Prolog
Oktober 2016 – Montreal
Shane Hollander war so kurz davor aus der Haut zu fahren, wie er es sich selten erlaubte.
Er hatte zwei Drittel und zwölf Minuten eines der frustrierendsten Eishockeyspiele ertragen, die er je gespielt hatte. Es hätte ein glorreicher Heimsieg seiner Montreal Voyageurs gegen ihre Erzrivalen, die Boston Bears, sein sollen. Stattdessen war es zu einer zermürbenden Demütigung geworden, deren aktueller Spielstand 4-1 für Boston lautete, und es waren nur noch weniger als acht Minuten auf der Uhr. Shane hatte fünf wunderschöne Torchancen gehabt. Er hatte Schüsse abgegeben, die niemals hätten daneben gehen dürfen. Aber das taten sie. Und die Bears hatten aus den Fehlern der Voyageurs Kapital geschlagen.
Ein Mann hatte mehr Kapital daraus geschlagen als alle anderen. Der meistgehasste Mann in Montreal: Ilya Rozanov. Die fast schon ein Jahrhundert alte Rivalität zwischen den NHL-Teams von Montreal und Boston hatte sich über die letzten sechs Saisons hinweg in Hollander und Rozanov personifiziert. Ihre heftige Feinseligkeit war sogar für die Fans auf den entferntesten und billigsten Plätzen spürbar.
Hollander beugte sich jetzt Angesicht zu Angesicht mit Rozanov am Face-Off-Punkt nach unten. Der Schiedsrichter würde jeden Moment den Puck fallen lassen – nach dem zweiten Tor des Russen in diesem Spiel.
„Hast du einen schönen Abend?“, fragte Rozanov gutgelaunt. Seine haselnussbraunen Augen glitzerten, wie sie es immer taten, wenn er Unsinn laberte.
„Fick dich“, knurrte Hollander.
„Ist immer noch genug Zeit für einen Hattrick, glaube ich“, sinnierte Rozanov, wobei sein Englisch durch seinen schweren Akzent und seinen Mundschutz kaum zu verstehen war. „Soll ich jetzt machen, oder bis zu letzter Minute warten? So ist aufregender, ja?“
Hollander biss die Zähne um seinen eigenen Mundschutz zusammen und entgegnete nichts.
„Halt den Mund, Rozanov“, wies ihn der Schiedsrichter zurecht. „Letzte Warnung.“
Rozanov hielt den Mund, aber er fand einen noch viel effektiveren Weg, Hollander aus der Fassung zu bringen: Er zwinkerte.
Und dann gewann er das Face-Off.
„Fuck!“ Jean-Jacques Boiziau, der riesenhafte haitianisch-kanadische Verteidiger der Voyageurs, schleuderte seinen Schläger gegen die Wand der Umkleide.
„Das reicht, J.J.“, sagte Shane, aber sein Ton ließ keine Drohung vermuten. Um deutlich zu machen, dass er nicht in der Stimmung war, sich mit irgendwem in die Haare zu kriegen oder zu diskutieren, sank er an seinem Platz der Kabine nach unten.
Hayden Pike, der als rechter Flügelstürmer mit Shane im Angriff spielte, saß wie immer neben ihm auf der Bank. „Alles gut bei dir?“, fragte Hayden leise.
„Klar“, antwortete Shane trocken. Er legte seinen Kopf in den Nacken, bis dieser auf die kühle Wand hinter ihm traf, und schloss die Augen.
Das Wort „leidenschaftlich“ im Zusammenhang mit Montreals Eishockeyfans zu verwenden, wäre eine Untertreibung. Montreal liebte die Voyageurs bis hin zur Skurrilität. Ihre Arena war eine der härtesten, in denen ein Auswärtsteam spielen konnte, denn sie trafen dort nicht nur auf eines der besten Teams, sondern zudem noch auf die lautesten Fans der Liga. Die Fans jedoch hatten auch keinerlei Problem damit, ihr heißgeliebtes Team wissen zu lassen, wie enttäuscht sie von ihm waren.
Aber wenn Montreal-Fans wirklich am Boden zerstört waren – wie es heute Abend der Fall war -, blieben sie fast vollkommen still. Und dieses Geräusch mochte Shane Hollander am allerwenigsten.
„Weißt du, was nett wäre?“, wollte Hayden wissen. „Kennst du den Film The Purge? Wo man für eine Nacht so etwa jede Regel brechen kann, ohne dass es Konsequenzen hat?“
„Vielleicht“, gab Shane zurück.
„Alter, wenn das Wirklichkeit wäre, würde ich Rozanov sowas von kaltmachen.“
Shane lachte. Er konnte nicht widersprechen, dass es nicht wenigstens ein bisschen befriedigend wäre, dessen selbstgefälliges russisches Gesicht zu verstümmeln.
Ihr Trainer betrat den Raum und äußerte seine Enttäuschung mit erstaunlich ruhiger Stimme. Die Saison hatte gerade erst begonnen – das heute war ihr erstes reguläres Aufeinandertreffen mit Boston gewesen – und die meisten Spiele bisher hatten sie gut bestritten. Es handelte sich um einen Ausrutscher. Es würde weitergehen.
