Leseprobe Hit my Heart

Prolog: Chloé

»Das kann nicht dein verdammter Ernst sein!« Meine Stimme hallt unheimlich laut durch das Esszimmer, das zu groß für Papa und mich allein ist. Ich kann nicht fassen, was er gesagt hat, und schaffe es nur noch, ihn aus weit aufgerissenen Augen anzusehen.

»Achte auf deinen Ton, Chloé.« Er wirft mir einen mahnenden Blick zu, den ich nur zu gut kenne. Damit schafft er es nicht mehr, mich einschüchtern. Aber mit seiner Aufforderung sieht es anders aus. »Ich müsste diesen Weg nicht wählen, wenn du deine Prüfungen nicht in den Sand gesetzt hättest.« Papa reibt sich über die Stirn, als würde ich ihm Kopfschmerzen verursachen.

Ich beiße mir auf die Unterlippe und weiche seinem vorwurfsvollen Blick aus. Damit hat er nicht unrecht. Mir war schon beim Verlassen des Raums klar, dass ich diese Prüfung nicht bestehen würde und dieses beschissene Gefühl hat sich wenige Wochen später bestätigt. »Und als wäre das noch nicht schlimm genug, willst du mich jetzt auch noch wegschicken.«

»Nun hör aber auf alles zu überdramatisieren. Ich habe dir nur einen Vorschlag gemacht. So hast du die Chance, über den Winter an einem Programm teilzunehmen und den fehlenden Stoff aufzuholen. Damit könntest du deine Semesterprüfungen in der Hälfte der Zeit nachholen.«

Ich kann mir ein trockenes Auflachen nicht verkneifen. »Du nennst das also einen Vorschlag?« Mir ist bewusst, dass ich mich mit den folgenden Worten auf dünnem Eis bewege. Aber mit jeder Sekunde, die verstreicht, verliere ich weiter meine Geduld. »Weißt du, wie ich das nenne? Du setzt mir die Pistole auf die Brust! Ausgerechnet Kanada! Von allen gottverdammten Ländern auf dieser Welt muss es ausgerechnet Kanada sein?«

Damit habe ich eine Grenze überschritten. Papa schlägt mit der flachen Hand auf den Tisch, wodurch die darauf stehende Vase gefährlich ins Wanken gerät und ich bei dem Krach zusammenzucke. »Ich warne dich ein letztes Mal, Chloé. Pass auf, wie du mit mir sprichst«, sagt er mit bedrohlich ruhiger Stimme, die er auch bei wichtigen Geschäften einsetzt, um sein Gegenüber einzuschüchtern. »Du hast deine Chance bekommen und sie nicht genutzt. Als dein Vater liegt es auch in meiner Verantwortung dafür zu sorgen, dass du dein Studium nicht vollkommen wegwirfst. Wir wissen beide, dass das nicht das erste Mal der Fall ist, aber nun sind wir an einem Wendepunkt angekommen. Diese Diskussion hat keinen Zweck. Es gibt nur zwei Möglichkeiten für dich: Du wiederholst das Semester komplett oder du nimmst diese einmalige Chance an, nach Kanada zu fliegen und die Prüfung nachzuholen. Es sei denn, du möchtest ohne Abschluss in der Firma einsteigen.«

Genau das werde ich mit Sicherheit nicht tun. Das Knirschen meiner Zähne ist deutlich zu hören und füllt die unangenehme Stille zwischen uns. Papa und ich fechten ein Blickduell aus, doch während er dabei völlig gefasst wirkt, habe ich das Gefühl, dass mir der Boden unter den Füßen weggezogen wird. Ich falle und falle und erst, als ich ergeben nicke und den Blick auf die makellose Tischplatte richte, spüre ich den Aufprall im ganzen Körper.

»Ich wusste, dass du mir früher oder später zustimmen wirst.« Papas Hand greift über den Tisch hinweg nach meiner und drückt sie kurz, doch darin liegt keine Wärme. Im Gegenteil würde ich sie ihm am liebsten entziehen. Dafür fehlt mir in diesem Augenblick aber die Kraft. Genauso wie für weitere Widerworte oder den Zwischenruf, dass ich ihm definitiv nicht zustimme, sondern mich eher gezwungenermaßen geschlagen gebe. Wie ich es hasse, wenn er mich vor vollendete Tatsachen stellt und ich nicht die geringste Chance habe, mich dagegen zu wehren.

»Vielleicht findest du dort auch ein paar neue Freunde.« Papa fängt meinen Blick aus schmalen Augen auf, worauf sich seiner wandelt und verschlossen wird. Das ist ein Thema über das ich definitiv nicht sprechen will und das spürt er auch.

Er lässt meine Hand blitzschnell los, als hätte er sich daran verbrannt. »Ich muss gehen«, sagt er im Aufstehen und verlässt das Esszimmer. Als wäre ich sein vierzehn Uhr Termin, den er erfolgreich abgeschlossen hat, und nun kann er sich dem Nächsten widmen. Sein Verlassen macht den Raum unfassbar leer. Zuvor hat er ihn mit seiner Präsenz gefüllt, doch jetzt komme ich mir darin winzig und unbedeutend vor.

Ich kauere mich auf dem Stuhl zusammen und starre an die weiße Wand gegenüber. Alles hier ist weiß und grau. Die Wände, die Kissen und selbst der Blume in der Vase wurde alle Farbe entzogen. Genauso fühle ich mich innerlich: Komplett farblos. Automatisch wandern meine Gedanken zurück zu unserem Gespräch. Papas harte Worte klingen in meinen Ohren nach, als hätten sie sich wie ein verdammter Parasit darin festgesetzt. Ein Parasit, der ein Tonband bei sich und Freude daran hat, mich ununterbrochen damit zu quälen.

Nach meinem Abitur hatte ich keine Ahnung, was ich machen soll. Bis auf das Eiskunstlaufen haben immer meine Eltern bestimmt, was mein nächster Schritt ist. Aber mit der Volljährigkeit und dem Abschluss in der Tasche wurde auf einmal von mir erwartet, dass ich weiß, was ich in Zukunft mit meinem Leben anfangen will. Doch woher sollte ich das wissen? Außer dem Eiskunstlaufen gab es nie etwas, das mich wirklich interessierte, geschweige denn komplett begeistern konnte.

Daher war ich damals fast dankbar, als Papa Wirtschaft als Hauptfach vorschlug und mir damit die Entscheidung abnahm, die mir fast unmöglich vorkam. Zumindest war ich das bis ich gemerkt habe, wie schwer es mir fällt. So schwer, dass ich die Prüfungen verhauen habe und wiederholen muss.

Kanada. Warum muss es ausgerechnet Kanada sein? Papa weiß genau, was ich damit verbinde, was vor einem knappen Jahr dort passiert ist. Wie auf Knopfdruck werde ich zurück in die Vergangenheit katapultiert. Mein Flug nach Halifax kommt mir in den Sinn. Wie froh ich darüber war, endlich einmal wieder an einem großen Wettbewerb teilzunehmen. Aber sobald wir gelandet waren, ist alles schiefgelaufen.

