Kapitel 1
Kaylie Thompson tolerierte eine Menge Dinge.
Leute, die an der Kasse Ewigkeiten brauchten, um das Kleingeld aus ihrem Portemonnaie zu kramen. Hunde, die Haargummis in ihrem Fell trugen. Menschen, die Pfefferminz-Schokolade mochten. Kühlschränke, die so laut summten, dass man eigentlich den Kammerjäger rufen müsste.
Aber es gab eines, das sie nicht akzeptierte. Eine Sache, die sie fast dazu verleiten könnte, ihre kurzgeschnittenen Fingernägel in den Rücken ihrer Patienten zu schlagen.
„Ich bin keine Masseuse!“
„Autsch! Nimm deine Nägel aus meinem Rücken!“
Okay, man musste das fast wohl streichen. „Ich nehme meine Nägel heraus, wenn du zurücknimmst, dass ich eine gute Masseuse bin.“
„Na ja, aber das, was du gerade tust, ist doch …“
Sie grub ihre Finger tiefer in die Muskeln von Jake Braker, Vollidiot und Baseman bei den Philadelphia Delphies.
„… verdammt, okay! Du bist keine gute Masseuse! Und das meine ich in diesem Moment wirklich ernst.“
Sie hob ihre Hände hoch und strich sich zufrieden die Haare aus dem Nacken. „Gut. Wir sind hier jetzt auch fertig.“
„Meine Güte!“ Jake richtete sich auf und schwang die Beine über die Liege. „Was bist du so empfindlich?“
Sie war nicht empfindlich. Sie hatte nur etwas gegen Menschen, die ihren Job nicht ernst nahmen und sie zur Masseuse degradierten. Nichts gegen Masseusen, sie waren sicherlich harte Arbeiterinnen und diejenigen, die nicht nur … Dinge massierten, die sich unterhalb der männlichen Gürtellinie befanden, hatten ihren vollsten Respekt. Nichtsdestotrotz: Sie hatte ihre Zeit nicht mit Fortbildungen, dem Studium des menschlichen Körpers und Akupressurpunkten verbracht, um von einer Physiotherapeutin zu einer Masseuse hinabgesetzt zu werden. Außerdem wäre die richtige Bezeichnung Masseurin! Jake sollte besser recherchieren, bevor er wahllos Leute als Masseuse beschimpfte.
„Jake, du musst lernen, Frauen mehr zu respektieren. Ein bisschen mehr aufpassen, was du von dir gibst. Sonst nimmt dich nie eine ernst.“
Er rieb sich den Nacken und ließ seine rechte Schulter kreisen. „Du bist die einzige Frau, die mich nicht ernst nimmt!“
Sie prustete und klopfte ihm freundschaftlich auf den Rücken. „Du bist süß, wenn du ahnungslos bist.“
Mit düsterem Blick stand er von der Liege auf und zog sich das Hemd über, das er über einen Stuhl in der Ecke ihres Behandlungsraumes gelegt hatte. „Bis jetzt hat noch keine Frau in meinem Bett behauptet, dass ich ahnungslos wäre.“
Das brachte Kaylie zum Lachen. „Die Frauen, mit denen du ins Bett gehst, würden auch nie auf die Idee kommen, ehrlich mit dir zu sein – nichts für ungut.“
Jake knöpfte sich das Hemd zu und hatte die Augenbrauen tief ins Gesicht gezogen.
Jetzt war er beleidigt. Kaylie vergaß immer, dass Männer etwas empfindlich waren, was ihre Fähigkeiten im Bett anging.
Seufzend lief sie um die Liege herum. „Sorry. Ich bin sicher, deine Affären sind zufrieden mit dir. Wir reden dann noch einmal, wenn du mit einer Frau schläfst, die sich nicht vorher ein Autogramm von dir auf ihre Brüste hat geben lassen.“
Jake schnaubte, grinste jetzt aber wieder. „In letzter Zeit lassen sich Frauen lieber die Innenseite ihrer Oberschenkel unterschreiben. Brüste sind gar nicht mehr so beliebt.“
Sie stöhnte laut auf und boxte ihm gegen die Schulter. “Manchmal vergesse ich, warum ich dich mag.“
Jake war jung, hatte für seine mittlerweile dreiundzwanzig Jahre einfach zu viel Geld und als Baseballspieler zu viel Ansehen, als dass sein Ego eine normale, annehmbare Größe haben könnte. Und dennoch war er innerhalb der letzten Monate zu einem guten Freund geworden. Was schon sehr ironisch war, wenn man Kaylie besser kannte.
Es gab eigentlich nur drei Dinge, die sie wirklich hasste:
als Masseuse bezeichnet zu werden, die Haut auf Pudding und Baseball.
Die Welt wäre ohne dieses Spiel einfach besser dran. Na gut, ihre Welt. In dem Punkt war sie wohl etwas egoistisch. Und Jake war der Inbegriff eines Baseballspielers. Alle Klischees wurden in ihm zusammengefasst, trotzdem war er ihr ans Herz gewachsen. Er würde es nicht zugeben, doch er brauchte etwas Normalität in seinem Leben. Menschen, die sich mit ihm abgaben, weil er ein lockerer, witziger Typ war und nicht, weil er gut aussah und ein Bankkonto in der Höhe des Mount Everests besaß.
Kaylie war wohl zu diesem Menschen geworden. Was sollte sie sagen? Sie hatte eine Schwäche für Menschen, die Hilfe brauchten und Jake brauchte weiß Gott eine Menge davon! Er hatte sie letztens angerufen, um zu fragen, wie man eine Waschmaschine bediente.
„Du magst mich, weil ich dich gut bezahle und süß bin“, erklärte Jake und wieder ließ er die Schulter kreisen, bevor er tief seufzte. „Ich bin jedes Mal ein neuer Mensch, wenn ich von dieser Liege aufstehe! Ich sollte täglich kommen.“
„Solltest du, aber wer würde sich dann um deine Frauen kümmern?“
„Hey, ich könnte dich einfach auch zu einer von ihnen machen.“
„Das wäre pädophil von mir.“ Und sie fand Jake in etwa so anziehend wie einen Pandabären: Er war total knuffig und man wollte ihn knuddeln, aber mit ins Bett würde sie ihn sicherlich nicht nehmen.
„Ich bin nur vier Jahre jünger als du!“
Kaylie schüttelte den Kopf und öffnete die Tür des Behandlungszimmers, um ihn herauszulassen. „Du vergisst, dass Frauen Männern mental um einige Jahre voraus sind. Intellektuell könntest du mein Sohn sein.“
Sie liefen den Gang zum Eingangsbereich entlang.
„Und du sagst mir immer, ich sei arrogant“, grummelte der Baseballer und stützte sich mit den Unterarmen auf dem Rezeptionstresen ab, hinter dem die derzeitige Aushilfe Sarah mit leuchtenden Augen zu ihm aufsah.
„Du bist arrogant“, stellte Kaylie fest und lehnte sich über den Holztresen. „Sarah, könntest du Jakes Rezept raussuchen, damit er es unterschreiben kann?“
Das Mädchen beachtete sie gar nicht. Sie hatte das Kinn in die Hände gelegt und starrte zu dem dunkelhaarigen Mann hoch, der ihr gerade zuzwinkerte.
„Sarah!“, wiederholte Kaylie lauter und schlug mit der Hand auf das Holz.
Sie erwachte aus ihrer Starre und wandte sich verwirrt blinzelnd an ihre Mitarbeiterin. „Was?“
Kaylie unterdrückte ein Stöhnen und wiederholte ihre Bitte.
„Oh, natürlich!“, sagte Sarah mit hochrotem Kopf und tauchte Sekunden später in eine Schublade, in der sie nach dem Zettel kramte.
Wie konnte man auf einen Baseballspieler stehen?
Kaylie verstand es einfach nicht. Das war doch Herzschmerz, der darauf wartete zu passieren! Baseballspieler waren kein Material für eine ernste Beziehung. Sie waren sieben Monate im Jahr nur unterwegs und die anderen fünf spielten sie in irgendwelchen Charity-Turnieren, waren im Training und warteten darauf, endlich wieder mit einem Holzstück auf einen Ball eindreschen zu können! Und wenn sie zuhause waren, sprachen sie weiter über ihre Statistiken und die Schwächen der gegnerischen Mannschaften. Sie könnten genauso gut einen Baseball als Kopf haben.
Ja, schön. Ihre Freundin Emma war mit einem zusammen und schien glücklich. Aber sie kam auch aus Deutschland und da waren die Frauen offensichtlich verrückt.
„Sie ist süß“, murmelte Jake neben ihr. „Ist sie schon achtzehn?“
„Sie hat einen Freund.“
„Du hast meine Frage nicht beantwortet.“
Stöhnend legte sie sich eine Hand auf die Stirn. „Du bist so ein Strüh, Jake.“
„Ein was?“ Verwirrt wandte er seinen Blick von Sarahs Hinterkopf.
„Ein Strüh. Das ist ein Wort, das ich in die amerikanische Sprache einführen werde.“
„Was zum Teufel ist ein Strüh?“
„Emma hat mir von dem Wort erzählt. Sie und ihre deutschen Freunde benutzen es immer. Strüh ist multivalent einsetzbar. Es kann Idiot, Gott, liebevoller Dummbatz, verwirrtes kleines Kind und vieles mehr bedeuten. Es kommt auf die Betonung an.“
„Und was hat ‚Strüh‘ gerade bedeutet?“
Kaylie grinste breit. „Das ist ja das Tolle an dem Wort: Du wirst es nie erfahren. Ich könnte dich beleidigt oder dir ein Kompliment gemacht haben – und du kannst mich nicht darauf festnageln.“
„Aber dich versteht dann auch keiner …“
„Oh, ich glaube, du verstehst mich ganz gut … oder, du Strüh?“ Sie klimperte mit den Wimpern.
