sein mag, aber hier bin ich sicher.

Okay, was auch immer da draußen lauert, ich hoffe, es ist ein verletzter Vogel oder etwas Harmloses. Ansonsten sei bereit zu sterben.

Die Vorhänge des Balkons flattern im Wind. Der weiße Stoff ist wie vollgesogen von der Dunkelheit der Nacht.

Ich bleibe stehen, als ich nur noch ein paar Schritte entfernt bin. Habe ich gestern Abend die Balkontür offen gelassen?

Nein. Nein, habe ich nicht.

Der logische nächste Schritt wäre, umzukehren und zur Tür zu rennen, meinen Bruder oder einen seiner Männer zu rufen und mich in meinem goldenen Käfig zu verkriechen.

Aber die Sache ist die:

Meine größte Schwäche ist die Neugier. Ich kann nachts einfach nicht schlafen, wenn ich meinen Wissensdurst nicht stillen kann.

Das geräumige Zimmer mit den flauschigen Kissen, den violetten Laken, der glitzernden Tapete und allem, was glamourös und hübsch ist, rückt langsam in den Hintergrund.

Das sanfte Licht vom Balkon ist mein einziger Kompass, als ich einen Schritt nach vorne mache.

Das Schicksal nimmt manchmal seltsame Wendungen.

Schon als kleines Mädchen wusste ich, dass ich nicht immer eine behütete kleine Prinzessin sein würde, die um die Anerkennung ihrer Familie kämpft. Dass eines Tages etwas auf mich zukommen würde, wenn ich es am wenigsten erwarte. Ich wusste nur nicht, was es sein würde oder was es mit sich bringen würde.

Ich hätte mir nie träumen lassen, dass es in der von Wachleuten schwer gesicherten Villa meines Bruders seinen Anfang nehmen würde.

In dem Moment, als ich die Hand nach der halb geöffneten Glastür ausstrecke, gleitet langsam eine dunkle Gestalt herein.

Ich springe zurück und fasse mir erschrocken an die Brust.

Hätte ich die fließende Bewegung nicht selbst durch meine Balkontür gesehen, hätte ich geglaubt, dass diese Person – ein Mann, wie ich anhand seiner Statur vermute – aus der Nacht herausgeschnitten wurde.

Er ist ganz in Schwarz gekleidet. Jogginghose, langärmliges Hemd, Schuhe, Handschuhe und eine Maske, die halb lächelt und halb weint.

Ein Schauer läuft mir über den Rücken, während ich die Details der Maskierung betrachte. Die weinende Hälfte ist schwarz und die lächelnde weiß. Die Kombination aus beidem ist schaurig-schön.

Alles an ihm ist es.

Die düstere Farbgebung seiner Kleidung kann nicht verbergen, wie sich seine Muskeln unter dem Hemd abzeichnen, und auch nicht die schiere Kraft seiner stillen Präsenz. Er ist durchtrainiert, hat eine muskulöse Brust und einen straffen Bauch, aber er ist nicht bullig.

Gerade so muskulös, dass er allein durch sein Auftreten Kraft ausstrahlt.

Außerdem ist er groß. So groß, dass ich meinen Kopf heben muss, um ihn in seiner Gesamtheit zu erfassen.

Nun, ich bin ein bisschen kleiner und zierlicher. Aber trotzdem. Normalerweise muss ich nicht so viel Aufwand betreiben, nur um jemanden anzusehen.

Wir starren uns einen Moment lang an, wie zwei Tiere, die sich an die Kehle gehen wollen.

Die zwei Löcher in der gruseligen Maske sind seine Augen. Sie sind dunkel, allerdings nicht schwarz oder braun, sondern eher wie die Finsternis des Ozeans.

Und ich konzentriere mich auf diese Farbe, auf diese Unterbrechung der schwarzen Hülle. Es gehört auch zu meinen schlechten Eigenschaften, dass ich das Gute in den Menschen sehe und mich nicht von der Welt so verhärten lasse, dass ich mit niemandem mehr mitfühlen kann.

Das habe ich mir selbst versprochen, als ich begriffen hatte, in was für eine Welt ich hineingeboren wurde.

Meine Gliedmaßen zittern weiter im Rhythmus meines rasenden Herzschlags.

Dennoch zwinge ich mich zu einem betont fröhlichen, lockeren Tonfall. „Du solltest vielleicht gehen, bevor die Wachen dich erwischen …“

Die Worte bleiben mir im Halse stecken, als er auf mich zukommt.

Einen bedrohlichen Schritt nach dem anderen.

Also, erinnert ihr euch daran, dass seine Präsenz Kraft ausstrahlt? Ich erlebe die Auswirkungen davon gerade aus erster Hand.

