Chapter 1
Do you see me fade away in the eye of the silent storm?
(Burnside Close, »Silent Storm«)
Unsere erste Begegnung wird für immer in mein Herz tätowiert sein. Es war an einem vierten Juli. Ich war gerade erst in Miami gelandet, wo mich mein Vater mit ziemlicher Verspätung vom Flughafen abholte. Er behauptete, die Maschine aus London wäre nie pünktlich, allerdings war das an diesem Tag nicht der Fall. Deshalb wartete ich.
Überall wimmelte es von Menschen und ich stand mir in der Ankunftshalle über eine Stunde die Beine in den Bauch. Doch dann erkannte ich meinen Vater mit einer Treffsicherheit, die man stets an den Tag legt, wenn man jemanden vermisst hat und es kaum erwarten kann, ihn wiederzusehen.
Ich fiel ihm um den Hals und bemerkte sofort den vertrauten Geruch von Zigaretten und schalem Bier. Nicht dass mein Vater ein ungepflegter Mann war, ganz und gar nicht. Er war perfekt. Zumindest für mich. In seinen Adern floss Rock ’n’ Roll und das liebte ich so an ihm. Seit ich denken konnte, war er Manager und Produzent von Rockbands. Er lebte die Musik. Dunkle Hallen und muffige Übungsräume brachten sein Blut in Wallung.
Er hielt mich eine Armlänge von sich entfernt, um mich zu mustern, und ich sah, dass seine Wangen ein wenig eingefallener und seine Augenringe ein wenig ausgeprägter waren als bei unserem letzten Treffen vor gut einem Jahr.
Er trug sein Haar in gewohnter Manier zu einem Pferdeschwanz gebunden und ich entdeckte, dass sich inzwischen graue Strähnen unter das glänzende Schwarz mischten. Der Ohrring mit der silbernen Adlerfeder baumelte wild an seinem linken Ohr, während er mich schüttelte und mir versicherte, dass ich noch hübscher geworden war.
Ich grinste verlegen, denn ich merkte, dass uns die Leute anstarrten. So war das immer. Das verblichene Metallica T-Shirt und die tätowierten Unterarme meines Vaters bildeten einen zu krassen Gegensatz zu meiner dunkelblauen Schuluniform. Unsicher strich ich mir die Haare aus dem Gesicht und schulterte meinen Rucksack.
»Es ist so schön, dich zu sehen, Al!« Er drückte mir einen Kuss auf die Stirn.
Ich wand mich und genoss es dennoch. Nur Dad nannte mich Al. Mein voller Name war Almond Elizabeth, doch für meinen Vater war ich seit jeher Al. Wenn er meinen Spitznamen aussprach, klang es, als stünde ihm der dickbäuchige Inhaber eines Harley-Shops gegenüber. Mit Lederweste und ZZ-Top-Bart. Ebenso lässig und gefährlich fühlte ich mich dann.
»Lass uns gehen, Dad«, forderte ich ihn auf.
Er ließ mich los, schnappte sich meinen Koffer und ging voraus in Richtung Parkplatz. Wie gewöhnlich unterhielten wir uns während des Weges in einer Mischung aus Deutsch und Englisch. So seltsam dieses Gebrabbel in den Ohren anderer anmuten mochte, für uns war es ein Zeichen unserer bunten Herkunft.
Als sich die Schiebetüren des Flughafengebäudes öffneten, empfing mich Florida mit dem schwülen Wetter, das ich vermisst hatte. Ich konnte es kaum erwarten, meine Uniform abzulegen und die nächsten Wochen nur das anzuziehen, worauf ich Lust hatte. Den englischen Regen und mein Internatsleben hinter mir zu lassen, war, als falle eine tonnenschwere Last von meinen Schultern. Die Luft um mich herum war abgasgeschwängert und voll von Kerosindämpfen, aber ich hatte plötzlich das Gefühl, endlich befreit atmen zu können.
Erleichtert lächelte ich meinen Vater an. Wir hatten sechs Wochen. Mehr hatte mir meine Mutter nicht zugestanden, obwohl ich erst im September wieder zur Schule musste.
Ich sah Dad dabei zu, wie er meine Sachen in seinem schwarzen 67er Chevi Camaro SS verstaute, den er bereits seit Jahren fuhr und den er hütete wie seinen Augapfel. Wir stiegen ein und Dad ließ den Motor aufheulen, bevor er aus der Parklücke schoss. Ich wurde in den Sitz gedrückt und angelte nach dem Anschnallgurt. Dabei versuchte ich, so entspannt wie möglich zu wirken.
»Es ist schön, wieder bei dir zu sein«, bemühte ich mich um gespielte Fröhlichkeit. Meine Finger krallten sich in den Stoff meines Blazers. So ging es mir jedes Mal, wenn ich nach längerer Zeit zu Dad ins Auto stieg. Es lag nicht nur daran, dass ich in England Linksverkehr gewohnt war, sondern vor allem an Dads rasanter Fahrweise.
Ich sah ihn von der Seite an und fragte mich nicht zum ersten Mal, was meine Eltern einst dazu bewogen hatte, zu heiraten. Meiner Ansicht nach gab es kaum unterschiedlichere Menschen.
Meine Mutter war eine typische englische Lady. Sie entstammte einer angesehenen Familie, die neben einem Stadthaus in London auch ein ansehnliches Anwesen auf dem Land besaß. Eine Tatsache, auf die man sich in England etwas einbilden konnte, wie ich wusste.
Die Familie meines Vaters dagegen schien einem modernen Roman von Karl May entsprungen zu sein. Mein Großvater, Hokee Grey Wolf, war Navajo-Indianer gewesen und einer der berühmten Code Talker, die im Zweiten Weltkrieg einen bestimmten Code funkten und entschlüsselten, der von den Deutschen nicht dechiffriert werden konnte. Er hatte an der Invasion in der Normandie teilgenommen und später an der Besetzung Berlins. Dort hatte er meine Großmutter kennengelernt, die damals noch Schülerin gewesen war und gegen den Willen ihrer Familie provokante anti-deutsche Texte verfasst hatte. Sie war nur durch viel Glück und den Einfluss ihres Vaters nicht aufgeflogen und hatte sich angeblich sofort Hals über Kopf in meinen Großvater verliebt. Die beiden hatten geheiratet und waren in die USA gezogen, wo mein Vater als einziges Kind geboren wurde.
Nach dem Tod meines Großvaters Hokee war meine Granny, wie ich sie liebevoll nannte, zurück nach Deutschland gezogen. Sie ließ sich in München nieder und lebte seither in einer Altbauwohnung in Schwabing mit Blick auf den Englischen Garten, wo sie handschriftlich mit Tintenfass und Feder bis heute ihre Bücher schrieb.
Ich war mir nicht sicher, ob es an meinem Aussehen lag, dass ich mich der Familie meines Vaters verbundener fühlte als der meiner Mutter oder ob es schlicht die Ehrlichkeit war, die ich an Dad und Granny so sehr schätzte. Fest stand, dass ich äußerlich mehr Navajo als englische Lady war. Ich hatte mandelförmige braune Augen und glatte schwarzbraune Haare. Meine Haut war olivfarben und nicht vornehm blass, meine Statur drahtig und großgewachsen anstatt kurvig und dem englischen Gardemaß entsprechend. All das, so glaubte ich, waren Gründe, warum meine blonde und stets bis in die Fingerspitzen gepflegte Mutter mich auf ein Internat geschickt hatte, kaum dass sie und mein Vater sich getrennt hatten.
Manchmal beschlich mich das Gefühl, als wollte sie all das Schlechte, das Dad mir augenscheinlich vererbt hatte, aus mir vertreiben. Dabei waren die geheimen Partys des Lord Wandsworth Colleges legendär und beinhalteten mehr Alkohol und Zigaretten als ich bei Dad je im Umkleideraum seiner Rockbands vor einem Konzert gesehen hatte.
»Bist du bereit, meine Jungs kennenzulernen?«, fragte mein Vater in diesem Augenblick. »Diese Band hat Klasse! Sie wird die Charts stürmen, das garantiere ich dir. Ihr erstes Album wird ein Knaller.«
Ich sah den Schlagbaum auf uns zurasen, doch Dad bremste rechtzeitig. Ich atmete aus.
»Wie heißt die Band?«, versuchte ich, das Gurgeln des V8-Motors zu übertönen, als Dad das Fenster runterkurbelte, um den Parkschein in den Automaten zu schieben.
»Burnside Close.« Dad gab Gas, bevor sich die Schranke vollständig geöffnet hatte.
»Burnside Close«, wiederholte ich und sah mit Beruhigung, dass der abendliche Verkehr den Dolphin Expressway lahmgelegt hatte. Das zwang Dad dazu, langsam zu fahren.
Eine Schimpftirade, die meiner Mutter die Schamesröte ins Gesicht getrieben hätte, kam daraufhin aus seinem Mund. Er sah mich entschuldigend an.
»Sorry Al, ich muss mich erst daran gewöhnen, dass meine sechzehnjährige Tochter wieder bei mir ist.«
»Siebzehn, Dad! Ich hatte vor einem Monat Geburtstag.« Wie konnte er das vergessen haben?
Er lachte und mir wurde klar, dass er mich zum Narren halten wollte.
»In meinem Alter kann man froh sein, wenn man überhaupt ein Jahr älter wird«, sagte er und kniff mir in die Wange. Dann sah er mich neugierig an. »Was macht die Liebe?«
Ich schwieg. Das war ein schwieriges Thema.
»Ich bin nicht deine Mutter«, erinnerte er mich. »Wir haben keine Geheimnisse voreinander, habe ich recht?«
Er hatte recht, doch ich war es nicht gewohnt, über Schwärmereien mit jemand anderem als meinen Freundinnen zu sprechen. Schließlich gab ich nach: »Es gab da einen Jungen im letzten Schuljahr. Nigel.«
Dad lachte übertrieben. »Nigel! Was ist das für ein Name? Das klingt nach einem adligen Snob.«
Ich war sauer über seine Bemerkung und verschränkte die Arme vor der Brust.
»Hat euch deine Mutter bekannt gemacht?«, hakte Dad nach und man hörte deutlich seine Abscheu heraus. Er verachtete englische Hochnäsigkeit. Die betuchte Oberschicht hielt er ganz allgemein für snobistisch und weltfremd.
»Nein, das hat sie nicht. In ihren Augen bin ich noch nicht reif genug für einen Freund.«
»Das ist gut.« Er warf mir einen erleichterten Seitenblick zu.
Ich musste grinsen. »Keine Sorge Dad, Nigel ist einfach nur ein Junge aus dem College. Er ist okay.« Ich verstummte.
Es widerstrebte mir, Dad zu erzählen, dass wir in betrunkenem Zustand weitergegangen waren, als ich das eigentlich vorgehabt hatte und er später allen erzählt hatte, ich sei wie eine läufige Hündin auf ihn losgegangen. So gesehen war Nigel ein Volltrottel und weit davon entfernt, okay zu sein, aber das konnte ich Dad nicht beichten.
In den nächsten Wochen würde unser Verhältnis wieder vertrauter werden, doch momentan musste ich mein englisches Wesen erst ablegen, um mein wahres Ich neu zu entdecken. Und um meinen Vater wieder kennenzulernen. Es war nicht einfach, ein Scheidungskind zu sein und in zwei verschiedenen Kulturkreisen mit derart unterschiedlichen Elternteilen zu leben.
»Wohin fahren wir?«, wollte ich wissen und sah auf die Blechkolonne, die sich vor uns durch den Abendverkehr schob.
»Wir treffen die Jungs beim Videodreh. Später gehen wir dann auf die Party von meinem Kumpel Stuffy. Wir müssen den Unabhängigkeitstag schließlich ein wenig feiern, oder?«
»Dad!«, rief ich empört. »Vorher muss ich mich umziehen. So kann ich unmöglich länger herumlaufen!«
Dad sah mich an, als ob ihm erst jetzt auffallen würde, was ich anhatte.
»Warum hast du dich nicht umgezogen, bevor du in den Flieger gestiegen bist?«
Ich schüttelte den Kopf. Von meinem Internatsleben hatte mein Vater nicht den geringsten Schimmer!
»Weil ich nicht in Jeans und T-Shirt zu meiner Verabschiedungszeremonie gehen konnte und Mom mich anschließend sofort zum Flughafen gefahren hat.«
»Dann zieh dich jetzt um!«
»Was, hier? Mitten auf dem Highway?«
»Al, du wirst immer englischer! Ich habe getönte Scheiben, wer sieht dich denn außer mir?«
Mir verschlug es die Sprache. Hatte Dad recht? Wurde ich wirklich immer englischer?
Er machte eine Kopfbewegung in Richtung Kofferraum. »Hol dir deine Sachen, wir stehen sowieso im Stau.« Entspannt drehte er die Stereoanlage auf und der bekannte Hardrock Sound schoss aus den unzähligen Lautsprechern im Innenraum. Der Bass ließ meinen Sitz vibrieren.
»Dad!«, flehte ich. Er verstand mich manchmal nicht. Dabei lag es auf der Hand, dass man über mich lachen würde, wenn ich mitten auf dem Highway in Schuluniform aus einem dröhnenden Camaro stieg.
»Burnside Close«, übertönte Dad das Gitarrensolo und schlug den Rhythmus lässig auf dem Lenkrad mit. »Gefällt’s dir?«
Ich musste zugeben, dass ich das Lied auf Anhieb mochte. Es war metallisch, rockig, hart und doch melodisch. Nicht die Musik der Boybands, die sich meine Freundinnen anhörten, sondern guter, bodenständiger Rock mit einem Schuss Blues. Genau meine Art von Musik, auch wenn ich mich daheim in England nicht öffentlich dazu bekannte.
Dank Dad war ich mit dem Sound von Led Zeppelin, Metallica, Iron Maiden, Manowar, Guns N’ Roses und anderen legendären Bands aufgewachsen. Er war mir ins Blut übergegangen. Meine Mutter sagte immer, Dad hätte mich verdorben. Die Art, wie sie das sagte, zeugte davon, dass sie Hardrock nicht leiden konnte. Ich nahm es hin und vervollständigte heimlich meine beachtliche Albensammlung an Hardrock und Heavy Metal Bands. Für jede Stimmungslage hatte ich ein anderes Lied parat, das ich mir in einer enormen Lautstärke anhörte, wenn ich alleine war. Es war, als könnte ich über die Musik Kontakt mit meinem Vater halten.
»Erzähl mir mehr über die Band«, forderte ich ihn auf und vermied bewusst das Wort Jungs. Dad hatte bisher alle Bandmitglieder seine Jungs genannt, unabhängig von ihrem Alter.
Doch dieses Mal beharrte er auf der Bezeichnung und das zu Recht: »Die Jungs sind alle Anfang zwanzig und kommen aus Chicago, Pittsburgh und Miami. Matt Tormani ist der Gründer der Band. Du kennst ihn vielleicht noch? Er hat bei Battlefield Six gespielt. Hervorragende Band! Haben sich leider vor zwei Jahren getrennt. Gemeinsam mit Brad Mayfield und Sean Pitt hat er dann an neuen Liedern gearbeitet und sie haben Morris Kyle als Leadsänger gewonnen. Ein unglaublicher Junge! Gibt den Texten Tiefe und spielt Gitarre wie der Teufel persönlich. Ich liebe ihn!«
Ich lächelte über seine Begeisterung. Er sprach von seinen Bands stets mit der Leidenschaft, die man auch dieses Mal heraushörte. Er liebte nicht nur seine Jungs, sondern vor allem seinen Job. Ich fand, das war etwas ganz Besonderes.
Meine Mutter war Rechtsanwaltsgehilfin und sie hasste es. Nicht umsonst wurde der Zug um ihren Mund jedes Jahr verkniffener. Ich dagegen wünschte mir, eines Tages einen Job zu finden, der mich ebenso erfüllte wie Dad der seine.
»Ich kann mich an Matt erinnern. Wir waren auf einem Battlefield Six Konzert vor etwa drei Jahren. Mom ist ausgerastet, als sie davon hörte«, sagte ich.
Dad zwinkerte mir verschwörerisch zu und wir mussten lachen. Es tat gut.
»Matt wird sich freuen, dich zu sehen«, versicherte er, doch ich bezweifelte, dass Matt sich überhaupt an mich erinnern konnte.
