Leseprobe God of Wrath – Besessene Liebe

Anmerkung der Autorin

Hallo liebe Lesefreunde,

wenn ihr bisher noch keins meiner Bücher gelesen habt, dann ist es euch vielleicht noch nicht klar, aber ich schreibe dunklere Geschichten, die für manche verstörend oder erschütternd sein können. Meine Bücher und deren Hauptcharaktere sind nichts für Leute mit schwachen Nerven.

Dieses Buch beinhaltet Darstellungen von rauen Sexualpraktiken, nicht eindeutig einvernehmlichen sexuellen Handlungen und Erwähnungen von sexueller Gewalt.

Dieses Buch ist in sich abgeschlossen.

EINS

CECILY

Das ist ein Fehler.

Der schlimmste von allen.

Der katastrophalste von allen.

Vielleicht sogar der tödlichste.

Ich rutsche hin und her und schwitze unter meiner Maske. Mein T-Shirt und meine Jeans kleben an meiner warmen Haut, bis es fast unerträglich wird.

Ich atme angestrengt in meine hungrigen Lungen, aber ich könnte ebenso gut Rauch einatmen. Es juckt mich in den Fingern, die Maske zu berühren oder die Perücke zurechtzurücken, die an meinem Schädel kratzt.

Nach gründlicher Überlegung lasse ich es lieber.

Dieser Ort ist sicher mit Überwachungskameras gespickt und das Letzte, was ich will, ist, dass diese Leute auf mich aufmerksam werden.

Schließlich sollte ich gar nicht hier sein. Hinter den feindlichen Linien.

Mein Blick huscht diskret zur Seite, während ich methodisch abwechselnd durch Nase und Mund atme.

Die Dämmerung beginnt sich über den Horizont zu legen und hinter den grauen Wolken einen Hauch von Orange erstrahlen zu lassen.

Ein unheimliches Gefühl erfüllt die drückende Luft und dringt bis in Mark und Bein vor. Niemand außer mir scheint sich für den spektakulären Sonnenuntergang oder die bedrohliche Atmosphäre zu interessieren, die diesen Ort beherrscht.

Auf beiden Seiten von mir stehen Menschen mit ähnlichen weißen Masken, auf deren Stirn schwarze Zahlen geschrieben stehen.

Ich war eine der Ersten, die in die Kammer der Dekadenz eingelassen wurden, und meine Nummer ist die Dreiundzwanzig. Ich stehe in der zweiten Reihe, die wie die erste zwanzig Personen umfasst.

Nein, Studenten.

Es gibt vier Reihen und die fünfte wird nach und nach von den anderen Teilnehmern gefüllt, die von stämmigen Männern in schwarzen Anzügen und grotesken Hasenmasken in das gotisch anmutende Herrenhaus geführt werden.

Rote Schlitze klaffen im Mundbereich ihrer Masken und umrahmen die Löcher, in denen ihre leeren Augen zu sehen sind. Aber was mich wirklich erstarren ließ – abgesehen von ihren scharfen, fleckigen Zähnen – war die Art und Weise, wie der Mann am Eingang den QR-Code auf meinem Handy überprüfte.

Ich war mir so sicher, er würde herausfinden, dass ich die Einladung einer anderen Person benutzt hatte und mich unerlaubt an diesem Ort aufhielt, an dem ich nichts zu suchen hatte.

Trotz der braunen Perücke, die ich trug, um meine auffälligen silbernen Haare zu verdecken, der grauen Kontaktlinsen und der dickrandigen Brille war ich mir keineswegs sicher, dass ich unbemerkt bleiben würde.

Daher sprach ich auch nicht, um mich nicht durch meinen britischen Akzent zu verraten.

Schließlich ist die King’s U eine rein amerikanische Schule und wir von der Royal Elite University fallen in einer solchen Umgebung sofort auf.

Vor allem, wenn wir eigentlich nicht dort sein sollten.

So wie bei diesem Initiationsritual.

Der Hase hatte mich streng gemustert, definitiv länger als die anderen Teilnehmer, aber schließlich zog er mir eine nummerierte Maske über und befestigte ein Schild mit derselben Nummer an meinem Handgelenk.

Ich musste Handy, Schlüssel und Brille bei seinem Hasenfreund abgeben, bevor ich eingelassen wurde.

Und jetzt warte ich mit etwa fünfundachtzig anderen. Oder besser gesagt, siebenundachtzig.

Das weiß ich, weil ich mitgezählt habe.

