Leseprobe Homebase fürs Herz

Kapitel 1

Savannah Thomas war ein geduldiger Mensch.

Sie hielt es bis zu drei Stunden in Telefonwarteschlangen aus. Sie fädelte in Seelenruhe den dicksten Bindfaden durch das dünnste Nadelöhr. Sie hörte Mrs. Bernard, ihrer dementen Nachbarin, täglich bei derselben Geschichte zu. Sie erklärte Jake Braker, dem notorischen Womanizer der Delphies, immer wieder aufs Neue, wie man ein Kondom benutzte, aus Angst, er könne an einer Geschlechtskrankheit verrecken. Und erst letztens hatte sie ihre Q-tips gezählt und zu einem wackeligen Haus zusammengeklebt, als nichts Gutes im Fernsehen gekommen war.

Aber auch Savannah hatte Grenzen. Und eine davon war, wie es so wollte, eine Frau, die sich seit einer geschlagenen halben Stunde nicht abwimmeln ließ, sich anhörte, als habe sie ein weinendes Kind verschluckt und nicht einmal ihren Vornamen kannte!

„… und er sagte doch, dass er sich melden würde!“

„Tatsächlich.“ Savannah bohrte die Spitze ihres Bleistifts so fest in die Schreibtischplatte, dass sie darin stecken blieb.

„Ja!“ Das hysterische Schluchzen der Frau wurde lauter und Savannah sah sich dazu gezwungen, den Hörer von ihrem Ohr wegzuhalten.

„Ich meine, wir haben uns geküsst, ist das denn gar nichts wert?“

„Ich weiß nicht, kommt auf den Kuss an, würde ich sagen.“

„Er war spektakulär! Aber alles, was er mir gegeben hat, ist diese Nummer. Und da müssen Sie doch verstehen, wie mich das aus der Bahn wirft, wenn am anderen Ende eine Frau abhebt. Ich wusste ja nicht, dass Sie seine Assistentin sind.“

„Ich bin nicht seine Assistentin“, stellte Savannah klar und hörte sich dabei womöglich wie ein Hund an, dem sein Knochen weggenommen wurde. Tatsächlich hielt sie es auch nicht für ausgeschlossen, dass sie heute noch jemanden biss, denn Cole Panther hatte ihre Nummer an einen wildfremden Menschen weitergegeben! Schon wieder! Das war das vierte Mal diese Woche. Und es war erst Mittwoch!

„Aber Sie sagten doch, dass Sie für ihn arb–“

„Ja, ich arbeite in seiner Organisation, aber nicht als seine Assistentin“, erklärte sie abgehackt und riss den Bleistift mit Gewalt wieder aus dem Holz. Er brach entzwei und rollte in den Stapel Haftnotizzettel, der den größten Teil ihrer Arbeitsfläche bedeckte.

„Ach so.“ Eine kurze, nachdenkliche Stille folgte, bevor die Frau schniefend fragte: „Aber warum gibt er mir denn dann Ihre Nummer?“

Weil er ein verdammter Feigling ist, der sich nicht mit seinen billigen Verflossenen herumärgern will!

„Er muss wohl die hinteren Ziffern vertauscht haben.“

Hatte er nicht.

„Das ist mein Arbeitshandy.“

War es nicht.

„Und die Nummern der Delphies-Organisation unterscheiden sich nur in ihren letzten Zahlen.“

Taten sie nicht.

„Oh, also meinen Sie, es war ein Versehen?“

Um Gottes willen, nein! Cole Panther tat nie etwas aus Versehen. Denn das könnte ja Spaß machen – und Spaß zerknitterte seinen Anzug.

„Vielleicht könnten Sie mit ihm reden und meine Nummer weiterleiten?“

Savannah biss die Zähne zusammen und stand von ihrem Stuhl auf. „Oh ja, ich rede mit ihm“, versprach sie gepresst und stieß mit ihrer freien Hand die Bürotür auf.

„Das wäre wunderbar.“ Die Frau hatte aufgehört zu schluchzen, was Savannahs Ohren ungemein freute. „Ich würde ihn wirklich gerne wiedersehen. Er war so charmant.“

Mit welchem Cole Panther war die Frau nur ausgegangen? Es gab neunundneunzig Worte, mit denen Savannah Cole Panther beschrieben hätte. Charmant war keines davon. Aber das erste war Arsch und das zweite Loch.

„Ich bin mir auch ziemlich sicher, dass er mich mag“, plapperte die Frau munter weiter.

Savannah verdrehte die Augen, während sie in langen Schritten die Distanz zum Fahrstuhl überwand, hineintrat und auf den Knopf für das oberste Stockwerk drückte. Auch das bezweifelte sie, denn Cole Panther mochte keine Menschen. Es war ihr schleierhaft, warum er überhaupt mit Frauen ausging, wo sie ihn doch allesamt nur zu nerven schienen.

Die Fahrstuhltüren schlossen sich und sie hoffte schon, dass die Verbindung abbrach, aber natürlich hatte sie selbst in der blechernen Büchse Empfang. Gott, sie hätte ja aufgelegt, aber sie war PR-Beraterin und die konnten es sich nicht leisten, einen schlechten Ruf zu haben.

„Er hat mir so viele Komplimente gemacht, den ganzen Abend über. Glauben Sie, er wird noch einmal mit mir ausgehen?“

Super. Genau die Frage, die Savannah nicht hatte hören wollen. Sie hätte die Frau anlügen können, aber sie brachte es einfach nicht übers Herz. Es war ja nicht ihre Schuld, dass Cole Panther ein kaltherziger Bastard war.

„Wissen Sie, ich würde mir nicht allzu große Hoffnungen machen. Mister Panther ist einfach sehr beschäftigt“, sagte Savannah und hatte Mühe dabei, ihre Zähne auseinanderzureißen. „Er … hat zurzeit mit einer schlimmen Geschlechtskrankheit zu kämpfen und erst letzte Woche Hämorriden entfernt bekommen. Nehmen Sie es ihm nicht übel. Er nimmt ständig Schmerzmittel und weiß einfach nicht mehr, was er tut. Er hat gestern sogar seine Haartransplantation vergessen, dabei steht der Termin seit Monaten fest. Ich fürchte, seine gesundheitlichen und beruflichen Verpflichtungen lassen eine Beziehung zurzeit einfach nicht zu.“

So, jetzt fühlte sie sich besser. Wenn Cole je wieder mit Miss Heulsuse sprach, würde sie in die Hölle kommen, aber die Wahrscheinlichkeit, dass das passierte, lag ungefähr bei minus dreitausend Prozent. Savannah machte sich also keine Sorgen.

„Oh, aber warum meldet er sich dann bei einer Dating Seite an?“

Dating Seite?

Savannahs Kinnlade klappte herunter. Cole Panther bei einer Online-Partnervermittlung? Das passte ungefähr so gut wie … ein Haifisch in ein Goldfischglas, die Nazis auf die helle Seite des Mondes oder Donald Trump in einen Friseursalon.

„Ich hab’ absolut keine Ahnung“, sagte Savannah wahrheitsgemäß. „Keinen blassen Schimmer.“

Mit einem Ping öffneten sich die Fahrstuhltüren. Savannah war so verdattert über die Information, die sie soeben erhalten hatte, dass sie sich mehrere Minuten lang nicht bewegte. Erst als die Türen sich bereits wieder schlossen und die Frau am Telefon Anstalten machte, das Gespräch fortzusetzen, erwachte sie wieder zum Leben.
Eine Dating Seite – das erklärte einiges! Definitiv schon mal die Tatsache, dass sie in den letzten drei Tagen Anrufe von vier heulenden Frauen hatte entgegennehmen müssen, die ihr versicherten, dass Cole Panther die Liebe ihres Lebens sei. Wieso außerdem die halbe Organisation bei ihr durchklingelte, um Nachrichten für Panther Junior zu hinterlassen, war Savannah dennoch schleierhaft.

„Ja, na gut“, wiederholte Savannah, trat aus dem Fahrstuhl und wandte sich nach rechts, zu dem riesigen gläsernen Büro, das einen Ausblick auf das dahinterliegende Baseballstadion gab. „Sie entschuldigen mich, ich habe jetzt einen wichtigen Termin.“

„Oh, natürlich. Vielen Dank für Ihre Hilfe.“

Savannah antwortete nicht, sondern legte einfach auf. Sie beschleunigte ihren Schritt, froh darüber, dass sie ihre Schuhe heute ausnahmsweise mal anbehalten hatte. Mit der einen Hand stopfte sie das Handy in ihre Blazertasche, mit der anderen stieß sie ohne Ankündigung die Glastür auf. Sie war wohl etwas zu energisch gewesen, denn die Tür knallte mit einem zufriedenstellenden Klirren gegen die dahinterliegende Glaswand.

Cole Panther saß tief in den Chefsessel gelehnt, die langen Beine ausgestreckt, das Telefon an sein Ohr geklemmt, hinter seinem Schreibtisch. Seine hellblaue Krawatte saß makellos, die schwarzen Haare hielt er für vierhundert Dollar im Monat kurzgeschnitten – Gott bewahre, sie könnten seinen Hemdkragen beschmutzen! – und seinen Dreitagebart stutzte er auf eine respektable, gepflegte Länge. Mit der freien Hand machte er sich Notizen auf einem Block, der mittig auf dem ebenfalls gläsernen und penibel ordentlich gehaltenen Schreibtisch lag. Seine eisblauen Augen fixierten sie fragend, während er unbeirrt weiterredete.

„… drüber gesprochen, Miles. Ich habe das Budget selbst überprüft und bin bereit, bis zu zwei Millionen Dollar nach oben zu gehen. Weiter nicht.“

Savannah funkelte ihn an, überwand die restliche Distanz und schlug mit der Faust auf den Tisch.

Ja, sie wusste, dass Cole Panther ihr Vorgesetzter war.

Ja, sie wusste, dass er milliardenschwer war.

Ja, sie wusste, dass viele Leute Angst vor ihm hatten.

Aber sie wusste auch, dass Höflichkeit einen im Leben nicht weiterbrachte. Wenn man sich einschüchtern ließ und sich nicht verteidigte, dann war es schwer, aus dem Muster auszubrechen. Und sie würde sich nie wieder herumschubsen lassen.

