Kapitel 1
Zum wiederholten Mal ertappe ich mich dabei, wie ich Fingernägel kauend aus dem Fenster blicke, ohne wirklich etwas zu sehen. Von mir selbst genervt, nehme ich die Hand herunter, um das Ergebnis meiner Knabberei zu betrachten. Prima, der sorgsam aufgetragene Lack hat sich an mehreren Stellen gelöst. Ohne das sonst auf mich beruhigend wirkende Rattern des Zuges wahrzunehmen, krame ich hektisch in meinem Rollkoffer herum. Meine Hoffnung, den Nagellack zu finden, erfüllt sich nicht. Auch den Nagellackentferner habe ich zu Hause vergessen. Hoffentlich findet sich in Visp noch eine Gelegenheit, das Malheur zu beheben, bevor ich auf meinen potenziellen neuen Chef treffe. Mit einer schnellen Bewegung streiche ich mir eine widerspenstige Locke hinters Ohr und lehne mich in meinem Sitz zurück. Irgendwie muss ich mich entspannen, sonst kann ich den Job an den Nagel hängen, bevor ich ihn überhaupt angetreten habe.
Normalerweise bin ich die Ruhe selbst, wenn es um meine Arbeit geht. Seit sieben Jahren helfe ich als Physiotherapeutin anderen Menschen auf die Beine. Jetzt will ich mich zum ersten Mal um eine leitende Tätigkeit bewerben. Es muss das Gespräch mit Klinikinhaber Oliver Winter gewesen sein, was mich derart unsicher hat werden lassen. Allein die Erinnerung an seine sonore, tieftönende Stimme lässt mich erzittern. Dazu die merkwürdige Forderung, das Vorstellungsgespräch in Zermatt zu führen, obwohl die Klinik in Düsseldorf steht. Ich weiß nicht, was ich davon halten soll. Mein Zeigefinger wandert wieder Richtung Mund, doch ich merke es gerade noch rechtzeitig.
Quietschende Bremsen erinnern mich an meine kurz bevorstehende Ankunft. Nach einem letzten Blick auf meine ruinierten Fingernägel springe ich auf und schnappe mir meinen Rollkoffer. Dann stehe ich auf dem Bahnsteig, suche nach einem Hinweisschild, das mich zur Matterhorn Gotthardbahn leitet. Ein hochgewachsener, schwarzhaariger Mann fällt mir auf. Sein eleganter, vermutlich maßgeschneiderter Anzug, kann seinen muskulösen Körperbau nicht verdecken. Er schaut in meine Richtung, kommt schnellen Schrittes auf mich zu. Unwillkürlich drehe ich mich um. Hinter mir ist niemand. Mein Herz fängt an, schneller zu pochen und ich fühle, wie meine Handflächen feucht werden. Direkt vor mir bleibt der Mann stehen. Ich blicke in eisblaue Augen, die mich kühl mustern.
„Sie müssen Emily Neumann sein.“ Er klingt nicht fragend, sondern eher, als wüsste er genau, wer ich bin. „Gestatten, Oliver Winter.“
„A-ach ja“, stammle ich. Eingeschüchtert sowohl von seinem kühlen Blick als auch von seinem überragenden Aussehen, erinnere ich mich erst verspätet an meine guten Manieren und strecke ihm die Rechte entgegen. Innerlich wappne ich mich für einen kräftigen Händedruck.
Anstatt meine Hand zu schütteln, führt er sie zum Mund, drückt einen sanften Kuss darauf. Völlig perplex starre ich ihn mit brennenden Wangen an. Ein geheimnisvolles Lächeln lässt die harten Züge meines Gegenübers noch anziehender erscheinen. Der Klinikmogul dreht meinen Handrücken zu sich hin. Mit weichen Knien lasse ich es mit mir geschehen. Plötzlich kann ich keinen klaren Gedanken mehr fassen. Wie eine viktorianische Dame drohe ich, ohnmächtig zu werden. Ob Herr Winter wohl Riechsalz mit sich führt? Erst, als sein belustigter Blick auf meinen ruinierten Nagellack fällt, werde ich abrupt in die Realität zurückkatapultiert. Brüsk entreiße ich ihm die Hand und widerstehe dem Verlangen, sie hinter meinem Rücken zu verstecken. Zorn steigt in mir hoch. Wie kann er es wagen, sich über mich lustig zu machen? Mühsam gelingt es mir, mich zusammenzureißen. Hier geht es schließlich nur um einen Job.
Meinen Traumjob, was ich besser nicht vergesse.
Mit Oliver Winter werde ich nach meinem hoffentlich erfolgreichen Vorstellungsgespräch nur noch gelegentlich zusammentreffen. Als Inhaber von neun Privatkliniken kann er kaum in jeder gleichzeitig sein.
„Darf ich?“ Ohne eine Antwort abzuwarten, greift Winter nach meinem Rollkoffer und setzt sich in Bewegung.
Mit zusammengekniffenen Lippen folge ich ihm, streiche mir eine Strähne meiner widerspenstigen roten Locken aus dem Gesicht.
Auf dem Weg ins autofreie Zermatt haben wir ein Abteil für uns. Winter öffnet eines der Fenster und warme, nach Kräutern duftende Luft dringt herein. Er hat sich von mir abgewandt, blickt aus dem Fenster. Durch nichts lässt er erkennen, ob er sich meiner Anwesenheit überhaupt bewusst ist. Mühsam unterdrücke ich den Drang, mich meinen Fingernägeln zu widmen. Der Mann macht mich einfach nervös!
So gut es geht, versuche ich, ihn zu ignorieren und die atemberaubende Aussicht zu genießen. Noch nie habe ich live die Schweizer Berge gesehen. Von ihrer Erhabenheit bin ich schlicht überwältigt. Unter den schneebedeckten Gipfeln sehe ich sattgrüne Hänge, vermischt mit Geröll. Kühe grasen friedlich auf ihren Weiden. Durch die geöffneten Fenster kann ich das Gebimmel ihrer Halsglocken hören.