Das mache ich immer, wenn ich kurz davor bin, dass mir die Nerven durchgehen und ich anfange, Blut zu schwitzen. Dann zähle ich.

Außerdem beobachte ich meine Umgebung – ich betrachte, untersuche und denke über einen möglichen Fluchtweg nach.

Und genau deshalb kam mir der Gedanke, dass ich einen Fehler gemacht haben könnte.

Dieser Ort wurde nicht mit einem Fluchtweg im Hinterkopf entworfen. Wenn man einmal drin ist, ist man erledigt. Körperlich. Mental.

Emotional.

Schließlich gehört dieses Anwesen den Heathens. Einer von zwei berüchtigten Clubs an der King’s U, der geprägt ist von korrupter Macht, grenzenlosem Reichtum und Verbindungen zur Mafia.

Tatsächlich gehören die meisten Mitglieder entweder der russischen Mafia an oder haben irgendeine Verbindung dazu.

Alle Studenten, die heute hier sind, sind von der TKU – mit Ausnahme von mir – und dürsten nach einem Hauch dieser Macht. Einem Funken der Verderbtheit.

Es ist ein Privileg, eine Einladung zur Initiation der Heathens zu erhalten, die zweimal im Jahr zu Beginn jedes Semesters stattfindet.

Die Chancen, tatsächlich in den Club aufgenommen zu werden, liegen bei etwa einem Prozent. Diese Art von Aufnahmeriten ist nicht nur brutal, die Gründungsmitglieder sind darüber hinaus auch sehr wählerisch.

Ich bin nicht hier, um irgendeine Medaille zu gewinnen oder um wirklich in den Club aufgenommen zu werden. Sie würden mich sowieso sofort rauswerfen, wenn sie herausfinden, wer ich bin.

Mein einziges Ziel ist es, Informationen über ihre internen Abläufe und ihre Sicherheitsmaßnahmen zu sammeln und so viel wie möglich über ihre Mitglieder und das Anwesen in Erfahrung zu bringen.

Die Wahrscheinlichkeit, dass ich das schaffe, ohne Aufmerksamkeit auf mich zu ziehen, liegt bei etwa fünf Prozent, was zugegebenermaßen niedrig ist.

Aber ich habe eine Superkraft.

Unsichtbarkeit.

Wenn ich es will, kann ich mich unbemerkt überall einschleichen. Ich muss nur still sein, im Hintergrund bleiben und mich unauffällig verhalten.

Das Quietschen des Tors reißt mich aus meinen Gedanken und kündigt das Ende des Einlassverfahrens an.

Einhundert Studenten stehen in fünf ordentlichen Reihen. Einige sind so ruhig wie ich, andere murmeln und unterhalten sich. Viele machen sogar Witze, rempeln und stupsen ihre Freunde an.

Satzfetzen wie „aufregend“, „kann es kaum erwarten“ und „endlich“ hallen wie ein missklingender Kanon durch die bedrückende Atmosphäre.

Alles an diesem Ort stinkt nach Unheil. Ein Grund dafür dürfte der Umstand sein, dass das Herrenhaus, das die Heathens als ihr Hauptquartier nutzen, riesig und alt ist. Wie eine verlassene Kathedrale, in der man satanische Rituale abhalten könnte.

Es ist ein dreistöckiges Gebäude mit zwei getrennten Flügeln und zwei Türmen an der Ostseite, die vermutlich zu Überwachungszwecken dienen.

Eine unheimliche Aura durchzieht die Mauern und das gesamte Anwesen, was durchaus dem zweifelhaften Ruf des Clubs entspricht.

Wenn man bedenkt, dass das Anwesen außerhalb des Campus liegt und daher mehr Grundstück als Schlafsäle bietet, wirkt es weitläufig und vor allem abgeschieden.

Ein großer Wald umgibt das Herrenhaus, aber soweit ich weiß, ist alles verkabelt und überwacht, sodass niemand außer den Heathens oder denjenigen, die sie einladen, Zutritt hat.

Die Flügeltüren mit den dämonenhaften Türknäufen werden aufgestoßen und eine Schar Männer in Hasenmasken strömt in einem Schwall des Schreckens daraus hervor.

Es fällt nicht ein Wort, aber die Kombination aus trampelnden Stiefeln, verzerrten Fratzen und der schieren Anzahl der Handlanger lässt mich erstarren.

Sie umzingeln uns in geordneter Formation und ihre Halloween-Masken sind das Einzige, was sie der Welt präsentieren. Fünfunddreißig. So viele sind es.