„Ich bin nicht deine verdammte Assistentin!“, zischte sie.

Cole hob eine Augenbraue, zog ein Taschentuch aus seiner Anzugtasche hervor und wischte langsam den Fettfleck von seiner Arbeitsfläche, den Savannahs Faust dort hinterlassen hatte, während er gelassen in den Hörer sprach.

„Mich interessiert der Weg nicht. Mich interessieren Ergebnisse. Und wenn Sie mich diesmal enttäuschen, Miles, dann werde ich Sie vielleicht aus der Gleichung nehmen müssen. Es ist Ihr verdammter Job, den Preis auf eine respektable Größe zu drücken, die abschließenden Verhandlungen führe dann ich.“

Savannah riss ihm das Taschentuch aus der Hand und ließ es auf den Boden fallen.

„Ich bin nicht deine Assistentin!“, wiederholte sie laut. „Hast du mich verstanden? Würdest du also in Gottes Namen damit aufhören, deinen Freundinnen meine Telefonnummer zu geben?“

Cole hob einen Finger in ihr Gesicht und wandte seinen Kopf ab, während er weiter in den Hörer sprach.

„Sie hören mir jetzt mal zu! Es ist mir egal, wie viele Kinder Ihre Frau bekommen hat. Es ist mir egal, dass Sie sich Mühe geben. Ich will Jimmy Rodriguez und Sie sind dafür verantwortlich, dass ich ihn bekomme! Und wenn das nicht passiert, werde ich sehr ungehalten.“

„Cole“, sagte Savannah ernst und schlug seinen Finger weg.

Aus dem Finger wurde die ganze Hand und aus Savannahs anfänglichem Unmut wurde Wut.

„Cole!“, sagte sie lauter. „Ich möchte, dass du mir sofort versprichst, nie wieder meine Nummer weiterzugeben! Und wenn du das Telefonat jetzt nicht beendest, werde ich deine Privatnummer auf Facebook posten.“

Cole Panther seufzte laut, ließ die Hand sinken und sagte ins Telefon: „Entschuldigen Sie mich, Miles, ich werde gerade von einer Frau angeschrien … nein, machen Sie sich eher um ihren Job Sorgen. Das mit den schreienden Frauen passiert mir öfter. Also – leiten Sie es einfach in die Wege.“

Er legte auf, faltete die Hände auf dem Schreibtisch und sah sie frostig an. „Ich hätte dir nie meinen Vornamen anbieten dürfen“, stellte er schließlich nachdenklich fest. „Offensichtlich lässt dich dieser Umstand vergessen, dass ich dein Boss bin.“

Savannah schnaubte und verschränkte die Arme. „Du hättest mir deinen Vornamen und deinen erstgeborenen Sohn anbieten müssen, für all das, was ich für dich tue – gleichwohl nichts davon in meinen Aufgabenbereich fällt.“

„Setz dich doch, Savannah“, sagte er ungerührt und deutete auf den Stuhl zu ihrer Rechten. „Ich habe das Gefühl, dass dieses Gespräch länger dauern wird.“

„Das muss es nicht, wenn du einfach meine Privatnummer aus deinem Speicher löschst – wie bist du da überhaupt drangekommen?“

„Sie steht in deiner Personalakte. Und warum sitzt du immer noch nicht?“

Sie ließ sich auf den Stuhl sinken und deutete mit dem Zeigefinger auf ihn. „Ich sage es jetzt zum letzten Mal: Ich bin nicht deine Assistentin, Cole!“

Cole runzelte die Stirn. „Wer ist es dann?“

„Keine Ahnung. Wo ist die Blondine, die bis gestern noch am Schreibtisch vor deinem Büro saß?“ Savannah wandte sich um und sah durch die Glastür auf den leeren Arbeitsplatz.

„Die habe ich gefeuert. Hing dauernd bei Facebook rum.“

„Nun, dann hast du keine Assistentin“, sagte Savannah schlicht.

„Richtig. Und aus genau diesem Grund brauche ich dich.“ Er sprach, als würde er einer Siebenjährigen erklären, dass es den Weihnachtsmann nicht gab.

Genervt presste Savannah die Lippen aufeinander. „Ich bin PR-Beraterin, keine Sekretärin.“

„Wenn ich mich nicht irre“, meinte er langsam und ließ die Fingerkuppen auf den Tisch tippen, „dann warst du die letzten Tage beides.“

„Ja, weil du einfach allen meine Telefonnummer gibst, meine private noch dazu! Aber das muss aufhören. Ich habe einen anderen Job. Dann musst du eben ohne Hilfe auskommen.“
„Aber ich bin der Chef der gesamten Organisation. Mir gehört das Team.“ Er tippte sich mit dem Zeigefinger ans Kinn. „Wie kann ich da keine Assistentin haben?“

„Weil du so unerträglich bist, dass du alle vergraulst!“, fuhr Savannah ihn an.

Das verleitete Cole doch tatsächlich zu einem Lächeln. „Weißt du eigentlich, wie oft ich jeden anderen schon dafür gefeuert hätte, wie du mit mir redest?“

Oh, bitte. Welch eine leere Drohung. Er konnte sie nicht feuern. Er wäre aufgeschmissen ohne sie! Sie war nun einmal die Beste und das wusste er.

Sie verdrehte die Augen und Coles Lächeln wurde breiter.

„Du erinnerst dich aber schon daran, dass ich deinen Gehaltscheck unterschreibe, oder?“, fragte er interessiert. „Du scheinst diesen Umstand in der letzten Woche erschreckend oft vergessen zu haben.“

„Ja, du hast recht. Du unterschreibst meinen Gehaltscheck. Den als PR-Beraterin, nicht als Assistentin!“

Seufzend lehnte Cole sich im Sessel zurück. „Aber du scheinst zusammen mit Sam die einzige kompetente Person in dieser Institution zu sein.“

„Na, dann frag doch Sam, ob er für dich mit deinen Betthäschen Schluss macht! Ich wette, das kann er ganz wunderbar.“

Cole schüttelte den Kopf. „Nein, er ist zu weich. Er kann den armen Frauen nicht das Herz brechen. Du hingegen …“

„Sag mal, was an den Worten Ich bin nicht deine Assistentin verstehst du nicht?“, fragte Savannah fassungslos. „Wie kann es sein, dass wir immer noch darüber diskutieren?“

Sie wusste ja, dass Cole Panther es gewöhnt war, seinen Willen zu bekommen. Dennoch musste er doch langsam dazulernen. Er arbeitete immerhin seit einem Jahr mit ihr zusammen und sollte sich außerdem noch daran erinnern können, was mit seinem Anzug geschehen war, als er sie gebeten hatte, ihn aus der Reinigung abzuholen. Savannah war geübt darin, sich gegen ältere, größere, stärkere, einflussreichere Menschen zu behaupten. Herrgott, sie hatte ihr ganzes Leben damit verbracht, sich gegen Menschen durchzusetzen, die sie von Ort zu Ort hatten schieben wollen. Und verdammt sei sie, sich von Cole Panthers Autorität überrollen zu lassen – die er zugegebenermaßen in Massen besaß. Alles an ihm war eindrucksvoll, kühl und berechnend. Nur, weil sie diesen Umstand ignorierte, hieß das noch lange nicht, dass sie sich dessen nicht bewusst war!

„In Ordnung. Reden wir darüber.“ Cole legte die Hände auf den Tisch und bedachte sie mit einem abschätzenden Blick. Die Art von Blick, die er aufsetzte, sobald er in Verhandlungen trat. Der Blick, der ihn zu einem der verdammt besten Anwälte der Stadt gemacht hatte, bevor er den Chefposten der Delphies, Philadelphias Baseballmannschaft, übernommen hatte. Der Blick, der keine Widerrede zuließ.

„Du sagst, ich unterschreibe nur deinen Gehaltscheck als PR-Beraterin – ich sage, fügen wir noch einen für dich als meine Assistentin hinzu.“

Savannah schnaubte. „Für kein Geld der Welt würde ich–“

„Ich gebe dir dreißigtausend Dollar für die nächsten zwei Monate.“

Savannah riss die Augen auf und fiel beinahe vom Stuhl. War das sein Ernst?

„Das ist mein voller Ernst“, sagte er, als hätte er ihre Gedanken gelesen.

Sie starrte ihn an, öffnete den Mund, schloss ihn wieder und stellte dann verblüfft fest: „Meine Güte, du bist ja richtig verzweifelt.“

Kapitel 2

Cole Panther war ein ungeduldiger Mensch.

Und ein kaltblütiges Arschloch.

Viele Menschen behaupteten, diese beiden Eigenschaften stünden in direktem Zusammenhang miteinander, aber Cole sah das anders. Die Ungeduld kam von Natur aus. Das kaltblütige Arschloch hatte er sich über die Jahre hinweg hart antrainiert. Seine Ungeduld begleitete ihn auf Schritt und Tritt, während er so frei war, zu behaupten, dass er das Arschloch ab und zu abstellte, wenn es die Situation verlangte. Und dies war eine dieser Situationen.
„Savannah.“ Geschäftsmäßig beugte er sich über den Tisch zu ihr vor und verschränkte seine Hände ineinander. Er würde bekommen, was er wollte. Denn so funktionierte sein Leben nun einmal.

„Du weißt es und ich weiß es: Du bist die Beste in dem, was du tust. Im Organisieren, im Überblick behalten, im Menschen jonglieren. Ich brauche deine Fähigkeiten.“

Savannah verengte ihre dunklen Augen und schürzte die Lippen. Ihre schwarzen Haare fielen ihr glatt über den Rücken und sie trug einen dieser Kugelschreiberröcke – nein, falscher Stift, Bleistiftröcke – zusammen mit einer roten Bluse, die mit ihrer karamellfarbenen Haut harmonierte, und einen schwarzen Blazer. Ja, man hätte Savannah mit einer hübschen, süßen Frau verwechseln können … würde sie nicht andauernd den fundamentalen Fehler begehen, ihren Mund zu öffnen.