Ich selbst wusste kaum noch etwas von dem Konzert. Mir war nur der Hausarrest im Gedächtnis geblieben, den ich bekam, als ich wieder zu Hause in England war. Meine Mutter hatte getobt und meinen Vater einen verantwortungslosen Nichtsnutz genannt, weil er mich zu einer verruchten Veranstaltung mitgenommen hatte, wie sie es nannte. Ich war durch das Haus gerannt, hatte geheult und die Türen geknallt. Tagelang sprach ich kein Wort mit ihr. Ich verstand nicht, warum ich bestraft wurde, obwohl ich ihr lediglich die Wahrheit gesagt hatte. Dieses Erlebnis ließ mich vorsichtiger werden. Inzwischen erzählte ich Mom kaum noch etwas über die Zeit, die ich mit meinem Vater verbrachte.
»Endlich!« Dad gab Gas und riss mich aus meinen Gedanken. Sportlich nahm er die Ausfahrt, ohne das Hupen um sich herum zu beachten. Einige Minuten später parkte er vor einem in die Jahre gekommenen Hafengebäude, sprang aus dem Auto und sperrte den Kofferraum auf.
»Zieh dich um, Al!« Er warf mir die Autoschlüssel zu. Ich fing sie auf und beobachtete, wie er fröhlich pfeifend im Gebäude verschwand.
Lächelnd öffnete ich meinen Koffer und durchwühlte den Inhalt. Schließlich zog ich eine alte Jeans, ein T-Shirt und ein Paar Flip-Flops heraus, schlug den Kofferraumdeckel zu und setzte mich wieder ins Auto. Doch schnell stellte ich fest, dass es mir dort unmöglich war, mich umzuziehen. Umständlich zwängte ich mich aus Blazer, Rock und Bluse, aber die enge Jeans wollte nicht über meinen Hintern. Ich fluchte so laut, dass Dad sicher stolz auf mich gewesen wäre. Dann gab ich auf und stieg aus dem Auto.
Einige Hafenarbeiter pfiffen, als sie mich sahen. Ich zeigte ihnen den Mittelfinger, was sie zu weiteren Rufen und stürmischem Applaus animierte. Genervt zog ich die Jeans hoch und spürte, dass mir der Schweiß aus allen Poren schoss. Was hätte ich für eine Dusche gegeben! Seit Stunden hatte ich kein Wasser mehr gesehen und in der schwülen Luft fühlte sich meine Haut klebrig an. In Gedanken beklagte ich mich bei Dad, der mich in seiner gewohnt chaotischen Art sofort hierhergebracht hatte, anstatt mir die Möglichkeit zu geben, mich frisch zu machen.
Ich schlüpfte in meine Flip-Flops, schlug die Autotür zu und sperrte ab. Vor mir lag das düstere, Graffiti verschmierte Gebäude, das einem Horrorfilm entsprungen zu sein schien. In Gedanken hörte ich meine Mutter schimpfen. Wie kannst du das Kind nur immer an solche Orte bringen, sagte sie vorwurfsvoll. Ich schüttelte den Kopf, um ihre Stimme zu verdrängen, und ging hinein. Es war nicht schwer, Dad zu finden. Man musste nur der Musik folgen.
Do you see me fade away in the eye of the silent storm?, hallte es durch die Flure des verlassenen Hauses.
Ich summte mit, um vor den leeren, dunklen Räumen, die ich passierte, nicht in Panik zu geraten. Es war dasselbe Lied, das Dad mir im Auto vorgespielt hatte. Es gefiel mir immer besser. Der Leadsänger, sein Name war mir entfallen, hatte wirklich eine beeindruckende Stimme! Langsam verstand ich Dads Begeisterung für Burnside Close.
Angezogen von der stetig lauter werdenden Musik bog ich schließlich um eine Ecke. Gerade rechtzeitig, um die letzten Gitarrenklänge und das verebbende Trommelinferno zu vernehmen. Ich sah mehrere Kameras und Stehlampen, die den Raum erhellten.
»Ich denke, wir haben’s im Kasten«, rief jemand.
Ich sah meinen Vater in die Hände klatschen und mein Blick wanderte weiter zu seinen Jungs, auf die ich neugierig geworden war. Aufgrund der tief stehenden Sonne, deren Strahlen durch ein Fenster hinter ihnen fielen, erkannte ich nur schemenhafte Gestalten.
Ich trat zu Dad. Er legte mir den Arm um die Schultern und ich sah erneut zu den Musikern hinüber, die gedämpft miteinander redeten und ihre Instrumente ablegten.
»Hey Chief, neue Freundin?«, fragte einer von ihnen und alle lachten.
Ich zog eine Grimasse und der Spaßvogel hob abwehrend die Hände. Ein breites Grinsen zog sich über sein Gesicht.
»Halt die Klappe, Matt!«, schoss mein Vater zurück.
Dann schob er mich nach vorne, drückte aufmunternd meine Schultern und sagte mit väterlichem Stolz: »Jungs, das ist meine Tochter Almond. Sie wird in den nächsten sechs Wochen immer an meiner Seite sein. Und damit auch an eurer. Gewöhnt euch daran.«
Der gut gelaunte Gitarrist trat heran und gab mir entspannt die Hand. »Hi, Almond! Schöner Name, schöne Tochter. Ich bin Matt.«
Er bekam Grübchen, wenn er lachte. Ich fand das sympathisch und merkte, dass meine vermeintliche Coolness bröckelte. Vorsichtig schenkte ich ihm ein Lächeln. Seine kurzen dunklen Haare standen wild von seinem Kopf ab und ein Schlangen-Tattoo wand sich an seiner rechten Halsseite in Richtung Nacken. Er hatte sanfte braune Augen, die mich interessiert musterten.
»Wir kennen uns«, stellte er fest.
»Ja, wir haben uns auf einem Battlefield Six Konzert gesehen. Vor drei Jahren«, erwiderte ich so gelassen wie möglich und hoffte, nicht rot zu werden. Es schmeichelte mir, dass er sich an mich erinnerte.
In diesem Moment drängte ein weiteres Bandmitglied heran, das ich glaubte an der Bassgitarre gesehen zu haben. Es war ein durchtrainierter Kerl, der sich seine verschwitzten braunen Haare aus dem Gesicht strich.
»Brad Mayfield.« Er nickte mir zu und grinste meinen Vater an. »Danke für unser erstes Groupie, Chief!«
Dad holte zu einer Ohrfeige aus und Brad ging in Deckung.
»Sean Pitt. Ich bin der Drummer.« Sean trug trotz der Wärme eine Strickmütze auf seinen halblangen rotblonden Locken und sah mich misstrauisch an. »Wir sind mitten in der Arbeit für unser erstes Album, Chief«, bemerkte er mit vorwurfsvollem Unterton und es war offensichtlich, dass er mich für eine unwillkommene Ablenkung hielt.
Ich warf Dad einen verunsicherten Blick zu, doch er brummte nur beruhigend und schlug Sean freundschaftlich auf die Schulter. Selbst als dieser seine Drumsticks in die Ecke feuerte, blieb Dad gelassen und sagte an mich gewandt: »Darf ich dir Morris Kyle vorstellen? Er ist die Stimme von Burnside Close.«
Ich wandte mich um und da stand Morris. Er erwischte mich eiskalt.
»Hi«, begrüßte er mich und streckte mir die Hand hin.
Ich ergriff sie und die kurze Berührung brachte mir eine Gänsehaut ein. Er war einen Kopf größer als ich. Sein Kinn war markant, seine Augen dunkel wie die eines Schwarzbären. Bunte Tattoos zogen sich über seine sehnigen Arme und seine Handgelenke zierten schwere Lederarmbänder. Als ich nichts erwiderte, strich er sich seine schulterlangen dunkelblonden Haare hinter die Ohren, bevor er die Hände in den Hosentaschen vergrub.
»Hi«, krächzte ich und wäre am liebsten im Erdboden versunken. Alles flatterte. Mein Magen, meine Augenlider. Ich bekam kein Wort mehr heraus.
»Al spricht britisches Englisch, aber sie versteht uns«, scherzte Dad und ich hörte Gelächter, während ich Morris anstarrte. Dieser senkte kurz den Kopf, hob ihn dann wieder und lächelte mich an. Das Blut rauschte in meinen Ohren.
Ich hatte Erfahrungen mit Jungs. Wer hatte das nicht mit siebzehn? Als Junior auf dem College schmachtete man die Seniors an und als Senior die Studenten. Man verliebte sich, man entliebte sich, man litt und heulte und am Ende begann man wieder von vorne. Doch nichts, absolut nichts, hatte mich darauf vorbereitet, wie es war, wenn man vom Blitz getroffen wurde. Morris war der Blitz. Und ich der wehrlose Baum. Ich sah ihn an und fragte mich, ob er spürte, dass ich gerade in Flammen aufging. Meine Gesichtsfarbe gab bestimmt Aufschluss darüber.
»Räumt auf, Jungs! Wir haben uns einen schönen Abend verdient. Es ist der vierte Juli, lasst uns den amerikanischen Unabhängigkeitstag feiern!« Dad tätschelte mir den Rücken und beugte sich vor, um nach seiner Lederjacke zu greifen. »Komm, Al!«
Ich versuchte, nicht zu schwanken. Morris sah mir nach und auch ich ließ ihn nicht aus den Augen. Erst als wir an der Tür ankamen, drehte er sich um und schlenderte zurück zu den Instrumenten. Wie in Trance folgte ich meinem Vater durch die verworrenen Gänge in Richtung Ausgang. Das Gebäude machte mir auf einmal keine Angst mehr.
»Tolle Jungs, was?« Dad trat hinter mir ins Freie. Mein Herz klopfte. Sechs Wochen waren eine lange Zeit. Sie musste ausreichen, um Morris kennenzulernen. Ich lehnte meinen Kopf an Dads Schulter und seufzte.
»Müde, Al?« Er sah mich an und ich konnte mir ein Gähnen nicht verkneifen. »Möchtest du, dass wir nach Hause fahren?«
Ich verneinte, obwohl ich mich tatsächlich erschöpft fühlte. Meine Zimmergenossinnen und ich hatten die halbe Nacht geredet, heimlich geraucht und einige Alcopops gezwitschert. Wir sahen uns zwei Monate nicht, was eine ausgiebige Verabschiedung erforderlich gemacht hatte. Diese Feier, der lange Flug und die Zeitverschiebung hätten mich Dads Vorschlag normalerweise dankbar annehmen lassen. Aber die Umstände hatten sich geändert.
»Mir geht’s prima«, versicherte ich und rutschte neben ihn auf den Beifahrersitz.
»Das freut mich.« Dad startete den Motor und fuhr rückwärts aus der Parklücke.
Durch das abgedunkelte Fenster sah ich, dass Morris mit den anderen aus dem Gebäude trat und zu uns hinübersah. Mein Herz schlug noch einige Takte schneller. Am liebsten hätte ich Dad mit Fragen über den Leadsänger seiner Band gelöchert, doch ich schwieg. Ich wollte meine Begeisterung nicht zu offensichtlich kundtun. Mein Vater besaß ohnehin einen siebten Sinn für meine Stimmungen. Es war besser, ihm keine zusätzliche Fährte zu legen.
Als wir eine Dreiviertelstunde später bei Dads Kumpel Stuffy ankamen, verschlug es mir die Sprache. Die Party fand in einem lang gestreckten Gebäude statt, das wie eine Lagerhalle anmutete. Bereits vor dem Eingang hörte man das Wummern der Bässe und das Kreischen der E-Gitarren. Eine Frau in einem tief ausgeschnittenen Kleid öffnete uns die Tür, küsste Dad auf die Wangen und musterte mich ungeniert. Sie wies uns den Weg und wir stiegen eine eiserne Treppe in die erste Etage hinauf. Je weiter wir nach oben kamen, desto ohrenbetäubender wurde die Musik. Am Treppenende blieb ich wie angewurzelt stehen.
Hier bist du fehl am Platz, junge Lady, hörte ich die Stimme meiner Mutter und bemühte mich, den Mund zu schließen. Ich kam mir vor, als wäre ich in einem Musikvideo gelandet. Ungläubig sah ich mich um.
Die Mitte des weitläufigen Raumes wurde von einem elektrischen Bullen eingenommen, auf dem zwei Bikini-Schönheiten saßen, die sich dem Rhythmus des wilden Ritts hingaben. Eingerahmt wurde das Gerät von weißen Ledersofas, auf denen sich die Gäste räkelten. Ich glaubte, das eine oder andere prominente Gesicht unter ihnen zu erkennen, kam aber nicht dazu, mich darauf zu konzentrieren, weil es so viel mehr zu entdecken gab. An den Wänden hingen Bildschirme, die das passende Video zu den Songs abspielten, und als Raumteiler fungierten zu Pyramiden aufgestapelte Champagnerflaschen. Ich blinzelte in die Laserstrahlen, die durch den Raum flogen und wirre Muster an die Decke zauberten. Überall standen Leute beieinander, lachten und redeten und bemühten sich, den Lärmpegel der Musik zu übertönen. Halb nackte Frauen knutschten mit Typen in Lederjacken und Bikerstiefeln. An einem durchsichtigen Schlagzeugturm in der Ecke tobte sich ein langhaariger Drummer aus und Models mit perfekten Gesichtern und Figuren tranken Cocktails in grellen Farben.
»Ich gehe einige Freunde begrüßen. Bin gleich wieder da«, hörte ich Dad sagen, bevor er verschwand.
Nervös sah ich ihm hinterher. Wie konnte er mich einfach alleine lassen? Ich bahnte mir einen Weg durch die Gäste und stieß dabei gegen halb leere Whiskey- und Rumflaschen, die achtlos auf dem Boden lagen. Ich bemerkte eine Gruppe Feiernder, die sich an den mannshohen Kerzenleuchtern ihre Joints entzündeten und im Vorübergehen erkannte ich Reste eines weißen Pulvers auf einem der verspiegelten Stehtische. Ich schluckte und flüchtete mich in eine einsame Ecke. Es war zu viel. Wie jeder Teenager feierte ich gerne. Ich ließ es krachen, um meine Mutter zu provozieren und gegen die Enge meines Lebens in England anzukämpfen. Ich wollte cool sein, meinen Freunden in nichts nachstehen, doch das hier war eine andere Welt. Es war Dads Welt. Und diesen Teil davon kannte ich nicht.
Eine Zeit lang beobachtete ich das Treiben, hoffte, dass Dad zu mir zurückkam und fühlte mich immer unwohler. Ich sah an mir herunter, betrachtete meine Jeans und das alte T-Shirt und befand, dass ich völlig fehl am Platz wirkte. Ich war nicht Miami und ich war nicht London. Wer war ich eigentlich?
»Hi!« Plötzlich stand Morris neben mir. Er musste mich anbrüllen, damit ich ihn überhaupt bemerkte.
»Was für eine Party!« Er ließ den Blick schweifen. »Ich glaube, ich habe Duff McKagan gesehen. Unglaublich!«
Ich war so froh, ein bekanntes Gesicht auszumachen, dass ich übertrieben lachte und mit den Armen herumfuchtelte, weil ich nicht wusste, was ich sonst mit ihnen anstellen sollte.
Morris runzelte die Stirn. »Alles in Ordnung?«
»Na klar!« Ich verschränkte die Hände hinter dem Rücken und spürte, wie sich mein Gesicht verspannte. Hektisch blinzelnd rang ich nach weiteren Worten. Bestimmt sah man mir an, dass ich niemals zuvor auf einer Party wie dieser gewesen war.
»Wo ist der Chief?«
Ich zuckte mit den Schultern.
»Komm mit, wir gehen irgendwohin, wo es ruhiger ist. Du siehst ein wenig verstört aus.« Er nahm wie selbstverständlich meine Hand und zog mich mit sich. Ich folgte ihm. Es war mir egal, wohin er mich brachte, Hauptsache, ich entkam dieser Party-Überdosis.
Geschickt manövrierte er uns durch die Menschenmenge, schlug Brad auf den Rücken, der mit einer Blondine knutschte, und deutete schließlich auf eine Wendeltreppe, die nach oben führte. Ich ging voran und gelangte ins Freie. Eine riesige Dachterrasse tat sich vor uns auf, die mit weißen Sitzsäcken und bunten Partylichtern geschmückt war. Nur wenige Gäste hatten bisher den Weg hinauf gefunden und ich war dankbar, das Getümmel hinter mir zu lassen.
»Besser?« Morris sah mich an, als wir uns gegen das Geländer lehnten.
»Ja, danke. Viel besser.«
»Ob du’s glaubst oder nicht, aber auf so einer Party war ich auch noch nie.«
»Ehrlich?«
Mein offenkundiges Erstaunen brachte ihn zum Lachen. »Im Ernst! Der Chief hält uns an der kurzen Leine.«
Ich atmete tief durch und wusste nicht, was ich von diesem Teil von Dads Leben halten sollte.