„Zücken Sie Ihr Handy“, herrscht mich der Klinikmogul plötzlich an. „Na los“, fügt er hinzu, als ich keine Anstalten mache, seinem Befehl zu entsprechen.
Wie ein folgsames Lämmchen hole ich mein Handy aus der Handtasche. Zu baff bin ich von seinem Tonfall und seiner Dreistigkeit. Auch muss ich mir widerwillig eingestehen, dass seine männliche Art mich auf eine Weise anzieht, die mein Blut in Wallung bringt. Ich merke, wie mein Höschen feucht wird, als mir sein nach Zimt und Kaffee duftender Geruch in die Nase steigt. Genervt presse ich die Beine zusammen. Sonst bin ich doch auch nicht so leicht zu beeindrucken.
„Gleich bekommen Sie einen hervorragenden Blick auf das Klein Matterhorn sowie das Breithorn“, lässt sich Winter doch noch zu einer Erklärung herab.
Schnell stelle ich mein Handy auf „Fotografieren“. Gerade rechtzeitig, wie sich herausstellt. Ich mache mehrere Bilder. Dankbar bin ich Winter wegen seines barschen Tons dennoch nicht. Bestimmt hätte die Zeit auch ohne seinen unnötigen Befehl gereicht. Am liebsten würde ich ihn wütend anfunkeln, doch vorsichtshalber schaue ich nicht zu ihm hin. Wer weiß, was die Kombination aus Stimme, Geruch und Aussehen sonst bei mir anrichten wird. Finsteren Blickes stecke ich mein Handy wieder in die Tasche, platziere beide Hände nebeneinander auf dem Schoß.
Leider zieht das Winters Aufmerksamkeit auf sich. „Was haben Sie denn mit Ihren Nägeln angestellt?“, fragt er mit amüsiertem Lächeln.
Schnell balle ich die Hände zu Fäusten. „Nur ein kleiner Unfall“, sage ich leise und hoffe, er lässt es auf sich beruhen. Ich starre auf den Boden.
Als ich wieder aufschaue, begegne ich Oliver Winters unergründlichem Blick.
Wie erschlagen von dem ganzen italienischen Marmor stehe ich in der Eingangshalle des Fünfsternehotels und bin bemüht, völlig unbeeindruckt zu wirken. Was angesichts all der Pracht wirklich schwer ist. Doch ich will unbedingt geschäftsmäßig-seriös auftreten. Da sind ein offenstehender Mund oder ein ausgestreckter Zeigefinger wenig hilfreich. Also schenke ich den cremefarbenen, luxuriösen Couchgarnituren möglichst wenig Beachtung, auf denen mehrere Hotelgäste Platz genommen haben. Auch die zahlreichen Kristalllüster ignoriere ich, so gut es geht. Stattdessen konzentriere ich mich auf den Concierge, der beflissen um Winter herumschwänzelt. Es fehlt nur noch, dass er einen Diener macht und die Hacken zusammenschlägt.
Wie am Bahnhof wird mir einfach mein Rollkoffer aus der Hand genommen. Diesmal schnappt ihn sich ein diensteifriger Kofferträger, um mich auf mein Hotelzimmer zu bringen.
„Ich erwarte Sie in einer Stunde in meiner Suite“, lässt mich Winter wissen.
Vor Aufregung schlägt mein Herz bis zum Hals. Es ist nicht nur das bevorstehende Vorstellungsgespräch, sondern auch die Aussicht darauf, mit diesem Mann alleine zu sein.
Mein Hotelzimmer strotzt nur so vor Luxus. Schwere, reich verzierte Mahagonimöbel passen hervorragend in den großen Raum mit der hohen Decke. Die feingemusterten, hellblauen Seidenvorhänge sind im gleichen Farbton gehalten wie Tischtuch und Bettwäsche. Nachdem ich dem Kofferträger etwas Trinkgeld zugesteckt habe, schleudere ich meine Handtasche auf das riesige Doppelbett. Obwohl ich mich frischmachen sollte, zieht mich der große Balkon mit dem ziselierten Gitter magisch an. Ich trete hinaus und genieße einen Moment die überwältigende Aussicht auf die Schweizer Berge. Die Luft duftet nach Sommer, saftigem Gras und wilden Blumen.
Dann fällt mir das bevorstehende Gespräch wieder ein, was mich in hektische Betriebsamkeit verfallen lässt. Zuerst muss ich mich um die vermaledeiten Nägel kümmern. Ein Anruf bei der Rezeption löst mein Problem in Windeseile. Bereits fünf Minuten später bin ich stolze Besitzerin eines Nagellacks nebst dessen Entferners. Nach einer kurzen Dusche räume ich meinen Rollkoffer aus. Zwei Businesskostüme habe ich dabei; einen schwarzen Hosenanzug sowie ein dunkelblaues Ensemble aus Kostümjacke und Rock, der allerdings etwas zu kurz geraten ist. Nach einiger Überlegung entscheide ich mich für das blaue Ensemble, da ich hoffe, mithilfe dessen das Beste aus mir herausholen zu können.
Meine roten Locken sind zwar ganz nett, aber weder meine Körbchen-B-Oberweite noch meine Sommersprossen kann ich verstecken. Theoretisch würde es ein Push-up-BH tun, aber der liegt natürlich bei mir zu Hause in der Wäscheschublade. Gegen meine Sommersprossen komme ich nur an, wenn ich mir tonnenweise Make-up ins Gesicht kleistere, was mich wie eine Aufziehpuppe wirken lässt. Also muss ich eben mit meinen langen Beinen punkten. Ich zwänge mich in schwarze Pumps, raffe meine Haare zu einem Zopf zusammen und frage mich dann, warum ich mir überhaupt so viel Mühe mit meinem Äußeren gebe. Ein Blick auf die Uhr verrät mir, dass es höchste Zeit ist, Oliver Winter in seiner Suite aufzusuchen.
