Leseprobe Ihr erster Ehemann

Kapitel 1

Delhi, Indien, September 1988

Die junge Amerikanerin umklammerte die Hand des Inders, den sie liebte, während der Angestellte von Air India nur ein einzelnes Ticket ausdruckte. Mit Tränen in seinen geröteten Augen nahm der junge Mann widerstrebend den Rucksack seiner Verlobten. Gemeinsam ging das Paar langsam durch die Sicherheitskontrolle auf die Gates zu.

Als der erste Aufruf für Trina Holmgards Rückflug nach New York kam, schauten sich die beiden panisch in die Augen, und Sam legte seinen Arm um sie, als wollte er sie nicht gehen lassen.

„Ein bisschen Zeit haben wir noch“, sagte Trina im Versuch, ihren Geliebten zu beruhigen, während ihr wieder Tränen in die hellblauen Augen traten. „Ich steige erst ganz zum Schluss ein, kurz bevor sie die Türen schließen, damit wir noch ein bisschen länger zusammenbleiben können.“

„Hast du ein Foto von dir, das du mir geben kannst?“, fragte der einundzwanzigjährige Sam und drückte die Hand seiner Seelenverwandten. Hektisch durchsuchte Trina ihre Taschen. Die einzigen Fotos, die sie von sich selbst hatte, waren die auf ihrem Pass und ihrem Führerschein. Ihren Pass brauchte sie, um nach Hause zu kommen, also gab sie ihm ihren Führerschein.

„Ist nicht das beste Foto von mir“, sagte sie und wischte eine weitere Träne fort. „Aber du kannst es haben, wenn du möchtest.“

Sam betrachtete es, lächelte und nahm das Foto seiner zukünftigen Ehefrau dankend an.

„Du bist so schön“, sagte er und bewunderte ihr Foto.

„Du musst mich wirklich lieben, wenn du findest, dass das Foto auf meinem Führerschein schön ist“, sagte sie gleichzeitig lachend und weinend. „Wie soll ich es ein ganzes Jahr aushalten, ohne dein Gesicht zu sehen, deine Stimme zu hören und deine Arme um mich zu spüren?“ Sie hob die Hand, um über sein dichtes dunkelbraunes Haar zu streichen.

Ein Tropfen rann Sams gebräunte Wange hinab. Er wischte ihn fort, doch es folgte sogleich ein weiterer.

Aus dem Lautsprecher schallte eine Ansage: „Air India Flug Nummer 213 nach New York mit Zwischenstopp in Frankfurt. Dies ist der letzte Aufruf.“

Alle anderen Passagiere waren bereits eingestiegen. Trina und Sam waren die einzigen im Wartebereich verbliebenen Menschen. Ein Angestellter der Airline bedeutete Trina, sich sofort zum Flugzeug zu begeben. Sie nickte ihm zu, zeigte auf ihr Handgelenk und hob einen Finger.

„Noch eine Minute“, rief sie.

Schluchzend standen sie beide auf und klammerten sich ein letztes Mal aneinander.

„Ich habe solche Angst, dich zu verlieren“, sagte Sam unter Tränen.

„Warum?“

„Wenn du Indien verlässt, kehrst du in dein altes Leben zurück und wirst mich vielleicht vergessen.“

„Red keinen Unsinn. Ich liebe dich über alles“, sagte Trina mit brechender Stimme. „Sam, ich werde deine Ehefrau werden. Vergiss das nicht, ja? Bitte hör auf zu weinen.“

„Was, wenn du jemand anderen kennenlernst, wenn du zurück in Amerika bist? Vielleicht wird dir, wenn du wieder zu Hause bist, klar, dass ich zu arm und zu wenig gebildet bin für dich?“

Tränen perlten von seinen dichten schwarzen Wimpern und benetzten sein Gesicht. Trina schloss ihre Arme fester um ihren Geliebten, um ihn davon zu überzeugen, dass ihre Gefühle echt und unzerstörbar waren, doch Sam war untröstlich. Der Angestellte wandte sich ein letztes Mal an Trina.

„Miss, wir schließen jetzt die Türen des Flugzeugs“, rief er.

„Ich bin gleich da! Bitte lassen Sie sie noch eine Minute offen.“ Sie schaute wieder ihren Verlobten an. „Sam, sieh mir in die Augen. Ich muss jetzt gehen, aber ich werde dir beweisen, dass ich zurückkomme und dich heirate.“

Sam neigte seinen Kopf und schaute in ihre großen Augen. Trina griff in ihren Nacken und löste ihre silberne Halskette mit dem antiken Amulett daran.

„Nimm das“, sagte sie und hielt ihren wertvollsten Besitz hoch. „Du weißt, dass ich mich nie vom Amulett meiner Großmutter trennen würde. Behalte es bis zum Tag unserer Hochzeit.“ Sie befestigte die silberne Kette um Sams Hals, bevor er sich sträuben konnte. Seufzend lächelte er. Nun wusste er sicher, dass sie zu ihm zurückkommen würde.

„Ich werde es niemals ablegen. Bis zu unserem Hochzeitstag.“

Sie küssten sich ein letztes Mal, dann rannte Trina zu der sich schließenden Tür.

Damals wusste sie es nicht, aber Trina Holmgards spontane und unbedachte Entscheidung, Sam ihr Amulett zu geben, hatte letztendlich den Tod Tausender und die endgültige Zerstörung ihrer beider Leben zur Folge.

Kapitel 2

Kopenhagen, 1861

Lena Jensen hatte eingewilligt, den Mann zu heiraten, den sie nicht liebte, nicht einmal mochte. In Wahrheit stieß er sie ab. Ihre übereilte, wenn auch gut durchdachte Entscheidung, ihn zu heiraten und der Betrug, der darauf folgte, beeinflussten den Lauf der Geschichte und ruinierten das Leben all ihrer Nachkommen.

Früher an jenem Tag hätte Johan Pedersen beinahe ein Loch in den alten geflochtenen Teppich auf dem Fußboden von Rasmussens Silberladen getreten. Er war ein einfach aussehender junger Mann, weder hübsch noch hässlich. Er war weder groß noch klein. Sein schlammbraunes Haar bedeckte kaum seinen übergroßen Kopf und obwohl er erst zweiundzwanzig war, wurde es bereits dünn. Seine blassen Züge blieben kaum in Erinnerung. Die Menschen vergaßen Johan meist, sodass er sich jenen, denen er schon oft begegnet war, immer wieder vorstellen musste. So war es eben. Johan war verlässlich, aber schmerzhaft langweilig, obgleich er das nicht wusste.

An jenem Tag schritt er schwitzend im kleinen Laden des Silberschmieds auf und ab. Zum zehnten Mal zog er seine Uhr hervor und seufzte. Warum braucht Mr Rasmussen so lange? Ich muss Lena Jensen etwas Wichtiges fragen. Ich muss mein silbernes Amulett heute bekommen.

Seit beinahe einem Jahr hatte Johan sorgfältig Geld zur Seite gelegt, um eigens für die Frau, die er liebte, ein silbernes Schmuckstück anfertigen zu lassen. Er war davon überzeugt, dass es zu einer positiven Antwort führen würde, wenn er Lena das Amulett präsentierte, während er ihr seine wichtige Frage stellte.

Die Ladentür schwang auf und brachte das kleine Glöckchen daran zum Klingen. Rasmussen hörte das Klingeln und kam aus dem Hinterzimmer geeilt, um ein älteres Paar zu bedienen, das das Geschäft betreten hatte.

Johan stand unruhig neben der Eingangstür und begann bald wieder, auf und abzugehen. Mr Rasmussen, wenn Sie alle fünf Minuten eine Pause machen, um Kunden zu bedienen, wird es für mich zu spät werden, um meine süße Lena zu einem Spaziergang einzuladen.

Nach der Meinung der meisten Leute war die siebzehnjährige Lena Jensen das schönste Mädchen im ganzen südlichen Kopenhagen. Niemand konnte sagen, was genau die junge Frau so bezaubernd machte. Jeder ihrer Gesichtszüge für sich genommen war nicht spektakulär. Die äußeren Winkel ihrer strahlend blauen Augen zeigten nach oben, während die Augen an sich klein waren und eher eng beieinander standen. Ihre Lippen waren eigentlich zu groß für ihr Gesicht und ihre Nasenspitze zeigte vielleicht ein wenig zu weit nach oben. Jedes dieser Attribute allein war gewöhnlich, doch zusammen erschufen sie eine Symphonie. Mit ihrer großartigen rotblonden Mähne wurde Lena von den Mädchen beneidet und von den Jungen begehrt.

Für die meisten jungen Männer war sie unerreichbar, als wollte man einen Kolibri fangen. Der einfache und langweilige Johan jedoch hatte sich selbst davon überzeugt, dass er und Lena füreinander bestimmt wären.

Lena und ihre beiden jüngeren Schwestern arbeiteten jeden Tag nach der Schule im Gemischtwarenladen ihrer Eltern. Auf seinem Heimweg ging Johan regelmäßig und mit voller Absicht daran vorbei, um „zufällige“ Treffen mit Lena zu arrangieren. Jedes Mal, wenn er aus Versehen auf der Straße mit ihr zusammenstieß, war er sich sicher, dass sie sich freute, ihn zu sehen, denn sie lächelte immer und lachte über seine Witze.

„Was für ein Zufall, dass ich schon wieder mit dir zusammenstoße“, rief Lena mehr als ein Mal.

Johan bemerkte, dass sie jedes Mal, wenn er in ihr Geschäft kam, selbst wenn sie gerade einen Kunden bediente, ein paar Minuten fand, um ihm ein Stück Kuchen oder eine Leckerei anzubieten. Er war sich auch sicher, dass sie beim letzten Weihnachtsball häufiger mit ihm als mit irgendwem sonst getanzt hatte – klare Anzeichen dafür, dass sie ebenso fühlte wie er.

In Wahrheit bemerkte Lena Jensen Johan kaum und er war auch überhaupt nicht ihr Typ. Sie hatte ihr Herz bereits an jemand anderen verschenkt, einen Schauspieler einer umherziehenden Theatergruppe. Die Affäre hatte begonnen, als Lena mit ihrer Mutter und ihren Schwestern ein neues Stück besucht hatten. Er war außergewöhnlich gut aussehend und alle Mädchen im Publikum schmolzen dahin. Er war groß, muskulös und schlank, mit dichtem, gewelltem dunkelbraunem Haar und einem passenden Schnäuzer. Mit übermütiger Selbstsicherheit bewegte er sich über die Bühne. In dem Augenblick, als er ins Rampenlicht trat, nahmen seine schwermütigen Augen Lenas Herz gefangen. Ihre Haut fühlte sich heiß an, ihr Herz schlug wild und sie bekam kaum Luft, als sie im dunklen Zuschauerraum saß. Noch nie zuvor hatte sie etwas Derartiges gefühlt und überlegte sorgfältig, was diese neuen Empfindungen wohl bedeuten mochten. Normalerweise bewunderten die Jungen sie, nicht umgekehrt. Ihr wurde klar, dass sie sich in einen völlig Fremden verliebt hatte, und es gefiel ihr.

In den nächsten Tagen lieh sich Lena ein paar Kronen aus der Ladenkasse, um sich Karten für die Vorstellungen zu kaufen. Sie stahl sich vorzeitig aus dem Geschäft davon, traf sich an der Ecke mit einer Freundin und saß dann im Theater in der ersten Reihe. Am dritten Tag bemerkte der junge Mime die hübsche junge Frau mit dem rotblonden Haar, die schmachtend zu ihm aufblickte.

Lena hatte verschiedene Freundinnen gebeten, sie zu den Vorstellungen zu begleiten, aber am fünften Tag hatte niemand Zeit, mit ihr zu gehen. Sie wollte sich keine Gelegenheit ihn wiederzusehen entgehen lassen und saß nun also allein auf ihrem üblichen Platz in der ersten Reihe.