»Er ist nicht so«, sagte Morris.
»Was meinst du?«
»Dein Dad. Er ist nicht so ein Typ.«
»Was für ein Typ ist er denn deiner Meinung nach?«
»Er ist auf seine Art verantwortungsbewusst. Er ist immer ehrlich zu uns, passt auf uns auf und setzt sich für uns ein. Ich glaube, er knüpft hier nur Kontakte, das ist alles. Du solltest nicht schlecht über ihn denken.«
Ich wollte protestieren, aber dann wurde mir bewusst, dass Morris mich bereits durchschaut hatte. Das war ein verwirrender Gedanke. Ich sah zu Boden.
»Du kannst stolz darauf sein, einen Dad wie ihn zu haben«, hörte ich seine Stimme.
Ich nickte und wusste nicht, was ich darauf erwidern sollte. Was war nur los mit mir? Normalerweise war ich nicht gerade auf den Mund gefallen.
In diesem Moment erschienen die anderen Bandmitglieder, allen voran Matt.
»Hey, ya«, rief er und drückte Morris und mir jeweils eine Dose Bier in die Hand. »Wartet ihr auf das Feuerwerk?«
»Ja«, antworteten Morris und ich wie aus einem Mund.
Ich lief rot an und war froh, dass Brad lachend herandrängte. An seinem Arm hing die Blondine von vorhin. Sie war aufgedreht und sprang so heftig auf und ab, dass ihre üppige Oberweite beinahe ihr silbernes Paillettentop zu sprengen drohte.
»Hi, ich bin Stacy«, quietschte sie und gab Brad einen intensiven Zungenkuss.
Ich hielt mir spontan eine Hand vor den Mund, um nicht laut loszuprusten, und fing dabei Matts amüsierten Blick auf. Neben ihm kippte Sean mit ausdruckslosem Gesicht sein Getränk hinunter.
»Cheers!« Morris stieß mit mir an.
Ich war froh über die Ablenkung und nahm einen großen Schluck. Die ganze Situation kam mir unwirklich vor. Heute Morgen war ich noch in England gewesen, hatte mein Abschlusszeugnis entgegengenommen und Tee geschlürft und nun stand ich auf einer wahnsinnigen Party und trank Bier mit den Mitgliedern einer Rockband.
»Du weißt, wie man feiert, was?« Matt stieß mich belustigt in die Seite. Ich fühlte mich ertappt und setzte rasch die Dose ab. Er schmunzelte über meine Reaktion.
»Darf ich fragen, woher du deinen Namen hast? Almond ist nicht gerade alltäglich.«
»Meine Eltern hatten diese großartige Idee«, erwiderte ich. »Vielleicht waren sie betrunken, als er ihnen einfiel.«
Morris’ Arm berührte aus Versehen den meinen und ich war bemüht, ihn nicht anzustarren.
»Mir gefällt der Name«, sagte Matt und betrachtete mich interessiert. »Seit wann sind deine Eltern denn geschieden?«
»Seit zehn Jahren.«
»Das tut mir leid.«
»Sie sind sehr verschieden«, erklärte ich und bemühte mich um einen neutralen Gesichtsausdruck.
Matt nickte. Dann begrüßte er einige Leute, die an ihm vorbeigingen.
»Wenn sie sich auf einen so außergewöhnlichen Namen einigen konnten, scheinen sie nicht so verschieden zu sein«, bemerkte Morris neben mir.
Unsere Blicke begegneten sich erneut und ich staunte. Dieser Gedanke war mir noch nie gekommen. Es war seltsam, wie feinfühlig Morris war. Wir kannten uns schließlich kaum.
»Cheers!« Ich hob ein weiteres Mal meine Dose, um mit den anderen anzustoßen. Morris’ Nähe und meine intensiven Gefühle für ihn brachten mich ganz durcheinander.
Matt lachte. »Ganz der Vater! Das werden ja aufregende sechs Wochen.«
»Das will ich hoffen.« Dad tauchte auf einmal hinter Matt auf und nahm ihn in den Schwitzkasten. Sie rangelten miteinander, dann ließ Dad ihn los und wandte sich mir zu.
»Amüsierst du dich?«, fragte er mit besorgtem Unterton.
Ich grinste, ging zu meinem Vater und hielt ihm mein Bier unter die Nase. »Ich weiß wie man feiert, Dad«, lallte ich gespielt und quietschte, als er mich ebenso packte wie zuvor Matt.
Ich deutete eine Reihe Boxschläge gegen ihn an und er drückte mir einen Kuss auf die Stirn. Dabei roch ich, dass er keinen Alkohol getrunken hatte. Ich war erleichtert. Vielleicht hatte Morris doch recht gehabt. Vorsichtig sah ich zu ihm hinüber. Es war, als hätte er nur darauf gewartet und zwinkerte mir zu. Mein Herz tat einen Sprung.
Es fiel mir schwer, mich auf die nachfolgenden Gespräche zu konzentrieren. Dad berichtete von seinen neuen Kontakten und die Jungs lauschten gespannt. Dann ging es um belanglosere Dinge und wir lachten und scherzten, bis um Mitternacht das Feuerwerk losging und sich die Dachterrasse bis zum Bersten mit Gästen füllte. Als die ersten Raketen emporstiegen, legte Dad beschützend seinen Arm um mich und ich kuschelte mich zufrieden an ihn. Der Nachthimmel erstrahlte in einem Meer aus rot-weiß-blauen Sternschnuppen und ich johlte mit den anderen. Bis mein Blick zu Morris wanderte. Er sah nicht nach oben, sondern er sah mich an. Das Feuerwerk spiegelte sich in seinen Augen und mein Herz schien plötzlich mitsamt den Raketen am Himmel zu explodieren.
Da wusste ich es. Ich hatte mich verliebt! Unverhofft, mit aller Macht und mit allen Konsequenzen.
Chapter 2
The wings of loneliness carry me away from you
(Burnside Close, »Wings Of Loneliness«)
Die Leute jubelten und ich fiel in ihre Anfeuerungsrufe mit ein. Der Club in Orlando war bis auf den letzten Platz besetzt. Kurz vor dem Auftritt hatte ich noch mit den Jungs im Hinterhof eine Zigarette geraucht und nun befand ich mich inmitten der tobenden Menge, um die Live-Premiere ihres ersten Albums mitzuerleben. Obwohl sie erst am Anfang ihrer Karriere standen, hatten Burnside Close bereits eine kleine Fangemeinde, die es kaum erwarten konnte, die neuen Songs zu hören.
Ich ließ mich von der ausgelassenen Stimmung anstecken und klatschte, um die Jungs auf die Bühne zu locken. Es war aufregend, sie endlich einmal vor Publikum und nicht im Übungsraum zu erleben.
Die Fertigstellung des Albums war harte Arbeit gewesen und ich hatte gestaunt, wie viele Nächte sich die Band um die Ohren geschlagen hatte, um die Songs einzusingen, die Instrumente einzuspielen und alles optimal aufeinander abzustimmen.
Ich hatte Dad schon mit einigen Bands erlebt, aber diese absolute Hingabe sah ich bei ihm zum ersten Mal. Des Öfteren erwachte ich zwischen Lederjacken und schmutzigen Kaffeebechern, nur um festzustellen, dass wir wieder einmal nicht nach Hause fahren würden, um zu schlafen. Freilich erzählte ich meiner Mutter nie etwas davon, wenn wir miteinander telefonierten. Ich wollte Dad schützen, denn ich bewunderte ihn und jedes einzelne Bandmitglied für die Ausdauer und pure Leidenschaft für die Musik. Die Sonne Floridas bekam ich nur selten zu Gesicht, verbrachte ich doch die meiste Zeit im Studio. Es war sicher nicht der Urlaub, den ich mir vorgestellt hatte, aber ich vermisste nichts. Dads Arbeit zog mich bald vollständig in ihren Bann.
Als Burnside Close endlich auf die Bühne kam, verstummten die Fans und ich hielt den Atem an. Die ersten Takte von Silent Storm erklangen und frenetischer Jubel setzte ein. Ich jauchzte und konnte meinen Blick nicht von Morris abwenden. Es erfüllte mich mit Stolz, dass ich ihn besser kannte als die meisten um mich herum. Auch wenn in den letzten fünf Wochen zu meinem großen Bedauern nichts zwischen uns geschehen war. Das enorme Arbeitspensum ließ keinen Raum für Freizeitaktivitäten. Obwohl ich darüber zunächst betrübt war, entdeckte ich rasch, dass es Spaß machte, mit den Jungs abzuhängen. Es war lehrreich, sie über Musik reden zu hören. Anfangs verstand ich nicht viel, aber ich hörte zu, lernte und wurde mit der Zeit Teil ihrer verschworenen Gemeinschaft. Selbst Sean legte sein Misstrauen mir gegenüber ab und oft saßen wir morgens um vier mit Augenrändern so dick wie Stahlseile um einen Tisch herum, auf dem sich der Müll des Tages häufte, aßen Reste kalter Pizza und führten die Art von Gesprächen über das Leben, die man nur im übermüdeten Zustand kurz vor Sonnenaufgang führen konnte. Nie hatte ich mich lebendiger gefühlt.
Und doch lastete der Abschied auf mir und wurde jeden Tag schwerer. Mir blieb nur noch eine Woche. Eine Woche mit Dad. Eine Woche mit Burnside Close. Eine Woche mit Morris. Ich hatte meine Mutter bereits um Verlängerung gebeten, aber sie hatte abgelehnt. Sie bestand darauf, mit mir nach Cornwall zu Verwandten zu fahren.
Mir graute davor, meine alte Welt wieder zu betreten. Sie war bedeutungslos im Vergleich zu dem, was ich in Florida erlebt hatte. Mein Innerstes rebellierte gegen meine Heimkehr. Die Vorstellung, mein gewohntes Leben weiterzuführen, ließ Übelkeit in mir aufsteigen. Alles, was ich wollte, war hier. Dad war hier. Und natürlich Morris, der mir so wichtig geworden war, dass es schmerzte, wenn ich daran dachte, ihn verlassen zu müssen.
Ich bewunderte Morris. Er lebte, was er sich erträumte. Er sang mit einer Intensität, die mir Gänsehaut bereitete und schrieb gemeinsam mit Matt Songs, die ich einfach wundervoll fand. Er besaß eine einzigartige Begabung und ich wusste, dass die Band am Anfang von etwas ganz Großem stand. Doch ich würde nicht dabei sein können, ihre Entwicklung verpassen. Ich musste studieren und mich den Regeln meiner Mutter unterwerfen. Für mich fühlte es sich an, als stutze man mir die Flügel, die mir gerade erst gewachsen waren.
Ich sah Dad an und rief spontan: »Lass mich hierbleiben, Dad, bitte!«
Er blinzelte verdutzt. »Deine Mutter hat das Sorgerecht.« Hilflos strich er mir über die Wange. »Wir sehen uns doch bald wieder. Weihnachten besuchst du Granny und mich in München.«
Ich nickte und bekam ein schlechtes Gewissen. Es war Morris, den ich nicht verlassen wollte, aber das konnte ich meinem Vater nicht anvertrauen. Meine nächsten Ferien standen erst im Herbst an. Das erschien mir wie eine Ewigkeit. Bis dahin würde Burnside Close viele Konzerte geben und Morris unzählige weibliche Fans kennenlernen. Der Gedanke schmerzte. Wehmütig verfolgte ich jede seiner Bewegungen auf der Bühne.
Wir hatten viel geredet und ich spürte, dass er mich mochte, obwohl er keinerlei Annäherungsversuche gemacht hatte. Mir lief die Zeit davon. Ich wollte nicht nach Hause fahren, ohne ihn wenigstens einmal geküsst zu haben. Wie konnte es sein, dass wir fünf Wochen hatten verstreichen lassen?
»Wow!« Dad riss die Arme hoch und bejubelte Matts Gitarrensolo. Die Jungs machten sich gut. Bereits nach dem ersten Lied hatten sie den Club im Griff.
Ich bemühte mich, der Musik mehr Aufmerksamkeit zu schenken und verlor mich schließlich in ihr. Gemeinsam mit Dad sang ich jeden Song mit und genoss die Begeisterung, die die Fans Burnside Close entgegenbrachten.
Gegen Ende des Konzerts schnappte sich Morris einen Stuhl und performte die wundervolle Ballade Wings of Loneliness. Dabei saß er allein auf der Bühne und begleitete sich selbst mit seiner Gitarre. Ich schmolz dahin. Er war erstaunlich gut, die Fans wirkten beinahe verzaubert. Beim Refrain hob Morris den Kopf und sah genau in meine Richtung. Mir wurde heiß und kalt.
The wings of loneliness carry me away from you, sang er und mir wurde plötzlich bewusst, wie viel Bedeutung in den Zeilen dieses Songs lag.
»Sie haben’s gerockt!« Am Ende des Liedes sah ich meinen Vater beide Daumen in die Höhe strecken und fragte mich, ob Morris mich wirklich angesehen hatte. Oder ob er im Scheinwerferlicht überhaupt einzelne Personen im Publikum ausmachen konnte.
Ohne dass ich es wollte, schossen mir Tränen in die Augen. Sich zu verlieben war etwas Wunderbares, aber die Zweifel und das Warten darauf, dass diese Gefühle erwidert wurden, brachten mich völlig aus dem Konzept. Jagte ich womöglich einem Hirngespinst hinter? Der Gedanke verunsicherte mich.
Die Menge jubelte und ich war froh, dass niemand meinen ungewollten Gefühlsausbruch bemerkte. Rasch blinzelte ich die Tränen fort.
Nach der dritten Zugabe drängten Dad und ich hinaus und verschwanden über einen Seiteneingang hinter der Bühne, wo wir Burnside Close in die Arme fielen. Matt tanzte ausgelassen mit mir und Dad reichte eine Flasche Whiskey reihum. Mein Magen brannte von dem harten Getränk, aber es beruhigte meine Nerven. Als ich dabei war, einen zweiten Schluck zu nehmen, schlug Dad mir jedoch auf den Hinterkopf.
»Genug«, brummte er.
Ich wollte protestieren, doch in diesem Moment vollführte Brad einen waghalsigen Sprung von einem der Sofas auf den Rücken meines Vaters und beide gingen zu Boden. Alle lachten und redeten durcheinander. Den Jungs war die Euphorie über ihren gelungenen Auftritt anzumerken. Sie standen völlig unter Strom.
»Chief!« Matt nahm mich in den Schwitzkasten und ich knurrte. »Lass uns mit dieser kleinen Raubkatze ein wenig um die Häuser ziehen.«
Dad schüttelte den Kopf. »Ich habe keine Zeit. Ich treffe mich mit einem Vertreter der WWE, den ich auf Stuffys Party kennengelernt habe. Vielleicht kann ich einen Song bei den Kämpfen unterbringen.«
»Was ist WWE?«, fragte ich und blies mir die Haare aus dem Gesicht.
»World Wrestling Entertainment. Viele bekannte Wrestler suchen sich für die Saison Eröffnungshymnen aus. Keine schlechte Werbung, bei den Zuschauerzahlen.« Morris stellte sich neben uns.
Matt ließ mich los. »Nur ein paar Stunden«, bettelte er.
»Ohne mich geht Al nirgends hin.«
»Komm schon, Dad!« Ich ließ nicht locker und klimperte mit den Wimpern. Die Jungs grinsten. Selbst Dad konnte sich ein Schmunzeln nicht verkneifen.
»Du bist nicht einundzwanzig und darfst deshalb in den USA weder Alkohol trinken noch in eine Bar gehen«, erklärte er in pflichtbewusstem Tonfall, der nicht zu ihm passen wollte.
»Wir kennen den Barkeeper. Er war mal Polizist. Ich meine, damit stehen wir ja quasi unter Beaufsichtigung«, warf Sean ein und das Grinsen der anderen wurde stetig breiter. Ich setzte nun meinen Dackelblick ein, mit dem ich normalerweise immer Erfolg hatte.
Dad kapitulierte. »In Ordnung, Al, geh mit diesen gottlosen Jungs zum Feiern. Aber …«, seine herrische Handbewegung stoppte den aufkeimenden Jubel, »… wenn ihr sie mir betrunken nach Hause bringt oder ich sie vom Polizeirevier abholen muss, dann war ich die längste Zeit euer Manager und ihr könnt euch schon mal einen schweren Stein aussuchen, mit dem ich euch in den Everglades versenken werde!«
Sein Blick heftete sich auf jeden einzelnen von uns. Alle versuchten, ernst dreinzublicken, aber mein Grinsen kehrte als erstes zurück.
