Kapitel 1
Tammi
„Willst du mir nicht endlich sagen, wohin es geht?“ Die Augenbinde, die Jordan mir bei der Abfahrt in St. Augustin anlegte, reibt mir an den Lidern. Gefühlt sind wir bereits seit 100 Stunden in seinem nach Pfirsich duftenden, schwarzen Sportwagen unterwegs.
„Du bist nerviger als ein Kleinkind“, spöttelt er.
Jordan und ich sind Mitbewohner, beste Freunde und ab und zu geht er mir gelinde gesagt auf meinen nicht vorhandenen Sack.
„Da wir gerade dabei sind … hier drin stinkt es. Dieses Autodeodorant – oder was immer es sein soll – klebt an meinen Nasenwänden und zerfrisst sie mir ganz langsam und schmerzhaft“, beschwere ich mich.
Jordan atmet hörbar aus. Das tut er immer, wenn ihm etwas gegen den Strich geht. Dass ich das im Augenblick bin, weiß ich, aber hätte er mir gesagt, wohin wir fahren, wie lange wir bleiben, warum er mich überhaupt mitschleift und wieso er aus dem Ganzen so ein Geheimnis macht, wäre ich jetzt nicht so angefressen.
Jordan kennt mich besser als jeder andere Mensch und weiß, wie sehr ich das Konstante liebe. Ich brauche meine gewohnte Umgebung, mein Bett, mein Klo und vor allem meine Ruhe. Er hingegen ist ein echter Luftikus, lebt gern in den Tag hinein und hat ständig wechselnde Bekanntschaften, die sich auf ganz Florida verteilen. Zudem ist er durch seinen Job viel unterwegs.
Als ich spüre, dass Jordan die Geschwindigkeit verringert, und höre, wie er den Blinker setzt, hoffe ich auf eine baldige Ankunft. Wo auch immer das sein wird.
„Es sind nur noch ein paar Meilen, dann sind wir da“, teilt er mir mit, ohne auf meine Befindlichkeiten zu reagieren.
„Warum muss ich diese dumme Augenbinde tragen?“
Jordan räuspert sich. „Weil ich dich überraschen will.“
„Du weißt, wie sehr ich Überraschungen hasse.“
Er antwortet mir nicht mehr, sondern dreht das Radio auf eine für mich kaum noch erträgliche Lautstärke.
Fein, dann reden wir eben nicht! Ich lehne mich zurück und harre der Dinge, die da auf mich zukommen.
Als der Wagen zum Stehen kommt, reiße ich mir das grässliche Stück Stoff sofort vom Kopf und muss mehrmals die Augen zusammenkneifen, ehe ich wieder eine klare Sicht bekomme. „Wo sind wir?“, frage ich und sondiere die Umgebung.
„Miami, Babe, wir sind in Miami.“ Jordan reibt sich die Hände und grinst mich schief an.
„Und was machen wir in Miami?“, will ich wissen, während ich das kleine Hotel, das sich direkt vor uns befindet, in Augenschein nehme. Es sieht eher nach familiärer Mittelklasse aus als nach einem Designerkomplex. Diese Art von Etablissement ist normalerweise nichts für meinen Mitbewohner.
„Ich habe nicht weit von hier einen Job, und du jammerst mir seit Wochen etwas von einer Schreibblockade vor, daher dachte ich mir, ein Tapetenwechsel würde dir guttun.“
Jordan mauserte sich in den letzten zwei Jahren von einem jungen Mann mit unerfüllbaren Träumen und Visionen durch harte Arbeit und Disziplin zu einem der angesagtesten Fitnesstrainer von Floridas High Society.
Er spezialisierte sich auf „After Baby Bodys“. Wenn ich also richtig kombiniere, hat er einen Job bei einer bekannten oder reichen Persönlichkeit, die sich wieder in Form bringen will. Ob diese Art von Frauen noch im Kreißsaal nach dem Telefon greift und ihn anruft? Ich vermute es ganz stark.
Wer das wohl sein mag? Jordan schweigt sich über seine Kundschaft leider aus wie ein Grab. Wieso nur lese ich keine Klatschblätter? Dann könnte ich es mir wenigstens zusammenreimen.
„Das heißt, wir sind hier … für wie lange?“ Panik überkommt mich. Ich hasse es, so weit weg von zu Hause zu sein.
„Wird sich zeigen“, antwortet er, legt die rechte Hand auf meine Schulter und deutet mit der linken an mir vorbei. „Ich hab extra für dich etwas Heimeliges gebucht. Normalerweise würde ich hier nicht absteigen.“
Ja, das bemerkte ich bereits. „Das ist ja alles total lieb von dir, aber wie kommst du darauf, ich könnte hier in Ruhe arbeiten?“
Jordan wirft mir einen mürrischen Blick zu. „Tammi, nun hör mal, du willst doch endlich was erreichen, oder sehe ich das falsch? Also dachte ich, es ist das Beste, wenn du deine Komfortzone verlässt, neue Eindrücke sammelst und keine Ahnung … deiner Inspiration freien Lauf lässt.“
„Hier?“
Jordan ist wirklich ein lustiger Kauz und neuerdings hält er sich wohl auch noch für einen Coach für blockierte Autoren, oder wie? Ich arbeite an meinem Lebenstraum mindestens genauso hart wie er an seinem. Nur erreichte ich bisher nicht annähernd so viel wie er.
Es war schon immer mein Traum zu schreiben, und als sich die große Welt des Self-Publishings vor mir auftat, kündigte ich meinen Job bei St. Augustins Tageszeitung und verfasste innerhalb eines halben Jahres meinen ersten Liebesroman.
Die Anspannung, die ich damals in mir spürte, als ich auf den Veröffentlichungs-Button beim größten Online-Versandhändler drückte, kann ich bis heute nicht richtig beschreiben. Ich glaube, das war der Zeitpunkt, an dem ich das erste Mal merkte, wozu ich mich wirklich berufen fühle und was mich ausfüllt. Das Schreiben!
Nach wenigen Tagen zeichneten sich sogar erste Erfolge ab, und mein Debütroman verkaufte sich insgesamt rund 5.000 Mal. Das ist sicher weit von einem Bestseller entfernt, aber es bestätigte mich in meinem Vorhaben, mich von nun an auf meine liebste Tätigkeit zu konzentrieren.
So locker-leicht mir meine erste Geschichte von der Hand ging, so sehr stockt nun mein aktuelles Projekt – leider –, und ich kann noch nicht einmal sagen, warum das so ist. Ideen habe ich unendlich viele und fast täglich kommen neue hinzu, doch ich kann sie aus einem mir unerfindlichen Grund nicht umsetzen.
„Natürlich hier. In deinen miefigen vier Wänden, in denen du kaum lüftest, wirst du es nie schaffen, endlich weiter zu schreiben.“ Jordan streicht mir mit dem Zeigefinger über den Unterarm. „Und du könntest echt mal etwas Sonne vertragen. Du bist so bleich wie ein weißes, unbeschriebenes Blatt Papier deines nächsten Romans.“
„Sehr witzig“, zische ich.
Er beugt sich über die Mittelkonsole und sieht mir direkt in die Augen. „Das war kein Witz, sondern mein voller Ernst.“
Seine dunkelbraune Iris funkelt, die Mimik ist starr.
„Kannst du mal aufhören, deine Augen so zu verengen, da bekommt man ja Angst.“
Jordan schüttelt den Kopf und wendet sich von mir ab. „Du bist echt unglaublich, Tammi.“
„Wieso ich?“
„Du weißt schon, woher meine Mutter stammt?“, fragt er und hört sich dabei leicht angegriffen an.
„Natürlich weiß ich das. China.“
„Meine Augen sind immer so!“, tobt er plötzlich ungehalten.
Jordan ist ein richtiger Sunnyboy. Er hat schwarzes, seidiges, gestyltes Haar, einen Teint, der an Cappuccino erinnert, und natürlich einen bis auf den letzten Muskel durchtrainierten Körper. Auf der rechten Wange oberhalb der Lippe hat er ein kleines Muttermal, das in einem Lachfältchen verschwindet, sobald er die Mundwinkel nach oben zieht.
Das Einzige, was er nicht leiden kann, sind seine Augen, damit kann man ihn zur Weißglut treiben. Warum ich ihn gerade jetzt damit reize, weiß ich selbst nicht. Es blubberte einfach so aus mir heraus. Wie es bei mir so oft der Fall ist.
„Ja, ist ja schon gut, ich wollte dich nur ärgern“, entschuldige ich mich.
„Du weißt, wie sehr ich das hasse!“
Keine Ahnung, warum der liebe Gott diesen gut aussehenden Kerl mit solchen Komplexen belegte. Der soll mich mal anschauen. Er ist derjenige, der das andere Geschlecht komplett um den Verstand bringt, sobald er irgendwo auftaucht.
Ich hingegen habe in dieser Beziehung noch weniger Glück als die Protagonistin meines aktuellen Manuskripts. Meine letzte Beziehung, wenn man das überhaupt so nennen kann, endete in einem Fiasko. Oder besser gesagt, mein Ex in einer Blondine.