Kopfschüttelnd nahm Jake das Rezept und den Stift entgegen, den Sarah ihm jetzt reichte. „Du bist echt die durchgeknallteste platonische Freundin, die ich habe.“
„Ich bin deine einzige platonische Freundin.“
„Ja, mit mehr wäre ich wahrscheinlich auch überfordert. Es gibt überraschend wenige Frauen, mit denen ich nicht schlafen will. Du solltest dich geehrt fühlen.“ Er unterschrieb das Papier und schob es über den Tresen zu Sarah zurück, der er schon wieder zuzwinkerte.
Augenverdrehend schob Kay ihn an den Schultern zur Tür, während sie die Aushilfe darum bat, ihren nächsten Patienten schon einmal aufzurufen.
„Dass du noch nicht an einer Geschlechtskrankheit verreckt bist, ist ein Wunder“, murmelte sie und ließ ihn los, bevor sie in Versuchung kam, seinen Kopf einfach gegen den Rahmen zu schlagen.
„Sind alle Frauen, die keinen Sex bekommen, so gemein? Denn dann sollte man weiblichen Präsidenten vielleicht einen Sex-Sklaven zur Verfügung stellen …“
„Halt die Klappe, bevor ich mir noch einmal überlege, ob ich Pazifistin bin.“
„Soll ich dir vielleicht auch jemanden suchen?“, sagte Jake und tätschelte ihr den Kopf. Als wäre er derjenige, der sich um sie kümmern musste – und nicht andersherum.
„Blödmann“, murrte sie und zog seine Hand weg.
Das war unfair. Sie hatte Sex. Sie schlief mit einer Menge Männern.
Okay, das war so bitter gelogen, dass sie prompt rot wurde. Ja, sie hatte seit einiger Zeit eine Flaute – was vor allem an einer Liste oder eher einem Fragebogen lag, der an ihrem Kühlschrank hing. Aber gute Männer wuchsen nun einmal nicht auf Bäumen. Und sie würde sich ganz bestimmt nicht wieder mit jemandem zufriedengeben, der sie nicht an erste Stelle setzte. Es schien nur fast so, als würde sie dann nie einen Typen finden … aber sie mochte Hunde. Zur Not würde sie sich einfach einen besorgen und mit dem in einem Bett schlafen.
Dieser Gedanke war so deprimierend, dass sie sich hart gegen die Schläfe klopfte, um ihn wieder loszuwerden.
„Okay, wenn du dich schon selbst schlägst, wird es Zeit zu gehen“, stellte Jake fest und öffnete die Tür, durch die warme Luft hereingeweht kam. „Ach hey, kommst du heute zum Spiel?“
Sie verschränkte die Arme vorm Körper. „Dass du das immer noch fragst …“
„Ich habe die Hoffnung noch nicht aufgegeben … warum hasst du Baseball noch gleich?“
„Weil es dämlich ist!“
Jake hob skeptisch eine Augenbraue. Er wusste, dass sie log, aber wohl auch, dass sie ihm nicht den wahren Grund nennen würde. Eigentlich wunderte es Kaylie, dass er noch nicht selbst darauf gekommen war. Dass er nie die Verbindung hergestellt hatte. Aber so war es ihr ohnehin lieber.
„Schön. Ende der Woche haben wir eine Drei-Spiele-Reihe auswärts, ich werde also vollkommen fertig wiederkommen und brauche dann deine Hilfe!“
Sie nickte – immer diese armen geschundenen Männer – und stellte sich auf die Zehen, um ihn kurz zu umarmen. „Alles klar. Danke für den Haufen Geld, den du mir zahlst!“
Er lachte. „Danke dafür, dass meine Schulter nicht mehr wehtut! Du hast Wunder-Hände.“
Ja, da wollte sie nicht widersprechen. Sie liebte ihren Job. Und manchmal fragte sie sich, ob es nicht falsch von ihr war, andere dafür zu verurteilen, dass sie dasselbe taten.
***
„Ich dachte immer, Frauen schwitzen Regenbogen – aber das Zeug, was bei dir rauskommt, ist ja echt ekelig.“
Dexter O’Connor war ein geduldiger Mann. Seine Toleranz für Bullshit war außergewöhnlich hoch, was als Baseballspieler einfach berufsnotwendig war. Nichtsdestotrotz gab es Grenzen. „Halt die Klappe, Luke“, presste er zwischen den Zähnen hindurch, während er das Stemmeisen wieder an seine angebrachte Stelle zurückschob. „Du bist ein Pitcher – also ein fauler Sack. Du wirst nur jedes vierte Spiel oder so eingesetzt, also kein Wunder, dass du nicht weißt, was Schweiß ist.“
Er richtete sich auf und griff nach dem Handtuch, das über dem Ende der Stemmbank hing. Es war keine zwei Uhr und das Spiel heute Abend erst um sieben. Doch es war nicht unüblich, dass die Spieler bereits Stunden vor Spielbeginn im Clubhaus herumhingen.
„Ich habe eine heiße Freundin, die jede Nacht in meinem Bett wartet – ich weiß, was Schweiß ist“, grinste Luke, der träge auf dem Laufband lief.
Dex hatte so eine Ahnung, dass Luke, wenn Emma wüsste, was ihr Freund hier gerade von sich gab, einige Zeit auf schweißtreibende Aktivitäten mit ihr verzichten müsste.
„Deine Freundin – war das die, die dich letzten Monat im Fernsehen zur Schnecke gemacht hat?“, wollte Tyler Brady wissen, ein Shortstop, der vor ein paar Wochen erst zusammen mit Ryan Hale, einem Catcher, von den Houston Astros an die Delphies verkauft worden war.
Lukes Miene verdüsterte sich. „Ja ... wieso?“
Tyler warf Ryan einen Blick zu, der Dexter zum Grinsen brachte. „Wir haben das Video letzten Monat bei den Astros vor jedem Spiel angesehen. Das war äußerst motivierend.“
„Siehst du, Luke? Die Tatsache, dass du ein Waschlappen bist, ist äußerst motivierend!“, lachte Dex und stand auf. „Ich glaub’, das schreib’ ich gleich Emma, die freut sich, dass sie …“
Er kam nicht dazu weiterzusprechen, denn in diesem Moment flog die Tür zum Trainingsraum auf und schlug hart gegen die dahinterliegende Wand.
Eine brünette junge Frau baute sich im Rahmen auf und starrte wütend zu ihm herüber.
„Du!“, brüllte sie und deutete mit dem Finger auf ihn.
Verdammt!
Er hatte geglaubt, die Security des Clubhouse würde ihm seine Schwester einige Stunden vom Hals halten. Aber er vergaß immer, dass Chloe keine Skrupel hatte und zurzeit auf einer Skala von Welpe bis Furie ziemlich weit oben anzusiedeln war. Der Security-Guard hatte sie wahrscheinlich gesehen und war dann wimmernd weggelaufen.
„Wo hast du ihn?“, schrie sie weiter und beachtete die halbnackten Männer gar nicht, die sie mit offenen Mündern anstarrten. Sie stand mittlerweile vor ihm und der Schlag, den sie seiner Schulter verpasste, zog sich bis in seinen Nacken hinauf.
„Chloe, der Raum hier ist nur für Mitglieder der Delphies“, sagte er ruhig, ihre Frage ignorierend.
Sie fuhr mit ihrem Kopf herum und starrte der Reihe nach die anderen Spieler an, die aufgehört hatten zu trainieren.
„Hat irgendwer ein Problem damit, dass ich hier bin?“, fragte sie scharf.
Abrupt schüttelten alle den Kopf.
„Siehst du!“, zischte sie gezwungen lächelnd. „Alle wollen mich hier haben. Also: Wo hast du ihn versteckt?“
Er kratzte sich unangenehm berührt den Nacken. „Ich habe keine Ahnung, wovon du sprichst.“
„Meinen Ausweis! Wo hast du meinen Ausweis versteckt?“ Ihre Stimme hallte von den Wänden wider und erneut schlug sie auf seinen Schlagarm. Autsch. Der hatte ohnehin schon bessere Tage erlebt – und das wusste Chloe nur allzu gut!
„Du hast deinen Ausweis verloren?“, stellte er dümmlich fest und legte sich das Handtuch in den Nacken.
„Du hast ihn mir geklaut, Dexter“, knurrte sie, die Augen zu Schlitzen verengt. „Für wie dämlich hältst du mich? Du hast in meiner Handtasche gewühlt und ihn geklaut.“
Schön, ja. Er hatte ihr den Ausweis weggenommen. Aber das war anscheinend der einzige Weg, sie davon abzuhalten, jeden Abend mit ihren bescheuerten, sogenannten Freunden in eine Bar oder einen Club zu gehen, anstatt sich um ihre Zukunft zu kümmern. Was für eine Wahl hatte er also gehabt?
Außerdem hatte er ein Kondom in ihrer Tasche gefunden! Er würde sie ganz sicher nicht in die Nähe von Alkohol und diesen Vollidioten lassen, mit denen sie herumhing. Am Ende säße sie heulend und schwanger in seinem Bett und er würde wieder den Dreck hinter ihr aufsammeln müssen.
Er wusste, dass sie vierundzwanzig und erwachsen war. Aber Chloe hatte die vergangenen drei Jahre damit verbracht, ihr Leben und ihre Bildung wegzuwerfen und solange sie sich nicht endlich Gedanken darüber machte, was sie mit ihrer Zukunft anfangen wollte, würde er ihr liebend gerne jeden Tag den Ausweis klauen.
Oder noch besser: ihr Portemonnaie. Und wurden heutzutage eigentlich noch Keuschheitsgürtel verkauft? Er wusste es nicht, sollte sich deswegen aber vielleicht mal informieren.
„Dexter, du gibst mir jetzt sofort meinen Ausweis zurück oder ich schwöre dir, dass ich bei einer Zeitschrift anrufe und denen erzähle, dass ich dich jede Nacht weinend in deinem Zimmer erwische, weil keine Frau dich wirklich liebt.“
Das Problem war, dass Chloe keine leeren Drohungen aussprach. Andererseits war es ihm zutiefst egal, was die Zeitungen berichteten.