»Ich bin deine Tochter, Dad. Ich würde doch nie etwas trinken.«
Totenstille legte sich über den Raum, bevor Dad losprustete und uns hinausscheuchte. Gerade als die Tür hinter uns ins Schloss fiel, hörte ich noch die leere Whiskeyflasche an der Wand neben uns abprallen. Ich konnte gar nicht mehr aufhören zu lachen.
Es war ein milder Abend und wir sprangen ausgelassen über die Straße. Vor Brads altem GMC Van wartete bereits Stacy mit einigen Freundinnen und diversen Kumpels, die lässig begrüßt wurden. Wir zwängten uns alle in den Transporter und ich landete auf Matts Schoß. Er legte sein Kinn wie selbstverständlich auf meine Schulter und philosophierte mit den anderen über den Gig. Sie analysierten verschiedene Passagen, überlegten, ob sie diese in Zukunft schneller oder gemäßigter spielen sollten, lästerten über einen verpatzten Einsatz von Morris und ärgerten Sean wegen seines verkniffenen Gesichtsausdrucks, den er bei einem Trommelsolo gezeigt hatte.
Ich suchte Morris’ Blick und fand ihn prompt. Zwei von Stacys Freundinnen bemühten sich um seine Aufmerksamkeit, doch er ignorierte sie und lächelte mir zu. Ich erwiderte sein Lächeln und wünschte mir, mit ihm alleine zu sein.
Die Bar, in der wir bald darauf landeten, war bis zum Bersten gefüllt. Fans und Freunde applaudierten, als wir eintraten und sofort wurden Getränke über die Köpfe der Anwesenden gereicht. Abgedrängt fand ich mich nach einer Weile zwischen lauter Fremden wieder, die sich bemühten, mit Burnside Close ins Gespräch zu kommen. Ich betrachtete das Geschehen aus der Ferne, fühlte mich ausgeschlossen und bereute rasch, mitgekommen zu sein. Ein Typ mit Glatze drückte mir irgendwann ein leeres Glas in die Hand, weil er dachte, ich sei die Bedienung. Da hatte ich genug. Ich beschloss, ein Taxi zu nehmen und zu Dad ins Hotel zu fahren. Doch kaum drehte ich mich um, stand ich Matt gegenüber.
»Al!« Er schüttelte lachend den Kopf. »Bitte sag mir, dass du dieses Zeug nicht getrunken hast.«
Ich schnupperte an dem Glas und verzog angewidert das Gesicht. »Nein, keine Sorge. So verzweifelt bin ich noch nicht.«
»Brav!« Matt nahm es mir ab, legte mir den Arm um die Schultern und dirigierte mich durch den überfüllten Raum.
»Hey, da ist ja unser Glücksbringer.« Sean hob einen gut gefüllten Becher in die Höhe und wollte mit mir anstoßen, aber Matt zog mahnend eine seiner gepiercten Augenbrauen nach oben.
»Na klar ist das Alkohol, Mann!«, rief Sean empört. »Keine anständige Rockband hat ihre Konzerte je mit Wasser gefeiert.«
»Hier.« Matt reichte mir sein Bier und schirmte mich vor den Blicken der Umstehenden ab. Ich grinste und stieß mit Sean an. Kaum hatte ich getrunken, drängte Brad heran.
»Babe, du bist die Beste!« Er küsste mich mitten auf den Mund und ich ließ vor Schreck beinahe Matts Bier fallen.
»Party!« Stacys schrille Stimme an seiner Seite war unüberhörbar. Lasziv sprang sie um uns herum und ermunterte uns, mitzutanzen.
Der Trubel nahm zu, die Musik wurde lauter, die Stimmung heißer. Bald wusste ich nicht mehr, mit wem ich redete oder wessen Bier ich gerade trank. Ich war die Band. Ich war ihr Glücksbringer. Ich fühlte mich großartig. Die Zeit verschwamm zwischen all den Menschen und ich tanzte, als gäbe es kein Morgen.
Irgendwann wirbelte ich herum und stand vor Morris. Seine Augen waren glasig und ich hielt mich instinktiv an ihm fest, um nicht umzufallen. Vorsichtig zog er mich zu sich heran. Ich spürte die Hitze seines Körpers. Er senkte den Kopf und ich dachte, er wollte mich küssen, doch er drückte nur seine Wange gegen die meine, während er mir ins Ohr flüsterte: »Dein Dad hat mir angedroht, mich zu Hackfleisch zu verarbeiten und meine Seele zu verfluchen, wenn ich dich anfasse, aber ich fürchte, ich kann mein Versprechen nicht halten.«
Ich stellte mir nicht die Frage, warum Dad das getan hatte, sondern hielt den Atem an. Morris war da. Er war bei mir. Fünf Wochen hatte ich mich danach gesehnt und nun glaubte ich, meine Knie würden unter mir nachgeben. Seine Hand wanderte über meinen Rücken und er zog mich noch enger zu sich heran. Träge bewegten wir uns im Takt der Musik. Mein Magen kribbelte. Ich spürte die Muskeln seiner Oberarme und roch die Zigaretten, die er heute bereits geraucht hatte. Er war all das, was meine Mutter verabscheute, doch ich war verrückt nach ihm.
Sein Körper drängte gegen den meinen und ich genoss es, dass er mich in die Richtung dirigierte, in die er mich haben wollte. Raus aus dem Trubel, an den Rand der Tanzfläche, an den Tischen vorbei und in eine Nische der Bar, wo kaum Licht hinfiel. Der Lärm um uns herum verschwand und für einen Moment spürte ich die kalte Wand in meinem Rücken, bevor ich nur noch ihn spürte. Er lehnte sich gegen mich und griff meinen Kopf mit beiden Händen. Dann küsste er mich. Endlich.
Er schmeckte nach Bier und Nikotin, nach harter Musik und salzigem Schweiß. Er schmeckte nach Rock’ n’ Roll. Seine Zunge liebkoste mich und mein Körper stand in Flammen. Kein Junge, den ich je zuvor geküsst hatte, hatte diese Gefühle in mir freigesetzt. Seine Berührungen waren bestimmt und mir wurde bewusst, dass er kein Junge mehr war. Er war ein Mann.
Ich war dabei, mich völlig zu verlieren, als plötzlich Matt neben uns auftauchte. Sein Blick war undurchdringlich. Ich blinzelte und merkte, dass sich meine Hände in Morris’ T-Shirt krallten. Rasch lockerte ich meinen Griff. Morris wich keinen Zentimeter von mir.
»Zeit zu gehen, Mann.« Matt schlug ihm auf die Schulter, bevor er sich abwandte. Ich realisierte, dass keine Musik mehr zu hören war.
»Sperrstunde.« Morris umfasste meine Hände und küsste mich erneut. Dann zog er mich mit sich.
Mir war, als könnte ich keinen klaren Gedanken mehr fassen. Unsicher stolperte ich hinter Morris her. Als er abrupt stehen blieb, lief ich ungebremst in ihn hinein. Er fing mich auf und lächelte.
»Triff mich nachher am Hotelpool«, flüsterte er mir zu. Ich nickte und folgte ihm zu Brads Van.
Die Heimfahrt im Transporter bekam ich nur vage mit. Ich saß auf Morris’ Schoß und spürte seine Hand, die zart meinen Unterarm streichelte, während er mit den anderen lachte und redete, als hätte sich nichts verändert. Doch für mich hatte sich alles verändert. Jeder Nerv meines Körpers schien explodiert zu sein und schrie nach Erlösung. Ich wollte Morris so sehr und ich wusste, die Zeit spielte gegen mich. Hilflosigkeit machte sich in mir breit, denn ich erkannte, dass ich nicht Herr über mein Leben war. Noch bestimmte meine Mutter, was ich zu tun und zu lassen hatte. Ich wurde wütend, weil das Schicksal so grausam zu mir war. Es zeigte mir meine große Liebe in einem Moment, in dem ich sie nicht halten konnte.
Vor dem Hotel stieg ich aus dem Transporter. »Bis gleich«, raunte Morris mir zu und ich lief zu dem Zimmer, das ich mit Dad teilte.
Wir wohnten in einem einfachen Motel an der Hauptverkehrsstraße. Die Zimmer gingen nach hinten in einen Park hinaus und der Pool befand sich laut Plan, der im Fahrstuhl aushing, auf dem Dach. Ich wusste nicht, wann Morris mich dort treffen wollte, deshalb entschied ich, nachzusehen, ob Dad noch wach war. Kaum hatte ich aufgeschlossen, hörte ich auch schon sein sonores Schnarchen. Ich machte ein wenig Lärm und ging ins Bad, um mir die Zähne zu putzen. Dann zerwühlte ich mein Bett. Aus Dads Richtung kam keinerlei Reaktion und so schlich ich mich schließlich wieder hinaus und zog die Tür sachte hinter mir ins Schloss. Alles war ruhig. In der Ferne war eine Polizeisirene zu hören, doch der Verkehr hielt sich um diese Zeit in Grenzen. Ich schlenderte zurück zum Fahrstuhl und fuhr in das oberste Stockwerk. Kaum war ich ausgestiegen, hörte ich leise Gitarrenklänge. Neugierig bog ich um die Ecke und sah ihn.
Morris saß am Rand des beleuchteten Pools und spielte mit geschlossenen Augen auf einer Akustikgitarre. Ich blieb stehen, um ihn zu beobachten. Er berührte das Instrument so zärtlich, dass ich mir wünschte, ich sei die Gitarre. Als er mich bemerkte, setzte er zu einem dramatischen Akkord an, bevor er mit der eingängigen Melodie fortfuhr. Ich ließ mich mit gekreuzten Beinen neben ihm nieder und fuhr mit der Hand durch das kühle Wasser.
»Was ist das für ein Song?«
Morris antwortete nicht sofort. Er war in dem Lied gefangen und ich spürte, dass die Spannung, die vorher zwischen uns geherrscht hatte, abgeklungen war. Enttäuschung machte sich in mir breit.
»Dusk Tales«, erwiderte er endlich und sah mich an. »Ich komponiere gerne ruhigere Stücke. Eigentlich bin ich ein absoluter Jazz-Fan, aber das wissen nur die Wenigsten. Wenn es irgendwann einmal klappen sollte, werde ich ein Soloalbum mit all den Liedern rausbringen, die von den Momenten in meinem Leben handeln, die mich geprägt haben.«
Ich nickte und wünschte mir, dass dieser Abend ebenfalls ein prägender Moment in seinem Leben sein würde. Morris studierte mein Gesicht. »Spielst du ein Instrument?«, wollte er wissen.
»Nein.« Ich schüttelte den Kopf. »Ich bin nur gut darin, mir die Musik anzuhören, die die Instrumente hervorbringen.«
»Dein Dad sagt, du hättest sein Talent geerbt. Du bemerkst Dinge in einem Song, die anderen entgehen.«
»Sagt er das?« Ich fühlte mich geschmeichelt.
Morris lächelte. »Ja, das sagt er. Er hält große Stücke auf dich. Was hast du in meinem Lied gehört?«
»Hm.« Die Frage verunsicherte mich, weil ich mit meinen Gedanken ganz woanders gewesen war. Trotzdem wollte ich sie nicht unbeantwortet lassen: »Das Akustik-Intro klingt ruhig, fast schwermütig. Dann ändert sich das Tempo und die Intensität des Songs nimmt zu. Die Melodie wird emotionaler, bevor sich das Ganze zu einem Epos ausweitet und den Refrain in eine andere, sehr bedrückende Tonlage zieht …« Ich stockte, denn Morris hob eine Augenbraue und ich wusste nicht, was das zu bedeuten hatte.
»Wow«, murmelte er beeindruckt. »Du hast es auf den Punkt gebracht. Genau das wollte ich beim Hörer erreichen. Dusk Tales handelt von meiner toten Schwester. Sie starb mit nur wenigen Monaten am plötzlichen Kindstod. Ich war eifersüchtig, als sie auf die Welt kam, aber als sie wieder ging, da war es, als nehme sie ein Stück von mir mit. Meine Eltern konnten ihren Tod nicht verarbeiten und ließen sich bald darauf scheiden. Da war ich neun Jahre alt.«
Er schlug weitere Akkorde an. Friedlich hallten sie in den Nachthimmel über uns, während das Licht des Pools unruhige Schatten auf Morris’ unrasiertes Gesicht warf.
»A taste of peace«, erklärte er die Melodie. »Diesen Song habe ich geschrieben, als meine Mutter wieder geheiratet hat. Ich mag meinen Stiefvater. Er ist ein guter Kerl.«
Ich lauschte dem Text sowie Morris’ klarer, tiefer Stimme und fragte mich, warum wir nicht dort weitermachen konnten, wo wir vor mehr als einer Stunde aufgehört hatten. Endlich ließ er die Saiten verklingen, stützte sich auf seiner Gitarre ab und sah in die Ferne.
»War es schon immer dein Traum, Musiker zu werden?«, wollte ich wissen, um seine Aufmerksamkeit zurückzuerlangen.
»Ja.« Er nickte. »Musik ist mein Leben. Ich weiß nicht, wann es anfing, aber ich atme sie. Während der Schulzeit habe ich mir mein Geld als Gitarrenlehrer verdient. Später habe ich in einigen Bands gespielt, doch erst jetzt, mit Burnside Close, weiß ich, was es heißt, richtige Musik zu machen. Matt und ich sind ein gutes Team. Durch ihn habe ich das Komponieren gelernt. Viele Songs auf unserem Album entstanden wie ein Puzzle. Wir liefern nur selten komplette Ideen ab, sondern sammeln Teilstücke. Wenn wir unabhängig voneinander unterwegs sind, archivieren wir unsere Einfälle und fügen dann alles zusammen. Oft sprudeln Töne und Melodien einfach aus uns heraus und man erreicht gemeinsam ein Level, das man sich vorher nicht vorstellen konnte. Das ist immer ein sehr aufregender Prozess. Man weiß nie, was am Ende dabei rauskommt. Musik ist nicht planbar, ebenso wenig wie das Leben.«
Ich war fasziniert von seinen einfühlsamen Worten. Niemals zuvor hatte ich jemanden derart über Musik reden hören.
»Du lebst also deinen Traum«, stellte ich fest.
»Vermutlich ist es mehr als ein Traum. Irgendwie sehe ich es als meine Bestimmung an. Was sind deine Träume?«
Mir fielen auf Anhieb sehr viele ein, die nur mit ihm zusammenhingen. Stattdessen antwortete ich: »Irgendwann möchte ich mit dem Rucksack um die Welt reisen.«
»Im Ernst?«
»Ja, ich stelle es mir als die ganz große Freiheit vor. Ein einziges, wunderbares Abenteuer.«
»Dann wirst du es tun müssen. Ich fühle mich frei, wenn ich ehrliche Musik machen kann. Dein Vater war der Erste, der das erkannt hat. Er versteht mich.«
Ich wollte ihm sagen, dass ich ihn auch verstand, aber dann fiel mir ein, dass die Geschichten, die er mir gerade erzählt hatte, neu für mich waren. Ich wusste noch so wenig über ihn. Andererseits, war das in diesem Moment so wichtig? Ich rutschte näher zu ihm heran und Morris strich mir eine Haarsträhne aus dem Gesicht.
»Was willst du eines Tages werden?«
»Keine Ahnung«, antwortete ich wahrheitsgemäß. »Eure Managerin?«
Er grinste und ich fuhr fort: »Die Zeit bei euch hat mir gezeigt, welche Möglichkeiten es gibt. Ich war Teil des ganzen Entstehungsprozesses eures Albums. Das hat mich total begeistert. Ich würde wirklich gerne einmal in die Musikbranche einsteigen, aber da wird mir meine Mutter wohl einen Strich durch die Rechnung machen.«
»Wie ist sie so?«
»Anders als Dad.« Ich lächelte wehmütig.
»Ich bewundere deinen Vater und nehme ihn ernst«, flüsterte er. »Wenn er dich in meinem Bett erwischt, dann weiß ich nicht, was er tun wird.« Er küsste meine Nasenspitze. »Ich will das Risiko nicht eingehen. Burnside Close ist auf dem Weg nach oben. Wir arbeiten seit über einem Jahr unglaublich hart für unser Album und ich will mir das Vertrauen deines Vaters nicht verspielen.«
»Aber vorhin …«, begann ich und hörte mich plötzlich selber reden. Ich klang wie ein winselnder Welpe, der um Zuneigung bettelte. Erschrocken schloss ich meinen Mund. Ich wollte ihn nicht anflehen. Noch nicht. Das ließ mein Stolz nicht zu. Mein Herz pochte schmerzhaft in meiner Brust.