In der Pause steckte ihr ein Platzanweiser eine Nachricht zu, in der sie eingeladen wurde, den Schauspieler nach der Vorstellung in seinem Umkleideraum zu treffen. Nervös, aber auch begeistert, interpretierte sie diese Geste als ein Zeichen, dass der Schauspieler ebenso fühlte wie sie. Nachdem die Schauspieler sich das letzte Mal verbeugt hatten, verließ Lena das Theater und ging um das Gebäude herum zum Bühneneingang. Ihr Herz schlug so wild, dass sie glaubte, es müsste ein klaffendes Loch in ihre Brust reißen. Sie näherte sich einem alten Mann, der auf einem Stuhl vor der Tür saß. Er las eine Zeitung und hörte sie nicht. Leicht zitternd räusperte sie sich und reichte ihm die Einladung, die sie bekommen hatte.

Der alte Mann schaute zu dem eifrigen jungen Mädchen auf und schüttelte in einer Mischung von Mitleid und Verachtung seinen Kopf. Sie ist viel hübscher als die meisten Mädchen, die mit ähnlichen Einladungen hier aufgetaucht sind. Ein paar von ihnen waren wirklich unattraktiv und eine hatte enorme Füße. Die hier ist recht attraktiv und duftet nach Honig und Rosenwasser. Er zeigte auf eine Tür den Flur hinunter.

„Sicher, dass Sie dort hineingehen möchten, Miss?“, brummelte der alte Mann und hob eine Augenbraue.

„Oh ja, das bin ich“, sagte Lena, hob ihr Kinn und rauschte mit solcher Entschlossenheit an dem Mann vorbei, dass ihre fliegenden Röcke seine Zeitung zu Boden fegten.

Sie hielt auf die Tür des Umkleidezimmers zu und klopfte selbstbewusst, hauptsächlich wegen des alten Mannes. Einen Augenblick später vernahm sie den unmissverständlichen Bariton ihres Schauspielers durch die geschlossene Tür.

„Ich ziehe mich gerade um. Die Tür ist offen. Komm herein und schließe sie bitte hinter dir.“

Lena betrat das Zimmer und schloss die Tür. Der Schauspieler, der an seinem Schminktisch saß, betrachtete sie durch den Spiegel.

„Komm herein und setz dich“, sagte er. „Ich bin John. Aus der Nähe bist du noch hübscher.“

Lena schenkte ihm ein kleines Lächeln und spürte, wie sie errötete.

„Und wie ist dein Name, meine Schöne?“

„Lena. Mein Name ist Lena.“

In ihren achtzehn Jahren hatte die junge Frau sich immer tadellos verhalten. An diesem Tag erlag sie jedoch vollkommen dem Charme des Schauspielers, direkt auf der abgenutzten, mit Goldbrokat bezogenen Chaiselongue in seinem Umkleidezimmer.

Als sie fertig waren, kleidete sie sich an und stellte sicher, dass alles an seinem Platz war. John kam auf sie zu, lächelte und küsste sie auf die Stirn. Er sagte, er hoffte, sie wieder im Publikum zu sehen.

Als sie das Theater verließ und an dem alten Bühnenarbeiter vorbeikam, hörte sie ihn etwas murmeln, das sie jedoch nicht verstand. Es interessiert mich sowieso nicht, was dieser müffelnde alte Mann denkt. Ich bin verliebt und ich weiß, dass John mich liebt.

An den nächsten sechs Abenden besuchte Lena jede Vorstellung. Danach gab sie eine souveräne Vorstellung auf der Chaiselongue in Johns Umkleidezimmer. Am sechsten Tag, als Lena die Knöpfe an ihrem Ärmel schloss, teilte ihr der Schauspieler Neuigkeiten mit. „Ich werde dich wirklich vermissen, süße Lena“, sagte er, während er sich im Spiegel bewunderte und seinen dichten Schnäuzer glattstrich. „Unsere Theatergruppe wird morgen abreisen, um quer durch Europa zu reisen. Danach kehren wir nach Amerika zurück. Wir sind in achtundzwanzig Städten gebucht. Ich fürchte, es wird ein oder zwei Jahre dauern, bis ich nach Kopenhagen zurückkehre.“

Ein schrilles Klingeln kreischte in Lenas Ohren und sie bekam keine Luft in ihre Lunge. „Du wirst ein Jahr fort sein?“, keuchte sie. „Aber ich dachte, wir würden zusammen sein. Ich verstehe das nicht. Ich dachte, wir würden heiraten.“

Der Mann schüttelte seinen Kopf und fragte sich, warum all diese jungen Mädchen seine Handlungen immer fehlinterpretierten. Seufzend ging er zu einem großen schwarzen Koffer und öffnete ihn. Er fischte eine hölzerne Zigarrenkiste heraus, die mit mehreren Dutzend Perlenarmbändern gefüllt war, jedes mit einem Anhänger in Form einer Rose daran. Auf der Rückseite waren folgende Worte eingraviert: Mit all meiner Liebe, J. W. B.

Er nahm eines heraus, schloss den Koffer und wandte sich der sichtlich blassen und entsetzten jungen Frau zu.

„Gib mir deinen rechten Arm, Lena. Ich habe ein Geschenk extra für dich anfertigen lassen, damit du dich an mich erinnerst.“

Mit großem Pathos befestigte der Mann das Armband um Lenas Handgelenk, trat zurück und betrachtete sein großzügiges Geschenk. „Ich habe es extra für dich anfertigen lassen, damit du mich nicht vergisst“, sagte er lächelnd.

Sanft berührte Lena den Anhänger. Ihre Fingerspitzen fuhren über die raue Gravur auf der Rückseite. Dort steht: Mit all meiner Liebe. Er liebt mich also doch.

„Meine Karriere als Schauspieler verlangt, dass ich die Welt aus erster Hand erfahre“, sagte der Schauspieler. „Ich hoffe, du hast die Art unserer sehr angenehmen Freundschaft nicht missverstanden. Natürlich hege ich große Zuneigung zu dir.“

„Aber ich dachte …“, sagte Lena.

„Sicher ist dir klar, dass ich für meine Kunst meine Unabhängigkeit wahren muss“, sagte John Wilkes Booth und fuhr mit seinen Lippen über ihre Stirn. Kurz darauf ging er zu seinem Schminktisch zurück und fuhr damit fort, sich zurechtzumachen. „Es wird spät, süße Lena. Ich muss mich umziehen, sonst komme ich zu spät zu einem Abendessen. Schließ die Tür, wenn du gehst.“

Sie erinnerte sich nicht daran, das Theater verlassen zu haben, aber irgendwie schaffte sie es nach Hause, wo sie zu Bett ging, ohne mit jemandem zu sprechen. Vorwürfe wurden in ihrem Kopf laut. Was habe ich getan? Er interessiert sich überhaupt nicht für mich. Was für ein schrecklich dummes Mädchen ich war.

In dieser Nacht schwor sie sich, den Schauspieler nie wieder zu sehen und auch nie wieder von ihm zu sprechen. Lena verlor kein Wort über ihn. Zu niemandem. Etwas weniger als drei Monate später gestand sie sich widerstrebend ein, dass sie schwanger war. Die Veränderungen an ihrem Körper waren deutlich und sie wusste, was ihr in sechs oder sieben Monaten bevorstand. Der Tag, an dem ihr klar wurde, dass sie Mutter werden würde, war derselbe, an dem Johan Pedersen mit dem handgefertigten silbernen Amulett zu ihr kam. Es war ein windiger Sonntagnachmittag. Lena hatte im Laden gerade Schuhkartons ins Regal gestapelt und war tief in Gedanken über ihre missliche Lage. Johan kam vorbei und fragte, ob sie Zeit hätte, mit ihm spazieren zu gehen. Normalerweise hätte sie ihm eine Süßigkeit gegeben, um ihn loszuwerden, hätte ihm gesagt, sie wäre zu beschäftigt. Doch heute war sie froh über einen Anlass hinauszugehen und frische Luft zu schnappen.

Während sie die windgepeitschten Kopfsteinpflasterstraßen der Stadt entlanggingen, spürte Lena, wie sich die roten, gelben und braunen Blätter aufbauschten und um ihre Beine wirbelten. Johan plapperte über das Geschehen in der Stadt und den örtlichen Klatsch, doch Lena hörte kaum ein Wort von dem, was er sagte. Als sie um eine Ecke gingen, blies der Wind Laub und Staub auf das junge Paar. Johan stellte sich vor Lena, um sie zu schützen, und ergriff die Gelegenheit, ihre Hand zu nehmen. Erschrocken und verwirrt wünschte Lena, sie hätte nie eingewilligt, diesen Spaziergang zu machen.

„Lena Jensen, es gibt da etwas unglaublich Wichtiges, das ich dich fragen muss.“

Lena schaute in sein verquollenes rotes Gesicht mit den kleinen Knopfaugen. Er schwitzt und atmet so schwer. Warum drückt er meine Finger so? Ich habe ihm nicht erlaubt, meine Hand zu halten.

„Lena Jensen, ich liebe dich seit dem Augenblick, in dem ich dich das erste Mal sah“, sagte Johan. „Ich hoffe, dass du vielleicht genauso empfindest. Wenn du in Erwägung ziehst, meine Frau zu werden, verspreche ich dir ein Leben voller Liebe und Sicherheit. Du wirst dich niemals um irgendetwas sorgen müssen und ich werde immer auf dich achtgeben.“ Als er fertig war, hielt er den Atem an.

Lena klappte die Kinnlade herunter und sie machte große Augen. Das hatte sie nicht erwartet. Bevor sie antworten konnte, zog der junge Mann nervös eine kleine blaue Schachtel aus der Innentasche seiner Jacke und hob den Deckel. „Seit beinahe einem Jahr habe ich gespart, um das für dich anfertigen zu lassen, liebste Lena“, verkündete er stolz. In der Schachtel lag ein glänzendes ovales Silberamulett mit fein gekörnten Spitzen. Es hing an einer dicken Silberkette und hatte einen sehr schicken Verschluss. Auf der Vorderseite war ein Herz eingraviert. Er öffnete das Amulett und darin standen die Worte Du bist mein Herz.

Abgesehen von ihrer kürzlichen Tändelei mit dem Schauspieler, war Lena meist eine praktisch veranlagte junge Frau. Schnell lotete sie ihre Optionen aus. Johan hat eine Menge in Kauf genommen und bezahlt, um dieses Amulett für mich zu machen. Das ist sehr süß von ihm. Aber er ist immer noch abstoßend und recht lästig.

Sie hatte nicht viel Zeit, denn bald würde man ihre Schwangerschaft sehen können. Nach einer kurzen innerlichen Debatte und ohne weitere Lösungen oder Anträge in Aussicht setzte Lena ein Lächeln auf und nahm Johans Antrag gemeinsam mit dem silbernen Amulett an. „Ich werde deine Frau Johan, wenn du mich sofort heiratest“, sagte Lena. „Sobald ich mich für etwas entscheide, muss es schnell gehen, sonst ändere ich vielleicht meine Meinung.“

Überrascht von seinem Glück klatschte Johan in die Hände und verkündete, er sei der „glücklichste Mann der Welt“. Vorsichtig legte er die silberne Kette um Lenas langen weißen Hals und war sich sicher, dass die Magie des Amuletts ihm geholfen hatte, die Antwort zu bekommen, von der er geträumt hatte.

„Versprich mir, dass du das Amulett niemals ablegen wirst“, sagte er. „Du trägst es jeden Tag als Symbol unserer ewigen Liebe.“

Lena stimmte zu.

In der nächsten Woche trafen sich ihre beiden Familien in der örtlichen Kapelle, wo Pater Schmidt Lena und Johan vor Gott vereinte. Am Ende der Zeremonie küsste Johan seine Braut zum ersten Mal. Er war verliebt.

Ihr war übel, doch sie war erleichtert.

Sieben Monate später kam ihre Tochter verfrüht zur Welt. Trotz seiner vorzeitigen Geburt war das Baby zur Überraschung aller recht groß. Niemand außer Lena bemerkte, dass das Baby dem Mann, den sie aus dem Dunkel des Zuschauerraums bewundert hatte, wie aus dem Gesicht geschnitten war.

Ihrem Versprechen getreu trug Lena das silberne Amulett von ihrem Hochzeitstag an täglich. Es war eine ständige Erinnerung an ihre jugendliche Verfehlung, die Zurückweisung durch den Schauspieler und die lieblose Ehe, die sie eingegangen war. Sie hasste das Schmuckstück mehr als alles andere.

