Leseprobe Klunker für die Fische

Kapitel 4

Der nasse Spaziergang war nicht ohne Folgen geblieben. Mit einer triefenden roten Nase saß Jacobsen am nächsten Morgen vor dem Zimmer von Daniel Hinterthür. Punkt neun hatte der kontrolliert, dass auch wirklich Jacobsen vor dem Zimmer saß, und sich danach nicht wieder blicken lassen. Super. Er hatte im Revier wahrhaft Besseres zu tun.

»Hatschi!«

»Gesundheit!«

»Danke.« Jacobsen nickte der Hotelangestellten zu, die an ihm vorbeigegangen war.

»Möchten Sie einen Tee? Sie hat es ja richtig erwischt, Sie Armer.«

»Sehr gerne.« Er zog ein Taschentuch hervor und putzte sich die Nase.

***

Veronikas Reiseführer – Ostfriesische Teezeremonie

Die Ostfriesen sind Weltmeister im Tee trinken. Sie trinken ca. 300 Liter pro Kopf und Jahr.

Bei der Zeremonie gibt es einiges zu beachten: Zuerst wird ein Kluntje (oder auch Kandis) in die Tasse gelegt. Dieser wird dann mit dem heißen Tee übergossen. Ein verheißungsvolles Knistern erklingt, wenn er auf den Kluntje trifft. Zum Schluss wird entgegen dem Uhrzeigersinn mit einer kleinen Kelle en Wulkje mit Rahm in den Tee gegeben. Und auf keinen Fall umrühren! So schmeckt man zuerst den milchigen Geschmack, in der Mitte das herbe Aroma und am Ende den süßen Tee.

Wozu dann der Löffel? Nun, wenn man keinen Tee mehr trinken möchte, legt man diesen als Zeichen dafür in die Tasse – aber frühestens nach der dritten!

Gerne wird zum Tee ein Krintstuut gereicht – Rosinenbrot mit Butter.

Und nicht wundern: Die Teezeremonie findet öfter am Tag statt.

***

Nach einer kuscheligen Nacht, in der sie dem prasselnden Regen auf dem Dach gelauscht hatten, saßen Veronika und Fiete zusammen beim Frühstück. Die Sonne schien ihnen ins Gesicht. Drei Tassen Tee mussten sein und frisch gestärkt machten sie sich auf den Weg zum Juwelier, um ihre Ketten abzuholen.

In der Altstadt war es noch ruhig. Die kleinen Läden öffneten erst nach und nach die Türen. Fiete stellte seinen Roller wieder am Rathaus ab und zusammen schlenderten sie hinunter zum Hafen. Das Absperrband, das ihm den Weg zu seiner Bank versperrte, quittierte Fiete mit einem unwilligen Schnauben. Veronika versetzte ihm einen freundschaftlichen Stoß in die Seite und zog ihn mit zu der hölzernen Treppe, die kurz vor der Rathausbrücke hinunter zur Uferpromenade führte. Zahlreiche Sportbote lagen hier vor Anker und dümpelten auf dem Wasser. Drei Möwen saßen auf dem Geländer der Promenade und sahen Veronika und Fiete entgegen. Veronika schloss für einen Moment die Augen. Es war so herrlich. Wie nach Hause kommen …

Um zehn Uhr betraten sie den Juwelierladen, der gerade geöffnet hatte. Außer dem Juwelier selbst war noch eine Kundin im Laden, die von einer Angestellten bedient wurde.

»Guten Morgen! Ihre Ketten sind schon da. Einen Augenblick bitte«, rief er.

Der Juwelier verschwand durch einen Vorhang in einem Hinterzimmer. Kurz darauf kam er mit zwei Ketten zurück, die er auf einem Stück Samt auf dem Verkaufstresen ausbreitete.

»Oh, Fiete, der ist wirklich so zauberhaft!« Ihre Augen strahlten.

Sie wollte danach greifen, aber Fiete hielt sie auf. »Darf ich sie dir umlegen?«

»Gerne.« Veronika lächelte ihn an.

Fiete griff nach der Kette.

Ein schwarz gekleideter Mann mit Sturmmaske über dem Kopf stürmte in den Laden. In der Hand hielt er eine Waffe, die er auf den Juwelier richtete.

»Überfall! Schmuck und Geld her. Zackig!« Seine Stimme klang seltsam verzerrt und metallisch.

Die Angestellte schrie auf. Die Kundin erstarrte. Der Juwelier hob langsam die Hände. Fiete machte einen Schritt vor zu Veronika, aber der Räuber war schneller. Er legte ihr den Arm mit der Waffe um den Hals und zog sie zu sich. »Mach keinen Scheiß, Alter.«

Veronika wagte nicht, sich zu rühren. Ihr Puls schnellte in die Höhe. Sie suchte Fiete mit ihrem Blick. Das passiert nicht wirklich, oder?

»Lass mein Mädchen los!« Fiete trat mit geballten Fäusten auf den Räuber zu.

Fiete! Nein!

»Auf den Boden mit dir, alter Mann! Ihr auch!« Er deutete auf die beiden Frauen, bevor er dem Juwelier einen Stoffbeutel zuwarf. »Schön vollmachen.«

Die Angestellte und die Kundin gingen in die Knie und legten sich auf den Boden. Fiete blieb stehen. Veronika hielt die Luft an. Fiete wollte doch jetzt nicht etwa den Helden spielen?

»Fiete!«, wisperte sie.

»Hast du Bohnen in den Ohren?« Der Räuber drückte die Waffe noch fester an Veronikas Hals. Das kalte Metall brannte auf ihrer Haut. Ein eigentümlicher Geruch nach Blumen und Metall kroch in ihre Nase, dass ihr übel wurde.

»Her mit der Kette.« Der Räuber hielt die Hand auf.

»Nein.« Fiete starrte ihn weiter mit zusammengekniffenen Augen an und bewegte sich nicht von der Stelle.