Dann war es an der Zeit, der Presse gegenüberzutreten. In diesem Moment hätte Shane es zwar vorgezogen, hätte ein Rudel hungriger Wölfe den Raum betreten, aber er wusste, dass er die Reporter nicht umgehen konnte. Sie forderten immer ausdrücklich ein Gespräch mit ihm, besonders nach Spielen gegen Rozanov.
Er zog sich also sein verschwitztes Trikot über den Kopf, sodass das enge CCM-Untershirt auf den Aufnahmen zu sehen sein würde. Teil seines Sponsorenvertrags.
Ein Halbkreis aus Kameras, Beleuchtung und Mikrofonen bildete sich um ihn.
„Hey, Leute“, sagte Shane müde.
Sie stellten ihre langweiligen Fragen und Shane gab ihnen langweilige Antworten. Was sollte er auch sagen? Sie hatten verloren. Es war ein Eishockeyspiel, ein Team hatte verloren und dieses Team war seines.
„Willst du wissen, was Rozanov gerade über dich gesagt hat?“, fragte einer der Reporter schadenfroh.
„Was Nettes, nehme ich an.“
„Er sagte, er wünschte sich, du hättest heute Abend gespielt.“
Die Meute der Reporter blieb still. Wartete.
Shane schnaubte und schüttelte seinen Kopf. „Naja, in drei Wochen spielen wir in Boston. Ihr könnt ihn wissen lassen, dass ich bei diesem Spiel definitiv dabei sein werde.“
Die Reporter lachten und waren begeistert, dass sie ihr Hollander-vs.-Rozanov-Gefrotzel für den Abend bekommen hatten.
Eine Stunde später – geduscht, umgezogen und endlich allein – fuhr Shane nach Hause. Nicht zu seinem Penthouse in Westmount, sondern zu der Wohnung, von der niemand wusste.
Shane verbrachte nur wenige Nächte im Jahr in der kleinen Eigentumswohnung im Plateau. Hier kam er her, wenn er sicher sein wollte, dass er absolute Privatsphäre genoss.
Er parkte sein Auto auf dem winzigen Parkplatz hinter dem dreistöckigen Gebäude, schloss anschließend die Hintertür auf und nahm schnell die Stufen bis in die oberste Etage. Er wusste, dass die zwei darunter liegenden Etagen leer standen, denn auch diese gehörten ihm. Das Erdgeschoss vermietete er an ein Luxusküchenstudio, welches bereits seit Stunden geschlossen hatte.
Die Wohnung in der dritten Etage sah exakt nach dem aus, was sie war: Ein Vorführobjekt, ausgestattet von einem professionellen Raumgestalter. Eigentlich handelte es sich hierbei um die Fläche, die dazu genutzt werden sollte, diese und die darunterliegende Wohnung zu verkaufen. Sollte Shane je daran interessiert sein zu verkaufen. Was er, wie er sich selbst einredete, tun würde. Bald.
Nur redete er sich das seit über drei Jahren ein.
Er ging hinüber zu dem makellosen Edelstahlkühlschrank und nahm eine der fünf Bierflaschen heraus – mehr befand sich nicht darin. Er schraubte den Deckel ab und setzte sich auf das schwarze Ledersofa im Wohnraum.
Er saß in vollkommener Stille und versuchte zu ignorieren, dass sich sein Magen an Abenden wie diesem jedes Mal zusammenkrampfte. Er trank schnell sein Bier, da er hoffte, dass der Alkohol ihm dabei half, die Enttäuschung über sich selbst und den Ekel vor seiner eigenen Schwäche zu betäuben. Und betäuben musste er sie, denn er wusste, er würde ganz sicher nichts tun, um dieses Chaos zu beheben. Das hatte er bereits sechs Jahre lang versucht.
Das Klopfen an der Tür erklang fast vierzig Minuten später. Es war genug Zeit gewesen, um Shane fast davon zu überzeugen, einfach zu gehen. Dieser Dummheit ein Ende zu setzen. Aber natürlich war er nicht gegangen. Und auch wenn es Stunden gedauert hätte, hätte Shane trotzdem immer noch auf dem Sofa gesessen und auf das Klopfen gewartet.
Er öffnete die Tür. „Was zur Hölle hast du so lange gemacht?“, fragte er gereizt.
„Wir haben gefeiert. Großer Sieg heute Abend, weißt du?“
Shane trat zur Seite, sodass der große, grinsende Russe die Wohnung betreten konnte.
„Ich bin gegangen, als ich konnte“, sagte Rozanov, wobei sein Tonfall nun weniger neckend war. „Wollte keine Aufmerksamkeit erregen, richtig?“
„Sicher.“
Und das war das letzte Wort, was über Shanes Lippen kam, bevor Rozanovs Mund mit seinem kollidierte.
Shane krallte sich mit beiden Händen in seine Lederjacke und zog Rozanov näher, während er ihn atemlos küsste. „Wie viel Zeit hast du?“, fragte Shane schnell, als sie sich voneinander gelöst hatten, um Luft zu holen.
„Vielleicht zwei Stunden?“
„Fuck.“ Er küsste Rozanov wieder – grob und gierig. Gott, er brauchte das hier. Dieses furchtbar abgefuckte Arrangement zwischen ihnen.