Ich habe bereits die Hand zum Anklopfen erhoben, als mir auffällt, dass ich vergessen habe, mich um meine Fingernägel zu kümmern. Mir entfährt ein undamenhaftes Quieken, begleitet von einem leisen Fluchen. Bevor ich mich abwenden kann, um den Schaden noch schnell zu beheben, wird abrupt die Tür geöffnet. Heraus stürmt eine Blondine, die in höchstem Maße aufgebracht wirkt. Ich kann gerade noch zur Seite springen, damit sie mich nicht umrennt. Oliver Winter hat mich bereits gesehen und bittet mich herein. Er sitzt mit hinter dem Kopf verschränkten Armen an einem massiven Schreibtisch; anscheinend völlig unbeeindruckt vom Abgang der Frau. Den Nagellack kann ich dank ihr wohl vergessen.
„Bitte, setzen Sie sich.“ Mit einer leichten Handbewegung unterstreicht der Klinikmogul seine Worte.
Mit einem leisen Seufzer nehme ich auf einem bequemen, schwarzen Ledersessel Platz. Heute Nacht habe ich garantiert Alpträume von lackierten Fingernägeln, die mich verfolgen. Nervös die Hände knetend, versuche ich mich zu fassen.
„… Sie sich davon versprechen?“, fragt Oliver Winter gerade.
Erschrocken fahre ich zusammen. „Könnten Sie das bitte wiederholen?“, antworte ich wenig geistreich mit dem absoluten No-Go bei Vorstellungsgesprächen.
„Ich will wissen, was Sie sich von dem neuen Konzept versprechen, das Sie laut Ihrer Bewerbung in meiner Klinik einführen möchten.“ Winter beugt sich vor und stützt einen Ellbogen auf den Schreibtisch. Mit dem Daumen fährt er sich leicht über die Unterlippe, was mich wieder aus dem Konzept zu bringen droht.
Es gelingt mir mühsam, den Blick abzuwenden. Das scheint mich zu beruhigen, denn ich schaffe es, ihm in klaren Worten ausführlich mein Konzept zu unterbreiten, das ich in monatelanger Arbeit entwickelt habe. Es basiert auf den neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen, und ich bin überzeugt von seinem Erfolg. Sogar in die Augen schaue ich ihm bei meinen Ausführungen, um nicht wie ein schüchternes Mädchen zu wirken.
„Das könnte funktionieren“, sagt er langsam, nachdem ich geendet habe.
„Meinen Überlegungen zufolge würde es einen Zugewinn für die Patienten, Mitarbeiter und die Klinik bedeuten“, füge ich hinzu, da ich ihn unbedingt überzeugen will.
Sein kalter Blick trifft mich mitten ins Herz. „Ihre Verdeutlichung in Ehren, doch das habe ich bereits verstanden.“
„Oh, ich versuche keineswegs, Sie für dumm zu verkaufen“, sage ich schnell, während ich fühle, wie meine Wangen sich rot verfärben. „Entschuldigen Sie bitte“, füge ich hinzu. Hoffentlich habe ich mir damit nicht alles verscherzt!
Der Klinikmogul lässt mich zappeln, indem er mich von oben bis unten betrachtet. Er sagt kein Wort, schaut mich nur an. Ich winde mich unbehaglich auf dem Stuhl, während ich mich nackt fühle. Wieso habe ich nicht den Hosenanzug angezogen? Mein Rock ist durch das Sitzen hochgerutscht und zeigt bedenklich viel von meinen Oberschenkeln. Mit schweißfeuchten Händen zerre ich daran herum. Oliver Winter schweigt immer noch. Sein Blick bleibt an meinen Brüsten hängen, als wolle er sagen: „Ja, sie sind wirklich nicht besonders groß.“
Endlich lässt er von meiner Oberweite ab, schaut mir tief in die Augen. Sein hungriger, raubtierhafter Blick versetzt mich trotz des schweren Klumpens in meinem Magen in heiße Erregung. Wie von selbst öffnet sich mein Mund ein wenig, und ich fahre mir unwillkürlich über die Lippen.
„Sie sind eingestellt“, sagt er plötzlich. „Kümmern Sie sich jedoch unbedingt um diesen schrecklichen Nagellack!“
„Selbstverständlich“, hauche ich mit einer Stimme, die mir selbst fremd ist. „Vielen Dank“, setze ich verspätet hinzu.
„Der Nachmittag ist zu Ihrer freien Verfügung“, informiert er mich in barschem Tonfall. „Um Punkt neunzehn Uhr werden Sie zum Abendessen abgeholt. Ich hoffe, Sie haben etwas Passendes dabei?“
In meinem Wirrwarr der Gefühle, das aus Erregung, Dankbarkeit und Ärger über diesen impertinenten Mann besteht, schüttle ich lediglich den Kopf. Tatsächlich habe ich gedacht, nur zum Vorstellungsgespräch und der Präsentation meines Konzepts vor den Gesellschaftern tags darauf eingeladen zu sein. Der Rest der Zeit stünde sicher zu meiner freien Verfügung.
Er könne aus Zermatt nicht weg, hat Oliver Winter mich informiert, da dringende Termine seine Abreise verhinderten. Als vielversprechende Bewerberin sei ich jedoch eingeladen, zwei Nächte im Hotel zu verbringen, sofern ich die beschwerliche Anreise auf mich nähme. Natürlich habe ich zugesagt.
„Ich habe nicht erwartet, mit Ihnen zu speisen“, gelingt es mir zu sagen.
„Stehen Sie auf!“, befiehlt er mir.
Will er mich jetzt doch nicht einstellen? Unsicher folge ich seiner Aufforderung.
Winter taxiert mich erneut von oben bis unten. „Größe 36, richtig?“
Ich kann nur nicken.
„Gut, ich lasse Ihnen in den nächsten Stunden passende Kleidung zukommen. Dann bis um sieben.“ Mit einer herrischen Handbewegung bedeutet er mir, vorerst entlassen zu sein.