Mein Mitbewohner und bester Freund suchte im Gegensatz zu mir noch nie nach der großen Liebe. Er genießt sein Singleleben in vollen Zügen, ist dabei aber wenigstens immer ehrlich und offen zu den Frauen, mit denen er sich trifft. Mit seinen 27 Jahren fühlt er sich noch zu jung, um sich fest zu binden. Er soll mal abwarten, bis er in mein Alter kommt, da sehen die Dinge ganz anders aus.
Vor einem halben Jahr erreichte ich das dritte Jahrzehnt und prompt an meinem Geburtstag, um Punkt Mitternacht, begann meine biologische Uhr zu ticken. Sie wird von Tag zu Tag lauter und hat sich mittlerweile zu einem nervenaufreibenden Tinnitus entwickelt.
Über Kinder dachte ich bisher noch keine Minute nach, aber mein Körper will mir suggerieren, dass ich mich zu paaren habe, und zwar möglichst schnell. Dieser Idiot. Der kann mich mal kreuzweise. Ich bin nicht auf der Suche nach einem Mann, sondern nach meiner Muse, die mich küsst, damit ich endlich weiterschreiben kann.
Jordan steigt aus dem Wagen und öffnet den Kofferraum. Er gab mir noch immer keine Antwort, wie lange er vorhat, hierzubleiben.
Ich folge ihm nach draußen und atme mehrmals tief durch, um endlich den künstlichen Pfirsichgeruch loszuwerden.
„Hier, dein Koffer und deine Laptoptasche.“
Ich nehme ihm wortlos beides ab und hänge mir mein Heiligtum über die rechte Schulter.
„Dir wird es hier gefallen, da bin ich mir sicher“, sagt er und geht voraus.
„Wird sich rausstellen“, murmele ich und trotte ihm hinterher, ohne mich umzusehen.
Jordan hält vor der Rezeption, stellt seine schwarze Tasche auf den Boden und begrüßt die blonde, bis über beide Ohren grinsende junge Dame freundlich. „Ich habe zwei Zimmer auf den Namen Brown reserviert.“
Die Frau schluckt schwer und kann ihren Blick kaum von ihm abwenden. Da ist es wieder! Dieses Ding, das passiert, wenn Jordan aufs andere Geschlecht trifft.
Ich stelle mich neben ihn, lege die Unterarme auf den Tresen und beobachte sie. Ob ihr wohl gleich die Spucke aus ihrem offenen Mündchen rinnt? Als nichts dergleichen passiert, stupse ich Jordan in die Seite. Er reagiert prompt.
„Könnten Sie bitte nachsehen? Meine Freundin hier würde gern ihr Zimmer beziehen … ihr eigenes Zimmer“, betont er.
Ich halte mir die flache Hand vor den Mund, gähne lautstark und rolle die Augen. Was für eine Show er wieder abzieht. Es würde mich nicht wundern, die junge Frau morgen früh in seinem Bett anzutreffen.
Sie räuspert sich und zupft sich das rote Jackett zurecht. „Natürlich. Entschuldigung.“ Ihr Blick wandert über den Bildschirm, der direkt vor ihr steht. Nach wenigen Sekunden erahne ich an ihrer Gesichtsfarbe, die sich von einem leuchtenden Rosé in ein fahles Weiß verwandelte, dass etwas nicht stimmt.
„Meredith“, lese ich ihren Namen von dem Schild an ihrer Jacke ab, „ist etwas nicht in Ordnung?“
Sie sieht zu uns hoch, die Lippen vibrieren leicht, eine kleine Schweißperle rinnt ihr über die Stirn. Was ist denn in die gefahren?
„Ich … ähm … es tut mir leid … aber auf den Namen Brown ist nur ein Zimmer vermerkt.“
Wie bitte?
„Das muss ein Fehler sein. Ich habe zwei reserviert“, entgegnet Jordan.
Meredith wird immer blasser, und ich habe Angst, sie kippt gleich um. Erneut senkt sie ihren Blick auf den Bildschirm. Nach einer Weile schüttelt sie den Kopf. „Nein, es tut mir wirklich leid.“
„Und was machen wir jetzt?“, wende ich mich an Jordan, der wutschnaubend neben mir steht.
„Keine Ahnung. Was ist das denn hier für ein Saftladen?“, motzt er, und von seinem Gesicht kann ich ablesen, wie sehr er es bereut, hier gebucht zu haben.
Plötzlich erblicke ich einen Mann aus dem Augenwinkel, der von links in schnellen Schritten auf uns zuhält. Er stellt sich direkt zu meiner Rechten und sieht fragend zwischen uns hin und her. Er ist in etwa so groß wie ich – na gut, er misst doch noch ein paar Zentimeter mehr. Sein schwarzes Haar ist an den Seiten kurz, am Oberkopf länger und nach oben gegelt. Ein Dreitagebart umrahmt die vollen Lippen und unterstützt die markanten, eckigen Gesichtszüge. Er trägt einen schwarzen Anzug, darunter ein weißes Hemd. Sein Teint ähnelt meinem. Nein! Er ist eindeutig kalkweiß. Viel schlimmer als ich.
„Gibt es hier ein Problem?“ Seine dunkle Stimme zieht mir sofort bis ins Mark.
Ich drehe mich zu ihm um und sehe in die blauesten und kühlsten Augen, die ich jemals zu Gesicht bekam. Ihr Ausdruck ist starr, eiskalt und sogar ein wenig angsteinflößend. Ohne auch nur eine einzige Wimper dabei zu bewegen, mustert er mich. Mir jagt ein Schauer über den Rücken.
„Was glotzen Sie denn so?“, purzelt es unaufhaltsam aus meinem Mund.
Jordan kneift mir in die Seite.
Ich sehe ihn über die Schulter hinweg an. „Stimmt doch. Was glotzt er denn so?“
Mein Freund macht einen gekonnten Satz und schiebt mich ein Stück beiseite. „Haben Sie hier was zu sagen?“, will er von dem Gaffer wissen.
Der reicht ihm die Hand. „Tyron Pine, ich bin der Manager des Hotels.“
Jordan erwidert seine Begrüßung. „Freut mich, dann können Sie ja hoffentlich unser Problem lösen.“
Tyron wendet sich der Frau hinter dem Empfangstresen zu, die bereits Tränen in den Augen hat. „Meredith, was ist los?“
„Die Herrschaften wollten zwei Einzelzimmer beziehen, aber ich habe im System nur ein Zimmer vermerkt“, nuschelt sie und senkt den Kopf.
Der Adamsapfel des Managers bewegt sich sichtbar auf und ab. Ich kann sein Gesicht nicht sehen, aber an der verstört dreinblickenden Blondine erahnen. Wie kann man seinen Mitarbeitern nur solche Angst machen?
„Darüber reden wir später“, sagt er bedrohlich klingend zu ihr und wendet sich wieder an uns. Nun sondiert er Jordan vom Scheitel bis zur Sohle. Nach wenigen Augenblicken runzelt er die Stirn. „Jordan Brown? DER Jordan Brown?“
Oh, Gott, nein, das auch noch. Woher kennt er ihn überhaupt? „Ja, ist er“, teile ich ihm mit, ehe Jordan selbst antworten kann.
Tyron hebt die Augenbrauen, der Rest des Gesichts bleibt ausdruckslos. „Die Koryphäe im Bereich Fitness in meinem Haus.“
Ich hebe die Hand. „Schön, Zucker in den Hintern pusten können Sie ihm später, lösen Sie lieber unser Problem.“
Tyron streckt die offene Hand in Richtung der immer noch zitternden Frau aus. Ohne, dass er etwas sagen muss, legt sie ihm einen Zimmerschlüssel hinein. Dann wendet er sich an Jordan. „Herzlich willkommen in meinem Hotel, Mr. Brown. Das ist der Schlüssel zu unserer größten Suite. Sie hat zwei Schlafzimmer und ist zudem mit einigen Extras ausgestattet. Ich hoffe, das entschärft die missliche Lage etwas.“
Mein Freund nickt. „Also gut.“ Er nimmt den Schlüssel in Kartenform an sich und steckt ihn in die Hosentasche.
Ich greife nach meinem Koffer, werfe der Frau am Empfang einen mitleidigen Blick zu und folge meinem leise vor sich hin schimpfenden Mitbewohner. „So schlimm ist es nun auch wieder nicht.“
Jordan bleibt stehen und dreht sich zu mir um. „Ach nein?“
„Was denn? Ist wie zu Hause: eine Wohnung, zwei Schlafzimmer. Wo ist dein Problem?“ Die Fragen, die ich ihm eben stellte, bereue ich bereits nach einer Sekunde wieder, denn ich kann mir denken, was er hier vorhat. Wilde Orgien feiern und so'n Zeug. Ich kneife die Augen fest zusammen und halte mir die Ohren zu. „Schon gut, ich will es nicht wissen.“
„Wie schön, dass wir uns verstehen.“ Jordan seufzt leise.
„Weißt du, wer mir wirklich leidtut? Die arme Frau am Empfang“, flüstere ich, da ich immer noch das Gefühl habe, von dem düsteren Kerl beobachtet zu werden.