Das Schlimmste war nicht der verpeilte Taxifahrer oder die nicht fertig zurechtgemachte Suite im Hotel. Es war der Vorfall beim Wettkampf selbst. Eiskunstlauf ist so wunderschön, wie er unerbittlich sein kann. Eine falsche Bewegung, ein unsauber ausgeführter Sprung bedeutet oftmals schon das bittere Ende. Oder in meinem Fall eine eifersüchtige Freundin, die meine Schlittschuhe manipuliert hat und damit dafür verantwortlich war, dass es mich ziemlich übel aufs Eis gelegt hat.

Der Schlüsselbeinbruch ist zwar längst wieder verheilt, aber in meinem Kopf sieht es anders aus. Dabei habe ich es geliebt auf dem Eis zu stehen. Ich konnte es immer kaum erwarten, an Wettkämpfen teilzunehmen und mein Können unter Beweis zu stellen. Die WM-Qualifikation in Kanada sollte meine große Chance sein – und ausgerechnet dort wurde mir die Liebe zum Eislaufen beinahe schon gewaltsam entrissen.

Ich schiebe die Bilder immer so weit wie möglich von mir, doch seit Papa zum ersten Mal von Kanada gesprochen hat, sprießen die Erinnerungen in meinem Kopf wie wilde Pilze aus dem Boden und ich kann mich nicht dagegen wehren. Immer wieder spüre ich, wie meine Schlittschuhe unter mir nachgeben. Wie das Eis näherkommt – und dann ein explodierender Schmerz in meiner Schulter. Ich schüttle den Kopf, um die Bilder loszuwerden.

Ohne es bemerkt zu haben, habe ich die Hände fest ineinander verschränkt, um sie vom Zittern abzuhalten. Seit diesem Vorfall habe ich mich kaum noch aufs Eis gewagt, aber das kam Papa recht. Zumindest bis ihm klar wurde, dass das hinsichtlich meiner Noten im Studium eher keine Verbesserung bringt und ich mich noch mehr zurückziehe.

Ich hasse mich selbst für diese verdammte Schwäche, seither kaum auf dem Eis gestanden zu haben. Heißt es nicht, dass ein Reiter, der gefallen ist, sofort wieder in den Sattel steigen sollte? Ich kenne mich nicht unbedingt mit Pferden aus, aber um die Metapher weiterzuführen: Ich schaffe es im Augenblick nicht einmal, diesen verdammten Gaul zu satteln, geschweige denn aufzusteigen. Zwar hat meine Trainerin mir ihre Hilfe angeboten, aber ich habe mit der Begründung, mich auf mein Studium konzentrieren zu müssen, abgelehnt. So viel also zu diesem Thema. Nun habe ich weder das eine noch das andere geschafft. Wirklich starke Leistung.

Genug!, unterbreche ich meine durcheinanderwirbelnden Gedanken und schiebe sie in das hinterste, dunkelste Eck in meinem Gehirn. Schnell stehe ich auf und verlasse den stillen Raum, um nach oben in mein Zimmer zu gehen. Das Bunt darin, das in krassem Kontrast zu dem Weiß-Grau des restlichen Hauses steht, zaubert mir ein zumindest kleines Lächeln ins Gesicht. Ich lasse mich auf das Bett fallen und fahre mit den Fingerspitzen über den farbenfrohen Überwurf, den ich selbst gestrickt habe. Wie von allein wandern meine Finger weiter bis zum Nachtkästchen, von dem ich meine Guerilla-Stricknadeln mitsamt der knallgelben Wolle und dem angefangenen Strickdeckchen herunternehme.

Ich setze mich auf und lehne mich mit dem Rücken gegen die Kissen. Kurz betrachte ich das Strickmuster und beschließe, ein paar Reihen mit dieser Wolle weiterzumachen, bevor ich eine andere Farbe auswähle.

Wenn mich nach so einem aufwühlenden Gespräch etwas wieder beruhigen kann, dann sind es die gewohnten Bewegungen und das leise Klackern der Stricknadeln. Es ist ein so vertrautes Gefühl, dass ich mich innerhalb weniger Minuten gelöster fühle, wenn auch nicht komplett entspannt. Aber das habe ich ohnehin nicht erwartet. Diese Restanspannung ist mein ständiger Begleiter und ich kenne sie nur zu gut. Sie ruht immer unter der Oberfläche und springt ans Tageslicht, wenn ich sie am wenigsten brauchen kann.

Erst als es langsam dunkel um mich herum wird und ich das Muster kaum noch erkenne, sehe ich wieder von meiner Arbeit auf. Das Licht des Mondes fällt auf meinen weißen Hochglanzschreibtisch, den ich mit einem regenbogenfarbigen Guerilla-Muster überdeckt und damit etwas Farbe verliehen habe. Darauf liegen immer noch meine Lernsachen und ganz oben auf dem Stapel der Zettel, der mich erst in diese beschissene Lage gebracht hat: die Prüfungsergebnisse.

Ich lege die Strickarbeit zur Seite und gehe wie ferngesteuert auf den Schreibtisch zu, als würde ich davon magisch angezogen werden. Meine Hand greift nach dem Blatt Papier, das einfach so über meine Zukunft entscheidet, als hätte es die Macht dazu. Als könnte ich es nicht zerreißen, in das Feuer einer Kerze halten und damit auslöschen. Es ist nicht das erste Mal, dass ich darüber nachdenke, aber das würde mir nur einen kurzen inneren Frieden verschaffen, bis die Realität mich wieder einholt. Denn diese beschissenen Ergebnisse stehen auch dann fest, wenn ich sie nicht mehr schwarz auf weiß in der Hand halte.

Ohne einen Blick darauf zu werfen, lege ich das Blatt zurück auf den Tisch und zünde stattdessen die drei großen Kerzen an, die gleich einen beruhigenden Vanilleduft verströmen. Ich weiß leider auch so, was auf dem Papierbogen steht. Chloé Monet, geboren in Paris, ist so dumm, dass sie nicht nur durch eine, sondern gleich durch drei Prüfungen in ihrem Wirtschaftsstudium gefallen ist. Zwar stimmt der Wortlaut nicht, aber am Ende kommt es auf dasselbe raus: Ich reise schon in wenigen Tagen nach Kanada.

Papa hat ›seine Beziehungen spielen lassen‹, wie er gern betont und gesagt, dass es ein ›Privileg‹ ist, dass ich zu so einem späten Zeitpunkt überhaupt diese Chance bekomme, an diesem bescheuerten Winterprogramm teilzunehmen. »Normalerweise sind diese Plätze schon wenige Stunden nach den Prüfungen alle belegt. Du kannst wirklich von Glück sagen, dass es noch möglich war, dich dort unterzubringen«, höre ich seine Stimme in meinem Kopf und passend dazu taucht ein Bild seines eindringlichen Blickes auf.

Mit einem einzigen Wisch fege ich die Lektüren, Ordner und dieses verdammte Stück Papier von meinem Schreibtisch, die alle auf einem Stapel lagen und jetzt mit einem lauten Krachen auf dem Boden landen. Für den Bruchteil einer Sekunde durchflutet mich ein Gefühl von Zufriedenheit, doch die Wut nimmt rasch wieder überhand. Mein Atem geht schnell und das Herz in meiner Brust pocht so heftig, dass ich nur noch ein Rauschen in den Ohren höre.

Ich schließe die Augen und atme ein paar Mal tief durch, in dem Versuch mich zu beruhigen. Wenn ich jetzt die Fassung komplett verliere und Papa das mitbekommt, fühlt er sich nur bestätigt und diesen Gefallen werde ich ihm bestimmt nicht machen.