Wutschnaubend gehe ich in meinem Hotelzimmer auf und ab. Derart herablassend bin ich noch nie behandelt worden. Am liebsten würde ich meine Sachen packen und aus diesem Nobelschuppen verschwinden. Dadurch verspielte ich allerdings die berufliche Chance meines Lebens. Nach der gefühlt zigtausendsten Kehrtwende an der Zimmertür habe ich mich etwas beruhigt. So leicht lasse ich mich nicht unterkriegen! Es wäre doch gelacht, würde ich mit einem Oliver Winter nicht fertig werden!
Es ist an der Zeit, mich endlich um meine derangierten Fingernägel zu kümmern. Gerade habe ich frischen Nagellack aufgetragen, als es an der Zimmertür klopft. Leise vor mich hin fluchend, wedle ich mit beiden Händen, während ich zur Tür gehe, um vorsichtig zu öffnen. Perplex trete ich einen Schritt zurück, denn eine mir unbekannte Frau mit langen braunen Haaren steht mit einem fahrbaren Schminktisch davor. In einer Hand trägt sie mehrere Kleiderhüllen.
„Ich bin Stylistin Sally“, sagt sie und lächelt mich an. „Herr Winter hat mich geschickt, damit ich Ihnen ein wenig zur Hand gehe.“
Unwillkürlich erinnere ich mich an seinen hungrigen Blick vorhin. Auch mein Schoß erinnert sich. Der nicht kooperative Körperteil wird schon wieder feucht. Schnell konzentriere ich mich auf die Stylistin. Mit einer einladenden Geste bitte ich sie herein.
Indem Sally mir eine Hand die Schulter legt, dirigiert sie mich zu einem Sessel und drückt mich hinein. „Machen Sie schon mal die Haare auf“, sagt sie, während sie geschäftig am Schminktisch einen Spiegel aufklappt.
Völlig überrumpelt folge ich ihrer Anweisung. Ich entferne das Haargummi, schüttle meine Locken.
Sally tritt hinter mich, reibt sich die Hände. „Na, dann wollen wir mal.“
Skeptisch mustere ich sie im Spiegel. Mir ist klar, dass ich sie nicht loswerde, da sie auf Anweisung des Klinikmoguls hier ist.
„Übertreiben Sie es bitte nicht mit dem Make-up“, versuche ich, zumindest das Schlimmste abzuwenden.
Sally versichert mir, sie werde ganz nach den Wünschen ihres Auftraggebers handeln, was ein dezentes Make-up einschließe. Also füge ich mich seufzend, denn es ist mir durchaus bewusst, dass ich auf dem Gebiet des Stylings eine absolute Niete bin.
Kapitel 2
Ich fühle mich wie eine Prinzessin, als ich hinter dem Pagen die Hoteltreppe hinunterschwebe. Sally hat ganze Arbeit geleistet. Mein sommersprossiger Teint erstrahlt in vornehmer Blässe. Augen und Mund sind nur leicht betont, was das Grün meiner Iris leuchten lässt. Das dunkelblaue Abendkleid mit Swarovskisteinen trägt sein Übriges dazu bei, dass ich mich wie eine völlig andere Frau fühle. Die Stylistin hat meine Haare hochgesteckt, was meinen langen Hals zur Geltung bringt. Irgendwoher hat sie eine Perlenkette nebst Ohrringen gezaubert. Auf Anweisung des großen Bosses soll ich sie heute Abend tragen.
Als ich den Speisesaal betrete, verstummen die Gespräche, weil sich alles mir zuwendet. Ich bete darum, nicht zu stolpern, während mich der Kellner zu meinem Tisch bringt, an dem bereits Winter, die Blondine von vorhin sowie ein mir ebenfalls unbekannter Mann Platz genommen haben. Winter fixiert mich mit einem unergründlichen Blick, bevor er aufsteht und mir einen formvollendeten Handkuss auf die selbige drückt. Obwohl seine Lippen mich kaum berühren, überläuft mich ein Schauder. Aus den Augenwinkeln bemerke ich, wie die Blondine mich abschätzend betrachtet.
„Meine Liebe, darf ich Ihnen Burkhard vom Hofe und Vicky Pohl vorstellen?“, fragt Winter, nachdem wir uns hingesetzt haben.
Die Blondine erhebt sich halb, streckt mir die Rechte entgegen. „Ich bin Vicky“, sagt sie mit freundlichem Lächeln. Sie nickt in Richtung Oliver. „Mein Job ist es, Herr Winter in allen beruflichen Belangen zu unterstützen.“
Während wir uns die Hände schütteln, fällt mir ihre enorme Oberweite auf. Dagegen kann ich mit meiner Handvoll nicht anstinken.
„Freut mich, Ihre Bekanntschaft zu machen“, sage ich leise, noch ganz unter dem Einfluss des eben Erlebten stehend.
„Solch eine Schönheit hätte ich hier nicht erwartet“, sagt vom Hofe. Er macht keine Anstalten, sich zu erheben oder mir die Hand zu reichen. Stattdessen taxiert er mich mit einem unmissverständlich lüsternen Blick, unter dem ich wieder einmal rot werde, was hoffentlich unter dem Make-up nicht zu sehen ist.
Ich senke die Lider, um ihm zu entgehen. Der Gesellschafter ist auf eine schleimige Art gutaussehend mit dem markanten Kinn und seinen nach hinten gegelten Haaren. Also genau die Art Mann, vor der ich sonst schleunigst das Weite suche. Leider ist mir das heute nicht vergönnt, weswegen ich gute Miene zum bösen Spiel mache, obwohl das Diner sicher zur Qual werden wird.
Als ich wieder aufschaue sehe ich, wie Winter und seine Assistentin den Gesellschafter mustern. Sie scheinen von seinem Verhalten irritiert. Vielleicht ist vom Hofe doch nicht so schlimm, wie es der erste Eindruck impliziert.