„Warum?“
„Was denkst du, was er jetzt mit ihr macht? Meinst du, er schlägt sie?“
Jordan entgleisen zuerst alle Gesichtszüge, dann lacht er. „Du hast echt eine blühende Fantasie.“
„Hast du nicht bemerkt, wie er sie angesehen hat?“
Jordan zuckt die Schultern. „Und wenn schon. Sie hat Mist gebaut, und zwar ziemlich großen. Meinetwegen kann er ihr dafür gern den kleinen Knackpo verhauen.“
Männer! Ich glaube, ich spinne. Kopfschüttelnd folge ich dem hormongesteuerten Etwas in unser Schlafgemach.
„Sieht doch gar nicht so schlecht aus“, stelle ich beruhigt fest, als wir uns die Suite ansehen. Es sind zwei durch eine Tür getrennte Schlafräume mit jeweils einem großen Kingsize-Bett. Zu meiner Freude gibt es sogar einen Schreibtisch in annehmbarer Größe. Eine Couch, die zugegebenermaßen die Farbe von hellem Durchfall hat, aber was soll's, und ein Badezimmer mit Dusche und Whirlpool.
Jordan lässt sich auf eines der Betten fallen und beobachtet mich, wie ich meinen Laptop aufbaue. „Ja, ganz wunderbar“, stöhnt er.
„Was bist du denn auf einmal so zickig? Du wolltest doch, dass ich mitkomme.“
Er rollt sich auf die Seite, stützt den Arm ab und legt den Kopf hinein. „Das werden tolle Wochen.“
„Wochen? Von wie vielen sprechen wir denn?“
„Wenn ich diese Wohnsituation hier betrachte, dann nicht so viele wie gedacht“, schnaubt er.
Ich gehe zu ihm, lasse mich neben ihm aufs Bett sinken und kuschele mich an ihn. „Ich dachte, du bist zum Arbeiten hier.“
Jordan nimmt mich in den Arm und haucht mir ein Küsschen auf die Stirn. „Und um Spaß zu haben.“
Ich lege den Kopf auf seine Brust und lausche dem Klang seines Herzens. „Und mit mir kannst du keinen Spaß haben?“
Er streicht mir zärtlich über den Rücken. „Dafür liebe ich dich zu sehr.“
Ich bin froh, Jordan als Freund an meiner Seite zu haben, denn er ist ein guter Mensch. Was er als Liebhaber drauf hat, weiß ich nicht und will es ehrlich gesagt auch niemals herausfinden. Erstens hätte ich Angst, damit unsere Freundschaft zu riskieren, und zweitens bin ich kein Typ für offene Geschichten.
„Dieser Manager-Typ ist total beängstigend, findest du nicht?“, wechsele ich das Thema.
„Der Kerl geht dir wohl gar nicht mehr aus dem Kopf.“
„Ja, weil er mir mit seiner diktatorischen Art Angst macht.“
„Du findest ihn also diktatorisch, nur weil er seine Angestellte zurechtweisen will? Das ist sein Job.“
„Ich hatte wirklich das Gefühl, er will sie fressen. Die ganze Art und … einfach widerlich.“ Ich muss mich schütteln.
„So sehr, wie du dich mit ihm beschäftigst, solltest du ihn vielleicht in deinem nächsten Roman verarbeiten.“
„Als was? Als Serienkiller?“
„Wenn der in deine Geschichte passt, warum nicht?“, grinst er.
„Nein, danke“, winke ich ab. „Da nehm ich lieber dich.“
Jordan zieht den Arm unter mir heraus und setzt sich aufrecht hin. „Mich? Wieso?“
Ich zwinkere ihm zu. „Du würdest ganz gut in die Rolle eines Herzensbrechers passen.“
„Ach ja, findest du?“
„Und wie!“
Jordan legt sich wieder neben mich, verschränkt die Hände auf seinem Waschbrettbauch und starrt an die Decke. „Jordan Brown, der Herzensbrecher … ja, klingt gut.“ Er dreht den Kopf in meine Richtung. „Aber beschreib meine Augen ja nicht als Schlitze“, merkt er drohend an.
Kapitel 2
Tyron
Ich sehe Jordan Brown und seiner Begleitung noch eine Weile nach, ehe ich mich wieder an Meredith wende. „Sag mal, hast du sie noch alle? Weißt du, wer das eben war?“
Sie deutet auf den Bildschirm. „Aber es ist wirklich nur ein Zimmer auf ihn reserviert.“
Der Kragen meines Hemdes wird immer enger, da mein Hals unaufhörlich anschwillt. Ich öffne die ersten beiden Knöpfe, presse die Zahnreihen so stark aufeinander, dass die Wangenmuskeln zu zittern beginnen, und überlege mir, wo ich diese Frau am besten vergrabe, nachdem ich ihr den Hals umgedreht habe.
Es fällt mir schwer, mich zusammenzureißen und nicht laut loszuschreien. Mehrmals atme ich tief durch. „Meredith, ich bin mir sicher, dass Jordan Brown keinen Fehler bei der Buchung begangen hat.“
Sie klimpert mich mit ihren langen Wimpern an. „Aber … aber ich kann mich …“
Ich greife über den Tresen und packe sie am Handgelenk. Sie verharrt augenblicklich in ihrer Bewegung und reißt die Augen weit auf. „Unsere Gäste machen keine Fehler, wann kapierst du das endlich?“, unterbreche ich ihre Widerworte, zu denen sie gerade wieder ansetzt.
Sie lässt die Schultern hängen und senkt den Kopf. „Natürlich.“
Manchmal frage ich mich, wer dieser Frau ins Hirn geschissen hat. „Wenn das nächste Mal ein Promi hier auftaucht, begrüßt du ihn überschwänglich und rufst mich auf der Stelle an. Hast du das verstanden?“, untermauere ich den Ernst der Lage mit Nachdruck.
„Ich wusste ja nicht mal, dass er ein Prominenter ist“, gibt sie leicht zickig zurück.
Diese Frau treibt mich an den Rand des Wahnsinns. Irgendwann werde ich sie wirklich vergraben. „Wie ungebildet kann man sein?“
Sie zuckt die Schultern und sieht mich dabei wie ein verängstigter Welpe an, wenn es gewittert. „Ich kann doch nicht jeden kennen.“
Ich greife nach der neuesten Ausgabe des Stars Magazine, das rechts neben mir auf dem Tresen liegt, und halte es ihr unter die Nase. „Bitteschön, das wird ab sofort deine Abendlektüre.“
Meredith rollt für mich gut sichtbar die Augen. Dieses kleine, blonde Biest. Meine Hände verkrampfen sich, und ich stelle mir unwillkürlich vor, wie sie sich um den Stiel einer Schaufel legen. Ich brauche nur noch den richtigen Platz, wo ich sie zum Einsatz bringen kann …
„Hallo, wir sind Familie Hunter“, erklingt mit einem Mal eine dunkle Männerstimme neben mir.
Meredith grinst breit in die Runde. „Herzlich willkommen.“
Ich schlucke meine Wut hinunter, bedenke Meredith mit einem letzten bösen Blick und begrüße dann die neuen Gäste.
***
Auch nach zwei Stunden ist meine Laune noch immer getrübt. Wenn das meine Großmutter mitbekommen hätte. Sie würde sich sicher im Grab umdrehen. Dieses Hotel war ihr Ein und Alles, und seit meine Brüder und ich es von ihr geerbt haben, versuchen wir wirklich alles, um ihren hohen Ansprüchen gerecht zu werden. Der eine mehr, der andere weniger.
Ich kippe mit dem Bürostuhl ein wenig nach hinten und starre an die Decke. Alle um mich herum machen mich verrückt. Dashiel mit seiner rebellischen Art und Micah mit seiner funkensprühenden Freude. Igitt! Wie kann man nur den ganzen Tag grinsen? Und nicht zu vergessen – Meredith. Ich würde sie so gern feuern, doch das geht leider nicht, denn dann komme ich niemals an meine zwei Millionen.
Wie konnte unsere Großmutter uns nur so etwas auferlegen? Wie konnte sie MIR so etwas auferlegen? Ich bin eindeutig am schlimmsten dran. Ihre wahnwitzige Art, die sie bis zu ihrem Tod behielt, bringt mich nun zur absoluten Verzweiflung. Als meine Brüder und ich erfuhren, dass unsere Großmutter ihren Lottogewinn von sechs Millionen Dollar auf uns, ihre drei Enkelsöhne, aufteilen wollte, war ich für einen Augenblick am Ziel meiner Träume. Doch als sie kurz darauf erklärte, dass dieses Geld an Aufgaben geknüpft sei, stand ich kurz vor einem Infarkt.
Kopfschüttelnd drehe ich mich mitsamt Stuhl um 90 Grad und sehe aus dem Fenster. Dashiel erwischte es eindeutig am besten. Was musste er schon für seinen Anteil tun? Nichts, meiner Meinung nach. Er war schon immer ihr Liebling. Das Nesthäkchen eben. Der kleine, süße Dashiel. Mit seinen kullerrunden blauen Augen verzauberte er unsere Großmutter so sehr, dass sie ihm keinen Wunsch abschlagen konnte. Das Einzige, was er für seinen Anteil tun musste, war, hier im Hotel mitzuhelfen. Ganz toll! Was für eine blödsinnige und einfach zu erfüllende Aufgabe.