Ich habe mich geirrt.

Es ist nicht nur Kraft, es ist Einschüchterung in ihrer reinsten Form.

Ein Ozean, der brüllt und tost, um seine unbändige Kraft zu entfesseln.

Ich merke nicht einmal, dass ich zurückgewichen bin, bis er erneut auf mich zukommt. Dieses Mal bleibe ich stehen und starre zu ihm auf. „Wie ich schon sagte, du solltest besser gehen …“

Seine Brust stößt fast mit meiner zusammen, als er die Lücke zwischen uns schnell schließt. Wärme mischt sich mit etwas Pikantem und dem Geruch von Ruß. War er in der Nähe eines Feuers oder so?

Er tritt noch einen Schritt näher und ich weiche automatisch zurück. Die einzige Alternative wäre gewesen, ihn auf mich prallen und wie einen Tornado über mich hinwegfegen zu lassen.

„Im Ernst, hast du eine Ahnung, wem dieses Haus gehört?“ Meine Stimme ist nicht mehr heiter und hat sich längst dem Zittern meiner Gliedmaßen angepasst. „Bist du lebensmüde …“

Ich bin nicht darauf vorbereitet, was als Nächstes passiert.

Blitzschnell drückt er mir seine behandschuhte Hand auf den Mund und drückt mich zurück.

Meine Wirbelsäule trifft mit einem Ruck gegen die Wand und ich stoße einen erstickten Schrei aus. Das Geräusch hallt in der Luft wider, so unheimlich wie ein gespenstisches Schlaflied.

Die Maske ist nur wenige Zentimeter von meinem Gesicht entfernt, wie in einer Szene aus meinen schlimmsten Albträumen.

Sie wird durch die Nähe seines Körpers zu meinem und den starken Ledergeruch seiner Handschuhe noch verstärkt.

Ich kann nichts anderes mehr atmen.

Und er ist alles, was ich sehen kann. Seine Augen sind in der Tat blau, aber umrandet von Schwarz.

Wie die eines mythischen Wesens.

Ich habe diese Augen schon einmal gesehen. Nur wo?

Ist es falsch, dass ich sehen will, was sich unter der Maske verbirgt? Sie einfach abnehmen will, um herauszufinden, ob er die weinende oder die lächelnde Hälfte ist? Oder vielleicht sogar beides?

Je länger ich ihn ansehe, desto schwerer fällt mir das Atmen, und seine Wärme dringt in meine Knochen ein.

Nein. Das kann nicht sein.

Es darf einfach nicht der sein, an den ich denke.

Um sicherzugehen, hebe ich eine Hand zu seiner Maske, in der vollen Erwartung, dass er sie wegschlägt.

Zu meiner Überraschung rührt er sich nicht. Meine Finger gleiten über den starren Rand des eingefrorenen Lächelns. Aber es wirkt nicht länger furchterregend auf mich – es ist nur eine Fassade für jemanden.

Eine monströse Leere.

Ein Rätsel der Gefühle.

Bist du es?, frage ich mit meinen Augen, und seine verengen sich leicht.

Also versuche ich, die Maske abzunehmen, aber bevor ich dazu komme, schiebt er meine Hand weg. Sie sinkt schlaff herunter, aber ich bin mir fast sicher, dass meine Vermutung stimmt.

Ich weiß nicht, ob ich mich irre, aber ich würde diese Augen überall wiedererkennen, selbst in einem Paralleluniversum.

Ein kräftiges Klopfen ertönt von draußen.

Wir beide erstarren.

Es erklingt erneut und ich stelle fest, dass es von der Tür meines Zimmers kommt.

„Miss, sind Sie wach?“

Einer der Wachleute.

Die Stimme mit russischem Akzent ertönt erneut, begleitet von einem weiteren Klopfen. „Es gab einen Sicherheitszwischenfall. Geht es Ihnen gut?“

Ich begegne dem Blick des maskierten Fremden.

Nein, kein Fremder.

Er ist viel mehr als ein Fremder.

Ich zittere immer noch, aber aus einem ganz anderen Grund.

„Mmm“, entweicht ein leises, gedämpftes Geräusch aus meiner Kehle.

Er drückt meinen Mund fester zu und dringt mit der Wucht eines Orkans auf mich ein. Meine Brüste berühren bei jedem Atemzug die Härte seiner Brust.

„Miss? Ich komme rein.“

Ich greife nach dem Arm des Eindringlings und flehe ihn mit meinen Blicken an. Er verengt die Augen zu Schlitzen, nimmt aber langsam die Hand von meinem Mund. Er lässt sie in der Nähe verharren, wahrscheinlich, um mich wieder zum Schweigen zu bringen, falls ich um Hilfe schreie.