„Hast du dir die Collegebroschüren angesehen, die ich dir hingelegt habe?“
„Meinst du die, die im Müll liegen?“
„Chloe!“
„Nein, nicht Chloe.“ Ihr Zeigefinger bohrte sich in seine Brust. „Es ist meine Zukunft und wenn du mich an das Geld lassen würdest, das Mom und Dad für mich hinterlegt haben, würde ich schon längst nicht mehr bei dir wohnen! Also hör auf, mir das vorzuhalten.“
Er seufzte tief. Ja, das würde nicht passieren. „Chloe, du warst praktisch mit dem College fertig. Du müsstest nur noch …“
„Wo ist mein Ausweis, Dex?“, unterbrach sie ihn. „Ich muss zur Arbeit und ohne Ausweis kann ich keinen Alkohol ausschenken!“
Noch ein Grund, warum er ihn ihr weggenommen hatte. In dem Loch, in dem sie gerade kellnerte, sollte niemand arbeiten, geschweige denn etwas essen oder trinken.
„Ich habe keine Ahnung, wo dein Ausweis ist.“
„Ich warne dich!“ Ihre Stimme kam einem Flüstern gleich. „Ich werde dich vor den Augen deiner Teammitglieder niederringen und auf deinen schrottigen Arm schlagen, wenn du mir nicht sofort sagst, wo du ihn versteckt hast.“
Er schnaubte. „Denkst du, nur weil du Kampfsport machst, habe ich jetzt Angst, dass …“
Im nächsten Moment wurden ihm die Füße unter dem Körper weggerissen und er fiel hart auf den Rücken.
Was zum Teufel …!? Wie hatte sie das gemacht? Und warum zog sich das dumpfe Pochen, das sich die letzten Tage immer mehr in seinem rechten Arm bemerkbar gemacht hatte, nun bis zu seinen Nackenmuskeln hoch?
Chloe lächelte süßlich zu ihm hinab und ihr Fuß ragte bedrohlich über seinen bereits in Mitleidenschaft gezogenen Arm. „Den Ausweis. Oder ich trete zu.“
„In meiner Sporttasche, du Verrückte!“, stöhnte er.
Jetzt drehte sie ja völlig am Rad! Wann war seine Schwester so stark geworden? Vor fünf Jahren hatte er noch eine Hand auf ihre Stirn legen und sie mit ausgestrecktem Arm davon abhalten können, ihn auch nur zu berühren.
Sie hatte in den letzten Jahren wirklich zu viel einstecken müssen. Aber er wusste nicht mehr weiter. Er wusste nicht, wie er ihr noch helfen konnte. Alles was er sagte, traf auf Granit.
„Wer ist hier verrückt?“, fuhr sie auf und fing an, seine Tasche zu durchwühlen, während er sich langsam und ächzend wieder aufrichtete. „Du hast deine eigene Schwester bestohlen!“
Er sah es nicht als stehlen an. Eher als helfen.
Und verdammt, seine Schulter schmerzte wie Hölle. Er hatte in fünf Stunden ein Spiel!
Er rieb sich seinen Arm und beobachtete Chloe dabei, wie sie triumphierend die Hand mit dem Ausweis in die Höhe reckte. „Ha!“, machte sie und sah ihn böse an. „Finger weg von meiner Handtasche – und das Kondom will ich auch wiederhaben!“
Stöhnend legte er sich eine Hand auf die Stirn. „Ganz sicher nicht!“
„Na gut. Dann werde ich eben ohne mit dem nächsten Kerl schlafen“, sagte sie fröhlich und sah in die Runde. „Nett euch kennenzulernen, Jungs.“
Seine Mitspieler schienen allesamt einen Lachanfall zu unterdrücken. Tyler hatte einen so roten Kopf, dass es aussah, als müsse er gleich platzen und Luke gab sich nicht einmal Mühe, sein Grinsen zu unterdrücken. Na klasse. Jetzt war er der Kerl, der sich von seiner Schwester hatte verprügeln lassen … und ihr das Kondom weggenommen hatte.
Sie hob die Hand und wollte in genau dem Moment zur Tür hinaus, in dem Sam – Dex ältester, bester Freund und neuer PR-Manager der Mannschaft – hereinkam.
Chloe machte noch einmal einen Schritt nach hinten, um ihn einzulassen und ließ ihren Blick einmal von oben nach unten und zurück wandern, die Arme vorm Körper verschränkt.
Er trug wie immer Anzug und Krawatte – und aus einem Grund, den Dex nicht kannte, war Chloe nie mit ihm warmgeworden. Dabei kannten sie sich schon seit einer Ewigkeit.
„Hey Sam, wie ich sehe, trägst du den Stock in deinem Arsch immer noch mit Stolz. Ich wunder’ mich täglich, dass eine deiner Krawatten dich nicht irgendwann erstickt …“
Sam verzog keine Miene. Das war sein Ding. Emotionen zu zeigen, stand nicht weit oben auf seiner Liste. „Kann ja nicht jeder so ein lieblicher Freigeist wie du sein“, meinte er trocken. „Obwohl dir ein wenig Ordnung guttun würde. So eine Krawatte wäre vielleicht gar nicht schlecht.“
„Oh, aber ich benutze Krawatten doch! Aber eben nur für meine Handgelenke …“, lächelte sie und lief aus der Tür.
Oh Gott.
Konnte ihm bitte jemand die Ohren ausbrennen? Sofort!
Stöhnend ließ er sich auf die Stemmbank sinken, immer wieder den Kopf schüttelnd. Dieser Tag war echt für die Toilette!
„Ja, du hast recht, Dex“, grinste Luke und stieg vom Laufband. „Waschlappen zu betrachten, ist wirklich motivierend. Ich glaube, ich werde heute das beste Spiel der Saison haben.“
Dexter reckte seinen Mittelfinger in die Höhe und ließ den Kopf stöhnend auf sein Knie sinken.
„Deine Schwester ist die reinste Herzenswonne, Dex“, bemerkte Ryan. „Ich steh’ auf schlagkräftige Frauen, wo arbeitet sie noch gleich?“
„Finger weg von meiner Schwester!“ Sofort richtete er sich wieder auf. Das fehlte ihm noch, dass sie sich mit einem befreundeten Mannschaftskollegen einließ!
„Aber Dex“, schalt Luke ihn grinsend, „das passt doch super: Dann würde es in der Familie bleiben!“
„Einen Scheiß würde es!“ Schlimm genug, dass seine Schwester … Sex hatte. Wenn er auch noch wissen müsste, mit wem sie … er brauchte einen Mülleimer, um sich zu übergeben.
„Mensch O’Connor, deine Schwester ist echt heiß“, stimmte nun auch Tyler mit ein. „Und ich glaub’, sie ist nicht die Art von Frau, die sich sagen lassen würde, mit wem sie in die Kiste zu steigen hat …“
Dex sprang auf und zuckte ächzend zusammen, als erneut dieses Ziehen bis zu seinem Nacken einsetzte. „Ich sag’ es nur noch einmal und dann wird nie wieder darüber geredet: Finger weg von meiner Schwester!“
„Rastet er wieder wegen seiner Schwester aus?“
Super, das hatte ihm gerade noch gefehlt. Jake Braker, der jüngste der Spieler, aus dessen Mund der größte Blödsinn kam – was schon was hieß, wenn man mit Luke Carter in einer Mannschaft war – trat durch die Tür und blieb neben Sam stehen, der die Arme vor der Brust verschränkt hatte und konzentriert auf den Boden starrte.
„Jap“, erklärte Luke, der sich nach einer Wasserflasche gebückt hatte.
„Das wird langsam alt, Alter. Wir alle wissen, dass du jeden niederschlägst, der auch nur von ihr fantasierst.“
„Ich wollte nur sichergehen, dass unsere neuen Teammitglieder das auch wissen“, knurrte er und warf Ryan und Ty einen Blick zu.
Die hoben beide die Hände. „Sorry, Mann. Wussten nicht, dass das ein wunder Punkt ist. Wir fassen sie nicht an.“
„Gut“, seufzte er und rieb sich wieder über die Schulter.
„Was ist mit deinem Arm?“, wollte Sam prompt wissen und nickte in die gegebene Richtung.
„Bin nur falsch … gefallen“, murmelte er.
Jetzt fing der Bastard auch noch breit zu lächeln an! Sam war sehr sparsam mit Gefühlsregungen – außer mit Schadenfreude. Die verteilte er in Massen. „Chloe hat dich niedergestreckt?“
„Sie hat nur …“ Doch wenn er ehrlich war, würde nichts, was er sagte, es besser machen.
„Mann, Mann … kannst du heute spielen?“
„Natürlich kann ich spielen!“
„Gut. Es wäre echt scheiße, kaum zwei Monate hier als PR-Mann angestellt zu sein und der Presse dann erklären zu müssen, dass du nicht an einem Spiel teilnehmen kannst, weil deine Schwester dich verprügelt hat.“
„Ich kann spielen“, wiederholte Dexter düster. „Ich muss nur zum Physiotherapeuten und dann wird das.“
„Bist du sicher? Du siehst sehr leidend aus.“
„Halt die Klappe, Sam. Ich habe dir den Job besorgt!“
Sein Freund schnaubte laut und zog den Knoten seiner Krawatte enger. „Du hast einen Dreck getan. Du hast mir nicht mal gesagt, dass eine Stelle ausgeschrieben war.“
„Ja, weil wir ohnehin schon zu viel gemeinsam rumhängen. Da wollte ich deine Visage nicht auch noch bei der Arbeit sehen müssen!“
Dex war seit dem College mit Sam befreundet. Während er sich durch die Kurse geschummelt und ohnehin nur Baseball hatte spielen wollen, hatte Sam sich zu Tode geackert und ihm die Hölle heiß gemacht, als er aufgrund seiner schlechten Noten beinahe sein Stipendium verloren hatte. Dex verdankte Sam genaugenommen, dass er im Baseballteam hatte bleiben können und es so in die MLB geschafft hatte. Sam hatte summa cum laude abgeschlossen, war nach LA gegangen, um in einer der größten Marketingfirmen anzuheuern und Geld zu scheffeln, während Dex über einige Umwege zu den Delphies gekommen war, um das Gleiche zu tun. Sie hatten Kontakt gehalten – was mit niemand anderem von Dex’ alten Freunden geklappt zu haben schien – und letztes Jahr war Sam dann nach Philadelphia gezogen. Dex wusste bis heute nicht warum genau, aber das würde sein Freund ihm schon noch erzählen, wenn er soweit war.