»War es echt?«, fragte ich.
»Und ob es das war.« Morris lehnte seine Stirn gegen die meine. »Du bist etwas Besonderes für mich, Al, spürst du das nicht? Ich möchte das nicht kaputtmachen. Nicht für eine Nacht. Du fliegst bald wieder nach Hause und wirst dein eigenes Leben weiterführen. Unsere Zeit ist noch nicht gekommen.«
Ich schluckte und schluckte und schaffte es schließlich, die aufsteigenden Tränen zu unterdrücken, bevor er sie sehen konnte.
»Ich habe gar kein Leben«, murmelte ich. »Ich tue nur das, was man von mir erwartet.«
Er beugte sich vor und küsste mich so zart auf die Lippen, dass ich glaubte, es nur geträumt zu haben. Was hätte ich darum gegeben, wenn mein Vater nicht sein Manager gewesen wäre!
»Nächstes Jahr werde ich achtzehn. Dann hält mich nichts mehr auf.«
Er lachte, legte seine Gitarre vorsichtig zur Seite und zog mich in seine Arme. »Ich kann’s kaum erwarten.«
Ich atmete seinen vertrauten Geruch ein und fragte mich, wie es möglich sein sollte, mein Leben auch nur für eine Minute ohne ihn fortzuführen.
»Hier.« Er streifte eines der Lederarmbänder von seinem Handgelenk und zog es über meines. Es saß viel zu locker, aber ich konnte seine Wärme spüren. »Trägst du es nächstes Jahr bei deiner Rückkehr, werde ich die Worte deines Vaters in den Wind schreiben.«
»Und wenn du dann bereits vergeben bist?«, versuchte ich, ihn zu necken, doch meine Worte klangen ernster, als ich beabsichtigt hatte.
Er umarmte mich und küsste meinen Hals. Sämtliches Blut schoss von dort in meinen Unterleib.
»Ich bin nicht gut mit Worten, Al, das solltest du wissen. Ich bin Musiker, ich kommuniziere über meine Songs mit den Menschen. Aber du hast es irgendwie geschafft, meine Welt aus Tonleitern und Akkorden zu betreten und das hat mich sehr berührt. Mach dir also keine Sorgen, für mich gibt es ansonsten nur meine Gitarre und Burnside Close.«
Ich wollte ihm glauben, aber die Zweifel waren zu stark. Ich rief mich zur Ruhe. Alles, was zählte, war dieser Moment. Ich wollte ihn einschließen und in einem Gefäß mit mir nehmen, damit ich ihn wieder und wieder durchleben konnte.
»Sieh nur, die Sonne geht heute nur für uns auf«, sagte Morris und ich sah die Morgendämmerung am Horizont. Der Himmel färbte sich dunkelblau und die ersten Vögel begannen zu singen. Ich fragte mich augenblicklich, wann das nächste Mal sein würde, an dem die Sonne nur für uns aufging.
Die restliche Woche verging viel zu schnell. Burnside Close gab noch ein weiteres Konzert in Tampa sowie eines in Miami und ehe ich mich versah, war der Tag meiner Heimreise gekommen. Der Check-in sollte am späten Abend beginnen und mein Vater wollte mich zum Flughafen bringen.
Doch bereits am Morgen hatte ich keinen Hunger und zog damit Dads Aufmerksamkeit auf mich.
»Bist du krank, Al?«
Ich schüttelte den Kopf, auch wenn ich mich in der Tat krank fühlte. Krank vor Sehnsucht.
»Liegt es an Morris?«
Das war wieder einmal typisch Dad! Die ganze Zeit über hatte er geschwiegen und am letzten Tag stellte er mir die Frage aller Fragen.
»Ich weiß nicht, was du meinst«, wich ich aus.
Dad setzte sein Pokerface auf und ich rutschte unruhig auf meinem Stuhl hin und her. Es war mir unmöglich, ihn anzulügen. Schon als kleines Kind hatte ich immer das Gefühl gehabt, als durchschaue er alle meine Streiche, bevor ich sie überhaupt beging.
»Ich weiß, was da zwischen euch läuft«, sagte er schließlich.
Überrascht sah ich auf. »Hat Morris etwas gesagt?«
»Nein, das hat er nicht. Aber ich habe Augen im Kopf. Glaubst du, mir wäre nicht aufgefallen, wie ihr euch anseht?«
»Tun wir das?«
»Stell mir keine Gegenfragen und tu mir einen Gefallen: Stürz dich nicht Hals über Kopf in etwas, das du hinterher bereust. Morris weiß, was er will. Die Band ist momentan alles, was er braucht.«
»Hast du ihm gesagt, er soll die Finger von mir lassen?«
»Natürlich habe ich das!« Dad schnaubte.
»Warum?«
»Morris ist Vollblutmusiker. Für den Traum, seinen Lebensunterhalt damit zu verdienen, tut er alles. Er wird das für niemanden aufgeben. Das solltest du respektieren.«
»Ich weiß, was ich tue«, entgegnete ich trotzig.
Dad schwieg und ich rührte unter seinem forschenden Blick in meinen Cornflakes. Sie waren bereits völlig aufgeweicht. Angewidert verzog ich das Gesicht.
»Pack jetzt deine Sachen«, forderte er mich auf und erhob sich. »Die Jungs erwarten uns im Übungsraum. Ich fahre dich dann von dort zum Flughafen.«
Auf der Fahrt zum Studio schwiegen wir, obwohl ich Dad so viel sagen wollte. Er sollte wissen, dass ich mich nur bei ihm geben konnte, wie ich war. Dass ich mich aufgehoben fühlte und stark und im Einklang mit mir selbst. Dass ich in England stets eine Rolle spielen musste, um Ärger mit meiner Mutter zu vermeiden. Ich hasste die Streitigkeiten, die wir miteinander austrugen. Deshalb bemühte ich mich um gute Noten, damit sie mir ein Lächeln schenkte, und umgab mich mit Freundinnen, die sie für angemessen hielt. Aber ich verlor mich in all diesen Dingen und wurde erst wieder ich selbst, wenn ich bei Dad war. All die Monate, die wir uns nicht sahen, vermisste ich ihn. Ich wollte, dass er das wusste. Und ja, ich wollte ihm sagen, dass ich mich in Morris verliebt hatte und dass dieses Gefühl so überraschend zu mir gekommen war und sich dabei so verdammt gut anfühlte. Doch meine Zunge schien wie gelähmt zu sein.
Stattdessen sagte ich: »Ich freue mich, dich Weihnachten zu sehen, Dad.«
Er lächelte auf eine Art und Weise, als verstehe er auch das Unausgesprochene dieses Satzes. Dann fügte er hinzu: »Du bist mein Leben, Al. Nicht die Musik, wie deine Mutter immer meint.«
»Ich weiß, Dad.« Ich griff nach seiner Hand und drückte sie. Dabei bemerkte er das Armband, das Morris mir gegeben hatte.
»Er hat dir seinen Glücksbringer geschenkt.«
»Im Ernst?«
»Er hat sich das Armband zur Gründung von Burnside Close gekauft. Bisher hat er es bei jedem Auftritt getragen. Ich kann mich nicht erinnern, dass er es überhaupt je abgelegt hat. Er behauptet, es bringe ihm Glück.«
Mir wurde warm ums Herz. »Das wusste ich nicht.«
Aufgewühlt von Dads Worten traf ich im Übungsraum ein, wo rege Betriebsamkeit herrschte. Die Jungs stellten die Songauswahl für ihre anstehenden Konzerte zusammen und debattierten über das Video ihrer ersten Singleauskopplung. Nichts deutete darauf hin, dass mein Abschied kurz bevorstand.
Ich ließ mich in einen Sessel plumpsen, wo der Tag wie ein Stummfilm an mir vorüberzog. Erst als Dad aufsprang und mir mit einem Kopfnicken andeutete, dass es Zeit war aufzubrechen, überschlugen sich die Ereignisse.
Die Jungs stürmten an ihre Instrumente und Morris hauchte in das Mikrofon: »Das ist für dich, Al!«
Überrascht sah ich Dad an, doch der hob nur erstaunt die Hände. Ein furioses Trommelsolo von Sean brach los, das schließlich in ein Gitarren-Battle von Matt und Brad überging. Ich klatschte verzückt. Dann wurde der Rhythmus sanfter und die Instrumente fanden sich zu einer leicht abgewandelten Version von Wings of Loneliness zusammen. Dramatischer als das Original und mit einigen neuen Textpassagen, wie ich sofort bemerkte. Es ging um die Zeit, die ich mit der Band verbracht hatte, darum, was wir gemeinsam erlebt hatten und dass sich mein Fortgang wie der Verlust ihres Glücksbringers anfühlte. Ich rang um Fassung. Dieses Mal sang Morris nur für mich. Der wuchtige Sound ließ meinen Magen vibrieren und seine Stimme ging mir durch und durch.
»Jungs, ihr seid kitschig!«, rief Dad, als Burnside Close einen theatralischen Schlussakkord zum Besten gab. Doch sein Lachen strafte den ruppigen Kommentar Lügen. Es gefiel ihm, was sie sich zu meinem Abschied ausgedacht hatten. Ich sah es ihm an.
Gerührt sprang ich auf. »Das war schnulzig«, stimmte ich zu. »Das ist gar nicht euer Stil.«
Die Jungs lachten und kamen auf mich zu. Als Erstes warf ich Matt die Arme um den Hals und spürte, dass Sean und Brad mich ebenfalls umschlangen. Aus der Umarmung wurde schnell eine Balgerei und das machte es mir ein wenig leichter, nicht komplett die Fassung zu verlieren. Sie zogen mich an den Haaren, sagten mir, dass sie mich vermissen würden und dass sie mich persönlich in London abholen würden, wenn ich nicht in den Herbstferien wiederkäme. Ich ließ mich von ihnen necken und fragte mich, warum ich in England nicht so tolle Freunde hatte. Der Abschiedsschmerz überrollte mich.
»Hört jetzt auf, sonst muss ich heulen«, wehrte ich sie ab.
Lachend zogen sich die Jungs zurück und begannen, mit Dad über Anfragen von Magazinen zu sprechen, in denen sie Interviews geben sollten. Ich beobachtete sie dabei und wagte nicht, darüber nachzudenken, dass ich nun demjenigen gegenübertreten musste, der sich bisher im Hintergrund gehalten hatte. Morris stand abseits und sah mich mit seinem typischen Blick an. Dabei hielt er den Kopf gesenkt und fixierte mich von der Seite. Der Dreitagebart verlieh seinem spitzbübischen Gesichtsausdruck etwas Verwegenes. Ich lächelte.
»Komm her, Al«, forderte er mich auf und streckte seine Hand nach mir aus.
Ich ergriff sie und ließ mich in seine Arme ziehen. Als er mich küsste, schloss ich die Augen und wünschte mir, Herrin über Zeit und Raum zu sein. Ich wollte alles verlangsamen, diesen Kuss einfrieren oder besser noch die Zeit vorausdrehen, damit ich nicht ein halbes Jahr auf ein Wiedersehen mit Morris warten musste.
»Pass auf dich auf«, murmelte er in meinen Mund.
»Du auch.« Ich sah ihm in die Augen und fragte mich, was wir uns in Wirklichkeit sagen wollten. Hoffnungsvoll suchte ich in seinem Blick nach etwas, das meine Gefühle bestätigte, aber es war, als hätte Morris eine unsichtbare Mauer um sich herum errichtet. Ich schluckte die Enttäuschung hinunter. Er trat zurück, küsste mich aufs Haar und schob mich von sich, bevor er mit mir zu Dad ging, der bereits auf mich wartete.
Ich folgte ihm und kam mir dabei seltsam ferngesteuert vor. Meine Beine gehorchten mir, aber der Rest meines Körpers schien in einer anderen Dimension zu verharren. Wild schossen die Gedanken durch meinen Kopf. Es war vorüber. Meine Zeit war abgelaufen, meine Liebe befand sich im Leerlauf und ich musste in ein Leben zurückkehren, in dem ich mich nur als Gast fühlte. Ich winkte den Jungs zum Abschied zu und starrte Morris’ Rücken an, während Dad mich zur Tür hinausbugsierte.
Den gesamten Weg zum Flughafen hypnotisierte ich mein Handy, doch es kam keine Nachricht von Morris. Wie kam ich auch auf diese Idee? Wir hatten uns ständig gesehen und in der Eile des Abschieds hatte ich vergessen, ihm meine Nummer zu geben. Frustriert schaltete ich mein Handy aus und mied Dads Blicke.
Schweigend liefen wir wenig später nebeneinander her zur Schalterhalle. Der Flug sollte laut Anzeigetafel pünktlich starten und ich reihte mich am Check-in-Schalter ein. Dad leistete mir Gesellschaft, aber wir sprachen noch immer kein Wort miteinander. Erst als mein Gepäck aufgegeben und ich bereit war, durch den Zoll zu gehen, sahen wir uns an.
»Du fehlst mir jetzt schon, Al«, sagte Dad gepresst und ich bemerkte einen traurigen Zug um seinen Mund.
»Du mir auch.« Ich umarmte ihn. »Ich hatte die besten sechs Wochen meines Lebens.«
Er seufzte gequält und hielt mich fest. »Das lag leider nicht an mir.«
Wir ließen einander los und ich wischte die Tränen fort, die nun doch flossen.
»Du bist der beste Dad der Welt«, murmelte ich, bevor ich mich umdrehte und davonlief. Meine Selbstbeherrschung war aufgebraucht und es war höchste Zeit zu gehen.
Chapter 3
Inhale the real life, have no fear and listen to the truth, my dear: I live with no regrets and love with no excuses!
(Burnside Close, »Real Life«)
Ich kehrte in den Herbstferien nicht in die USA zurück. Meine Mutter machte mir einen Strich durch die Rechnung und bestand darauf, dass ich für meine Abschlussprüfungen lernte und meine Bewerbung für die Business School in London schrieb. Auch für die Frühlingsferien verbot sie mir einen Besuch bei Dad. Ich brach einen Streit vom Zaun, heulte und sagte Dinge, die mir irgendwann leidtaten, doch am Ende fügte ich mich.
Es war eigenartig, aber die Zeit veränderte einen. Sie konnte einem das Schönste schenken, was man je erlebt hatte, während sie dahinflog, dass einem eine Stunde wie eine Minute erschien. Auf der anderen Seite konnte sie aber auch zäh wie Kaugummi sein und geliebte Erinnerungen verblassen lassen. Ich durchlebte diesen Prozess in seiner ganzen Härte. Die ersten Wochen, die ich wieder in England zubrachte, waren schlimmer als jemals zuvor. Die üblichen Sticheleien bezüglich meiner Aussprache, die bei Dad stets amerikanischer wurde, ertrug ich gelassen. Das kannte ich bereits. Doch die Bemerkungen über meinen Vater, der als Manager einer Rockband nicht den elitären Ansprüchen mancher Mitschüler entsprach, hielt ich kaum aus. Dazu kam, dass mir meine Freundinnen mit ihrer unstillbaren Gier nach intimen Details auf die Nerven gingen. Sie überschütteten mich mit Fragen nach Morris und den anderen Bandmitgliedern. Wollten wissen, ob Rocker wilder im Bett waren, ob sie Drogen nahmen oder Alkoholiker waren. Egal, was ich ihnen erzählte, es brachte die Spekulationen nicht zum Verstummen. Sie verstanden nicht, welche Faszination die Musik auf mich ausübte und wie wohl und geborgen ich mich bei meinem Dad und der Band gefühlt hatte.
Bald verschanzte ich mich nur noch hinter Kopfhörern und übertönte meine Sorgen mit Fear Factory, Necrophagia und anderen Death Metal Bands. Meine Stimmung verbesserte sich trotzdem nicht. Am wenigsten Halt fand ich bei meiner Mutter. Sie mäkelte ständig an mir herum. Entweder ging es um meinen Kleidungsstil oder um meine Schweigsamkeit bezüglich meiner Zeit bei meinem Vater. Aber auch mein Wunsch, im April erneut nach Florida zu fliegen, stieß auf Widerstand. Ich konnte ihr nichts recht machen und verbrachte meine Wochenenden deshalb oft im Internat anstatt bei ihr in London.