Papa hat mich gekonnt daran erinnert, was für mich auf dem Spiel steht. Sollte ich das Studium nicht schaffen, muss ich direkt in seiner Firma einsteigen. Denn ohne Abschluss würde ich keinen der qualifizierten Jobs ergattern, die er für mich vorsieht und die unserer Familie gerecht werden. Wenn ich die Prüfungen wieder nicht bestehe, werde ich nie eine Chance haben, aus dem ganzen Kreis auszubrechen. Ich werde für immer hier in Paris bleiben müssen. Bei meinen Eltern, für die ich nie genug bin. Na wenn das keine tollen Aussichten für die Zukunft sind.

Ich warte ein paar Augenblicke, bis sich Atmung und Herzschlag wieder normalisieren und bücke mich dann nach den Sachen, um sie vom Boden aufzusammeln und zurück auf den Schreibtisch zu verfrachten.

Sobald meine Hände nichts mehr zu tun haben, fühle ich mich in dem Zimmer wie verloren. Für einen Moment stehe ich noch so da und lasse meinen Blick durch den Raum schweifen. Bei der Einrichtung hatte ich damals praktisch kein Mitspracherecht. Mama dachte, genau zu wissen, was mir gefällt, und hat sich für ihr typisch farbloses Konzept entschieden. Weiße Hochglanzmöbel, grauer Teppich und Schreibtischstuhl und viel Glas, um den Raum größer wirken zu lassen. Aber das hätte er meiner Meinung nach nicht gebraucht.

Mir hat hier drin immer die persönliche Note gefehlt. Das kam erst, als ich das Guerilla-Stricken für mich entdeckt habe. Es hat eine Weile gedauert, bis ich den Bogen raus hatte, aber dann habe ich unermüdlich Topf- und Vasenüberzieher, Tischdeckchen und Kissenbezüge in den leuchtendsten Farben selbstgemacht. Seitdem fühle ich mich in dem Zimmer um einiges wohler. Wenn Mama weniger Zeit im Flieger und mehr zu Hause verbringen und sehen würde, dass ich selbst für die Vase mit ihren geliebten weißen Orchideen einen knallbunten Überwurf gestrickt habe, würde sie wieder einen halben Herzinfarkt kriegen. Bei dem Gedanken daran, wie entsetzt sie beim letzten Mal dreingeschaut hat, kann ich mir ein Grinsen nicht verkneifen.

Mein Blick wandert weiter zum Fenster, durch das das Mondlicht immer heller dringt und beschließe, noch ein wenig hinauszugehen. Die frische Luft wird mir guttun und meinen Kopf frei blasen. Also greife ich kurzerhand nach meiner Jacke, die über dem Schreibtischstuhl hängt, und verlasse das Zimmer.

Auf dem Weg nach unten begegne ich keiner Menschenseele. Papa ist mit ziemlicher Sicherheit in seinem Büro oder bei irgendeinem geschäftlichen Termin und die Angestellten, die sich hier im Haus um das Kochen, Putzen und den Garten kümmern, haben Feierabend und sind nach Hause gefahren. Manchmal erwische ich mich dabei, wie ich ihnen ein wenig neidisch hinterhersehe und hoffe, dass irgendwann doch noch eine andere Familie durch die Tür tritt und sagt, dass ich nicht hierher, sondern zu ihnen gehöre. Aber ich schätze, dass das nach zwanzig Jahren nicht mehr passieren wird und ich mit den Menschen um mich herum vorliebnehmen muss. Auch wenn sie so gut wie nie da sind.

Ich nehme den Haustürschlüssel aus der Schublade des Sideboards, ziehe meine Schuhe an und trete hinaus. Tief sauge ich mit geschlossenen Augen die Luft ein und genieße den kühlen Wind, der über meine erhitzte Haut streicht, als würde er versuchen, mir zu sagen, dass alles wieder gut wird.

Ich folge dem schmalen Weg hinunter zum Tor, das sich mit einem leisen Quietschen öffnet. Um später hereinzukommen, brauche ich den Schlüssel und einen Code. Einmal bin ich mitten in der Nacht von einer Party zurückgekommen und mir fiel die Zahlenabfolge nicht mehr ein. Meine Eltern waren dermaßen sauer, als sie durch die Alarmanlage aus dem Schlaf gerissen wurden.

Das gehört leider nur zu einem von zahlreichen blamablen Erlebnissen der letzten Jahre. Jedenfalls hatte es mir drei Wochen Hausarrest eingehandelt, die ich in buntem Protest verbracht habe. Für alles, was irgendwie beweglich war, habe ich Überwürfe und Decken in so krassen Farben gestrickt, dass sie schon fast in den Augen wehtaten. Mama hat das so in den Wahnsinn getrieben, dass sie die Sache mit dem Hausarrest schnell wieder vergaß und mich freiwillig gehen ließ. In diesem Moment habe ich ein ziemliches Triumphgefühl empfunden. Es war ein kleiner Sieg, aber ein Sieg.

In letzter Zeit gehöre ich dafür eher zur Loser-Nation. Oder wie dieser Nerd aus meinem Studiengang sagen würde: Das Glück ist mir nicht hold. Ich stolpere von einer beschissenen Situation in die Nächste und immer wenn ich denke, ich hätte mir die Kacke endlich von den Sohlen streifen können, hat der nächste Hund einen Haufen auf meinen Weg gesetzt. Zack, wieder Scheiße an der Ferse.

Ich wandere durch die Straßen von Paris, die nur noch von den Laternen und vorbeifahrenden Autos erhellt werden. Es ist beruhigend zu wissen, dass hier immer etwas los ist. Egal zu welcher Uhrzeit, du kannst dich darauf verlassen, dass es andere nächtliche Wanderer gibt, die sich vom Mondlicht nach draußen locken lassen. Oder wie ich versuchen, auf andere Gedanken zu kommen.

Die Türme der Notre Dame tauchen auf und erst in diesem Moment wird mir klar, wie lang ich schon unterwegs bin. Von unserem Haus sind es gute zwanzig Minuten bis hierher. Trotzdem nehme ich mir die Zeit und setze mich auf eine der Bänke vor der Kathedrale, die von den Straßenlaternen sanft beleuchtet werden. Der Anblick der Kirche hat etwas Beruhigendes an sich. Egal, wie oft ich hierherkomme, in ihrer Fassade entdecke ich immer wieder neue Dinge.

Stumm betrachte ich sie, lasse mich von der Stille einnehmen und genieße das heimelige Licht des Mondes. Die Nacht hatte schon immer eine gewisse Anziehungskraft auf mich – zum Leidwesen meiner Eltern. Unzählige Male habe ich mich aus dem Haus gestohlen, um durch die Pariser Straßen zu schlendern und mir den Kopf frei blasen zu lassen. In diesen Momenten kann ich am besten nachdenken, aber vor allem brauche ich mich nicht zu verstellen.