Ich grübelte schon oft darüber nach, warum sie das von ihm verlangte, und ich denke, sie wollte damit erreichen, dass er seinen leicht kriminellen Lebensstil aufgibt, wenn ich ihn unter den Fittichen habe. Doch weit gefehlt. Dashiel bleibt Dashiel, daran kann selbst ich nichts ändern. Die zwei Millionen interessierten ihn nicht die Bohne und richtig Bock, sich hier um die Finanzen zu kümmern, hatte er auch nicht, aber ich zwang ihn dazu, schließlich versprach er es unserer Großmutter, und so heimste er seinen Anteil bereits ein.
Er ist und bleibt ein Wildfang. So sehr ich es auch versuchte, ich konnte ihn nicht zähmen. Seine Freundin Laney allerdings, die er seit einiger Zeit hat, ist damit um einiges erfolgreicher als ich. Sie tut ihm gut, keine Frage. Dass ich die Abrechnungen neuerdings pünktlich auf meinem Schreibtisch habe, ist wohl ihr Verdienst. Bevor er mit ihr zusammen war, musste ich ihm deswegen ständig hinterherlaufen. Gott, wie froh ich bin, dass sie in sein Leben trat.
Micah hat es da schon um einiges schlimmer getroffen. Mein energiegeladener kleiner Bruder wollte in seinem Leben immer nur eins: reisen und die Welt entdecken. Er hielt sich nie länger an einem Ort auf. Was er dabei vergaß? Verantwortungsbewusst und seinem Alter entsprechend zu handeln. Seine Abenteuer waren oft halsbrecherischer Art, und unsere Großmutter sorgte sich deshalb viel um ihn. Sein Alkoholgenuss, die vielen Frauen und seine uneingeschränkte Liebe zur Musik ließen ihn seine Pflichten vergessen. Das wollte sie unbedingt ändern.
Doch auch bei ihm stieß ich schnell an meine Grenzen. Erst Sienna, seine große Liebe, brachte ihn dazu, sich endlich pflichtbewusster zu verhalten. Jetzt geht er freudig seiner Arbeit im Hotel nach und ist sesshaft geworden, so wie es sich unsere Oma wünschte. Seine Freundin brachte Balance in sein Leben. Er spielt zwar immer noch Gitarre und hat ab und zu mal einen Kater, aber ansonsten hat Sienna ihn wirklich gut im Griff. Also bekam auch er vor Kurzem seinen Anteil des Lottogewinns ausbezahlt.
Mich hat es bei dieser Sache meiner Meinung nach am härtesten getroffen. Wie kam sie nur auf diese dumme Idee? Die Wörter Ehe und Tyron beißen sich, und zwar heftig! Pfff, dass ich nicht lache. Dafür bin ich überhaupt nicht der Typ. Meine ganze Energie stecke ich in unser kleines, schnuckeliges Hotel. Ich bin ein Arbeitstier und kein Mann zum Heiraten. Was sie damit bezwecken wollte, frage ich mich fast stündlich.
„Es gibt noch andere Dinge außer Arbeit. Du musst endlich anfangen, Gefühle zu zeigen. Die Stunden, in denen wir liebten, sind es, die am Ende deines Lebens wirklich zählen.“ Diese Aussage warf sie mir oft um die Ohren. Zu oft! Ich will nicht lieben. Frauen sind zuckersüß und ich nasche gern an ihnen, mehr aber auch nicht – und wer braucht schon Gefühle?
Als urplötzlich die Tür zu meinem Büro aufgerissen wird, zucke ich erschrocken zusammen. Ich drehe mich samt Stuhl wieder in Richtung Schreibtisch und sehe eine lasziv guckende Meredith auf mich zu kommen. „Noch nie was von Anklopfen gehört?“
Sie reagiert nicht auf meine barschen Worte, sondern setzt sich breitbeinig vor mir auf den Tisch und umschließt mich mit ihren langen Beinen. „Ich war heute ein böses Mädchen, willst du mich nicht bestrafen?“, kichert sie und klimpert mit ihren angeklebten Wimpern.
Soll ich ihr sagen, dass ich mir heute ernsthaft überlegte, sie umzubringen und irgendwo hinter dem Hotel zu verbuddeln? Ihr scheint der Ernst der Lage immer noch nicht bewusst zu sein, und das nervt mich tierisch.
Ich rolle nach hinten, entziehe mich so den Fängen ihrer sexy Gliedmaßen und befeuere sie mit zornigen Blicken. „Ich bin nicht in der Stimmung für deine blöden Spielchen.“
Sie verschränkt die Arme vor ihren Silikonbrüsten, neigt den Kopf leicht zur Seite und sieht mich siegessicher an. „Ach nein?“
„Kannst du jetzt deinen Hintern von meinen Finanzen nehmen?!“, fordere ich sie auf.
Sie hebt die rechte Pobacke leicht an und grinst. „Auf so etwas habe ich noch nie gesessen.“
Was zum Teufel will sie mir damit schon wieder sagen? Ich entferne mich noch ein Stück weiter von ihr und sehe sie genervt an.
Sie rollt die Augen … schon wieder. Sie weiß, dass ich das hasse. „Du kennst wohl Pretty Woman nicht“, seufzt sie theatralisch. „Und du sagst, ich sei ungebildet!“
„Pretty … was?“
Sie stützt die Hände auf dem Tisch ab und beugt sich ein wenig nach vorn. „Das ist ein Film. Nein! Es ist DER Liebesfilm schlechthin, und weißt du, worum es darin geht?“
Ich mache eine abwehrende Geste. „Danke, will ich nicht wissen.“
Sie nickt. „Oh, doch, das willst du. Es geht um eine Nutte und einen Millionär, und am Ende lieben sie sich.“
„Sehr interessant“, knurre ich.
Sie schlägt die Beine übereinander. „Das ähnelt unserer Geschichte, findest du nicht? Vielleicht sollten wir den Film mal zusammen angucken.“
Sehe ich so aus, als hätte ich Interesse daran, mit ihr einen Pärchenabend zu verbringen? Jetzt spinnt sie komplett. „Du bist keine Nutte und ich kein Millionär. Ich wüsste also nicht, was dieser komische Film mit uns zu tun haben soll.“
Sie hebt das Kinn an und sieht mich wissend an. „Du bist NOCH kein Millionär, aber sobald du mich geheiratet hast, dann schon.“
„Damit bist du aber immer noch keine Nutte, und ich werde dich auch niemals lieben“, gebe ich ihr barsch zu verstehen.
Sie zieht die Mundwinkel gekünstelt nach oben. „Das interessiert mich auch nicht. Denkst du etwa, ich liebe dich? Ich will nur eine Misses Pine werden.“
„Du bist ein berechnendes Miststück!“
Meredith reißt die Augen weit auf. „Ach, und du etwa nicht? Und was war das überhaupt heute an der Rezeption?“
Ich verenge die Augen zu Schlitzen. „Ich habe dich zurechtgewiesen.“
„Und ich habe so getan, als wäre ich ein Duckmäuschen, als du den bösen Chef gemimt hast.“ Sie öffnet ihre Beine so weit, dass ich direkte Aussicht auf ihre rasierte Scham habe. „Also ein Rollenspiel. Deshalb bin ich ja hier.“ Sie fährt sich zwischen die Schenkel. „Wenn du nicht Chef und Angestellte spielen willst, dann lass uns Nutte und Millionär spielen.“
Wie konnte ich nur so dumm sein und dieser Frau den Vorschlag machen, mich zu heiraten? Sie ist wirklich dümmer als eine Scheibe Sandwichtoast. Niemals könnte ich sie ein Leben lang an meiner Seite ertragen, geschweige denn in meiner Nähe. Da verzichte ich lieber auf die zwei Millionen. Zugegebenermaßen fällt es mir schwer, ihr nicht unter den Rock zu schauen. Sie ist schon ein heißes Gerät. Ich atme tief durch und sammele mich. Nein! So kann das nicht weitergehen.
„Meredith, du bist gefeuert“, teile ich ihr mit.
Sie wackelt mit den Augenbrauen, hüpft vom Tisch und kniet sich vor mich. „Du willst also, dass ich bettele“, sagt sie und streicht langsam mit ihren spitzen Krallen über meine Männlichkeit.
Ich halte die Luft an und versuche, eine Erektion zu verhindern, indem ich tief in mich gehe und an einen fettigen Burger denke. Es gibt nichts Ekelhafteres als diesen Fraß. Und Tatsache – es klappt.
Als ich wieder ganz bei Sinnen bin, stehe ich auf, stecke die Hände in die Anzughose und sehe Meredith von oben herab an. „Das war kein Spiel. Das war mein Ernst. Ich will nicht mit dir spielen, weder Rollenspiele noch etwas anderes, und heiraten werde ich dich schon gleich dreimal nicht.“ So, jetzt ist es raus, und ich fühle mich gleich um einiges besser.