Sie sind allesamt groß, kräftig und definitiv Wachleute.

Denn natürlich haben die Mitglieder der Heathens ihre eigene Security. Immerhin sind sie Mafia-Prinzen, die sich auf ein blutiges Imperium stützen können.

Ihre Eltern würden ihnen nicht erlauben zu studieren, ohne dass sie rund um die Uhr von Leibwächtern beschützt werden.

Das lockere Plaudern verstummt, als sich die Flügeltür im obersten Stockwerk öffnet und fünf schwarz gekleidete Personen auf den Balkon treten.

Alle Augen sind auf sie gerichtet.

Jedes Gesicht, jeder Atemzug und jede Aufmerksamkeit der Anwesenden gilt den Anführern der Heathens, die auf uns herabblicken, als wären wir nichts weiter als Fußvolk.

Neonfarbene Masken, die an The Purge erinnern, verhüllen ihre Gesichter, jede in einer anderen Farbe. Rot, weiß, grün, gelb und orange.

Und da es fast Abend und wie üblich in England bewölkt ist, stechen die Farben aus den vielen dunklen Tönen hervor.

Ein grässliches Leuchten.

Ein schauriges Leuchten.

So grell, dass sich die Masken sofort jedem ins Gedächtnis einbrennen, der sie in der Finsternis erblickt.

Die zum Zerreißen gespannte Luft wird von einer verzerrten Stimme durchbrochen.

„Herzlichen Glückwunsch, dass ihr es zur hart umkämpften Initiation der Heathens geschafft habt. Ihr seid die ausgewählte Elite, die die Anführer des Clubs für würdig halten, in ihre Welt der Macht und der Netzwerke aufgenommen zu werden. Der Preis, der für solche Privilegien zu zahlen ist, ist weit mehr als Geld, Status oder Name. Ihr tragt alle eine Maske, weil ihr in den Augen der Clubgründer gleich seid. Der Preis dafür, ein Heathen zu werden, ist die Hingabe des eigenen Lebens. Und zwar im wahrsten Sinne des Wortes. Wenn ihr nicht bereit seid, diesen Preis zu zahlen, geht bitte durch die kleine Tür zu eurer Linken. Sobald ihr geht, habt ihr keine weitere Chance mehr, uns beizutreten.“

Eine Tür neben dem großen Tor öffnet sich und genau zehn Teilnehmer treten mit gesenktem Kopf hinaus.

Die übrigen neunzig Teilnehmer rühren sich nicht von der Stelle. Schließlich sind alle wegen des Versprechens auf Macht und Einfluss gekommen, das nicht nur ihr Leben an der Universität, sondern auch ihre Zukunft danach verbessern könnte.

Ich wäre auch gegangen, wenn ich nicht mein Wort gegeben hätte, aber das habe ich nun mal und ich muss es halten.

Die Stimme ertönt erneut um uns herum.

„Nochmals herzlichen Glückwunsch, Ladies und Gentlemen. Wir sollten jetzt mit unserer Initiation beginnen.“

Meine Aufmerksamkeit richtet sich auf die Fünf auf dem Balkon – unbeweglich, still und einschüchternd, ohne einen Finger rühren zu müssen.

Wahre Macht zeigt sich nicht durch Geschrei oder Befehle. Sie zeigt sich nicht durch Muskelspiele oder das Zurschaustellen von Waffen. Sie zeigt sich durch absolutes Selbstbewusstsein wie bei diesen Männern. Und durch die Gewissheit, dass sie alle hier in ihrer Gewalt haben.

Wahre Macht brodelt unter der Oberfläche, so stark, dass ihre Kraft fast überschäumt.

„Heute Abend geht es um Raubtier und Beute. Ihr werdet von den Gründungsmitgliedern des Clubs gejagt. Damit steht es fünf zu neunzig, also habt ihr die Oberhand. Wenn ihr es schafft, die Sicherheitszentrale am anderen Ende des Grundstücks zu erreichen, bevor sie euch zur Strecke bringen, seid ihr ein Heathen. Wenn nicht, werdet ihr eliminiert und nach draußen eskortiert. Die Gründungsmitglieder haben das Recht, euch mit allen Mitteln zur Strecke zu bringen – auch mit Gewalt. Wenn sie euch mit der Waffe ihrer Wahl berühren, seid ihr automatisch eliminiert. Körperliche Schäden kann und wird es geben. Auch ihr dürft den Gründungsmitgliedern Gewalt antun – wenn ihr es schafft. Die einzige Regel ist, kein Leben zu nehmen. Zumindest nicht absichtlich. Es sind keine Fragen gestattet und es wird keine Gnade gewährt. Wir wollen keine Schwächlinge in unseren Reihen.“

Alle, auch ich, richten ihre Aufmerksamkeit auf die Waffen der Fünf.