Da Sam nicht gerne redete, war Dex mit der Einzige, der überhaupt wusste, was er in seinem Leben bereits hinter sich gelassen hatte.
Aber er war für ihn da gewesen, als vor drei Jahren die Hölle losgebrochen war – und das war es, was zählte.
„Ach, ich mag es, wenn du romantisch wirst“, grinste Sam und nickte den beiden Neuen zu. „Hale, Brady, ihr müsst mitkommen. Wir geben gleich in der Pressekonferenz bekannt, wie wunderbar ihr euch eingelebt habt und wie das Team euch mit tränennassen Wangen und offenen Armen willkommen geheißen hat.“ Mit einem Blick in Richtung Dexter sagte er: „Mach was wegen deiner Schulter, Dex! Wir haben dieses Jahr eine echte Chance, in die World Series zu kommen. Also hör auf, deine Schwester anzupissen.“
Würde er ja gerne. Aber das schien unmöglich zu sein. Chloe schien 365 Tage im Jahr ihre Tage zu haben. Und als ob er nicht wüsste, dass sie zurzeit gut im Rennen lagen.
Ty und Ryan grinsten ihm und Luke ein letztes Mal zu und verließen zusammen mit Sam den Raum, während Dexter wieder auf die Stemmbank sank und langsam seine Schulter kreisen ließ.
„Hey, wenn du Probleme mit der Schulter hast, geh zu Kaylie“, meldete sich jetzt Braker zu Wort, der sich bückte und seine Turnschuhe zuband. „Ich war gerade selbst bei ihr, eine Stunde und ich schwör’: Schmerzen sind ein Fremdwort für dich.“
Dex runzelte die Stirn. „Wer ist Kaylie?“
Er hatte geglaubt, alle Mannschaftsärzte und Physiotherapeuten zu kennen.
„Eine Krankengymnastin, die in der Praxis zwei Straßen weiter arbeitet. Emma hat sie mir mal empfohlen“, blickte er zu Luke, „und ich bin ihr bis heute dankbar. Wie dankbar ich bin, würde ich ihr ja gerne zeigen, aber unser Lucky hier ist so empfindlich, was sie betrifft.“
Luke schnaubte. „Emma würde dich in der Luft zerreißen, Kleiner.“
„Warum gehst du zu einer Physiotherapeutin außerhalb?“, wollte Dex wissen. „Dir ist schon klar, dass wir mindestens fünf eigene haben, oder?“
„Ich weiß, aber niemand ist so gut wie Kay! Wenn du einmal bei ihr warst, bezweifelst du, dass unsere Leute überhaupt eine Ausbildung haben.“
Er zuckte die Achseln. Es konnte ja nicht schaden, es mal auszuprobieren. Er hatte noch ein wenig Zeit, bis er aufs Spielfeld musste und wenn er ehrlich war, dann war er wirklich nicht sehr zufrieden mit der Arbeit der Physiotherapeuten hier. „Alles klar, gib mir die Adresse, ich fahr’ mal hin.“
Jake nickte und nannte sie ihm. „Sag, dass du zu ihr willst und dass ich dich schicke. Dann lässt sie dich bestimmt vor. Sie ist … sehr beliebt.“
Na, das dürfte kein Problem sein. Er würde sicherlich nicht Jakes Namen fallen lassen müssen.
Dexter wollte sich ja nichts darauf einbilden, aber er war nun einmal berühmt. Leute neigten dazu, in seiner Anwesenheit alles stehen und liegen zu lassen. Er bezweifelte, dass eine einfache Physiotherapeutin da eine Ausnahme sein würde.
Kapitel 2
„Sie machen Ihre Übungen nicht, Mr. Frank.“
„Ich habe sie gemacht, aber sie haben nicht geholfen!“, beschwerte sich der ältere Herr sofort und hob leicht den Kopf von der Liege.
Kaylie schüttelte den Kopf, während sie ihre Hände weiterhin auf seinem Knie hielt. „Wie oft?“
„Bestimmt dreimal!“
Sie seufzte und schloss die Augen, während sie sich langsam an seinem Unterschenkel nach unten vorarbeitete. Dieser Mann war so dickköpfig wie eine Kindergartengruppe!
„Das ist nicht genug, um es als ‚ausprobieren‘ bezeichnen zu können.“
„Sie waren anstrengend.“
Ja, das hatten Übungen mit Menschen gemeinsam. „Sie müssen sie regelmäßig machen, damit sie helfen können, Mr. Frank. Ich kann die Arbeit nicht alleine stemmen, Sie müssen ebenfalls fleißig sein. Sonst wird Ihr Knie auf Dauer nicht besser.“
„Sie haben sehr schöne, warme Hände“, murmelte er.
Kaylie verkniff sich ein Grinsen. „Lenken Sie nicht vom Thema ab. Komplimente helfen Ihnen bei mir nicht. Ich werde Ihre Frau anrufen und sie wird mir erzählen, wie oft Sie die Übungen machen! Wenn es weniger als viermal die Woche ist, lege ich meine Hände das nächste Mal in Eiswasser, bevor ich Sie behandle.“
„Das würden Sie nicht wagen!“
„Oh doch.“
Sie hatte schon viel schlimmere Dinge getan. Es hatte einiges gebraucht, um die Aufmerksamkeit ihres Vaters auf sich zu ziehen und effektiv gegen das ständige Umziehen zu protestieren. Sie war nicht stolz darauf, aber sie war sehr kreativ darin gewesen Mist zu bauen. Angefangen mit diversen gebrochenen Schulregeln, die sie von ein paar Privatschulen hatten fliegen lassen, über illegal beschafften Alkohol, bis hin zum Modernisieren einer Frauentoilette. ‚Modernisieren‘ hieß in diesem Fall, sie pink anzustreichen und mit Federn zu schmücken.
Aber das war Ewigkeiten her. Sie hatte schon vor Jahren aufgehört, sich kategorisch gegen alles aufzulehnen. An dem Tag, als ihre Mutter die Diagnose bekommen hatte.
„Schön, ich werde die Übungen noch einmal probieren“, grummelte Mr. Frank. „Ihretwegen. Aber wenn sie nicht helfen, höre ich sofort damit auf!“
„Machen Sie sie mindestens zwei Monate, dann reden wir weiter“, murmelte sie und blickte auf, als es an der Tür klopfte.
Merkwürdig. Normalerweise befolgte Sarah ihre Anweisung, sie nicht bei der Arbeit zu stören, sehr strikt. Kaylie mochte es nicht, bei einem Patienten unterbrochen zu werden. Viele Dinge, die sie behandelte, brauchten Zeit und Konzentration und wenn sie jemand ablenkte, musste sie wieder von vorne anfangen. Deswegen hatte sie Sarah gesagt, dass sie nur bei Notfällen klopfen solle.
„Ja?“, fragte sie laut. Sofort öffnete sich die Tür und die blonde Rezeptionistin steckte den Kopf hinein.
Sie sah irgendwie … rot aus. Dunkle Flecken hatten sich auf Wange und Hals gebildet und ihre Augen waren unnatürlich groß.
„Alles okay, Sarah?“, fragte sie besorgt und ließ widerwillig Mr. Franks Bein los.
Das Mädchen nickte. „Ja, also …“, kiekste sie, bevor sie sich laut räusperte. „Also, da ist jemand, der gerne zwischen deine Patienten geschoben werden möchte und er hat darauf bestanden, dass ich bei dir nachfrage.“
„Warum kann er nicht zu Sally? Die hat doch heute noch Platz, oder?“
Sarahs Kopf wurde noch roter. „Er hat ausdrücklich nach dir gefragt und na ja, ich glaube, du solltest besser mit ihm selbst darüber reden, er …“ Sie seufzte. „Er ist sehr … sehr …“
Sarah brach ab und Kay bezweifelte, dass sie ihren Satz noch zu Ende führen würde. Warum zum Teufel war sie so aufgeregt?
„Geht es ihm sehr schlecht?“, wollte sie wissen und stand von ihrem Hocker auf.
„Ähm, das weiß ich nicht. Hat er nicht gesagt.“
„Hat er nicht gesagt?“
Warum zum Teufel hatte Sarah ihn dann als Notfall eingestuft?
„Nein, hat er nicht, er … komm am besten selbst!“, wiederholte sie und schloss die Tür hinter sich.
Schwer seufzend folgte sie ihr. „Ich bin gleich wieder da, Mr. Frank. Entspannen Sie sich einfach.“ Doch sie hätte sich nicht die Mühe machen müssen. Wenn sie richtig lag, dann war der alte Mann soeben eingeschlafen.
Leise schloss sie die Tür hinter sich, lief den steril-weißen Flur hinunter – und blieb wie angewurzelt stehen.
Jetzt wusste sie, warum Sarah um Worte verlegen gewesen war.
Der Mann, der am Tresen lehnte und auf die junge Frau hinablächelte, ließ Frauen sich an Sauerstoff verschlucken.
Er war wie aus einem Frauenroman entsprungen. Groß, breitschultrig, dunkelblonde Haare, die ihm wirr in die Stirn hingen, ein Lächeln, das dafür gemacht war, Frauen darüber nachdenken zu lassen, ihm das Höschen nachzuwerfen und ein Bankkonto, dem jedes Jahr um die 28 Millionen Dollar hinzugefügt wurden.