Meredith entgleisen auf der Stelle sämtliche Gesichtszüge. Langsam erhebt sie sich und sieht mich dann fragend an.
„Pack deine Sachen und verschwinde aus meinem Hotel.“
Ihre Augenlider füllen sich mit Flüssigkeit.
„Du solltest Schauspielerin werden.“
„Weißt du eigentlich, was für ein Arsch du bist, Tyron Pine?!“, schreit sie mich an.
Am liebsten würde ich ihr auch so einiges an den Kopf werfen, zum Beispiel ihre nicht vorhandene Intelligenz, ihre Unfähigkeit bei der Arbeit oder ihren miesen Charakter, jedoch verbietet mir das meine gute Kinderstube.
Als ich ihr vor drei Wochen vorschlug, mich zu heiraten, war ich sturzbetrunken. Ja, das ist es, was Alkohol mit Menschen anrichtet, das habe ich jetzt davon. Ich vertrage dieses Zeug einfach nicht. Ende der Geschichte. Und wer ist daran schuld, dass ich trank? Meredith! Sie überredete mich dazu, mit ihr auf ihren Geburtstag anzustoßen. Keine Ahnung, warum ich mich darauf einließ. Vermutlich, weil ich ihrer Muschi höriger war als bisher angenommen. Doch das ist jetzt endgültig vorbei.
„Danke für deine Dienste und jetzt verlasse bitte mein Büro.“
Meredith wird knallrot im Gesicht, ihre Nasenflügel vibrieren, sie fletscht die Zähne und spielt mit ihren Fingern. Möglicherweise rammt sie mir gleich ihre bunt lackierten Krallen in den Unterleib, deshalb entferne ich mich aus ihrer Reichweite, gehe zur Tür, öffne sie und winke die tobende Blondine hinaus.
Wutschnaubend rennt sie an mir vorbei. „Das wird dir noch leidtun, mein Lieber!“
Echt? Das glaube ich nicht. Es war die beste Entscheidung seit Langem.
Nachdem meine Ex-Affäre abgezogen ist, beschließe ich, meiner einzigen Freizeitbeschäftigung nachzugehen, die ich habe. Trainieren! Mein Körper verlangt nach einem Ausgleich und sehnt sich nach dem neu eingerichteten Fitnessbereich unseres Hotels.
Dashiel und Micah waren beide gegen diese Investition. Sie lachten mich aus, als ich mit der Idee kam, den Bereich von Grund auf zu sanieren. Ihrer Meinung nach brauchen wir keinen Fitnessraum, schließlich haben wir den Strand direkt vor der Nase und es sei viel schöner, am Meer entlang zu laufen als auf einem Laufband. Und dazu die frische Meerluft, die einem um die Nase weht, während man seine Bauchmuskeln mit Sit-ups trainiert.
Die beiden haben manchmal nicht alle Tassen im Schrank. Die Sonne, die einem auf die Haut knallt und womöglich Hautkrebs auslöst, haben sie wohl vergessen, oder wie? Nein! Weder frische Luft noch der blöde Sand, oder die salzige Brühe und schon gar nicht dieser helle, brennende Himmelskörper bringen mich dazu, außerhalb des Hotels Sport zu treiben.
Ich schließe die Tür hinter mir ab, mache mich auf den Weg und betrete wenig später den Raum, der mit allem ausgestattet ist, was das Sportlerherz begehrt.
In der Tat sind hier kaum Gäste anzutreffen, da wohl die meisten Menschen so denken wie meine Brüder. Was mir allerdings zugutekommt, denn ich bin sehr gern allein. Ich stelle meine mitgebrachte Flasche Wasser neben eines der drei Laufbänder und beginne, mich abzureagieren.
Gerade als ich die Augen schließen will, um dem Alltagsstress und den Resten von Meredith, die noch durch meinen Kopf spuken, zu entfliehen, betritt jemand den Raum. Ich blicke über die Schulter hinweg zur Tür und entdecke Jordan Brown. Er ist mein absolutes Vorbild in Sachen Fitness. Dass er sich vor Kurzem auf die Körper von jungen Müttern spezialisierte, finde ich persönlich zwar nicht so prickelnd, aber wer weiß, warum er das tat. Sicher war es eine rein wirtschaftliche Entscheidung. So würde ich das zumindest sehen.
Er nickt mir zur Begrüßung zu, was ich erwidere, und stellt sich dann auf das rechte Laufband neben mir. Wenn er diesen Fitnessraum benutzt und nicht am Strand rumrennt, kann ich nicht so falsch liegen. Das werde ich meinen Brüdern berichten, sobald ich sie das nächste Mal zu Gesicht bekomme.
Einige Minuten laufen wir schweigend nebeneinander her, ehe sich Jordan an mich wendet. „Toller Raum. Hier hat sich jemand wirklich Mühe gegeben. Sehr schön.“
„Es freut mich, das von einem Jordan Brown zu hören“, bedanke ich mich höflich, aber mit ernster Miene. Innerlich springe ich allerdings gerade durch die Luft.
Jordan hält mir die Hand hin. „Ich bin Jordan, einfach nur Jordan.“
„Tyron“, stelle ich mich erneut vor.
Er drückt meine Hand fest und bedenkt mich mit einem leicht mürrischen Blick. „Die Suite ist zwar ganz okay, aber zwei Einzelzimmer wären mir lieber gewesen.“
„Es tut mir wirklich sehr leid. Sobald wir wieder etwas frei haben, kannst du gern umziehen. Ich werde heute noch veranlassen, dass die nächsten beiden Einzelzimmer, die frei werden, dir und deiner Begleitung gehören.“
Merediths Fehler bringt noch unser ganzes Hotel in Verruf. Ich dachte, ich kann ihn mit einem unserer besten Zimmer zufriedenstellen, aber dem ist wohl nicht so. Wenn wir schon mal einen prominenten Gast haben, soll er sich bei uns rundum wohlfühlen und im besten Fall weiterempfehlen.
Jordan lacht leise. „Klingt nach einer guten Lösung. Allerdings glaube ich nicht, dass meine Begleitung die Suite freiwillig räumt. Sie hat den Whirlpool und den riesigen Schreibtisch entdeckt.“
Ich sehe ihn verständnislos an.
„Ach, nicht so wichtig. Ich werde es schon mit ihr aushalten“, winkt er ab.
„Nein, das kommt nicht infrage. Deine Begleitung darf natürlich in der Suite bleiben und du bekommst das nächste freie Zimmer“, mache ich ihm den nächsten Vorschlag, da er sich gerade nicht sehr glücklich anhörte.
Warum will er denn unbedingt von ihr weg? Und wer ist sie überhaupt? Dass der Rotschopf Haare auf den Zähnen hat, bemerkte ich auch schon. Am liebsten würde ich ihn fragen, doch das steht mir nicht zu.
Jordan nickt zufrieden. „Wunderbar, dann kann ich ja doch noch …“ Er unterbricht seinen Satz und erhöht die Geschwindigkeit des Lauftrainers.
„Darf ich euch heute Abend in unserem hauseigenen Restaurant zum Essen einladen?“, frage ich und hoffe, ihn damit restlos besänftigen zu können.
„Ja, klingt gut“, antwortet er knapp.
„Dann werde ich einen Tisch für zwei um 20 Uhr reservieren. Ist das in Ordnung?“
„Müssen wir uns auf die Uhrzeit festlegen? Denn wenn meine Freundin gerade im Flow ist, lässt sie sich nicht unterbrechen.“
In was für einem Flow? „Nein, natürlich nicht. Ich halte einfach den Tisch den ganzen Abend frei.“ Nun reicht es aber mit den Nettigkeiten. Ich denke, der Fehler sollte damit ausgebügelt sein.
Jordan zeigt mir einen Like-Daumen und erhöht das Tempo des Laufbands ein weiteres Mal.
Kapitel 3
Tammi
Als die Tür des Hotelzimmers unerwartet aufgerissen wird, zucke ich erschrocken zusammen. Muss er immer so einen Krach machen? Jordan besticht nicht nur durch sein Aussehen, sondern vor allem auch durch seine Art, die ihn nichts leise tun lässt.
Vor zwei Stunden verzog er sich in den Fitnessraum, um ihn auf seine Tauglichkeit hin zu testen, und ich war froh darüber, denn so konnte ich in Ruhe plotten. Zumindest war das mein ursprüngliches Vorhaben. Nachdem mich aber das Brett vor meinem Kopf erneut gehemmt hat, legte ich mich auf das Durchfallsofa, schloss die Augen und grübelte vor mich hin.
Was, wenn meine Entscheidung, den Job bei St. Augustins Tageszeitung zu kündigen, um einen auf Autorin zu machen, doch nicht richtig war? Jordan sprach mir damals Mut zu. Ich solle mich verwirklichen, sagte er. Mir meinen Traum erfüllen, hart an mir arbeiten, dann habe ich auch die Chance, glücklich zu werden. Vielleicht schloss er dabei von sich auf mich. Er riskierte alles und gewann. Ich ging mein persönliches Risiko ebenfalls ein und sehe mich bereits jetzt scheitern.
