Chapter 1
Fear us, as we are devils from the birth and cheer us, as we live forever on this earth
(Infernality Rises, »Departure To Hell«)
War es möglich, etwas zu hassen, das man eigentlich liebte? Es war möglich! Dieser Abend brachte mich an den Rand meiner Belastbarkeit.
»Halt, stopp!«, schrie ich und gab der Band ein Zeichen, dass sie aufhören sollte zu spielen. Der Aufnahmetechniker regelte die Musik herunter und ich seufzte. »So funktioniert das nicht! Chuck gibt den Rhythmus vor und die Bassgitarre beginnt erst auf drei. Wie oft habe ich euch das schon gesagt?«
Die Jungs starrten mich durch die Glasscheibe des Aufnahmestudios an. Es waren keine freundlichen Blicke, doch ich ließ mich davon nicht ins Bockshorn jagen.
»Weiter, noch einmal von vorn!«, trieb ich die Band an und sah auf die Uhr. Es war bereits weit nach Mitternacht. Ich seufzte. Es war der erste Tag im Aufnahmestudio und wir kamen nicht voran. Das machte mich nervös. Ich hatte zugesagt, bis Ende der Woche eine brauchbare Demoversion einiger Songs vorzulegen. Doch die fünf Jungs von Infernality Rises legten keine große Disziplin an den Tag.
Norman, der Leadsänger mit dem blonden Surfer Look, war an diesem Tag völlig verkatert zu den Aufnahmen erschienen. Chuck, der muskelbepackte Drummer, hatte offenbar meinen Anruf abgewartet, bevor er sich überhaupt erst aus dem Bett bewegt hatte, denn er hatte ihn offensichtlich geweckt. Mit einer Stunde Verspätung stieß er schließlich zu uns. Raven und Meatpie, die beiden Brüder mit den Langhaarmähnen, deren richtige Namen niemand kannte, verpatzten jeden einzelnen ihrer Gitarreneinsätze und Rob, der Keyboarder, wirkte so unnahbar wie eh und je. Ich begann, an der großen Karriere zu zweifeln, die man der Band vorhersagte.
Erneut gab ich das Zeichen zum Aufnahmestart und Chuck legte mit dem eingängigen Trommel-Intro los.
»Und jetzt«, flüsterte ich und war froh, dass Raven seinen Bass dieses Mal im richtigen Moment zündete. Meatpie fiel mit der Leadgitarre ein. Ich war erleichtert. Doch dann spürte ich Robs Augen auf mir. Irgendwie hatte ich das Gefühl, als wolle er mich provozieren und prompt rieb er sich die Hände, anstatt in die Tasten zu hauen.
»Aus!« Ich stürmte in den Aufnahmeraum. »Was soll denn das, verdammt noch mal?«
»Ich hab keinen Bock mehr«, brummte Rob und sah die anderen an. »Machen wir Schluss für heute?«
Alle nickten und ich stemmte die Hände in die Hüften. »Ihr wisst ganz genau, dass wir bis Freitag abliefern müssen. Was soll ich Simon und der Plattenfirma sagen?«
»Überleg dir was.« Rob ging an mir vorbei und seine Schulter stieß absichtlich gegen meine. Da er groß und muskulös war, stolperte ich zur Seite. Am liebsten hätte ich ihn an seiner Lederjacke gepackt, aber ich traute mich nicht. In der gedimmten Beleuchtung wirkte er mit seinen hohlen Wangen wie ein Untoter und ich fürchtete, er könnte mir vor Wut die Zähne in den Hals rammen.
»Fein«, murrte ich. »Macht nur weiter so. Wenn euer angestrebter Erfolg genauso groß ist wie eure Arbeitsmoral, dann sage ich euch eine ziemlich schwarze Zukunft voraus!«
»Die Verkaufszahlen für unsere Gigs nächsten Monat sprechen da eine andere Sprache, Süße.« Rob war stehen geblieben und warf mir einen Blick über die Schulter zu. »Kümmere dich doch um das, was du kannst, und lass uns Musik machen.«
Wütend ging ich auf ihn zu. »Wenn ihr wenigstens Musik machen würdet! Doch das hier ist einfach Scheiße! Ihr schafft es ja nicht einmal, eine studioreife Version eines eurer Lieder hinzubekommen. Und ich rede nur von der Akustikfassung. Den Gesang von Norman müssen wir separat aufnehmen, aber wir haben das Studio nur für drei Tage gemietet. Wie sollen wir das bitte bis Ende der Woche schaffen, wenn du schon wieder ins Bettchen willst, Rob?«
In meinem Rücken hörte ich Gekicher, das augenblicklich verstummte, als Rob die Augenbrauen hob. In diesem Moment kam er meiner Vorstellung von einem Untoten noch ein wenig näher. Seine Augen wirkten plötzlich tiefschwarz und ich unterdrückte den Impuls, vor ihm zurückzuweichen.
»Ins Bettchen hüpfe ich prinzipiell nur in Begleitung von mindestens zwei Frauen, Mandelmaus, und dann auch nicht, um zu schlafen. Aber das ist nicht der Punkt. Ich bin fertig für heute und deshalb gehe ich jetzt. Und auf dein hysterisches Gelaber habe ich gerade gar keine Lust. Ich frage mich ohnehin, was Simon an dir findet. Du hast meiner Meinung nach nämlich nicht die geringste Ahnung von Rockmusik!«
Ich mochte es nicht, wenn der Typ mich Mandelmaus nannte, nur weil mein Name Almond lautete, der englische Begriff für Mandel. Trotzig schob ich mein Kinn vor. Wenn ich von etwas ganz sicher eine Ahnung hatte, dann war es Rockmusik!
»Jetzt hör mir mal zu, du eingebildeter Freak«, entgegnete ich und bemühte mich, meine Stimme beherrscht klingen zu lassen. »Im Gegensatz zu dir bin ich in den Umkleideräumen von Rockbands aufgewachsen. Und ich weiß, wann man sich Hochmut erlauben darf und wann besser nicht. Wenn ein Steven Tyler nach einem Konzert Orgien mit seinen Groupies feiert, tausende von Dollars verkokst und am nächsten Tag Termine platzen lässt, dann sage ich, okay, der holt das schon wieder rein. Aerosmith haben ja seit 1973 auch erst läppische fünfzehn Studio- und sechs Live-Alben veröffentlicht. Die haben vierundsechzigmal Platinauszeichnungen eingefahren und Millionen mit ihrer Musik verdient. Und was habt ihr vorzuweisen? Ach ja, hab ich ganz vergessen zu erwähnen: gar nichts! Ihr seid eine No-Name-Band aus einem Kaff in Kalifornien. Außer Hochnäsigkeit habt ihr absolut nichts auf eurem Konto und eure Fans vom Land machen euch noch längst nicht zu einer erfolgreichen Rockband, sondern lediglich zu einer Highschool-Band, die beim Frühlingsball performen darf. Tolle Sache, Rob! Wenn du das weiterhin machen willst, nur zu, aber wundere dich nicht, wenn die Plattenfirma euch nächste Woche den Mittelfinger zeigt.«
Totenstille legte sich über den Raum, während Rob und ich uns anstarrten wie zwei aggressive Kampfhunde.
»Du gehst mir so dermaßen auf die Nerven«, knurrte Rob, bevor er sich umdrehte und zur Tür hinausging.
»Und du mir erst«, murmelte ich und sah die anderen an. Keiner wagte es, mir in die Augen zu sehen.
»Hören wir auf für heute«, rief ich resigniert. »Morgen um zehn Uhr treffen wir uns hier wieder. Seid pünktlich!«
»Warum muss ich denn eigentlich die ganze Zeit hier rumhängen?«, maulte Norman. »Mein Gesang wird doch erst später eingespielt.«
»Weil du Bestandteil der verdammten Band bist oder etwa nicht?«, fuhr ich ihn an.
»Ist ja schon gut.« Er hob abwehrend die Hände und folgte den anderen.
Der Aufnahmetechniker grinste mich mitfühlend an. »Kein leichter Job, was?«
»Nicht wirklich.« Ich bedankte mich bei ihm, schnappte mir meine Jacke und verließ ebenfalls den Raum.
Draußen angekommen lehnte ich mich an die Wand des Gebäudes und atmete tief durch. Auf dem Parkplatz sah ich die Bandmitglieder im Schein der Straßenlaternen stehen und miteinander lachen. Rob saß lässig auf seinem Motorrad und ich war mir sicher, dass er über mich lästerte. Es tat weh, auch wenn ich wusste, dass ich es mir nicht so zu Herzen nehmen sollte. Ich hatte diesen Job gewollt. Es war meine Berufung. Das war bereits so, seit ich denken konnte.
Mein Vater war Manager von Rockbands gewesen und als Kind hatte ich es genossen, ihn zu begleiten. Trotzdem hatte es eine Weile gedauert, bis ich mich überwunden hatte, denselben Weg einzuschlagen wie er. Das lag zum einen an meiner Mutter, die mich nach der Scheidung meiner Eltern allein großgezogen hatte, als auch am plötzlichen Tod meines Vaters, der mein Leben von einem Tag auf den anderen völlig auf den Kopf gestellt hatte. Ich war umhergezogen wie ein streunender Hund, bis ich endlich, nach vielen Höhen und Tiefen, den Mut fand, meine Begabung zu meinem Beruf zu machen. Daran war mein Freund nicht ganz unschuldig – Morris Kyle, der Leadsänger von Burnside Close. Jener Band, die mein Vater bis zu seinem Tod gemanagt hatte und die zu meiner Familie geworden war. In diesem Augenblick vermisste ich sie ganz besonders.