„Du schmeckst nach Bier“, sagte Rozanov.
„Du schmeckt nach dem schrecklichen Kaugummi, den du immer kaust.“
„Ist, damit ich nicht rauche!“
„Sei still.“
Sie rangen miteinander, schubsten sich, bis sie das Schlafzimmer erreichten, wo Shane Rozanov grob gegen eine Wand stieß und ihn weiterhin küsste. Er spürte die Zunge seines Rivalen vertraut in seinem Mund, fuhr mit seiner eigenen über Zähne, die Gott weiß wie oft repariert und ersetzt worden waren.
Er wollte heute Nacht viel, aber sie hatten keine Zeit für viel. Rozanov packte ihn und drückt ihn auf das Bett hinunter; Shane sah dem anderen Mann dabei zu, wie dieser seine Jacke auf den Boden fallen ließ und sich das T-Shirt über den Kopf zog. Eine Goldkette hing schief um Rozanovs Hals; das Kreuz daran ruhte auf seinem linken Schlüsselbein gerade über dem berühmten (lächerlichen) Tattoo eines zähnefletschenden Grizzlybären („Für Russland! Ich hatte es, bevor ich für die Bears gespielt habe!“) auf seiner Brust. Shane würde sich später darüber lustig machen. In diesem Moment konnte er seine Augen nicht von Rozanov abwenden, der sich weiter auszog. Etwas verspätet stellte Shane fest, dass er das Gleiche tun sollte.
Sie entledigten sich beide aller Kleidung und Rozanov ließ sich auf Shane fallen, küsste ihn und bewegte eine Hand nach unten, um seinen bereits beschämend steifen Schwanz zu packen. Shane wölbte sich seiner Berührung entgegen und gab dabei dämliche, verzweifelte Geräusche von sich.
„Keine Sorge, Hollander“, sagte Rozanov und seine Lippen strichen dabei über Shanes Ohr. „Ich werde dich vögeln, wie du es willst, ja?“
„Ja“, hauchte Shane und fühlte sich gleichzeitig erleichtert und gedemütigt.
Rozanov glitt an seinem Körper hinunter, küsste und saugte und leckte, bis er Shanes Schwanz erreichte. Er quälte ihn nicht weiter. Er nahm ihn in seinen Mund und Shane war dankbar dafür, dass sie sich allein in seinem Gebäude befanden, denn sein Stöhnen hallte durch den spärlich dekorierten Raum.
Er stützte sich auf die Ellbogen, damit er zusehen konnte. Ein Teil von ihm wollte sich zurücklehnen, die Augen schließen und so tun, als ließe ihn irgendwer anders nur nicht Ilya Rozanov in derartigen Sphären schweben. Aber ein Großteil von ihm wollte ganz genau sehen, um wen es sich handelte.
Rozanov war ein atemberaubender Mann. Hellbraune Locken, die ihm immer chaotisch über seine neckenden nussbraunen Augen und die dichten, dunklen Augenbrauen fielen. Sein ausgeprägter Kiefer und das Kinn mit dem Grübchen waren von Bartstoppeln bedeckt. Sein Lächeln war stets schief und träge, und seine Zähne waren unnatürlich weiß, was daran lag, dass die meisten von ihnen nicht echt waren.
Seine Nase war schief, da sie ihm schon mehr als einmal gebrochen worden war, aber das verdammte Ding ließ ihn nur noch wilder aussehen. Und für einen Russen, der in Boston lebt, hatte seine Haut eine viel goldenere Bräune, als möglich sein sollte.
Shane hasste ihn verdammt noch mal. Aber Rozanov war sehr gut darin, ihm einen zu blasen, und aus irgendeinem Grund war er auch dazu bereit.
Shane hasste das hier, aber er hatte einige Mühen auf sich genommen, es zu beschützen, und er würde solange damit weitermachen, wie Rozanov an Bord war. In Anbetracht ihrer beider Leben war das hier nicht leicht zu kriegen. Vielleicht hatten sie, als sie vor sieben Jahren hiermit begonnen hatten, nicht damit gerechnet, dass ihre Leben und vor allem ihre berüchtigte Rivalität je an den jetzigen Punkt kämen. Vielleicht hätten sie hiermit schon lange aufhören sollen. Aber obwohl das hier falsch war, war es bequem. War es vertraut. War es ungefährlicher als alles andere, was jeder von ihnen bekommen konnte.
Mehr war es nicht.
Rozanov bewegte seinen talentierten Mund über Shanes Schwanz und Shane warf das Gleitgel aus dem gut ausgestatteten Nachttisch ans untere Ende des Bettes. Rozanov drückte sich ein wenig davon auf die Finger, um Shane für sich zu öffnen, ohne damit aufzuhören, womit er gerade beschäftigt war.
Was jetzt kam, war noch nie Shanes Lieblingsteil ihrer Treffen gewesen, da er sich dabei immer so verdammt verletzlich fühlte. Er fühlte sich jedes Mal schwach und lächerlich, wenn sie auf diese Art und Weise zusammen waren, besonders aber, wenn Rozanov seine Finger in ihm hatte. Was dazu führte, dass die Vorbereitung meistens einige Zeit dauerte.