»Ey, bist du lebensmüde?«

Tränen rannen Veronika über die Wangen. »Fiete, bitte.«

Langsam reichte Fiete dem Räuber die Kette, die dieser in seiner Jacke verschwinden ließ. Schließlich legte er sich auf den Boden.

»Alter Idiot!« Der maskierte Mann trat Fiete in die Seite. Veronika schluchzte auf. Fiete!

Der gab keinen Mucks von sich und schielte zu Veronika. Sie zitterte am ganzen Körper und Tränen liefen ihr über die Wangen. Es war ein Albtraum, ein einziger Albtraum.

Der Juwelier steckte den Inhalt sämtlicher Vitrinen in den Beutel und hielt sie dem Maskierten hin.

»Gibt es hier ein Hinterzimmer?« Er riss den Beutel an sich.

Die blecherne Stimme dröhnte immer lauter in Veronikas Ohren. Eine Dunkelheit schlich sich in ihr Bewusstsein und wollte sie verschlingen. Ihre Beine wurden weich.

Der Juwelier zeigte zum Vorhang.

»Dann alle aufstehen und nach hinten. Los, Beeilung!«

Schnell kamen die Angestellte und die Kundin auf die Beine und liefen zum Juwelier. Fiete brauchte etwas länger, um wieder auf die Beine zu kommen. Ungeduldig stieß der Räuber ihn vor sich her. In der ganzen Zeit hielt er die Waffe an Veronikas Kopf.

Hinter dem Vorhang lag eine kleine Werkstatt; von hier gingen zwei Türen ab. Mit zittrigen Fingern öffnete der Juwelier eine Tür, die in ein fensterloses Büro führte.

»Rein da.« Der Räuber fuchtelte mit seiner Waffe und als alle in dem Raum waren, schubste er auch Veronika hinein und schlug die Tür zu.

In dem Raum war es dunkel. Veronika tastete um sich und weinte. »Fiete?« Eine Hand packte ihren Arm und zog sie zu sich.

»Alles gut, Roni.« Fiete strich ihr über den Rücken. »Er kann dir nichts mehr tun.«

Eine Neonröhre flammte auf. Der Juwelier hatte den Lichtschalter gedrückt und stemmte sich nun gegen die Tür. Doch sie bewegte sich nicht. Er zog sein Mobiltelefon aus der Anzugtasche. »Ich rufe die Polizei.«

»Und ich meinen Sohn.« Fiete kramte ebenfalls nach seinem Telefon und wählte; Veronika ließ er dabei keinen Augenblick los. Zitternd klammerte sie sich an ihn. War das gerade wirklich passiert? Hatte ihr wirklich jemand eine Waffe an den Kopf gehalten?

Es dauerte einen Moment, bis Jacobsen ans Telefon ging.

»Sohn, ich brauch dich. Wir sind beim Juwelier Brinkmann, der wurde gerade überfallen. Du musst uns hier rausholen«, rief Fiete. Er lauschte, schnaubte und steckte das Telefon weg.

»Kommt er?«, fragte Veronika leise.

»Nein. Mein werter Herr Sohn muss auf den Star aufpassen.« Fiete fuhr sich durch die Haare. »Der soll mir mal unter die Augen treten.« Er drückte Veronika noch fester an sich.

»Dafür kommt die richtige Polizei«, berichtete Juwelier Brinkmann. »Alles in Ordnung, Frau Grafentein? Frau Kramer?«

Die Angestellte und die Kundin nickten.

»Mit Ihnen auch, Frau Schwartau? Herr Jacobsen?«

Veronika schmiegte sich noch dichter an Fiete.

***

Jacobsen starrte entsetzt auf sein Telefon. Was hatte sein Vater da gerade gesagt? Sie waren in einen Überfall geraten?

Sofort rief er die Nummer von Meinders an.

»Klaas, sorry, keine Zeit. Wir haben einen Einsatz.«

Das Schlagen von Autotüren drang durchs Telefon, gleich darauf das Martinshorn.

»Juwelier Brinkmann. Mein Vater und Veronika sind da!«, rief Jacobsen.

»Scheiße! Ich halt dich auf dem Laufenden.« Damit legte sein Kollege auf.

Jacobsen lief auf dem Flur hin und her. Sein Vater und seine Freundin waren überfallen worden und was tat er? Saß wie ein Idiot vor der Tür eines Schauspielers und passte auf, dass keine Monster unter seinem Bett lagen.

Argh!

Sollte er … einfach gehen?

Ja, verdammt! Es geht hier um meinen Vater!

Jacobsen rief auf der Wache an und beorderte einen Streifenkollegen zum Hotel. Er wollte gerade klopfen und Daniel Hinterthür verkünden, dass er gehen würde, da öffnete sich die Tür. Mit rotem Kopf stand der Schauspieler vor ihm.

»Herr Jacobsen, ich habe beschlossen, bis zum Dreh zu ruhen. Die Vorbereitungen waren sehr fordernd. Wenn Sie eine Ablösung haben, können Sie also gerne gehen. Um zwölf erwarte ich Sie wieder hier«, sagte er und knallte dem verdutzten Jacobsen die Tür vor der Nase zu.

»Arschloch!« Jacobsen streckte der geschlossenen Tür den Mittelfinger entgegen.

***

Die Zeit zog sich wie Kaugummi. Veronika bekam in dem fensterlosen Raum beinahe keine Luft mehr. Der Juwelier lehnte an der Tür und klopfte immer wieder dagegen. Die junge Angestellte hatte sich auf den Schreibtisch gesetzt; die Kundin war auf dem Boden zusammengesunken und hatte die Arme um die Knie geschlungen. Veronika stand eng an Fiete gepresst. Mein Fels in der Brandung.

»Polizei!« Dumpf drang der Ruf zu den Eingeschlossenen.