An diesen Tagen verlor ich mich dann in Tagträumen über Morris. Ich sah ihn in anderen Jungs auf dem Campus, glaubte seine Stimme zu hören und litt unter Schlafentzug, weil ich mir nächtelang die Songs von Burnside Close anhörte. Es waren Studioaufnahmen, aber das machte die Musik umso persönlicher für mich. Wenn es meine Zeit zuließ, telefonierte ich mit Dad. Seine Berichte über Burnside Close trösteten mich. Dabei erwähnte er Morris mit keinem Wort und ich war zu feige, mich nach ihm zu erkundigen. Stattdessen lauschte ich den Erzählungen über die ersten Erfolge der Band, das Erscheinen ihres Albums und die Verhandlungen mit 3 Doors Down, die Burnside Close als Vorgruppe für ihre USA- und Europa-Tournee verpflichten wollten. Es freute mich, das zu hören, auch wenn es mir schmerzhaft bewusst machte, was ich alles versäumte.
Ich nahm mir mehrmals vor, Dad nach Morris’ Handynummer zu fragen, doch je länger ich wartete, desto unsicherer wurde ich. Immer öfter fragte ich mich, ob Morris das Gleiche für mich empfand wie ich für ihn. Hatte er gar kein Interesse daran, mit mir in Kontakt zu bleiben? Ich suchte die sozialen Medien nach ihm ab, aber er schien nirgends registriert zu sein oder er versteckte sich ziemlich gut. Meine Zweifel übermannten mich allmählich. Das war der Moment, in dem ich mich von meiner Zeit in den USA verabschiedete und mich damit abfand, in England zu leben. Ich war wie eine Muschel, die ihre Schale zuklappte und das Licht aussperrte.
Als ich am zweiten Weihnachtsfeiertag zu Dad und Granny nach München flog, war ich bereits wieder durch und durch englisch. Wir verbrachten eine sehr schöne Woche miteinander, machten lange Winterspaziergänge im Englischen Garten, erkundeten die vielen gemütlichen Kneipen und redeten über tausend Dinge. Außer über Morris. Ich wollte nicht, dass meine sorgfältig aufgebaute Schale geknackt wurde.
»England bekommt dir nicht«, stellte Granny eines Tages fest. Wir saßen in einem Café und sie musterte mich, während ich an einer heißen Schokolade nippte. »Sieh dich an, du bist ganz melancholisch. Was ist los?«
»Gar nichts.« Ich wich ihrem Blick aus.
»Du lachst nicht mehr. Was ist passiert?«
»Ich habe einfach viel zu tun, Granny. Die Vorbereitungen für meinen Abschluss, die Prüfungen. Mir geht einiges im Kopf herum.«
»Warum um alles in der Welt willst du in London studieren? Du könntest auch hier bei mir wohnen. Vielleicht täte dir das gut.«
»Mutter!« Es war amüsant, wenn Dad so förmlich mit meiner Großmutter sprach und ich wusste, er wollte keine weitere Diskussion.
»Mom würde das nicht gutheißen«, erwiderte ich.
»Du bist bald achtzehn. Als ich achtzehn war, war ich schon lange auf mich alleine gestellt. Wo soll dein Leben hingehen, Almond? Was willst du werden?«
Für mich war das die Frage des Grauens, denn ich hatte absolut keine Ahnung. Ich wollte Granny dieselbe Antwort geben wie Morris einst, aber ich scheute mich davor. Managerin von Rockbands werden zu wollen, klang ähnlich absurd wie der Berufswunsch Glückskeksautorin oder Wasserrutschentesterin. Für meine Mutter lag ohnehin auf der Hand, dass ich auf die Business School gehen würde, um meinen MBA zu machen. Nur so, glaubte sie, würde ich später einen angemessenen Job finden. Mein Blick wanderte zu Dad.
»Vielleicht wäre ja die Rockmusik-Branche etwas für mich«, wagte ich einen Vorstoß.
»Sag sowas nicht, Al! Deine Mutter bringt uns beide um.«
»Was für ein Unsinn!« Granny schüttelte empört den Kopf. »Dein ganzes Leben liegt vor dir, Almond! Die Weichen, die du jetzt stellst, werden deinen Weg bestimmen. Lass dich nicht von anderen steuern.«
»Hör auf damit, Mutter«, wollte Dad abwiegeln, aber Granny schlug ihm unwillig auf den Arm.
»Seit eurer Scheidung kümmert sich keiner um dieses Kind«, rief sie aufgebracht. »Du bist zu gutmütig, Evelyn ist zu streng und am Ende denkt jeder nur an sich selbst, während Almond zwischen den Fronten steht.« Sie sah mich an und ihr Blick wurde weicher. »Finde heraus, was dir wichtig ist. Wenn es Rockmusik ist, dann ist es eben so«, sagte sie nachdrücklich. »Und kümmere dich nicht um deine Eltern, die leben nicht dein Leben!«
Ich musste grinsen, als Dad die Augen verdrehte. Meine Großmutter war ein wunderbarer Mensch und ich liebte sie von ganzem Herzen, aber manchmal machte sie mich mit ihren Bemerkungen nervös. Sie verlangte, dass ich über mich nachdachte. Keine leichte Aufgabe, wenn man wie ich dazu erzogen worden war, das zu tun, was andere für richtig hielten. Außerdem war ich mir noch unsicher, welche Weichen ich für mein Leben stellen wollte. Manchmal kam ich mir wie ein Boot vor, dem der Kompass abhandengekommen war. Ich wurde von den Wellen in die Richtung gehoben, die ihnen gefiel. Was machte es für einen Sinn, wenn ich plötzlich Ruder fand, obwohl ich gar nicht wusste, wo das rettende Ufer lag?
Ich seufzte und erwiderte: »Mir geht’s gut, Granny. Wirklich.«
»Ich glaube dir kein Wort!« Sie schnaubte, doch bevor sie noch eins draufsetzen konnte, winkte Dad der Bedienung.
»Wir sollten jetzt gehen«, sagte er bestimmt und ich sah ihn dankbar an.
Den Rest meines Besuchs schnitt Granny das Thema nicht mehr an und ich war froh darüber. Es war einfacher für mich, nicht ständig alles infrage zu stellen.
Einen Tag nach Silvester flog ich wieder zurück nach London und entdeckte in einem Musikgeschäft am Flughafen die CD von Burnside Close. Dad behauptete vergessen zu haben, mir ein Exemplar mitzubringen und als ich mir das Cover genauer ansah, vermutete ich, dass es Absicht gewesen war.
Die Jungs posierten in dem Raum des alten Hafengebäudes. Morris stand ganz vorne und stützte sich auf seine Gitarre. Versonnen betrachtete ich ihn und konnte kaum glauben, dass ich ihm je begegnet war. Er wirkte wie ein Fremder, gefangen in einem starren Bild. Ich horchte in mich hinein, fragte mich, ob ich etwas spürte, aber alles verschwamm mit der Gegenwart, in der mich meine Muschelschale vor ungewollten Gefühlen schützte. Ich stellte die CD zurück ins Regal und beschloss, sie nicht zu kaufen. Nur so würde es mir gelingen, mein Leben in England fortzuführen.
Anfang des Jahres hörte ich von Dad, dass Burnside Close tatsächlich als Vorband von 3 Doors Down auftreten würden. Die Tour sollte Ende April beginnen. Ich freute mich sehr darüber, verzichtete aber darauf, meine Mutter erneut darum zu bitten, in den Frühlingsferien nach Florida fliegen zu dürfen. Eine weitere Diskussion glaubte ich nicht ertragen zu können.
Geduldig lauschte ich Dads Ausführungen über die Euphorie der Jungs, ihre erfolgreichen Gigs und den Berg an Arbeit, der nun vor ihnen lag. Sobald ich auflegte, bemühte ich mich um Ablenkung. Ich wollte nicht mehr leiden und mich selbst herunterziehen. Meine Kraft war aufgebraucht. Aus diesem Grund vergrub ich mich in meinen Büchern und feierte mit meinen Freundinnen, als gäbe es kein Morgen. Nigel tauchte wieder an meiner Seite auf und weil es so wunderbar zwanglos war und ich keine Gefühle investieren musste, blieb er dort eine Zeit lang. Wir schliefen nur miteinander, wenn wir etwas getrunken hatten und so kam es mir vor, als würde ich diese Beziehung nur träumen. Ich wusste, es war falsch, doch manchmal tat man Dinge fernab jeder Logik, nur um sich geborgen und nicht so verloren zu fühlen.
Irgendwie gelang es mir schließlich, die Zwischenprüfungen mit Bravour zu meistern und ich schickte meine Bewerbung an die Business School ab. Der April ging vorüber. Im Internet verfolgte ich den Tourbeginn von Burnside Close, las die Kritiken ihrer ersten Konzerte und stöberte in diversen Musik-Blogs. Die einhellige Meinung war durchweg positiv. Ich war erleichtert, hätte es mich doch geschmerzt, wären die Beurteilungen negativ ausgefallen.
Dad meldete sich regelmäßig und hielt mich über die Erlebnisse seines Lebens on the road auf dem Laufenden. Außerdem war er sich nun mit meiner Mutter einig, wann ich ihn das nächste Mal besuchen durfte. Er schrieb, dass die Band am vierten Juli in Atlantic City auftrat, von wo es weiter nach Rutherford und Mansfield in Massachusetts ging. Er schlug vor, mich im Tour-Bus mitzunehmen. Es sei eng, aber kuschelig und die Jungs würden sich freuen, sagte er, allerdings dürfte Mom nichts davon erfahren. Ich grinste. Alles war wie immer. Nur dass sich meine Vorfreude dieses Mal in Grenzen hielt. Ich wusste nicht, wie ich Morris nach all der Zeit, in der wir nichts voneinander gehört hatten, gegenübertreten sollte.
Der Juni kam und zeigte sich mit herrlichen Temperaturen. Mein achtzehnter Geburtstag zog mit vielen Glückwünschen von Freunden, Lehrern und Familie an mir vorüber sowie der vagen Hoffnung, dass sich Morris melden würde. Er tat es nicht und das Leben ging weiter.
Das Schuljahr neigte sich seinem Ende entgegen, mein College-Abschluss rückte in greifbare Nähe. Meine Freundinnen und ich feierten dieses Ereignis feuchtfröhlich, während es auf den offiziellen Feierlichkeiten ernst und gediegen zuging.
Meine Noten waren außerordentlich gut, was nicht nur meine Mutter verwunderte. Es schien, als wäre mein Liebeskummer förderlich für mein Lernverhalten gewesen. Mom sonnte sich daraufhin im Lob der Lehrer über meine Leistungen und überreichte mir andächtig die Zulassung für die Business School in London. Ich freute mich nicht darüber. Es war ihr Wunsch, dass ich dort studierte, nicht der meine. Außerdem mochte ich den Gedanken nicht, mit Mom wieder unter einem Dach zu leben. Auf dem Internat hatte ich gewisse Freiheiten genossen, die es in Zukunft so nicht mehr geben würde.
Doch all meine Bedenken gerieten in den Hintergrund, je näher der Abflug in die USA rückte. Ich konnte es kaum glauben. Ein zermürbend langes Jahr war vorüber.
So kam es, dass ich erneut an einem vierten Juli amerikanischen Boden unter den Füßen spürte. Ich landete am Nachmittag in Philadelphia, wo Dad mich abholte, um mit mir nach Atlantic City zu fahren.
Das Wetter war trüb. Es regnete, aber mir kamen die grauen Flughafengebäude wie der schönste Platz auf Erden vor. Noch bevor die Maschine am Gate andockte, schlug mein Herz schneller. Ich fühlte die sieben Wochen, die vor mir lagen, in meinem Inneren. Sie waren wie ein kostbarer Diamant und ich fragte mich, was sie alles für mich bereithielten.
Kaum erloschen die Anschnallhinweise, schulterte ich meine Tasche und drängte auf den Gang. Auf dem Weg zum Zoll begutachtete ich mich in den verspiegelten Fenstern der Ankunftshalle. Dieses Mal trug ich keine Schuluniform, sondern meine geliebten Jeans und einen Kapuzenpulli. Mein Gesicht wirkte angespannt und ich gestand mir ein, nervös zu sein. Mein Handgelenk zierte das Lederarmband, das Morris mir geschenkt hatte. Monatelang hatte es in meiner Schublade gelegen, doch einige Tage vor meinem Abflug, beim Räumen meines Zimmers im College, war es mir wieder in die Hände gefallen. Seitdem spukte mir ständig die Frage im Kopf herum, wie Morris reagieren würde, wenn er mich wiedersähe.
Ich folgte dem Strom der Passagiere und ließ die Einreiseformalitäten über mich ergehen. Je näher ich dem Ausgang kam, desto nervöser wurde ich. Schließlich zerrte ich meinen Koffer so ungeduldig vom Gepäckband, dass der Griff einriss. Ich fluchte, kümmerte mich jedoch nicht weiter um den Schaden und drängte hinaus.
In der anonymen Traube von Menschen erkannte ich meinen Vater nicht sofort. Mein Herz schlug immer schneller. Alles, was ich über ein Jahr lang ausgeblendet hatte, um mich zu schützen, kam zurück an die Oberfläche. Meine schützende Schale bekam einen Knacks. Ich spürte es körperlich.
»Dad!« Plötzlich sah ich sein Gesicht in der Menge.
Er drängte sich zu mir durch und ich warf mich in seine Arme. Er drückte mich so fest an sich, dass meine Rippen schmerzten.
»Sieh dich an, Al«, rief er. »Du bist erwachsen geworden!« Er fuhr mit dem Daumen über meine Stirn. »Nur diese Sorgenfalten müssen wir wieder ausbügeln.«
»Sie verschwinden gerade.« Ich schenkte ihm ein Lächeln und zum ersten Mal war es mir egal, ob uns die Leute anstarrten. Keck schmiegte ich mich an ihn und sagte mit meinem besten amerikanischen Akzent: »Bring mich nach Hause, Dad!«
Sein Gelächter war der schönste Empfang für mich. Gemeinsam schoben wir meinen lädierten Koffer durch den Flughafen, während Dad gar nicht mehr aufhörte zu erzählen. Bis zum Parkhaus wusste ich bereits, dass die Tour ein voller Erfolg war. Alle schätzten 3 Doors Down und waren ihnen dankbar für die Chance und die stetige Unterstützung.
»Ich kann es kaum erwarten, die überraschten Gesichter der Jungs zu sehen. Sie denken, dass du erst nächste Woche anreist.«
»Ich bin froh, dass Mom uns dieses Mal mehr Zeit zugestanden hat.«
»Das waren harte Verhandlungen.«
»Glaub ich dir aufs Wort.«
»Aber das war’s wert, mein Mädchen.« Er gab mir einen Kuss auf die Stirn.
»Ich bin so gespannt, alle wiederzusehen«, erwiderte ich gut gelaunt, obwohl das mulmige Gefühl in meinem Magen zunahm.
Mit zitternden Fingern verstaute ich mein Gepäck in Dads Auto und stieg ein. Kaum saßen wir, legte er eine CD ein und spielte mir einige Live-Mitschnitte von Burnside Close vor.
»Wow!« Ich war erstaunt. »Sie haben Fortschritte gemacht, das hört man sofort.«
»Was hörst du?«
»Die Songs klingen harmonischer, professioneller. Das Drumming ist rund, die Leadgitarren ergänzen sich perfekt. Geiler Scheiß!«
Dad lachte. »Du sagst es! Silent Storm ist übrigens von einem bekannten Wrestler als Hymne für seinen Einzug in die Arena auserwählt worden und prompt in die US Charts aufgestiegen. Ebenso wie das Album. Und letzte Woche hat sogar Hollywood an unsere Tür geklopft. Sie wollen die Rechte von Real Life für den Soundtrack eines Actionfilms erwerben, der gerade gedreht wird.«
Ich sah die Begeisterung in seinen Augen. Er erzählte so schnell, dass sich seine Stimme beinahe überschlug. Ich begriff: Dad platzte vor Stolz! Auf die Band und auf seine Arbeit. Es war ein Risiko gewesen, sich ihrer anzunehmen, aber momentan schien es, als wäre die Rechnung dabei, aufzugehen.
»Das freut mich so für dich, Dad!«
»Das weiß ich, Al. Du hast mich schon immer verstanden.« Er zwinkerte mir zu und ich spürte, wie sich meine Schale weiter öffnete. Hier bei Dad war ich endlich wieder die Al, die ich sein wollte.