Die Verkaufszahlen meines ersten Romans sinken jeden Tag weiter. Die Leser warten auf Nachschub, schließlich habe ich ihnen den schon lange auf diversen Online-Portalen angekündigt. Dass ich in der Krise stecke, wissen sie jedoch nicht.
Warum nur bin ich so dermaßen gehemmt? Was hindert mich daran, in eine neue Geschichte abzutauchen? Ist es die Angst zu versagen, oder die Tatsache, dass ich selbst mit Liebe nichts am Hut habe? Wie kann man auch über etwas schreiben, das man selbst nicht erlebt?
Wenn ich nicht bald herausfinde, was mich so blockiert, damit ich es schleunigst beheben kann, bin ich auch noch pleite. Der Geier kreist bereits über mir und ich kann den Luftzug seiner Flügelschläge auf meiner Haut spüren.
„Hey, Babe, was tust du da? Ich dachte, du bist schon längst mitten im Schreibfieber“, ertönt Jordans leicht amüsierte Stimme neben meinem Kopfende.
Ich richte mich auf und sehe ihn an. „Ich versuche gerade herauszufinden, warum ich nicht mehr schreiben kann.“
Jordan wischt sich mit einem weißen Handtuch, das ihm um den Hals hängt, die perlenden Schweißtropfen aus dem Gesicht. „Es geht also immer noch nichts?“, hakt er vorsichtig nach.
Ich lasse die Schultern hängen und schüttele den Kopf. „Nicht die Bohne.“
„Vielleicht setzt du dich einfach nur zu sehr unter Druck. Lass doch erst mal die neue Umgebung auf dich wirken. Ich bin mir sicher, dir fällt spätestens morgen etwas ein“, versucht er, mich zu beruhigen.
„Und was, wenn nicht?“
Jordan verzieht den Mund. „Es gibt immer für alles eine Lösung. Das Einzige, was ich dir raten kann, ist, nicht zu schnell aufzugeben.“ Er setzt sich zu mir und legt den Arm um mich. „Guck mal, du hast nach nur einem Roman bereits viele Fans gefunden. Sie folgen dir auf Facebook, Instagram und Twitter. Sie wollen mehr von dir lesen, das ist es doch, was zählt. Du solltest dich daran erfreuen. Es hätte auch durchaus passieren können, dass niemand dein erstes Buch liest, was wäre denn dann gewesen?“
„Dann hätte ich mit Sicherheit nicht gekündigt“, murmele ich.
Jordan atmet tief durch. „Du hast Existenzangst! Das ist es.“
„Ja, das auch“, gebe ich zu.
„Aber das ist doch Quatsch. Du weißt doch, dass du dir um Geld keine Sorgen machen musst, du hast doch mich“, rühmt er sich.
Ich muss schmunzeln. „Du glaubst doch nicht ernsthaft, dass ich mich von dir aushalten lasse?“
Jordan steht auf und sieht mich bitterböse an. „Das hat doch nichts mit Aushalten zu tun. Ich habe so viel Geld, dass ich es niemals alleine ausgeben kann, und du bist meine große Liebe … platonisch gesehen natürlich. Du bist meine Seelenverwandte, meine bessere Hälfte, und ich will dir dabei helfen, deinen großen Traum zu leben, also zick hier nicht rum. Wenn du Kohle brauchst, dann bekommst du sie.“ Er zwinkert mir zu. „Du kannst mir alles nach deinem ersten Bestseller zurückzahlen. Ich werde Buch führen, keine Sorge.“
„Besteller, dass ich nicht lache“, pruste ich.
„Siehst du, das ist dein zweites Problem, du glaubst einfach nicht an dich und dein Können.“
„Entschuldige, dass ich nicht genauso selbstsicher bin wie du.“
Er rümpft die Nase. „Und zickig bist du außerdem.“
Ich blase die Wangen auf und rolle die Augen. „Ich bin nicht zickig, sondern frustriert.“
Jordan geht in Richtung Badezimmer. „Gut, dann gehen wir gleich essen, ich muss nur noch schnell duschen.“
„Essen ist immer gut“, rufe ich ihm noch hinterher, bevor er die Tür schließt. Da sich Jordans Ich-muss-nur-schnell-duschen erfahrungsgemäß sehr in die Länge zieht, lege ich mich wieder aufs Sofa und grübele weiter. Was, wenn ich einfach im falschen Genre bin? Vielleicht sollte ich es mal mit einem Thriller oder einer Horrorgeschichte versuchen. Da spielen ganz andere Gefühle eine Rolle als die Liebe, von der ich keine Ahnung habe, das böse Wort, das ich seit dem Eklat mit meinem Ex nicht mehr in den Mund genommen habe.
In meinem ersten Roman verarbeitete ich unsere große Liebe und das noch viel größere und bittere Scheitern. Ja, er wurde ziemlich realistisch, genau das mochten meine Leser so sehr. Jeder konnte mit meiner Protagonistin fühlen, denn das, was sie durchmachte, erlitt wohl jeder schon einmal.
Okay, Jordan ausgeschlossen, aber er ist auch keine Frau und zählt damit nicht zu meiner Zielgruppe. Irgendwie ist er schon ganz schön gewieft. Er holt sich seine körperliche Zuneigung, wenn er sie braucht, und ist ansonsten unabhängig, kann tun und lassen, was er will, muss mit niemandem Kompromisse eingehen und das Wichtigste: Sein Herz nimmt dabei keinen Schaden. Jordan ist einfach immer glücklich.
Eventuell sollte ich ihm nacheifern, auch so werden wie er. Dann würde ich nicht mehr Trübsal blasen, könnte die blöde Liebe viel nüchterner betrachten. Doch könnte ich dann auch noch über sie schreiben? Wohl kaum. Denn wer sie nicht fühlt, kann sie auch nicht beschreiben. Das ist die nächste Sackgasse! Dann bleibt mir wohl doch nur noch ein Genrewechsel.
Als die Badezimmertür geöffnet wird, schrecke ich hoch. „Du bist schon fertig?“, staune ich.
Jordan rubbelt sich mit einem weißen Frotteetuch die Haare trocken. „Ich hab doch gesagt: schnell.“
Ironisch ziehe ich den Zeigefinger am rechten Unterlid entlang. „Als ob das schon jemals gestimmt hätte.“
„Siehst du doch, heute war es so weit. Es gibt für alles ein erstes Mal.“ Jordan wirft das Handtuch unachtsam hinter sich und beäugt mich kritisch. „Du willst doch nicht etwa so zum Essen gehen?“
Was hat er denn gegen meinen rosa Jogginganzug? „Doch eigentlich schon, wieso?“, frage ich ernst.
„Das meinst du nicht so, oder?“ Seine Augen werden weit – so weit es eben geht. Die Art, wie er dabei das Gesicht verzieht, lässt mich schmunzeln.
„Wo willst du denn überhaupt hin? Gibt es hier ein gutes Restaurant in der Nähe? Ich ziehe mich dann dementsprechend an.“
„Wir essen im Restaurant des Hotels“, gibt er mir zu verstehen.
Ich lege die Stirn in Falten. „Das machst du doch sonst nie? Hast du nicht mal erwähnt, dass du Hotelessen hasst?“
Jordan geht in sein Schlafzimmer und kehrt mit einem schwarzen Shirt in der Hand zurück. Seine strammen Muskeln beeindrucken mich jedes Mal aufs Neue. Warum muss ich nur so ein Couchpotato sein?
„Bist du neidisch oder warum starrst du mich so an?“, feixt er.
„Ziemlich“, gebe ich zu und deute auf seinen nackten Oberkörper. „Du ziehst ja auch nur Shirt und Jeans an, dann kann ich doch auch so gehen.“ Ich weise auf mein bequemes, gemütliches Kleidungsstück.
„Im Jogginganzug? Nein, vergiss es, das kommt nicht in die Tüte. Zieh dir was Hübsches an und dann geht's los“, weist er mich an und geht erneut ins Bad.
Was meint er mit hübsch? Nachdenklich gehe ich zu meinem Koffer, der noch ungeöffnet auf dem Bett liegt, und suche darin nach etwas Passendem. Mir fällt ein geblümtes Sommerkleid ins Auge. Bis zur Taille eng geschnitten, mit dünnen Trägern und knielang. Ja, das nehme ich. Dazu noch weiße Ballerinas, das sollte gut aussehen. Zufrieden kleide ich mich in meine Auswahl und bürste meine lange, rote Mähne.
„Sieht doch schon besser aus, wenn auch etwas zu blumig, aber in jedem Fall geeigneter als der Jogginganzug“, findet Jordan, als er meinen Schlafraum betritt.
Ich hake mich bei ihm unter. „Gut, dann lass uns gehen, Sunnyboy.“
***
Der Speisesaal passt zum familiären Stil des restlichen Hotels. Mir gefällt die Kombination aus Holzpaneelen, weißen Wänden und dem gemusterten Fliesenboden. Jordans Geschmack dürfte es hingegen weniger treffen.