Noch nie hatte Veronika ein schöneres Wort gehört. Endlich war Hilfe da.

Der Juwelier hämmerte mit den Fäusten an die Tür. »Hier sind wir!«

Vor der Tür rumpelte es. Mit einem Krachen wurde sie aufgerissen und Meinders blickte hinein. »Alles okay bei Ihnen?«

Die Eingesperrten drängten aus ihrem Gefängnis in die Werkstatt.

»Fiete? Geht es euch gut?« Meinders sah den Vater seines Vorgesetzten an.

»Mir geht es gut. Dieser Kerl hat Roni eine Waffe an den Kopf gehalten! Roni?« Fiete blickte zu Veronika, die immer blasser wurde.

Meinders nickte. »Geh mit ihr nach draußen, Fiete. Der Rettungswagen kommt gleich. Wir sprechen danach miteinander.«

Fiete führte Veronika in den Verkaufsraum. Dort standen weitere Beamte, die mit der Angestellten und der Kundin sprachen. Veronika fühlte sich immer mehr wie in Watte. Die Geräusche kamen nur noch dumpf bei ihr an. Ihre Bewegungen wurden fahriger. Was passierte mit ihr? Luft! Sie brauchte Luft! Am Arm von Fiete drängte sie nach draußen und atmete tief ein.

Dort sammelten sich immer mehr Menschen. Ein Rettungswagen bahnte sich den Weg und hielt vor dem Juweliergeschäft. Fiete winkte.

»Sie kümmern sich gleich um dich, mein Schatz.« Fiete küsste Veronika sanft auf die Stirn.

»Das brauch doch nicht.« Veronika wollte den Sanitätern keine unnötige Arbeit machen. Doch ihre Beine wurden immer mehr wie Gummi und in ihren Ohren rauschte es. Als ihr die Knie wegsackten, nahm Fiete sie kurzerhand auf den Arm und trug sie die letzten Meter zum Rettungswagen.

Mein Held, dachte sie und drückte sich an ihn.

***

Jacobsen wartete nicht ab, bis seine Ablösung kam. Dieser arrogante Fatzke konnte ihn mal kreuzweise. Hier ging es um seinen Vater!

Er stürmte durch die Lobby nach hinten zum Parkplatz und setzte das Blaulicht aufs Dach. Mit Vollgas fuhr er auf die Straße und in halsbrecherischem Tempo in Richtung Rathaus. Mehr als einmal verfluchte er die schmalen Gassen der Altstadt. Am Rathaus musste er anhalten – die Rathausstraße war mit Streifenwagen blockiert. Jacobsen sprang aus dem Wagen und rannte los. Als er den Rettungswagen vor dem Juwelier erblickte, wurde er noch schneller.

»Wo ist mein Vater?« Jacobsen drängte sich durch die Schaulustigen, die sich in einer Traube vor der Absperrung versammelt hatten.

Als er Fiete aus dem Rettungswagen klettern sah, blieb ihm kurz das Herz stehen. War er verletzt?

Fiete rannte auf ihn zu und packte ihn am Kragen. »Wo bist du gewesen?«, fauchte er ihn an.

»Vadder! Lass mich los!«

Doch der dachte nicht daran und drängte ihn an eine Hausmauer. »Wir hätten dich gebraucht und was machst du? Babysitten!« Er stieß ihn an die Schulter und rieb sich dann über das Gesicht. »Verdammt, Klaas, der hat Roni eine Waffe an den Kopf gehalten!« Es glitzerte in seinen Augen.

Jacobsen atmete tief ein. »Geht es ihr gut? Ich bin so schnell gekommen, wie ich konnte. Mensch, du bist mir doch wichtiger als dieser arrogante Fatzke!« Er legte seinem Vater eine Hand auf den Arm. »Bist du verletzt?«

Fiete schüttelte den Kopf. »Die Roni, die ist gerade umgekippt …« Er sah zum Rettungswagen. »Eben da drin … So etwas möchte ich nie wieder erleben. Ich … Ich konnte sie nicht beschützen!«

»Hey. Ich bin mir sicher, du hast alles getan, was du konntest.« Jacobsen nahm ihn kurz in den Arm. »Lass uns in den Laden gehen und dann erzählst du mir, was passiert ist, okay?«

»Aber ich muss zu Roni.« Fiete deutete auf den Rettungswagen.

»Veronika ist in guten Händen. Du hilfst jetzt am meisten, wenn du uns alles über den Täter erzählst, was du bemerkt hast.« Jacobsen schluckte seine Gefühle hinunter und wechselte in den professionellen Modus. Sosehr er sich um seinen Vater und dessen Freundin sorgte, er war Polizist. Und als solcher würde er alles daransetzen, den Täter zu fassen.

Sie gingen zurück in den Juwelierladen. Die beiden anderen Frauen saßen in der Werkstatt, beide mit einem Glas Wasser in der Hand. Ein Sanitäter räumte gerade seine Sachen zusammen. Der Juwelier war nicht zu sehen.

Meinders trat zu Jacobsen und Fiete. »Hallo, Klaas. Der Juwelier hat den Täter als sehr selbstsicher beschrieben. Seine Stimme, sagte er, war seltsam verzerrt.«

»Genau! Die klang metallisch.« Fiete runzelte die Stirn. »Arrogant war der. Und er hat mich getreten.«

»Bist du verletzt?« Jacobsen sah seinen Vater an.

»Nein, Klaas, das gibt nur einen blauen Fleck.« Fiete hob beschwichtigend die Hände.

»Und warum hat er dich getreten?«, hakte Jacobsen nach.

»Ich wollte ihm Ronis Kette nicht geben.«

»Vaddern!« Jacobsen schüttelte den Kopf. Das war so typisch Fiete. Er wandte sich an Meinders. »Hast du die Aufnahmen der Überwachungskamera?«

»Ja, der Juwelier hat sie mir auf einen Stick gezogen. Die Spusi kommt gleich. Kannst du mit aufs Revier oder musst du zu deinem tollen Star?« Meinders grinste.