„Komplimente stehen dir nicht, Cole“, sagte sie trocken. „Um ehrlich zu sein, machen sie mir ein wenig Angst.“

Wem sagte sie das? Er hatte sich bei jedem einzelnen Wort unwohl gefühlt. Cole war nicht dafür bekannt, Mitarbeiter zu loben. Er war dafür bekannt, Mitarbeiter als inkompetent zu beschimpfen. Er hielt es für wichtig, ehrlich zu sein, damit sie sich bessern konnten oder er eine rechtliche Grundlage dafür hatte, sie zu feuern.
Savannah Thomas war zwar nicht inkompetent, aber seine Geduld strapazierte sie dennoch. Er kannte keine, ausnahmslos keine Frau, die mit ihm sprach wie sie es tat. Es war fast, als hätte sie keine Angst vor ihm. Und das war äußerst irritierend. Denn von der Angst seiner Untergebenen profitierte er. Doch egal, was für Blicke er ihr zuwarf, egal wie oft er mit der Kündigung drohte – sie hielt ihr Kinn gereckt und ihren Mittelfinger meistens direkt mit.

Und er respektierte sie dafür. Savannah wusste, was sie wollte und nahm es sich. Das war eine denkbar gute Eigenschaft, denn wenn man es nicht tat, würde man von dieser Welt überrollt werden, bevor man das Wort Arschloch formulieren konnte. Außerdem amüsierte sie ihn. Manchmal.
Zurzeit jedoch nervte sie. Er hatte einen Haufen Telefonate zu führen und wäre ihr sehr dankbar, wenn sie einfach sein Geld nähme und täte, was er von ihr verlangte.

„Es sind nur zwei Monate, Savannah“, sagte er gelassen. „Nach dieser Zeit kannst du zurück in deinen normalen Job gehen. Außerdem wärst du nicht meine Assistentin, du wärst Koordinatorin meines Privatlebens.“

„Mhm. Für mich hört sich das so an, als würde ich deinen Babysitter spielen“, stellte sie mit gerunzelter Stirn fest.

„Genau genommen wärst du Babysitter meiner Dates“, korrigierte er sie. Es war besser, wenn sie ihre Aufgabenbereiche so gut wie möglich kannte. „Alles, was du wissen musst, ist, dass ich heiraten will und vorhabe, in den nächsten zwei Monaten die dazu passende Frau zu finden.“ Denn das ließ ihm ein Jahr Zeit, sie kennenzulernen und zu heiraten, sodass er vor seinem fünfunddreißigsten Geburtstag eine Ehefrau vorzuweisen hatte. „Ich habe mich bei einer Website angemeldet und wenn ich ehrlich bin, habe ich einfach nicht den Nerv, die dort herumlungernden verlorenen Existenzen von den guten Frauen zu trennen. Und schon gar nicht, die Dates zu organisieren und das Follow-up Gespräch zu führen.“

„Das Follow-up Gespräch zu führen?“, wiederholte Savannah und ein Lächeln huschte über ihr Gesicht.

Warum lächelte sie? An der Suche nach einer Ehefrau war absolut nichts witzig! Es war so unglaublich stressig und zeitraubend, dass Cole Savannah auch eine Million Dollar gegeben hätte, wenn sie ihm die Aufgabe nur vereinfachte. Wenn er darüber nachdachte, dann war es gut, dass sie das nicht wusste, denn sie würde ihm jeden einzelnen Cent aus der Tasche ziehen.

„Follow-up Gespräch – ich fasse es nicht.“ Jetzt grinste Savannah noch breiter und schüttelte den Kopf. „Ich hätte dich nicht für einen Romantiker gehalten, Cole.“

Er schnaubte. Schön, dass sie die ganze Situation amüsant fand. „Natürlich bin ich ein Romantiker, ich besitze zwei Kerzen“, sagte er trocken. „Also, du würdest die Frauen aussuchen, die du für passend hältst, arrangierst die Dates und wimmelst sie, wenn nötig, ab.“

„Nun, nicht dass sich das nicht nach einem absoluten Traumjob anhört, denn wer möchte nicht den ganzen Tag mit weinerlichen Frauen konfrontiert werden, die denken, du seist ein Gott“, sagte Savannah überschwänglich, „aber gibt es nicht professionelle Partnervermittler, die dich nur allzu gerne unter Vertrag nehmen und dir das Geld aus der Tasche ziehen würden?“

Ja, natürlich. Aber Cole hatte nicht vor, sich mit einer Frau herumzuschlagen, die ihn Fragebögen ausfüllen und seine Hobbys erläutern ließ. Schlimm genug, dass er so etwas im Internet hatte machen müssen.

Hobbys. Wer zum Teufel hatte Zeit für Hobbys? Und was verriet seine Lieblingsfarbe dem Computer darüber, wie seine Traumfrau auszusehen hatte? Abgesehen davon, dass das Ding Schwarz partout nicht hatte annehmen wollen. Außerdem funktionierten Maschinen besser als Menschen. Cole vertraute darauf, dass der Computer die perfekte Frau für seine Zwecke ausspucken und ihm vor die Füße werfen würde. Die Dating- Plattform war für High-Profile Klienten ausgelegt und kostete ihn achthundert Dollar im Monat. Dafür könnte er sich eine neue Krawatte kaufen. Und er mochte Krawatten. Sie hatte also verdammt noch mal gut zu sein!

„Eine Partnervermittlerin steht nicht zur Debatte“, stellte er klar. „Ich möchte dich für diese Aufgabe.“

„Aber warum?“, fragte sie perplex.

Er zuckte mit den Achseln. „Du kennst meinen Terminkalender und weißt, welche Gespräche du verschieben oder ausfallen lassen kannst. Du hast den Überblick darüber, welche Frauen meinem Presse-Image guttun würden und welche nicht. Und du bist die einzige Frau, die ich kenne, die mir ihre ehrliche Meinung verrät.“ Abgesehen vielleicht von seiner Schwester. „Und das brauche ich, um eine passende Ehefrau zu finden.“

„Aha.“ Savannah sah nicht überzeugt aus. Ihr Blick glitt nachdenklich über seine Züge, so als könne sie dort seine gemeinen Hintergedanken finden.

Aber er hatte keine. Savannah nervte, ja, doch sie war klug, ehrlich und eine Frau. Sie war die perfekte Kandidatin, seine Suche zu erleichtern.

„Weißt du“, sagte sie langsam, „zumindest eigenständig in die Wüste schicken könntest du deine Dates.“

„Ja, das könnte ich“, bestätigte er. „Aber das werde ich nicht. Denn ich habe nicht die Nerven und schon gar nicht die Zeit dazu. Ich würde die armen Mädchen wahrscheinlich auch total verschrecken, sodass sie für ihr Leben gezeichnet wären und womöglich nie wieder lieben könnten. Du hingegen: Du hast Nerven aus Stahl! Du hältst sogar dieses absurde Gespräch aus – und das qualifiziert dich ungemein für den Job.“

Sie schnaubte. „Es ist kein Job! Es ist eine Zumutung!“
„Eine gutbezahlte Zumutung“, erinnerte er sie. „Also, bist du einverstanden?“

„Wieso habe ich nur das Gefühl, dass ich mit einem Ja einen Pakt mit dem Teufel eingehen würde?“

Cole lachte leise. Sie war Realistin. Das gefiel ihm.

„Ich bin nicht an deiner Seele interessiert, Savannah. Nur an deinen organisatorischen Fähigkeiten.“

Sie stand auf und strich ihren Rock glatt. „Ich überlege es mir“, sagte sie und wandte ihm den Rücken zu. „Ich habe die Ahnung, dass meine Bezahlung bis morgen noch um fünftausend Dollar ansteigen wird. Außerdem hast du in zwei Stunden einen Pressetermin mit Coach Thompson, in dem ihr über eure gemeinsamen Strategien für die kommende Saison redet. Einkäufe, Verkäufe, bla, bla.“

Gemeinsame Strategien? Cole hatte Probleme mit dem Wort gemeinsam.

Savannah stieß die Tür auf und wandte sich noch einmal zu ihm um. „Da du sicherlich Probleme mit dem Wort gemeinsam hast“, sagte sie, „will ich, dass ihr beide euch eine halbe Stunde vorher in meinem Büro einfindet, damit ihr eure Geschichten aufeinander abstimmen könnt. Und außerdem hat die Frau von der SportsIn wieder angerufen. Sie möchte unbedingt ein persönliches Interview mit dir – und ein, zwei Kinder sicherlich auch.“

Cole verzog das Gesicht. „Hast du ihr gesagt, dass …“

„… du keine Interviews gibst? Ja, habe ich. Sie war nicht glücklich.“

Na, so mochte er Reporterinnen am liebsten.

Cole verabscheute die Presse. Er war mit ihr groß, aber nie warm geworden. Und seit sie seine Schwester praktisch dazu gezwungen hatte, den Staat zu verlassen, konnte er guten Gewissens sagen, dass er jedem Menschen mit Mikrofon und Kamera aus dem Weg ging – zu dessen eigenem Schutz.

„Ach, und du hast drei Einladungen zu diversen Benefizveranstaltungen bekommen, alle von gemeinnützigen Organisationen, denen du eine Menge Geld spendest. Möchtest du hingehen?“

Als ob sie seine Antwort nicht bereits kannte. „Nein, danke.“

„Natürlich nicht, denn du spendest ja nur dein Geld, nicht etwa dein Mitgefühl.“

Genauso war es. Cole hatte es mit dem Mitgefühl versucht und dadurch fast seine Anwaltslizenz verloren. Seitdem hielt er es für klüger, sich nicht mehr persönlich mit Menschen, denen es schlechtging, zu befassen. Er konnte auch helfen, ohne dass es ihm den Schlaf raubte.

„Danke, Savannah. Auch dafür, dass du den Job annehmen wirst.“

Sie schnaubte, schüttelte den Kopf und ging aus der Tür.

Lächelnd lehnte sich Cole in seinem Stuhl zurück und verschränkte die Hände in seinem Nacken. Ja, sie würde ihm helfen. Denn Cole bekam seinen Willen. Immer. Jetzt brauchte er nur noch eine hübsche Ehefrau, die sich mit diesem Umstand abfand und seinem Image nicht schadete. Dann hätte er all die Ziele, die er sich bis zu seinem fünfunddreißigsten Geburtstag gesteckt hatte, erreicht.