Aber das ist es ja, ich brauche keine Hilfe, denn er stellt keine Bedrohung dar.

Zumindest war das in der Vergangenheit der Fall. In dieser Situation bin ich mir nicht ganz sicher.

„Mir geht es gut!“, rufe ich laut genug, dass der Wachmann mich hören kann. Ich bin überrascht, dass ich in dieser Situation nicht stottere oder nervös klinge.

Die Tür öffnet sich einen Spalt, verharrt aber in dieser Position, als die Stimme des Wachmanns zu hören ist. „Ich komme rein, um sicherzugehen, Miss.“

„Nicht! Ich bin … ich bin nackt.“

Der Wärter räuspert sich und ich kann mir sein verlegenes Gesicht lebhaft vorstellen. Er weiß, dass man ihm den Kopf abreißen würde, wenn er mich nackt sähe.

Es sei denn, mein Leben wäre in Gefahr.

Was nicht der Fall ist.

Das glaube ich zumindest.

„Mir geht es wirklich gut. Ich gehe jetzt wieder schlafen. Weckt mich nicht auf.“

Schweigen für ein, zwei, drei Sekunden –

„In Ordnung, Miss. Wenn irgendetwas ist, wird der Boss zu Ihnen kommen.“

Die Tür schließt sich und ich atme tief durch.

Beim nächsten Einatmen berühre ich den Nicht-Fremden mit meiner Brust. Ich halte inne und starre zu ihm auf.

„Der Boss, den er gerade erwähnt hat, ist mein Bruder, und ihn kann ich nicht mit der Ausrede abwimmeln, dass ich nackt bin. Er wird einfach mit geschlossenen Augen reinkommen, sich ein Laken oder so schnappen und es über mich werfen. Dann wird er seine Suche durchführen. Er ist ziemlich brutal, also solltest du wirklich gehen, bevor er kommt, wenn auf deinem Grabstein nicht ‚zu Tode geprügelt‘ stehen soll. Oh, und noch was: Willst du noch lange so an mir kleben bleiben? Ich wirke vielleicht locker, aber um ehrlich zu sein, fällt mir das Atmen schwer, wenn du so nah bist.“

Er starrt mich ausdruckslos an, völlig unbeeindruckt von meinem Wortschwall. Ich versuche, diese Angewohnheit abzulegen, aber das ist schwieriger, als es klingt.

„Worauf wartest du noch?“, flüstere ich. „Im Ernst, geh, bevor Jeremy hier auftaucht. Wenn du unbemerkt durch die Balkontür gekommen bist, dann geh auch auf dem gleichen Weg zurück. Und, äh, könntest du mir vielleicht wieder etwas Freiraum geben?“

Er greift mit einer behandschuhten Hand nach meinem Gesicht und ich befürchte, dass er mir wieder den Mund zuhalten wird, aber seine Finger legen sich um meinen Kiefer.

Es wirkt nicht bedrohlich, aber unter der Geste schwingt Macht mit.

Nein, keine Macht.

Kontrolle.

Seine Ausstrahlung ist so damit erfüllt, dass ich fast daran ersticke.

Sein Daumen streicht über meine Unterlippe und sie öffnet sich, ganz von selbst.

Mein Herz schlägt wie wild und ich denke, dass ich träume oder so was.

Vielleicht habe ich mir in meinem verdrehten Kopf so viele Szenarien ausgemalt, dass eines davon tatsächlich wahr wird.

Warum sonst sollte er mich berühren, obwohl er das noch nie zuvor getan hat?

Und er berührt nicht einfach irgendeinen Teil von mir. Es sind meine Lippen.

Wird er mich küssen?

Noch bevor der Gedanke vollständig geformt ist, erklingt seine volle, tiefe und vollkommen vertraute Stimme.

„Du redest zu viel. Eines Tages wird dich dein Mundwerk noch in Schwierigkeiten bringen.“

Dann lässt er mich los, tritt zurück und schlüpft so leicht aus der Balkontür, wie er hereingekommen ist.

Meine Beine versagen schließlich den Dienst und ich rutsche die Wand hinunter auf den Boden.

Es besteht kein Zweifel.

Meine Finger berühren die Stelle, die er vor einer Sekunde berührt hat. Naja, er trug einen Handschuh, also war es keine direkte Berührung, aber das zählt trotzdem, oder?

Nur beben jetzt meine Lippen und mein Herz ist in Aufruhr.

Er war es.

Der, den ich nicht begehren sollte.