Rozanov hingegen schien jedes Mal vollkommen entspannt zu sein. Er war gut hier drin und er wusste es. Ein letztes Mal leckte er über Shanes Schwanz, was sich in Shanes Körper anfühlte, als würde ein Blitz hindurchzucken, und sagte: „Entspann dich, ja? Ist nicht viel Zeit, aber genug.“
Shane atmete tief ein und langsam wieder aus. Auf dem Eis hasste er diese Stimme so sehr und in den Interviews, die er im Fernsehen gesehen hatte und in denen Rozanov ihn in unausstehlich neckendem Tonfall verspottete. Aber hier in diesem Bett war Rozanovs Tonfall geduldig und sanft, seine tiefe Stimme und sein Akzent wanden sich elegant um sperrige englische Wörter.
Shane entspannte sich, als Rozanov ihn mit kräftigen Fingern öffnete und währenddessen Küsse auf den Innenseiten seiner Schenkel platzierte. Als er bereit war, gab Shane ihm kommentarlos ein Kondom, bevor er herumrollte und sich auf Hände und Knie stützte. Er konnte Rozanov nicht ansehen, nicht heute Abend. Nicht nach dieser demütigenden Niederlage.
Rozanov schien ihn zu verstehen. Er drang vorsichtig in ihn ein, nahm ihn nicht so grob, wie er es bereits viele Male in der Vergangenheit getan hatte. Das hier war langsam und bedacht. Shane spürte große Hände an seinen Hüften, die ihn in Position hielten, während Rozanov sich in ihn schob. Er spürte sogar, wie Rozanovs Daumen sanft über seinen unteren Rücken strichen.
„Hier. Das wolltest du doch, ja?“
„Ja.“ Denn genau das war es, was er wollte. Was er immer wollte.
Rozanov begann sich zu bewegen und Shane schrie auf. Es dauerte nie lange, bis er sich einfach gehen ließ und stöhnte und keuchte und nach mehr bettelte.
„Fuck, Hollander. Das gefällt dir.“
Shanes Antwort darauf war ein – und da war er sich sehr sicher – knallrotes Gesicht. Aber er konnte es nicht leugnen.
Wäre Shane sich nicht absolut sicher gewesen, dass das Gebäude abgesehen von ihnen beiden komplett leer war, hätte er sich Sorgen darüber gemacht, wie laut er war, wenn Rozanov ihn vögelte. Aber hier fühlte er sich sicher, also ließ er los. Er schrie bei jedem Stoß auf und vielleicht sagte er auch einige Male Rozanovs Namen.
Shane hoffte wirklich, dass niemand sie hören konnte.
Als Rozanov um ihn herum Shanes Schwanz in seine vom Gleitgel feuchte Hand nahm, überkam Shane das verzweifelte Gefühl nach Erleichterung, sodass er begann, sich Rozanovs Stößen entgegenzubewegen. An diesem Punkt wurde er jedes Mal wieder daran erinnert, warum er das hier nicht aufgeben konnte. Es war zu gut.
„Wirst du für mich kommen, Hollander?“
Hollander würde und kurze Zeit später kam er tatsächlich. Er schlug auf die Matratze, fluchte lautstark und übergoss Rozanovs Faust, als er kam.
Hinter ihm erhöhte Rozanov das Tempo, sodass mit jedem Stoß Nachwehen durch Shanes Körper rollten. Kurz bevor Shane es nicht mehr aushielt, verharrte Rozanov, schrie auf und pulsierte in Shane.
Danach lagen sie nebeneinander auf dem Rücken und Shane fühlte wie jedes Mal, wie Schuld und Scham sich anschlichen.
„Gut, bei einer Sache hast du heute Abend gewonnen“, sinnierte Rozanov.
„Gott. Verpiss dich.“ Shane hob seinen Arm, um ihm den Mittelfinger zu zeigen, aber Rozanov packte sein Handgelenk und zog ihn zu sich, sodass Shane sich auf Rozanovs Brust wiederfand und auf diesen hinabblickte. Rozanovs verspieltes Lächeln verschwand langsam, während er Shanes Blick gefangen hielt, und Shane hatte plötzlich Mühe zu atmen.
„Immer noch das blöde Tattoo, wie ich sehe“, meinte Shane schnell, um sich selbst von was auch immer zur Hölle hier gerade passierte abzulenken.
„Oh“, gab Rozanov zurück, wobei das neckende kleine Lächeln wieder auf sein Gesicht zurückkehrte. „Er hat dich vermisst.“
Shane schnaubte.
„Hat er“, beharrte Rozanov. „Gib ihm einen Kuss.“
Shane verdrehte die Augen, neigte jedoch seinen Kopf hinunter zu Rozanovs Brust. Statt aber seine Lippen auf das Tattoo zu drücken, umschloss er Rozanovs Brustwarze vorsichtig mit seinen Zähnen und zog daran.
„Fuck“, keuchte Rozanov.