Die Finger von Rotmaske umspielen einen Baseballschläger, der lässig auf seiner Schulter liegt.

Grünmaske hält einen Bogen. An der Sehne ruht ein Pfeil mit Gummispitze. Weitere Pfeile warten in einem Köcher, den er über den Rücken geschnallt hat.

Weißmaske fährt mit der Hand an einer langen Kette entlang, die wie eine Schlange um seinen Arm geschlungen ist.

Die Handschuhe des Trägers der orangen Maske umschließen einen metallenen Golfschläger, den er vor sich auf den Boden gestützt hat.

Gelbmaske hat keine Waffe, hält aber die Fäuste geballt.

Als sie Gewalt sagten, meinten sie das wörtlich. Dessen war ich mir tatsächlich schon vorher bewusst, da ich mich die ganze Nacht lang mental darauf vorbereitet hatte, aber die Realität ist anders, als ich es mir je hätte vorstellen können.

Oder vorhersagen.

„Ihr habt zehn Minuten Vorsprung. Ich schlage vor, ihr rennt. Die Initiation hat offiziell begonnen.“

Sofort setzen sich die Füße um mich herum in Bewegung und alle rennen in verschiedene Richtungen davon.

Ich starre ein letztes Mal auf die Heathens in ihren schwarzen Gewändern, Neonmasken und unbeweglichen Posen.

Sie beobachten die sich zerstreuenden Teilnehmer, ohne eine Regung zu zeigen. Keine Reaktion. Nicht einmal ein Funken Vorfreude.

Das sind Menschen, die gelernt haben, stets die Ruhe zu bewahren – abzuwarten, auf Gelegenheiten zu lauern und niemals ihre Begierde zu zeigen. Selbst wenn ich mir sicher bin, dass die Jagd für sie eine reine Befriedigung ist.

Es geht ihnen definitiv nicht um die Aufnahme neuer Mitglieder oder ums Überleben des Stärkeren. In der Vergangenheit gab es bereits viele Initiationen, von denen die meisten ohne Aufnahme neuer Mitglieder endeten. Und niemand weiß etwas über die Teilnehmer, die die Prüfungen bestanden haben.

Ich versuche, anhand der Masken oder der Statur die Personen dahinter zu erkennen, aber sie sehen alle gleich aus – muskulös und groß – bis auf Weißmaske, dessen Statur etwas schlanker ist.

Trotzdem ist es unmöglich zu sagen, wer wer ist.

Oder nach demjenigen zu suchen, von dem ich mich unbedingt fernhalten sollte.

Egal.

Ich sollte mich von ihnen allen fernhalten.

Sie sind Raubtiere und ich bin eins ihrer Opfer. Wenn mich einer von ihnen erwischt, reißen sie mich in Stücke.

Meine Füße zögern eine Sekunde zu lange, eine Sekunde weniger, um wie alle anderen in den Wald zu flüchten.

Ich wirble herum und renne ihnen hinterher.

Meine Glieder beben bei jeder Bewegung, aber das Versprechen, das ich gegeben habe, schlägt in meiner Brust mit der Heftigkeit eines zweiten Herzens.

Die Studenten rennen zwischen den riesigen Bäumen umher, ohne die düstere Aura zu bemerken, die das gesamte Gelände durchdringt und sich in jede Ecke und jeden Winkel bohrt.

Durch die fehlende Sonne und das spärliche Licht wirken die grünen Bäume dunkel, bedrohlich und voller dämonischer Energie.

Ich konzentriere mich auf meine Mission und laufe so schnell ich kann, um möglichst viel Abstand zu gewinnen. Ich komme an Bäumen vorbei, an denen strategisch kleine Kameras und Lautsprecher angebracht wurden, um das gesamte Gelände abzudecken. Ich senke den Kopf und laufe daran vorbei, um nicht die Aufmerksamkeit derjenigen auf mich zu ziehen, die diese Aufnahmen überwachen. Ich bezweifle, dass die Clubmitglieder sie verwenden würden, um uns aufzuspüren, aber es wäre möglich.

Schließlich gibt es bei der heutigen Jagd keine Regeln.