„Sehr rustikal … aber okay“, murmelt er prompt. Dachte ich es mir doch.
„Das Hotel war deine Wahl“, necke ich ihn.
„Alles nur dir zuliebe, Babe.“ Jordan schlendert sich umsehend neben mir her.
„Suchst du etwas?“
„Jemanden!“, antwortet er knapp und bleibt inmitten des großen Raums stehen.
„Jordan, da bist du ja“, erklingt mit einem Mal die dunkle, unverkennbare Stimme des Hotelmanagers hinter uns, die mich erneut bis ins Mark erschüttert.
Mein Freund dreht sich zu ihm um. „Wir haben einen Mordshunger. Ich hoffe, du hast etwas Tolles für uns vorbereitet.“
Das ist wieder mal typisch Jordan. Die unterschwellige Anspielung, dass er sich für das Wichtigste auf der Welt hält, nett verpackt. Alles muss sich am besten immer um ihn drehen. Als ob sie in diesem kleinen Restaurant ein Menü nur für den großen, berühmten Jordan Brown vorbereiten und dann darauf warten, bis er zu erscheinen und es zu verspeisen gedenkt.
„Natürlich, ich habe ein Drei-Gänge-Menü genau nach deinen Vorstellungen und Wünschen in der Küche geordert“, gibt der angsteinflößende Kerl im schwarzen Anzug zurück und straft mich damit Lügen. „Darf ich euch zu eurem Tisch bringen?“
Jordan nickt. Zu unserem Tisch? Er sagte mir nicht, dass er extra reservierte. Mit ein wenig Abstand folge ich den beiden.
Mein Freund nimmt Platz, und als ich mich ihm gegenüber setzen will, zieht der schwarzhaarige Anzugtyp den Stuhl für mich zurück. Nachdem er es sich bei Jordan wegen des Zimmers verscherzt hat, versucht er jetzt wohl, sich mit Manieren der alten Schule einzuschleimen.
Seine meerblauen, kühlen Augen weisen mich an, mich zu setzen. Nachdem ich mein dreißigjähriges, nicht mehr ganz so knackiges Hinterteil auf dem Stuhl positioniert habe, hält er mir die Hand hin. „Ich bin Tyron“, stellt er sich vor.
„Und ich bin Miss Thompson.“
Sein Händedruck ist sehr energisch, fast beängstigend fest. Er sieht mich von oben herab an. „Miss oder Misses?“
„Einfach nur Thompson“, umgehe ich seine merkwürdige Frage mit einem schiefen Grinsen.
Zähneknirschend lässt er von mir ab. „Was möchtet ihr trinken?“
„Zwei große Wasser bitte“, teilt Jordan ihm mit.
„Das veranlasse ich und bitte die Küche, euch umgehend die Vorspeise zu servieren.“ Er schenkt Jordan noch einen männlich-freundschaftlichen Blick, mich bedenkt er mit einem Serienkillerblick und lässt uns dann allein.
„Was war das denn?“, wende ich mich an Jordan, sobald der Manager außer Sichtweite ist.
„Ich habe ihn heute im Fitnessraum getroffen, und er wollte sich mit diesem Essen noch einmal wegen des Zimmerproblems bei uns entschuldigen.“
„Hättest du mich nicht wenigstens vorwarnen können?“
Jordan kraust die Nase. „Wieso? Es ist umsonst, ist doch klasse.“
Ich lehne mich zurück und verschränke die Arme vor der Brust. „Ich dachte, du hast genug Geld?“
Er zuckt die Schultern. „Hab ich auch, aber ich muss es doch nicht sinnlos zum Fenster rausschmeißen.“
„Wir reden hier von Essen und nicht vom Kauf einer Jacht.“
Jordan blickt zur Seite und legt die Stirn in Falten. „Würde dir eine Jacht gefallen? Ich könnte sie dir kaufen!“
Ich trete ihm unterm Tisch gegens Schienbein. „Hör auf, mich zu verarschen.“
„Babe, wieso hätte ich seine Einladung denn ablehnen sollen? Er beziehungsweise seine Angestellte hat Mist gebaut und er versucht, es nun wieder geradezubiegen, was auch überhaupt nicht verwunderlich ist. Der Kerl hat Schiss, dass ich ihm den Ruf seines Hotels ruiniere. Stell dir vor, ich twittere über die Fehlbuchung und dann …“
„Weißt du, wie großkotzig du manchmal rüber kommst?“, unterbreche ich ihn.
Jordan zupft am Kragen seines T-Shirts. „Die Frauen stehen drauf. Sie wollen keinen Ja-und-Amen-Sager. Sie brauchen jemanden, der ihnen den Weg zeigt, sie hart ran nimmt und scheiße zu ihnen ist.“
„Wo hast du das denn gelernt? Auf der Akademie für Idioten?“
Er hebt die rechte Augenbraue. „Auf der Akademie für Bad Boys.“
Ich tippe mir mit dem Zeigefinger gegen die Stirn. „Alles klar, du spinnst doch.“
„Ich habe ja wohl in Bezug auf Frauen eine Menge Erfolg, also geht mein Konzept doch auf, oder etwa nicht?“
„Die gehen mit dir mit, weil du Jordan Brown bist, und nicht, weil du vorgibst, ein Arschloch zu sein“, mache ich ihm klar.
„Ach, das ist doch Quatsch. Frauen stehen auf Macho-Typen“, entgegnet er mir.
Eine kleine, sehr zierliche Kellnerin serviert uns die Vorspeise. „Das ist unser Fitnesssalat des Hauses“, teilt sie uns lächelnd mit, während sie die Teller vor uns abstellt. „Ich wünsche Ihnen einen guten Appetit und …“ Sie senkt verlegen den Kopf und dreht sich zu Jordan. „Dürfte ich ein Autogramm von Ihnen bekommen?“
Jordan setzt sein Pokerface auf. Er sieht sie nicht direkt an, seine Augen werden noch schlitziger, dabei atmet er leicht genervt aus. „Nach dem Essen. Jetzt will ich nicht mehr gestört werden“, knurrt er.
Sein Auftritt ist mir peinlich, denn die junge Frau hält bereits einen Block und einen Stift in der Hand. Der Salat kann nicht kalt werden und es würde nur wenige Sekunden dauern, seine dumme Unterschrift auf dieses Stück Papier zu setzen, aber nein, Jordan muss mal wieder den Kotzbrocken raushängen lassen.
Leicht verschämt versteckt sie den Block hinter ihrem Rücken. „Vielen Dank, Mister Brown“, freut sie sich und entfernt sich im Rückwärtsgang von unserem Tisch.
„Musste das jetzt sein? Du hättest ihr das Autogramm auch sofort geben können“, blaffe ich Jordan an.
Er nimmt die Gabel in die Hand und sieht mich wissend an. „Du hast doch gesehen, wie glücklich sie abzog. Nun denkt sie bis zum Ende des Essens über mich nach. Hätte ich es ihr sofort gegeben, dann … Nein, jetzt geht ihr Höschen meinetwegen bestimmt in Flammen auf“, feixt er.
Jordan ist ein hoffnungsloser Fall. Kopfschüttelnd greife auch ich nach der Gabel, zögere aber, mit dem Essen zu beginnen.
„Was ist denn? Willst du nicht anfangen?“
Ich beuge mich so weit es geht über den Tisch. „Was, wenn er uns vergiften will?“, flüstere ich.
„Was stimmt nicht mit dir, Tammi?“
„Dieser komische Kerl macht mir Angst. Hast du eigentlich bemerkt, dass hinter der Rezeption jetzt jemand anderes steht? Was hat er nur mit ihr gemacht?“
Jordan sticht in seinen Salat und schiebt sich genüsslich die volle Gabel in den Mund, dabei sieht er mich an, als ob ich nicht mehr alle Tassen im Schrank habe. „Deine Fantasie geht mit dir durch. Vielleicht solltest du die mal mehr für deinen aktuellen Roman nutzen, anstatt für diesen unbedeutenden Manager“, nuschelt er mit halb vollem Mund.
Er nimmt mich einfach nicht ernst. Ich liebe ihn, weil ich weiß, dass er im Herzen ein guter Mensch ist, und weil ich weiß, dass er mich nur mit hierher nahm, um mir einen Gefallen zu tun, und auch dieses Hotel nur meinetwegen buchte, aber dass ihm sein Erfolg zu Kopf steigt, ist kaum mehr zu verkennen. Seine Spitzen in meine Richtung sind auch nur gut gemeint, aber sie treffen mich.
„Nun iss schon“, brummt er säuerlich.
„Ich steh nicht auf Anweisungen“, kontere ich.
Und plötzlich werden Jordans Gesichtszüge samtweich. So wie ich es mag. Auf seine schmalen, dunklen Lippen wandert ein Lächeln. „Babe, nun iss schon … bitte. Der Manager will uns nichts tun, und du weißt doch, wie sehr ich dich als Mensch schätze und liebe, ich würde dich nie so behandeln wie all die anderen Frauen.“ Er weiß also genau, was mir eben so sauer aufstieß.