Wir brauchten länger nach Atlantic City als erwartet. Der Regen nahm zu und ließ uns auf dem Expressway nur langsam vorankommen. Ungeduldig sah mein Vater auf die Uhr.
»Wenn wir am Borgata Event Center ankommen, dann muss ich dich erst mal vor den Jungs verstecken. Ich will auf keinen Fall die Überraschung verderben.«
»Geht klar.«
»Das Center ist übrigens ein Komplex aus Hotel, Spa, Spielcasino, Shops und Restaurants. Ich denke, du solltest etwas essen gehen, während ich einige Dinge erledige.«
»Hm.« Ich war viel zu aufgeregt, um hungrig zu sein, doch Dad ließ nicht locker.
»Bestell dir eine große Portion! Du bist dünn. Geben sie dir auf dem College nichts zu essen?«
»Dad!« Ich rollte mit den Augen.
»Ist ja gut.« Er musterte mich. »Ich habe übrigens ein Zimmer im Hotel, aber das nutzen die Jungs zum Duschen, bevor sie auf die Bühne gehen. Wenn du willst, kannst du heute darin schlafen. Ich denke, die Meute wird den vierten Juli feiern und im Bus wirst du keine Ruhe finden.«
Ich sah, dass er das Armband an meinem Handgelenk betrachtete. Er runzelte die Stirn.
»Was ist?«, fragte ich.
»Warum hast du dich nie nach ihm erkundigt?«
»Nach Morris? Hat er denn nach mir gefragt?«
»Nein.«
Die Antwort versetzte mir einen Dämpfer. »Nun, dann war es wohl besser so«, murmelte ich.
Dad schwieg und ich wurde misstrauisch.
»Hat er eine Freundin?«, bohrte ich nach und erstickte beinahe an der Frage.
»Nein. Nicht dass ich wüsste.« Dad sah zur Seite.
»Was ist dann los?«
»Ich habe dir bereits letztes Jahr versucht zu erklären, dass Morris derzeit nur für seine Karriere lebt. Ich will nicht, dass er dich verletzt. Das ist alles.«
»Meinst du nicht, ich bin alt genug, um das selbst zu entscheiden?«
»Ich denke, es wäre besser für dich, wenn du Morris als guten Freund siehst.«
»Und ich denke, du klingst gerade wie Mom!«
Dad schüttelte beschwichtigend den Kopf. »Tut mir leid, Al. Ich möchte nicht wie deine Mutter klingen. Vermutlich mache ich mir grundlos Sorgen.«
Ich wollte ihn fragen, warum er sich derart sorgte, doch in diesem Moment bog Dad schwungvoll in die Einfahrt des Hotels ein. Ich sah an dem verspiegelten Gebäude empor und war beeindruckt. Ein Angestellter kam uns entgegen, um das Auto zu parken.
»Los, los«, trieb Dad mich an. »Ich will nicht, dass dich jemand sieht!«
Ich folgte ihm in die Eingangshalle und blieb staunend vor einigen blinkenden Säulen stehen. Wir befanden uns mitten in einem Casino, ganz so, wie Dad gesagt hatte. Doch dieser hatte kein Verständnis für meine Begeisterung und zog mich mit sich. Eilig ging es über verschiedene Ebenen in einen Bereich, in dem sich eine Imbisskette an die andere reihte. Dad dirigierte mich ins Tony Luke’s, ein Fast-Food-Restaurant, das typische Philly-Gerichte servierte.
»Hier!« Er warf mir eine Zwanzigdollarnote hin. »Lass es dir schmecken. In einer Stunde bin ich zurück.«
Ich nickte und stellte mich in die Warteschlange. Als ich an der Reihe war, bestellte ich ein Käsesteak-Sandwich mit Pommes Frites und dazu eine Limonade. Dann setzte ich mich ans Fenster und bemühte mich zu essen. Aber meine Nervosität schnürte mir den Magen zu. Das Gespräch mit Dad ging mir durch den Kopf. Ich war es nicht gewohnt, dass er offen aussprach, sich Sorgen um mich zu machen. Bisher war er stets der Elternteil gewesen, der mir keine Vorschriften machte oder mir sagte, was ich zu tun hatte. In den paar Wochen im Jahr, in denen wir uns sahen, ließ er mich einfach sein, wie ich war. Sorgen waren Moms Aufgabe. Ich stocherte lustlos in meinem Essen herum.
»Hast du immer noch nicht aufgegessen?« Erst als Dad neben mir auftauchte, fiel mir auf, dass ich völlig in Gedanken gewesen war und die Zeit vergessen hatte.
Erschrocken rappelte ich mich auf. Dad hatte sich umgezogen und trug ein brandneues Burnside Close T-Shirt.
Ich deutete darauf. »So eines will ich auch haben«, sagte ich.
»Gehört dir. Und jetzt beeil dich, wir sind spät dran!«
Erneut ging es durch ein Labyrinth von Gängen, bis Dad endlich eine Tür öffnete und mich vor sich eintreten ließ. Es war ein Seiteneingang, wie ich feststellte, und ich fand mich neben der Bühne wieder. Um uns herum war es dunkel. Gitarrenklänge, die sich bedächtig steigerten, erfüllten den Raum. Blaues Licht enthüllte Morris, der am Mikrofon stand. Nebel waberte um seine Beine. Die Leute applaudierten und johlten, denn jetzt erkannte man die Klänge zu Real Life.
Morris begann zu singen. Ein Schauer lief mir über den Rücken. Da war er. Er trug ein ärmelloses T-Shirt und spielte konzentriert auf seiner Gitarre, während er die ersten Takte des Songs heraufbeschwor. Endlich fielen auch Brad am Bass, Matt an der E-Gitarre und Sean am Schlagzeug mit ein. Das Licht wechselte von Lila zu Rot und mit einem Aufflammen der Beleuchtung rockten die Jungs ab. Der Sound schoss direkt durch meinen Körper. Alles vibrierte und in meinem Magen hämmerte der Beat. Ich jauchzte. Das war es! Wie sehr hatte ich es vermisst! Ich war nicht mehr zu halten, sprang auf und nieder.
»Gefällt es dir?«, brüllte Dad.
Ich war unfähig, zu antworten. Es war, als sei ich über ein Jahr auf Entzug gewesen und hätte nun endlich meine Droge wiedergefunden. Die Musik machte mich euphorisch und Morris’ Anblick weckte alte Gefühle. Vertraute Gefühle.
Seine Performance auf der Bühne war großartig! Dad hatte mir einmal erzählt, dass er stimmlich ein Tenor war, der vier Oktaven umspannte. Ich kannte mich damit nicht aus, aber ich wusste, dass er den Liedern von Burnside Close eine unglaubliche Spannung verlieh. Wie hatte ich nur vergessen können, wie er sang, wie er sich bewegte und welche Ausstrahlung er besaß? Ich konnte mich nicht an ihm sattsehen. Er neckte das Publikum, interpretierte den Song gekonnt neu und animierte die anderen Jungs zu Höchstleistungen. Geschmeidig wie ein Panther glitt er über die Bühne. Ich konnte es kaum erwarten, ihn zu umarmen, auch wenn ich plötzlich Angst davor hatte.
Gemeinsam mit Dad schrie ich mich heiser, um die Jungs anzufeuern. Burnside Close machten einen guten Job als Vorband von 3 Doors Down. Obwohl die überwiegende Anzahl der Fans nicht ihretwegen gekommen war, sondern wegen des nachfolgenden Haupt-Acts, waren alle aus dem Häuschen.
Als der Schlussakkord verklang, das Licht ausging und die Jungs die Bühne verließen, forderte Dad mich auf, ihm zu folgen. Er öffnete zwei Türen und bedeutete mir, im abgedunkelten Flur zu warten. Er selbst trat ein. Ich hörte ihn reden und lachen und dann holte er mich endlich dazu. Ich blinzelte.
Nach einigen Sekunden der Stille begannen die Jungs zu grölen. Dad schubste mich mitten ins Geschehen und ich fand mich zwischen lauter Armen wieder. Alle redeten durcheinander. Ich umarmte Matt und Sean und Brad und dann wieder Matt, bevor Morris mich sanft hochhob und von den anderen wegdrehte. Er war erhitzt vom Konzert und um seinen Hals war ein Schal geschlungen.
»Al is back«, flüsterte er heiser. Dabei lächelte er mich so einnehmend an, dass ich sämtliche Zweifel der vergangenen Stunden, Wochen und Monate vergaß.
Verzückt sah ich ihn an. Seine dunkelbraunen Augen waren von Lachfältchen umgeben und er hatte sich einen modischen kurzen Bart wachsen lassen, der die Wangen aussparte und nur Kinn und Mund umfasste. Er stand ihm gut. Ich neigte ihm mein Gesicht zu, aber die anderen unterbrachen uns.
»Schluss damit«, knurrte Matt. Morris setzte mich ab und ich blickte in die Runde.
»Ihr wart gigantisch gut«, rief ich und wurde erneut von allen umarmt. Es war ein tolles Gefühl und ich fragte mich, warum ich vorher so nervös gewesen war.
»Lasst uns in den Bus gehen und das Konzert besprechen«, sagte Dad. »Anschließend dürft ihr losziehen, um zu feiern!« Im Vorübergehen gab er mir eine Schlüsselkarte und fügte hinzu: »Die Bars und das Casino sind erst ab einundzwanzig. Wenn die Jungs Party machen, dann solltest du aufs Zimmer gehen. Du bist sicher müde. Die Zimmernummer steht auf der Karte.«
Ich runzelte überrascht die Stirn. Ich war alles andere als müde, aber Dad war bereits weitergegangen. Rasch steckte ich die Karte ein und folgte ihm.
Der Tour-Bus parkte hinter dem Hotel. Er war schwarz lackiert und besaß verdunkelte Scheiben. Ich pfiff durch die Zähne. »Beeindruckend, Jungs. So habe ich mir das immer vorgestellt.«
Wie einen Ehrengast hoben mich Sean und Brad ins Innere. Ich sah mich interessiert um. Im unteren Bereich gab es mehrere Sitzgelegenheiten, eine Küchenzeile und ein WC. Ich stieg die Treppe hinauf und sah die Schlafkojen, vor denen Vorhänge angebracht waren, sowie eine bequeme halbrunde Sitzgruppe. Sofort ließ ich mich in die Kissen sinken und fühlte mich wie ein Groupie. Matt brachte zwei Sixpacks Bier mit und stellte sie auf den ovalen Tisch. Das Licht war schummrig und von unten hörte man Musik von Big Wreck aus den Lautsprechern dröhnen. Wir rückten alle zusammen und Brad warf jedem eine Bierdose zu, bevor wir auf das Konzert anstießen. Über den Rand meiner Dose hinweg sah ich Morris an, der mir schräg gegenübersaß. Sein Blick kreuzte meinen und ich war mir sicher, dass er längst bemerkt hatte, dass ich sein Armband trug.
Mit dem Bier schluckte ich auch meine Beklommenheit hinunter. All die Gefühle, die mich während des Konzerts überflutet hatten, machten mich zittrig. Morris’ Wirkung auf mich war noch ebenso stark wie vor einem Jahr. Es war unheimlich.
Das Gespräch, das Dad nun in Gang brachte, bekam ich kaum mit. Ich hing an Morris’ Lippen und hörte doch nichts von dem, was er sagte. Der Alkohol wärmte mich von innen und ich genoss das Gefühl, wieder Teil von Burnside Close zu sein. Es war, als wären sie meine Familie, in der ich mich aufgehoben und geliebt fühlte. Die sieben Wochen, die vor mir lagen, erschienen mir unendlich. Ich griff nach der zweiten Dose Bier und Dad war zu abgelenkt, um mich daran zu hindern.
Nach anderthalb Stunden erklärte Dad die Besprechung für beendet. Er klatschte in die Hände und sagte: »Auf geht’s, Jungs, macht die Nacht zum Tag. Ich treffe euch später im Casino.«
Alle sprangen auf und ich erhob mich ebenfalls. Das Bier zeigte Wirkung und ich ließ den anderen den Vortritt. Sie stürmten johlend die Stufen hinunter und ich fragte mich, ob es Dads Ernst gewesen war, dass ich den Abend auf dem Hotelzimmer verbringen sollte.
»Kommst du nicht mit?« Es war Morris. Er war auf der Treppe stehen geblieben und sah mich an.
Als ich nichts erwiderte, kam er zurück. Wir umarmten uns. Es fühlte sich so intensiv an, dass mir schwindelig davon wurde. Morris senkte den Kopf auf meine Schulter. Ich spürte seinen Bart an meiner Wange und genoss den Moment.
»Du bist die schönste Überraschung des Tages«, flüsterte er.
»Hm.« Ich wollte nicht reden, sondern ihn nur spüren. Es war so lange her.
Er küsste meinen Hals. »Willst du nicht mit uns feiern?«
»Ich will mit dir feiern.« Ich unterdrückte ein Stöhnen. Seine Berührungen versetzten mich in Ekstase.
»Das klingt gut.« Er lachte verhalten. »Und was stellst du dir vor?«
»Ich habe den Schlüssel für Dads Hotelzimmer«, sagte ich mutig.
Morris knurrte und biss mich spielerisch ins Ohr. »Dann lass uns unser eigenes Feuerwerk veranstalten.«
Ein Prickeln durchfuhr meinen Körper. Das war der Moment, den ich mir in meiner Fantasie tausendmal ausgemalt hatte. Die Realität brachte mich beinahe um den Verstand.
»Komm«, forderte er mich auf und nahm meine Hand. Gemeinsam stiegen wir die Treppe hinab, folgten den anderen, als sei nichts geschehen, betraten das Hotel und ließen uns zurückfallen. Stück für Stück entfernten wir uns und Morris dirigierte mich in Richtung Fahrstuhl.
»Alles okay?«, erkundigte er sich, als wir einstiegen und weiteren Gästen Platz machten.
»Ja.« Mir versagte beinahe die Stimme.
Mein Blick schweifte über seine tätowierten Arme hin zu seinen wohlgeformten und mit Adern durchzogenen Händen. Musikerhände. Ich fragte mich, wie sie sich gleich auf meiner Haut anfühlen würden. Das Blut schoss mir in die Wangen.
Im zweiten Stockwerk stiegen wir aus. Da Morris wusste, wo sich das Zimmer befand, kam ich gar nicht erst in die Verlegenheit, die Zimmernummer von der Karte abzulesen. Ich folgte Morris wie ein Fisch an der Angel und bemühte mich, meine zitternden Finger mit einem Lachen zu überspielen, während ich die Schlüsselkarte in den dafür vorgesehenen Schlitz in der Tür steckte. Das Hinweis-Lämpchen sprang von Rot auf Grün und gab die Tür frei. Ich trat ein und war mir Morris’ Anwesenheit bewusster als jemals zuvor. Dumpf fiel die Tür hinter ihm ins Schloss. Dunkelheit umfing uns, einzig durchbrochen von den Lichtern der Straße, die ein Muster auf das ordentlich gemachte Bett zauberten.
Morris legte eine Hand unter mein Kinn und zwang mich, mein Gesicht zu heben. Ich wagte kaum zu atmen. Vorsichtig strich er mir mit dem Daumen über die Lippen, bevor er mich küsste. Sanft zuerst, dann immer fordernder. Das war der Moment, in dem mein Verstand aussetzte und ich nur noch aus Gefühlen bestand. Ich spürte ihn, ich schmeckte ihn, ich roch ihn. Wir stolperten durch den Raum, stürzten aufs Bett und nestelten an unseren Klamotten herum. Ich war nicht in der Lage, meine Knöpfe zu öffnen, so aufgeregt war ich. Morris bemerkte es, küsste meine Finger und flüsterte: »Keine Angst, lass mich das machen.« Dann entkleidete er uns beide.
Als draußen das Feuerwerk begann, wurde im Zimmer des Borgata Hotels Wirklichkeit, wovon ich seit einem Jahr träumte. Meine eiserne Schale zerbarst in tausend Stücke und ich fühlte mich hilflos und nackt. Niemals zuvor hatte ich mich so gefühlt. Mich erschreckte, was ich tat, was ich sagte und was ich empfand. Ich krallte mich an Morris, biss ihn und küsste ihn, als sei ich ausgehungert vor Liebe. Doch ich schämte mich nicht. Er fing mich auf, war einfühlsam, lächelte über meine Gier und trug mich mit seinen Bewegungen davon. Er war zärtlich und langsam, fordernd und bestimmend, leidenschaftlich und ausdauernd. In dieser Nacht lagen wir nicht nur einmal schweißgebadet nebeneinander auf dem Bett, bevor wir erneut übereinander herfielen. Es kam mir wie das Selbstverständlichste auf der Welt vor und ich bildete mir ein, nur geboren worden zu sein, um Morris zu lieben. Ich bin zu Hause, dachte ich bei mir, als ich irgendwann in seiner Armbeuge einschlummerte.