Ich schleiche mich in die Büsche und folge einer Gruppe von Studenten, die ich vorhin über irgendeine Strategie tuscheln hörte.

Normalerweise halte ich so viel Abstand wie möglich zu anderen, aber ich bin hier, um zu beobachten, wie diese Monster arbeiten.

Der einzige Weg, um geistesgestörte Menschen aufzuhalten, ist, sie zuerst zu beobachten – ihnen möglichst nahe zu kommen und ihre Vorgehensweise zu verstehen.

Nur dann kann man ihnen irgendetwas anhaben.

Ich bin übrigens nicht diejenige, die für Letzteres zuständig ist. Dafür bin ich körperlich viel zu schwach. Aber ich verfüge dank meiner Superkraft über perfekte Spionagefähigkeiten.

Die Dreiergruppe bemerkt nicht, dass ich ihnen versteckt hinter den Büschen folge. Meine Schritte sind lautlos und jedes Geräusch, das ich beim Schleichen zwischen den Bäumen verursache, geht unter ihren eigenen Geräuschen unter.

Wir legen im Wald eine ordentliche Strecke zurück und fallen in ein gleichmäßiges Tempo.

Sie versuchen, auf Klugheit statt Kraft zu setzen. Diese drei versuchen nicht, den Heathens durch blinde Flucht zu entkommen, sondern scheinen sich im Wald auszukennen und diesen Vorteil zu nutzen, um schneller ans Ziel zu kommen.

„Nummer vierundsiebzig und achtzehn eliminiert.“

Ich zucke zusammen, als ich den Lautsprecher höre, und zwinge mich, nicht darüber nachzudenken, wie sie wohl eliminiert wurden.

Die drei, die ich verfolge, Fünf, Sechs und Sieben, halten während der Ansage nicht einmal inne.

Für sie muss es nicht das erste Mal sein. Viele, die bei früheren Versuchen gescheitert sind, werden noch einmal in die Villa der Heathens eingeladen, wenn die Mitglieder sie für würdig befinden, es noch einmal zu versuchen.

Ein weiterer Grund, warum sie die perfekten Kandidaten sind, denen man folgen sollte.

Sie bahnen sich ihren Weg zwischen den herabgefallenen Ästen hindurch und obwohl sie den Kameras keine Aufmerksamkeit schenken, bewegen sie sich geschickt zwischen ihren Sichtfeldern.

Die Stimme aus dem Lautsprecher hallt immer wieder um uns herum und verkündet die Eliminierung weiterer Nummern, manchmal in größeren Gruppen, manchmal zu zweit.

Jedes Mal, wenn sie ertönt, zucke ich zusammen und atme abwechselnd durch Nase und Mund, um ruhig zu bleiben.

Fünf, der an der Spitze ist, bleibt stehen, und die anderen tun es ihm gleich.

Durch die Zweige und Blätter hindurch kann ich das Schleifen des Golfschlägers auf dem Boden ausmachen, noch bevor die orange Maske in Sichtweite kommt.

Sechs versucht, ihn zu schlagen, doch Orangemaske weicht nicht nur aus, sondern trifft ihn dabei auch noch mit dem Schläger mitten ins Gesicht.

Ich presse mir die Hände auf den Mund, um nicht aufzuschreien, als Blut unter der Maske von Sechs hervorspritzt und er mit einem dumpfen Geräusch zu Boden geht. Meine Beine zittern und ich kauere mich zwischen die Büsche, während ich die Szene durch die Blätter hindurch beobachte.

Fünf und Sieben rennen in verschiedene Richtungen und Orangemaske wirft den Golfschläger so kräftig gegen den Hinterkopf von Fünf, dass dieser gegen einen Baum geschleudert wird. Dann rennt er Sieben hinterher. Jede seiner Bewegungen ist absolut sicher und verströmt eine beängstigende Gelassenheit.

Und Kraft.

In jeder noch so kleinen Regung steckt eine ungeheure Kraft. In jeder Handlung. Jeder Entscheidung, die er trifft.

Er hat nicht einmal abgewartet, ob sein Schläger Fünf auch wirklich trifft. Er schien es zu wissen und so kam es auch, wie der regungslose Körper des Kandidaten auf dem Boden beweist.

Irgendetwas sagt mir, dass er sich aus einem bestimmten Grund dafür entschieden hat, hinter Sieben herzulaufen, und die Neugier nach diesem Grund nagt innerlich an mir.

Aber ich gebe ihr nicht nach.

Denn das würde bedeuten, dass ich ihnen nachrenne und mit Sicherheit für meine eigene Eliminierung sorge.