Cole war nicht der Meinung, dass man verheiratet sein musste, um glücklich zu sein. Im Gegenteil: Meistens hatte eine Hochzeit eher die umgekehrte Wirkung. Aber das galt nur für die Menschen, die aus Liebe heirateten. Cole machte sich nichts vor: Er war nicht für die Liebe geschaffen. Weder seine Arbeitszeiten, noch sein möglicherweise ein wenig abgestumpftes Herz ließen das zu. Abgesehen davon, dass er nicht an die wahre Liebe, oder wie die ganzen Schmonzetten es auch bezeichnen mochten, glaubte. Liebe war nichts weiter als ein hübsches Wort, das Menschen benutzten, um ihrem Partner leichter ein schlechtes Gewissen einreden zu können. Cole glaubte an sexuelle Anziehung, er war sogar ein Fan von sexueller Anziehung – und er hatte eine Reihe an Ex-Freundinnen, die das bestätigen konnten –, aber er machte immer wieder den Fehler, sich irgendwann mit den Frauen zu unterhalten, mit denen er schlief. Und meine Güte: Es gab so viele dumme, langweilige Menschen da draußen!

Jetzt galt es nur noch, einen zu finden, der ihn nicht ständig nervte, ihm zu nah auf die Pelle rückte oder belehren wollte, sodass er den Rest seines Lebens mit diesem Menschen verbringen konnte.
Er seufzte. Er musste einfach darauf vertrauen, dass Savannah genauso eine Person fand. Irgendeine süße, weiche Frau mit guten Tischmanieren, einer annehmbaren Bildung, einem hübschen Aussehen und keinen allzu großen Erwartungen an eine Ehe. Wie schwer konnte das schon sein?

Sein Telefon klingelte und froh um die Unterbrechung seiner stressigen Gedanken, hob Cole ab.

„Panther“, meldete er sich.

„Na Cole, wie läuft die Brautschau?“

Seufzend ließ Cole sich in seinen Stuhl zurücksinken. Er hatte nur einer Person von seiner Entscheidung zu heiraten erzählt – und das war sein bester Freund. Im Nachhinein war das vielleicht nicht die schlaueste Wahl gewesen. Das hatte Cole jedoch erst bemerkt, als Logan ihn bereits ausgelacht und als trauriges Geschöpf bezeichnet hatte. Aber mit irgendwem hatte er diese wichtige Entscheidung teilen müssen und eine Person, die sich zurzeit eintausendzweihundert Kilometer entfernt in Chicago befand, war ihm naheliegend erschienen. Logan konnte ihm seine Idee nicht offensiv ausreden und außerdem nicht von der Presse in eine Falle gelockt werden. Dass Cole es seiner Familie erzählte, hatte ohnehin nie zur Debatte gestanden. Er wusste genau, wie die einzelnen Familienmitglieder auf seine Ankündigung reagiert hätten – und auf das daraus resultierende Drama konnte er verzichten.

Sein Vater würde seine Entscheidung enthusiastisch bejahen und ihm erklären, dass er sich schon vor Jahren eine Frau hätte suchen sollen, die ihn auf Geschäftsessen begleiten konnte. Seine Mutter hätte Zweifel, würde sie aber nie aussprechen und weiterhin ihren Urlaub in den Hamptons genießen, den sie seit sieben Monaten nahm. Seine Brüder würden ihm grinsend erklären, dass keine Frau bei gesundem Menschenverstand sich auf eine Ehe mit ihm einlassen würde – wo Cole ihnen leider Recht geben musste – und seine Schwester würde sich gar nicht äußern, denn sie ignorierte seine Anrufe. Aber darum würde er sich später kümmern.

„Dir auch einen guten Tag, Logan“, sagte er langsam und wechselte die Hand, in der er das Telefon hielt. „Alles okay bei dir?“

„Ich kann mich nicht beklagen“, stellte sein Freund zufrieden fest. „Das Wetter ist zwar scheiße, aber wenigstens habe ich nicht entschieden, mich für die Ewigkeit zu binden.“

„Es ist der logische nächste Schritt in meinem Leben“, erklärte Cole, wandte sich mit seinem Sessel um und musterte das leere Baseballfeld, das sich unter ihm erstreckte. Es war Anfang Januar und die Saison würde erst in ein paar Monaten beginnen.

„Weißt du, genau das ist das Problem an der Sache“, erklärte Logan. „Du stehst auf Logik – aber das Leben tut es nicht. Und die Liebe schon gar nicht.“

Cole schnaubte. Liebe, witzig. „Seit wann bist du denn Verfechter der Liebe geworden? Du kannst das Wort monogam doch noch nicht einmal buchstabieren.“

„Was hat denn Liebe mit Monogamie zu tun?“, fragte Logan irritiert. „Ich liebe eben alle Frauen und möchte keine vernachlässigen.“

Jap. Um über Beziehungen zu sprechen, war Logan der absolut richtige Gesprächspartner. Cole kannte ihn noch aus der Highschool – und schon damals hatte er seine Freundinnen wie andere Socken gewechselt. Dann hätte Cole ja auch gleich mit Jake reden können!

„Jaja, du bist der heilige Samariter, der alle verletzten Frauen vom Wegesrand aufgabelt“, sagte er trocken. „Schon verstanden. Weswegen rufst du an?“

„Weil du mir eine kryptische E-Mail geschrieben hast, in der du um sofortigen Rückruf bittest.“

Ach ja, richtig. Die ganze Frau-fürs-Leben-finden-Sache hatte Cole kurzerhand seine weiteren Pläne fürs nächste Jahr vergessen lassen. „Was machst du nächsten Frühling?“, wollte er wissen.

Für einen kurzen Moment herrschte Stille, bevor Logan verwirrt fragte: „Du bittest mich um sofortigen Rückruf, weil du zusammen mit mir Urlaub machen willst?“

Cole musste grinsen. „So gerne ich auch zweisame Stunden mit dir zusammen auf Mauritius verbringen würde, es geht um Geschäftliches. Hast du für nächsten Frühling einen Auftrag? Sagen wir von Februar bis Ende April?“

„Ich habe diverse Anfragen, aber noch nirgendwo zugesagt. Das Geschäft läuft gut. Wieso fragst du?“

„Weil das Organisations- und Clubhouse aus dem letzten Loch pfeift und ich einen guten Bauunternehmer brauche, der diesen Umstand ändert.“

„Ah, und da hast du an mich gedacht? Mir brennt das Herz. Du willst doch nur eine Ausrede, um mich endlich eine Zeit lang in Philadelphia halten zu können.“

„Jaja, ich verzehre mich nach dir“, sagte Cole trocken. „Kannst du jetzt, oder nicht?“

„Möchtest du das Haus abreißen?“

„Nein, nur grunderneuern. Einige Wände herausschlagen, vielleicht ein kleiner Anbau.“

„Schade“, sagte Logan enttäuscht. „Ich liebe es, Häuser abzureißen.“

Ja, noch mehr als Frauen. „Hör mal, ich weiß, du hattest nie vor, nach Philadelphia zurückzukehren, aber es wäre nur für ein paar Monate und du tätest mir einen riesigen Gefallen damit. Ich habe wirklich keinen Nerv, mir den Pitch von einem inkompetenten Unternehmen nach dem anderen anzuhören. Du würdest mir eine Menge Stress ersparen.“

Logan seufzte schwer. „Kommst du mir jetzt damit, dass ich dir immer noch einen Gefallen dafür schulde, dass du deinem Vater damals erzählt hast, du wärst es gewesen, der die viertausend Dollar teure Vase umgestoßen hat?“

„Oh, daran habe ich gar nicht gedacht“, sagte Cole überrascht. „Aber ja, guter Punkt.“

Logan schnaubte. „Schön. Du zahlst gut. Als ob ich da Nein sagen könnte.“

Ja, genau. Logan brauchte dringend noch ein wenig mehr Geld. Damit er sich einen dritten Indoor-Pool kaufen konnte.

„Das höre ich doch gerne.“ Eine Sorge weniger. „Also, kann ich dir einen Zeitplan, den Umriss des Gebäudes und meine ungefähren Vorstellungen zukommen lassen und du erstellst mir bis nächste Woche ein Angebot?“

„Da hat es aber jemand eilig.“

„Zeit ist Geld.“

„Nein. Geld ist Geld. Und ich will viel davon. Ich bin teuer, Cole.“

Ja, eine Gemeinsamkeit, die sie beide verband. „Schick mir einfach einen Kostenvoranschlag und ich werde ihn prüfen.“

„Alles klar. Du hast mir übrigens immer noch nicht gesagt, wie die Brautschau läuft.“

Super. Waren sie etwa wieder bei diesem Thema?

„Es verläuft schleppend“, erklärte Cole wahrheitsgemäß. „Ich habe es mir einfacher vorgestellt, die perfekte Frau zu finden.“ Sein Blick fiel auf eine kleine Gestalt, die auf den grünen Teil des Spielfelds joggte. Savannah. Sie hatte in den letzten Wochen öfter ihre Runden auf dem zurzeit unbenutzten Platz gedreht. Immer wenn sie gegen Stress ankämpfen musste. Cole ging davon aus, dass er besagter Stress war. Ein Lächeln breitete sich auf seinen Zügen aus.

„Mann, Mann, Mann“, sagte Logan auf der anderen Seite. „Du hast den Bezug zur Realität auch völlig verloren, oder? Nur weil du reich bist und die Frauen sich dir an den Hals werfen, heißt das nicht, dass du es einfacher damit hast, eine fürs Leben zu finden.“

Aber warum denn nicht?

„Es wird bald alles simpler werden“, versprach Cole. „Ich stelle eine Assistentin ein, die mein Liebesleben koordiniert.“

„Heiß.“

Mhm. War Savannah heiß? Er dachte an die Nimm mich-Schuhe, die sie andauernd trug, an die dunklen Haare und Augen. Ja, er schätzte, sie konnte mit heiß betitelt werden – solange sie ihren Mund geschlossen hielt. Aber Cole fing grundsätzlich nie etwas mit seinen Untergebenen an. Das brachte nichts als Ärger. Deswegen hatte er nie allzu viele Gedanken an das Aussehen seiner PR-Beraterin verschwendet. Bei der Vorstellung von Savannahs Gesichtsausdruck, den sie bei dem Wort Untergebenen bekommen würde, musste er lächeln.