Manchmal kommt mir das Licht der Sonne wie ein Rampenlicht vor, in das ich ohne meine Zustimmung geschoben werde. Als würde ich dann auf der Bühne stehen und eine Rolle spielen müssen, der ich nie gerecht werde. Der Druck fühlt sich so heftig an, dass ich glaube, er würde sich um meine Brust legen und zudrücken, sodass ich keine Luft mehr bekomme. In der Dunkelheit ist es nicht so. Sie gibt Anonymität. Ich muss nicht Chloé Monet sein, wenn ich das nicht will. Ich kann irgendeine junge Frau sein, die einen Spaziergang macht, ohne dass irgendjemand näher darüber nachdenkt. Hier schrumpft der Druck auf einen erträgliches Maß.

Doch diese kurzen Auszeiten haben auch eine Schattenseite. Sie verdeutlichen all das, was ich nicht haben kann. Es ist wie in einem verkehrten Märchen, in dem die Prinzessin verflucht ist: Bei Nacht darf sie ihr wahres Gesicht zeigen und am Tag wird sie zu einem Monster oder zumindest zu einer Marionette, die dazu gezwungen wird zu tun, was ihr gesagt wird. Was würde ich dafür geben, diese Fäden durchschneiden und herausfinden zu können, wer ich wirklich bin und was ich will. Im Moment weiß ich nicht einmal, wie viel echte Chloé in mir steckt.

Wenige Meter entfernt von mir taucht ein Pärchen im Licht der Straßenlaternen auf. Sie halten Händchen, haben nur Augen füreinander und scheinen überhaupt nichts von dem Drumherum mitzubekommen. Als die junge Frau die Arme um den Nacken des Mannes legt, um ihn überschwänglich zu küssen, wende ich den Blick ruckartig wieder ab.

Paris. Die Stadt der Liebe. Jedes Mal, wenn ich das höre, würde ich am liebsten laut auflachen und gleichzeitig genervt die Augen verdrehen. Als wäre eine Stadt überhaupt dazu fähig, so was wie Liebe auszulösen oder einen glücklicher zu machen. Ich jedenfalls wohne schon mein ganzes Leben hier und spüre nicht den Hauch davon. Und selbst wenn ein einziger Ort das doch könnte, dann ist es ein allgemeiner Irrglaube, dass die Liebe alles besser machen kann.

Meine Gedanken wandern, wie so oft an diesem Tag, weiter bis nach Kanada. Ich habe geahnt, dass Papa die verhauenen Prüfungen nicht mit einem Nicken abtun und sagen würde ›Beim nächsten Versuch machst du es eben besser‹. Dann würde ich ihn ziemlich schlecht kennen. Aber ich habe nicht damit gerechnet, dass er mich über viertausend Kilometer Luftlinie wegschicken würde.

Vielleicht findest du dort ein paar neue Freunde, schießt mir der Satz durch den Kopf, den er zuletzt zu mir gesagt hat. Als hätte er nach dieser Hiobsbotschaft noch einmal nachtreten wollen, bevor er seinen großen Abgang hinlegt. Ich weiß selbst, dass ich in meinem Leben niemanden habe, den ich tatsächlich als Freund bezeichne. Als reiche Unternehmerstochter, die ›von Daddy alles bezahlt bekommt, wenn sie nur mit den Wimpern klimpert‹, war es in der Vergangenheit nicht immer leicht, wahre Freunde von falschen zu unterscheiden.

Am Verlust einer Freundin bin ich zumindest nicht unbeteiligt. Auch das hängt mit der Qualifikation zur Eiskunstlauf-Weltmeisterschaft im letzten Jahr zusammen, die komplett anders verlaufen ist, als ich es mir erhofft hatte. Sie hat mir gesagt, dass sie in diesen Typen verknallt war, und ich habe mich ihm trotzdem an den Hals geworfen. Keine Ahnung, warum ich das getan habe. Vielleicht wollte ich mir selbst beweisen, dass ich alles haben kann, ohne mich groß anzustrengen. Oder meine Macht demonstrieren. Was weiß ich? Jedenfalls hat es sie so rasend gemacht, dass sie meine Schlittschuhe manipuliert und damit meinen Sturz auf dem Eis zu verantworten hat. Vielleicht war sie doch nie wirklich eine Freundin. Gute Bekannte, die man auf dem Gang grüßt und mit denen man ein wenig Small Talk austauscht, sind aktuell das Höchste der Gefühle.

Ich ziehe die Jacke enger um mich, als der Wind darunter fährt und mich frösteln lässt. Erst jetzt bemerke ich, dass es hier draußen deutlich kälter geworden ist, als es noch vor ein paar Minuten war. Das werte ich als Zeichen, dass es an der Zeit ist, nach Hause zu gehen. In der Vergangenheit zu wühlen, bringt sowieso nichts. Das befördert nur die ganzen unschönen Dinge ans Tageslicht, von denen ich gehofft habe, sie tief genug verbuddelt zu haben, um nie wieder darüber nachdenken zu müssen. Aber nie wieder ist eine verdammt lange Zeit und wenn ich ehrlich zu mir selbst bin, weiß ich, dass einen alles irgendwann einholt.

Kapitel 2: Chloé

»Hallo? Bist du tot?«

Viel zu helles Licht trifft erbarmungslos auf meine geschlossenen Lider. Die schrille Stimme, die ich nicht zuordnen kann, lässt meine Ohren klingeln. Ich brauche mehrere Versuche, um meine verklebten Augen zu öffnen, und als ich es endlich schaffe, springe ich fast vor Schreck aus dem Bett. Das Gesicht einer jungen Frau ist so nah vor meinem, dass ich jede einzelne Sommersprosse auf ihren Wangen zählen kann.

Wir knallen mit den Köpfen aneinander, worauf ich ein lautes Fluchen ausstoße. »Merde! Was soll das?«, frage ich sie und reibe mir dabei über die schmerzende Stirn. Das wird eine abartige Beule geben. Vielen Dank auch.

»Dasselbe könnte ich dich fragen. Du bist in meinem Zimmer.«

»Nur halbrichtig. Ist auch mein Zimmer«, nuschle ich und lehne mich gegen die Wand. Für meinen Geschmack ist das viel zu viel Konversation direkt nach dem Aufwachen. Normalerweise flöße ich mir erst mal zwei Tassen Kaffee ein, bevor ich überhaupt dazu in der Lage bin, einen klaren Gedanken zu fassen.

Sie stößt einen leisen Schrei aus und ich würde ihr dafür am liebsten den Hals umdrehen. Zu allem Überfluss wirft sie sich auf mich und schließt mich in die Arme. »Chloé? Das bist du doch oder? Dachte schon du kommst gar nicht mehr! Ich bin Holly. Du bist direkt vom Flughafen hierhergekommen, oder? Bin zwar echt voll gegen das Fliegen, aber von Frankreich kommst du wohl eher nicht mit dem Boot hierher. Du bist im Winterprogramm, oder?«

Unsanft schiebe ich sie von mir und bringe all meine Willenskraft auf, um sie nicht gleich aus dem Zimmer zu werfen. Ich schaffe es nicht einmal, alles aufzunehmen, was sie da eben gesagt hat.

»Ja, bin ich«, antworte ich kurzangebunden und hoffe, dass sie dadurch endlich versteht, dass ich meine Ruhe will. Doch weit gefehlt.