Achtzehn Jahre später, am Tag vor der Hochzeit ihrer einzigen Tochter, hatte Lena eine Idee und sprach darüber mit ihrem Ehemann. „Ich denke, wir sollten meine wunderschöne Halskette unserer Tochter zur Hochzeit schenken“, sagte Lena. „Dieses Amulett hat uns Glück gebracht und wird dasselbe sicher für unsere wunderbare Tochter tun.“ Es dauerte eine Weile, bis sie Johan überzeugt hatte, aber schließlich willigte er ein. „Es fällt mir schwer, mich davon zu trennen“, sagte Lena. „Aber es ist ein Opfer, das ich für unsere Tochter gern bringe.“

Am nächsten Tag, als Lena sich für die Hochzeit ihrer Tochter ankleidete, stand sie vor dem Spiegel. Zum ersten Mal seit beinahe zwanzig Jahren war ihr langer Hals nackt. Sie lächelte und gratulierte sich zu ihrem Scharfsinn. Das Amulett hatte sich immer wie eine Galgenschlinge angefühlt und nun war es endlich fort. Sie konnte wieder atmen.

Als Lena Johans Liebesamulett annahm und ihn glauben machte, das Baby wäre seines, waren sie und all ihre Nachkommen, die das Amulett trugen, verflucht.

Fast sechs Jahre nach Lenas Hochzeit mit Johan, am fünfzehnten April 1865, erschoss John Wilkes Booth im Ford Theater in Washington DC den Präsidenten Abraham Lincoln und änderte den Lauf der Geschichte. Mehr als hundert Jahre später sollte die Nachfahrin von John Wilkes Booth und Lena unwissentlich der Auslöser einer Katastrophe sein, die die Welt veränderte.

Kapitel 3

New York City, Juli 1988

Das Terminal für internationale Flüge am JFK-Flughafen war voller Sommertouristen. Trina war eine von ihnen, nachdem sie ihre Indienreise monatelang geplant hatte. Ihre beste Freundin Jenn Fairchild stand neben ihr, hatte ihre Nase in ein Hochglanzmagazin vergraben und war sich des Flughafenchaos um sie herum nicht bewusst.

Seit ihrer ersten Collegetage am CUNY waren die beiden jungen Frauen unzertrennlich. Sie hatten den gemeinsamen Traum, Herausgeberinnen landesweiter Magazine wie Vogue oder Rolling Stone zu werden. Beide waren auf einem guten Weg, ihr Ziel zu erreichen. Jenn war Redaktionsassistentin bei einem beliebten Psychologie-Magazin und Trina redigierte Beiträge für eine medizinische Fachzeitschrift. Sie waren praktisch Kopien ihrer selbst, außer dass Jenns schulterlanges Haar pechschwarz und Trinas schmutzig blond war. Beide waren genau einen Meter fünfundsechzig groß und hatten blaue Augen. Mit derselben Leidenschaft teilten sie sowohl ihre Kleidung als auch ihre Träume. Sie waren eher Schwestern als Freundinnen.

Während sie zum Gate gingen, dachte Trina an ihre Großmutter Nanna Mae und das lange, schmerzhafte Jahr, das seit ihrem Tod vergangen war. Sie spürte einen Kloß im Hals und atmete tief durch die Nase ein, um die Luft dann durch den Mund wieder auszustoßen.

„Setz ein Lächeln auf“, hatte Nanna Mae immer mit einem Augenzwinkern gesagt. „Dein Gehirn glaubt dann, du wärest glücklich, selbst wenn du es nicht bist. Vertrau mir, Kleines, es funktioniert.“ Lächelnd erinnerte sie sich daran, als Nanna und sie einen Brief bekamen, in dem stand, dass Trina ein Stipendium fürs College bekommen hatte. Ihre Großmutter war durch die Küche getanzt, hatte zwei Topfdeckel aneinandergeschlagen und dazu gekräht. Später am selben Tag hat sich die Freudenstimmung dramatisch verändert, als Trina von einer Freundin erfuhr, dass Jake Mainelli, der Junge, in den sie heimlich verliebt war, ein anderes Mädchen zur Prom eingeladen hatte. Trina war sich sicher gewesen, dass Jake ebenso fühlte wie sie, und war nun wütend auf sich selbst, weil sie so dumm gewesen war und so falschgelegen hatte. Ihre Unfähigkeit, Beziehungen genau zu betrachten, war ihre Achillesferse und würde sie für den Rest ihres Lebens plagen. Jake war nur der erste von zahlreichen unerwiderten Liebschaften, die sie falsch verstanden hatte. An diesem Tag hatte Nanna Mae die schluchzende Teenagerin in die Arme geschlossen und ihr versichert, dass alles wieder gut werden würde. Beinahe hätte Trina ihr geglaubt.

„Es wird eine Menge anderer Jungen geben, Kleines. Viel bessere als diesen dummen Jake Wie-hieß-er-noch-gleich“, sagte Nanna und drückte sie erneut. „Konzentriere dich auf die guten Nachrichten. Du wirst aufs College gehen!“

Trinas Mutter war gestorben, als Trina erst zwei gewesen war. Sie hatte nie enthüllt, wer Trinas Vater war. Nanna Mae war alles für sie gewesen. Ihre Mutter, ihre Lehrerin, ihre Heldin. Im Winter war ihre kleine Zweizimmerwohnung in Astoria, Queens, stets vom köstlichen Duft von Nanna Maes Suppen erfüllt gewesen, die auf dem Herd simmerten. Im Sommer roch es nach Nannas Kaffee-Zimt-Muffins. Nun wurden diese tröstlichen Düfte durch den schwachen Gestank von Schimmel gemischt mit schalem Zigarrenrauch ersetzt, der durch die Dielen aus der Wohnung des dicken Mannes aus der ersten Etage nach oben drang. Ihre letzte Unterhaltung mit ihrer Großmutter spielte sich in einer Endlosschleife in Trinas Kopf ab. Kurz vor ihrem Tod hatte Nanna Mae Trina ihr antikes Silberamulett gegeben, das seit Generationen in der Familie weitergegeben wurde.

„Leg es an“, befahl Nanna. „Es gehört nun dir. Trag es jeden Tag, so wie ich es getan habe, und eines Tages wirst du es deiner eigenen Tochter weitergeben. Denk dran, es wird dich beschützen, so wie es mich und alle Frauen in unserer Familie beschützt hat.“

Trina hatte Tränen in den Augen, als sie das Amulett zum ersten Mal anlegte.

„Leg es niemals ab, versprich es mir“, sagte Nanna Mae.

„Ich verspreche es, Nanna. Ich werde es immer tragen.“

Zufrieden lächelnd schloss die alte Frau ihre Augen. Zwanzig Minuten später war sie gegangen und Trina war wahrhaftig allein. Nanna war Trinas beste Verteidigerin gewesen und ihre größte Stütze, wenn es darum ging, an sich selbst zu glauben und zu erkennen, dass Trina es wart war, geliebt zu werden.

Nun war Jenn das, was für Trina einer Familie am nächsten kam, und ihre Freundschaft bedeutete ihr alles.

Die Durchsage aus dem Lautsprecher des Flugzeugs lenkte Trinas Aufmerksamkeit wieder auf die vor ihr liegende Aufgabe.

„Alles in Ordnung?“, fragte Jenn und tippte ihrer Freundin auf die Schulter, während sie langsam den Gang entlanggingen.

„Warum?“

„Ich habe dir dreimal dieselbe Frage gestellt.“

„Sorry. War in Gedanken“, sagte Trina und zuckte die Achseln. „Ich habe nur gerade daran gedacht, wie sehr sich das Leben im letzten Jahr verändert hat. Zuerst habe ich meine Großmutter verloren und alles, was sie mir hinterlassen hat, benutzt, um zu studieren, und nun diese Reise. Vor einem Jahr hätte ich nicht geglaubt, dass ich meinen Master schaffen und nach Indien reisen würde. Was wolltest du mich fragen?“

„Jetzt weiß ich es nicht mehr“, sagte Jenn, verdrehte ihre Augen und streckte die Zunge heraus.

Zwanzig Stunden später, nach einem Zwischenstopp in Frankfurt, landete das Flugzeug sanft in Neu-Delhi, Indien. Als die Räder den Asphalt berührten, spürte Trina eine Mischung aus Aufregung und Entschlossenheit. Vor Jahren, als Trinas Großvater auf der Long Island Railroad einen tödlichen Herzanfall erlitten hatte, hatte sich ihre Großmutter gänzlich auf ihre Enkelin konzentriert und ihre eigenen Träume begraben. Trina machte diese Reise im Gedenken an ihre Großmutter. Sie wollte alle Orte besuchen, von denen Nanna Mae immer geträumt hatte, ohne je die Gelegenheit zu haben, sie zu besuchen. Das Taj Mahal stand ganz oben auf der Liste.

Obwohl sie erschöpft waren, nachdem sie ihr kleines, nicht sehr sauberes Hotelzimmer bezogen hatten, wagten sich die beiden Amerikanerinnen hinaus in den Morast von Neu-Delhi.

Gebäude schienen vor ihren Augen zu zerfallen, während auf heruntergekommenen Seitengassen und Straßen viel zu viele Menschen liefen. Körper, sowohl menschliche als auch tierische, bewegten sich in alle Richtungen und gelangten doch nirgendwo hin. Indische Frauen in farbenprächtigen Saris und mit glänzenden goldenen Armreifen, farbige Punkte auf der Stirn und winzige Juwelenstecker in der Nase, schufen einen spektakulären Regenbogen. Umherlaufendes Vieh suchte nach Nahrung oder Wasser. Abgase traten in Wolken von dichtem schwarzem Rauch aus den Fahrzeugen, während Sirenen plärrten. Unaufhörliches Hupen war allgegenwärtig, scheinbar ohne jeden Grund. Die Luft war von einer Mischung aus Gerüchen erfüllt, manche gut, die meisten schlecht; eine Kombination aus Benzin, Zigaretten, gekochtem Fleisch, Curry und dem Gestank nach faulendem Abfall. Am schlimmsten waren die Fliegen. Eine unvorstellbare Anzahl von großen dicken schwarzen Fliegen landete auf Essen und Gesichtern, krabbelte in Augen und Ohren.

„Bedecken Sie sich und verhalten Sie sich unauffällig, wenn Sie in Indien auf die Straße gehen, Ladys“, hatte ihr New Yorker Reiseveranstalter sie gewarnt. „Delhi ist nicht New York. Respektieren Sie die örtlichen Bräuche. Junge alleinstehende Inderinnen gehen nicht ohne eine Anstandsdame hinaus. Ziehen Sie also keine Aufmerksamkeit auf sich.“

Die beiden Freundinnen taten ihr Bestes, um mit der örtlichen Bevölkerung zu verschmelzen, trugen Kopftücher, lange Röcke, langärmlige Shirts und Sonnenbrillen, um ihre hellen Augen zu verbergen. Sie waren deutlich größer und hatten einen auffallend helleren Teint als die Inderinnen und ihre Verkleidung funktionierte nicht gut. So sehr die Frauen sich auch mühten, nicht aufzufallen, johlten Scharen junger Inder ihnen hinterher und machten lüsterne Kommentare auf Hindi und Englisch. Die Frauen wurden gestoßen, gequetscht, geschoben und betatscht. Warme grobe Hände grabschten nach ihren Schenkeln und wurden zwischen ihre Beine gestoßen. Schamlos langten Finger nach ihren Brüsten oder umfingen ihre Pobacken. Hände schossen aus der Menge hervor, griffen unter ihre Röcke oder unter die Vorderseite ihrer Shirts, um schnell zuzugreifen.