Als Entschuldigung, aber auch weil er wusste, dass es den anderen nur noch mehr reizen würde, strich er mit seiner Zunge über den empfindlichen Nippel. Rozanov schob eine Hand in Shanes Haar und brachte ihre Münder wieder zueinander. Nach einem langen, merkwürdig zärtlichen Kuss hob Shane den Blick und bemerkte, dass Rozanov ihn – schon wieder – äußerst ernst ansah. Er schluckte, sagte jedoch nichts, als Rozanov mit seinen Fingern durch Shanes Haar strich. Er hoffte, dass die Angst in seinem Inneren sich nicht auf seinem Gesicht abzeichnete.
„Du bist sehr schön“, sagte Rozanov plötzlich. Er sagte es nüchtern und geradeheraus.
Shane wusste nicht, wie er reagieren sollte. Sie sagten keinerlei Dinge zu einander, wenigstens nicht solche Dinge.
„Heißester Mann der NHL, wenn man der Cosmopolitan glaubt“, witzelte Shane. Er hatte gelernt, nur so mit Rozanov zu sprechen, mal abgesehen davon, ihm Obszönitäten an den Kopf zu werfen.
„Das sind Idioten“, grummelte Rozanov und damit war der Bann gebrochen. „Sie haben mich auf Platz fünf gesetzt. Fünf!“
„Scheint mir großzügig.“
Rozanov rollte sie beide herum, sodass er nun Shane auf die Matratze presste.
„Ich muss los“, sagte Rozanov und klang dabei, als bedauerte er diesen Umstand aufrichtig. „Erst duschen, aber dann muss ich zurück ins Hotel.“
„Ich weiß.“
Sie duschten gemeinsam und Shane ließ sich auf die Knie sinken, denn er konnte Rozanov nicht gehen lassen, ohne ihn gekostet zu haben. Rozanov murmelte zustimmend, während er über Shane in der geräumigen Regendusche aufragte. Seine starken Hände umfassten Shanes Kopf und seine langen Finger vergruben sich in dessen nassem Haar. Shane sah nach oben und begegnete Rozanovs Blick und dessen verdammtem schiefen Lächeln. Sofort schloss Shane die Augen und spürte, wie seine Wangen erröteten und wie, sehr zu seiner Scham, sein Schwanz steif wurde.
Es war schlimm genug, dass er es so sehr genoss, gevögelt zu werden, dass er es mochte, einen Schwanz im Mund zu haben. Aber dass es ausgerechnet dieser Hurensohn sein musste; es ging sogar so weit, dass Shane bei den überaus seltenen Gelegenheiten, bei denen es nicht Rozanov war, etwas fehlte …
Vielleicht also war es nicht einfach nur bequem. Aber das war etwas, worüber Shane nicht nachdenken wollte.
Er brachte Rozanov bis auf den Gipfel und entließ ihn dann, sodass das Sperma des anderen Shane auf seinem Kinn, seinen Lippen und wahrscheinlich seinem Hals traf. Die Beweise waren schnell weg- und den Abfluss hinuntergewaschen und Shane ließ sich sitzend nach hinten gegen die Duschwand sinken. Er fuhr sich mit seinen Händen übers Gesicht und zog seine Knie an den Körper. Er hörte, wie Rozanov auf Russisch keuchte.
„Shit“, sagte Rozanov dann, wobei er Shane mit nach hinten an die Fliesen gelegtem Kopf gegenüberstand. „Hast du das geübt, Hollander?“
„Nein“, grummelte Shane.
„Nein? Hast du das alles für mich aufgehoben?“
Shane antwortete nicht, was in etwa einer Bestätigung gleichkam.
Rozanov lachte. „Du musst dich flachlegen lassen, Hollander. Alle paar Monate auf eine schnelle Nummer zu warten, ist nicht gesund.“
„Ich warte nicht“, entgegnete Shane. Es war nicht wirklich eine Lüge. Er war ganz offensichtlich nicht einhundert Prozent heterosexuell, aber Sex mit Frauen zu haben, widerte ihn nicht an. Es fühlte sich einfach nicht so gut an wie mit Männern.
Mit einem Mann ganz besonders.
Aber Frauen waren sicher und unkompliziert und überall. Und vielleicht würde er, wenn er sich nur genug anstrengte, auch irgendwann eine finden, mit der er mehr als nur eine Nacht verbringen wollte. Eine, die diesem … was auch immer das hier war endlich ein Ende setzen würde.
Rozanov stellte das Wasser ab und reichte ihm eine Hand. Shane schnaubte, griff dann aber danach und ließ zu, dass Rozanov ihn auf die Füße zog.
Sie standen Brust an Brust und Shane sah dabei zu, wie Wasser aus Rozanovs Haaren auf dessen Schultern tropfte und hinunter zu seinem Bauchnabel rann.
Rozanov legte seine Hand an Shanes Wange und neigte so dessen Kopf nach oben. Er blickte ihn fast liebevoll und mit einem kleinen Lächeln auf den Lippen an, dann küsste er ihn.
„Ich habe dich ruiniert“, meinte Rozanov, als sie den Kuss unterbrachen. „Niemand wird je wieder gut genug sein.“
„Verpiss dich doch.“
„Dass du solche Worte in den Mund nimmst.“
„Sag es nicht.“
„Ich mag es lieber, wenn du mich in den Mund nimmst.“
„Verdammt, Rozanov.“ Shane schubste den anderen Mann rückwärts gegen die Duschwand und küsste ihn aggressiv. So war es immer. Rangeln, einander verfluchen und um die Kontrolle ringen, bis einer von ihnen oder beide nachgaben und sich erlaubten, die Erleichterung zu erfahren, nach der sie beide verrückt waren.