Eigentlich arbeitete ich nach wie vor auch für Burnside Close, doch Simon Grey, der Mann, der nach dem Tod meines Dads die Aufgabe des Managers übernommen hatte, war der Meinung, dass ich noch viel zu lernen hatte. Natürlich war mir bewusst, dass er damit recht hatte, aber an diesem Abend hasste ich meinen Job. Ich wollte nach Hause. Ich wollte zu Morris. Ich war es leid, meine Zeit in Los Angeles mit diesen Rockerrüpeln von Infernality Rises zu verbringen, während mein Freund in Miami an seinem eigenen Album arbeitete und neue Songs für Burnside Close komponierte. Ich sehnte mich so sehr nach ihm, dass ich hätte heulen können.
Doch dann fing ich Robs Blick auf. Selbstgefällig lächelte er mir zu, bevor er sich den Motorradhelm überstülpte und seine Maschine startete. Er fuhr eine Suzuki Hayabusa, eines der schnellsten Serienmotorräder der Welt, was definitiv bewies, dass sich Rob gern auf der Überholspur sah. Meine Wut kehrte zurück und verdrängte die aufsteigenden Tränen.
»Fahr zur Hölle«, flüsterte ich in das Aufheulen des Motors hinein, während Rob aggressiv den Hahn aufriss und vom Parkplatz raste.
Alles hatte so vielversprechend begonnen, als ich vor anderthalb Jahren das erste Mal mit der Band zusammengekommen war. Simon hielt Infernality Rises für die Newcomer des Jahres, die nur ein wenig Führung benötigten, um sich auf dem Markt zu positionieren. Doch je mehr Investment wir in die Band steckten, desto aufsässiger und überheblicher wurden die Jungs. Kaum hatten sie ihre ersten Auftritte hinter sich, hielten sie sich für Stars und weigerten sich in einem Anflug von Größenwahn, mit mir zu kooperieren. Ich vermisste bei ihnen die Professionalität, die ich von Burnside Close kannte. Jene Liebe zur Musik, die darin mündete, dass man Zeit und Raum vergaß, wenn man miteinander an einem Song arbeitete. Und die Energie, die einem diesen Kick gab, nach dem man süchtig wurde.
Doch für Norman, Chuck, Raven, Meatpie und Rob war anscheinend nur eines wichtig und zwar, sich im Glanz ihres Rockstarlebens zu sonnen und sich unwiderstehlich zu fühlen. Das war es nicht, was ich einst von Dad gelernt hatte und ich fragte mich nicht zum ersten Mal, was er über die Jungs gesagt hätte. Hätte er sie fallengelassen oder ihnen eine Chance gegeben?
Erneut spürte ich einen Kloß im Hals, dieses Mal, weil ich an Dad dachte. Er war mehr mein bester Freund gewesen als mein Vater und sein Tod setzte mir in Momenten, in denen ich mich schwach fühlte, immer noch zu. Ich wünschte mir, mit ihm reden und ihn nach seiner Meinung zu fragen zu können, aber mit jedem Jahr, das verging, verblasste sein Gesicht vor meinem inneren Auge. Das war eine schreckliche Erfahrung.
Aus diesem Grund zog ich mein Portemonnaie aus der Tasche und kramte eines der Fotos von ihm hervor, das ich immer mit mir herumtrug. Es tat gut, ihn anzusehen. Er lachte mir entgegen, und es war, als wäre er nie fortgegangen. Ich hörte seine Stimme, sah ihn seinen geliebten Chevi Camaro fahren und nach nächtelangen Proben mit Augenrändern auf einem der Konzerte seiner Bands stehen. Dad war etwas Besonderes gewesen und das lag nicht nur daran, dass indianisches Blut in seinen Adern geflossen war. Er kam mir manchmal vor, als trügen ihn die Schwingen der Musik durchs Leben. Ohne sie war Dad wie ein Fisch ohne Wasser. Das hatte er an mich weitergegeben. Wie auch sein Aussehen. Obwohl meine Mutter blond war, hatte ich Dads lange dunkle Haare geerbt, die mandelförmigen Augen und die drahtige Figur. Außerdem hatte er mir nach seinem Tod seine Flügel hinterlassen, die mich seitdem durch die Welt der Rockmusik trugen.
Ich atmete tief durch und steckte Dads Foto zurück in mein Portemonnaie. Jetzt wusste ich wieder, warum ich tat, was ich tat, auch wenn meine Wut noch immer nicht verraucht war. Ein Blick auf meine Armbanduhr sagte mir, dass es bereits kurz nach eins war. Entschlossen griff ich nach meinem Smartphone und rief Morris an. Obwohl es bei ihm in Miami schon viel später war, vermutete ich, dass er noch nicht schlief. Tatsächlich nahm er nach dem zweiten Läuten ab.
»Al?«
»Hey, hab ich dich geweckt?«
»Nein, ich sitze noch mit den Jungs zusammen.«
Im Hintergrund hörte ich sie grölen und musste lächeln.
»Um vier Uhr früh? Was macht ihr?«
»Du kennst uns doch. Nachts sind wir besonders kreativ. Wir arbeiten gerade an einem Song.«
»Wie heißt er?«
»Distance. Wir vermissen dich, weißt du.« Er wurde von dem anhaltenden Gejohle übertönt.
»Ich vermisse euch auch!«, schrie ich in den Hörer, bevor ich meine Stimme senkte. »Aber vor allem vermisse ich dich.«
Ich hörte, wie sich Morris von dem Geräuschpegel entfernte. Dann klang es, als ob er eine Tür hinter sich schloss.
»Jedes Mal, wenn du anrufst, bricht hier Chaos aus.« Er lachte leise. »Du fehlst mir, Al. Wie kommst du voran?«
»Gar nicht, um ehrlich zu sein. Die Typen von Infernality Rises sind schrecklich.«
»Wann kommt Simon, um dich zu erlösen? Ich halte es langsam nicht mehr ohne dich aus.«
»Das geht mir ebenso.« Ich war gerührt von seiner Ehrlichkeit. Morris und ich hatten einen langen Weg hinter uns, der mehr als einmal steinig und voller Missverständnisse gewesen war. Umso schöner war es nun, dass wir uns gefunden hatten und es seit anderthalb Jahren so perfekt zwischen uns lief.
»Du klingst müde, ist alles okay?«
»Nein, heute war der schlimmste Tag seit langem. Nichts hat funktioniert. Ich weiß gar nicht, wie ich Simon diese Neuigkeiten beibringen soll. Seit zwei Wochen treten wir auf der Stelle und das nur, weil dieser Rob beschlossen hat, mir das Leben zur Hölle zu machen.«
»Ihr habt kein einziges Lied für das Demoband fertig?«
»Kein einziges«, bestätigte ich niedergeschlagen. »Ich verstehe das nicht. Es scheint, als hätte die Band gar kein Interesse daran, an sich zu arbeiten. Die sind jetzt schon so dermaßen neben der Spur, dass ich mich frage, wie das erst werden soll, wenn sie wirklich mal berühmt werden.«
»Die verdienen dich nicht«, sagte Morris und meine Sehnsucht wurde übermächtig.
»Am liebsten würde ich alles hinschmeißen, mich in ein Flugzeug setzen und zu dir kommen«, murmelte ich und hörte Morris lachen.
»Das wäre nicht das erste Mal, dass du sowas machst, Al.«
»Ich weiß und ich tue es auch auf gar keinen Fall. Dieses Mal gebe ich nicht auf, versprochen, aber es nervt mich gerade mächtig.«
»Du solltest mit Simon reden.«
»Der wird mich lynchen und zwar sofort, nachdem er von der Plattenfirma gelyncht wurde.«
»Vermutlich, aber du kennst ihn. Im einen Moment lyncht er dich, im anderen verarztet er deine Wunden. Du leistest tolle Arbeit, Al, das wissen wir alle.«
»Ja.« Ich seufzte. »Doch das bringt mich momentan auch nicht weiter.«
»Vielleicht tröstet es dich, zu erfahren, dass ich endlich unsere Deckenleuchten montiert habe.«
»Im Ernst?« Ich jubelte. Nach dem Ende der letzten Europa-Tournee von Burnside Close waren Morris und ich zusammengezogen. Es erschien uns richtig. Obwohl wir erst seit kurzer Zeit ein Paar gewesen waren, hatten wir uns doch schon eine ganze Weile gekannt und gewusst, worauf wir uns einließen.
Wie es der Zufall wollte, hatte Dads Apartment in Miami noch leergestanden und Granny, meine Großmutter, hatte mich gefragt, ob ich es nicht mieten wollte. So war eins zum anderen gekommen und seitdem lebten Morris und ich dort auf unseren Umzugskisten. Wir waren so viel unterwegs, dass wir es in dem einen Jahr nicht geschafft hatten, uns einzurichten, aber wir liebten unser Nest. Hier trafen wir uns, wenn wir von unseren Reisen zurückkehrten. Es war unser Ruhepol. Hier gab es nur uns beide. Ein fantastisches Gefühl.
Morris riss mich aus meinen Gedanken: »Wenn du nächstes Mal da bist, gehen wir gemeinsam Farbe für unser Wohnzimmer aussuchen. Wir müssen es dringend streichen.«
»Hm.« Ich schmunzelte. Es war lustig, den Mann, den ich als Rockstar und Vollblutmusiker kannte, über Wandfarbe und Deckenleuchten reden zu hören.
»Außerdem brauchen wir abschließbare Schränke. Ich kann meine Gitarren unmöglich einfach so rumstehen lassen.«
»Das klingt, als hätten wir viel zu tun, wenn wir uns sehen.«
»Nicht nur in dieser Hinsicht.« Ich hörte ihn auf diese besondere Art lachen und mir wurde heiß. Vermutlich lag es daran, dass wir uns nicht so oft sahen, aber ich war noch immer verrückt nach Morris.