Winter lenkt das Gespräch auf geschäftliche Themen, bei denen ich mitreden kann. Auch Vicky beteiligt sich rege.
„Was hat eine zarte Rose wie Sie ins harte Geschäft der Physiotherapie gebracht?“, erkundigt sich Burkhard vom Hofe während des Hauptgangs mit schmallippigem Lächeln.
„Wie meinen Sie das?“, frage ich, um Zeit zu schinden.
„Sie sind doch körperlich kaum in der Verfassung, anstrengende Übungen mit Patienten durchzuführen, die weit mehr wiegen müssen als Sie?“ Der Gesellschafter beugt sich vor, streichelt mir über den Arm.
Schnell ziehe ich ihn weg. „Das lassen Sie mal meine Sorge sein“, sage ich mit einem Funkeln in den Augen. Messer und Gabel lege ich sorgsam an den Tellerrand.
Wer mich kennt, tritt spätestens jetzt den Rückzug an. Nicht so Burkhard vom Hofe.
„Nun haben Sie sich mal nicht so.“ Er klingt beleidigt. „Ich muss Sie doch nur anschauen, um zu wissen, dass Sie niemals gegen einen starken Mann ankommen können.“
„Wollen Sie es ausprobieren?“, erkundige ich mich in süßlichem Tonfall, die Hände unter dem Tisch zur Faust geballt. „Wobei ich dazu erst einmal einen starken Mann bräuchte.“ Ich winke ab, nehme in einer lässigen Geste mein Besteck wieder auf.
Dem Gesellschafter hat es die Sprache verschlagen. Seine Kiefer malmen, als er zu seinem Weinglas greift.
Oliver hat sein Besteck weggelegt. Er schaut vom Hofe mit gerunzelter Stirn und fragendem Blick an; ganz so, als könne er nicht fassen, wie der Gesellschafter sich verhält.
„Burkhard, ist alles in Ordnung?“, erkundigt sich Vicky mit besorgter Stimme und legt eine Hand auf seinen Unterarm.
In einer ruppigen Geste schlägt er sie weg. „Natürlich ist alles okay.“ Sein Tonfall ist aggressiv. „Warum auch nicht?“
In den folgenden Minuten hüllt sich Burkhard vom Hofe in Schweigen. Immer wieder wirft er mir einen unergründlichen Blick zu, den ich, so gut ich kann, ignoriere. Vicky und Oliver tun ihr Bestes, das Gespräch aufrechtzuerhalten. Ich konzentriere mich auf die köstliche Tafelspitzpraline vom Kalb mit Zimtkartoffeln und Portulak.
Erschrocken zucke ich zusammen, als ich eine leichte Bewegung an meinem Bein spüre. Ein Fuß streicht sanft daran auf und ab. Ich will schon wütend auffahren, um vom Hofe nochmals meine Meinung zu geigen, als mich eine plötzliche Gänsehaut innehalten lässt, die meinen ganzen Körper überzieht. Der Gesellschafter wäre niemals in der Lage, eine derartige Reaktion meines Körpers hervorzurufen. Zudem sitzt er auf der falschen Seite, sodass er sich schon das Bein hätte brechen müssen, um eine derartige Bewegung durchzuführen. Röte schießt mir ins Gesicht, und ich schiele zu Winter hinüber, der sich völlig unbeeindruckt gibt.
„Hat sich dein Gemüt wieder beruhigt?“, fragt er mit gefährlich sanftem Unterton an Burkhard gewandt.
Statt einer Antwort murmelt er etwas Unverständliches vor sich hin.
„Dann können wir uns bestimmt wieder dem Geschäftlichen zuwenden, nicht wahr?“ Winter wartet keine Antwort ab, sondern beginnt direkt, uns seine neuesten Pläne für die Klinik in Düsseldorf zu unterbreiten.
Dabei streichelt er die ganze Zeit mein Bein, was mich völlig aus dem Konzept bringt. Mein Magen zieht sich zusammen, das Herz klopft schnell in meiner Brust. Und dieses Prickeln, das meinen ganzen Körper durchläuft! Obwohl ich durchaus gewillt bin, kann ich mein Bein nicht wegziehen. Winter hat mich durch diese leichte, monotone Bewegung an sich gefesselt. Was will er damit bezwecken? Dass er nur meiner Beruhigung dienlich sein will, kann ich nicht glauben. Zu viel Berechnung steckt in seinen heimlichen Avancen. Will er mich anmachen? Immer wieder schiele ich zu ihm hin, doch er lässt sich nichts anmerken. Nur mit Mühe kann ich seinen Worten folgen und mich adäquat dazu äußern.
Auch Burkhard vom Hofe zeigt endlich etwas Professionalität. Seine Kiefer malmen zwar unaufhörlich, doch er erwähnt mit keinem Wort die vorherige Situation. Ganz im Gegenteil zeigt er sich durchaus geschäftstüchtig.
Nach dem Dessert wird es mir zu viel. Keine Sekunde länger halte ich dem süßen Druck stand. „Wenn Sie mich bitte entschuldigen? Ich muss mir die Beine vertreten.“ Ohne eine Antwort abzuwarten, stehe ich auf und verlasse fast fluchtartig den Raum.
In meinem Nacken brennt Winters Blick; ich kann ihn deutlich fühlen. Schnellen Schrittes trete ich durch die geöffnete Terrassentür, lehne mich gegen das schmiedeeiserne Geländer. Noch während ich tief einatme, merke ich, wie ich mich entspanne. Die kühle, nach Kräutern duftende Nachtluft riecht herrlich unverbraucht. Eine leichte Brise umhüllt mich, und ich breite die Arme aus, als könne ich die Nacht umarmen. Geschickt angebrachte Laternen tauchen die Veranda in mystisches Licht.
Heißer, schwerer Atem in meinem Nacken lässt mich zusammenfahren. Mit beiden Händen umklammere ich das Geländer, bevor ich loslasse und mich umdrehe.