„Folgendes wird passieren. Wenn noch irgendein Kerl seine Finger in die Nähe meiner Oberschenkel bringt“, sagte Jenn kühn und hob ihr Knie, „wird er das hier spüren, und zwar da, wo es wehtut. Denk dran, ich habe in den drei letzten Jahren Kickboxen gelernt. Das kann ich nun auch einsetzen.“

Zusätzlich zu den jungen Männern wurden die Amerikanerinnen von Bettlern belagert. Einigen fehlte eine Hand oder ein Fuß. Sie hoppelten mit provisorischen Krücken herum, die aus unförmigen Holzstücken oder Ästen gezimmert waren. Scharen ausgemergelter Kinder in Lumpen folgten ihnen und umzingelten sie, baten um Geld oder Essen, während sie nach den Röcken der Frauen griffen und auf ihre offenen, hungrigen Münder zeigten.

Baksheesh. Baksheesh“, riefen die Kinder und baten damit auf Hindi um eine Gabe. Aus Mitleid gaben Trina und Jenn ihnen an diesem Tag alles, was sie bei sich hatten.

Am nächsten Morgen gingen die beiden nach Agra, um das Taj Mahal zu sehen. Das riesige weiße Gebäude, das beinahe vollkommen aus Marmor bestand, war eines der Dinge, über die Nanna Mae viel gelesen hatte. Sie war davon besessen gewesen.

„Abhängig von der Tageszeit und dem Licht sieht das Taj Mahal immer anders aus, Kleines“, hatte Nana gesagt. „Versprich mir, dass du zu verschiedenen Zeiten hingehst.“

Als der Abend heraufzog, spazierten Trina und Jenn durch die chaotischen Straßen auf eines der „menschengemachten Weltwunder“ zu. Sie gingen unter einem übergroßen, reich verzierten steinernen Torbogen hindurch, und da war es: das majestätische Taj Mahal.

„Wow“, sagte Trina, legte ihre Hand auf ihre Brust und berührte ihr Amulett.

„Unglaublich“, sagte Jenn mit großen Augen. „Ich habe nie etwas Vergleichbares gesehen.“

Das Abendlicht strahlte das Gebäude so an, dass es zu leuchten schien. Aus bestimmten Blickwinkeln wirkte es zweidimensional, als wäre es auf den Horizont gemalt. Die warmen Farben des Sonnenuntergangs warfen einen hellen orangefarbenen Schleier über das gesamte Gebäude. Das farbenprächtige Taj Mahal spiegelte sich im Wasser langer Teiche, die sich davor ausbreiteten.

„Es ist so wunderschön“, sagte Jenn. „Ich gebe es zu. Ich bin beeindruckt.“

Am nächsten Morgen kamen sie zum Sonnenaufgang zurück. Diesmal changierte das Taj von Orange zu Blassgelb, um schließlich in irisierendem Weiß zu enden.

Danach nahmen sie ein Taxi zum zentralen Busbahnhof, um dort eine zwölfstündige Reise nach Kashmir anzutreten. „Vergiss nicht, Trina, auf einem Hausboot in Kashmir zu übernachten, wenn du in Indien bist. Ich habe alles darüber in diesem Reisemagazin gelesen“, hatte Nanna Mae gesagt und Trina den Artikel gezeigt. „Es liegt im Norden Indiens, in der Nähe von Pakistan, doch Touristen können nicht immer dorthin reisen, wegen der politischen Lage und sich bekriegender Stämme, heißt es. Also fahr nur dorthin, wenn es sicher ist.“

„Du machst Witze, oder?“, sagte Jenn, als sie den Bus sah, der sie nach Kashmir bringen sollte. „Das ist ein verdammter Schulbus, und er hat keine Klimaanlage. Er sieht aus, als wäre er aus Restteilen zusammengebaut worden.“

Der Fahrer steckte drei Passagiere auf Sitze für zwei. Jenn wurde ans Fenster gedrängt, Trina saß neben ihr und eine beleibte Inderin in einem leuchtend blauen Sari am Gang. Als alle Plätze besetzt waren, wies der Fahrer weitere Menschen an, sich in den Gang zu stellen.

„Oh mein Gott“, sagte Trina. „Diese armen Leute müssen die ganze Fahrt über im Gang stehen.“

„Das macht ihnen nichts aus. Schau in ihre Gesichter“, flüsterte Jenn. „Sieht aus, als wäre das normal. Schnall dich an. Nächster Stopp ist die Hölle“, rief Jenn Trina über den Lärm hinweg zu. „Oh, welch eine Überraschung – es gibt gar keine Sicherheitsgurte. Wir werden in diesem Ding sterben.“

Der klapprige Schulbus bahnte sich seinen Weg durch die steilen tückischen Bergstraßen. Dunst schränkte die Sicht ein. Der Fahrer fuhr in halsbrecherischem Tempo und verlangsamte auch in den Haarnadelkurven kaum. Trina und Jenn klammerten sich aneinander und hielten sich zusätzlich an den Metallstangen der Sitze vor ihnen fest.

„Der Irre, der diesen Schrotthaufen fährt, wird uns noch den Hang hinab steuern“, schrie Jenn über den Motorenlärm hinweg. „Ich habe über Busse gelesen, die in Indien Abhänge hinabgestürzt sind. Es kommt regelmäßig vor. Einmal pro Woche vielleicht.“

Kapitel 4

Kashmir

Am Morgen passierte der Bus ein Schild, auf dem Srinagar stand, die Stadt, die sie in Kashmir besuchen wollten. Das Fahrzeug bog nach links auf einen großen Busbahnhof ab und blieb abrupt stehen. Der Busfahrer riss die Tür auf und entließ die erschöpften Reisenden aus ihrem zwölf Stunden währenden Elend. Trina blickte durch das schmutzige Fenster hinaus und biss sich auf die Unterlippe. Der chaotische Busbahnhof war eine Mischung aus Schrottplatz und staubigem Marktplatz. Menschen wuselten umher, kauften und verkauften Essen, Wasser, Schmuck, Tücher, Kleider, Frösche, Töpferwaren, Hunde – sogar Medizin. Im Kontrast dazu bestand die Landschaft um den Bahnhof aus üppigem, sattem Grün, das in der Ferne von majestätischen, schneebedeckten Gipfeln eingefasst wurde.

Auf der linken Seite stand eine Gruppe von Männern, die Schilder hochhielten, auf denen das Wort Hausboot in mehreren Sprachen stand. Sie wedelten mit Bildern von Booten und Zimmern, die zu vermieten waren.

„Sprechen Englisch?“, riefen sie Trina und Jenn zu. „Deutsch? Habla español? Parle français? Aussie? Kiwi?“

„Wir sind Amerikanerinnen“, rief Trina lächelnd.

Die Männer reckten grinsen ihre Daumen in die Höhe. „Willkommen, schöne amerikanische Lady“, riefen sie zurück. „Wollen Hausboot? Brauchen Zimmer? Ich habe schönes Boot.“

Während die Frauen die Angebote durchgingen, wurden die indischen Verkäufer aggressiver und drückten den Frauen weitere Fotos und Kundenbewertungen in verschiedenen Sprachen in die Hände. Ihre Beteuerungen wurden lebhafter und auch die Lautstärke, die Aufregung und die Bedrängnis nahmen zu. Über all den Lärm hinweg hörten sie von hinten eine ruhige, besonnene Männerstimme in perfektem Englisch. Ihr Ton war fest und beruhigend, gemischt mit einem Anflug von Amüsement. „Guten Morgen, die Damen. Sie sehen ein wenig verwirrt aus. Vielleicht kann ich Ihnen behilflich sein.“

Die Frauen fuhren herum. Ein lächelnder Inder in seinen Zwanzigern hielt ein braunes Klemmbrett und klickte mit seinem Kugelschreiber. Er trug khakifarbene Shorts und ein grünes Poloshirt von Lacoste, dessen Kragen aufgerichtet war. Sein gelocktes, dunkelbraunes Haar war sorgsam gekämmt und mit seinen dichten schwarzen Wimpern sah er aus, als trüge er Eyeliner.

„Er sieht aus wie dieser Schauspieler aus unserem Stummfilm-Kurs“, flüsterte Jenn. „Wie hieß er noch?“

„Rudolph Valentino“, antwortete Trina sofort.

„Wie kannst du das noch wissen? Du bist verrückt, weiß du das?“

Der Mann mit der beruhigenden Stimme hatte ein einladendes Lächeln und zwei Reihen gerader, strahlend weißer Zähne. Mit seinem Klemmbrett und dem Kugelschreiber sah er sehr geschäftsmäßig aus, wie ein Kapitän. „Willkommen in Kaschmir. Mein Name ist Samir, aber alle nennen mich Sam“, sagte er selbstbewusst und mit einem schiefen Grinsen. „Brauchen Sie Hilfe bei der Wahl einer Unterkunft? Unser verworrenes System hier ergibt für uns absolut Sinn, kann für Fremde aber schwer nachvollziehbar sein.“

Während er sprach, spürte Trina, wie ihre Aufregung sich legte. Innerhalb von fünf Sekunden hatte der junge Mann es geschafft, das ganze Chaos verschwinden zu lassen. Die Bootsbesitzer begannen, Sam Worte auf Kashmiri an den Kopf zu werfen.

„Ja“, sagte sie über den Lärm hinweg. „Wir haben keine Ahnung, wohin wir gehen sollen.“

Sam lächelte und bedeutete den Frauen, ihm von den anderen Männern fort zu folgen. Als die drei sich entfernten, erhoben die Bootsbesitzer ihre Fäuste und schrien Sam hinterher. Der junge Inder hielt inne, ging zu ihnen hinüber und schrie zurück, untermalt von heftigen Gesten. Einer der Männer kam näher und schubste Sam. Sam stolperte und fiel. Es sah so aus, als würde sich eine Rangelei entwickeln, bis zwei ältere Männer einschritten und den Konflikt beendeten. Sie halfen Sam auf und sprachen eine Minute lang ernst mit ihm. Sam klopfte seine Kleidung ab und kehrte zu den Amerikanerinnen zurück.

„Sind Sie in Ordnung?“, fragte Trina. „Was ist da gerade passiert?“

„Nichts“, sagte Sam. Er war rot im Gesicht und sichtlich zerstreut. „Nur ein Missverständnis. Einige meiner Nachbarn müssen bessere Manieren lernen. Die meisten von ihnen sind ungebildete Dummköpfe. Denken Sie nicht weiter über sie nach.“

Als sie außer Hörweite der anderen waren, drehte Sam sich zu den beiden Frauen um. Trina schaute in sein Gesicht. Er hatte etwas Außergewöhnliches an sich. Er war nicht im herkömmlichen Sinne schön, aber etwas an ihm zog sie an. Seine Stimme. Der Klang und der Tonfall waren beruhigend und ließen vermuten, dass er in einer schicken Gegend in London geboren und aufgewachsen war.

„Ich wette, Sie beide sind Amerikanerinnen“, sagte Sam und musterte Trina von Kopf bis Fuß. Sie spürte, wie sie errötete. Ihr kleiner Austausch entging Jenns Aufmerksamkeit nicht.

„Woher wissen Sie das?“, fragte Trina und versuchte, sich zusammenzureißen.

„Die Rucksäcke und die Schuhe“, flüsterte er. „Alles andere sieht normal aus, aber diese Sachen verraten Sie.“

„Und vielleicht“, sagte Jenn mit einem listigen Lächeln, „haben Sie gehört, wie wir den Kerlen zugerufen haben, dass wir Amerikanerinnen sind?“

Sam lachte wieder. „Das war ein weiterer hilfreicher Hinweis“, sagte er mit einem Funkeln in den Augen. „Es kann sehr verwirrend sein, wenn all diese Männer einen anschreien“, sagte Sam. „Möchten Sie gern direkt am Dal Lake bleiben?“

„Ich habe meiner Großmutter versprochen, auf einem Hausboot zu übernachten“, sagte Trina.

Sam nickte und erzählte den beiden Frauen von den unterschiedlichen Wohnvierteln und den stark abweichenden Preisklassen für die Unterkünfte.

„Wir haben um die fünfunddreißig Dollar pro Nacht für uns beide zur Verfügung“, sagte Jenn. „Bekommen wir dafür ein schönes Boot?“

Sam klatschte lächelnd in die Hände. „Ja“, sagte er. „Fünfunddreißig Doller sind perfekt. Ich kenne ein sehr besonderes Hausboot, das sich im Zentrum von allem befindet. Es ist sehr schön, gut in Schuss und kostet genau fünfunddreißig Dollar pro Nacht. Dazu hat es die beste Köchin in ganz Kaschmir.“

Die beiden Frauen lächelten einander an. „Das klingt perfekt“, sagte Jenn.