Holly setzt sich auf die Bettkante, als würden wir uns schon seit Jahren kennen und lächelt mich breit an. »Hast du Hunger oder Durst? Wann bist du eigentlich angekommen? Ich habe das gar nicht mitgekriegt. Dachte eigentlich, die Verwaltung würde mir Bescheid geben. Dann hätte ich dich abholen können. Also mit dem Bus. Ich habe keinen Autoführerschein, viel zu umweltschädlich. Genauso wie das Fliegen. Wir haben einmal vor dem Flughafen sogar demonstriert. War wahrscheinlich gar nicht so einfach das Wohnheim zu finden, oder?«

Perplex blinzle ich ein paar Mal. Keine Ahnung, welches Chaos in Hollys Kopf vorgeht, aber allein die Worte, die so ungefiltert und ohne erkennbare Reihenfolge aus ihrem Mund purzeln, verwirren mich komplett. In diesem Moment bin ich dem Mann aus der Verwaltung unheimlich dankbar dafür, sie nicht benachrichtigt zu haben. Keine Ahnung, wie ich das die nächsten zwölf Wochen aushalten soll. Ausgerechnet mit einer Quasselstrippe, die überhaupt keinen Sinn für Privatsphäre hat, teile ich mir das Zimmer. Das Universum hat wirklich einen schrägen Humor. »Hör mal. Ich habe einen Achtzehn-Stunden-Flug hinter mir und kann es nicht besonders leiden, einfach geweckt und dann vollgequasselt zu werden. Können wir den Small Talk vielleicht auf später verschieben?« Ich gebe mir Mühe, die Worte nicht so hart klingen zu lassen, wie ich sie am liebsten sagen würde. Ich muss mich einigermaßen gut mit ihr stellen und gleichzeitig direkt am Anfang Grenzen aufzeigen, sonst werden das noch schlimmere Wochen, als ich dachte.

Holly verliert ihr Lächeln für keine einzige Sekunde, beeilt sich dann aber, von meinem Bett aufzustehen und ein paar Schritte zurückzutreten. »Sorry, wusste gar nicht, dass der Flug so lang dauert. Bin noch nie geflogen. Zum Glück. Allein bei dem Gedanken an den CO2-Ausstoß krieg ich Ausschlag.« Ich reagiere nicht auf ihre Worte und mustere sie stattdessen zum ersten Mal genauer. Ihre blonden Korkenzieherlocken reichen ihr bis knapp über die Schultern. Sie trägt einen senfgelben Pullover und streicht sich in diesem Moment den olivgrünen Rock glatt. Das erste Wort, das mir durch den Kopf schießt, ist ›altbacken‹.

Da ich jetzt sowieso schon wach bin, kann ich auch aufstehen. Ich schlage den Comforter zurück und setze mich auf. »Kannst du mir sagen, wo ich hier einen brauchbaren Kaffee herbekomme? Ohne bin ich nach dem Aufwachen echt wie ein Zombie. Die lechzen nach Menschenfleisch und ich nach Koffein.«

»Ah, Kaffee-Junkie also. So wirklich weiß ich es nicht. Ich trinke lieber Tee, aber die Straße runter gibt es ein Café. Die haben inzwischen sogar alles als Fair Trade. Eigentlich kann es ja nur gut schmecken, wenn es nicht umweltschädlich ist, oder?« Selbst in ihren Worten schwingt die ganze Zeit das Lächeln mit. Meine schlechte Laune scheint einfach komplett an ihr abzuprallen. Oder sie bemerkt sie gar nicht.

Meine Lust mich jetzt im Bad frisch machen zu müssen, um in irgendein Café zu gehen, hält sich in Grenzen. »Du kannst mir nicht erzählen, dass es hier keine Küche gibt.«

»Doch.« Holly blinzelt mehrmals, während ich warte, dass sie weiterspricht. »Keine Ahnung, ob du da fündig wirst. Wird eher nicht so genutzt. Soll ich sie dir trotzdem zeigen?«

»Vielleicht lässt sich in den Schränken ja irgendwo zumindest ein Pulver finden.« Ich hätte mir selbst die Geschwindigkeit nicht zugetraut, aber wenige Sekunden später stehe ich an der Tür und warte auf sie. Zwar habe ich noch meinen Pyjama an, aber das ist in einer solchen Notfallsituation zweitrangig. »Kommst du?«, frage ich an Holly gewandt, als sie mich nur perplex ansieht, anstatt sich direkt in Bewegung zu setzen.

Endlich tritt sie neben mich und übernimmt die Führung. Ich folge ihr aus dem Zimmer, die Treppen hinunter ins Erdgeschoss und zu einem Gang, der in einen anderen Teil des Gebäudes führt. Die Farbe an der Wand ändert sich von weiß zu etwas, das einmal zitronengelb hat sein können, nun aber eher einem graugelb gleicht.

Wir folgen dem Gang bis zum Ende und treten rechts durch eine Tür, die wiederum in einen weiteren Flur führt. Mich beschleicht der Gedanke, dass wir niemals ankommen, und Holly versucht, mich so durcheinanderzubringen, dass ich im Gebäude verlorengehen und nicht mehr zurückkehren würde. Doch dann treten wir an eine Tür, durch die es deutlich nach Verbranntem riecht.

»Ah, hier müssen wir richtig sein«, sage ich tonlos und verdrehe die Augen.

Der Geruch wird schlimmer, als wir die Küche betreten. Ich habe noch nie etwas so Unappetitliches wie diesen Raum gesehen. Die einst weißen Fliesen sind von unbestimmbaren Flecken übersät, die mich gepaart mit dem Geruch fast würgen lassen.

Holly fängt meinen entgeisterten Blick auf und zuckt entschuldigend mit den Schultern. »Nach Partys werden hier oft Tiefkühlpizzen im Ofen vergessen. Ich weiß, sieht nicht appetitlich aus. Aber wir sind ja nur für Kaffee hier. Auch wenn es hier eher keine Fair Trade Bohnen gibt.«

Ich gehe darauf nicht näher ein und trete stattdessen auf die Küchenschränke zu. Hauptsache, ich bekomme endlich mein Koffein und kann hier so schnell wie möglich wieder raus. »Ich schau mich auf der Seite um, nimm du die andere.«

Wir machen uns sofort an die Arbeit. Meine Stimmung erreicht einen neuen Tiefpunkt, als ich an dem letzten Schrank ankomme und außer abgelaufenen Dosengerichten nichts gefunden habe. »Sag bitte, dass du fündig geworden bist.«

Im selben Moment dreht sie sich schwungvoll mit einer braunen Verpackung in der Hand um. »Nicht mehr viel. Reicht aber für zwei Tassen.«

Sofort stürze ich auf sie zu. Holly scheint zu erschrecken, denn sie weicht einen Schritt zurück, aber darauf kann ich gerade keine Rücksicht nehmen. Ich greife nach der Packung in ihrer Hand und halte sie an mich gedrückt, als wäre sie der Heilige Gral. »Gott sei Dank!«, stoße ich erleichtert hervor und sehe mich nach einem Wasserkocher um. Ein verkalktes Exemplar steht auf der Anrichte, das ich sofort mit Wasser fülle und anschalte.

»Wow, du hast das wirklich ernst gemeint.« Ich drehe mich zu Holly um und fange ihren Blick auf. »Vielleicht wäre der Umstieg auf Tee doch besser. Zumindest gesünder. Überleg es dir nochmal.« Wahrscheinlich wirke ich auf sie wie eine Koffeinsüchtige, aber das ist mir egal. Ich habe nicht vor mich mit ihr anzufreunden, daher gebe ich nicht viel auf das, was sie über mich denken könnte.