„Ich muss gehen“, sagte Rozanov. Doch noch während seiner Worte kratzte er mit seinen Zähnen an Shanes Kinn entlang.
„Ich weiß.“
„Tut mir leid.“
„Warum? Ist mir gleich. Und ich denke, wir sind hier eh fertig, oder?“
Rozanov hörte auf ihn zu küssen und betrachtete ihn stattdessen nachdenklich. „Vermutlich sind wir das.“
Sie verließen die Dusche und zogen sich schnell an. Shane entfernte die Tagesdecke vom Bett und stopfte sie in die Waschmaschine. Er würde dafür sorgen, dass sie den Raum derart makellos hinterließen, wie Shane ihn vorgefunden hatte.
„Bis in drei Wochen also“, meinte Rozanov, als er in der Tür stand, bereit zu gehen.
„Jap.“
Rozanov nickte und Shane dachte, dass es das jetzt war, aber dann grinste der andere Mann plötzlich und fügte hinzu: „War es heute Abend meine Schuld?“
„War was deine Schuld?“
„Dass du abgelenkt warst. Heute Abend auf dem Eis.“
Shane brauchte einige Augenblicke, um zu verstehen, was der andere andeutete.
„Fick. Dich.“
Rozanovs Lächeln wurde breiter. „Konntest nicht spielen, weil du an meinen Schwanz denken musstest, ja?“
„Gute Nacht, Rozanov.“
Rozanov warf ihm auf seinem Weg nach draußen eine Kusshand zu, was Shane wütend und merkwürdig erleichtert zurückließ. Es war gut, daran erinnert zu werden, dass sie sich eigentlich nicht mochten.
Shane nahm sich ein weiteres Bier aus dem Kühlschrank und setzte sich erneut aufs Sofa, um zu warten, bis die Tagesdecke sauber war. Es war spät und er war erschöpft, aber er würde nicht hier schlafen. Er sollte wirklich mit einem Makler darüber sprechen, das Gebäude zu verkaufen.
Er würde das Gebäude verkaufen und er würde in seinem verdammten Hotelzimmer bleiben, wenn sie in Boston spielten, und sich nicht nachts auf den Weg zu Rozanovs Penthouse machen. Er würde das hier beenden und sein Leben würde weitergehen.
Während er diesen Plan schmiedete, bemerkte er plötzlich, dass er mit seinen Fingerspitzen über seine Lippen strich. Sie kribbelten noch in Erinnerung an den Mund des anderen Mannes, der vor kurzem noch auf ihnen gelegen hatte.
Er wusste, dass jeder Plan, das hier zu beenden, sinnlos war. Solange wie es ihm angeboten wurde, wäre Shane niemals in der Lage, hierzu nein zu sagen.
Kapitel 1
Dezember 2008 – Regina
Ilya Rozanov stapfte in bitterer Kälte über den Hotelparkplatz zum Teambus. Wie viele seiner Teamkameraden war er zum ersten Mal in Nordamerika. Er hatte erwartet, dass es ihn mehr beeindrucken würde, aber Saskatchewan war auch kaum New York City. Hier gab es nichts – außer Kälte und Hockey. Und mit diesen zwei Dingen waren Russen bestens vertraut.
In zwei Tagen war Weihnachten, aber für die weltbesten Jugendhockeyspieler hieß Weihnachten: die World Junior Hockey Championships. Für Ilya bedeutete das wiederum, womöglich endlich einen Blick auf Shane Hollander zu erhaschen.
Das siebzehn Jahre alte kanadische Phänomen war in aller Munde. Ilya war es leid, diesen Namen, der in der Hockeywelt für derart viel Aufsehen gesorgt hatte, dass sogar Moskau nicht weit genug weg war, um dem Hype zu entkommen, überall zu hören. Sowohl Ilya als auch Hollander waren für den NHL-Draft im kommenden Juni qualifiziert und bereits jetzt war klar, dass sie auf Platz eins und zwei der Picks standen. Die Reihenfolge hing davon ab, wen man fragte.
Seine Antwort jedenfalls kannte Ilya.
Er war Shane Hollander nie begegnet. Hatte nie gegen ihn gespielt. Aber er war bereits entschlossen, ihn zu vernichten.
Er würde damit beginnen, Russland zum Gewinn der Goldmedaille in Hollanders Heimatland zu führen. Dann würde er mit seinem Team zu Hause in Moskau als Kapitän die Meisterschaft gewinnen. Und dann würde er ohne Zweifel als Erster gedraftet. Das war das Jahr des Ilya Rozanov. Seit er zwölf war, war 2009 das Jahr, in dem von ihm erwartet wurde, dass er die ganz große Bühne auf den Kopf stellte. Kein kanadischer Möchtegern würde daran etwas ändern.