„Wie sich herausstellen wird“, sagte Sam, „ist die Köchin auf diesem speziellen Hausboot meine Mutter und das Boot gehört meiner Familie. Natürlich steht es Ihnen frei, andere Optionen zu prüfen.“ Er gestikulierte zu dem Mob von Bootsbesitzern, die noch immer darauf warteten zuzuschlagen. Die Frauen zogen sich ein paar Schritte zurück, um sich zu beraten.

„Was meinst du?“, fragte Trina.

„Ich glaube, er hat uns manipuliert“, sagte Jenn.

„Aber du willst dich doch nicht wieder mit diesen Schreihälsen befassen, oder?“, sagte Trina. „Ich sage, wir machen es.“

Jenn nickte und die beiden gingen zu Sam zurück.

„Wir freuen uns darauf, die beste Köchin in ganz Kaschmir kennenzulernen“, sagte Trina lächelnd zu dem Inder.

Er lud ihre Rucksäcke in einen alten grünweißen VW-Bus und dann fuhren sie los. Während er fuhr, beschrieb Sam ihnen die Besonderheiten der Landschaft und zeigte ihnen heimische Pflanzen. Er sprach von der Geschichte und der Entwicklung der über tausend privaten Hausboote, die auf dem See lagen. „Dal Lake funktioniert mit einer Art Wasserwirtschaft“, sagte er. „Die Menschen leben auf dem See und fahren mit kleinen Booten umher. Von Hausbooten aus wird alles verkauft, von Brot über Lederwaren bis hin zu Klempnerbedarf. Restaurants, Tankstellen und Haarsalons sind alle unten am Ufer zu finden.“

Sam stoppten den Wagen vor einem einfachen braunweißen, rechteckigen Hausboot. Auf dem flachen Dach flatterten Banner in blau, gelb und grün im Wind. Ein großes weißes Schild mit roten Buchstaben hing über dem Eingang. Zahra’s Palace stand darauf.

„Warten Sie hier“, sagte er und stieg aus. „Ich kündige Sie meiner Familie an.“

„Er ist ein Schlaumeier“, flüsterte Jenn Trina zu, nachdem Sam fort war. „Während diese anderen Kerle am Busbahnhof sich gegenseitig bekämpft haben, ist er mit seinem Klemmbrett aufgetaucht und hat uns innerhalb von zehn Sekunden von ihnen fortgelockt.“

„Wir müssen sowieso ein Hausboot finden, und er scheint mir sehr nett zu sein“, sagte Trina. „Ich finde ihn irgendwie süß.“

„Ich wusste es! Du stehst auf ihn?“

„Mach dich nicht lächerlich. Scht, da kommt er.“

Sam öffnete die Autotür. „Gute Neuigkeiten. Alles ist bereit. Meine Eltern warten drinnen.“ Er trug ihre Rucksäcke aufs Boot, und die beiden Frauen folgten ihm die Planke hinauf. Drinnen wurden sie sogleich von Sams Vater begrüßt, einem kleinen, drahtigen Mann mit schwarzem, von Grau durchzogenem Haar, der eine traditionelle weiße Kopfbedeckung und ein langes Gewand trug. Sams winzige Mutter stand hinter ihrem Ehemann. Sie trug ein langes braunes Gewand über weiten Hosen. Ihr dunkles Haar wurde größtenteils von einem gelb, orange und grün gefärbten Tuch bedeckt.

Sams Eltern winkten und senkten ihre Köpfe, als sie die Frauen auf ihrem Hausboot willkommen hießen.

„Meine Eltern sprechen beide kaum Englisch, aber ich werde hier sein, um zu übersetzen“, sagte Sam. „Es gibt auf unserem Hausboot vier Zimmer. In jedem davon befinden sich vier Betten, aber im Moment sind Sie unsere einzigen Gäste. Vorerst haben Sie den Ort für sich allein. Meine Familie und ich leben auf einem anderen kleinen Boot die Straße hinunter. Während Sie bei uns sind, stehe ich Ihnen Tag und Nacht zur Verfügung.“

„Das ist wunderbar“, sagte Trina und errötete wieder, als sie ihm in die Augen sah.

„Kommen“, sagte sein Vater und bedeutete den Frauen, den Gemeinschaftsraum des Hausbootes zu betreten. Das Zimmer war rund. Es sah alt aus, doch in der Mitte standen drei mit braunem Samt bezogene Polstersessel um einen verzierten Holztisch herum. Gewebte Wandteppiche stellten das Leben in Kaschmir dar. Der Boden war von dicken, farbenprächtigen, rotgoldenen indischen Teppichen mit schwarzen Akzenten bedeckt. Ein alter Kristallleuchter hing von der Decke.

Das Esszimmer war ähnlich opulent, wenn auch sichtlich verwohnt. Der ovale Tisch aus dunklem Holz, der von vier gepolsterten Stühlen umgeben war, war derart auf Hochglanz poliert, dass die Frauen ihre Spiegelbilder darin sehen konnten. Schwere Vorhänge wurden von Kordeln mit Tasseln daran gehalten. An einer Wand stand ein fein geschnitzter Schrank, in dem buntes, handbemaltes Geschirr stand. Jenn bemerkte, dass viele Stücke angeschlagen waren.

Sams Vater führte sie zu ihrem Zimmer. Es war klein mit zwei Doppelbetten, von denen jedes ein geschnitztes Kopfteil hatte. Baumwollbettwäsche, die mit strahlend weißen, grünen und gelben Blumen bedruckt war, bedeckte alle Betten. Über ihren Köpfen sirrte ein Ventilator und brachte eine frische Brise ins Zimmer. Um ihn herum befand sich an der Decke ein Bild von handgemalten Ranken, Blättern und Vögeln.

Den Flur hinunter gab es ein winziges, makellos sauberes Badezimmer mit dem kleinsten Waschbecken, das die Frauen je gesehen hatten.

„Wer hätte gedacht, dass es so winzige Waschbecken gibt“, flüsterte Jenn. „Sieht aus wie ein Vogelbad für einen Spatz.“

Sie drehten noch eine Runde auf dem Boot, das für die nächsten paar Wochen ihr Zuhause sein sollte, und bemerkten, dass jede Wand von oben bis unten mit Büchern bedeckt war. Es mussten Hunderte, ja, sogar Tausende sein.

„Sam, bitte sag deinen Eltern, dass wir Zahra’s Palace wunderschön finden“, sagte Trina.

„Und dass wir uns hier sehr wohlfühlen werden“, fügte Jenn hinzu.

Sam übersetzte die Komplimente für seine Eltern, die beide lächelten. Zum ersten Mal seit dem Tod ihrer Großmutter fühlte sich Trina, als wäre sie genau dort, wo sie sein sollte. In Kaschmir.

Kapitel 14

Es war beinahe sechs Monate her, dass Trina und Sam sich am Flughafen in Delhi voneinander verabschiedet hatten. Trotz der Entfernung zwischen ihnen war ihre Liebe nur stärker geworden. Sie vermisste es, in seine Augen zu schauen, und sehnte sich nach dem Gefühl seiner Arme um sie. Nach sechs Monaten der Trennung liebte sie ihn nur noch mehr als an dem Tag, an dem sie ihn in Indien zurückgelassen hatte.

Ihre Graduiertenschule lief gut, und Trina mochte sowohl die Lehrer als auch die Fächer, die unterrichtet wurden. Bald würde sie die Kurse abschließen und sich auf einen größeren, besseren Journalistenjob bewerben, mit dem sie mehr Geld verdienen und ihre große Liebe nach New York holen würde. Zeitweise war es sehr anstrengend gewesen, den ganzen Tag zu arbeiten, abends zur Schule zu gehen und am Wochenende auch noch zu lernen. Doch sie hielt ihren Blick fest auf den Preis dafür gerichtet: Sam. All die Arbeit würde es wert sein, wenn sie einen dieser Traumjobs bei einem der großen Zeitschriftenverleger in New York bekäme. Bei Hearst vielleicht oder Condé Nast. Ohne einen Abschluss von der richtigen Schule würden diese beiden Firmen niemanden für einen Job in der Redaktion einstellen. Trinas Abschluss vom City College war nicht das Richtige, doch ein Master von der NYU könnte die goldene Eintrittskarte sein. Ein besserer Job bedeutete mehr Geld. Damit könnte sie Sam sehr viel schneller herholen.

Noch immer schrieb sie ihrem zukünftigen Ehemann mehrmals pro Woche, hatte aber festgestellt, dass seine Briefe nicht mehr so häufig kamen. Sie musste unbedingt von ihm hören und sich seiner Liebe erneut versichern. Wenn sie keinen Brief bekam, wanderten ihre Gedanken zu dunklen Orten und entwarfen alle möglichen Szenarien von Sam, der anderen Frauen nachstellte. Öffnete sie ihren Briefkasten und sah blaue Umschläge, waren ihre Zweifel wie weggeblasen. Eine Sache, die sie sich verzweifelt wünschte, war, mit ihrem Seelenpartner zu sprechen, seine Stimme zu hören, bei seinem Lachen dahinzuschmelzen. Es war mehr als sechs Monate her, dass sie tatsächlich miteinander gesprochen hatten, also schlug sie in ihrem nächsten Brief vor, Sam möge einen Termin für ihr erstes Telefonat nennen.

Ich muss deine Stimme hören, mein Liebster. Internationale Telefonate sind so teuer. Die ersten drei Minuten kosten zehn Dollar und jede weitere fünf, aber das wird es wert sein. Ich habe gespart. Wir müssen uns nur kurzfassen, okay?

Auf dem Hausboot von Sams Familie gab es kein Telefon. Er würde den Anruf im Büro der Western Union entgegennehmen müssen. Trina würde am nächsten Sonntag anrufen, wenn die Gebühren am billigsten waren.

In Kaschmir war es zehn Stunden früher als in New York. AN diesem Sonntagmorgen wählte Trina um acht Uhr sorgfältig die Nummer des Western-Union-Büros in der Nähe von Sams Zuhause. Nachdem es achtmal geklingelt hatte, hörte sie die Stimme eines Mannes, der etwas auf Kashmiri sagte, auf das „Western Union“ folgte.

„Ich rufe aus Amerika an“, schrie Trina in den Hörer.

„Amerika? Einen Moment“, sagte der Mann. Sie hörte ein paar unverständliche Geräusche und dann, nach zehn Minuten …

„Trina? Bist du das?“

Ihr Herz klopfte wie wild, während ihr Körper von seiner Stimme elektrisiert wurde. Eine Welle aus Erleichterung und Dankbarkeit überflutete sie und machte ihre Knie weich.

„Ja, Sam, ich bin es. Oh mein Gott, ich vermisse dich so sehr. Es ist so schön, deine Stimme zu hören. Jede Nacht träume ich von der Zeit, die wir gemeinsam in Kaschmir verbracht haben, nur wir beide. Es war so unglaublich. Ich liebe dich so sehr“, sagte sie schnell und mit Tränen in den Augen.

„Ich spiele jeden Tag gedanklich alles noch einmal ab und denke an die Zeit, in der wir endlich wieder zusammen sein werden“, sagte Sam. „Ich kann es nicht erwarten, dass wir endlich verheiratet sind und gemeinsam in New York leben.“

„Ich auch nicht. Ich liebe dich.“

„Trina, ich habe dir so viel zu erzählen. Ich habe viel über den Import von Teppichen gelernt und darüber, wie man in New York einen Teppichladen eröffnet“, sagte er in sich überschlagenden Worten. „Ich habe sogar schon eine Liste von Verkäufern in Kaschmir erstellt, mit denen ich arbeiten kann. Sie alle sind bereit, Produkte in die USA zu schicken und mich zu beliefern. Ich hoffe, dass ich auch aus Delhi Ware bekommen kann. Ich habe alles geplant. Es wird etwas dauern, aber ich habe mit meinem Cousin gesprochen, und er sagte mir, dass …“

Trina hörte Sam zu, während sie auf die Uhr sah. Die Zeit verging so schnell und ihr Anruf dauerte bereits fünfzehn Minuten. Bis jetzt hatte er sie siebzig Dollar gekostet. Sie musste das Gespräch beenden oder sich in den nächsten paar Wochen von nichts als Sandwiches mit Erdnussbutter und Marmelade ernähren.