»Alles, was mit Kaffee zu tun hat, ist immer ernst gemeint. Merk dir das.«

Als ich endlich mit einer dampfenden Tasse wieder auf dem Bett sitze, geht es mir deutlich besser. Die ersten Schlucke sind zwar gewöhnungsbedürftig, aber definitiv besser als nichts. Trotzdem nehme ich mir vor, in den nächsten paar Tagen loszuziehen und eine kleine Kaffeemaschine aufzutreiben, die ich ins Zimmer stellen kann. Jedes Mal in dieses Loch von Küche zu laufen, wäre eine Zumutung. Vor allem für meinen immer noch geschädigten Geruchssinn.

»Hast du für heute irgendetwas geplant?«, fragt Holly und wackelt auf ihrem Bett auf und ab, als könnte sie meine Antwort nicht erwarten.

»Nicht wirklich. Ich versuche, mich mit Kaffee und Schlaf vom Jetlag zu kurieren, damit ich morgen nicht völlig fertig bin.«

Sie nickt und steht mit einem breiten Grinsen auf dem Gesicht auf. Dabei sieht sie so gespannt aus, als würde sie gleich platzen. »Wenn du willst, kann ich dir den Campus zeigen. Es gibt echt viel, was man beachten muss. Zum Beispiel die unterschiedlichen Gebäude und Bibliotheken. Ist am Anfang nicht so einfach, aber ich kann dir sagen, wo am wenigsten los ist. Oder welches die besten Plätze zum Lernen sind. Wenn du eine Freistunde hast oder so. Oh, oder wie es in der Mensa abläuft. Das ist immer so eine Sache für sich.« Ihr Grinsen wird, wenn überhaupt möglich, noch breiter, während sie sich tiefer in ihren Monolog verstrickt. Holly spricht so schnell, dass es mir schwerfällt ihr zu folgen. »Und dann zeige ich dir das fair trade Café, wo wir immer hingehen. Das ist ja nur die Straße runter. Da gibt’s paar echt leckere Sachen. Kuchen zum Beispiel. Das Obst und Gemüse dafür ist zu einhundert Prozent Bio. Das bekommt man sonst nirgendwo und …«

Ich halte die Hand nach oben, um ihrem Redeschwall Einhalt zu gebieten. »Wir müssen ganz dringend eine Regel aufstellen, die verbietet mehr als drei Sätze am Stück zu sagen«, murmle ich vor mich hin und massiere meine Schläfe, die zu pochen anfängt. Doch Holly hört erst mit dem Reden auf, als ich die Stimme erhebe. »Schon gut, wirklich. Ich weiß das Angebot zu schätzen, habe aber gerade ehrlich gesagt keinen Bock darauf. Lass uns das auf ein anderes Mal verschieben.«

»War ein bisschen viel auf einmal, oder?« Holly lächelt verschmitzt. Sie zieht eine abgetragene Jeansjacke über das senfgelbe Oberteil, die ich am liebsten zusammen mit diesem abartigen Cordrock verbrennen würde.

»Ja, ein bisschen«, antworte ich in meinem besten sarkastischen Unterton, aber den nimmt sie nicht wahr.

Holly greift nach ihrer Tasche. »Dann drehe ich alleine eine Runde. Sollte genutzt werden, solange die Sonne noch scheint. Bisschen Vitamin D tanken. Morgen kann es nämlich schon wieder ganz anders aussehen. Wir sehen uns später.« Als sie an unserem Schrank vorbeigeht, bleibt sie ruckartig stehen. »Könntest du den Koffer vielleicht aufräumen? Ich habe ehrlich gesagt einen ziemlichen Ordnungstick und kann es nicht so leiden, wenn irgendetwas rumsteht.«

»Echt? Ist mir gar nicht aufgefallen.« Ich lasse meinen Blick absichtlich extralang auf ihren Schreibtisch gerichtet. »Aber klar kann ich machen«, sage ich und lächle zuckersüß zurück, während eine Idee in mir heranreift.

»Super, danke dir. Dann bis später.« Sie hebt die Hand, wodurch die Schlüssel darin klimpern. Sobald die Tür sich hinter ihr geschlossen hat, greife ich nach meiner Handtasche und ziehe meine Stricknadeln und die Wolle daraus hervor.

 

»Was ist denn hier passiert?«, kreischt Holly mit schriller Stimme, als sie ein paar Stunden später mit zwei Tüten in der Hand zurückkommt, aus denen es verlockend nach chinesischem Essen duftet.

Für den Bruchteil einer Sekunde habe ich ein schlechtes Gewissen, doch das verflüchtigt sich bei dem lustigen Anblick von Hollys vor Schock geöffnetem Mund sofort wieder. »Gefällt es dir? Ich dachte, es wäre ganz cool ein bisschen Farbe reinzubringen.«

Sie lässt ihren Blick durch das Zimmer und über die bunten Decken schweifen, die ich in den letzten Stunden gestrickt habe. Allzu viel habe ich nicht geschafft. Nur einen Überzug für den kleinen Blumentopf auf der Fensterbank, ein Deckchen, das ich auf dem Schreibtisch platziert habe und eines das über dem Schreibtischstuhl liegt.

Holly öffnet mehrmals den Mund, doch schließt ihn dann wieder, als könnte sie nicht die passenden Worte dafür finden. »Kannst … kannst … Wie hast du das in der Zeit geschafft? Das ist ja … Wow.« Ihr Gesicht hat jegliche Farbe verloren, als müsste sie die neuen, bunten Farbtupfer im Zimmer damit wieder ausgleichen.

Gespielt betroffen fasse ich mir an die Brust und schiebe die Unterlippe hervor. »Du magst es nicht? Oh nein, ich habe mir so viel Mühe gegeben.«

Sie kann nicht damit aufhören, auf die Guerilla-Strickmuster zu starren und sieht daher nicht, dass ich sie veräpple. »Es ist … sehr bunt. Das ist nicht so mein Fall ehrlich gesagt.«

»Wie schade. Ich hatte eigentlich vor, das ganze Zimmer damit einzudecken. Ich stricke immer, wenn ich runterkommen will. Also eigentlich jeden Abend. Ich produziere das Zeug ohne Ende.«

Holly versucht sich zu zwingen, ein Lächeln aufzusetzen, das eher wie eine Grimasse aussieht. »Oh, tolles Hobby.« Ich lese auf ihrem Gesicht genau ab, was sie noch dazu sagen möchte: Solange du es auf deine Zimmerseite beschränkst.

Ich muss mich wirklich zusammenreißen, um nicht in lautes Gelächter auszubrechen. Wer hätte gedacht, dass ich schon direkt am ersten Tag eine Möglichkeit finden würde, meine Mitbewohnerin in den Wahnsinn zu treiben. Hollys Blick wandert weiter zu meinem Koffer, der immer noch an genau derselben Stelle liegt und nicht angerührt wurde. Oh ja, das könnten doch lustige zwölf Wochen werden.