Ein Grund, warum wir zu nichts kamen, wenn wir uns gemeinsam in der Wohnung aufhielten, war unter anderem der, dass wir unser Bett nur selten verließen. Selbst wenn wir uns nicht liebten, war es einfach schön, mal faul zu sein und miteinander zu reden. Meine Mutter hätte diesen Lebensstil nicht für gut befunden, das war mir sehr wohl bewusst. Deshalb verschwieg ich ihr auch, dass unser Apartment noch immer aussah, als wären wir gerade erst eingezogen.
»Ich will dich«, hörte ich Morris flüstern und all mein Blut sammelte sich in meinem Unterleib. »Ich hänge nur hier mit den anderen rum, weil du nicht da bist und ich mich in unserer Wohnung allein fühle ohne dich.«
Ich bemühte mich, meine leidenschaftlichen Gefühle unter Kontrolle zu bekommen. »Morgen früh rufe ich Simon an und sage ihm, was hier abgeht. Wenn er übernimmt, setze ich mich sofort in den Flieger und komme zu dir.«
»Ohne Umwege?«
Ich kicherte. »Ohne Umwege«, versprach ich und wusste, dass er auf unsere turbulente Vergangenheit anspielte.
»Dann gehe ich jetzt zurück zu den drei Irren. Vielleicht können wir heute noch den Refrain fertigstellen. Das Lied klingt cool, es wird dir gefallen, Al.«
»Davon bin ich überzeugt. Sag den anderen liebe Grüße. Ich kann es kaum erwarten, euch wiederzusehen.«
»Du bist bei mir.«
»Und du bei mir.« Es war eine Zeile aus Here With You, einem Song, den Morris für mich geschrieben hatte und dessen Noten ich mir auf die Innenseite meines linken Oberarms hatte stechen lassen. Ganz nah an meinem Herzen.
Nun besaß ich bereits zwei Tattoos von Liedern, die mir im wahrsten Sinne des Wortes unter die Haut gingen. Der andere Song, dessen Noten auf meinem rechten Unterarm prangten, hieß Open Your Eyes. Er hatte mein Leben vor etwa zwei Jahren endlich in die richtigen Bahnen gelenkt. Ich lächelte in Erinnerung an diesen Moment.
»Schlaf gut, Al. Ich liebe dich.«
»Ich liebe dich auch.«
Als er auflegte, war mir ganz warm ums Herz und meine Sorgen über Infernality Rises waren vergessen. Ich schlüpfte in meine Jacke, ging zu meinem Mietwagen und fuhr vom Parkplatz.
»Du musst mit Rob reden.« Es war dieser Satz, der mich am nächsten Morgen mit voller Wucht wieder in mein ganzes Schlamassel zurückkatapultierte.
»Ganz sicher nicht!«, widersprach ich Simon, während ich aufgebracht in meinem Hotelzimmer auf und ab lief. »Der Typ ist ein kompletter Idiot!«
»Er hat die Band gegründet, Al. Ohne ihn wirst du bei den anderen Jungs niemals einen Fuß in die Tür bekommen!«
»Aber ich habe ihm nichts getan! Ich bin nicht schuld an seiner Selbstherrlichkeit und seinem nicht vorhandenen IQ.«
Simon lachte, was mich noch ein wenig wütender machte. »Nicht jede Band ist wie Burnside Close«, versuchte er mich zu beschwichtigen. »Ich habe dich gewarnt, Al. Das Rockmusik-Business ist ein knallhartes Geschäft.«
»Du hast nicht gesagt, dass das an den Musikern liegt. Natürlich weiß ich, was Berühmtheit aus einer Band machen kann, aber im Ernst, Simon, diese Jungs von Infernality Rises sind komplette Idioten! Die haben keine Ahnung, was es heißt, hart für den Erfolg zu arbeiten.«
»Dann ist es deine Aufgabe, sie daran zu erinnern. Sei nicht nur ihre Managerin, Al, sondern ihre Freundin. Nur so kommt ihr voran.«
Ich stöhnte und rieb mir die Stirn. Es war leicht gewesen, sich mit Burnside Close anzufreunden. Morris, Matt, Brad und Sean waren offen, lustig und trotz ihres Erfolgs nicht abgehoben. Aber dieser Rob schaffte es, dass ich meine Arbeit nicht mehr mochte und das verübelte ich ihm. Ich konnte mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass er eine angenehme Seite hatte. Lieber hätte ich mich mit einer Tarantel angefreundet.
»Komm nach L.A., Simon, bitte!«, bettelte ich, obwohl ich bereits wusste, dass es nichts nutzte.
»Mein Terminkalender bringt mich um, Al. Ich habe so viele Dinge mit dem Plattenlabel zu klären, da kann ich beim besten Willen nicht zu euch fliegen, um die erhitzten Gemüter zu beruhigen. Genau dafür habe ich dich eingestellt. Krieg das auf die Reihe!«
»Ich weiß, ich weiß …«, murmelte ich resigniert. Aus irgendeinem Grund hatte ich mir diesen Job in meiner zugegeben manchmal etwas naiven Art einfacher vorgestellt. Außerdem war ich enttäuscht, weil mein Wiedersehen mit Morris wieder einmal verschoben wurde.
»Bekommt ihr wenigstens einen der Songs bis Freitag hin?«, erkundigte sich Simon.
»Vielleicht«, murmelte ich, obwohl ich kaum Hoffnungen hegte. Seit gestern Abend hatte ich überhaupt keine Lust mehr, mit der Band zu arbeiten.
»Gibst du auf, Al?« Der eigentümliche Klang seiner Stimme ließ mich zusammenzucken.
»Nein«, beteuerte ich rasch. Simons Misstrauen rührte daher, dass er schon seine Erfahrungen mit mir gemacht hatte.
Nach dem Tod meines Dads war Simon so etwas wie mein väterlicher Freund. Er war Mentor, Seelsorger und Boss in einer Person und es fiel sowohl ihm als auch mir bisweilen schwer, das alles zu trennen. Er kannte mich zu gut. Vor allem meine Zweifel, die mich des Öfteren Gefahr laufen ließen, meinen Job einfach hinzuschmeißen.
»Du hast doch bisher alles perfekt gemeistert«, sagte Simon nun. »Wir haben den Jungs ein neues Image verpasst, ihren Songs eine Richtung gegeben, ihnen Auftritte vermittelt, um ihren Bekanntheitsgrad zu steigern, und sind kurz davor, ihnen einen Plattenvertrag zu verschaffen. Es läuft prima.«
»Sogar so prima, dass mich nun alle hassen«, murmelte ich.
»Die sind nur sauer, weil du kaum älter bist als sie selbst und ihnen Vorschriften machen willst. Lass dich davon nicht ins Bockshorn jagen.«
»Vielleicht hast du recht«, wich ich aus, weil ich nicht länger mit Simon diskutieren wollte. Er hatte seinen Standpunkt klargemacht. Mir blieb nichts anderes übrig, als mich mit Rob auseinanderzusetzen, auch wenn mich der Gedanke störte.
»Ich lasse mir was einfallen und rede mit der Plattenfirma«, fuhr Simon fort. »Sobald ich mehr weiß, melde ich mich. Richte den Jungs aus, dass ich ziemlich enttäuscht bin, weil sie nicht termingerecht abliefern und dass wir ihren Vertrag neu verhandeln müssen, falls das in der Form weiterläuft. Ich bin zu Beginn ihrer Konzerte auf jeden Fall vor Ort.«
»Was? Das ist erst nächsten Monat!« Mein Magen verkrampfte sich vor Enttäuschung, denn das bedeutete, dass ich Morris noch weitere zwei Wochen nicht sehen würde.
»Es tut mir leid, Al, aber dir war von vornherein klar, worauf du dich einlässt.«
War mir das tatsächlich klar gewesen? Ich schüttelte den Kopf und wusste nicht, was ich sagen sollte. Einerseits wollte ich Simon beweisen, dass er sein Vertrauen zu Recht in mich gesetzt hatte, andererseits wünschte ich mir nichts mehr, als eine richtige Beziehung mit Morris zu führen. Aber wie sollte das möglich sein, wenn wir uns nie sahen? Ich war mit einem Mal geknickt.
»Ist alles in Ordnung?«, hakte Simon nach.
»Ja, alles gut«, log ich und starrte auf den palmengesäumten Garten vor meinem Fenster. Im Hotelpool zogen die ersten Gäste ihre Bahnen. In diesem Moment wollte ich eine Arschbombe in das azurblaue Wasser machen, um ihnen den Tag ebenso gründlich zu vermiesen, wie Simon das gerade bei mir getan hatte.
»Du redest mit mir, wenn du Probleme hast, nicht wahr, Al?«
»Klar.«
»Schönen Tag.«
»Dir auch Simon.« Ich legte auf und warf das Handy auf mein Bett. Am liebsten hätte ich geschrien und getobt, aber das wäre natürlich kindisch gewesen. Deshalb trat ich vor Wut gegen die Minibar. Die Flaschen und Gläser klirrten und ich fühlte mich nicht weniger kindisch.
»Autsch!« Ich hielt mir den Zeh, plumpste zu Boden und blieb ernüchtert sitzen.
Ich wusste, dass Simon es nicht gern hörte, wenn ich zu emotional wurde. Aus diesem Grund hatte ich ihm auch nicht anvertraut, was mir wirklich zusetzte. Ich wollte nicht wie ein liebeshungriger Teenager klingen, der es nicht eine Sekunde ohne seinen Freund aushielt. Doch die Wahrheit war, dass ich Morris meistens nur alle vier Wochen sah. Und dann lediglich für ein Wochenende. Das war mir zu wenig.
Nach einem Blick auf die Uhr erhob ich mich und begab mich ins Bad. Ich duschte eine Ewigkeit, weil ich keine Lust hatte, ins Aufnahmestudio zu fahren und die gleichgültigen Gesichter von Infernality Rises zu betrachten. Besonders nicht das von Rob.