„Ich habe einen Haufen Kontakte für mein Importgeschäft geknüpft“, fuhr er fort. „Ich habe mit all unseren ausländischen Gästen über meine Pläne gesprochen und sie um ihre Meinungen gebeten. Sie alle halten meine Idee für sehr klug.“

„Sam, ich habe in der letzten Zeit nicht allzu viele Briefe von dir bekommen.“

„Ich war so beschäftigt mit all den Gästen, meine Liebste. Du weißt, wie verrückt es hier zugeht.“

„Ich weiß, aber …“

„Einer unserer Gäste erzählte mir, dass man sich in einem New Yorker Diner kostenlos Kaffee nachschenken kann. Kostenlos! Ich möchte dorthin, den ganzen Tag dort sitzen und meinen kostenlosen Kaffee trinken. Dann fahre ich mit der Fähre nach Staten Island. Ich habe gehört, auch das ist kostenlos. Vielleicht nehme ich meinen kostenlosen Kaffee mit auf die kostenlose Bootsfahrt und –“

„Ich unterbreche dich nur ungern, Sam, aber wir müssen zum Ende kommen. Der Anruf kostet fünf Dollar pro Minute, und mittlerweile sind wir schon bei fünfundsiebzig oder achtzig Dollar“, sagte sie.

„Ich bin so ein Schwachkopf. Ich war so aufgeregt, deine Stimme zu hören, und nun habe ich die ganze Zeit geredet und wollte dir doch eigentlich nur ein bisschen von -“

„Sam, ehrlich, wir müssen aufhören.“

„Oh, ja, klar“, sagte Sam. „Okay, Trina. Es war so schön, deine Stimme zu hören. Schreib mir bald.“

„Ich liebe dich“, sagte Trina eine Sekunde später in die tote Leitung. Sie lehnte sich auf ihrem Bett zurück. Zuerst war es, als würde sie in ein paar gemütliche, eingelaufene Hausschuhe schlüpfen, als sie seine Stimme hörte. Er klang so glücklich, von ihr zu hören. Doch dann sprach er nur von seinem Teppichgeschäft und dem Leben in New York. Hat er gesagt, dass er mich liebt oder mich vermisst? Die meiste Zeit war es in dem Gespräch darum gegangen, wie viel Profit er mit seinen Teppichen machen würde. Er hatte nicht gefragt, wie es ihr ging. Dieser vertraute kleine Wurm des Zweifels kroch in Trinas Gedanken, während sie eine mentale Bestandsaufnahme ihrer Beziehung machte. In den letzten sechs Monaten, überschlug sie, hatte sie für jeden Brief, den er ihr geschickt hatte, vier oder fünf geschrieben. Der Tonfall in seinen Briefen hatte sich mit der Zeit geändert. Zuerst war es um ihre Beziehung gegangen, doch in letzter Zeit drehten sich seine Briefe nur noch um ihn und sein künftiges Leben in Amerika. Ist er in mich verliebt oder in New York? Bin ich seine Seelenpartnerin oder nur ein Weg, aus Indien herauszukommen? Sie fragte sich, ob er jeden Tag zum Busbahnhof ging und nach einer neuen Frau Ausschau hielt, ob er vielleicht eine Affäre mit einer anderen hatte. Trinas Fantasie überschlug sich. Das würde erklären, warum er nicht schrieb. Vielleicht schreibt er zehn verschiedenen Frauen auf der ganzen Welt. Er könnte in dieser Sekunde mit einer anderen im Bett sein. Möglicherweise hat er auf der ganzen Welt Frauen und wartet nur darauf, dass eine den ersten Schritt macht.

HÖR AUF, TRINA! Du begibst dich schon wieder in diesen Abgrund. Das tust du immer. Immer. Nanna hat dich gewarnt.

Bevor sie über eine emotionale Klippe stürzte, holte Trina tief Luft und atmete so, wie ihre Großmutter es sie gelehrt hatte. Als sie sich endlich beruhigt hatte, nahm sie Sams letzten Brief vom 22. März 1989 zur Hand und las ihn erneut. Er war wie so viele andere, drehte sich um die Gäste auf dem Hausboot und die Ausflüge, die er mit ihnen machte. Er schrieb, wie hart er arbeitete und dass er nun auch Mahlzeiten für die Gäste kochte. Dann wandte sich sein Brief seinem künftigen Leben in New York zu. Er schrieb, dass er alles las, was er über New York City in die Finge bekam, und sich besonders bemühte, amerikanische Touristen zu bekommen, um mehr über Amerika zu lernen. Er wollte zum Empire State Building, zum Lincoln Center und ins Yankee Stadium, um ein amerikanisches Baseball-Match zu sehen. Er wollte einen Hot Dog von einem echten Hot-Dog-Stand in New York City essen und Little Italy besuchen, die Freiheitsstatue, Chinatown und Grand Central Station. Er wollte stundenlang im Central Park spazieren gehen und eine Kutschfahrt unternehmen. In der letzten Woche hatte er Gäste aus New York auf dem Hausboot gehabt, die ihm ihre Adresse gegeben und ihn gebeten hatten, sich zu melden, sobald er in der Stadt war. Offenbar hatten sie versprochen, Teppiche von ihm zu kaufen.

Wie immer hatte er den Brief mit seinem üblichen „Du bist mein Herz“ unterzeichnet. Trina ließ den Brief sinken und spürte, wie ihre Augen zu brennen begannen.

Er hatte die Möglichkeit, mir etwas über diese New Yorker zukommen zu lassen, die auf seinem Boot zu Gast waren, und er hat nicht einmal daran gedacht. Es geht immer nur um ihn – um sein neues Leben, was er tun wird, die Bekanntschaften, die er machen wird. Es geht nicht um mich oder uns, immer nur um ihn.

Trina wurde übel bei der Vorstellung, dass alles, was er ihr erzählte, möglicherweise eine Lüge war, die er ihr auftischte, um nach Amerika zu kommen. Ich war so dumm und naiv. Diese Spaziergänge durch die Gärten, die leidenschaftlichen Nächte, die Bootsfahrten, die Zärtlichkeit, das Lachen. Ist er mein Seelenpartner oder benutzt er mich nur, um ein besseres Leben zu bekommen? Er sagte immer, er überließe nie etwas dem Zufall.

Weil Trina am Rand eines Abgrunds balancierte, rief sie Jenn an, um die Realität zu überprüfen.

„Ich glaube, Sam benutzt mich“, schrie Trina schluchzend ins Telefon. Ohne Luft zu holen, erzählte sie ihrer Freundin von dem Telefonat und der Veränderung in Sams Briefen. Mehrere davon las sie Jenn vor und sie verbrachten die nächsten drei Stunden damit, sie Zeile für Zeile zu analysieren.

„Zuerst einmal glaube ich, dass du überreagierst“, sagte Jenn. „Du hast ihn schon lange nicht mehr von Angesicht zu Angesicht gesehen. Es ist natürlich möglich, dass er dich benutzt, aber dann ist es ein sehr böses Langzeitspiel, das er da spielt. Ich glaube nicht, dass Sam so teuflisch ist. In meiner Erinnerung ist er ein netter, süßer, kluger Typ, der total in dich vernarrt ist.“

„Glaubst du das wirklich?“

„Schau mal, es ist nichts falsch daran, dass die Tatsache, dass du Amerikanerin bist, für ihn attraktiv ist“, sagte Jenn. „Viele Männer gehen mit Frauen aus, weil sie schön sind, einen schönen Körper haben oder große Möpse. Und viele Frauen heiraten Männer, die viel Geld haben und erfolgreich sind.“

„Schätze schon“, sagte Trina schniefend und begann sich zu beruhigen.

„Dass er nach Amerika möchte, bedeutet nicht, dass er dich nicht liebt“, fuhr Jenn fort. „Der Teil mit der Staatsbürgerschaft ist nur die Kirsche auf der Torte.“

„Meinst du wirklich?“

„Meine Mutter sagte immer, du kannst einen reichen Mann genauso lieben wie einen armen“, sagte Jenn. „Und was ist schon dabei, wenn ein neues Leben in New York einen Teil der Anziehung ausmacht? Du bauschst das auf.“

Als sie ihr Telefonat viele Stunden später beendeten, war Trina ruhig, bis sie Sams letzten Brief erneut las und darüber wieder wütend und paranoid wurde.

Er benutzt mich. Ich weiß es. Er spielt mit mir.

Sie dachte an all die Momente, die sie miteinander geteilt hatten. Der Ausflug nach Dharamsala, ihre Nächte unter dem Mond, seine Küsse. Monatelang hatte sie all diese romantischen Szenen wieder und wieder durchlebt, sich daran geklammert und sie in ihrem Kopf durchgespielt. Nun betrachtete sie alles durch eine gänzlich andere Linse: durch die des Betrugs.

Ich bin nur sein Ticket in die Vereinigten Staaten und zu seiner Staatsbürgerschaft. Das ist alles, was er will.

Während ihr die Tränen über die Wangen rannen, sammelte Trina die Briefe ein. Sie war kurz davor, sie alle in den Müll zu werfen, als ihr Nannas Medaillon einfiel. In diesem leichtsinnigen Moment der Leidenschaft am Flughafen in Delhi hatte sie es Sam gegeben. Sams wahren Absichten war sie sich nicht hundert Prozent sicher, aber eines wusste sie – sie musste das Medaillon zurückbekommen, koste es, was es wolle.

Ich sagte ihm, er könne es bis zu unserem Hochzeitstag behalten. Mist.

***

5. April 1989

Lieber Sam,

hallo, mein Schatz. Ich habe gerade noch einmal einen deiner Briefe gelesen und vermisse dich nun mehr denn je. Ich freue mich darauf, dich bald zu sehen, und hoffe, dass ich meine Reise nach Indien irgendwann im Juli antreten kann. Nur noch vier Monate, bis wir wieder zusammen sind. Ich kann es nicht erwarten, dein schönes Gesicht wieder zu sehen und deine Arme um mich zu spüren. Bald können wir unser gemeinsames Leben beginnen. Ich kann es nicht erwarten, dass du mich wieder in den Armen hältst. Bis dahin möchte ich dich um einen Gefallen bitten. Ich weiß, dass ich dir mein Medaillon gegeben habe, damit du es behältst, bis ich zurückkomme. Aber es erinnert mich so an meine Großmutter, die ich in letzter Zeit so sehr vermisse. Würde es dir schrecklich viel ausmachen, es mir jetzt schon zurückzuschicken? Bald sind wir ohnehin zusammen. Danke für dein Verständnis, mein Liebster.

Du weißt, wie sehr ich Nanna Mae geliebt habe.

Küsse.

In ewiger Liebe,

Trina

Sie trug roten Lippenstift auf und drückte einen großen roten Kuss neben ihren Namen, wie sie es immer tat.

Drei Wochen später, Anfang Mai, erhielt sie seine Antwort. Er schrieb über den üblichen Kram: die Gäste auf dem Hausboot, sein zukünftiges Leben in New York …

Ich habe alles über Amerika gelesen, was ich in die Finger bekommen habe, und habe mir auch Filme angesehen. Ich habe einen Film namens Wall Street gesehen und ein Buch gelesen, das den Titel Fegefeuer der Eitelkeiten trägt. Sicher gibt es in New York einen Haufen verrückter Leute mit endlos viel Geld. Geld treibt Menschen zu schrecklichen Dingen.

Wegen des Medaillons: Du versprachst mir, ich könne es behalten, bis wir verheiratet sind. Es hilft mir durch die Tage und Nächte ohne dich. Ich lege es niemals ab, weil es ist, als trüge ich ein Teil von dir bei mir. Du sagtest, ich könne es bis zu unserem Hochzeitstag behalten. Ich verspreche, dass ich es direkt, nachdem wir unseren Schwur gesagt haben, um deinen Hals hängen werde.