„Da hast du mich ja ganz schön auflaufen lassen.“ Burkhard vom Hofes Atem riecht nach Wein und kaltem Zigarettenrauch.
Ich muss husten. „Wie meinen?“, bringe ich heraus.
„Wie kommst du dazu, mich einfach abblitzen zu lassen?“ Er greift nach meinem Arm, drückt ihn schmerzhaft. „Aber weißt du was, ich krieg dich noch!“
„Sie tun mir weh!“, beschwere ich mich und zerre erfolglos an meinem Arm. „Zudem kann ich mich nicht erinnern, Ihnen das Du angeboten zu haben!“
„Weiber wie dich siezt man nicht.“ Vom Hofe lacht dreckig. „Bei deinem Aussehen ist mir schon klar, wie du an den Job gekommen bist.“
„Lassen Sie mich sofort los oder ich schreie!“ Mit einer blitzschnellen Bewegung drehe ich mich zu ihm hin, packe seine Hand und ziehe ihn zu mir her. Mein gefangener Arm unterstützt die Bewegung tatkräftig. Es tut höllisch weh, doch das ist mir egal. Von diesem kleinen Widerling lasse ich mich nicht unterkriegen!
Der Gesellschafter stolpert auf das Geländer zu, kann sich gerade noch abfangen. Endlich lässt er meinen Arm los, den ich mir umgehend reibe. Das wird einen ausgewachsenen, blauen Fleck geben. So schnell es meine hohen Schuhe erlauben, renne ich auf die Verandatür zu – geradewegs in Oliver Winters Arme.
„Ist Ihnen etwas geschehen?“, erkundigt er sich mit besorgter Stimme. „Ich wollte gerade einschreiten, als ich Sie die Situation souverän habe meistern sehen.“
„Nein, nein, alles in Ordnung“, wiegle ich ab, obwohl ich am ganzen Körper zittere wie Espenlaub.
Winter lässt mich los, sprintet auf seinen Gesellschafter zu. Er packt ihn an den Schultern, drückt ihn gegen das Geländer.
„Komm mal wieder in die Reihe, Mann!“, brüllt Winter ihn an. „Keine Ahnung, was heute mit dir los ist, und es ist mir auch egal. So ein Verhalten einer Dame gegenüber will ich nie wieder sehen. Haben wir uns verstanden?“
Ich zucke zusammen, obwohl der drohende Tonfall nicht mir gegolten hat. Durch den Lärm angelockt, haben sich inzwischen mehrere Hotelgäste an der Verandatür eingefunden. Vicky rennt mit auf den Mund gepressten Händen auf die beiden zu.
„Was kümmert dich dieses billige Flittchen?“, brüllt vom Hofe zurück. „Schöne Augen hat sie mir gemacht!“
Trotz meines Schocks kann ich diese infame Anschuldigung nicht auf mir sitzen lassen. Ich öffne den Mund, um lauthals zu widersprechen. Heraus kommt nur ein Schrei, denn Winter versetzt dem Gesellschafter eine gewaltige Ohrfeige.
Der Klinikmogul beachtet ihn nicht weiter, sondern kommt auf mich zu und legt mir einen Arm um die Schultern. „Kommen Sie, gehen wir ein paar Schritte“, sagt er wieder ganz ruhig.
Burkhard vom Hofe hält sich die knallrote Wange. Sein hasserfüllter Blick trifft mich und ich weiß, ich habe mir einen Feind gemacht. Immer noch am ganzen Körper zitternd lasse ich mich von Oliver Winter wegführen.
Wir gehen in den ans Hotel angrenzenden Park. Grillen zirpen, Laternen erhellen den sorgfältig geharkten Kiesweg. Die friedliche Stimmung tut ihren Dienst, und ich beruhige mich langsam.
„Setzen wir uns einen Augenblick.“ Winter deutet auf eine Parkbank, die im Mondlicht silbern schimmert.
Mit einem tiefen Seufzer lasse ich mich nieder. Winter nimmt dicht neben mir Platz, berührt mich jedoch nicht. Schweigend sitzen wir da. Ich bin mir seiner Anwesenheit überdeutlich bewusst. Sein unverwechselbarer, männlicher Geruch steigt mir in die Nase, und ich atme tief ein. Ein Fehler, wie ich feststellen muss, denn die wohlbekannte, unliebsame Feuchte macht sich in meinem Schoß breit. Bevor ich mich ihm an den Hals werfe, rette ich mich in Wut.
„Ihr Gesellschafter schien sehr siegessicher“, sage ich mit kalter Stimme. „Ist sein Verhalten etwa Usus in Ihrem Unternehmen?“ Ich werde lauter. „Verpflichte ich mich durch mein Arbeitsverhältnis obendrein dazu, sein Betthäschen zu sein? Oder das eines anderen?“
Winter blickt mich erstaunt an. „Wie kommen Sie darauf?“
„Wie ich schon sagte, schien Ihr Gesellschafter automatisch davon auszugehen, dass ich leicht zu haben bin.“ Inzwischen schreie ich ihn fast an, so sehr habe ich mich in meinen gerechten Zorn hineingesteigert. Wenigstens habe ich dadurch meine Libido unter Kontrolle.
„Emily, lassen Sie diesen Unsinn!“ Winter legt eine Hand auf meinen Arm. Ein leichter Stromstoß lässt ihn zurückzucken. „Selbstverständlich sind Sie niemandem verpflichtet! Ich bin der Ansicht, dass ich dies deutlich genug gezeigt und auch gesagt habe.“
Ich murmle etwas Unverständliches, während ich stur geradeaus blicke.
„Im Übrigen verhält sich Burkhard heute sehr merkwürdig“, fährt Oliver eindringlich fort. „Er ist nicht er selbst. Es ist fast, als sei er eine andere Person.“
„Ganz genau, der Teufel ist in ihn gefahren“, höre ich mich sagen.