„Jap, sie wird das Ganze für mich vereinfachen.“ Und vielleicht etwas unterhaltsamer machen.

„Bist du sicher, dass du dir da nichts vormachst?“ Logan klang nicht überzeugt. „Noch eine weitere Frau in die Gleichung zu nehmen, kommt mir nicht wie ein guter Plan vor.“

Nun, wenn er das so sagte … Cole fixierte erneut Savannah, die mittlerweile zu kleinen Sprints übergegangen war. Meine Güte, sie musste ja einen denkbar schlechten Tag haben. Jetzt fing sie auch noch an, Hampelmänner zu machen. Sein Lächeln wurde breiter. Ja, Savannah würde seine Suche definitiv amüsanter machen.

„Ich bin mir sicher“, sagte er überzeugt. „Mit ihrem Organisationstalent habe ich in wenigen Wochen die richtige Frau für mich gefunden.“

Und er betete, dass das stimmte. Er hatte seit zwei Monaten keinen Sex mehr gehabt und sich vorgenommen, dass die nächste Frau, mit der er schlief, seine zukünftige Ehefrau sein würde. Wie hatte er nur vergessen können, dass er ein ungeduldiges, kaltblütiges Arschloch war – und diese Tatsache sich ohne Sex definitiv nicht zum Besseren wenden würde?

Kapitel 3

Nachdem Savannah ihre Wut auf Cole Panther eine halbe Stunde lang mit Sprints und Muskeltraining auf dem Baseballfeld abreagiert hatte, duschte sie und ging dann zurück in ihr Büro. Jake Braker, selbsternannter Skandal-Spieler der Delphies, hatte sich zu Weihachten einen Dreier mit zwei Playmates geschenkt – und der Zeitung die dazu passenden Fotos. Das war nun schon eine Woche her, aber die Medien zerrissen sich noch immer das Maul darüber und es wurde Zeit, Gegenmaßnahmen zu ergreifen. Das verhielt sich jedoch schwierig, wenn der schuldige Spieler nicht einsah, dass sein ausschweifendes Privatleben dem Mannschaftsimage schadete.

Savannah ordnete gerade die Artikel, die in der letzten Woche über Jake veröffentlicht worden waren, als es an der Tür klopfte.

„Tritt ein, wenn du nicht Cole Panther bist“, rief sie und im nächsten Moment steckte Sam Parker, ihr PR-Kollege, den Kopf ins Büro.

„Savannah, redest du mit Jake über den Dreier?“

Savannah schnaubte. Das fehlte ihr gerade noch. „Warum ich? Rede du mit ihm!“

„Ich möchte aber nicht“, sagte er schlicht. „Ich habe schon so viel mit Jake über sein unangemessenes Sexleben geredet, dass ich mir wie sein Therapeut vorkomme. Er hat Angst vor dir, das könntest du zu deinem Vorteil nutzen. Sag ihm, er soll die Hosen anbehalten, sonst versohlst du seinen Hintern.“

„Wenn ich ihm das so sage, Sam, könnte er mich wegen sexueller Belästigung am Arbeitsplatz anzeigen.“

„Mit dem Risiko wirst du wohl leben müssen. Außerdem hat Jason Collins einen Rassismus-Vorwurf am Hals, es würde nicht schaden, wenn er demnächst mal in Ryans Armen abgelichtet wird“, fuhr Sam fort.

„Jason ist nicht rassistisch. Er ist nur ein Arsch.“

„Mir brauchst du das nicht zu sagen“, stellte Sam fest. „Sag das dem farbigen Reporter, dem Jason den Mittelfinger gezeigt und das Mikro aus der Hand geschlagen hat.“

„Schön“, seufzte Savannah und machte sich zwei Notizen auf einem Post-it Zettel. Die Liste ihrer Aufgaben wurde immer länger. Sam würde die nächsten Wochen mit den Vorbereitungen für das Trainingscamp und das Mannschaftsbowlen verbringen. Der Rest würde ihr zufallen. Sie sollte Cole absagen. Sie hatte keine Zeit, auch noch seine Probleme zu lösen.

„Gibt es sonst noch was?“

„Ja, hast du Cole schon gefragt, ob er am Mannschaftsbowlen teilnimmt? Der Herr Eigentümer sollte sich endlich mit all seinen Spielern ablichten lassen. Das würde unserer Publicity ganz guttun.“

Savannah seufzte schwer. „Ich werde fragen, aber er wird nicht zusagen.“ Denn Cole war allergisch gegen jegliche Mannschaftsaktivitäten oder einfach generell Dinge, die zu viel Spaß machen könnten.

„Tu einfach dein Bestes. Ich geh’ jetzt nach Hause und bin dann morgen den ganzen Tag nicht zu erreichen. Chloe zwingt mich dazu, mein Handy im Kühlschrank zu lassen, während wir auf Wohnungssuche gehen – sonst bricht sie in mein Büro ein und schreddert alle meine Akten. Ich glaube, sie hat es nicht ernst gemeint, aber … ich will kein Risiko eingehen.“

Chloe war Sams Freundin, die, nachdem Sam sie zehntausendmal darum gebeten hatte, endlich zugestimmt hatte, mit ihm zusammenzuziehen. Außerdem war Chloe die einzige Person, die ihn zu irgendetwas zwingen oder überreden konnte. Ihre Macht war groß.

„Du bist so ein Pantoffelheld“, meinte Savannah kopfschüttelnd.

„Na, du brauchst ja auch keine Angst zu haben. Dein Büro sieht aus, als wäre Chloe schon hier gewesen“, schnaubte Sam und wollte die Tür schon schließen, als ein zweiter Kopf im Türrahmen erschein.

„Hey, Cara“, sagte Sam, nickte Savannah zu und ließ die rothaarige Frau in Savannahs Büro, bevor er die Tür hinter ihr schloss.

„Hey“, sagte Savannah lächelnd und warf die Artikel über Jake auf ihren Tisch, der mit so viel Papierkram, Stiften und Notizzetteln überhäuft war, dass man das Holz darunter kaum noch erkennen konnte. „Ich hatte erst in ein paar Stunden mit dir gerechnet.“

Cara Turner, Catering-Beauftragte der Delphies und mittlerweile Savannahs beste Freundin, seufzte schwer und ließ sich in den Stuhl ihr gegenüber sinken. „Ich habe heute Abend einen Auftrag bei einer Charity-Gala und werde morgen damit verbringen, für Samstag zu packen, da dachte ich, hole ich mir mein Geld jetzt schon.“

Savannah nickte und kramte nach dem Scheck, der noch für die von Cara gecaterte Silvesterfeier der Delphies ausstand. „Bist du nervös?“

Cara würde Samstag für ein paar Tage zusammen mit ihrem Sohn und ihrem Ex, Tyler, Vater ihres Kindes, auf ein Familientreffen nach Florida reisen. Tyler Brady war Spieler der Delphies und Savannah kannte ihn. Sie trafen sich des Öfteren im Fitnessraum der Organisation. Wenn sie ehrlich war, dann mochte sie ihn. Er war ein netter Kerl – was jedoch nichts daran änderte, dass Cara und er leichte Kommunikationsschwierigkeiten hatten. Savannah meinte genau zu wissen, woran das lag, aber es war nicht ihre Aufgabe, ihrer Freundin die Augen zu öffnen. Noch nicht.

„Klar bin ich nervös“, meinte Cara schnaubend. „Aber Danny freut sich unglaublich und Ty und ich kommen im Moment gut zurecht, also … es wird schon schiefgehen.“ Sie kaute auf ihrer Unterlippe herum und Savannah wartete geduldig darauf, dass sie noch etwas sagte. Denn das würde sie.

„Es ist nicht wichtig, wie ich aussehe, oder?“, fragte Cara wenige Momente später.

Überrascht beugte sich Savannah in ihrem Stuhl nach vorne und betrachtete irritiert Caras Pullover und ihre ausgewaschene Jeans. „Was?“

Ihre Freundin hatte sich nie mit schicken Klamotten oder gar hohen Schuhen anfreunden können. Aber das war auch gar nicht nötig. Mit ihrem kurvigen Körper und den roten Haaren müsste Cara schon einen Kartoffelsack tragen, damit Männer sich nicht nach ihr umsahen. Sie war die Einzige, der das nicht bewusst war.

„Es ist egal, wie ich aussehe“, wiederholte Cara. „Oder?“

„Ähm … ein wenig Kontext wäre jetzt von Vorteil, denke ich.“

„Für das Familientreffen.“ Cara seufzte und strich sich fahrig ein paar rote Strähnen aus der Stirn. „Ich sollte mir nicht so einen großen Kopf darum machen, wie ich aussehe. Nur weil Ty dabei ist. Er ist mir nicht wichtig. Warum sollte ich hübsch sein wollen? Ich habe ein sehr erfolgreiches Business und ein Kind, um das ich mich kümmern muss. Es sollte mir egal sein.“

„Cara, Süße“, sagte Savannah sanft. „Du bist Mutter – nicht tot. Es ist vollkommen normal, dass du gut aussehen willst. Selbst wenn Ty dir egal ist. Ich möchte mich einmal kurz zitieren: Ein Kind zu haben, bedeutet nicht, dass du dein Privatleben aufgeben musst. Und ich sag’ dir seit Monaten, dass du anfangen solltest, dich mit Männern zu treffen. Ich spiel’ auch den Babysitter.“

„Ich kann nicht daten! Ich weiß gar nicht mehr, worüber man mit einem Mann redet.“

„Über alles, worüber du auch mit mir redest“, erklärte Savannah, auch wenn sie zugeben musste, dass es bei ihr selbst eine Ewigkeit her war, dass sie ausgegangen war. Aber sie hatte im Moment einfach keine Geduld dazu, sich auch noch einen Mann zu suchen. „Und du siehst wunderbar aus“, fügte sie nach einer kurzen Pause hinzu. „Du bist schön und erfolgreich und jeder Mann könnte glücklich sein, dich als Gesprächspartnerin zu gewinnen.“

Cara lächelte matt. „Danke. Aber mich mit Männern zu treffen, steht nicht weit oben auf meiner To-do-Liste.“

Das sollte es aber. Sie hatte die letzten sechs Jahre ein Kind großgezogen und ein erfolgreiches Business aufgebaut. Sie verdiente einen liebevollen Mann, der sie liebte und auf Händen trug.