Du bist mein Herz,

Sam

Als sie seine Antwort las, fällte sie ihre Entscheidung. Sie würde nach Indien zurückfahren und das Medaillon selbst holen. Nur dann, wenn sie in seine Augen schaute, würde sie wissen, was in seinem Herzen war. Entweder war er ihr Seelenpartner oder ein Weltklasse-Lügner.

Am nächsten Tag buchte sie für Juli einen Flug nach Delhi und kündigte ihm ihr Kommen an.

Sam war überrascht und erfreut, dass Trina zu ihm zurückkam. Alles wurde endlich gut. Sehr bald schon würde er in New York leben.

Kapitel 15

Indien, Juli 1989

Zweieinhalb Monate später rumpelte ein alter gelber Bus auf den Busbahnhof in Srinagar, Kaschmir, zu. Trina wischte ihre feuchten Hände an ihrem T-Shirt ab und fragte sich, ob sie feucht waren, weil sie aufgeregt war, Sam zu sehen, oder weil sie sich fürchtete, die Wahrheit zu erfahren. Wie auch immer, sagte sie sich, das Hauptziel der Reise war, das Medaillon zurückzubekommen.

Als der Bus quietschend zum Stehen kam, schaute Trina aus dem Fenster. Sie überflog die Menge und erhaschte einen Blick auf Sam, der an seiner Lieblingsstelle stand, ein wenig von den anderen entfernt. Er lächelte und hielt einen riesigen Strauß gelber und weißer Blumen im Arm. Sein gebräunter Teint wurde von einem strahlen weißen Leinenhemd betont. Sie bemerkte, dass sein dichtes, gewelltes braunes Haar länger geworden war und fand, dass es sexy aussah. Er war größer und sah reifer aus, als sie ihn in Erinnerung hatte. Er sah gut aus.

Als er sie durchs Fenster erblickte, lächelte er von Ohr zu Ohr und winkte. Ihre Blicke trafen sich und Trina bemerkte, wie sich ihr Atem unfreiwillig beschleunigte.

Ich hatte vergessen, wie schön sein Lächeln ist. Und seine Augen. Er sieht ehrlich erfreut aus, mich zu sehen. Er hat Blumen dabei. Habe ich mich komplett in ihm geirrt?

Trotz all der verrückten negativen Gedanken, die sie in den letzten Wochen und Monaten gehabt hatte, freute sie sich in diesem Moment sehr, dort zu sein und lächelte und winkte ihm mit echtem Enthusiasmus zu.

Er kam zu ihrem Fenster gerannt und streckte seine Hand aus. Sie tat es ihm gleich, und als sie sich berührten, schoss ein elektrischer Strom durch ihren Arm. Das Gefühl verwirrte sie noch mehr. Sie wartete, bis alle anderen ausgestiegen waren, und nutzte die Zeit, um ein paarmal tief durchzuatmen. Als sie die Stufen in die helle Sonne hinabstieg, verbeugte sich ein grinsender Sam und überreichte ihr die Blumen.

„Ich kann nicht glauben, dass du wirklich hier bist“, sagte er und trat zurück, um sie besser in Augenschein nehmen zu können. „Du weißt, dass ich dich hochheben und küssen würde, wenn ich könnte, aber hier sind zu viele Leute. Du bist in den Monaten unserer Trennung noch schöner geworden.“

Trina errötete. „Dein Haar ist länger geworden. Es sieht gut aus“, sagte sie und spürte vage, dass ihre Zweifel in Bezug auf ihn schwanden.

„Ich habe dich so vermisst“, sagte Sam. „Ich konnte die ganze Woche nicht schlafen, weil ich so aufgeregt war wegen deiner Ankunft. Meine schöne Trina ist endlich hier.“

Sie schaute in seine dunklen, sanften Augen auf, die von diesen dichten schwarzen Wimpern eingerahmt wurden, und lächelte. „Komm schon“, sagte sie mit einem Grinsen, „verschwinden wir von hier. Ich bin am Verhungern und brauche dringend ein Badezimmer.“

Sam nahm ihren Rucksack und ihre Taschen und trug sie zum Van. Sie mussten vorsichtig sein. Sie durften sich nicht küssen oder Händchen halten, oder die Neuigkeit würde direkt bei seinem Vater ankommen. Lässig wie zwei Freunde gingen sie zum Van. Er startete den Motor und sie verließen den Busbahnhof. Fünf Minuten später fuhr er an den Straßenrand, schaltete den Motor wieder ab und schaute sie an.

Er beugte sich hinüber und gab ihr den liebevollsten Kuss, den sie je in ihrem Leben bekommen hatte, und sie erwiderte ihn genau so. Mit seinen Armen um sie und seinen Lippen auf ihren lösten sich all ihre Bedenken auf.

Er sagte ihr, dass in Zahra’s Palace alles für sie bereit war. Sie würde dasselbe Zimmer bekommen, das sie beim letzten Mal bewohnt hatte. Während sie fuhren, plauderte Sam über all die Verbesserungen, die er am Boot vorgenommen hatte, und freute sich darauf, ihr sein Werk zu zeigen. Als sie an einem kleinen Café hielten, um etwas zu essen, redete Sam ununterbrochen und teilte ihr innerhalb einer Stunde mit, was im vergangenen Jahr geschehen war. Trina lächelte, während er kein Detail ausließ: seine Kurse, die Arbeit am Boot, neue Geschäftsideen und all die Gäste, die er vermittelt hatte.

Als sie zum See kamen, war alles so, wie Trina es in Erinnerung hatte. Sie schaute auf das schöne Wasser hinaus, auf dem die unzähligen Hausboote in Reihen lagen.

Hühner, Hähne und andere Tiere liefen sorglos herum. Sam hupte dreimal, als sie vor Zahra’s Palace hielten, woraufhin seine Eltern erschienen und winkten.

„Willkommen“, sagte sein Vater und schaute sie skeptisch an, als sie aus dem Wagen stieg. „Nicht viele Leute kehren hierher zurück.“

„Sag deinen Eltern, dass ich diesmal wegen meiner Arbeit nur für eine Woche hier bin“, sagte Trina. „Es dauert einen ganzen Tag, von New York nach Indien zu kommen, und dann noch einen von Delhi nach Kaschmir. Ich habe nur zwei Wochen Urlaub und verbringe vier Tage davon allein mit der Reise. Es wird nur ein kurzer Aufenthalt, aber ich freue mich, hier zu sein.“

Sam übersetzte alles, was sie gesagt hatte, für seine Eltern und glaubte zu sehen, wie sie einen Blick austauschten.

„Heute Abend“, sagte Sams Vater, „wird meine Frau etwas Besonderes für Sie kochen, um Ihren zweiten Besuch zu feiern.“

„Ich kann es kaum erwarten“, sagte Trina lächelnd. „Aber nun muss ich mich für ein paar Minuten hinlegen.“

Sams Eltern nickten und bedeuteten Trina, das Hausboot zu betreten. Sein Vater wandte sich an Sam und sprach auf Kashmiri mit ihm. „Komm mit uns nach Hause und lass die Amerikanerin sich ausruhen.“

„Ich helfe ihr nur, sich einzurichten, und zeige ihr all die Neuerungen, Papa. Es dauert nur ein paar Minuten.“

„Mach keinen Unsinn, Samir.“

„Zehn Minuten, Papa.“

Damit wandten sich seine Eltern ab und gingen die Straße hinunter zu ihrem eigenen Hausboot.

Stolz führte Sam Trina herum und zeigte ihr die glänzende neue Holzreling, die er angebracht hatte.

„Ich habe alles allein gemacht“, sagte er. „Sieht es nicht elegant aus?“ Er zeigte ihr jede Stelle am Boot, an der er eine Verbesserung vorgenommen hatte. Das schwimmende Hotel glänzte. Von außen war es frisch gestrichen, und Sam hatte ein neues Schild mit Beleuchtung aufgehängt. Zahra’s Palace stand darauf. Und darunter: Die beste Köchin in Kaschmir.

Trina war von der Bandbreite seiner Fähigkeiten beeindruckt und brachte ihre Bewunderung angemessen zum Ausdruck. Sam fühlte sich sichtlich wohl. Für jemanden, der noch so jung ist, ist er wirklich bemerkenswert. Er brachte sie in ihr Zimmer, stellte ihren Rucksack auf den Stuhl und küsste sie.

„Ich kann nicht glauben, dass du wirklich hier bist“, sagte er und schob seine Finger zwischen ihre. Er schmiegte seinen Körper an ihren, woraufhin Trinas Körper eine Entscheidung fällte, bevor ihr Geist ein Urteil gefällt hatte.

„Ich habe dich vermisst“, sagte sie und küsste wieder und wieder seinen Hals, während er sie in seinen starken Armen hielt.

***

An diesem Abend saß Trina mit ein paar anderen Gästen aus Schweden, einem verheirateten Paar Ende zwanzig mit ihrer vierjährigen Tochter, im Esszimmer. Das reizende kleine blonde Mädchen unterhielt die Gruppe während des Abendessens, und Trina verbrachte die meiste Zeit damit, mit dem Kind zu spielen. Liebevoll betrachtete Sam, wie seine Verlobte mit der Kleinen umging, und fragte sich, wer von den beiden sich besser amüsierte. Eines Tages wird sie eine wunderbare Mutter für unsere Kinder sein.

Als das Geschirr abgeräumt war, wünschten Sam und seine Eltern ihnen eine gute Nacht und verschwanden. Die Schweden zogen sich auf ihr Zimmer zurück und Trina ging in ihres. Sie wusch sich das Gesicht, zog ihr Nachthemd an und legte sich aufs Bett, um auf Sam zu warten. Sie hatten sich nicht verabredet, doch sie wusste, dass er kommen würde.

Zwanzig Minuten später hörte sie ein leises Knarren, gefolgt von einem Schlurfen auf dem Boden vor ihrer Tür. Langsam drehte sich der Türknauf und Sam betrat den dunklen Raum. „Ich habe meinen Eltern gesagt, ich würde mit Freunden ausgehen“, flüsterte er und zog in einer schnellen Bewegung sein Hemd und seine Hosen aus. Er legte sich neben sie ins Bett. Als er seinen Körper an sie schmiegte, überkam sie dasselbe alte berauschende Gefühl, so fest, dass man es mit einem Messer hätte schneiden können. Alles fühlte sich vertraut an. Sie erinnerte sich nun wieder, was sie an ihm angezogen hatte.

„Es ist wie ein Traum, dass du hier bist“, sagte Sam. Als Trina seinen Hals küsste, spürte sie die Kette des Medaillons ihrer Großmutter unter ihren Lippen. Über all den Gefühlen dieses Tages hatte sie es ganz vergessen.

„Du trägst es noch immer“, sagte sie beiläufig und berührte es mit ihren Fingern. „Ich habe mich gefragt, ob du es die ganze Zeit tragen würdest, wie du es in deinen Briefen geschrieben hast.“

„Ich habe es nie abgelegt. Nicht einmal, seit du gegangen bist“, sagte er. „Ich fühle mich dir nahe, wenn ich es auf meiner Haut spüre. Es ist, als wärest du bei mir, auch wenn du es nicht bist. Es ist das größte Geschenk, was du mir hättest machen können. Es macht unsere Trennung erträglich.“

Eine kleine Stimme hallte in ihrem Kopf wider. Hol dir das Medaillon.

„Deswegen habe ich es dir gegeben. Jetzt, wo ich wieder hier bin, kann ich es zurückhaben?“, fragte Trina.

Sam setzte sich im Bett auf, die Hand auf dem Medaillon. „Du hast versprochen, dass ich es behalten darf, bis wir uns das Eheversprechen gegeben haben. Ich habe davon geträumt, es dir an unserem Hochzeitstag um den Hals zu legen, genau wie deine Ururgroßeltern es getan haben.“

Trina drehte sich um und wandte ihm den Rücken zu. „Aber ich habe es dir gegeben, um zu beweisen, dass ich zurückkehren würde, und hier bin ich. Reicht das nicht?“

„Lass uns jetzt nicht darüber sprechen“, sagte er und küsste sie. In den nächsten Stunden liebte er sie zärtlich und all ihre Unsicherheiten schwanden langsam dahin.