„Findest du ihn nicht komisch?“, hake ich noch einmal nach.
„Was hast du nur mit diesem Kerl? Man könnte fast meinen, du stehst auf ihn“, feixt er.
Ich rümpfe die Nase. „Was? Niemals! Er ist total frauenverachtend und …“
„Und woran machst du das fest? Nur weil er seine Angestellte zurechtgewiesen hat? Das Thema hatten wir doch heute schon. Er ist ein knallharter Geschäftsmann und mit diesem kleinen, heimeligen Hotel hat er es sicher nicht leicht, auf dem Markt zu bestehen. Die ganzen großen, exklusiven Bunker, die sie hier aus dem Boden stampfen, sind eine starke Konkurrenz. Da muss er eiskalt sein. Sonst geht er unter. Das hat doch nichts mit seiner Person an sich zu tun. Ich habe im Fitnessraum kurz mit ihm gesprochen und fand ihn eigentlich ganz sympathisch.“
Ich muss mir wohl eingestehen, dass ich übertreibe und Jordan recht hat. Warum dieser Kerl mir solch einen Heidenrespekt einflößt, weiß ich auch nicht. Vielleicht kam ich in letzter Zeit zu wenig mit echten Menschen in Berührung. Oder ich drehe einfach nur komplett durch. Ja, das muss es sein, ich werde verrückt.
Mit einem leisen Seufzer, den Jordan von mir kennt und der ihm signalisiert, dass ich klein beigebe, beende ich das Gespräch und beginne zu essen.
***
Nach dem Essen, das meinem Geschmack überhaupt nicht, dafür aber Jordans umso mehr entsprach, sehnt sich mein Körper nach einem Verdauungsspaziergang.
„Wollen wir noch ein wenig an den Strand gehen?“, frage ich meinen Freund, der sich den Bauch reibt.
„Gutes Thema! Heute findet eine der angesagtesten Beach-Partys ganz Miamis statt und wir sind eingeladen“, freut er sich.
„Wir?“
„Du weißt schon, wie ich es meine. Ich bin eingeladen und du kommst mit“, stellt er mich vor vollendete Tatsachen.
Auf Party hab ich ja mal so gar keine Lust. „Ich habe mich schon mit diesem Superfood gequält. Das muss reichen, und du weißt, dass ich Partys hasse. Da sind so viele Menschen und …“ Ich muss mich schütteln. „Nein, ich will nicht. Geh allein.“
„Du solltest dich öfter gesund ernähren, dein Körper wird es dir danken.“
Nicht auch noch dieses Thema! Ich esse nicht ausschließlich ungesund, aber ab und zu gönne ich mir eben auch mal Burger und Pommes. Dass das dem Herrn Fitnesscoach nicht geheuer ist und er Angst hat, meine Leber könnte verfetten, ist mir klar, aber die Diskussionen, die wir bereits darüber führten, sind einfach nur ermüdend und wir kommen auf keinen gemeinsamen Nenner.
Ich stehe auf, gehe zu ihm und hauche ihm ein Küsschen auf den Kopf. „Viel Spaß bei der Party, übertreib's nicht. Sei leise, wenn du zurückkommst, und benimm dich. Ich geh noch eine Runde spazieren.“
„Bist du dir sicher? Du könntest dort vielleicht neue Eindrücke gewinnen. Nun komm schon“, versucht er, mich zu überreden.
„Eindrücke von betrunkenen Menschen? Nein, danke.“ Ich streiche ihm über die Schulter. „Ich bin wirklich müde.“
„Alles klar, Babe. Ich erzähl dir dann morgen, was du alles verpasst hast.“
„Aber bitte wirklich erst morgen, nicht mehr heute Nacht“, ermahne ich ihn.
Es kam schon öfter vor, dass Jordan betrunken in meinem Bett landete und mir die Ohren voll schwallte. Mister Superfood und Alkohol passt überhaupt nicht zusammen, aber auch diese Diskussion läuft bei uns in Endlosschleife.
Er wackelt mit den Brauen. „Vielleicht komme ich auch erst morgen wieder.“
„Verhütung dabei?“, erinnere ich ihn mütterlich an seine Pflichten, die es zu befolgen gilt, wenn er Casanova spielt. Jordan kramt in seiner Hosentasche. „Lass stecken, muss ich nicht sehen.“
„Alles in bester Ordnung, und ich benehme mich … wie immer“, grinst er vorfreudig. Männer!
***
Eine frische Meeresbrise weht mir um die Nase, als ich am Sandstrand ankomme. Ich ziehe die Schuhe aus und genieße das Gefühl der kleinen, kalten Körner zwischen den Zehen. Der Abend ist lau, der Mond steht fast voll am Himmel und spiegelt sich in der Wasseroberfläche. Um diese Uhrzeit war ich schon lange nicht mehr draußen. Ich gehe ein paar Meter und tippe die Zehenspitzen ins Wasser. Erfrischend und anmutig liegt die Weite des Meeres schlafend vor mir. Die seichten Wellen, die ans Land schwappen, haben eine beruhigende Wirkung auf mich. Vielleicht hat Jordan recht und ich kann hier wirklich Inspiration finden.
Ich schlendere vor dem Hotel auf und ab, blicke zu dem hell leuchtenden Himmelskörper über mir und frage mich, ob Frauen tatsächlich auf diese Bad Boys stehen, wie sie Jordan nannte. Bisher dachte ich immer, mein Geschlecht will Männer, die einen auf Händen tragen, liebevoll mit ihnen umgehen und ihnen die Welt zu Füßen legen, aber scheinbar ist dem nicht so. Ich muss an meine Großeltern und die Zeit denken, in der sie aufwuchsen. Damals bemühten sich die Frauen, endlich als vollwertige Mitglieder der Gesellschaft anerkannt zu werden. Meine Großmutter und später auch meine Mutter, die in den Zeiten der feministischen Bewegung groß wurde, kämpften darum, nicht nur als Ehefrau, Mutter und Hausfrau gesehen, sondern als gleichwertige Partner geachtet und geliebt zu werden.
Da frage ich mich: Was ist nur geschehen? Warum wollen die Frauen heute all das, wofür sich unsere Vorfahrinnen einsetzten, nun wieder kaputt machen, indem sie sich freiwillig Männern unterwerfen, sich wie Dreck behandeln, bevormunden und sich sexuell ausbeuten lassen? Das geht über mein Verständnis definitiv hinaus. Ist es das, was sie in Liebesromanen lesen wollen? Einen Mann, der sie zwingt, Dinge zu tun, die sie im Herzen gar nicht wollen? Der sie betrügt, hart anpackt und sie wie Sklavinnen hält?
Jordan hat mir schon viele seiner Abenteuer erzählt, doch bisher war mir nie klar, wie ernst es um meine Spezies wirklich steht. Diese Erkenntnis kam mir erst heute beim Essen. Er ist immer ehrlich zu den Frauen, sagt ihnen, dass er nur das eine von ihnen will, und doch behandelt er sie herablassend und entwürdigend, aber nicht, weil er im Grunde so ist – das ist er ganz und gar nicht –, sondern weil sie selbst so darauf abfahren. Ich habe nichts gegen freie Liebe, keineswegs, das sollte jeder selbstbestimmt so handhaben, wie es ihm gefällt. Nur die Vorstellung, dass mein Geschlecht auf einmal wieder rückwärts rudert und auf die Spezies Mann abfährt, die ihnen … Nein! Ich kann mich mit diesem Gedanken nicht anfreunden. Das hat nichts mehr mit normalen Herzensbrechern zu tun, wie man sie früher nannte, sondern das ist eine ganz andere … üble Art. Ich muss mich schütteln.
Wieso wird mir das erst jetzt klar? Bin ich in meiner Fantasiewelt so sehr gefangen, dass ich nicht mehr merke, was um mich herum abgeht? Sieht wohl so aus. Somit stehe ich also vor dem nächsten Problem. Über welchen Typ Mann schreibe ich denn nun? Den, den ich für mich gern hätte, oder doch den für meine Begriffe total bescheuerten Bad Boy? Ob ich das meiner Protagonistin wirklich antun will?
Grübelnd setze ich mich, stelle die Schuhe neben mich und vergrabe die Finger im Sand. Oder aber eine Mischung aus beidem, außen pfui und innen hui? Wider Erwarten muss ich bei dieser Idee aber nicht an Jordan, sondern an diesen doofen Manager denken. Der nach außen hin eiskalte, angsteinflößende Bad Boy mit Anzug und Dreitagebart, der aber dennoch zuvorkommend und höflich ist, indem er der Frau den Stuhl zurechtrückt, und innen drin ein liebevoller, verständnisvoller Mann ist, der seine Angebetete auf Händen trägt. Ich muss laut lachen. Niemals! Der Typ ist nicht nur außen, sondern auch innen kälter als kalt.
Ich reibe die Hände aneinander, um sie vom Sand zu befreien, stehe auf und schüttele das Kleid aus. Mir schwebt das Wort „Thriller“ durch den Kopf, als ich ins Hotel zurückkehre. Womöglich sollte ich doch das Genre wechseln …