„Ich sag’ dir was.“ Savannah faltete ihre Hände auf dem Tisch und sah sie ernst an. „Mit einem Mann auszugehen, wird dein nachträglicher Jahresvorsatz. Silvester liegt noch nicht weit zurück“, schlug Savannah vor und überreichte Cara den Umschlag mit dem Scheck.

Cara verzog das Gesicht und entzog ihr das Papier. „Ich überlege mir das mit dem Mann“, sagte sie und wiegte ihren Kopf von der einen Seite zur anderen.

„Nicht überlegen, machen“, orderte Savannah. „Wenn du anfängst nachzudenken, ist alles verloren.“

„Ich kann das Nachdenken nicht einfach so abschalten.“

„Dafür hat der liebe Gott den Alkohol erfunden“, belehrte Savannah sie. „Für uns arme, intellektuelle Frauen, die nicht aufhören können, jedes Wort auf die Goldwaage zu legen.“

Cara verdrehte die Augen, lachte aber.

„Schön. Wenn ich nach dem Familienurlaub des Grauens meinen Vorsatz angehen soll, dann musst du aber auch deinen angehen.“ Herausfordernd hob sie die Augenbrauen in Savannahs Richtung. „Ich weiß, dass du einen hast, auch wenn du mir nicht verraten willst, welcher das ist. Du wolltest den geheimnisvollen Grund, warum du nach Philadelphia gezogen bist, aus dem Weg schaffen. Wieso genau bist du eigentlich hergekommen?“

Savannah öffnete den Mund und schloss ihn wieder. Sie sog ihre Unterlippe ein, spuckte sie wieder aus und seufzte schließlich tief.

Sie hatte niemandem erzählt, weshalb sie eigentlich nach Philadelphia gezogen war. Entgegen der Annahme aller hatte sie Boston nicht des Jobs wegen verlassen. Nein, sie hatte einen Plan gehabt – und seine Umsetzung immer wieder vor sich hergeschoben.

„Ich denke drüber nach“, murmelte sie schließlich. So, wie sie das vergangene Jahr über darüber nachgedacht hatte.

„Über was denkst du nach? Was ist es, das du hier unbedingt tun musst?“

„Ich erzähle es dir ein anderes Mal“, versprach Savannah und spürte, wie ihr das Blut ins Gesicht floss.

Cara sah sie mitfühlend an, kam um den Schreibtisch herum und umarmte sie fest.

„Jeder hat sein Päckchen zu tragen“, murmelte sie. „Und Freunde sind dafür da, die Last zu erleichtern.“

„Ich weiß.“

„Nein, das weißt du nicht“, meinte Cara, löste sich von ihr und sah sie ernst an. „Du redest nicht über deine Probleme. Mit niemandem, nicht einmal mit mir. Aber du kannst es lernen.“

Savannah lachte, auch wenn ihr nicht danach zumute war.

„Deal. Ich lerne, anderen zu vertrauen und du verträgst dich mit Ty und gehst auf ein Date, sobald du aus dem Urlaub zurück bist.“

Cara verzog das Gesicht. „Das ist ein Scheiß-Deal. Du führst wirklich eine harte Verhandlung.“

Ja, Savannah hatte bei dem Besten gelernt.

„Wir können die Einzelheiten der Abmachung ja Samstag früh erörtern“, meinte sie lächelnd. „Das Pfannkuchenfrühstück steht noch?“

Cara nickte. „Ja. Aber ich werde nichts unterschreiben!“

Das würden sie dann ja sehen.

 

Savannahs Wohnung lag keine drei Straßen vom Stadion entfernt. Und dennoch war der Weg zu lang, um ihn in Zwölf- Zentimeter-High Heels zurückzulegen, weswegen sie meistens ein zweites Paar Schuhe mit sich trug. Der Himmel war bereits tiefschwarz und nur mit vereinzelten Sternen gespickt, als sie endlich ihre Handtasche nahm und das Büro verließ. Sie war zumeist die Letzte, die ging. Mit Ausnahme vielleicht von Cole. Savannah fand nicht, dass sie das zu einem Workaholic machte. Sie hatte schlichtweg nichts Besseres zu tun. Sie hatte kein aufregendes Hobby – und wer hatte bitte die Zeit dafür? –, sie hatte keinen Freund, keine Kinder und kein Haustier. Stattdessen hatte sie eine unnormal große Sammlung an Teesorten, ein Miniaturhaus aus Q-tips und ein Faible für kitschige Liebesfilme. Das mochte sich traurig anhören, aber sie war nicht unglücklich. Sie schätzte ihr stetes und sicheres Leben. Denn sie wusste aus Erfahrung, dass nicht jedem dieses Glück vergönnt war. Wollte sie gerne heiraten und Kinder bekommen? Vielleicht. Hielt sie es für wahrscheinlich, dass sie sich verliebte und mit ihrem Prinzen in den Sonnenuntergang ritt? Nein.

Savannah glaubte an die Liebe. Sie war davon überzeugt, dass es Menschen gab, die füreinander geschaffen waren. Aber es fiel ihr schwer, das für sich selbst zu sehen. Sie trug zu viele Altlasten mit sich herum. Sie war eine menschliche Mülldeponie und ziemlich sicher, dass sie nicht dazu in der Lage war, ehrlich und tief zu lieben. Denn es hatte ihr nie jemand beigebracht und sie wusste nicht, wo und wie sie es lernen konnte.

Etwas außer Atem erreichte sie ihren Apartmentblock und, während sie mit der einen Hand die Haustür aufschloss, trug sie in der anderen die High Heels, die sie partout nicht in ihre Handtasche hatte stopfen können, ohne zu riskieren, das Display ihres Handys zu zerstören.

Savannah wohnte im ersten Stock, und als sie schließlich den Flur zu ihrer Wohnung betrat, stand da eine kleine, etwas verloren wirkende Gestalt vor ihrer Tür. Savannahs Herz wurde schwer. Mrs. Bernard war dement und eigentlich kümmerte sich eine Vollzeitpflegekraft um sie, weil sie sich partout weigerte, ins Heim zu gehen. Doch die Pflegekraft war bemerkenswert unaufmerksam und die alte Dame schaffte es immer wieder, sich aus der Wohnung zu stehlen – nur um dann zu vergessen, was sie hatte tun wollen oder wo ihr Zuhause war.

Savannah setzte ein Lächeln auf und hob die Hand zum Gruß, als die grauhaarige Frau, deren Gesicht mehr Linien zeichneten als ein kariertes Blatt, zu ihr aufblickte.

„Oh, Miss Gordon“, grüßte sie Savannah freudig.

Savannah gab sich nicht die Mühe, die alte Dame zu korrigieren. Sie würde ihren richtigen Nachnamen ja doch wieder vergessen. „Hallo, Mrs. Bernard. Na, haben Sie einen kleinen Spaziergang unternommen?“

Die Frau nickte. „Ja, aber jetzt passt der Schlüssel nicht mehr in meine Wohnungstür“, sagte sie sichtlich verwirrt und deutete auf den Eingang vor sich. „Seit fast fünfzig Jahren wohne ich hier und das ist mir noch nie passiert.“

„Es tut mir leid, Mrs. Bernard, aber das hier ist meine Wohnung. Ihre ist die gegenüber, erinnern Sie sich?“ Savannah ließ ihre Tasche und Schuhe auf den Boden sinken, legte einen Arm um ihre Nachbarin und drehte sie zu ihrer eigenen Wohnungstür. „Sie wohnen in der Nummer 18.“

„Oh, mein Sohn hat am 18. Juli Geburtstag. Er ist ein stattlicher Mann, kennen Sie ihn?“

„Ja, ich bin ihm bereits begegnet.“ Savannah lächelte und klingelte bei Mrs. Bernard an der Tür. Die Pflegerin würde wohl noch drinnen sein.

„Er ist Anwalt“, sagte Mrs. Bernard stolz. „Genauso wie mein Enkel. Sie sind wirklich wunderbar. Vergessen nie meinen Geburtstag.“

Anwalt. Was hatten denn alle Leute nur immer mit Anwälten? So besonders waren die nun echt nicht. Cole war schließlich auch einer.

„Sie haben wirklich eine tolle Familie“, bestätigte Savannah und nahm Schritte hinter der Tür wahr.

„Ja.“ Mrs. Bernard lächelte so glücklich zu ihr hinauf, dass ein Fremder nie damit gerechnet hätte, dass sie ab und an die Kloschüssel mit dem Wäschekorb verwechselte und ihre dreckigen Unterhosen in die Kanalisation spülte.

„Familie ist das Wichtigste, finden Sie nicht auch?“, fragte sie. „Wenn man von Menschen umgeben ist, die einen lieben, kann man nicht viel falsch machen. Als ich meinen Harry kennengelernt habe, habe ich meinen Eltern noch am selben Tag erzählt, dass ich den Mann fürs Leben gefunden habe. Wir waren Tretboot fahren, als er mir den Antrag gemacht hat, und ich Tollpatsch habe meinen Ring ins Wasser fallen lassen. Aber Harry hat es sich nicht nehmen lassen, ihm sofort hinterherzuspringen. Echte Männer machen sich für die Frau, die sie lieben, nämlich nass!“

Savannahs Mundwinkel zuckten und sie war froh, dass in diesem Moment die Tür aufging. Sie war sich nicht sicher, ob sie einen Mann haben wollte, der sich nass machte.

„Mrs. Bernard, wie sind Sie denn wieder entwischt?“, fragte die verdutzte Pflegerin, sobald sie die Situation erfasst hatte. „Danke sehr, Miss Thomas. Ich weiß nicht, was ich ohne Sie machen würde.“

„Kein Problem“, meinte Savannah kopfschüttelnd.