»Sei bloß still. Der arrogante Typ treibt mich in den Wahnsinn!« Jacobsen verdrehte die Augen. Seine Nase kribbelte. »Hatschi!«

»Gesundheit! Erkältet?«

Jacobsen ging nicht auf die Frage ein. Er schnäuzte sich.

»Roni!« Fiete stürmte zur Tür. Am Arm eines Sanitäters kam Veronika in den Juwelierladen.

»Frau Schwartau möchte nicht mit in die Klinik, obwohl ich das für sinnvoll halten würde.« Der Sanitäter blickte sie streng an.

»Fiete kümmert sich um mich.« Sie schmiegte sich an ihn.

»Genau, ich werde ihr jeden Wunsch von den Augen ablesen.«

»Na dann … Alles Gute, Frau Schwartau.« Der Sanitäter verließ den Laden.

Jacobsen trat zu ihnen. »Veronika, wie geht es dir?«

»Es geht schon, danke. Ich war gerade nur etwas zittrig.« Sie drückte sich enger an Fiete.

»Verständlich. Sag, ist dir an dem Täter etwas aufgefallen?« Meinders schlug eine neue Seite in seinem Notizblock auf.

Veronika nickte. »Er hatte eine ganz metallische Stimme. Die tat richtig weh im Ohr.« Sie schauderte. »Mehr weiß ich nicht, tut mir leid.«

Meinders steckte den Block ein. »Kein Problem.«

»Erhol dich und dann kommt ihr morgen für das Protokoll aufs Revier, okay?« Jacobsen nickte ihr aufmunternd zu.

Veronika lächelte schwach.

»Soll ich euch lieber mit dem Auto fahren?«, fragte Jacobsen. »Nicht, dass dir unterwegs wieder schlecht wird.« Er strich ihr liebevoll über die Wange.

»Es geht, danke.«

Fiete legte den Arm um sie und führte sie aus dem Laden.

»Es ist doch seltsam, dass der Typ einen Stimmenverzerrer oder so etwas benutzt hat.« Jacobsen winkte den Inhaber zu sich. »Sagen Sie, Herr Brinkmann, haben Sie Streit mit jemandem?«

»Nein, eigentlich nicht.« Der Juwelier schüttelte den Kopf.

»Eigentlich?«

»Nun ja, ich musste vor ein paar Tagen meinen Azubi entlassen. Er wollte seiner Freundin imponieren und hat ein paar Schmuckstücke mitgehen lassen.«

»Würden Sie ihm den Überfall zutrauen? Der Täter hat seine Stimme verzerrt, um zu verhindern, dass man ihn daran erkennt.«

Der Juwelier schüttelte den Kopf. »Ich weiß nicht. Von der Statur her könnte es passen. Der Justin ist ein netter Junge. Seine Freundin hat keinen guten Einfluss auf ihn. Von allein wäre er nie auf die Idee gekommen, mich zu bestehlen, da bin ich mir sicher.«

»Schreiben Sie uns bitte Adresse und Telefonnummer auf. Wir werden auf jeden Fall mit ihm reden. Und wir benötigen eine Liste und Fotos der gestohlenen Dinge.« Meinders reichte ihm den Block und den Stift.

 

Zurück in der Wache bat Jacobsen einen Kollegen, Justin Ackermann einzubestellen. Anschließend folgte er Meinders in den Besprechungsraum. So langsam wurde ihm bewusst, was tatsächlich passiert war und in welcher Gefahr sein Vater und besonders Veronika geschwebt hatten. Mit zittrigen Knien lehnte er sich an den Konferenztisch. Sechs Stühle standen darum, ein Sideboard an der Wand.

Meinders zog die Stellwand aus der Ecke und schrieb Raubüberfall Brinkmann darauf. »Ist alles okay bei dir?«

Jacobsen nickte.

»Viel haben wir ja noch nicht. Der Täter ist ca. 1,85 Meter groß, schlank und Rechtshänder. Dazu scheint er recht skrupellos zu sein, denn er hat Veronika mit der Waffe bedroht und deinen Vater getreten.« Meinders legte den Stift zur Seite, mit dem er Stichpunkte auf der Stellwand notiert hatte.

»Die Fahndung ist raus?«, fragte Jacobsen.

»Schon lange. Da warst du noch Babysitten.«

Jacobsen ignorierte ihn. »Lass uns die Bänder ansehen. Vielleicht fällt uns etwas auf, was den Geiseln in der Aufregung entgangen ist.«

Meinders nickte und steckte den USB-Stick in den Laptop, den er mitgebracht hatte. Die Aufnahme startete um zehn Uhr. Der Juwelier schloss auf und begrüßte die erste Kundin, die schon gewartet hatte. Kurz darauf betraten Fiete und Veronika den Laden.

»Die sind schon ein süßes Paar, findest du nicht?«, fragte Meinders.

Jacobsen knurrte nur. Er gönnte seinem Vater ja eine neue Liebe, aber dass er sich zeitweise aufführte wie ein verliebter Teenager, fand er nicht so prickelnd. »Da, der Täter betritt den Laden. Er geht direkt auf Veronika los und hält ihr die Waffe an den Kopf.« Jacobsen blickte wütend auf den Monitor.

»Mistkerl. Jetzt tritt er deinen Vater.«

Sie sahen, wie der Juwelier die Schmuckstücke aus den Vitrinen in den Beutel steckte und wie alle in den hinteren Bereich getrieben wurden. Nach kurzer Zeit kam der Täter wieder zurück. Er griff mit der Hand nach seiner Sturmmaske und ging aus dem Bildschirm.

»Verdammt! Hätte er sie nicht einen Meter weiter im Laden abziehen können?« Meinders stoppte die Aufnahme.