Dann zog ich mich an, föhnte mir die Haare und schaltete den Fernseher ein. Auf einem der Musikkanäle lief das Video zu Seven Nation Army von den White Stripes. Ich drehte die Lautstärke auf und bewegte mich im Rhythmus der prägenden Gitarrenriffs durchs Zimmer. Sicherlich sah ich dabei aus wie ein abrockender Roboter, aber es war mir egal. Alles, was zur Besserung meiner Stimmung beitragen konnte, war erlaubt. Nachdem der Song zu Ende war, schaltete ich den Fernseher wieder aus, schnappte mir meine Autoschlüssel und fuhr ins Studio, das sich in North Hollywood befand.
Es war sonnig, die Menschen in ihren teuren Autos perfekt gestylt, nur in meinem Kopf herrschte Nebel. Ich fragte mich, wie ich am besten ein Gespräch mit Rob beginnen sollte. Auf der einen Seite musste ich die Demoaufnahmen voranbringen, auf der anderen wollte ich nicht klein beigeben. Es war kompliziert.
Auf dem Parkplatz des Studios angekommen, war Robs Motorrad nirgends zu sehen. Ich ging hinein, sprach mich mit den Toningenieuren ab und hörte mir an, was am Tag zuvor aufgenommen worden war. Nach und nach trudelten auch die Bandmitglieder ein. Doch anstatt sich gleich an ihre Instrumente zu begeben, lümmelten sie verschlafen auf den Sofas herum und warfen mir fragende Blicke zu. Ich spürte, wie meine Stimmung auf den Nullpunkt sank.
»Wo ist Rob?«, wollte ich um Viertel nach zehn wissen und erntete nur ratloses Schulterzucken.
»Okay«, ich klatschte in die Hände, »dann machen wir eine Planänderung. Norman, du schnappst dir die Kopfhörer und singst deinen Part von Bleaching Dry ein.«
»Aber der Song ist doch noch gar nicht fertig aufgenommen«, protestierte dieser.
»Na und? Es ist euer Song! Du müsstest ihn auswendig können, selbst ohne Melodie.« Ich wandte mich an den Toningenieur. »Spiel ihm die Version von gestern Vormittag ein, die ist halbwegs passabel.«
Norman murrte, doch er stand auf und schlenderte in den Aufnahmeraum, während die anderen gelangweilt an die Decke starrten. Ich schüttelte genervt den Kopf.
»Ich rufe Rob an«, erklärte ich und ging nach draußen, obwohl mich ohnehin niemand beachtete.
In flottem Tempo eilte ich über den Flur, vorbei an den anderen Aufnahmestudios und zückte mein Handy, kaum dass ich vor dem Gebäude angekommen war. In diesem Moment hörte ich das Brummen eines sich nähernden Motorrads. Ich kniff die Augen zusammen und sah Rob auf mich zuheizen. Er schlängelte sich gekonnt durch die parkenden Autos und brachte die Maschine zum Stehen. Als er mich bemerkte, ließ er den Motor dreimal aufheulen, bevor er ihn endgültig ausmachte.
»Was ist, Mandelmaus, hast du Sehnsucht nach mir?«, rief er mir über die Entfernung zu, nachdem er den Helm abgenommen hatte.
Ich knirschte mit den Zähnen und verkniff mir einen bösartigen Kommentar. Angespannt beobachtete ich, wie Rob bewusst langsam abstieg, die Maschine auf dem Seitenständer abstellte und sich mit den Fingern durch die Haare fuhr. Anschließend schlenderte er auf mich zu.
»Du bist spät dran«, sagte ich statt einer Begrüßung.
»Und du noch genauso zickig wie gestern«, war seine rüde Antwort.
Ich atmete tief durch und rief mir Simons Worte ins Bewusstsein. »Wir müssen reden«, erwiderte ich und Rob runzelte die Stirn.
»Wann kommt Simon?«, wollte er wissen.
»Zu Beginn eurer Club-Tournee nächsten Monat.«
»Dann sag ihm, dass wir ihn jetzt sehen wollen!«
»Simon ist nicht euer Sklave, er ist euer Manager. Er kommt, wenn er es für richtig hält.«
»Wenn das so ist …« Rob wandte sich ab und ging davon.
»Was soll das?« Ich eilte ihm hinterher und hielt ihn am Arm fest.
Er drehte sich zu mir um und ich tippte ihm mit dem Zeigefinger gegen die Brust. »Du kannst jetzt nicht abhauen, Rob! Hast du eine Ahnung, was es kostet, dieses Studio für drei Tage zu mieten? Wir investieren in euch, das solltest du langsam verstehen. Das hier ist kein Spiel, das du bestimmst. Simon verschafft euch die Möglichkeit zu einem Plattenvertrag. Das ist eure Chance! Warum wirfst du das einfach weg?«
Rob starrte mürrisch in die Ferne und ich bemühte mich um Ruhe.
»Weshalb hast du die Band gegründet?«, fragte ich ihn.
»Was?« Er sah mich erstaunt an.
»Du hast mich schon richtig verstanden. Was hat dich dazu bewogen, Infernality Rises zu gründen?«
»Keine Ahnung.« Er hob die Schultern. »Langeweile?«
»Das ist alles? Langeweile?« Ich lachte auf. »Verdammt Rob, dann ist unsere Arbeit hier beendet!«
Enttäuscht ging ich an ihm vorbei und steuerte auf mein Auto zu.
»Was ist denn jetzt los?«, hörte ich ihn in meinem Rücken rufen, aber ich reagierte nicht. Meine Gedanken kreisten. Wenn diese Jungs einzig aus Langeweile Musik machten, dann war jeder Cent, den man in sie investierte, verlorenes Geld. Meine Arbeit und die von Simon wären komplett umsonst gewesen. Infernality Rises würden es niemals zu etwas bringen, weil sie nicht bereit waren zu kämpfen. So machte man keine große Rockmusik, das hatte ich längst gelernt.
Energisch drückte ich auf den Funkschlüssel meines Mietwagens und hörte das akustische Signal, als das Schloss die Tür freigab. Ich öffnete sie, doch bevor ich einsteigen konnte, versperrte mir Rob den Weg.
»Gehst du jetzt etwa?« Zum ersten Mal wirkte er verunsichert.
»Ganz recht.« Ich sah ihm in die Augen. »Jede weitere Minute, die ich mit euch verbringe, hält mich davon ab, mich Musikern zu widmen, die es mehr verdient haben als ihr.«
»Dann viel Glück!« Das überhebliche Grinsen kehrte in sein Gesicht zurück.
Ich zog eine Grimasse, stieg in mein Auto und startete den Motor. Geräuschvoll schlug Rob die Fahrertür zu. Ich ignorierte ihn, legte den Rückwärtsgang ein und fuhr rasant aus der Parklücke.
Anschließend schoss ich mit quietschenden Reifen vom Parkplatz. Mein Herz klopfte wild. Diese Aktion hatte ich nicht mit Simon abgesprochen und ich wagte zu bezweifeln, dass er mein Verhalten gebilligt hätte. Aber ich sah keine andere Möglichkeit. Die Bandmitglieder von Infernality Rises folgten Rob und solange der keinen Einsatz zeigte, befand ich mich auf verlorenem Posten.
Nervös sah ich in den Rückspiegel. Mein Plan war insgeheim gewesen, Rob derart aus der Reserve zu locken, dass er mir folgte. Aber ich sah kein Motorrad, das mir hinterherraste. Kurzzeitig nahm ich den Fuß vom Gas, bevor meine Wut wieder übermächtig wurde. Sollten sie ruhig etwas schmoren, diese dämlichen Rockerproleten!
Mit Schwung bog ich rechts ab und folgte der Beschilderung zu den Universal Studios. Dann fuhr ich über den Barham Boulevard bis zum Canyon Lake Drive. Dort hielt ich an der Kurve des Aussichtspunkts zum Lake Hollywood an, schaltete den Motor ab und stieg aus. Vor mir lag der Hollywood-Schriftzug in seiner ganzen Pracht. Touristen liefen aufgeregt über die Straße, schossen Bilder und Selfies und redeten durcheinander. Ich atmete tief durch und ließ das Szenario auf mich wirken. Dann setzte ich mich auf die Motorhaube meines Wagens und grübelte. Mein Abgang war nicht geplant gewesen und wirkte unprofessionell. Ich war mir unsicher, was ich nun tun sollte.
Noch während ich nachdachte, hörte ich das vertraute Motorengeräusch der Hayabusa. Rob! Ich spürte einen Anflug von Erleichterung, doch den Gefallen, mich zu ihm umzudrehen, tat ich ihm nicht.
Erst als er sich neben mich setzte, beobachtete ich ihn. Sein Blick war starr auf den Hollywood-Schriftzug gerichtet.
»Hier sitze ich oft nachts, um zu komponieren«, sagte er.
»Du meinst, wenn dir die Frauen in deinem Bett zu langweilig werden?«
Er grinste. »So in etwa.«
Wir schwiegen eine Weile. Mir war nicht daran gelegen, Rob weiter Vorwürfe zu machen. Er kannte meinen Standpunkt. Es lag nun an ihm, den ersten Schritt zu machen.
»Der Tod meines Vaters«, murmelte er schließlich.
»Was?« Überrascht sah ich auf.
»Deshalb habe ich die Band gegründet.«
»Das wusste ich nicht. Tut mir leid.«
»Er starb bei einem Autounfall. Ich war am Boden zerstört, wollte mir das Leben nehmen. Die Musik half mir dabei, wieder ich selbst zu sein.«
Ich war verunsichert. Es passte nicht zu Rob, auf einmal derart emotional zu reagieren. Andererseits war sein Gesichtsausdruck zum ersten Mal, seit ich ihn kannte, nicht abweisend. Im Gegenteil, er wirkte ein wenig verletzlich. Mein Widerstand schmolz.