Am nächsten Morgen bereue ich es, mich nicht von Holly herumgeführt haben zu lassen. Der Campus ist ein verdammtes Labyrinth und ich bin schon seit geschlagenen zwanzig Minuten auf der Suche nach dem Gebäude, in dem mein erster Wirtschaftskurs stattfinden soll. Ich werfe einen schnellen Blick auf die Uhr meines Handys und ein lauter Fluch kommt mir bei dem Anblick über die Lippen. Ich bin verdammt spät dran und habe immer noch keine Ahnung, wo ich hinmuss.

Dutzende Studenten in kleinen Grüppchen laufen an mir vorbei. Doch anstatt irgendjemanden nach dem Weg zu fragen, beschließe ich, ihnen zu folgen. Manchmal ist es gar keine schlechte Idee, mit dem Strom zu schwimmen. Als ich dann im Inneren des Gebäudes endlich das Schild mit der Zimmernummer ›LD128‹ entdecke, atme ich erleichtert aus und betrete den Raum.

Die meisten Studenten sitzen bereits auf ihren Plätzen, wodurch ich mich mit einem Stuhl in der vorderen Reihe begnügen muss. Nicht unbedingt das, was ich am ersten Tag wollte, aber besser als nichts. Zumindest habe ich jetzt endlich den richtigen Ort gefunden und das ist schon einmal ein Fortschritt. Gerade als ich mich herunterbücke, um meinen Laptop auszupacken, höre ich das Ächzen des Stuhles neben mir.

Ich sehe auf. Ein Student mit wirren, braunen Haaren und auffällig blauen Augen hat sich auf den Stuhl gesetzt. Er ist wie ich dabei, seine Sachen aus der Tasche hervorzukramen, sieht dafür aber aus, als wäre er gerade erst aus dem Bett gefallen. Ich löse meinen Blick wieder von ihm, schalte meinen Laptop an und öffne ein neues Dokument, in dem ich schon einmal das Thema des heutigen Seminars als Überschrift vermerke.

Ein Fluchen erklingt neben mir und ich drehe mich automatisch wieder zu dem Typen um. Er ficht einen Kampf mit seinem Rucksack aus, dessen Reißverschluss augenscheinlich klemmt und seinen Inhalt dadurch nicht freigibt.

»Fuck!«, flucht er und zieht noch heftiger an dem Verschluss. Blöderweise zu heftig. Mit einem unschönen Knacken kracht das Ding ab.

Ich presse fest die Lippen aufeinander, um ein Lachen zu unterdrücken. Doch als er mit dem Reißverschluss in der einen und dem Rucksack in der anderen Hand so verdutzt aussieht, als würde er die Welt nicht mehr verstehen, ist es um mich geschehen. Wie eine Nadel, die zu nah an einen mit Wasser gefüllten Ballon gerät, bricht das Lachen aus mir hervor.

Sein Kopf schnellt sofort zu mir herum. Mit vor Wut funkelnden Augen unterzieht er mich einer Musterung, aber das bringt mich eher dazu, noch lauter zu lachen. »Vielleicht solltest du ein Buch darüber schreiben, wenn du es so lustig findest. Dann wäre zum Literaturkurs vielleicht noch einer im Kreativen Schreiben gut.«

Mein Gekicher gerät ins Stocken. »Literatur? Wie meinst du …«

Das Öffnen der Tür und der darauffolgende Klang von Stöckelschuhen auf Fliesen unterbrechen mich. Die Frau tritt hinter den Tisch im vorderen Bereich des Raumes und stellt ihre Umhängetasche ab. Erst als sie in Ruhe einen Stapel Bücher und ein Tablet ausgepackt hat, wendet sie sich uns zu. »Einen wunderschönen guten Morgen, wünsche ich Ihnen und herzlich Willkommen im ersten Kurs des neuen Semesters.« Eine gewisse Panik breitet sich in mir aus, die immer dann aufkommt, wenn ich das Gefühl habe, zur falschen Zeit am falschen Ort zu sein.

»Was meintest du mit Literatur?«, zische ich in die Richtung meines Sitznachbarn. »Das muss ein Wirtschaftskurs sein. Das steht auf meinem Stundenplan.« Doch er lässt seinen Blick stur nach vorne gerichtet und scheint extrem interessiert an der Ansprache der Dozentin zu sein.

Als ich mich wieder umdrehe, trifft mich der kalte Blick der Professorin und ich schlucke fest. »Sie dürfen sich gerne zu einem späteren Zeitpunkt mit Ihren Kommilitonen unterhalten. Am liebsten außerhalb meines Seminars.« Sie räuspert sich und wendet sich dem gesamten Raum zu. »Jetzt soll es erst einmal um eine Lektüre gehen, die ein neues Thema unseres Kurses einläutet.« Ihr gesamter Gesichtsausdruck ändert sich, als sich ihre zahlreichen Falten in ein Lächeln legen. »In den nächsten Wochen werden wir uns mit dem Sommernachtstraum von William Shakespeare beschäftigen.«

Meine Kinnlade klappt herunter. Sommernachtstraum? Shakespeare? Mir wird abwechselnd heiß und kalt und total klar, dass ich mehr als nur falsch hier bin. Am liebsten würde ich sofort meine Sachen packen und flüchten. Ab und zu lese ich gerne. Auf langen Flügen oder wenn ich keine Lust zum Stricken oder Fernsehen habe. Aber dann mit Sicherheit nicht so etwas.

Ein leises Hüsteln erklingt neben mir. »Mund zu, sonst verschluckst du noch eine Fliege. Zumindest machst du einem Frosch gerade Konkurrenz.«

Mein Kopf ruckt in Richtung meines Sitznachbars und ich werfe ihm einen wütenden Blick zu. Meine Wut steigert sich noch mehr, als ich sehe, dass er total gechillt nach hinten gelehnt auf dem Stuhl sitzt, und die Arme entspannt vor der Brust verschränkt.

»Sei einfach ruhig«, zische ich und mache mich eilig daran, meine Sachen wieder einzupacken.

»Willst du uns etwa schon verlassen?«, sagt er so laut, dass die Studenten in unserer Nähe auf uns aufmerksam werden. »Wow, da hat dich Shakespeare aber schnell in die Flucht geschlagen. Dabei gehört der Sommernachtstraum zu seinen besten Werken.« Seine Augen funkeln amüsiert und am liebsten würde ich ihm das blöde, breite Grinsen aus dem Gesicht wischen. Es kostet mich einiges an Überwindung, es nicht zu tun.

»Gibt es ein Problem?«

Ich habe nicht bemerkt, dass auch die Professorin unser Wortgefecht bemerkt hat. Nun steht sie nur wenige Schritte von unserem Tisch entfernt und sieht uns abwechselnd an. »Nein, kein Problem. Es ist nur …«

»Es ist nur so, dass unsere liebe Kommilitonin nicht gerade der große Shakespeare-Fan ist und deshalb die Flucht ergreifen will. Ungefähr so wie Hermia und Lysander im ersten Akt flüchten wollen, um heiraten zu können.« Er spricht so laut, dass alle Studenten bis zur letzten Reihe seine Worte verstehen können.

Ich würde mich am liebsten an einen anderen Ort beamen. Ganz weit weg von all den Blicken, die sich jetzt bohrend auf meinen Rücken richten. Mein Gesicht brennt vor Scham und ich bete, dass ich genügend Foundation aufgelegt habe, damit es nicht auffällt. Ich gebe mein Bestes, mir nicht anmerken zu lassen, wie verdammt unangenehm mir die Situation ist.