»Ich glaube, der ist vorher schon einmal im Laden gewesen. Er zeigt direkt auf die Vitrinen, in denen die kostbaren Stücke liegen. Frag nach den Bändern der letzten Tage, sofern die noch nicht überschrieben worden sind. Und nimm dir den Azubi gleich mal richtig vor.« Jacobsen schielte zur Uhr und verzog das Gesicht. »Ich muss das Riesenbaby zum Drehort bringen.«

»So schlimm?«

»Frag nicht. Der Typ hat echt nicht mehr alle Latten am Zaun.« Jacobsen griff seine Jacke. »Halt mich auf dem Laufenden.«

»Mach ich. Bringst du mir ein Autogramm mit?«

»Fresse, Kollege!«

***

Veronika drückte sich auf der Fahrt mit dem Roller zum Campingplatz ganz fest an Fiete. Sie zitterte immer noch. Der Kerl hatte ihr eine Waffe an den Kopf gehalten! Das passierte doch sonst nur im Film.

Sie erreichten den Campingplatz und Fiete stellte den Roller neben dem Wohnmobil ab. Im Wohnmobil bugsierte er seine Freundin direkt zum Bett.

»Fiete, ich bin nicht krank. Nur ein bisschen zittrig.« Veronika blieb stehen.

»Du sollst dich ausruhen, mein Schatz. Ich mach dir einen Tee, okay?« Fietes Stimme duldete keinen Widerspruch.

»Sekt wäre mir ehrlich gesagt lieber.« Veronika streifte die Schuhe ab, setzte sich ins Bett und zog die Decke über die Beine. »Im Kühlschrank müsste noch ein Piccolöchen stehen.«

Fiete holte Gewünschten, reichte ihn an Veronika und setzte sich auf die Bettkante. »So ein ungehobelter Kerl!«, schimpfte er. »Dich so hart anzupacken. Wenn ich den in die Finger kriege!«

»Es ist ja zum Glück gut gegangen.« Veronika nahm einen Schluck Sekt und zupfte an Fietes Pullover. »Wo hat er dich getreten? Tut es schlimm weh?« Sie sah ihn sorgenvoll an.

Fiete schob seinen Troyer ein wenig hoch: Eine Stelle an der Seite stach blau hervor.

Veronika strich mit dem Finger darüber.

»Mach ruhig weiter«, knurrte er wohlig und Veronika tat ihm den Gefallen.

»Schade um den schönen Anker«, meinte sie, während sie mit den Fingern Fietes Rücken entlangstrich.

»Den bekommst du wieder, mein Schatz. Das verspreche ich dir.«

Nach zwei Piccolöchen kuschelte Veronika sich in Fietes Arme. Sie war so unglaublich müde. Erleichtert und müde. Sie schloss die Augen und dämmerte langsam weg.

Vorsichtig zog Fiete seinen Arm unter ihrem Nacken weg und kletterte aus dem Bett. Wie durch Watte drang seine Stimme zu ihr.

»Kai? Ich brauche deine Hilfe.«

Mit wem tele… Bevor sie den Gedanken zu Ende denken konnte, war sie eingeschlafen.

***

»Herr Ackermann, schön, dass Sie so schnell gekommen sind.« Meinders gab dem jungen Mann die Hand und bat ihn, Platz zu nehmen.

Auf den ersten Blick schien Justin Ackermann eher schüchtern und ruhig zu sein. Hatte der junge Mann wirklich das Geschäft seines alten Arbeitgebers überfallen? Andererseits geschahen die meisten Verbrechen aus Liebe und er hatte laut des Juweliers der Falschen sein Herz geschenkt.

»Warum bin ich denn hier? Der Beamte am Telefon wollte mir nichts sagen.« Justin Ackermann knetete seine Finger.

»Erzähl ich Ihnen gleich. Haben Sie einen Ausweis für mich?«, fragte Meinders.

Ackermann kramte ihn aus der Hosentasche und reichte sie ihm.

Meinders notierte sich die Daten. Der Mann war gerade achtzehn geworden. »Danke. Herr Ackermann, das Juweliergeschäft Brinkmann ist heute überfallen worden.«

»Was?« Ackermann sprang auf. »Wie geht es Herrn Brinkmann? Was ist mit Tilda?«

»Nehmen Sie bitte wieder Platz«, entgegnete Meinders und deutete auf den Stuhl. »Herrn Brinkmann und Frau Kramer geht es so weit gut. Der Täter hat ihnen nichts getan.«

Ackermann atmete auf. »Das ist gut. Haben Sie den Täter schon?«

Meinders ging nicht auf die Frage ein. »Sie haben bis vor Kurzem bei Herrn Brinkmann gearbeitet?«

»Ja, bis ich … Mann, ich habe einen ganz dummen Fehler gemacht. Der musste mich rausschmeißen.« Wieder bearbeitete er seine Finger.

»Sie sind Ihrem ehemaligen Arbeitgeber deswegen nicht böse? Sie sind jetzt arbeitslos, können Ihrer Freundin noch weniger bieten. Wo waren Sie heute um zehn Uhr?«

Ackermann riss die Augen auf. »Sie glauben, ich hätte? Nie! Ich habe mit dem Überfall nichts zu tun. Das würde ich der Tilda doch niemals antun!«

»Beantworten Sie bitte einfach meine Fragen.« Meinders sah ihn hochgezogenen Augenbrauen an.

Ackermann rutschte auf dem Stuhl hin und her. »Ich bin Herrn Brinkmann nicht böse. War ja meine eigene Schuld. Um zehn war ich zu Hause … Hab ja keinen Job mehr.«

»Kann das jemand bezeugen?«

»Nein. Ey, ich war das nicht!«

Meinders notierte sich etwas. »Gut, das war es erst einmal. Halten Sie sich bitte zu unserer Verfügung.«

Ackermann stürmte aus dem Büro.