Jedes männliche Traum-Klischee passte auf ihn.
Sie hasste Klischees. Sie waren so wenig originell.
Es war so langweilig, wenn Männer ein markantes Kinn, große Hände und Wangenknochen, die wie von Michelangelo selbst gemeißelt aussahen, hatten. Völlig überholt dieses Modell!
Und diese kreativlose Sorte von Mann hatte auch noch das Recht, nahezu jeden Abend über den Bildschirm zu flackern.
Womit sie auch direkt zum größten Manko dieses Kerls kam: Er war Baseballspieler.
Second Baseman, wenn sie sich nicht irrte.
Sie presste die Lippen aufeinander. Dieser Patient zog bereits jetzt kräftig an ihren Nerven.
Nur weil jemand Dexter O’Connor hieß und ganz gut mit einem Stock auf einen Ball eindreschen konnte, war das noch lange kein Grund, ihn als Notfall einzustufen!
Sie atmete tief durch, versuchte schleunigst zu vergessen, dass sie schon einige Male an einem Baseballspiel im Fernsehen hängengeblieben war, weil dieser Mann gerade auf dem Schlagmal stand, und stemmte die Hände in die Hüften.
Sie verachtete Klischees und Baseball. Darauf sollte sie sich konzentrieren.
„Das ist der Notfall?“, fragte sie Sarah über den Tresen hinweg. „Er kann noch geradestehen! Dafür hast du mich aus meinem Termin geholt?“
Sarahs Gesicht nahm die rosa Farbe einer Wassermelone an und jetzt wandte sich der Spieler Kaylie zu.
Er hatte grüne Augen. Das hatte man im Fernsehen nie genau erkennen können. Sehr grüne Augen.
„Die liebe Sarah hier kann nichts dafür. Ich habe sie praktisch angebettelt, Sie darum zu bitten, mich noch dazwischen zu quetschen. Ich kann sehr überzeugend sein.“ Wieder zeigte er sein charmantestes Lächeln, als müsse er ihr vorführen, warum genau das so war.
Kaylie wippte auf ihre Hacken zurück und hob unbeeindruckt eine Augenbraue. Sie war mit Kerlen seiner Sorte aufgewachsen und es so leid, dass alle Sportler und berühmte Leute dachten, sie hätten das Recht, überall eine Extrawurst zu erwarten.
„Er ist kein Notfall!“, zischte sie zu Sarah.
„Sie tuscheln nicht sehr erfolgreich, hat Ihnen das schon einmal jemand gesagt?“, fragte O’Connor.
Zuckersüß lächelnd fixierte sie ihn. „Und Sie sind nicht dazu in der Lage, das Wort ‚Notfall‘ erfolgreich zu definieren.“
„Ich bin ein Notfall.“
„Das müssen Sie mir genauer erklären, dann überlege ich es mir vielleicht.“ Oder auch nicht.
Ihr Gegenüber machte einen Schritt zurück und musterte sie. Sie konnte seinen Blick nicht ganz deuten, hätte aber auf Überraschung und Unverständnis getippt. Das schienen die Emotionen zu sein, die sie bei Männern vorwiegend hervorrief. Rein statistisch gesehen war das also wahrscheinlich.
„Nun, ich habe Probleme mit meiner Schulter und muss heute Abend spielen“, erklärte er, eine Baseballkappe in den Händen drehend.
Meine Güte, hatte er kein T-Shirt, das etwas lockerer saß? Man sollte doch meinen, dass er es sich leisten könnte, etwas zu kaufen, dessen Ärmel nicht aussahen, als würden sie gleich gesprengt werden. Seine Haare waren noch feucht und kräuselten sich an den Seiten – für einen Fön wollte er von seinen 28 Millionen also auch nichts ausgeben? Seinem Kinn nach zu urteilen, war ihm auch ein Rasierer zu teuer.
Ein Klischee und ein Geizhals also. Nein, damit wollte sie nichts zu tun haben.
„Was spielen Sie denn?“, fragte sie absichtlich dumm nach. „Mensch ärgere dich nicht? Siedler von Catan? Wusste nicht, dass da der Schultereinsatz so gefordert wird.“
Sarah, hinter dem Tresen, lächelte in sich hinein – sie wusste sehr wohl, dass Kaylie klar war, wen sie da vor sich hatte; sie redeten alle paar Wochen über Dexter – während der Baseballspieler etwas irritiert schien. Vielleicht weil noch nie eine Frau vor ihm gestanden hatte, ohne prompt ihren BH auszuziehen.
„Ich bin Sportler.“
„Ach, richtig“, sagte sie langsam. „Ich glaube, ich kenne Sie aus dem Fernsehen … aber sind Sie für einen Basketballer nicht etwas klein?“
Er hob die Augenbrauen. „Ich bin Baseballer.“
„Oh, okay. Da muss ich was verwechselt haben. Dann ist das, denke ich, in Ordnung.“ Und wahrscheinlich wäre er mit seinen Einssechsundachtzig auch für Basketball geeignet. Peinlich für sie, dass sie sogar wusste, wieviel er wog.
„Denken Sie, ja?“, fragte er trocken nach. „Sind Sie neben Physiotherapeutin auch Sportagentin?“
„Nein, was ich bin, ist ausgebucht“, stellte sie fest. „Und Sportler haben doch alle einen privaten Physiotherapeuten. Ich sehe keinen Grund darin, für Sie meine Termine durcheinanderzubringen.“
„Dieses Spiel heute Abend ist sehr wichtig.“
„Wichtiger, als dass die neueingesetzte Hüfte einer alten Dame sich reibungslos an ihren Körper anpasst und keine Schmerzen verursacht?“
„Für Amerika? Ja!“
Sie schnaubte. „Haben Sie gerade wirklich behauptet, dass das heutige Baseballspiel von nationaler Wichtigkeit ist?“
Er hob die Hände. „Ich stelle hier nur Tatsachen klar.“
„Na, da sind wir ja auf einer Wellenlänge. Tatsache ist: Kranke alte Damen sind wichtiger als Sport.“
O’Connors Kiefer knackte laut und die nächsten Worte aus seinem Mund hörten sich an, als würden sie ihn sehr viel Mühe kosten. „Ich … Jake hat Sie mir empfohlen.“
„Jake Braker?“
„Ja, Jake Braker.“
Dieser Vollpfosten! Was fiel ihm ein, sie weiterzuempfehlen? Sie hatte ihm mehr als einmal gesagt, dass sie keine anderen Sportler hier haben wollte! Vor allem keine Baseballer. Ihn hatte sie nur angenommen, weil Emma sie darum gebeten und dann etwas auf Deutsch gesagt hatte! Das hatte ihr Angst gemacht. Sie war sich ziemlich sicher, dass Emma ihr nicht mit dem Tod gedroht hatte, aber wer konnte das bei der deutschen Sprache schon genau wissen?
Schwer seufzend strich sie sich die Haare hinters Ohr. „Schön. Wenn Jake Sie schickt …“
Jake lebte für Baseball – so wie jeder andere Spieler auch – und wenn es den Delphies helfen würde zu gewinnen … dann würde sie sich O’Connors Schulter eben ansehen. Sie war ja kein Unmensch. Außerdem bezahlten Sportler extrem gut.
„Schön“, wiederholte sie und lehnte sich über den Tresen, hinter dem Sarah auffällig stumm gesessen hatte. „Sarah, schreib ihn für gleich auf und verleg Mrs. Wooding zu Sally. Wie heißen Sie genau? Damit Sarah Sie eintragen kann.“
Ihr Gegenüber hatte nun die Augen zu Schlitzen verengt und Kaylie befürchtete schon fast, dass sie damit zu weit gegangen war, doch schließlich knirschte er: „Dexter O’Connor.“
„Dexter Olkoner?“
„O’Connor.“
„Ach so.“
Von wegen, sie war keine gute Schauspielerin! Nimm das – Theater AG!
Vielleicht war es gemein vorzugeben, ihn nicht zu kennen – aber sie fand, dass sie das Recht dazu hatte.
Dexter O’Connor war die Sorte Mann, die nur mit den Fingern schnippen musste, um zu bekommen, was sie wollte. Und da gingen bei ihr jegliche rote Fahnen hoch.
Geld und gutes Aussehen verlieh Männern Macht – und Macht war etwas, das sie nicht bereit war abzugeben.
Schön, sie hatte da ein paar Vorurteile gegenüber Baseballspielern – berechtigte, meistens wahre Vorurteile – und wäre Dexter jeder andere Mann gewesen, hätte sie möglicherweise an ihm ihren Fragebogen ausprobiert. Denn verdammt, ja, er war ein Klischee, aber sie war eine Frau und sie hatte Augen im Kopf und nun … Sie hatte nichts zu ihrer Verteidigung vorzubringen. Er war heiß und sie hatte zu lange keinen Sex mehr gehabt und … wo war sie stehengeblieben?
Ach ja: Dexter O’Connor war kein anderer Mann. Was ihr irgendwie ein wenig leidtat.
Für ihn.
Na gut, auch ein klein wenig für sie.
„Wie heißt die Mannschaft hier noch gleich?“, hakte sie nach, während Sarah O’Connors Namen eintrug. „Die Dolphins? Das hat für mich nie Sinn gemacht. Spielt ihr nur bei Regen? Oder Land unter?“
„Delphies. Die Philadelphia Delphies … und Sie sind wahrscheinlich die einzige Person in der ganzen Stadt, die das nicht weiß.“
Und er war die einzige Person, die wirklich glaubte, dass sie keine Ahnung hatte.