Mrs. Bernard interessierte sich nicht für die Konversation. Stattdessen sah sie Savannah interessiert an. „Sind Sie verheiratet?“

Jeden Tag dieselbe deprimierende Frage. „Nein, Mrs. Bernard“, gab Savannah zu. „Bin ich nicht.“

„Mhm.“ Die alte Dame betrachtete sie unzufrieden. „Sie sind hübsch genug. Sie sollten sich einen Mann angeln. Und wenn Sie ihn gefunden haben, sagen Sie frühzeitig Ihren Eltern Bescheid, damit Sie nicht aus allen Wolken fallen. Meine waren trotz Vorwarnung überrascht.“

Das war nichts, womit sich Savannah würde herumschlagen müssen.

„Das werde ich tun“, sagte sie dennoch, bevor sie Mrs. Bernard in die Obhut ihrer Pflegerin gab und sich zu ihrer eigenen Haustür umwandte.

Seufzend schulterte sie ihre Tasche, klaubte die Schuhe vom Boden und öffnete ihre Wohnung. Savannah verdiente genug Geld, um sich ein größeres Apartment leisten zu können. Aber mehr Platz würde nur bedeuten, dass sie sich noch einsamer fühlte. Und wer brauchte das?

Sie hatte eine gemütliche Wohnküche, ein geräumiges Schlafzimmer und ein Badezimmer, das beides, Dusche und Badewanne, beherbergte. Das war mehr als genug und immer noch bei Weitem größer als viele der Wohnungen, die sie sich beizeiten mit vier Pflegegeschwistern geteilt hatte.

Savannah hängte ihre Jacke an die Garderobe, die eine Ecke des Wohnbereichs zierte, stellte ihre Schuhe darunter und lief in die Küche, um sich eine ihrer vierunddreißig Teesorten auszusuchen. Cara hatte einmal bemerkt, dass sie sich kleidete wie ein Supermodel, aber lebte wie ein altes Hausmütterchen. Vielleicht war da etwas Wahres dran. Aber Savannahs Äußeres diente nun einmal einem größeren Zweck – es verlangte nach Autorität, Respekt und Distanz – während ihre Wohnung nur dafür diente, sich wohlzufühlen. Wenn sie freie Wahl hätte, würde sie weder Bleistiftrock noch High Heels tragen. Aber die Gesellschaft ließ ihr keine Wahl. Sie war eine Geschäftsfrau und die hatten sich nun einmal zu kleiden, wie sie es tat und zu verhalten, wie es die Branche verlangte, sonst würde sie von der Welt verschluckt und wieder ausgespuckt werden.

Routiniert stellte sie den Wasserkocher an, bevor sie in ihr Schlafzimmer ging, um ihren Arbeitsdress durch Jogginghose und weites T-Shirt zu ersetzen. Während ihr Tee zog, stellte sie den Rest Chinanudeln von gestern in die Mikrowelle und schaltete den Fernseher an. Ihr Blick fiel auf das Haus aus Q-tips, das sie danebengestellt hatte. Stöhnend legte sie den Kopf in den Nacken. Okay, das war vielleicht doch eine Art Armutsbescheinigung und zum ersten Mal seit langem hatte Savannah das Bedürfnis, nicht alleine zu sein. Sie hatte nicht viele Freunde. Sie hatte Arbeitskollegen, mehrere lockere Bekannte, zwei gute Freundinnen, die sie noch aus Boston kannte und mit denen sie allwöchentlich schrieb oder telefonierte, und Cara. Die Köchin schien auf wundersame Weise immer zu wissen, was Savannah gerade beschäftigte. Vielleicht war das der Grund, warum sie innerhalb des letzten Jahres zu ihrer besten Freundin geworden war. Das und die Tatsache, dass Savannah ein Stück von sich selbst in ihr gesehen hatte. Ein Stück von ihrer Unsicherheit, ein Stück von ihrer erzwungenen Selbstständigkeit und ein Stück von ihrer zeitweiligen Einsamkeit. Aber Cara konnte sie nicht anrufen, weil die ja das Essen für irgendeine Charity Gala vorbereitete.

Normalerweise machte es Savannah nichts aus, nur eine Handvoll Menschen zu haben, denen sie vertraute oder von ihrem Leben erzählte. Sie behielt ihre Vergangenheit ohnehin lieber für sich. Das war kein Thema, das man schnell mal mit einer Flasche Wein auf dem Tisch erörterte. Aber heute …

Familie ist das Wichtigste, finden Sie nicht auch?

Die Mikrowelle gab einen hellen Ton von sich und Savannah zuckte zusammen. Über sich selbst den Kopf schüttelnd, warf sie den Teebeutel in den Mülleimer und holte das heiße Essen aus dem Gerät, um sich damit auf die Couch zu fläzen.

Vielleicht wurde es Zeit, überlegte sie. Cara hatte vollkommen recht. Sie war nicht aus einer Laune heraus nach Philadelphia gezogen. Sie hatte einen Plan verfolgt, den sie sich bis heute noch nicht getraut hatte umzusetzen.

Seit fast zwei Jahren lebte sie jetzt hier … und seit fast zwei Jahren rannte sie vor der Wahrheit davon. Sie hatte Angst. So unglaubliche Angst, dass sie nachts schweißgebadet aufwachte und nicht mehr einschlafen konnte. Es war leicht, nach außen hin stark zu sein, das hatte sie über die letzten einunddreißig Jahre hinweg perfektioniert. Es war schwerer, sich seine Schwächen einzugestehen. Alles, was Savannah sich in ihrem Leben gewünscht hatte, war ein Zuhause. Und sie war nach Philadelphia gezogen, um es zu finden – nur bis jetzt zu feige gewesen, es zu suchen.

Aber sie trat auf der Stelle, seit Jahren schon. Sie musste wissen, wo sie herkam, um zu lernen, wo sie hinwollte – und wie es der Zufall so wollte, hatte sie schon monatelang darüber nachgedacht, Cole um Hilfe zu bitten. Und jetzt endlich hatte sie ihn in einer Position, in der er ihrer Bitte ohne weitere Nachfrage nachkommen würde.

Sie steckte ihre Gabel in die Chinanudeln und nahm einen Bissen.

Sie würde ihm dabei helfen, seine perfekte Frau zu finden – und er würde ihr dabei helfen, ihre Familie zu finden. Sie hoffte nur, dass sie eine hatte.

***

Manchmal wünschte sich Cole, einfach keine Familie zu haben. In letzter Zeit häufiger als manchmal. Man durfte ihn nicht falsch verstehen, er liebte seine Familie, auch wenn jedes Mitglied auf seine eigene Art eine Herausforderung war, die Cole am liebsten nicht bezwingen würde. Aber als der Älteste von Vieren, fühlte er sich für diverse Dinge verantwortlich. Vielleicht hatte das damit zu tun, dass er schon immer derjenige gewesen war, der wusste, wie man am besten mit ihrem strengen und unterkühlten Vater umging. Vielleicht, weil es schon immer seine Aufgabe gewesen war, auf seine Geschwister achtzugeben, wann immer es seine Eltern versäumt hatten. Er wusste es nicht – aber es war erschöpfend. Doch er war unfähig, dieses Verantwortungsgefühl abzuschütteln und bei Gott, er hatte es versucht. Aber wenn er es nicht tat … dann würde es niemand anderes tun.

Wenn er seinen jüngsten Bruder Callum nicht daran erinnerte, ab und an seine Wohnung zu verlassen und seinen Algorithmus oder seine Drohne, oder woran immer er auch gerade arbeitete, stehen zu lassen, dann wäre der wahrscheinlich längst verhungert und unfähig, eine vernünftige Unterhaltung zu führen. Wenn er Cooper, den mittleren Bruder, nicht alle paar Wochen zu einem Treffen zwingen würde, wer würde dann sichergehen, dass er sich nicht bei einem seiner Fallschirmsprünge oder Flugmanöver umbringen würde? Und wenn er Callie, Coopers Zwillings- und Coles einzige Schwester, nicht dazu brachte, endlich nach Hause zu kommen … wer würde dann dafür sorgen, dass es ihr gut ging?

Also ja, er liebte seine Familie. Aber sie war verdammt noch mal anstrengend. Denn Cole war mittlerweile ein gewisses Maß an Respekt gewohnt … was seinen Brüdern scheißegal war.

„Na, Cole, hast du was Schlechtes gegessen oder warum ziehst du schon wieder ein Gesicht, als hätte jemand in dein Sushi gespuckt?“

„Halt die Klappe, Coop, und lass mich rein. Ist Cal schon da?“

Cooper grinste, nickte und trat beiseite. „So kennen und lieben wir unseren Cole – ein Sonnenschein, der den Raum erhellt.“

„Ist Cole da und verbreitet wieder schlechte Laune?“, kam eine Stimme aus Coops Wohnzimmer. „Und dafür habe ich mein Projekt, das das Leben Hunderter verschönern wird, alleingelassen?“

„Wenn du das Leben der Menschen verschönern willst, zieh dir einfach einen Sack über den Kopf, Cal“, schlug Coop schnaubend vor und schloss die Tür hinter seinem Bruder.

„Wir haben dasselbe Gesicht, Süßer, also hör auf, dich selbst zu beleidigen!“, kam es zurück.

„Können wir uns einfach darauf einigen, dass ich der Schönste von uns bin?“, schlug Cole vor. „Und ich hoffe, du hast Bier da, ich brauche was zu trinken.“

Coop sah ihn mitleidig an und klopfte ihm auf die Schulter. „Du warst der erste Pfannkuchen, Cole. Jeder weiß, dass der erste Pfannkuchen der Hässlichste ist. Und deswegen hast du das Bier nötiger als wir alle.“

Er verschwand in der Küche zu seiner Linken, während Cole sich nach rechts wandte, um den letzten Pfannkuchen zu begrüßen.

Insgeheim musste er Callum recht geben. Blaue Augen und schwarze Haare waren nun einmal das Panther-Familienerbe, um das niemand herumgekommen war. Sie drei sahen sich so ähnlich, dass es sinnlos war, ihr Aussehen gegenseitig zu beleidigen – was sie alle nicht davon abhielt, es dennoch zu tun.

Callum saß mit einem Bier in der Hand auf der breiten Ledercouch in Coopers geräumigen Wohnzimmer und stand grinsend auf, als er Cole erblickte. Er trug ein T-Shirt mit einem Ladebalken darauf und schob sich seine Brille höher auf die Nase, bevor er Cole eine brüderliche Umarmung und einen heftigen Schlag auf den Rücken gab.