Meinders rieb sich das Kinn. Er konnte sich nicht vorstellen, dass der junge Mann den Überfall begangen hatte. Der Täter war kalt und fast schon professionell vorgegangen. Ackermann dagegen war ein reines Nervenbündel.

»Der hatte es ja eilig.« Kollegin Kati steckte den Kopf ins Zimmer. Sie hielt einen Asservatenbeutel hoch. »Den Autoschlüssel soll ich dir geben. Die Spusi hat ihn in der Nähe des Juweliers gefunden. Vielleicht hat der Täter ihn verloren. Fingerabdrücke wurden gesichert, sind aber nicht in der Datenbank.«

Meinders nahm den Beutel entgegen. »Oh, der sieht alt aus. Der hat ja noch nicht einmal Zentralverriegelung. Danke dir.« Er wandte sich seinem Computer zu und suchte nach Fahrzeugen, die auf Ackermann zugelassen waren. Kein Treffer. Er weitete die Suche auf die Eltern des jungen Mannes aus, schließlich wohnte der noch zu Hause. Dort wurde ihm nur ein recht neuer VW angezeigt.

Nachdenklich drehte Meinders den Schlüssel in der Hand. Vielleicht gehörte er zu einem Oldtimer? Vor drei Wochen war in der Altstadt ein Oldtimertreffen gewesen. Er tippte erneut eine Suchanfrage in den Computer, aber ein Autoschlüssel war nicht als verloren gemeldet worden.

***

Punkt zwölf fuhr Jacobsen auf den Parkplatz des Hotels. Er konnte sich jetzt schon denken, dass Daniel Hinterthür die minimale Verspätung nicht passen würde.

Er sprang aus dem Wagen und lief zum Haupteingang.

»Scheiße!« Jacobsen taumelte zurück. Fast wäre er mit einer Person zusammengestoßen. »Kai! Was machst du hier?« Jacobsen war wenig begeistert, seinen Kumpel hier zu sehen. Der war so ziemlich das Letzte, was er jetzt gebrauchen konnte.

»Ich wollte mal hören, was es so Neues gibt. Der Juwelier in der Altstadt wurde überfallen?« Kai lächelte ihn an.

Jacobsen wollte an ihm vorbeigehen, aber er sprang ihm immer wieder in den Weg.

»Du weißt es doch schon, also was soll die blöde Frage. Was treibst du hier am Hotel?«

»Ich hatte die Hoffnung, den ein oder anderen Schauspieler zu erwischen. Wie man hört, hat Daniel Hinterthür ja ganz besonderen Personenschutz.« Kai grinste. »Erzähl doch mal. Wie ist er denn so?«

Jacobsen verdrehte die Augen. So nett sein alter Schulfreund sonst war, als Reporter war er wie eine Zecke.

»Zwei Worte?« Kai sah ihn mit Dackelblick an.

Der zieht bei Frauen, aber nicht bei mir, mein Lieber. »Verzieh. Dich.« Damit drückte Jacobsen sich an ihm vorbei und flüchtete in die Lobby. Er gab dem Portier die Anweisung, Kai auf keinen Fall in das Hotel zu lassen, und rannte den Flur entlang.

Fünf Minuten nach zwölf stand er vor der Zimmertür des Schauspielers.

Der Streifenkollege saß dort mit dem Smartphone in der Hand. »Hey, Chef. Alles ruhig da drin. Ab und zu schreit er, aber das klingt nach Textlernen.«

»Danke dir.«

Jacobsen klopfte. Und noch einmal. Und noch einmal. Langsam wurde er wütend. Energisch hämmerte er weiter. Endlich öffnete sich die Tür und ein übel gelaunter Daniel Hinterthür funkelte ihn an.

»Sie sind zu spät, Herr Jacobsen. Ihretwegen fehlen mir wertvolle Minuten am Set!«

»Die wird die Crew ihrem Star doch sicher trotzdem zur Verfügung stellen«, säuselte er. »Es gab einen Raubüberfall, bei dem mein Vater betroffen war. Sie werden verstehen, dass ich mich kümmern musste.«

»Oh, kriminelle Verwandte.« Daniel Hinterthür zog die Zimmertür hinter sich zu und drückte Jacobsen seine Herrenhandtasche in die Hand. »Und dafür vernachlässigen Sie Ihren Job?«

»Mein Job ist es, Kriminelle zu überführen. Mein Vater war eines der Opfer!« Jacobsen atmete tief ein. Ruhig bleiben. Nicht einfach bei seinem Gegenüber. Hinterthür grinste breit, setzte seine Sonnenbrille auf und marschierte in Richtung Lobby.

»Da würde ich nicht lang gehen, da steht die Presse.«

»Sehr gut. Dann kann ich mich gleich beschweren, wie nachlässig hier in Leer mit meinem Schutz umgegangen wird.« Hinterthür ging unbeirrt weiter.

Jacobsen sprintete hinter ihm her. »Das werden Sie nicht tun! Ein Kollege saß die ganze Zeit vor Ihrer Tür.«

»Pff!«

»Wenn Sie das tun, erzähle ich, dass ich unter Ihrem Bett nach Monstern suchen muss!« Auch wenn mich der Bürgermeister dafür köpft.

Daniel Hinterthür blieb stehen und drehte sich langsam um. »Das wagen Sie nicht.«

»Lassen Sie es drauf ankommen.« Jacobsen deutete zum Haupteingang, vor dem Kai immer noch herumlungerte.

Der Schauspieler ging einen Schritt zum Eingang, stockte, kam zurück. »Wo ist der Hinterausgang?«

Der Portier zeigte in die entgegengesetzte Richtung. Hinterthür hob die Nase, drehte sich um und stolzierte davon. Jacobsen verdrehte die Augen und lief hinterher.