„Delphies? Ziemlich einfallslos, wenn Sie mich fragen. Warum nicht gleich die Philadelphia Philadelphias? Das hört sich zumindest weniger albern an.“
„Sollten Physiotherapeuten nicht mehr mit den Händen als mit dem Mund arbeiten? Ich weiß nicht, ob ich Ihren Fähigkeiten vertrauen kann, wenn Sie so viel reden.“
Reden schreckte ihn ab? Na, vielleicht wurde sie ihn dann ja doch noch los …
„Ich kann multitasken, keine Sorge! Ich könnte die ganze nächste Stunde durchreden, die Sie auf meiner Liege liegen! Ich habe Quinoa für mich entdeckt, wissen Sie? Das ist unglaublich eisenhaltig. Viel eisenhaltiger als Spinat. Popeye verbreitet übrigens Lügen, Spinat ist gar nicht …“
„Warum zum Teufel mögen Sie mich nicht?“
Verblüfft hielt sie inne. O’Connor hatte die Kappe auf den Tresen gelegt und die Arme vor der Brust verschränkt.
Die Frage, die sich alle stellten: Würde das T-Shirt halten? Kaylie war gegen das T-Shirt. Es sollte einfach aufgeben. Einsehen, dass es das Schwächere war.
„Ähm, nicht mögen?“, räusperte sie sich. „Wie kommen Sie darauf, dass ich Sie nicht mag?“
„Warum sonst sollten Sie mich mit dem bescheuerten Zeug volllabern? Und so tun, als wüssten Sie nicht, wer ich bin? Sie müssen eindeutig etwas gegen mich haben.“
Jetzt lief ihr Kopf doch leicht rosa an. Sie schwindelte sehr gerne – wurde aber nicht gerne dabei erwischt. Und es stimmte: Sie hatte etwas gegen ihn. Er war Baseballspieler. Mehr brauchte es gar nicht.
Jake war, wie gesagt, eine Ausnahme – aber das auch nur, weil er so unglaublich von sich selbst eingenommen war, dass sie es als ihre Pflicht gegenüber der Menschheit ansah, sein Ego jede Woche mindestens einmal zu verkleinern. Außerdem wüsste der arme Kerl ohne sie doch gar nicht, wie er sich in der Welt zurechtfinden sollte.
„Gut, ich weiß, wer Sie sind“, gab sie zu. „Ich lese gerne die Klatschkolumne und da stolpere ich immer über Ihre modischen Fehlgriffe.“
„Und deswegen haben Sie etwas gegen mich? Sie hassen Leute, die nicht wissen, wie sie sich anzuziehen haben?“ Sein Blick glitt über ihre Beine, die in ausgewaschene Jeans verpackt waren, und das Trägertop, das sie bereits zweimal genäht hatte. „Denn Lady, sich selbst nicht zu lieben, ist tragisch.“
Na, das musste er ja am besten wissen. Er liebte sich selbst bestimmt für fünf Menschen.
„Ja, ich habe was gegen Sie“, sagte sie langsam und trommelte mit den Fingern auf den Rezeptionstresen. „Sie machen abends immer so viel Lärm im Stadion – da kann mein Hund nicht schlafen. Und dieser Energieverbrauch der Flutlichter regt mich auch ziemlich auf.“
„Sagen Sie eigentlich auch mal die Wahrheit?“
Sie musste lachen. Meistens war die Wahrheit doch sehr langweilig. „Das werden Sie wohl nie herausfinden. Warten Sie hier, ich beende nur noch meinen Patienten, dann kümmere ich mich um Sie – und den heutigen Sieg in Siedler von Catan haben Sie sicher!“
Sie hielt die Hand über ihren Kopf und lief zurück zum Behandlungsraum.
Sie war sehr professionell. Hatte nie ein Problem damit, privat von geschäftlich zu unterscheiden und ihre Patienten als genau das anzusehen – Patienten. Doch als sie spürte, wie er ihr mit dem Blick folgte, fingen sämtlichen Nervenenden von ihr an zu vibrieren.
Sie hatte das vage Gefühl, dass O’Connor eine Herausforderung darstellen könnte.
***
Dexter hatte das vage Gefühl, dass seine neue Physiotherapeutin sich gerade sehr gut auf seine Kosten amüsiert hatte.
Und das überraschte ihn so dermaßen, dass er nicht einmal dazu fähig gewesen war, dieser Frau etwas entgegenzusetzen. Er hielt sich für relativ schlagfertig – aber Kaylie hatte ihn so überrumpelt, dass er zeitweilig einfach überhaupt nichts Sinnvolles hatte antworten können. Noch nie hatte eine Frau absichtlich so getan, als wüsste sie nicht, wer er war! Sie hatte ganz offensichtlich ein Problem mit berühmten Leuten – auch ein erstes Mal für ihn. Ansonsten schienen die Menschen eher scharf darauf zu sein, nach zwei Minuten so zu tun, als wäre er ihr bester Freund.
Dex hatte kein Problem damit, das war eben Teil des Jobs, aber er erwischte sich dabei, dass er es doch ein wenig schade fand, dass Kaylie, die Physiotherapeutin, etwas dagegen hatte, sich mit ihm anzufreunden.
Er wusste, warum sie so beliebt war. Und das war bestimmt nicht wegen ihrer physiotherapeutischen Fähigkeiten. Männer würden sicherlich hierher kommen, nur um von ihr angefasst zu werden. Sie hatte sehr schöne … Hände.
Er fragte sich, in welcher Beziehung Jake zu ihr stand, denn der Jungspund schaffte es seiner Meinung nach kaum, ein ganzes Spiel hindurch seine Hosen anzubehalten. Andererseits hätte er gewettet, dass Jake nicht ihr Typ war.
Er neigte den Kopf und beobachtete Kaylie dabei, wie sie mit wehendem braunem Haar hinter einer Ecke verschwand. Auch wenn sein Blick nicht auf ihr Haar gerichtet gewesen war. Dass es wehte, war eher eine Vermutung gewesen.
Er setzte seine Kappe wieder auf und richtete seinen Blick auf die schüchterne Rezeptionistin, die fast ihre Zunge verschluckt hatte, als er hereingekommen war.
Ja, so waren ihm die Frauen lieber. Da war es wenigstens einfacher sie einzuschätzen.
„Was ist ihr Problem?“, wollte er wissen und nickte seitlich in die Richtung, in der die Frau mit den schönen … Händen verschwunden war.
„Kaylies Problem?“, fragte die Rezeptionistin, sich offensichtlich unwohl fühlend.
„Ja. Warum hat sie mich angesehen, als hätte ich in ihren Kaffee gepinkelt?“
Das brachte die junge Frau zum Lachen. „Oh, nehmen Sie es nicht persönlich. Sie hat was gegen Sportler.“
Seine Augenbrauen flogen nach oben. Sie hatte was gegen Sportler? Welche Frau hatte etwas gegen Sportler? War sie in ihrer Jugend etwa vom Football Captain versetzt worden?
Er lehnte sich langsam an den Tresen und blickte wieder in den Gang.
Eine Frau, die einfach aus Prinzip etwas gegen ihn hatte. Wegen seines Jobs.
Ein Lächeln breitete sich in seinem Gesicht aus.
Es war einige Zeit her, dass er sich einer Herausforderung gestellt hatte, die nicht seine Schwester war.
Und Kaylie wollte er sicherlich nicht mit Chloe vergleichen.
Kapitel 3
Er machte sie nervös.
Er war zu groß, zu präsent und sie konnte das Testosteron, das er ausschüttete, geradezu riechen.
Herrgott, sie war besser als das! Sie wurde täglich mit gutaussehenden Männern konfrontiert.
Okay, es waren dann doch oft Männer, die vor zwanzig Jahren wohl mal gut ausgesehen hatten, aber was war der Unterschied? Offenbar ein Sixpack, feuchte Handflächen und der Wunsch, ihre Berührungen heute mal nicht ganz so professionell auszuführen.
Mist. Das hatte sie noch nie gehabt. Noch nie in ihrem ganzen Leben hatte sie einen Mann gesehen und gedacht: Will ich.
Sie war doch bis eben noch davon überzeugt gewesen, dass sie Klischees hasste! Und jetzt wurde sie selbst zu einem.
Warum hatte er sich auch nur ausziehen müssen!?
Ach ja, weil sie es ihm gesagt hatte. Dumme, dumme Kaylie! Sie war nur überrascht gewesen, dass er sofort auf sie gehört hatte. Nicht einmal ihre imaginären Hunde hörten auf sie.
„Also gut“, räusperte sie sich, den Kopf hochhaltend, damit sie in sein Gesicht und nicht auf andere Dinge sah. „Wo genau liegt der Schmerz, Mr. O’Connor?“
Sie war einfach zu klein. Ihr Blick reichte zwangsweise nur bis zu seiner Brust. Dafür konnte ihr keiner Vorwürfe machen. Mit Nackenschmerzen war nicht zu spaßen.
„Ich biete Leuten, die mich nackt sehen, immer gerne meinen Vornamen an.“
„Nun, Sie sind aber nicht nackt.“
Er grinste. „Bei deinem Blick fühle ich mich aber so.“
Blut schoss ihr in die Wangen und hastig wandte sie ihr Gesicht ab. Vielleicht sollte sie lieber zurück zur Feindseligkeit gehen, das hatte besser funktioniert.
„Mein Blick ist sehr professionell“, stellte sie grimmig fest und zog den Überzug der Liege glatt.
„Professionell, definitiv. Aber nicht als Physiotherapeutin.“
Wäre es zu auffällig, wenn sie ihren Kopf gegen die Liege schlug?
Die Lippen zu einer dünnen Linie gepresst, wandte sie sich ihm wieder zu. „Schön, Dexter.“ Sie gab sich Mühe dabei, seinen Namen so feindselig und hart wie möglich auszusprechen, was darin mündete, dass ihr Kiefer anfing wehzutun. „Wenn du dann mit deinem Ego-Trip fertig bist: Könntest du mir großzügigerweise sagen, wo es wehtut? Oder soll ich eine Puppe holen, an der du es zeigen kannst?“
Der Baseballspieler grinste immer noch. „Ich arbeite nicht mehr mit Puppen. Mir sind echte Frauen lieber.“
Sie würde Jake umbringen. Langsam und schmerzhaft. „Das sagen alle Männer und dann nehmen sie sich Frauen, die zu fünfzig Prozent aus Plastik bestehen.“
„Ich bin nicht alle Männer.“
Nein, Gott nein. Das war er nicht.