Am Morgen erwachte Trina allein und ging ihre Unterhaltung der vergangenen Nacht noch einmal durch. Der Sex war unglaublich gewesen, sogar besser, als sie ihn in Erinnerung hatte. Sam war aufmerksam und zärtlich gewesen, und sie war verwirrter denn je. Er benahm sich, als würde er sie wirklich lieben, und nicht nur ihre amerikanische Staatsbürgerschaft. Dennoch hatte sie mehrmals versucht, ihn dazu zu bewegen, ihr das Medaillon zurückzugeben, und er war ihr stets ausgewichen.

„Ich habe eine Idee“, hatte er gesagt und sie zu sich herangezogen. „Warum heiraten wir nicht jetzt, wo du hier bist?“

„Was?“

„Wir könnten übermorgen in Dharamsala heiraten“, sagte Sam. „Dann können wir immer zusammen sein und ich gebe dir das Medaillon.“

„Du willst heiraten? Jetzt?“

„Es ist leichter für mich, nach Amerika zu kommen, wenn wir bereits verheiratet sind“, hatte er gesagt. „Wir könnten durchbrennen. Wäre das nicht romantisch?“

„Und dann würdest du mir das Medaillon geben?“

„Natürlich, meine Liebe. So lautet unsere Vereinbarung. Wenn wir durchbrennen, muss ich mich nicht mit meinen Eltern streiten, weil du keine Muslima bist“, hatte Sam gesagt. „Wenn sie es herausfinden, werden wir bereits verheiratet sein und sie können nichts mehr tun.“

„Wo würden wir heiraten?“, hatte sie gefragt und überlegt, wie weit er wohl gehen würde, bevor er seinen Bluff eingestand.

„Ich leite alles in die Wege“, hatte er gesagt. „Wir können morgen aufbrechen und werden dann bald Mann und Frau sein.“

Dann hatte er seinen Arm um ihre Taille geschlungen, sie an sich gezogen und geküsst. Dabei waren seine Gedanken ganz auf seine Zukunft gerichtet gewesen. Ich werde nach Amerika ziehen und mein Leben wird fantastisch werden.

Kapitel 16

Kaschmir, Juli 1989

Am nächsten Morgen saß Trina allein am Frühstückstisch auf dem Hausboot und war nicht in der Lage, ihr Essen hinunterzubekommen. Sie versuchte auszublenden, was sie im Begriff war zu tun. Das hier war ganz und gar kein gewöhnlicher Tag. Heute war ihr Hochzeitstag. Sie betrachtete sich im Spiegel an der Wand.

Heute werde ich HEIRATEN. Ich bin nur hierhergekommen, um mein Medaillon zurückzuholen. Was tue ich bloß?

Sie hatten vereinbart, ihre Hochzeit geheim zu halten, bis sie beide die Zeit für gekommen hielten, die Neuigkeit zu verbreiten. Sie schaute sich in die Augen. Das ist entweder das Klügste, was du je getan hast, oder das Dümmste. Entweder ist er dein Ritter in glänzender Rüstung oder ein heuchlerischer Heiratsschwindler. Aber was nun? Was ist er?

Um das Misstrauen seiner Eltern zu zerstreuen, erzählte Sam ihnen, Trina hätte ein dringendes Telegramm aus Amerika erhalten. Ihr Cousin sei sehr krank und sie müsse sofort nach New York zurückkehren. Der letzte Bus des Tages war bereits gefahren. Die Amerikanerin hätte Sam angeboten, ihn dafür zu bezahlen, dass er sie nach Delhi brachte, damit sie ihren Flug nach New York antreten könnte.

„Du fährst sie den ganzen Weg bis nach Delhi?“, sagte sein Vater. „Das sind zwölf Stunden. Das ist verrückt. Warum solltest du das tun?“

„Papa, es ist ein Notfall“, sagte Sam. „Sie ist meine Freundin und außerdem hat sie angeboten, mir eine Menge Geld zu bezahlen, um sie dorthin zu bringen. Sie wird auch das Benzin bezahlen. Während ich dort bin, kann ich meinen Freund Ariff für ein paar Tage besuchen. Du erinnerst dich doch an Ariff, oder, Papa?“

Sams Vater murrte und schüttelte den Kopf. Die Amerikanerin bedeutete Ärger. Er wollte seinem Sohn verbieten, sie zu fahren, sah aber dessen entschlossene Miene. Zumindest wäre die Amerikanerin dann endlich von seinem Hausboot verschwunden, hoffentlich für immer.

Trina versuchte zu begreifen, was geschah. Nur ein paar Tage zuvor hatte sie in New York an ihrem Schreibtisch gesessen und ein Buch über Fitness für Männer redigiert. Nun stand sie kurz davor, in die Berge zu reisen und ihren indischen Liebhaber zu heiraten. Das ist verrückt. Mit rasenden Gedanken erkannte sie die Lächerlichkeit der Situation und lachte laut auf, als sie sich Jenns ungläubiges Gesicht vorstellte. Warte nur, bis Jenn davon hört. Sie wird ausflippen.

Mit dem vollgepackten Van fuhr Sam von Zahra’s Palace los und glaubte, er täte das zum letzten Mal als unverheirateter Mann. Wenn er seine Eltern wiedersah, würde er Trinas Ehemann sein und bald Amerikaner werden.

„Weswegen lächelst du?“, fragte Trina und berührte seinen Arm, während der Van die Straße hinabschoss.

„Es ist mein Hochzeitstag. Ich werde das schönste Mädchen der Welt heiraten“, sagte er. Er hielt das Steuer mit seiner rechten Hand und legte seine linke in ihre. Sie schob ihre Finger zwischen seine und drückte sie sanft.

Am frühen Nachmittag erreichten sie Dharamsala. Sam hatte über Kontakte, die er auf ihrem Ausflug im letzten Jahr gemacht hatte, bereits alles organisiert. Um vier Uhr sollten sie getraut werden. Vor der Zeremonie checkten sie in dasselbe kleine Hotel ein, in dem sie im letzten Jahr übernachtet hatten. Trina ging allein auf ihr Zimmer, um sich nach der langen Fahrt frisch zu machen und ihre Hochzeitskleidung anzulegen. Zuvor hatten sie an einem Kleidungsgeschäft angehalten, wo sie einen bestickten weißen Sari mit pinkfarbenen und goldenen Akzenten gekauft hatte. Sie zog ihn zum ersten Mal an und schlüpfte dazu in ein Paar passende flache weiße Schuhe, die mit Perlen bestickt waren.

Sie kämmte sich das Haar, steckte es hoch und bedeckte ihren Kopf mit einem weiß-goldenen Tuch. Dann trug sie etwas Lipgloss auf und betrachtete sich ein letztes Mal im Spiegel. Tue ich das gerade wirklich?

Sam stand nervös in der Hotellobby. Er trug ein traditionelles weites Gewand aus weißem Leinen. Auf dem Kopf hatte er einen leuchtend grünen Turban. Als Trina ihn sah, fand sie, er sähe aus wie ein indischer Prinz. Ihr Herz klopfte.

Sam riss die Augen auf, als er seine schöne Braut zum ersten Mal sah. Da er immer auf die Details achtete, zog er lächelnd einen kleinen Wildblumenstrauß hinter seinem Rücken hervor und überreichte ihn seiner Braut mit einer Verbeugung.

„Blumen für die wunderschöne Braut“, sagte er. „Du bist die schönste Frau, die je auf dieser Erde wandelte.“

Trina errötete. Er liebt mich. Wir tun etwas Gutes. Wir werden so glücklich sein.

Es war Zeit zu gehen. Sie verließen das Hotel und gingen durch die Stadt zu einem kleinen Regierungsgebäude, das aus nur einem Raum bestand.

„Wir werden später in einer religiösen Zeremonie getraut, aber zuerst müssen wir uns hier anmelden“, sagte Sam zu seiner Braut. „Ich werde die offiziellen Eheurkunden in dreißig bis neunzig Tagen von diesem Büro erhalten. Das kann man nie so genau wissen. Schließlich sind wir in Indien.“

Trina nickte, während widersprüchliche innere Stimmen in ihrem Kopf miteinander rangen. Lauf weg! Aber er liebt mich doch, oder?

Im Büro des Standesbeamten unterschrieben die beiden jungen Leute ein paar Papiere und gingen dann zu einem kleinen buddhistischen Tempel hinüber, wo ein Mönch mit rasiertem Kopf in einer orangeroten Robe darauf wartete, sie zu vermählen. Zwei weitere Mönche kamen als Zeugen hinzu. Sam nahm Trinas Hand, als der erste Mönch vor ihnen Aufstellung nahm. Er hielt ein kleines Buch und las nun in einer Sprache, die Trina nicht verstand, Passagen daraus vor. Der Mönch sagte etwas zu ihr und wartete auf eine Antwort.

„Du musst jetzt ‚ja‘ sagen“, flüsterte Sam seiner Braut lächelnd zu.

„Ja“, sagte Trina und nickte. Sie fand das alles etwas lächerlich.

Dann sagte der Mönch etwas zu Sam und wartete. Sam schaute Trina an. „Ja“, sagte er und blickte ihr in die Augen. Der Mönch lächelte, murmelte noch ein paar Sätze, verbeugte sich vor ihnen beiden und schüttelte ihnen die Hände. Dann beugte er sich vor und flüsterte dem Bräutigam etwas ins Ohr. Sam nickte und zog zwei sehr schmale Silberringe aus seiner Tasche, während er Trina unentwegt anlächelte.

„Ich vergesse nie etwas“, sagte Sam. „Einer ist für dich und einer für mich. Ich habe die Größe abgeschätzt.“

Der Mönch sagte noch ein paar weitere unverständliche Worte und hob seine Arme in die Luft. Liebevoll steckte Sam ihr einen Ring an den Finger, und sie tat es ihm gleich. Schnell war alles vorbei und die Mönche verließen den Raum.

„Sind wir nun verheiratet?“, flüsterte Trina Sam zu, als sie allein im Raum standen.

Sam beugte sich vor und küsste seine Braut auf die Stirn. „Das sind wir“, sagte er lächelnd. „Nun bist du meine Frau und ich bin dein Mann. Bald beginnen wir unser gemeinsames neues Leben in Amerika.“

„Ich kann nicht glauben, dass wir das gerade getan haben“, sagte Trina und lächelte nervös, während sie versuchte, ihre widersprüchlichen Gefühle zu beruhigen.

„Tut es dir leid, dass du mich geheiratet hast?“

„Es ging nur so schnell, das ist alles.“

„Bald werden wir für immer zusammen sein. Sobald wir beide in Amerika sind, wird es toll werden. Du wirst sehen.“

Später am Abend, nachdem sie ein Hochzeitsessen genossen und Glückwünsche von allen im Hotel angenommen hatten, saßen die Frischvermählten im Bett und redeten.

„Denk dran, dass ich nichts tun kann, um dich nach Amerika zu holen, bis ich die Ehedokumente von dir bekommen habe. Ich habe mich diesbezüglich erkundigt. Die Einbürgerungsbehörde in den USA kann schwierig sein, besonders wenn es um Eheschließungen mit Ausländern geht.“

Als sie sich an diesem Abend auszogen, löste Sam das Medaillon und legte es seiner Frau wie versprochen um den Hals. Trina seufzte vor Erleichterung. Das Medaillon war wieder da, wo es hingehörte, und sie schwor, es nie wieder abzulegen. Im Bett verschwanden all ihre Bedenken in Bezug auf Sam, als ihre Körper sich wieder vereinten. Es war verrückt zu glauben, dass er mich nicht mehr liebt. Das tut er. Er liebt mich total.

Am folgenden Morgen fuhren die beiden Frischvermählten nach Delhi. Ihnen blieben noch ein paar gemeinsame Tage als Mann und Frau, bevor Trina nach Hause flog, um für ihren neuen Ehemann die Reise nach Amerika zu organisieren.

„Stell dir nur vor“, sagte Sam lächelnd und drückte die Hand seiner neuen Frau. „In einem Jahr werden wir gemeinsam in New York City leben.“