Neugier ist das Werk des Teufels und seiner Schergen, die uns dazu bringen wollen, irrational zu handeln.

Der Sprecher verkündet, dass die Nummern Sechs und Fünf eliminiert wurden. Ich warte auf Nummer Sieben, aber sie kommt nicht.

Vielleicht ist er entkommen. Ich drück dir die Daumen, unbekannter amerikanischer Kerl.

Das Wichtigste ist, dass ich vorerst in Sicherheit bin.

Langsam richte ich mich auf und schaue mich vorsichtig um.

Diesmal berühre ich meine Perücke, schiebe sie zurecht und ignoriere das Kribbeln auf meinem verschwitzten Kopf, als ich ein paar Mal gegen meine Maske klopfe, um sicherzugehen, dass sie noch sitzt.

Das Geräusch mehrerer Schritte dringt an meine gespitzten Ohren und ich kauere mich wieder hin, als vier Teilnehmer über eine nahegelegene Lichtung rennen. Orangemaske läuft ihnen nach, gefolgt von Rotmaske. Sie machen kurzen Prozess mit ihnen und ihre bewusstlosen Körper gehen wenig später zu Boden.

Ich bedecke wieder den Mund mit einer Hand. Die Fingernägel graben sich in das Plastik der Maske und kratzen an der Oberfläche.

Verdammt.

Das ist viel abscheulicher, als ich es mir je hätte vorstellen können. Ja, ich habe die Gerüchte gehört, wie skrupellos die Heathens sein können und dass sie kein Erbarmen kennen, aber sie tatsächlich zuschlagen und prügeln zu sehen, ist etwas ganz anderes.

Es sind nicht nur die Bilder von spritzendem Blut, von heftigen Schlägen gegen Gesichter und Körper oder von Menschen, die verletzt auf dem Boden liegen. Es sind nicht nur die an Horrorfilme erinnernden Bilder von gnadenlosen Neonmasken, die Menschen jagen, als wären sie Tiere.

Es ist auch der Klang. Das Knallen und Klatschen, die Schläge und das dumpfe Aufschlagen der Körper auf dem Boden.

Es sind die gedämpften Schreie, das Wimmern und das Flehen einiger Teilnehmer.

Einer von ihnen sagte: „Ich bin raus. Bitte verschont mich dieses eine Mal …“

Bevor sein Kopf gegen einen Baum gerammt wurde.

Die beiden Heathens würdigen sich kaum eines Blickes, bevor jeder in eine andere Richtung geht.

Rotmaske verschwindet zwischen den Bäumen und ich überlege, wie ich hier am besten wegkommen soll, ohne dass Orangemaske davon etwas mitbekommt.

Wisst ihr was? Ich warte einfach, bis er weg ist, bevor ich mich bewege.

Trotz der Schmerzen, die in meinen Gliedern toben, und meiner zitternden Beine verharre ich regungslos in der Hocke, zu ängstlich, um richtig zu atmen.

Orangemaske beugt sich in der Nähe von Fünf nach unten und greift nach seinem Schläger. Etwas Klebriges befleckt seine schwarzen Lederhandschuhe und tropft in leuchtendem Rot auf den Boden.

Blutrot.

Wie können sie in so jungen Jahren nur so … monströs sein? Aber andererseits sind sie wahrscheinlich schon seit ihrer Geburt so, wenn man bedenkt, in welcher Welt sie aufwachsen.

Ich habe diese Art von Menschen noch nie gemocht: diejenigen, die nur deshalb Leid zufügen, weil sie die Macht dazu besitzen.

Diejenigen, die ganze Familien zerstören, nur weil sie es können.

Moralisch verkommene Menschen.

Machtmenschen ohne Hemmungen und Moral.

Die Heathens stehen mit ihren verdrehten Wertvorstellungen und ihrem hedonistischen Weltbild ganz oben auf dieser Liste.

Orangemaske richtet sich zu seiner beeindruckenden Größe auf, die fast den gesamten Horizont verdeckt, dann legt er langsam – zu langsam – seinen Kopf in meine Richtung.

Die neonfarbenen Nähte leuchten in der fast völligen Dunkelheit, während sich eine gespenstische Stille breitmacht.

Mein ganzer Körper erstarrt, als seine raue, tiefe Stimme ertönt. „Ich weiß, dass du dich hier versteckst. Komm raus und ich verspreche dir, dass ich dir nicht wehtun werde. Nicht sehr.“