Kaylie schluckte und wandte ihm wieder den Rücken zu, um den gepolsterten Ring an die Liege anzubringen, in den Patienten ihren Kopf stecken konnten. Und um sich kurz zu sammeln.
Es war nur ein nackter Oberkörper! Von denen hatte sie bereits einige prachtvolle Exemplare gesehen – sie schaute schließlich Fernsehen!
Ihr Körper hatte wirklich ein unglaublich schlechtes Timing. Zwei Jahre hatte er nicht mehr wirklich auf einen Mann reagiert und dann das hier! Sie war ausgegangen, hatte ihre Liste bearbeitet, beziehungsweise den Fragebogen perfektioniert, der an ihrem Kühlschrank hing, und wusste genau, was sie suchte. Aber zu keinem einzigen Mann, mit dem sie sich getroffen hatte, hatte sie sich hingezogen gefühlt. Und ein Blick auf Dexter, den Inbegriff eines Gefühlsdesasters für sie, und ihre Eierstöcke entschieden sich plötzlich dafür, aufzuwachen?
Wenn sie zuhause war, würde sie mal ein ernstes Wort mit ihnen reden müssen. Vielleicht mit Weingummi-Entzug drohen. Nur würde sie damit auch ihrem Herzen schaden – und war ihr Herz nicht wichtiger als ihre plötzlich tanzenden Eierstöcke?
Okay, ihr ging es offensichtlich nicht gut. Wenn sie anfing, Herzen mit Eierstöcken zu vergleichen, ging irgendetwas schief.
Das Kopfteil war angebracht und sie hatte keinen Grund mehr, Dexter O’Connor nicht anzusehen. Abgesehen von den offensichtlichen Gründen, die sie ihm ganz sicher nicht auf die Nase binden würde.
Kurz durchatmend wandte sie sich wieder zu ihm um. Er hatte sich keinen Millimeter bewegt, starrte sie immer noch belustigt an, als wüsste er genau, was in ihrem Kopf vorging.
„Also, wo tut es weh?“, wiederholte sie die Frage, bemüht, ihr Gesicht neutral und über Dexters Schulterebene zu halten.
Konnte er nicht endlich aufhören, sie so anzusehen? Vielleicht konnte sie ihm einfach eine Tüte über den Kopf ziehen? Sie würde auch Löcher reinschneiden, damit er atmen konnte.
Er deutete auf seine rechte Schulter und zog mit den Fingern eine Linie von seinem Ellbogen bist zu seinem Halsansatz. „Es zieht vom Arm bis zum Hals hoch.“
Sie nickte und fühlte sich gleich etwas sicherer. Das war ihr vertrautes Terrain. „Okay“, sagte sie langsam und trat auf ihn zu, um ihre Hände auf die Stelle zu legen, die er gezeigt hatte, auch wenn Körperkontakt vielleicht nicht die beste Idee war. „Seit wann hast du Schmerzen? Schon länger?“
Sie konnte ihn schlucken hören, als sie ihre Finger in seine Schulter drückte und fragte sich, ob der Grund dafür ihre Nähe war oder weil es wehtat.
„Öfter mal nach einem Spiel und heute, nachdem ich … gefallen bin.“
Sie hob eine Augenbraue und sah zu ihm hinauf, während sie weiter seine Schulter untersuchte. „Gefallen?“
„Jap“, sagte er und jetzt lag sein Blick auf ihren Lippen. Sie konnte seinen Atem auf ihrer Wange spüren und Blut sammelte sich an den interessantesten Stellen in ihrem Körper.
Dexter schüttelte leicht den Kopf, als versuche er einen Gedanken abzuschütteln, bevor er murmelte: „Sagt dir die Floskel ‚direkte Anziehungskraft‘ etwas?“ Seine Augen wanderten wieder zu ihren hinauf – seit wann konnten Augen eine solche Hitze ausstrahlen?
Und was war aus Männern geworden, die nie etwas ansprachen? Ihr gefiel dieses neumodische Modell überhaupt nicht!
Abrupt ließ sie ihn los. Er hielt wohl nichts davon, seine Gefühle zu verbergen. Tja, Pech für ihn, denn sie war die derzeitige Weltmeisterin darin.
„Nein“, sagte sie knapp und deutete auf die Liege. „Deine Sehne ist verspannt. So wie dein gesamter Rücken. Das kann von der körperlichen Überbelastung kommen und ich würde vermuten, dass du in letzter Zeit eine Menge persönlichen Stress hattest.“
Seine Augen verengten sich und sofort wusste sie, dass sie recht hatte.
„Dachte ich es mir doch. Aber das ist kein Problem – das krieg’ ich rausmassiert. Die Verspannung. Nicht deine Probleme.“
Dexter hatte sein Lächeln zu ihrem Leidwesen nicht verloren. „Irgendwie scheinst du dich sehr unwohl in meiner Gegenwart zu fühlen.“
Sie seufzte. „Ja, ich muss immer an meine armen Hunde und ihre schlaflosen Nächte denken. Leg dich hin. Gesicht erstmal nach oben.“
„Hat dir schon einmal jemand gesagt, dass du eine Menge Blödsinn redest, wenn du nervös bist?“, fragte er interessiert, folgte aber ihren Anweisungen.
„Ständig. Wie gut, dass mich nicht interessiert, was andere sagen.“
Sie senkte den Kopf und fing an, seine Beine abzusuchen, bis sie bei seinen Füßen angelangt war.
„Meine Schulter tut weh, nicht meine Füße“, bemerkte er, als sie anfing, seine Akupressurpunkte abzutasten.
„Jaja“, murmelte sie abwesend und zum ersten Mal etwas entspannter. Arbeit, sie musste sich einfach auf die Arbeit konzentrieren. „Deine Hüfte ist minimal schräg. Das müsste sich mal jemand ansehen. Könnte daran liegen, dass du sehr rechtslastig schlägst …“
„Und das weißt du von meinem großen Zeh?“
Nein. Von der Art und Weise wie seine Füße lagen. Und dass er sehr rechtslastig schlug, wusste sie … na ja, sie wollte lieber nicht sagen, warum sie das wusste. Sie wusste so einiges über ihn. Angefangen mit seinen Spielstatistiken, bis hin zu ein paar persönlichen Informationen, die nicht einmal die Presse wusste.
Sie räusperte sich. „Alles im Körper hängt zusammen. Es ist wie ein Puzzle, bei dem kein Teil alleine stehen kann. Und ja: Deine Zehen sind sehr ausdrucksstark. Man kann eine Menge an den Fußreflexzonen eines Menschen ablesen. Und die Faszien deines Oberschenkels sind verbunden mit den Faszien deines Fußballens. Vom Beckenkamm der Hüfte zieht wiederum ein Riesenmuskel zu deiner Schulter – also könnte eine Fehlstellung deiner Füße zu Rückenschmerzen und anderem führen. Fühlt sich dann genauso an wie Muskelverspannungen, obwohl es nur die Faszien sind, die verklebt sind.“
Und Dexter besaß weiß Gott eine Menge Muskeln, die sich verspannen könnten! Insgesamt schienen Muskeln sich sehr wohl an seinem Körper zu fühlen. Er behandelte sie offenbar sehr gut.
„Was zur Hölle sind Faszien?“
„Hast du schon einmal Putenfleisch geschnitten? Oder hast du dafür deine Lakaien?“
„Ich habe keine Lakaien und ich bin sehr wohl dazu in der Lage, Putenfleisch selbst zu schneiden!“, knirschte er.
„Du sollst dich entspannen, nicht aufregen! Also, diese dünnen Häute um das Muskelfleisch einer Pute, das sind die Faszien. Das ist ziemlich nützliches Gewebe, das trennt und gleichzeitig verbindet. Man könnte sie auch als Gemüsetüten bezeichnen.“
„Gemüsetüten?“
Sie nickte. „Ja, diese dünnen Tüten, die du im Supermarkt abreißen musst. So sind Faszien. Sie sind ganz dünn und umhüllen im Körper alles Mögliche. Bindegewebe, Sehnen, Gelenkkapseln. Man kann fünf Pfund Äpfel reinpacken und sie reißen trotzdem nicht.“
„Wow, du scheinst ja wirklich sehr begeistert von den Teilen zu sein.“
„Das wärst du auch, wenn du verstehen würdest, worüber ich rede. Faszien sind magisch!“
„Mhm.“
„Was?“
„Ich dachte, schwarze Magie wäre verboten.“
Sie lachte. „Es ist weiße Magie, ich schwöre es dir! Ich arbeite fürs Gute.“
***
Seit wann waren Hände das Heißeste an einer Frau?
Bis vor einer Stunde hätte Dexter bezweifelt, dass Hände sexy sein konnten, aber jetzt hatte er seine Meinung geändert.
Meine Güte, wenn sie mit nur einem Griff Schmerzen verschwinden lassen konnte – was konnte sie dann wohl noch alles mit ihren Händen?
Es war keine gute Idee, genauer darüber nachzudenken, denn Dexter hatte keine große Selbstbeherrschung und seine neue Physiotherapeutin könnte es falsch auffassen, wenn er ihr zusätzlich zu seiner Bezahlung einen Zungenkuss gab.
Andererseits könnte sie es auch ganz richtig auffassen: Er stellte sie sich immerhin seit neunundfünfzig Minuten nackt vor.
Nein, das war gelogen. Er stellte sie sich seit der Sekunde nackt vor, in der sie an die Rezeption getreten war. Sie mochte gesagt haben, dass sie keine Ahnung von der Floskel ‚direkte Anziehung’ hatte, aber er wusste es besser. Herrgott, sie hatte beinahe den Mund nicht mehr zubekommen, als er sein T-Shirt ausgezogen hatte! Er war nicht arrogant – na gut, manchmal vielleicht ein wenig – aber er wusste, wie Frauen auf ihn reagierten. Sie mochten ihn. Sehr. Das war eine Regel. Keine Arroganz seinerseits, einfach eine Tatsache.