Winter lacht. „Geradewegs aus der Hölle, meinen Sie?“ Er wird wieder ernst. „Wie dem auch sei, ich hoffe, er beruhigt sich schnell wieder.“
„Hoffentlich gelingt ihm das ohne Teufelsaustreibung“, ergänze ich, gegen meinen Willen schmunzelnd.
„Emily, Sie gefallen mir.“ Der Klinikmogul dreht sich zu mir, nimmt mein Kinn in seine Hand. „Du gefällst mir sogar ausnehmend gut“, fügt er leise hinzu.
Wie angewurzelt sitze ich da und lasse zu, dass er sanft mit einem Finger über mein Kinn streicht. Alles in mir schreit, ich müsse meinem Chef Einhalt gebieten, doch ich schaffe es nicht, mich seiner Anziehungskraft zu entziehen. Winter umfasst mein Kinn fester, zieht mich zu sich heran. Obwohl ich mich halbherzig wehre, lässt er nicht von mir ab. Als sich mein Gesicht vor dem seinen befindet, gibt er mir einen sanften Kuss auf die Lippen, der mich dahinschmelzen lässt. Jegliche Körperspannung scheint mich zu verlassen. Einzig seine Hand an meinem Kinn hält mich aufrecht.
„Ich bin ein Mann mit besonderen Bedürfnissen“, flüstert Winter auf meine Lippen. „Das musst du wissen, bevor du dich auf mich einlässt.“
„Was für Bedürfnisse?“, hauche ich.
Er lässt mein Kinn los. Mit einer schnellen Bewegung packt er meine Handgelenke und dreht sie mir auf den Rücken. Obwohl ich mich halbherzig wehre, hält er sie eisern fest. Winter beugt sich vor, drückt mir einen harten Kuss auf den Mund.
Derart gefesselt, bleibt mir nur festzustellen, dass jegliche Sanftheit aus seinem Verhalten verschwunden ist. Ohne es zu wollen, öffne ich meine Lippen, um seine Zunge einzulassen. Sie spielt mit mir; neckt mich hier, neckt mich dort. Jedes Mal, wenn meine Zunge versucht, die seine zu berühren, zieht diese sich zurück. Vergebens verstärke ich meine Anstrengungen. Meine Nippel werden steif, was mich dazu bringt, gegen meine gefesselten Hände anzukämpfen, um mich an Oliver pressen zu können. Doch er lässt es nicht zu, hält mich auf Abstand. Wimmernd drücke ich meinen Oberkörper nach vorne und hoffe, mich dadurch an ihm reiben zu können.
Oliver lächelt mich träge an. „Derlei Bedürfnisse“, sagt er und lässt mich los.
Schwer atmend sinke ich in mich zusammen, widerstehe mühevoll dem Drang, mich an ihm festzuklammern. Meine Scham pocht fast schmerzhaft, sie will unbedingt mehr. Doch ich weiß, das ist unmöglich, obwohl mir mein nasses Höschen etwas anderes sagt. Die Beine fest gegeneinandergepresst, rutsche ich auf der Bank hin und her. Meine Wangen beginnen zu brennen, als mir auffällt, wie schamlos ich mich eben benommen habe. Ich umarme mich selbst in der Hoffnung, das soeben Erlebte irgendwie ungeschehen machen zu können. Dabei fällt mir auf, dass ich das gar nicht will. Der Klinikmogul hat es binnen weniger Augenblicke geschafft, mich heißer zu machen, als ich es je gewesen bin. Ich schiebe es auf meine derzeitige, selbsterwählte Abstinenz, doch insgeheim weiß ich, dass ich mir etwas vorlüge.
„Mach dir keine Vorwürfe“, sagt Oliver, als könne er meine Gedanken lesen. „Schon als ich dein Bewerbungsfoto gesehen habe, wusste ich, etwas Devotes steckt in dir.“ Er lacht leise. „Es steht in deinen Augen.“
„Dann haben Sie mich gar nicht wegen meiner beruflichen Qualifikation eingestellt?“ Dankbar für das Stichwort rette ich mich in falsche Wut.
„Selbstverständlich habe ich das!“ Oliver klingt entrüstet. „Bezüglich der privaten Dinge hätte ich eine andere Lösung gefunden, sofern du nicht kompetent genug gewesen wärst.“
Gerne würde ich ihm glauben, doch es gelingt mir nicht ganz. Zu verwirrt bin ich von dem soeben Erlebten. „Wie stellen Sie sich das Ganze vor?“, gelingt es mir, zu flüstern.
„Indem wir Berufliches und Privates strikt voneinander trennen, sollte es problemlos machbar sein. Devot solltest du eher nicht wirken als Leiterin der Physiotherapie.“ Oliver lacht sein raues Lachen, bei dem mir wieder ganz heiß wird.
„Ich bin nicht devot!“, bricht es aus mir hervor.
„Dein Körper hat mir soeben genau das Gegenteil erzählt.“ Oliver streicht wie zufällig mit einer Hand leicht über meine Brust, was meine Nippel sofort wieder hart werden lässt.
Na gut, vielleicht ist an seinen Worten doch etwas dran. „Aber ich habe noch nie so etwas gemacht“, flüstere ich.
Oliver spielt leicht mit einer Brustwarze, die sich deutlich durch den Stoff abzeichnet. „Keine Sorge, ich passe gut auf dich auf.“
Als ich später im Bett liege, wirbelt in mir alles durcheinander. Zu viel ist heute passiert. Ich habe meinen Traumjob bekommen, mich in meinen Chef verliebt und mir einen Todfeind zugezogen. Zu allem Überfluss verspüre ich unterwürfige Neigungen. Für einen Tag ist das ein ganz ordentliches Ergebnis, lobe ich mich sarkastisch. Am meisten beschäftigt mich dieses Devote. Wird es sich womöglich auf andere Lebensbereiche auswirken? Werde ich jetzt zu einem sanften Lämmchen, das sich alles gefallen lässt? Obwohl mir vor Müdigkeit die Augen brennen, schleppe ich mich vor den Laptop. Tante Google muss mir helfen.