»Mein Vater starb ebenfalls. Allerdings nicht bei einem Autounfall. Er hatte eine Herzmuskelentzündung. Ich weiß, wie man sich nach einem solchen Verlust fühlt.«
»Vermisst du ihn?« Robs dunkle Augen trafen meinen wunden Punkt.
Ich nickte. »Jeden verdammten Tag. Er war mein bester Freund.«
»Das war mein Dad auch für mich.«
Wir schwiegen erneut, bevor Rob flüsterte: »Ich will dieses Album machen, Al. Und ich will einen Plattenvertrag für Infernality Rises. Aber ich will es auf meine Art machen.«
»Was soll das heißen?«
»Die Lieder bedeuten mir sehr viel. Ich will sie so rüberbringen, wie ich mir das vorstelle. Bleaching Dry ist nicht unser bester Song. Er ist zu weichgespült, nicht das, was wir eigentlich machen. Ich will, dass das Label Departure To Hell zu hören bekommt.«
»Ich fürchte, das passt nicht in ihr Konzept.«
»Aber das sind wir!«
»Das verstehe ich.« Ich zögerte. »Und wie kann ich dir helfen?«
»Halt dich aus den Studioaufnahmen raus.«
»Was?«
»Im Ernst, Al, ich möchte einfach die pure Energie meiner Band einfangen. Das ist es, was ich der Plattenfirma liefern will.«
Zweifelnd schüttelte ich den Kopf. »Ich kann dir nicht komplett freie Hand lassen. Simon und ich haben bereits abgesprochen, welche eurer Songs auf das Demoband kommen. DiscDog Records sind derzeit das angesagteste Label auf dem Markt und sie haben uns sehr genau gesagt, was sie sich vorstellen. Außerdem habt ihr keine Erfahrung.«
»Ich weiß, dass wir es können«, unterbrach er mich und seine Augen schimmerten begierig. Zum ersten Mal sah ich in ihm so etwas wie Ehrgeiz.
»Okay«, lenkte ich ein. »Versuchen wir’s.« Ich streckte ihm meine Hand entgegen und er ergriff sie. »Enttäusch mich nicht.«
»Niemals.« Er grinste. »Es ist wie in unserem Song, weißt du. Departure To Hell.«
»Wir fahren also zur Hölle?« Ich unterdrückte das mulmige Gefühl, das mich mit einem Mal beschlich.
»Du sagst es, Mandelmaus, und es wird ein Heidenspaß!«
Chapter 2
In a world of chaos I long for you, but it’s the missing trust why I won’t follow you
(Infernality Rises, »The Abyss In Your Eyes«)
»Was zum Henker hast du dir dabei gedacht, Al? Fear us, as we are devils from the birth and cheer us, as we live forever on this earth. Ist das dein Ernst?« Ich hielt mein Smartphone ein Stückchen vom Ohr weg, um durch Simons Geschrei nicht taub zu werden. »Wir hatten die Songs abgesprochen! Departure To Hell ist ein No-Go!«
»Das weiß ich«, versuchte ich mich zu verteidigen, doch ich kam gar nicht zu Wort.
»Ich stehe da wie ein Idiot! Die ganze Zeit habe ich den Leuten vom Plattenlabel vorgeschwärmt, was sie von Infernality Rises erwarten können und jetzt das! Was bitte soll das sein?«
»Das ist die Band, wie Rob sie sich vorstellt.«
»Was redest du da für einen Bullshit? Die Band, die sich Rob vorstellt, muss sich erst einmal am Markt behaupten. Dafür müssen wir die Mainstream-Hörer erreichen. Aber das wird uns mit den Songs, die ihr abgeliefert habt, kaum gelingen!«
»Hat uns die Plattenfirma abgelehnt?«
»Nein, doch begeistert waren sie auch nicht. Verdammt Al, ich habe eine Stange Geld zum Fenster rausgeschmissen! Ich kann dir gar nicht sagen, wie stinksauer ich bin.«
»Es tut mir leid, Simon, aber ich hatte das Gefühl, die Jungs waren erst dann zum Leben erwacht, als sie endlich die Songs spielen durften, die ihnen am Herzen lagen.«
»Ihnen sollten die Songs am Herzen liegen, die den verfluchten Rubel rollen lassen! Und es ist deine Aufgabe, ihnen das zu verklickern. Haben wir uns verstanden? Ich komme morgen früh nach L.A. Diese Stümperei kann so nicht weitergehen.«
Ich ließ den Kopf hängen. Die letzten zwei Tage waren gut gelaufen. Endlich war die Band bei der Sache gewesen und hatte ihre Songs diszipliniert eingespielt – auch wenn es nicht die gewesen waren, die auf Simons Liste standen. Trotzdem hatte ich mit einem Mal die Energie gespürt, die ich die ganze Zeit über vermisst hatte.
»Wenn du die Jungs erst siehst …«, begann ich, wurde jedoch sofort abgewürgt.
»Ich brauche die kleinen Mistkerle nicht zu sehen, um zu wissen, dass sie dir auf der Nase herumtanzen! Die hatten nur keinen Bock, nach deinen Regeln zu spielen, Al. Und ich werde nun sehr schnell dafür sorgen, dass sich das wieder ändert, bevor ich noch mehr Geld in den Sand setze.«
»Okay, dann bis morgen, Simon.«
Wortlos legte er auf und ich rieb mir die Augen. Es waren zwei arbeitsintensive Tage gewesen, die mir wie eine ganze Woche vorgekommen waren. Entsprechend müde und ausgelaugt fühlte ich mich nun.
»Was hat er gesagt?« Rob sah mich an. Sein Blick war undurchdringlich.
»Kannst du es dir nicht denken?«
»Er mag es nicht.«
»Er ist nur sauer, weil wir es vorher nicht mit ihm abgesprochen haben.«
»Und die Plattenfirma?«
»Die überlegt noch.«
Rob stützte die Hände in die Hüften. »Kommt Simon morgen?«
Ich nickte und bemerkte, dass Rob ein Lächeln übers Gesicht huschte. Mein Misstrauen wuchs. Ich wurde einfach nicht schlau aus ihm. Wenn er sich nicht gerade unnahbar gab, konnte er ganz nett sein, aber dann gab es wieder Momente wie diese, in denen ich das Gefühl bekam, dass er mich verarschte.
Ich sah zu den anderen hinüber und sagte: »Ihr habt den Rest des Tages frei. Simon will euch morgen sehen. Wir treffen uns so gegen Mittag hier im Studio. Ich gebe euch noch Bescheid.«
Es schien, als wenn sich alle einen Jubelschrei verkniffen, bevor sie sich ihre Instrumente schnappten und sich trollten. Erschöpft sank ich auf eines der Sofas und starrte auf das riesige Mischpult. Ich war den Weg gegangen, den ich für richtig gehalten hatte, aber mein Verständnis über das Rockgeschäft schien noch nicht weit zu reichen. Natürlich war es lukrativer, Songs zu machen, die die breite Masse erreichten, doch war das am Ende erstrebenswert?
Mein Dad war in seinem Leben immer seinem Gefühl gefolgt und dafür hatte ich ihn stets bewundert. Ich wollte meinen Job mit derselben Leidenschaft ausüben, die auch er an den Tag gelegt hatte und bisher war mir das gelungen. Aber in diesem Moment bekam ich zum ersten Mal einen Dämpfer und wusste nicht, wie ich damit umgehen sollte.
»Bleibst du noch?«
Ich fuhr herum, weil ich gar nicht bemerkt hatte, dass Rob da war.
»Nein, ich bin quasi weg.« Ich stand auf und griff nach meiner Jacke. »Ich muss am Empfang fragen, ob für morgen überhaupt ein Raum zur Verfügung steht.«
»Vermutlich fliegst du dann anschließend gleich nach Hause, oder?«
»Das würde dir so passen«, murmelte ich und schüttelte den Kopf, weil Rob sich aus der Tür drängte, ohne mir den Vortritt zu lassen.
»Ich werde mit Simon reden. Er wird verstehen, dass wir uns nicht verbiegen können«, sagte Rob, während wir nebeneinander den Flur hinuntergingen.
»Hm.« Ich wusste, was den Jungs morgen bevorstand und hatte keine Lust, Rob zu warnen. Was immer er für ein Spiel spielte, ich wollte ihm keine Breitseite für seinen Angriff liefern.
Am Empfang angekommen klärte ich die weiteren Formalitäten, bevor ich mich von Rob verabschiedete und in mein Hotel fuhr.
Dort ging ich eine Runde schwimmen, um den Kopf freizubekommen und wollte mich anschließend eigentlich hinlegen, um den Schlaf nachzuholen, der mir fehlte. Aber ich fand keine Ruhe. Irgendwann sah ich auf die Uhr. Es war früher Nachmittag in Los Angeles, was bedeutete, dass es bei meiner besten Freundin Barbara bereits neun Uhr morgens am nächsten Tag war. Sie lebte mit ihrem Mann und ihren beiden Kindern in Sydney. Ich seufzte und langte nach meinem Handy.
»Zeit für eine Lebensberatung?«, schrieb ich ihr.
Schon einige Minuten später kam die Antwort: »Das kannst du dir doch gar nicht leisten!«
Ich grinste und drückte die Schnellwahltaste.