Glücklicherweise wendet die Professorin sich wieder ab und setzt ihren Monolog fort, ohne weiter auf die Sticheleien meines Sitznachbarn einzugehen.

»Das stimmt gar nicht«, sage ich in seine Richtung, ohne den Kopf zu ihm zu drehen. »Ich muss versehentlich im falschen Kurs gelandet sein. Eigentlich sollte ich jetzt in einem Wirtschaftskurs sitzen.« Ich halte ihm meinen Stundenplan vor die Nase und tippe auf den Kurs ganz oben links, um meine Worte zu verdeutlichen.

Er wirft einen knappen Blick darauf. »Das LD vor der Zimmernummer steht für Literature Department. Wenn das ein Wirtschaftskurs wäre, würde da ED für Economic Department oder so was stehen. Dir ist scheinbar nicht klar, dass man in Kanada auch Kurse außerhalb seines Hauptfaches besuchen muss. Bei mir ist es Politikwissenschaft und bei dir augenscheinlich Literatur.«

»Nicht dein Ernst? Das ist ja absolute Zeitverschwendung!«, rufe ich laut aus. Zu laut.

Verhaltene Lacher ertönen. Dieses Mal wünsche ich mir nicht nur, mich wegbeamen zu können, sondern dass eine Alieninvasion stattfindet. Sie sollen mich mit einem Ufo hier herausholen und auf einen Planeten bringen, der so weit wie möglich von diesem entfernt ist. Das Grinsen meines Sitznachbarn ist noch breiter geworden.

»Schön, dass du das so witzig findest, du Arsch«, fauche ich ihn an.

»Vermutlich mit das Lustigste, was heute passiert.«

Die Hoffnung, meinen Sitznachbarn ruhig gestellt zu haben, zerschellt wie eine Welle an einer scharfkantigen Klippe. Jetzt reicht es mir. Ich halte nicht länger als Clown her. Also greife ich nach meiner Tasche, hänge sie mir um und verlasse mit schnellen Schritten den Saal.

»Ms. Monet?«, höre ich die Stimme der Dozentin. Für einen Moment wundere ich mich, dass sie meinen Namen kennt. Doch ignoriere sie dann geflissentlich. Ich weiß, dass ich mir wahrscheinlich eine Standpauke werde anhören müssen. Aber darauf scheiße ich in diesem Augenblick. Das Einzige, was ich will, ist so viel Abstand wie möglich zwischen diesem Vollidioten und mich zu bringen.

Kurzerhand entscheide ich mich dazu, zurück in mein Zimmer zu gehen. Dort kann ich mich bis zum nächsten Seminar, in dem ich mich wieder gefahrenlos blicken lassen kann, verschanzen. Papa würde ausflippen, wenn er wüsste, dass ich die erste Vorlesung verpassen würde, aber ich lasse mir eine Ausrede einfallen. Immerhin bin ich hier, um meine Prüfungen in Wirtschaft zu bestehen und nicht irgendwelche bescheuerten Theaterstücke auseinanderzunehmen. Selbst Papa muss einsehen, dass das absolut keinen Sinn ergibt, einen Literaturkurs zu besuchen. Schon gleich gar nicht nach der Blamage eben.

Ich fasse es immer noch nicht, dass dieser Typ mich so vorgeführt hat. Habe ich ihm irgendetwas getan, dass so ein beschissenes Verhalten rechtfertigt? Definitiv nicht! Doch dann erinnert mich eine leise Stimme in meinem Hinterkopf daran, dass es auch nicht die feine Art war, ihn auszulachen, als er den Reißverschluss an seinem Rucksack abgerissen hat. Andererseits waren seine Sprüche trotzdem alles andere als okay und stehen in überhaupt keinem Vergleich zu meinem kleinen Lachanfall.

Ich greife nach meinem Handy und sehe mir ein paar lustige Videos an, um mich auf andere Gedanken zu bringen. Das funktioniert ganz gut. Zumindest bis das süße Katzenvideo von einem Anruf unterbrochen wird.

»Merde«, fluche ich, als mir das Wort ›Papa‹ darauf entgegenleuchtet. Es kann kein Zufall sein, dass er ausgerechnet jetzt anruft. Für einen Augenblick denke ich darüber nach, das Gespräch nicht anzunehmen, aber er würde es so lange versuchen, bis ich drangehe. Er ist extrem hartnäckig. Wahrscheinlich ist das einer der Gründe, warum er ein so guter Geschäftsmann ist, doch in diesem Moment würde ich ihn am liebsten verwünschen.

»Hallo Papa«, nehme ich den Anruf an und gebe mir Mühe, so ungezwungen wie möglich zu klingen.

»Hast du im Moment keine Vorlesung?« Er kommt direkt zur Sache. Ohne Begrüßung oder ein paar warme Worte, obwohl wir seit dem kurzen Nachrichtenaustausch nach meiner Landung nicht mehr geschrieben haben.

Ich weiß genau, dass das eine Fangfrage ist. Bestimmt hat er sich meinen Stundenplan schon ausgedruckt, um zumindest einen gewissen Grad an Kontrolle zu haben. »Ich musste heute früh noch einmal in die Verwaltung, um ein paar Dinge zu klären. Jetzt bin ich auf dem Weg zu dem Gebäude, in dem die Vorlesung stattfindet.«

Stille schlägt mir entgegen und das kann nur bedeuten, dass er mir kein einziges Wort glaubt. »Das ist interessant. Die Verwaltung hat nämlich angerufen und mich darüber informiert, dass du aus deinem Kurs einfach rausgelaufen bist.«

Nun bin ich es, der die Worte im Hals steckenbleiben. Er hat doch nicht wirklich …? »Das ist nicht dein Ernst, oder? Sind die Angestellten in der Verwaltung jetzt deine Spione hier?«

»Eher meine Augen und Ohren und wie du bereits am ersten Tag beweist, ist das auch nötig.«

Ich lache trocken auf. Gerade wollte ich ihm noch sagen, warum ich den Kurs verlassen habe. Aber der Wunsch mich zu erklären, wird von meiner Wut überschattet. »Und, was hast du dich das kosten lassen?«, frage ich bitter. So erfolgreich er als Geschäftsmann ist, so sehr glaubt Papa an die Macht des Geldes und ist der Meinung, alles und jeden für seine Zwecke kaufen zu können. Und das Schlimme daran ist, dass es in den allerseltensten Fällen nicht funktioniert.

»Ich bin sehr enttäuscht von deinem Verhalten, Chloé. Ab sofort erwarte ich keinen weiteren Fehltritt von dir. Nun, wo du weißt, dass ich von allem erfahre. Du wirst zu der Professorin gehen und dich bei ihr entschuldigen.«

Am liebsten würde ich das Smartphone gegen die Wand pfeffern, aber das würde meine Situation auch nicht verbessern. »Ist gut, ich gehe schon«, presse ich zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor und lege auf, bevor ich irgendetwas Falsches sage.

Im Aufstehen greife ich nach meiner Tasche, die ich beim Hereinkommen auf dem Schreibtisch abgestellt habe, und verlasse das Zimmer mit wütenden Schritten. Die Tür knallt so laut hinter mir zu, dass es im ganzen Wohnheim zu hören sein muss. Aber das ist mir in diesem Moment scheißegal. Dafür ist die Wut in mir zu groß.