Das russische Team kam an der Eishalle für sein geplantes Training direkt nach dem Training der Kanadier an. Ilya blieb stehen und beobachtete mit einigen seiner Teamkollegen, wie die Kanadier Drills absolvierten. Die Trainingstrikots trugen keine Namen, deswegen konnte er Hollander nicht ausmachen, bevor ihm von seinem Assistenztrainer mitgeteilt wurde, seinen Arsch in die Umkleidekabine zu bewegen. Der Zeitplan für die Trainingshalle war sehr straff.
Sie gingen aufs Eis, kaum dass der Zamboni drübergefahren war. Die Halle war klein und irgendwie oll. Die richtigen Spiele würden in einer Arena in der Innenstadt stattfinden. Auf den Rängen hier saßen ein paar Menschen und sahen den Russen beim Training zu. Einige Scouts, ohne Zweifel, einige wenige Familienangehörige, die tatsächlich den ganzen Weg aus Russland mit hergekommen waren, und ein paar kanadische Hardcore-Hockeyfans.
Nach der Hälfte das Trainings fiel Ilya ein junger Mann auf, der einige Reihen oberhalb der Strafbank saß und eine Baseballcap sowie eine Jacke des kanadischen Teams trug. Flankiert wurde er von einem Mann und einer Frau, bei denen es sich vermutlich um seine Eltern handelte. Vom Eis aus war es schwer zu sagen, aber Ilya meinte, dass es Hollander sein könnte. Seine Mutter war Japanerin oder so, richtig? Er war sich sicher, das irgendwo gelesen zu haben …
„Wärst du dann wieder bereit, am Training teilzunehmen, Rozanov?“, brüllte sein Coach auf Russisch übers Eis. Ilya drehte sich um, und sofort war es ihm peinlich, denn alle seine Teamkollegen hatten sich bereits um ihren Trainer versammelt. Er mochte es nicht, dass Hollander – wenn es denn Hollander war – dasaß und sie beobachtete. Oder vielleicht mochte er es doch. Vielleicht war Hollander nervös, ihm später im Turnier zu begegnen. Vielleicht fühlte er sich bedroht.
Das sollte er auch.
Nach dem Training duschte Ilya und zog sich schnell an. Er ging zurück ans Spielfeld, um von hinter den Scheiben die Ränge sehen zu können. Hollander und seine Eltern waren weg. Das slowakische Team befand sich jetzt für sein Training auf dem Eis.
Ilya zuckte die Schultern und machte sich auf den Weg zum Getränkeautomaten. Er kaufte sich eine Flasche Cola und fragte sich, ob er für einen kurzen Moment nach draußen verschwinden konnte, um eine zu rauchen, bevor er wieder am Teambus sein musste.
Er zog den Reißverschluss seines Team-Russland-Parkas bis zum Hals hoch und schlüpfte durch eine Seitentür. Draußen war es scheißkalt. Er drückte sich gegen die Backsteinmauer des Hauses, stopfte die Cola in seine Manteltasche und holte stattdessen ein Feuerzeug und eine Zigarette daraus hervor.
„Eigentlich sollst du da drüben rauchen“, sagte jemand. Es dauerte einen Moment, bis Ilya alle Wörter übersetzt hatte.
Er drehte sich um, um die Person zu sehen, die mit ihm gesprochen hatte, und er erkannte nun definitiv Shane Hollander. Er sah recht außergewöhnlich aus. Teile seines Aussehens hatte er ganz klar von seiner Mutter geerbt – die pechschwarzen Haare und die sehr dunklen Augen, doch sein Vater hatte einen langweilig anglo-europäischen Hintergrund. Seine Haut war in jedem Fall makellos. So makellos, dass er davon ganz abgelenkt war. Weich und gebräunt und mit – und das war seine wohl eindrucksvollste Auffälligkeit – einer Ansammlung kleiner, dunkler Sommersprossen über seiner Nase und seinen Wangenknochen.
„Was?“, sagte Ilya. Selbst dieses eine Wort klang dumm mit seinem Akzent.
„Der Raucherbereich ist dort drüben.“ Hollander deutete auf die gegenüberliegende Ecke des Parkplatzes neben eine riesige Schneewehe. Dort sah es recht windig aus.
Ilya lehnte sich gegen die Mauer und zündete seine Zigarette an. Dieses verdammte Land. Schlimm genug, dass er nirgendwo drinnen rauchen konnte – musste er dabei wirklich im verdammten Schnee hocken?
„Ich bin überrascht, dass du rauchst“, meinte Hollander.
„Okay“, gab Ilya zurück und entließ eine große Rauchwolke zwischen seinen Lippen. Eine unangenehme Stille breitete sich zwischen ihnen aus, aber Hollander unternahm einen weiteren Versuch, ein Gespräch mit ihm anzufangen.
„Ich wollte dich kennenlernen“, sagte er und streckte ihm seine Hand entgegen. „Shane Hollander.“
Ilya starrte ihn an und spürte dann, wie sein Mund ein wenig zuckte.
„Ja“, entgegnete er. Er steckte sich die Zigarette zwischen die Lippen und schüttelte Hollanders Hand.
„Du bist ein großartiger Spieler, dem man gern zuschaut“, meinte Hollander weiter.
„Ich weiß.“ Falls Hollander erwartete, dass Ilya das Kompliment zurückgab, würde er noch verdammt lange warten müssen.