»G’Day, lieber Anrufer!«, meldete sich Barbara fröhlich. »Sie erreichen mich heute im sonnigen Manly, wo wir herrlichen blauen Himmel und milde 25 Grad haben.«
»Halt die Klappe, damit kannst du mich schon lange nicht mehr neidisch machen! Ich bin gerade in Los Angeles.« Ich freute mich wie ein Keks, sie zu hören. »Wie geht es dir, du verrücktes Huhn?«
»Bestens, Süße! Was machst du denn in Los Angeles? Bist du wieder bei dieser Band?«
»Ja, ich bin wieder bei dieser Band und versuche, ihre Managerin zu sein. Gelingt mir nicht besonders gut in letzter Zeit.«
»Oje, ist es so schlimm?«
»Schlimmer! Ich bin kurz davor, alles hinzuschmeißen.«
Barbara kicherte. »Du hast dich nicht verändert, Al. Erzähl, wie geht es dir wirklich?«
»Die Wahrheit ist, dass ich feststecke. Ich glaube, dass die Band großes Potenzial hat, aber ich bin nicht einer Meinung mit Simon. Er will den sicheren Weg gehen, ich den ehrlichen. Keine Ahnung, ob das Sinn macht, was ich gerade sage.«
»Natürlich tut es das. Verlass dich auf dein Gefühl«, erwiderte Barbara. »Damit bist du doch bisher gut gefahren. Zumindest nachdem du es endlich zugelassen hast.«
»Ja, aber ich weiß nicht, ob ich der Band vertrauen kann. Die ist wirklich nicht mit Burnside Close zu vergleichen.«
»Wer ist das schon?«, neckte mich Barbara. »Apropos, wie geht es Morris?«
»Es geht ihm prima. Er darf komponieren und das macht ihn glücklich, wie du weißt. Ich vermisse ihn. Wir hatten uns vorgenommen, nicht ständig voneinander getrennt zu sein, aber das lässt sich nicht so einfach umsetzen, wie ich gehofft hatte. Dabei würde ich so gerne mehr Zeit in unserer Wohnung verbringen.«
»Warum fliegst du nicht öfter nach Hause?«
»Ich kann nicht. Irgendwie hatte ich geglaubt, dass Simon sich mehr um Infernality Rises kümmert, doch er ist nur noch mit dem Plattenlabel und seinen anderen Bands beschäftigt, während ich hier vor Ort sein muss, um seine Anweisungen durchzusetzen. Es ist anders, als ich mir das vorgestellt hatte.«
»Und Morris versteht das?«
»Ich denke schon. Er ist ja selbst Vollblutmusiker. Aber Telefonate ersetzen eben keine normale Beziehung. Ich nehme gar nicht mehr an seinem Leben teil, ebenso wenig wie er an meinem.«
»Da liegt also das Problem. Du hast Angst, ihn zu verlieren.«
Hatte ich das? Ich ignorierte das bange Pochen meines Herzens. »Nein, ich vertraue ihm«, sagte ich rasch und Barbara schnalzte mit der Zunge.
»Ich glaube dir kein Wort! Du sitzt frustriert auf deinem Hotelzimmer und denkst nach. Und je mehr du nachdenkst, desto mehr Zweifel kommen in dir hoch. Du zweifelst an deiner Arbeit und an deiner Beziehung zu Morris. Hör damit auf, Al, und schalte deinen Kopf aus. Morris liebt dich. Davon konnte ich mich eindeutig überzeugen, als ihr uns in Sydney besucht habt.«
»Du hast ja recht«, murmelte ich und dachte wehmütig an unsere drei Wochen in Australien zurück, die Morris und ich völlig unbeschwert genossen hatten. Es schien eine Ewigkeit her zu sein und nicht erst anderthalb Jahre. Seitdem hatten wir keine einzige Woche mehr am selben Ort verbracht.
»Kann es sein, dass du deinen Frust, Morris so selten zu sehen, irgendwie auf diese Band in L.A. projizierst? Klappt es deswegen so schlecht mit denen?«
»Keine Ahnung.« Darüber hatte ich noch gar nicht nachgedacht.
Plötzlich war ich froh, Barbara angerufen zu haben. Sie war nicht nur meine beste Freundin, Seelenverwandte und Schwester im Herzen, sondern vor allem meine innere Stimme. Ich hatte sie während meiner Weltreise kennengelernt, die ich nach Dads Tod unternommen hatte, um mir über einige Dinge klar zu werden. Seitdem begleitete mich Barbara durch sämtliche Höhen und Tiefen meines Lebens. Man hätte meinen können, dass unsere Freundschaft die Distanz, die zwischen uns lag, nicht überdauerte, doch genau das Gegenteil war der Fall.
»Mit Morris und dir ist es wie mit uns beiden«, sagte Barbara nun. »Die Entfernung trennt zwar die Menschen, aber nicht ihre Herzen.«
»Mein Gott, deine Kalenderweisheiten werden auch immer abgedroschener«, neckte ich sie, war jedoch froh über ihren aufmunternden Spruch.
»Ja, nun bin ich eben Mutter.« Es klang resigniert.
»Höre ich da etwa Frust heraus?«, hakte ich sofort nach.
»Ein wenig. Cooper ist furchtbar anstrengend zurzeit und Olivia will einfach nicht schlafen. Sie schreit und schreit und schreit. Ich werde noch wahnsinnig! Mein Leben besteht einzig aus Windeln wechseln und Kleinkindgebrabbel. Deswegen bin ich so froh, dass du angerufen hast.«
»Was ist mit Riley? Hilft er dir nicht?«
»Natürlich tut er das. Aber tagsüber ist er arbeiten und abends dreht sich dann alles um die Kinder. Es ist Ewigkeiten her, dass wir mal allein ausgegangen oder nicht vor Erschöpfung vor dem Fernseher eingeschlafen sind. Es mag ja sein, dass es allen frischgebackenen Eltern so geht, doch manchmal komme ich mir wie ein Roboter vor, der tagsüber eine ellenlange Liste abarbeitet, bevor er abends in den Standby-Modus schaltet. Von Romantik keine Spur.«
»Oje, und wieder einmal habe ich gedacht, ich hätte Probleme …«
»Es sind einfach andere Probleme. Ich schäme mich, das zu sagen, aber zurzeit wünsche ich mir nichts mehr, als morgens aus dem Haus gehen zu dürfen, um andere Menschen zu treffen. Einen Job zu haben, irgendeine sinnvolle Aufgabe. Nicht dass ich meine Kinder nicht liebe. Oh Gott nein, das tue ich wirklich von ganzem Herzen, doch ich will mal wieder in Ruhe duschen, mich schön anziehen, einfach mal eine normale Konversation mit jemandem führen, ohne dass eines meiner Kinder mich dabei stört.« Barbara stockte. »Ich klinge wie eine frustrierte Hausfrau. Dafür hasse ich mich selbst.«
Wir scherzten über ihre Probleme, doch schnell wurde Barbara wieder ernst. Im Hintergrund setzte Babygeschrei ein.
»Hörst du, was ich meine?«, murmelte sie. »Hätte mir das vorher jemand gesagt, hätte ich es mir gut überlegt, ob ich noch ein zweites Kind will. Ein drittes ist nicht drin, das garantiere ich dir!«
»Du hast wunderbare Kinder und einen wunderbaren Mann«, versuchte ich, sie aufzuheitern.
»Na klar, und wenn du hier in der Nähe leben würdest, dann würde ich dir dieses wunderbare Dreigespann für einen Abend anvertrauen. Glaub mir, dieses Erlebnis wäre lebensverändernd. Du wärst für alle Zeit vom Kinderwunsch befreit.«
Ich lachte zwar, war aber gleichzeitig verunsichert. Barbara klang ehrlich frustriert und das setzte mir zu. Wir waren einst gemeinsam um die Welt gereist, um uns darüber klar zu werden, ob unsere großen Lieben eine Zukunft hatten. Am Ende hatte es für uns beide ein Happy End gegeben, doch nun begann ein neues Kapitel in unseren Leben, das sich Alltag nannte, und ich fragte mich, ob das ebenso glücklich enden würde.
Das Babygeschrei nahm an Lautstärke zu.
»Tut mir leid, Al«, entschuldigte sich Barbara. »Ich muss mich um Olivia kümmern. Wir hören uns.«
»Okay, mach’s gut«, sagte ich, bekam jedoch nur noch das Besetztzeichen als Antwort. Barbara hatte aufgelegt.
Ich seufzte und legte mein Smartphone zur Seite. Das gute Gefühl, auf das ich nach dem Telefonat mit meiner besten Freundin gehofft hatte, wollte sich nicht einstellen. Im Gegenteil, ich fühlte mich ruheloser als zuvor.
Am nächsten Tag kam ich völlig übermüdet im Studio an. Ich hatte die halbe Nacht nicht geschlafen und mich mit endlosen Grübeleien wach gehalten. Das Ergebnis war, dass ich aussah wie ein Mops: aufgedunsen und faltig mit blutunterlaufenen Augen. Gegen mich wirkte Simon wie das blühende Leben. Wer ihn kannte, wusste, dass das nicht so einfach war, denn seine Arbeit als Rockmanager hatte bei ihm durchaus Spuren hinterlassen. Meistens mutete er wie ein furchteinflößender Hell’s Angel an, der innerlich jedoch das Gemüt eines Teddybären besaß. Manchmal auch das eines Grizzlys. An diesem Tag zeigte er sich zunächst noch auf Kuschelkurs.
»Al, schön, dich zu sehen!«
»Meinst du das ernst?« Ich grinste schief.
»Natürlich meine ich das ernst!« Er boxte mich kameradschaftlich gegen die Schulter. »Wo sind die Jungs?«
»Die sind nicht gerade die pünktlichsten, sie …« In diesem Moment öffnete sich in meinem Rücken die Tür und Rob trat vor allen anderen Bandmitgliedern in den Raum.
»Simon, hey Mann! Gut, dich zu sehen!« Er klatschte Simon ab und warf mir einen bedeutungsvollen Blick zu.
Ich zog die Stirn kraus. »Hey, Rob.«
Was für ein Spielchen spielst du hier, fügte ich in Gedanken hinzu, während Simon den Rest der Band begrüßte.