 

Dieses Mal fanden die Dreharbeiten auf dem Gelände einer Leeraner Werft statt. Die lag im Industriehafen von Leer, der zweiten Leda-Schleife, quasi gegenüber dem Sportboothafen an der Altstadt. Hinterthür verzichtete auf seinen Sportwagen und ließ sich von Jacobsen kutschieren.

Jacobsen fand die Kulisse sehr beeindruckend. Mit großen Augen sah er sich um. Er mochte seekrank werden, Bootsbau fand er dennoch interessant. Eine Reihe großer Hallen stand dort; ein großer Kran am Ufer des Hafens überragte alles. Mehrere Unterstände mit Metall und anderen Dingen ergänzten das Bild. Direkt am Wasser erkannte Jacobsen eine Slipanlage für die Stapelläufe. Die Schiffe wurden hier quer ins Wasser gelassen und verursachten regelmäßig eine ordentliche Flutwelle. Jacobsen hatte sich einmal einen solchen Stapellauf zusammen mit Anja vom anderen Ufer aus angesehen und sich dabei nasse Füße geholt, als die Welle über das Ufer geschwappt war.

Während Daniel Hinterthür in der Maske saß, erkundigte Jacobsen sich bei einem Mitglied der Crew, was gedreht werden sollte.

Einmal sollte Hinterthür das Lösegeld für seine Frau in einem Versteck deponieren, das andere Mal der Täter die Geldtasche abholen. Das Versteck lag in einem Metalllager und dafür würden beide Schauspieler ein wenig klettern müssen. Jacobsen freute sich schon darauf, Daniel Hinterthür über das dreckige Metall kraxeln zu sehen.

Weil der Star mit seiner Maske unzufrieden war, änderte der Regisseur kurzerhand den Drehplan und ließ einen Mitarbeiter die Tasche deponieren. Die Stelle wurde markiert, damit Daniel Hinterthür später die Tasche auch am gleichen Ort versteckte.

Jacobsen entdeckte den Schauspieler, der den Entführer spielte. Sapperlot, den kannte er sogar! Das war Edgar Wollsteiner – der Held seiner Kindheit. Von dem konnte sich dieser Sprücheklopfer Hinterthür durchaus eine Scheibe abschneiden. Neugierig sah Jacobsen bei der Probe zu. Der Regisseur klatschte in die Hände und ließ direkt drehen. Alles lief wie am Schnürchen.

»Danke! Wir bauen um für die Nahaufnahme!«

Während Hinterthür in Drehpausen immer direkt mit Wehwehchen oder Sonderwünschen auf sich aufmerksam machte, plauderte Edgar Wollsteiner ungezwungen mit den Mitgliedern der Crew.

Jacobsen schielte zum Maskenwagen. Alles ruhig. Er nutzte seine Chance und lief zu Edgar Wollsteiner. »Herr Wollsteiner? Entschuldigen Sie, dass ich Sie so anspreche, aber ich, also, Sie sind der Held meiner Kindheit! Ihre Abenteuerserie damals … Wahnsinn!« Jacobsen stotterte wie ein nervöser Teenager vor der ersten Liebe.

»Das freut mich.« Edgar Wollsteiner reichte ihm die Hand. »Gehören Sie zur Crew? Ich habe Sie noch nie gesehen.«

»Nein. Klaas Jacobsen, Polizei Leer. Ich passe ein wenig auf Herrn Hinterthür auf.«

»Ich verstehe. Sicher kein einfacher Job.« Ein verschmitztes Lächeln schlich sich in die Augen des Schauspielers. »Sie haben mein Mitgefühl. Aber psst!« Wollsteiner legte den Finger auf die Lippen und schmunzelte.

Jacobsen nickte. Edgar Wollsteiner war ein so feiner Kerl, wie er es sich gedacht hatte. »Dürfte ich Sie, also, könnten Sie mir vielleicht ein Autogramm geben?«

»Sicher doch. Kommen Sie nachher zu mir, dann gebe ich Ihnen eine Autogrammkarte. Es geht hier …«

»Jacobsen!!!!«

Gerufener verdrehte die Augen. »Mach ich gerne, vielen Dank!«

»Nicht ärgern lassen«, rief Edgar Wollsteiner ihm zu und ging zum Metalllager, um mit dem Regisseur die Einstellung zu besprechen.

Jacobsen schlenderte zum Maskenwagen.

»Wo waren Sie denn? Sie sollen sich um mich kümmern und nicht um diesen Wollsteiner. Der kann froh sein, dass er in seinem Alter noch gebucht wird.« Daniel Hinterthür rümpfte die Nase. »Kommen Sie, ich will mir den Dreh angucken. Und dann können Sie sehen, wie man das richtig macht.«

Jacobsen verkniff sich einen Kommentar und lief hinter Daniel Hinterthür her. Der positionierte sich neben dem Regiepult und verschränkte die Arme vor der Brust.

»Achtung bitte, wir drehen!«

»Kamera läuft!«

»Ton läuft!«

»Und bitte!«

Edgar Wollsteiner spielte die gleiche Szene wie ein paar Minuten zuvor. Diesmal aber würde der Kameramann ihn ins Lager verfolgen und den Griff nach der Beute in Großaufnahme filmen.

Der Schauspieler kletterte wie vorher über einen Stapel Metallschrott, suchte einen Halt und griff daneben. Er stolperte, schrie auf und stürzte den Stapel hinunter. Metallteile donnerten zu Boden.

»Aus!«

Regisseur Tom Asbach warf seine Kopfhörer zur Seite und rannte los. Andere Mitglieder der Crew waren schon bei Edgar Wollsteiner und halfen ihm auf die Beine.

»Alles okay?«, fragte Tom Asbach.

»Ja, geht schon. Ist nur ein Kratzer.« Edgar Wollsteiner drehte prüfend seine Hände.