Einige Zeit später seufze ich erleichtert auf. Wie es aussieht, betrifft die masochistische Ader lediglich den sexuellen Bereich. Viele, die ihre devote Seite ausleben, sind im Beruf sowie in allen anderen Lebensbereichen sehr erfolgreich und alles andere als unterwürfig.
Bleibt die Frage, ob ich ein Verhältnis mit Oliver eingehen will. Von seiner Seite aus geht es rein ums Sexuelle, das spüre ich. Bei mir hingegen spielen Gefühle eine große Rolle. Schon einmal bin ich durch dieses Missverhältnis auf die Nase gefallen, indem mich mein Exfreund Jens als Sexualobjekt abgewertet hat.
Vor etwas über drei Jahren habe ich ihn an meinem damaligen Arbeitsplatz kennengelernt, wo er immer noch als Physiotherapeut arbeitet. Von Anfang an blendete mich sein gutes Aussehen. Seine regelmäßigen Besuche im Fitnesscenter sorgten für einen durchtrainierten Körper. Durch seine blauen Augen sprach die Unschuld in Person. Voller Liebe blickten sie mich anfangs an. Ich genoss es, meine Hände in seinen halblangen, blonden Haaren zu vergraben. Er erinnerte mich ein wenig an Brad Pitt. Anfangs konnte ich kaum glauben, dass er sich ausgerechnet in mich verliebt hatte. Dass der Sex keinerlei Überraschungen bereithielt und sich auf die Missionarsstellung beschränkte, störte mich nicht. Da ich es nicht anders kannte, fehlte mir auch nichts.
Bereits nach ein paar Wochen begann ich von einer Familie mit ihm zu träumen, was wenig später ein jähes Ende fand, da Jens die Augen nicht von anderen Frauen lassen konnte. Ständig verfolgte er unsere hübschen Kolleginnen mit seinen Blicken. Er sprach sie häufig an, wobei er sie wie zufällig berührte. Es dauerte keine zwei Wochen, bis das Gerede losging. Wo ich auftauchte, schauten mich die Kollegen mitleidig an. Als ich Jens darauf ansprach, winkte er ab. Ich wäre ein Ausbund an Eifersucht, warf er mir vor. Mein Verhalten grenze bereits an Paranoia. Damit schaffte er es, mich davon zu überzeugen, dass mein Verdacht unbegründet war.
Allerdings hörten seine Avancen den Kolleginnen gegenüber nicht auf. Als ich eines Tages hörte, wie er eine von ihnen nach ihrer Telefonnummer fragte, stellte ich ihn wieder zur Rede. Diesmal brüllte er mir ins Gesicht, ich sollte mich gefälligst glücklich schätzen, dass er überhaupt mit mir ins Bett ging. Mehr könnte jemand wie ich von einem eloquenten Mann von Welt nicht erwarten. Das Bild, wie ich ihn fassungslos anstarre, kann ich auch heute noch problemlos abrufen. Tränen schossen mir damals in die Augen, und mein Herz zog sich schmerzhaft zusammen. Dennoch beendete ich die Beziehung nicht. Zu sehr träumte ich meinen Traum von einer eigenen Familie. Es war Jens, der mich wenig später absägte wie einen toten Baum. Eine neue Kollegin hatte sich auf ihn eingelassen.
Ich war am Boden zerstört; konnte nicht fassen, dass meine private Zukunft platzte wie ein zu stark aufgeblasener Ballon. Mit letzter Kraft suchte ich mir eine neue Stelle, da ich es nicht ertragen konnte, Jens und seine Neue täglich zu sehen. Es dauerte mehrere Wochen, bis ich mich etwas besser fühlte. Ich beschloss, mich nur noch auf meine Arbeit zu konzentrieren, die in jener Zeit ebenfalls gelitten hatte.
Bisher funktioniert es ganz prima. Längst habe ich mich damit abgefunden, als einsame alte Jungfer zu enden, deren einziger Lebensinhalt ihre Arbeit und ihre Bücher sind. Warum musste ausgerechnet jetzt Oliver Winter in mein Leben treten, um es durcheinanderzubringen?
Ich finde ihn ausgesprochen begehrenswert, und er weckt Gelüste in mir wie kein anderer Mann jemals zuvor. Wenn ich ehrlich bin, muss ich mir eingestehen, dass ich es nicht schaffen werde, ihm zu widerstehen. Allein der Gedanke an ihn und an das, was er mit mir anstellen könnte, lässt Hitze in mir aufsteigen.
Ich schalte das Notebook aus und lege mich mit gespreizten Beinen aufs Bett. Mein Seidennachthemd ziehe ich hoch, schiebe das kleine Dreieck des Stringtangas beiseite. Während ich an Oliver und an meine gefesselten Hände denke, streichle ich über meine Klitoris. Anders als vorhin, beugt sich Oliver in meiner Vorstellung nach vorne, knabbert spielerisch durch den Stoff des Abendkleids an meinen Brustwarzen. Als ich mir vorstelle, wie er hineinbeißt, stöhne ich leise auf. Zwei Finger tauchen in den nassen Spalt, ein dritter klopft hart auf meine Klitoris. Noch während ich mir ausmale, wie Oliver mich mit strenger Stimme anweist, das Kleid zu heben und mich nach vorne zu beugen, rollt der Orgasmus wie ein Tsunami heran. Meine Finger bewegen sich wild hin und her, während ich auf der Monsterwelle reite, die nicht abzuebben scheint.
Als ich kurz darauf schwer atmend mit entspannten Gliedern auf dem Bett liege, dämmert mir, dass ich verloren bin. Wie wird es mir erst ergehen, wenn Oliver nicht nur in meiner Vorstellungskraft agiert? Ich vermag mir es kaum auszumalen.