Die Jungs alberten herum, gaben sich aufmerksam und derart aufgedreht, wie ich sie bisher noch nie zu Gesicht bekommen hatte.
»Was sagt die Plattenfirma?«, erkundigte sich Rob in den Tumult hinein.
»Darüber wollte ich mit euch sprechen.« Simon ließ sich auf einen der Stühle fallen und bedeutete dem Rest, sich ebenfalls zu setzen.
Ich nahm etwas abseits Platz, um alle beobachten zu können. Rob stützte die Ellbogen erwartungsvoll auf den Oberschenkeln ab und sah Simon an. »Al meinte, die Plattenfirma überlegt noch«, sagte er und es klang, als glaube er mir nicht.
Simon räusperte sich. »Nachdenken ist sehr höflich formuliert, möchte ich meinen. Genau genommen wird sie euch mit dem abgelieferten Material nicht unter Vertrag nehmen.«
Stille legte sich über den Raum und Rob schien zu erstarren. »Aber weshalb nicht?«, brach es plötzlich aus ihm heraus. »Du hast selbst gesagt, dass wir Potenzial haben. Weshalb sehen die das denn nicht?«
Simon hob beruhigend die Hände. »Ihr habt zweifelsfrei Potenzial, doch ihr solltet die Musikwelt verstehen, in der ihr euch bewegt. Ein Plattenlabel verkauft Illusionen. Das habe ich euch bereits ganz am Anfang gesagt. Eure Geschichte ist folgende: Von der Highschool Band zur aufstrebenden Rocklegende. Diesen Weg wird das Label mit euch gehen. Dazu gehört die Geschichte vom angeblichen Tod deines Vaters …«
»Was?«, unterbrach ich Simon und er warf mir einen erbosten Blick zu.
»Darf ich weiterreden, Al?«
Ich nickte benommen und nahm Rob ins Visier. Was meinte Simon mit dem angeblichen Tod seines Vaters? Dass die Geschichte gar nicht stimmte?
»Ihr wart schon als Kinder Freunde«, fuhr Simon fort. »Habt ständig zusammen rumgehangen und euch gegenseitig Halt gegeben, wenn es in euren Familien mal nicht so gut lief. Das ist eure verdammte Geschichte, habt ihr das verstanden? Und dazu gehört, dass ihr die entsprechenden Songs abliefert. Diese Mischung aus Grunge und Gothic eignet sich hervorragend, um eine miese Kindheit zu verarbeiten. Das bietet einen großartigen Rahmen für eure Promotion und die habt ihr als unbekannte Band dringend nötig. Also haltet euch gefälligst daran!«
Die Jungs starrten betreten zu Boden und Rob ballte die Hände zu Fäusten. »Ich habe gedacht, dass wir das Label mit unserem wahren Gesicht überzeugen können.«
»Für euer wahres Gesicht ist später noch Zeit, wenn niemand mehr danach fragt«, entgegnete Simon barsch.
Ich konnte nicht länger schweigen. »Soll das heißen, diese ganze Geschichte mit deinem toten Vater war komplett erfunden?«
Rob verzog das Gesicht. »Frag Simon«, murmelte er.
Dieser grinste. »Was ist daran so verwunderlich, Al? Du kennst das Business. Und es wird jedes Jahr härter. Überall gibt es Castingshows, die Leute tummeln sich im Web, laden Videos ihrer Songs hoch und werden millionenfach gefeiert. Es ist nicht mehr viel Platz für eine Band, die nichts zu erzählen hat. Bei all der Sensationsgeilheit der Fans ist ein toter Vater eine sehr pressefreundliche Geschichte, die Aufmerksamkeit bringt. All die Groupies werden Rob trösten wollen und sich nachts bei seinen Liedern in den Schlaf heulen. Das ist es, was wir brauchen.«
»Auch wenn es Lug und Trug ist?«
»Das Fernsehen und die Medien sind voll von Lug und Trug. Keiner ist an der langweiligen Wahrheit interessiert, Al.«
Ich runzelte die Stirn. Wann war aus Simon so ein frustrierter, sarkastischer Mensch geworden, dem es einzig um seinen persönlichen Gewinn ging?
»Was ist, wenn jemand herausfindet, dass Robs Vater noch lebt?«
»Er hat die Familie vor Jahren verlassen. Niemand weiß, wo er steckt. Und wenn er plötzlich wieder aufersteht, umso besser. Das lässt sich hervorragend ausschlachten.«
»Also ich weiß nicht«, murmelte ich und bemerkte, dass Rob mich dabei ansah.
Simon seufzte. »Leute, muss ich das jetzt wirklich mit euch diskutieren? Ich habe euch nicht gebeten, ein Atom zu spalten, sondern nur, eure Geschichte in die Welt zu tragen und euer erstes Album mit herzzerreißenden Songs über eure Vergangenheit zu füllen. Wenn das Album abgeht, dann machen wir ein Re-Release und packen zwei Bonus-Tracks drauf, an denen euer Herz hängt. Und anschließend sehen wir weiter. Wenn die Medien euch lieben und ihr euch verkauft, dürft ihr beim nächsten Album gern etwas experimentieren. Bis dahin habt ihr die Wahl: Beugt euch dem Willen des Plattenlabels oder geht zurück in euer Kaff und lebt euer langweiliges Leben weiter.«
Ich konnte nicht glauben, was ich hörte. Das war nicht die Art, wie ich arbeiten wollte.
»Hast du die Idee vom toten Vater von mir?«, fragte ich mürrisch und bemerkte, dass Simon eine Augenbraue hochzog. Er duldete es nicht, wenn ich ihm vor versammelter Mannschaft in den Rücken fiel. Aber ich konnte nicht still sein. »Müssen wir uns wirklich dem Willen der Plattenfirma beugen? Es gibt noch tausend andere Wege. Wenn wir vielleicht …«
Weiter kam ich nicht, denn Simon unterbrach mich: »Ich will diese verträumten Ansichten jetzt nicht hören, Al! Dieses Label ist bereit, für Aufnahme, Mischung, Mastering, Marketing und Promotion eine Stange Geld in die Hand zu nehmen. Mehr als jedes andere Label. Wenn wir abspringen, hinterlasse ich verbrannte Erde und verliere meine Investition. Das könnte meinen Namen in der Branche ruinieren.« Er deutete auf die Jungs, die in ihren Stühlen immer kleiner wurden. »Diese Band hier hat mir vor einem Jahr ihr Wort gegeben. Sie hat bei mir einen Vertrag unterschrieben und dieser Vertrag bezahlt auch dein Gehalt, Al. Ich würde mir also jeden Satz genau überlegen. Denn wenn du raus willst, dann spare ich mir einiges. Du musst es nur sagen.«
Diese Situation kannte ich bereits. Simon war nicht zum ersten Mal kurz davor, mich zu feuern. Zum ersten Mal allerdings wollte ich wirklich gehen.
»Wir machen das nicht ohne Al«, sagte Rob in diesem Moment.
Ich hielt inne und traute meinen Ohren kaum. Selbst Simon verengte überrascht die Augen.
»Woher kommt denn der plötzliche Sinneswandel, Rob?«, erkundigte er sich spöttisch.
»Wir vertrauen ihr«, erwiderte Rob und die anderen Bandmitglieder nickten, wenn auch zögerlich.
»Wenn ihr meint, ihr habt es mit Al leichter als mit mir, dann habt ihr euch geschnitten.« Simon sah mich an. »Was ist mit dir? Gehst du oder bleibst du?«
Zu bleiben bedeutete, dass ich mich Simon und seiner neuen Art zu denken unterordnen musste. Alles in mir sträubte sich dagegen. Doch die bittenden Blicke, die mir die Jungs nun zuwarfen, konnte ich nicht ignorieren.
»Ich bleibe«, entschied ich spontan und Simon atmete kaum merklich aus, als hätte er die Luft angehalten.
»Ihr werdet in den nächsten Tagen die Songs einspielen, die wir abgesprochen haben, ist das klar? Bis Mitte nächster Woche erwarte ich das entsprechende Demo Tape. Wenn ich noch einmal hier aufschlagen muss, um euch die vereinbarte Strategie in die Köpfe zu prügeln, dann seid ihr raus. Ihr alle. Verstanden?«
Ich sah die Band nicken und hielt Simons Blick stand. »Hast du das auch verstanden, Al? Keine Alleingänge mehr!«
»Keine Alleingänge«, bestätigte ich.
»Abgemacht.« Er stand auf. »Kann ich dich noch kurz allein sprechen, Al?«
Ich stand ebenfalls auf und folgte Simon hinaus auf den Flur.
Dort angekommen sah er mich an. »Ist alles klar zwischen uns?«, wollte er wissen.
Ich zuckte mit den Achseln. »Weshalb hast du mir diese ganze Geschichte verheimlicht, die du dir für die Band ausgedacht hast?«
»Das war nicht ich, sondern die Plattenfirma. Aber ich muss dabei mitspielen und weil ich dich kenne, habe ich dir diesen Teil des Deals verschwiegen. Du hättest das niemals unterstützt.«
»Aber ich muss dir vertrauen, Simon! Was ist nur los mit dir? So kenne ich dich gar nicht. Ich meine, du managst Burnside Close seit einigen Jahren, doch Worte wie gerade eben habe ich noch nie aus deinem Mund gehört.«
Simon stemmte die Hände in die Hüften. »Ich werde alt, Al.« Seine Augen bohrten sich in die meinen. »Du verstehst das vielleicht nicht, aber dieses Geschäft frisst dich auf. Es raubt dir deinen Idealismus. Ich werde das nicht mehr lange durchhalten können und deshalb will ich, dass meine Rente gesichert ist, begreifst du das? Das bin ich meiner Frau und meinen Kindern schuldig. Und mir selbst. Ich brauche das Geld, um mir meinen Lebensabend zu finanzieren und dafür muss ich Erfolg haben. Burnside Close machen ihr Ding, die verbiegen sich für niemanden, aber diese Jungs dort drinnen …« Er deutete auf die verschlossene Tür. »… die wollen nichts außer Ruhm. Die wollen sich verbiegen, nur um ihre Gesichter in der Zeitung zu sehen, glaub mir. Und das Label braucht genau solche Leute. Infernality Rises wird ein Knaller auf dem Markt, das garantiere ich dir.«
Ich biss mir auf die Unterlippe, weil ich nicht wusste, was ich sagen sollte. Einerseits verstand ich Simon, andererseits hatte ich das Gefühl, dass wir gerade dabei waren, eine Herde Lämmer an die Löwen zu verfüttern.