Es war das vehemente Klopfen an der Zimmertür, das mich am nächsten Morgen weckte. Verschlafen hob ich den Kopf. Es kam mir vor, als sei ich gefangen zwischen Traum und Wirklichkeit. Neben mir lag Morris. Ich betrachtete ihn voller Zärtlichkeit.
Es klopfte erneut. »Al, mach auf! Ich bin es, Dad.«
Erschrocken sprang ich aus dem Bett, bevor mir einfiel, dass ich völlig nackt war.
»Ich komme gleich«, rief ich und sah mich hektisch nach meinen Klamotten um, die überall im Raum verstreut lagen.
Schließlich rannte ich ins Bad und fand einen zusammengefalteten Hotelmorgenmantel, den ich mir eilig überwarf. Dann öffnete ich die Tür.
»Guten Morgen«, sagte ich gespielt fröhlich.
Er musterte mich von oben bis unten und schob mein Gepäck durch den Türspalt. »Ich dachte, du brauchst vielleicht deinen Koffer. Und richte Morris bitte aus, dass wir gegen Mittag aufbrechen. Bis nach East Rutherford ist es nicht weit, aber wir müssen den Soundcheck machen und die üblichen Dinge abstimmen.«
Ich nickte und sah Dad verlegen an. Mir fiel beim besten Willen keine passende Antwort ein.
»Wäre schön, wenn ihr in einer Stunde fertig seid. Ich will meine Sachen aus dem Zimmer holen, bevor wir abreisen.«
»Okay.« Rasch schloss ich die Tür und lehnte mich dagegen. In einer derartigen Situation hatten Dad und ich uns noch nie befunden und ich fragte mich, wie die Verhaltensregeln dafür aussahen. Aber dann vergaß ich ihn.
»Komm her.« Es war Morris. Er gähnte schläfrig.
Ich sah ihn sich zwischen den Laken räkeln und musste mich zwicken, um mir bewusst zu machen, dass ich nicht träumte. Er lag auf dem Rücken, bedeckte seine Augen mit der Rückseite seiner Hand und grinste. Der auf seinen Arm tätowierte Oktopus schien ebenfalls zu grinsen.
»Dein Dad wollte nur kontrollieren, ob es seinem kleinen Mädchen gut geht«, kommentierte er die Situation.
»Ich bin kein kleines Mädchen«, protestierte ich und ging zu ihm.
»Das habe ich auch schon festgestellt.« Er zog mich zurück ins Bett und rollte sich auf mich. »Das war eine unglaubliche Nacht.«
Ich lachte verschämt. Das Licht des Tages nahm mir meine Ungezwungenheit.
»Ich wünschte, ich könnte damit prahlen.« Morris kitzelte mich und ich wehrte ihn ab.
»Wehe dir«, drohte ich und genoss es, dass er mich küsste. Es fühlte sich so vertraut an. So natürlich. Ich seufzte entzückt.
Morris legte seinen Kopf in meine Halsbeuge und stöhnte. »Hab ich dir schon erzählt, dass ich kein Morgenmensch bin? Ich rede nicht viel und ich brauche Kaffee. Am besten intravenös.«
Ich lachte und atmete seinen morgendlichen Geruch ein. Am liebsten wäre ich den Rest des Tages so liegen geblieben, aber Morris rollte über mich hinweg und ging in Richtung Bad. Ich sah ihm hinterher und ertappte mich bei dem Gedanken, dass ich ihn schön fand. Sein Körper, ganz besonders sein Hintern, war anbetungswürdig. Seit gestern Nacht wusste ich, wie er sich anfühlte und keine meiner Tagträumereien hatte sich bewahrheitet, denn er war besser. Viel besser. Selig schloss ich die Augen.
Als wir mittags in den Bus stiegen, kommentierte niemand unser Fehlen auf der abendlichen Feier. Alles drehte sich nur um den nächsten Auftritt. Ich schaltete ab. Die ganze Aufregung des letzten Tages und die unglaubliche Nacht machten mich müde. Ich schlief ein, kaum dass der Bus sich in Bewegung gesetzt hatte, und erwachte erst, als es draußen bereits dämmerte.
Zusammengerollt lag ich auf der Sitzecke im hinteren Teil des Busses. Jemand hatte eine Decke über mich gebreitet. Ich blinzelte verwirrt. Es dauerte eine Weile, bis ich registrierte, wo ich mich befand. Langsam kehrte die Erinnerung zurück. In Gedanken daran lächelte ich und streckte mich wie eine zufriedene Katze. Im unteren Bereich des Busses hörte ich Geräusche und kurz darauf kam Dad die Treppen hinauf. Er hatte zwei Bagels und eine Flasche Orangensaft in der Hand. Beides stellte er auf dem Tisch ab, bevor er sich neben mich setzte.
»Ich dachte, du hast vielleicht Hunger«, sagte er.
»Danke.« Ich richtete mich auf und griff nach den Gebäckteilchen. »Wo sind die anderen?«, fragte ich mit vollem Mund.
»In der Umkleide. Der Auftritt beginnt gleich.«
»Ach?« Erstaunt sah ich auf die Uhr.
»Schlaflose Nacht?«
»Hm.« Ich nahm einen Schluck Orangensaft, um Dads Blicken zu entkommen. Als ich wieder aufsah, starrte er aus dem Fenster.
»Bist du sauer?«
»Nein, Al, das bin ich nicht. Eher besorgt, aber das hatte ich dir schon versucht zu erklären.«
»Du musst dich nicht sorgen, Dad! Ich fühle mich großartig. Ich meine, Morris und ich …« Ich verstummte, denn er verzog das Gesicht, als hätte er in eine saure Zitrone gebissen.
»Ich muss los!« Er sprang auf. »Wir sehen uns später.«
Ich sah ihm nach, wie er die Treppe hinuntereilte, und fühlte mich allein gelassen. Zu gerne hätte ich Dad davon erzählt, dass die Sache mit Morris etwas Besonderes war. Meine Gefühle für ihn waren tiefer als alles, was ich bisher erlebt hatte. Ich war bereit, ihm zu folgen, egal, wohin er ging. Aber aus irgendeinem Grund wollte Dad das nicht hören.
Nachdenklich aß ich den restlichen Bagel, bevor ich mich frisch machte. Dad stand vor dem Bus und rauchte eine Zigarette. Ich ging zu ihm, doch er sprach kein Wort mit mir und wir schlenderten schweigend zur Continental Airlines Arena, wo wir Plätze neben der Bühne hatten.
Nachdem Burnside Close den Auftritt beendet hatte, folgte ich Dad und den Jungs nicht wie üblich. Ich blieb im VIP-Bereich sitzen, wo ich das Konzert von 3 Doors Down verfolgte. Dann erst kehrte ich zum Bus zurück. Das abweisende Verhalten meines Vaters verletzte mich und ich wusste nicht, wie ich damit umgehen sollte. Zu meiner großen Erleichterung empfing mich im Bus Hochstimmung und ich ließ mich nur zu gerne ablenken. Die Jungs waren wie gewohnt auf Adrenalin.
»Wir treffen uns anschließend mit einigen Bandmitgliedern von 3 Doors Down. Kommst du mit, Al?«, erkundigte sich Matt.
Ich sah Morris an und schüttelte den Kopf.
»So ist das.« Brad grinste. »Ihr wollt eure Ruhe haben. Was sagst du dazu, Chief?«
Ich bemerkte Dads mürrischen Blick. »I live with no regrets and love with no excuses«, zitierte er den Refrain von Real Life.
Sean klatschte in die Hände und stand auf. »Dann los, Brüder, lasst uns leben!«
Mit Anfeuerungsrufen und Pfiffen verabschiedeten sich die Jungs von uns. Morris und ich sahen einander an. Kaum kehrte Ruhe ein, kam er zu mir und küsste mich leidenschaftlich.
»Ich habe dich vermisst. Du erregst mich mehr als jeder Auftritt.« Er zog mich mit sich. Wir krabbelten in eine der Schlafkabinen und zogen den Vorhang hinter uns zu.
»Du mich auch.« Meine Hände fuhren unter sein T-Shirt.
»Du warst den ganzen Tag in meinem Kopf.« Er knöpfte meine Jeans auf. Mein Atem ging schneller.
»Love me with no excuses«, flüsterte ich und überließ mich seinen Berührungen. Mein Dad würde sich daran gewöhnen müssen, dass Morris an meiner Seite war. Er war mein Schicksal.
Wie sehr ich mein Schicksal in diesem Sommer herausforderte, war mir zu diesem Zeitpunkt noch nicht bewusst. Ich ging völlig im Nomadenleben der Band auf. Massachusetts, Maine, Connecticut, Illinois. Manchmal wusste ich nicht, in welchem US-Bundesstaat ich einschlief und in welchem ich erwachte. Selbst zwei Konzerte in Kanada standen auf dem Programm. Doch für mich hatten weder die Städte noch die Landschaften einen Reiz, sondern einzig die Nächte in der schmalen Kabine mit Morris. Hinter zugezogenem Vorhang waren wir in unserer eigenen Welt. Während die anderen um uns herum schliefen, erzählte er mir von seinen Gitarren und seinen Anfängen als Musiker. Ich hörte ihn gerne lachen, wenn er von den mullets sprach, den Vokuhila-Frisuren, die er und seine Freunde als Jugendliche getragen hatten. In seiner Armbeuge zu liegen und mit seinen Fingern zu spielen, waren die innigsten Momente für mich. Abgesehen von den Augenblicken, in denen wir uns liebten. Es war nicht einfach, dabei leise zu sein, doch das war mir gleichgültig. Ich lebte und atmete für Morris. Sieben Wochen lang.
Als sich diese ihrem Ende entgegenneigten, war ich entschlossener denn je, bei der Band zu bleiben und sie weiterhin zu begleiten. In einem beherzten Moment rief ich meine Mutter an und berichtete ihr von meinem Entschluss. Wie zu erwarten war, verlief das Gespräch alles andere als positiv. Ich ignorierte Moms Geschrei und stellte sie vor vollendete Tatsachen. Zum ersten Mal war es mir völlig egal, dass sie an meine Vernunft appellierte.
»Es ist mein Leben, Mom, halt dich da raus«, sagte ich zu ihr, bevor ich auflegte.
Im Hintergrund hörte ich Morris auf der Bühne singen und das aufgeregte Klopfen meines Herzens bestätigte mir, dass ich die richtige Entscheidung getroffen hatte. Ich erinnerte mich an Grannys Aufforderung, herauszufinden, was mir wichtig war. Das wusste ich nun. Morris war mir wichtiger als alles andere.
Umso erstaunlicher war es, dass Dad mich am nächsten Tag in die Mangel nahm. Offenbar hatte meine Mutter sofort bei ihm angerufen.
»Was soll das?«, stellte er mich aufgebracht zur Rede.
»Was denn?«, fragte ich unschuldig, obwohl mir klar war, worauf er anspielte.
»Deine Mutter sagt, du willst bei mir und der Band bleiben.« Seine Nasenflügel blähten sich und man sah ihm das Erbe seiner indianischen Vorfahren an. Er sah aus, als befände er sich auf dem Kriegspfad.
»Das ist richtig«, erwiderte ich und versuchte, selbstbewusst zu wirken. Streitigkeiten mit meiner Mutter war ich gewöhnt, Streitigkeiten mit meinem Vater kannte ich nicht.
»Das wirst du auf keinen Fall tun!« Dad stemmte die Hände in die Hüften. Seine Augen glühten.
»Ich bin achtzehn und kann das selbst entscheiden. Was soll das, Dad?«
»Was das soll? Ich werde dir sagen, was das soll! Ich bin ein cooler Vater, zumindest dachte ich das immer von mir. Ich erlaube dir Alkohol und Zigaretten und habe dich die gesamten Ferien in Ruhe gelassen, während du an Morris geklebt hast wie eine Klette. Ich habe ihm keine Vorträge gehalten, habe die anderen Jungs besänftigt und nachts Ohrenstöpsel getragen, um dich nicht zu hören. Das ist wirklich cool. Aber weißt du, was nicht cool ist, Al? Du bist nicht cool! Du opferst deine Zukunft, um bei Morris zu sein. Was soll aus dir werden? Ein Groupie auf Lebenszeit?«
Ich war sprachlos und sah zu, wie Dad wütend nach einem Stein trat. So hatte ich ihn noch nie erlebt.
»Vielleicht will ich genau das sein«, entgegnete ich.
»Das ist die dümmste Aussage, die ich je gehört habe! Vor allem, weil du nicht ehrlich zu dir selbst bist. Du schiebst mich und die Band vor, um diese Entscheidung vor deiner Mutter zu rechtfertigen. Warum hast du Morris mit keinem Wort erwähnt, wenn er es doch ist, bei dem du bleiben willst? Ich sage dir warum: Weil du weißt, dass dieser Weg nicht der richtige für dich ist!«
»Das ist nicht wahr, Dad!«
»Denk erst darüber nach, bevor du anfängst, dich zu verteidigen. Würde Morris sein Leben im Gegenzug für dich opfern? Habt ihr überhaupt einmal über eure Zukunft gesprochen oder war das vor lauter Sex nicht möglich?«
Ich presste die Lippen aufeinander. Seine Worte trafen mich.
»Hat Morris dir gesagt, dass er dich liebt und mit dir zusammenbleiben will?«
Ich schwieg eisern. Der Schmerz in meiner Brust nahm zu. Morris hatte mir nicht gesagt, dass er mich liebte. Ich ihm ebenso wenig. Es erschien mir unnötig. Unsere Zuneigung war ehrlich, unsere Berührungen innig und wenn wir uns in die Augen sahen, dann waren Worte überflüssig.
»Das dachte ich mir«, murmelte Dad.
»Wir haben darüber geredet«, log ich.
»Das ist nicht wahr! Herrgott, Al, ich wette, er weiß nicht einmal, was du vorhast. Stimmt’s?«
Unsicher schüttelte ich den Kopf und spürte plötzlichen Hass auf Dad, der Fragen in mir aufwarf, die ich mir nicht stellen wollte. In all den Wochen hatten Morris und ich wie in einem luftleeren Raum gelebt. Weit weg von der Realität.
»Wir werden zusammenbleiben«, murmelte ich, um mich selbst zu beruhigen.
»Morris ist ein Musiknomade. Er lebt seinen Traum. Doch ist das auch deiner?«
»Das werde ich herausfinden.«
»Indem du ihm hinterherrennst? Von welchem Geld? Wovon willst du leben, Al?«
»Ich weiß es nicht«, schrie ich auf. Wut machte sich in mir breit. »Warum redest du so, Dad? Mom sagt mir ständig, was ich zu tun und zu lassen habe und nun fängst du auch damit an! Ich finde ehrlich gesagt nicht, dass du ein cooler Vater bist. Ein cooler Vater hätte mit mir geredet, hätte mich angehört und versucht, mich zu verstehen. Aber du willst nicht hören, was ich für Morris empfinde. Seit wir zusammen sind, gehst du mir aus dem Weg. Und jetzt machst du mir plötzlich Vorschriften, nur weil Mom dich dazu angestiftet hat. Ein cooler Vater hätte das nicht getan! Er hätte mich wie eine Erwachsene behandelt und nicht wie ein unmündiges Kind. Ich dachte, wir sind Freunde, Dad, doch du hast kein Ohr für meine Gefühle. Weißt du, was ich glaube? Du hast keine Ahnung von der Liebe! Kein Wunder, dass Mom dich verlassen hat!«
Ich sah, dass meine Worte ihn trafen, aber ich konnte und wollte sie nicht zurücknehmen.
Er räusperte sich. »Du fliegst übermorgen. Keine Widerrede.«
Ich verschränkte die Arme vor der Brust und realisierte, dass ich verloren hatte. Es gab keine Möglichkeit, bei Morris zu bleiben, wenn Dad sich dagegen wehrte. »Das werde ich dir nie verzeihen!«, zischte ich wütend.
Wir gingen auseinander wie Fremde. Zwei Tage später stieg ich in den Flieger nach England. Der Abschied von Morris zerriss mir das Herz. Aber der ungewohnt frostige Abschied von meinem Dad zerschnitt mir die Seele.