Kaylie war in diesem Fall offenbar keine Ausnahme – nur dass sie die erste Frau war, die er kennengelernt hatte, die sich offensichtlich dagegen wehrte!
Es war unglaublich faszinierend, sie dabei zu beobachten, wie sie mit sich selbst rang. Sie fühlte sich so offenkundig zu ihm hingezogen, dass es absurd schien, dass sie sich immer noch Mühe gab, das zu verbergen.
Und das machte sie verdammt nochmal interessant. So interessant, dass Dexter sich nicht nur fragte, was sich hinter ihrer Kleidung verbarg, sondern auch, was in ihrem Kopf vorging.
Sie schien eine rege Unterhaltung mit sich selbst zu führen. Er hatte so ein Gefühl, dass sie es wert war, näher kennengelernt zu werden.
Dexter war kein Frauenheld. Man konnte ihn altmodisch nennen, aber er fand, dass man etwas für die Person empfinden sollte, mit der man schlief. Gut, dieses etwas war äußerst dehnbar, aber er fand, er ging da sehr moralisch vor. Vielleicht zu moralisch, wenn er daran dachte, dass er seit einem halben Jahr praktisch im Zölibat lebte.
Aber wenn er ehrlich war, dann spielte er schon seit einiger Zeit mit dem Gedanken, sesshaft zu werden. Nur wusste er noch nicht ganz, wie er die Definition „sesshaft“ für sich auslegen wollte. Das war in etwa so wie die Sache mit dem ‚etwas für die Person empfinden, mit der man schlief‘. Lust war schließlich auch irgendwie eine Art von Gefühl, oder?
Schön. Seine Regeln waren wohl doch etwas unscharf formuliert und vielleicht eher als Richtlinien zu bezeichnen, aber wenigstens hatte er welche!
Eine dieser war es, einer Herausforderung nie den Rücken zuzukehren. Und Kaylies gerecktes Kinn, während er sich sein T-Shirt wieder überstreifte und sie ihm etwas darüber erzählte, dass er sich besser dehnen müsse, war mehr als eine Herausforderung – das war doch praktisch ein Schrei nach Aufmerksamkeit. Und er war kein Mann, der Hilfeschreie einfach so ignorierte. Das gebot einem einfach der Anstand.
„Du magst deine Arbeit sehr, oder?“
Sie nickte abwesend und stellte den Hocker, auf dem sie zeitweilig gesessen hatte, an die Wand. „Ja. Was ist mit dir? Magst du deine Arbeit?“
„Baseball zu spielen ist so ziemlich das Beste, was mir in meinem Leben passieren konnte“, meinte er schulterzuckend.
Ihr Mund wurde verkniffen. „Ja, so habe ich dich eingeschätzt.“
„Du sagst das so, als wäre das was Negatives.“
„Ja, ich weiß.“
Interessant.
„Würdest du nicht dasselbe über deine Arbeit sagen?“, fragte er. Sie wiegte ihren Kopf hin und her. „Doch. Es ist auch das Beste, was mir hätte passieren können.“
„Warum?“
„Ich helfe gerne Menschen.“
„… aber keinen Sportlern?“
„Sportler zählen nicht als Menschen!“
Ja, das Innere ihres Kopfes wurde immer interessanter. Aber er hatte da eine andere, dringendere Frage: „Hast du was mit Braker?“
„Was?“ Erschrocken fuhr ihr Kopf hoch und endlich hatte er ihre gesamte Aufmerksamkeit. Ihre Augen hatten die Farbe von Bernstein. Hübsch.
„Ob du was mit Braker hast“, wiederholte er und ließ den Saum seines T-Shirts fallen.
„Ich … was?“
Sprach er irgendwie undeutlich? „Jake und du – läuft da was?“
„Ich habe dich schon verstanden!“, fuhr sie ihn an. „Die Frage ist, warum zum Teufel du mich das fragst.“
Er zuckte die Schultern. Beide schmerzfrei. Unglaublich.
„Na ja, wenn du was mit Jake hättest, dann wäre es nicht okay, dich zu fragen, ob du mit mir ausgehen willst. Wenn allerdings nicht …“
Ihr klappte die Kinnlade herunter. „Du willst mit mir ausgehen?“ Sie sah ihn an, als hätte er gerade vorgeschlagen, sie sollten doch gemeinsam ein paar Kinder aus dem Krankenhaus entführen.
Nicht die Reaktion, die er sich erhofft hatte.
„Nur, wenn du nicht mit Braker zusammen bist.“
„Jake ist dreiundzwanzig!“
„Ja … das beantwortet mir nicht meine Frage.“
„Er sammelt Action-Figuren!“
Er legte den Kopf schief. „Es würde mir sehr helfen, wenn du einfach mit Ja oder Nein antworten könntest.“
Sie schnaubte laut und verschränkte die Arme vor dem Körper. „Nein! Ich bin nicht mit Jake zusammen.“
„Gut.“ Er grinste. Sehr gut. „Also, gehst du mit mir aus?“
Sie dachte nicht einmal darüber nach. „Nein.“
Das machte ihn doch tatsächlich einige Sekunden sprachlos. Diese Frau wurde immer rätselhafter. Sie gab hier eindeutig gemixte Signale.
„Nein?“, wiederholte er langsam das Wort. Er musste ihr schließlich die Chance geben, die Antwort zurückzunehmen.
„Nein. Das ist nur eine Silbe – wie kann das so schwer verständlich sein?“
Na ja, zugegeben: Er hörte dieses Wort sehr selten. Zumindest aus dem Mund einer Frau.
„Warum?“, wollte er wissen, denn ernsthaft: Warum?
Sie verdrehte die Augen und strich sich eine ihrer hellbraunen Strähnen hinters Ohr. „Zwei Gründe: Erstens bist du ein Patient von mir und zweitens bist du ein Baseballspieler.“
Nichts von dem, was sie sagte, machte einen Sinn. „Und? Du willst keinen Kerl der sportlich und reich ist?“
Sie lachte. Ein angenehmes Lachen. Dex hatte doch tatsächlich vergessen, dass Frauen ehrlich lachen konnten. „Doch, natürlich will ich den – aber Baseballspieler stehen auf meiner schwarzen Liste.“
„Du hast eine schwarze Liste von Männern?“, fragte er verdattert.
Wieder verdrehte sie die Augen, so als wäre seine Frage sehr dumm gewesen. „Natürlich! Die hat jede Frau. Bei mir ist es so …“, sie hob eine Hand und ließ sie bei jedem Wort eine Spur tiefer sinken, „… Serienkiller, Muttersöhnchen – und dann kommt auch schon der Baseballspieler. So ist die Reihenfolge.“
Dex bekam so langsam das Gefühl, dass er nicht der Einzige war, der dubiose Regeln aufstellte. „Wie kann man was gegen Baseballspieler haben? Ich meine … sieh uns an. Wir sind süß!“
Sie zuckte melodramatisch die Schultern. „Ich bin damit einfach geboren, schätze ich.“
Einen Dreck war sie.
Langsam verengte er die Augen. „Du willst also nicht mit mir ausgehen, weil ich Baseball spiele? Ist das nicht ein wenig oberflächlich von dir?“
„Du willst mit mir ausgehen, weil meine Hände magisch sind und ich eine Herausforderung bin! Wer ist hier oberflächlich?“
Er hatte wohl doch nicht so ein Pokerface, wie er geglaubt hatte. „Ist das immer noch ein Nein?“
„Ja, das ist ein Nein!“, sagte sie energisch, schritt durch den Raum und hielt ihm die Tür auf. „Du kannst dann jetzt auch gehen. Aber sei so lieb und bezahl mich vorne noch, okay?“
So charmant hatte ihn wirklich noch nie eine Frau rausgeworfen. Er war nicht zufrieden mit dieser Situation.
Er steckte die Hände in die Hosentaschen und bewegte sich kein Stück. „Kann ich wiederkommen?“
„Kommt drauf an, wieviel Trinkgeld du gibst.“
Lächelnd setzte er sich in Bewegung und lief durch die Tür. Ja, er würde wiederkommen. „Danke, Kaylie. Für meine Schulter. Du hast tatsächlich magische Hände, wie du gerade eben so bescheiden bemerkt hast.“
Er wartete nicht auf eine Antwort, sondern schritt zur Rezeption, bezahlte seine Rechnung – mit einer Menge Trinkgeld – und ging aus der Tür.
Während er zurück zum Stadion lief, dachte er sich, dass es vielleicht besser war, dass sie ‚Nein‘ gesagt hatte.
Er hatte eigentlich keine Zeit für was Ernstes und Kaylie … sie sah aus wie eine Frau, die es ernst meinte. Das Sesshaftwerden würde wohl noch eine Zeit auf sich warten lassen müssen.
Er lebte gerade mit einer emotional-aggressiven Vierundzwanzigjährigen zusammen, die ihm den letzten Nerv, einen Großteil seines Geldes und seine Geduld raubte.
Ja, er wollte Familie. Eine Frau, Kinder. Hatte er immer irgendwann gewollt. Sesshaft werden war eben doch gar nicht so variabel wie gedacht.
Aber dafür hatte er in ein paar Jahren immer noch Zeit. Er war neunundzwanzig, keine vierzig.
Er wollte eine einfache Beziehung, eine süße Frau – und wenn er es sich recht überlegte, dann passte Kaylie nicht wirklich in dieses Schema. Alles an dieser Frau schrie kompliziert.
Fast schade.
Aber es lohnte sich nicht, sich jetzt schon darüber Gedanken zu machen. Er wollte nun einmal ein geordnetes Leben, bevor er sich eine vernünftige Frau suchen konnte. Und das würde er erst bekommen, wenn Chloe sich zusammenriss und endlich über den Tod ihrer Eltern hinwegkam.