Als Ilya nichts weiter sagte, wechselte Hollander das Thema. „Sind deine Eltern mit hier?“
„Nein.“
„Oh. Das ist bestimmt nicht leicht. Mit Weihnachten und so.“
Ilya hatte ein wenig Mühe, so viele Wörter zu übersetzen, sagte aber schließlich: „Ist okay.“
Hollander schob seine Hände in die Jackentaschen. „Es ist ganz schön kalt, oder?“
„Ja.“
Sie lehnten gemeinsam an der Wand, Seite an Seite. Ilya drehte seinen Kopf an der Mauer, um auf Hollander hinunterzuschauen, der gute zehn Zentimeter kleiner war als er. Es war interessant, ihn anzuschauen. Seine Wangen waren von der Kälte gerötet und sein Atem entwich seinen pinken Lippen in weißen Wolken.
„Nächstes Jahr sind diese Weltmeisterschaften in Ottawa. Meiner Heimatstadt“, erklärte Hollander.
Ilya zog ein letztes Mal an seiner Zigarette und ließ den Stummel zu Boden fallen. Er entschied, sich ein wenig Mühe zu geben, da der Typ offenbar entschlossen war, mit ihm zu reden. „Ist Ottawa spannender?“
Hollander lachte. „Als hier? Ich weiß es nicht. Ein bisschen. Es ist genauso kalt.“
„Deine Eltern sind hier.“
„Hierfür? Ja. Sie sind da. Sie versuchen immer, mich überall spielen zu sehen.“
„Nett für dich.“
„Ja. Ich weiß. Sie sind großartig.“
Ilya hatte dem nichts hinzuzufügen, also blieb er stumm.
„Ich sollte wahrscheinlich gehen. Sie warten auf mich“, meinte Hollander. Er stieß sich von der Mauer ab und drehte sich dann Ilya zu. Ilyas Blick landete sofort auf diesen verdammten Sommersprossen. Hollander streckte ihm wieder die Hand entgegen.
„Viel Glück beim Turnier“, sagte er.
Ilya schüttelte ihm die Hand und grinste. „Du wirst nicht mehr so freundlich sein, wenn wir euch geschlagen haben.“
„Was nicht passieren wird.“
Ilya wusste, dass Hollander das wirklich glaubte. Dass er die Goldmedaille bekäme und als Erster gedraftet würde, weil er der verdammte Prinz des Eishockey war.
Vielleicht erwartete Hollander, dass Ilya ihm ebenfalls Glück wünschte, aber Ilya ließ einfach die Hand des anderen los und ging wieder nach drinnen in die Halle.
Im Auto erzählte Shane seinen Eltern, dass er mit Ilya Rozanov gesprochen hatte.
„Wie ist er so?“, fragte seine Mutter.
„Ein ganz schöner Arsch“, antwortete Shane.
Nachdem das finale Spiel des Turniers vorüber war, musste das kanadische Team noch eine letzte Demütigung über sich ergehen lassen. Die Russen hörten lange genug auf, sich selbst zu feiern, um sich aufzustellen, sodass die Teams einander die Hände schütteln konnten – eine Geste der Fairness, die Shane in diesem Moment absolut nicht fühlte.
Zum einen hatte das russische Team absolut nicht fair gespielt. Er hatte es gehasst, gegen sie zu spielen.
Zum anderen war Ilya Rozanov wirklich verdammt gut. Zum Verzweifeln gut. Und im Verlauf des Turniers hatten die Medien viel Mühe darauf verwendet, ihre Rivalität aufzubauen. Shane versuchte, die Presse zu ignorieren, aber es war durchaus möglich, dass sie das Feuer seines Hasses nur weiter schürten.
Als er beim Händeschütteln Rozanov erreichte, bemerkte er, dass überall um sie herum Kamerablitze zuckten. Er ging sicher, dass er Rozanov in die Augen sah, als er gepresst hervorbrachte: „Glückwunsch.“
Rozanov grinste und entgegnete: „Bis später beim Draft.“
Sie hängten Shane eine Silbermedaille um den Hals, die genauso gut eine tote Ratte hätte sein können, so wenig wollte er sie. Respektvoll hielt er das Abspielen der russischen Nationalhymne aus, blinzelte ein paar Tränen weg, die er auf keinen Fall fließen lassen würde, und dann durfte er endlich das Eis verlassen.
So hätte es nicht laufen sollen. Er hätte sein Land in seinem Land zu Gold führen sollen. Das hatte die Nation erwartet. Kanadas Hoffnung hatte auf seinen siebzehnjährigen Schultern gelegen und er hatte sie alle enttäuscht.
Bei jedem Face-Off gegen Rozanov hatte der Russe ihm geradewegs in die Augen gesehen und gegrinst. Shane ließ sich in seiner Konzentration nicht so einfach durch jemand anderen beeinträchtigen, aber dieses verdammte Grinsen warf ihn jedes Mal aus der Bahn.
Vielleicht war es einfach so: Nachdem Shane sein Leben lang ein Level über allen anderen gespielt hatte, hatte er nun endlich jemanden gefunden, der ihm ebenbürtig war.
Er war sich sicher, dass das alles war.