„Du siehst wirklich gestresst aus“, stellte er fröhlich fest. „Hängt Dad immer noch bei dir auf der Arbeit rum und kontrolliert jeden deiner Schritte?“

Ja, aber deswegen war er nicht gestresst. „Mit Dad komm’ ich klar, aber danke fürs warme Hallo“, meinte Cole, zog sich seine Anzugjacke aus, warf sie über die Lehne und ließ sich neben seinen Bruder in das Polster sinken. „Du siehst aus, als hättest du die letzten drei Nächte nicht geschlafen.“

„Nun, das habe ich ja auch nicht“, sagte Cal und prostete ihm zu. „Und natürlich kommst du mit Dad klar. Du bist ja auch sein goldener Junge … bis auf den einen Ausrutscher, über den wir uns übrigens alle in dieser Familie gefreut haben.“ Er tätschelte Cole die Schulter. „Hat dich ein bisschen menschlicher gemacht. Wir hatten zwischendurch Angst, dass du deine Seele dem Teufel verkauft hast.“

Ja, sein kleiner Ausrutscher riesigen Ausmaßes, wie Callum nur zu genau wusste. Aber mehr Mitgefühl als den Schultertätschler würde Cole von Cal nicht bekommen – Gott sei Dank.

„Meiner Seele geht es gut, danke“, murmelte Cole und nahm das Bier entgegen, das der gerade hereingekommene Coop ihm reichte.

„Reden wir über Coles legendären Ausraster?“, wollte er neugierig wissen und nahm im Sessel ihnen gegenüber Platz. „Der ist doch ein alter Hase. Fast anderthalb Jahre her, oder nicht? Wir sollten lieber über die neuesten Entwicklungen in Coles Leben reden …“ Coops Grinsen wurde breiter und Cole wurde unwohl zumute. Er konnte doch nicht …

„Was für neue Entwicklungen?“, wollte Callum verwirrt wissen. „Ich dachte, wir beide hätten uns letztens noch darauf geeinigt, dass Coles Leben langweilig ist?“

„Das wird sich möglicherweise bald ändern“, versprach Coop und legte eine Hand auf seine Brust. „Denn unser süßer Cole hat vor zu heiraten!“

Ach du Scheiße.

„Was? Wen?“, fragte Cal verdattert. „Welche Frau wäre lebensmüde genug?“

Stöhnend legte Cole seinen Kopf über die Lehne und schloss die Augen. Alles, was jetzt noch kam, würde er nicht mitansehen wollen. Um das Hören würde er wohl nicht herumkommen.

„Oh, er hat noch keine Frau. Aber er hat vor, sie in den nächsten drei Monaten zu finden“, erklärte Coop neunmalklug. „Er hat sich auf einer Elite-Dating-Seite angemeldet und alles.“

Cal brach in Gelächter aus „Ist das dein Ernst, Cole?“

„Woher zum Teufel weißt du das überhaupt?“, fragte Cole und richtete sich auf. Wo war sein Bier?

„Von Callie“, erklärte sein Bruder grinsend. „Ich soll dir von ihr ausrichten, dass sie gerne Fotos von deinen Bewerberinnen hätte. Ich übrigens auch.“

„Du hast Kontakt zu Callie?“, fragte Cole fassungslos. Er versuchte seit Wochen, sie zu erreichen! Erfolglos.

„Natürlich habe ich Kontakt zu ihr. Was für ein schlechter Bruder wäre ich, wenn es anders wäre?“, fragte er scheinheilig.

Cole schnaubte und leerte sein Bier in drei Zügen. Es war so klar: Wenn irgendjemand wusste, wie es Callie ging oder was sie tat, dann war es Coop. Er beteuerte immer noch, dass Zwillinge übersinnliche Fähigkeiten hatten und er spürte, wenn es ihr schlecht ging.

„Aber woher weiß sie es?“, fragte er weiter. Mit dem Callie-Problem würde er sich nachher beschäftigen. „Ich habe es nur einer Person erzählt!“

Cooper winkte ab. „Sie hat es von Logan. Hat ihn wegen irgendeiner rechtlichen Frage angerufen, keine Ahnung, auf jeden Fall –“

„Sie hat Logan wegen einer rechtlichen Frage angerufen?“, explodierte Cole und knallte seine Bierflasche auf den Tisch. „Der Clown hat drei Semester Jura studiert, bevor er alles hingeschmissen hat, um im Dreck zu spielen! Ich bin verdammter Anwalt! Warum kommt sie nicht zu mir?“

Coop verzog das Gesicht. „Sie will nicht mit dir reden, weil sie der Überzeugung ist, dass Dad dich auf sie angesetzt hat – bin ich übrigens auch. Akzeptier es einfach, Cole. Sie will deine Hilfe nicht. Sie will es allein schaffen. Aber ihr geht es gut und sie hat dich trotzdem lieb, wenn dir das hilft.“

Nein, verdammt, tat es nicht! Ja, ihr Vater hatte mehrfach angedeutet, dass er Callie gerne zurück in Philadelphia wissen würde. Aber das war nicht der Grund, warum Cole sie hier haben wollte. So wie es für ihn Zeit wurde, zu heiraten, war es für sie Zeit, ihre Vergangenheit zu vergessen und nach Hause zurückzukehren.

„Sie ist so ein Dickkopf“, murmelte er kopfschüttelnd.

„Na, von wem hat sie sich das bloß abgeguckt?“, überlegte Cal gespielt nachdenklich. „Und könnten wir jetzt noch einmal zu der Tatsache zurückkehren, dass du dich ewig binden und dein Leben wegschmeißen willst?“

„Nein, können wir nicht“, sagte Cole abgehackt. „Mein Liebesleben geht euch nichts an.“

Schnaubend erhob sich Cooper und nahm Coles leeres Bier vom Tisch. „Liebesleben! Als ob eine Hochzeit, in der du der Bräutigam bist, irgendetwas mit Liebe zu tun hätte. Sag mir nur, dass du es nicht für Dad tust, der Rest ist mir egal.“

Ungläubig sah Cole ihn an. „Glaubst du ernsthaft, ich würde heiraten, nur damit Dad zufrieden ist?“

„Ja“, sagte Coop, ohne mit der Wimper zu zucken. „Du bist nicht umsonst sein goldener Junge.“

Ja, es hatte seinen Grund, warum Cole seinem Vater eine Menge recht machte. Aber der war nicht, dass er ihn beeindrucken oder die Worte Ich bin stolz auf dich hören wollte. Er wusste schon seit Jahrzehnten, dass das unmöglich war. Nein, er war der goldene Junge, weil einer diese Rolle hatte übernehmen müssen – damit Clint Panther von seinen anderen Kindern abließ. Damit Coop, Callie und Cal machen konnten, was sie wollten, denn Cole war ja da, um den Rest abzufangen. Aber er würde sich hüten, seinen Geschwistern genau das zu sagen. Er hatte seinen Weg vor langer Zeit gewählt und keine Sekunde lang bereut. Er war zufrieden mit seinem Leben. Er liebte seinen Job, er liebte die Herausforderung. Es war alles so, wie es sein sollte.

„Ich will heiraten, weil ich lange genug meinen Spaß hatte und es Zeit wird, sesshaft zu werden.“

Cooper hob eine Augenbraue und schüttelte den Kopf. „Na, das ist natürlich der viel bessere Grund. Wenn es Zeit wird“, murmelte er und verließ das Wohnzimmer, wahrscheinlich, um Cole noch ein Bier zu holen.

Cole sah ihm nach, bevor er den Blick senkte. Er wusste, dass Cooper nur das Beste für ihn wollte und er nach dem Motto Morgen könnten wir alle tot sein lebte und das aus gutem Grund. Cooper würde wohl nur heiraten, wenn er damit den Weltfrieden herbeiführen könnte – und selbst dann würde er es nur sehr ungerne tun. Aber Cole war schlichtweg anders gepolt.

Seufzend fuhr er sich durch die Haare, bevor er mit der Faust über seine Stirn rieb.

„Möchtest du noch irgendetwas loswerden?“, fragte er dann an Cal gewandt.

Callum schüttelte den Kopf und ausnahmsweise wurde sein Gesicht mal ernst. „Coop weiß, dass du uns Dad vom Hals hältst“, murmelte er. „Er weiß es. Aber Davids Todestag rückt näher und er braucht Callie, um damit umzugehen … was er ihr natürlich nicht sagt, weil es ihr gerade so gut geht. Und da ist es einfacher für ihn, ein Arsch zu sein.“

Cole starrte seinen Bruder an und nickte langsam. Dafür, dass Cal mehr Zeit mit Computern und Technik als mit Menschen verbrachte, hatte er verdammt noch mal gruselig akkurate Einsichten in die menschliche Psyche.

„Also“, schloss Cal. „Wenn du heiraten möchtest …“ Er stieß zischend Luft aus. „Dann heirate, Alter.“

Wieder nickte Cole – als hätte er sich das ausreden lassen – bevor er nachdenklich wissen wollte: „Callum, weißt du, wo Callie wohnt?“

„Keine Ahnung. Irgendwo an der Westküste. Sie gibt ihre Adresse nicht raus.“

Richtig …

„Mhm.“ Cole blickte auf. „Hast du nicht gerade eine Drohne an der Westküste?“

Callum legte laut lachend den Kopf in den Nacken. „Du willst Callie eine Drohne auf den Hals hetzen?“

Wenn er musste, ja.

„Du weißt genauso gut wie ich, dass es Zeit für sie wird, nach Hause zu kommen. Sie läuft seit mehr als zehn Jahren weg und am anderen Ende Amerikas können wir ihr nicht helfen. Außerdem ist sie die Einzige, die Coop davon abhalten kann, sich irgendwann doch noch aus Versehen umzubringen.“

Callum seufzte, zog sich die Brille von der Nase und putzte sie mit Hilfe seines T-Shirt Saums.

„Cole, ich bin voll auf deiner Seite. Aber sie wird nicht zurückkommen, nur weil wir es ihr befehlen. Es muss ihre Entscheidung sein.“

Cole schloss die Augen. Er wusste, dass Cal recht hatte. Aber … was, wenn sie die falsche traf?