»Das Musikbusiness ist nicht immer eitel Sonnenschein«, hörte ich Simon sagen und sah auf. Er blickte mich beinahe flehend an. »Dieses Label ist riesig. Es ist eines der größten am Markt und wir haben die Chance, bei diesem Deal richtig abzusahnen. Bist du dabei, Al? Kann ich auf dich zählen?«
Ich zögerte. War es das, was ich wirklich wollte?
»Ich brauche deine Unterstützung, Al, ohne dich schaffe ich das nicht.«
»Okay.« Ich schlug ein und dachte daran, dass Simon mir in der Vergangenheit mehr als eine Chance gegeben hatte. Er bedeutete mir viel und weil mir nicht wohl bei dem Gedanken war, dass Simon sich gerade selbst verkaufte, wollte ich ihn nicht im Stich lassen.
»Danke!« Er umarmte mich und ließ mich nicht mehr los.
»Wir kriegen das hin«, hörte ich mich sagen und war mir bewusst, dass ich mir damit selbst Mut zusprach.
»Alles klar.« Simon drückte mir einen Kuss auf die Stirn. »Ich muss los. Wir hören uns.«
»Ja, bis dann.« Ich sah ihm hinterher und fühlte mich noch unwohler als vor unserem Treffen.
Am darauffolgenden Sonntag saß ich um Mitternacht im Studio, den Kopf in den Armen vergraben. Simon war bereits einige Stunden nach unserem Gespräch wieder abgeflogen und hatte mich und die Band zurückgelassen. Seitdem hatten wir das Studio quasi nicht mehr verlassen. Ich fühlte mich ausgelaugt. Um mich herum herrschte Ruhe, nur meine Ohren summten und in meinem Kopf hörte ich das Echo des Songs, den wir den Tag über aufgenommen hatten. The Abyss In Your Eyes sollte die erste Singleauskopplung werden. Rob hatte recht, das Lied war Durchschnitt. Liebliche Synthie-Sphären und abgedämpfte Powerchords ließen keine Spannung entstehen. Es war farblos, tot und marktkonform. Eben das, was DiscDog Records haben wollte.
Die Jungs waren bereits gegangen und ich war froh, allein zu sein. Es machte mich fertig, in ihre emotionslosen Gesichter zu blicken, wenn sie ihre Lieder ohne jegliche Motivation auf die vorgegebene Art und Weise zum Besten gaben. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass jemand solche Art von Musik hören wollte. Für mich besaß sie keine Seele. Es waren Songs für die breite Masse, für das Radio oder einen TV-Spot, aber nichts, was einen bewegte, einem eine Gänsehaut bescherte oder einen derart inspirierte, dass plötzlich ein ganzer Film im Kopf ablief. Ich holte tief Luft. Das war nicht das, was ich von Dad gelernt hatte.
»Hey!«
Ich fuhr herum. Rob stand hinter mir, ein Sixpack Bier unter seinem Arm.
»Was tust du denn hier?«, fragte ich und unterdrückte ein Gähnen.
»Wir hatten seit Simons Abreise gar keine Zeit zum Quatschen.« Er stellte das Bier auf einen Hocker und sah mich unschlüssig an.
»Ich habe auch nicht gedacht, dass du quatschen willst.«
»Na ja, es lief nicht alles nach Plan.«
»Du wolltest mich ausbooten, um mit Simon dein Ding durchzuziehen. Außerdem hast du mich angelogen. Redest du davon?«
»Ja.« Rob fuhr sich durch die Haare. »Und es tut mir leid. Das war nicht richtig von mir.«
Ich kniff die Augen zusammen. »Warum sollte ich dir das glauben, Rob? Ich werde das Gefühl nicht los, dass du immer versuchst, das Beste für dich rauszuholen. Erst war es Simon, nun bin ich es.«
»Hier!« Rob warf mir eine Bierdose zu. Ich fing sie auf, öffnete sie und nahm einen großen Schluck. Dabei beobachtete ich ihn.
»Ich wollte dich ausbooten«, gab er unumwunden zu. »Weil ich es satthatte, dass du uns in dieses Schema presst.«
»Wie du gehört hast, war das nicht meine Idee. Ihr kanntet die ganze Geschichte. Ich nicht.«
»Das weiß ich ja, aber ich dachte, wenn ich es schaffe, dass Simon unsere Songs hört und nicht diesen weichgespülten Scheiß, dann erinnert er sich wieder daran, warum er uns unter Vertrag genommen hat. Ich hatte gehofft, dass er die Plattenfirma vielleicht überzeugen kann. Egal, es hat nicht funktioniert.«
»Hm.« Ich starrte auf das Mischpult. »Und was ist nun eure wahre Geschichte?«
»Du meinst die, die Simon für zu langweilig hält?« Rob grinste schief. »Die ist schnell erzählt. Ich wollte schon als Kind Rockstar werden. Andere liefen mit Schwertern herum oder spielten Cowboy und Indianer, aber ich habe auf meinem Keyboard rumgehauen, habe mir Gel in die Haare geschmiert und die Lederjacken meines Vaters angezogen. Ich wollte berühmt werden, bejubelt und umschwärmt. Weil ich nicht gerade ein begnadeter Sänger bin, habe ich irgendwann angefangen, mir Jungs zu suchen, die ebenfalls berühmt werden wollten. Wir gründeten eine Band und das war’s auch schon. Im Grunde kennen wir uns alle gar nicht wirklich.«
Ich musste lachen. Das war in der Tat keine herzzerreißende Geschichte. »Aber ihr habt es geschafft, Simons Aufmerksamkeit zu erregen. Egal was einst die Beweggründe waren, diese Band zu gründen. Ihr habt einen sehr eigenen Stil, der den Leuten gefällt.«
»Den wir mehr und mehr aufgeben.« Rob leerte seine Bierdose und griff nach einer weiteren.
»Dafür habt ihr die Chance, berühmt zu werden. Das ist es doch, was du willst, oder?«
Rob sah mich an. »Ich mache mir keine Gedanken darüber, was andere von mir denken. Ehrlich gesagt war es mir am Anfang scheißegal, was Simon von uns verlangt hat. Ich wollte mit der Band nur in die Charts aufsteigen. Aber dann habe ich dir die Geschichte von meinem angeblich toten Vater erzählt und es fühlte sich falsch an. Genauso wie die Musik, die wir gerade machen. Wir alle wollen nach oben, doch ich denke, heute ist mir klar geworden, dass ich keine Marionette sein will.«
»Verstehe.« Ich nippte an meinem Bier. »Und jetzt?«
»Keine Ahnung. Ich will den verdammten Vertrag. Ich will auf der Bühne stehen und eine Show abziehen, aber gleichzeitig vermisse ich die Zeit, in der wir in meiner Garage geprobt haben. Mein Vater mag nicht tot sein, doch er ist abgehauen und die Band hat mir dabei geholfen, wieder an etwas zu glauben. Es hat gutgetan, als wir einfach nur wir selbst waren. Ohne die übergestülpte Hülle einer Illusion. Das ist alles. Vielleicht gewöhne ich mich mit der Zeit daran. Was denkst du?«
Ich verzog den Mund. »Darin habe ich keine Erfahrung. Ich bin noch nicht lange genug im Geschäft, um das wirklich beantworten zu können. Aber eines weiß ich: Mein Dad hätte sich niemals auf so einen Deal eingelassen. Er war immer davon überzeugt, dass Musik von Herzen kommen muss. Deshalb muss ich mich auch erst an diese Art des Managements gewöhnen.«
»Man sagt, dein Dad sei eine Legende gewesen. Was hätte er uns wohl geraten?«
»Er hätte dafür gesorgt, dass ihr auf dem Boden bleibt. Er hielt Ruhm für gefährlich, hat immer gesagt, er würde einem den gesunden Menschenverstand vernebeln und einen an den Abgrund führen. Deshalb hätte er wohl auch nicht zugelassen, dass ihr allzu schnell die Charts stürmt. Aber das ist etwas, was man sich heute nicht mehr leisten kann.«
Wir schwiegen eine Weile, bevor Rob wieder das Wort ergriff: »Ich kann dir nicht versprechen, dass mit uns immer alles glatt läuft, Al. Du bist manchmal wirklich extrem anstrengend.« Er lachte leise. »Doch nach all dem, was vorgefallen ist und was jetzt noch auf uns als Band zukommen wird, bin ich froh, dass du da bist. Ich will nicht unbedingt auf dem Boden bleiben, aber ich will auch den Gedanken nicht aufgeben, dass wir nur bezahlte Affen eines Plattenlabels sind.«
Ich runzelte die Stirn. »Das wird ein ziemlicher Spagat werden, das garantiere ich dir.«
»Dann lass uns darauf trinken, dass wir nicht abstürzen.« Er hielt mir seine Bierdose entgegen und ich stieß mit ihm an.
»Auf Infernality Rises und die Versuchungen des Ruhms«, sagte Rob und ich hatte keinen Zweifel mehr daran, dass die nächsten Wochen und Monate auch mich an den Rand des Abgrunds bringen konnten.