»Gut, aber lass das einmal gründlich säubern. Daniel, wir drehen mit dir weiter!« Der Regisseur kam zurück. »Dann schießen wir direkt deine Nahaufnahme und im Anschluss die Totale.«

»Vergiss es.« Daniel Hinterthür schüttelte den Kopf.

Tom Asbach stutzte. »Was bitte?«

»Ich kletter da nicht hoch. Das ist doch lebensgefährlich!«

»Daniel, du musst nur über diesen einen Haufen klettern. So durchtrainiert wie du bist, sollte das doch kein Problem sein.«

»Nein. Habt ihr kein Stuntdouble?«

»Für so eine Lappalie? Natürlich nicht!« Tom Asbach raufte sich die Haare.

Jacobsen hörte belustigt zu.

»Er kann das machen. Er hat meine Statur.« Der Schauspieler zeigte auf Jacobsen.

»Was? Nie!« Jacobsen und der Regisseur sahen Daniel Hinterthür an und schüttelten synchron den Kopf.

»Daniel, bitte, du …«, setzte Tom Asbach an, aber er wurde direkt unterbrochen.

»Entweder er oder ihr müsst euch etwas anderes für die Szene überlegen.« Der Star verschränkte die Arme vor der Brust und drehte den beiden den Rücken zu.

Kindergarten, dachte Jacobsen.

Fünfzehn Minuten später kletterte Jacobsen über den Metallhaufen, um die Tasche mit dem Lösegeld zu verstecken. Der Kameramann achtete darauf, sein Gesicht nicht im Bild zu haben. Anscheinend hatte er seinen Job gut gemacht, denn Tom Asbach rief: »Perfekt! Wir drehen!«

Es klappte alles ohne Probleme und nachdem auch die Nahaufnahmen von Edgar Wollsteiner im Kasten waren, sollte noch die Totale von Daniel Hinterthür, ähm, Klaas Jacobsen gedreht werden. Die Probe war gut gelaufen, Jacobsen ging erneut in Position. Die Möwe, die sich vom Hafen her näherte, nahm er nur aus dem Augenwinkel wahr.

»Kamera läuft!«

»Ton läuft!«

»Und bitte!«

»Jacobsen!!!!!«

***

»Ernsthaft? Ihm hat zum zweiten Mal eine Möwe auf den Kopf geschissen?« Fiete hielt sich den Bauch vor Lachen. »Geschieht dem eingebildeten Fatzke recht.«

Auf den Schreck mit dem Überfall hatte Anja Veronika und ihn zum Rouladenessen eingeladen. Jetzt saßen sie auf der Terrasse, die Vögel zwitscherten im Sonnenuntergang und ein herrlicher Duft zog durch den Garten.

Nach dem erneuten Unfall mit der Möwe hatte Daniel Hinterthür darauf bestanden, ins Hotel zu fahren, und gedachte, den Rest des Tages zu ruhen. Deshalb saß jetzt ein Streifenbeamter vor der Hotelzimmertür und Jacobsen streckte sich in seinem Gartenstuhl aus.

»Ist er wirklich so schlimm?« Veronika konnte gar nicht glauben, was sie von ihrem Schwarm gehört hatte.

»Schlimmer. Der benimmt sich wie Gott persönlich. Kennt ihr Edgar Wollsteiner?«

»Ja sicher! Der ist richtig gut!« Veronika nickte.

»Den habe ich heute am Set kennengelernt. Er spielt den Entführer. Ich sag euch, das ist ein feiner Kerl. Der behandelt die Crew vernünftig und verhält sich wie ein normaler Mensch. Dabei hat er viel mehr erreicht als dieser Hinterthür.« Jacobsen griff nach seinem Bier, aber seine Frau Anja war schneller.

»Für dich heute nicht, mein Schatz.«

Fiete hob fragend die Augenbrauen.

»Der Herr Star muss noch ins Bett gebracht werden«, grummelte Jacobsen und putzte sich die Nase. Immerhin die Erkältung war deutlich besser geworden.

»Du musst Daniel Hinterthür ins Bett bringen?« Fiete riss die Augen auf.

»Und nicht nur das.« Jacobsen trommelte mit den Fingern auf seiner Stuhllehne. »Ich muss in den Schrank und unters Bett gucken, ob da nicht ein Monster ist!«

Veronika bekam große Augen, Fiete lachte noch mehr und Anja sah ihren Mann entsetzt an.

»Klaas! Das soll doch keiner wissen!«

»Ups.« Jacobsen schlug sich mit der Hand vor den Mund. »Fiete, Veronika, kein Wort zu irgendwem! Sonst bekomme ich richtig Ärger mit dem Bürgermeister.«

»Unsere Lippen sind versiegelt.« Veronika nickte und knuffte Fiete in die Seite.

»Was? Ja, klar.« Fiete griff nach seinem Bier. »Sag mal, Sohn, habt ihr den Räuber schon gefasst? Der hat auch unsere Ketten geklaut – das nehm ich ihm übel. Und dass er meinen Schatz hier bedroht hat, nehm ich persönlich.« Er tätschelte Veronikas Hand.

»Vadder, du weißt doch, dass ich mit dir nicht über die Arbeit reden darf.«

»Hast du doch gerade auch.«

»Das ist keine Arbeit, das ist ein Zustand.« Jacobsen seufzte. »Also gut: Es gibt noch keine heiße Spur. Aber ihr zwei, ihr haltet euch schön aus den Ermittlungen raus, verstanden?«

»Natürlich.«

Fiete grinste und Jacobsen war klar, dass sich sein Vater nicht daran halten würde. Hoffentlich war Veronika vernünftiger. Er sah auf seine Armbanduhr und stand auf. »Dann will ich mal ne Runde Gassi gehen.«

»Habt ihr neuerdings einen Hund?« Veronika sah sich um.

»Nein, Daniel Hinterthür beliebt es, einen Spaziergang zu tätigen. Munter!« Jacobsen klopfte auf den Tisch und ging.