Leseprobe Mörderische Dinnerparty

Kapitel 13

25. Juli
Auf Blackheart Manor

Bislang läuft alles glatt, auch wenn Sir Mordred ein wenig verstimmt wirkt. Ich vermute, er hat nicht damit gerechnet, dass sein Verleger eine andere Autorin mitbringt. Sie heißt Agatha Christie, und die meisten der Anwesenden scheinen ihre Bücher zu kennen. Ihr Ehemann ist auch sehr interessant. Er hat in ganz Mesopotamien Ausgrabungen gemacht.

Sir Mordred verbeugte sich förmlich, dann gab er Mrs. Mallowan die Hand. „Ich habe natürlich von Ihnen gehört. Sehr erfreut, Sie kennenzulernen. Was schreiben Sie noch gleich?“

„Kriminalromane, ganz wie Sie, alter Junge“, sagte der Verleger.

„Nur sind meine Morde nicht ganz so düster und gewaltvoll“, ergänzte Agatha Christie ruhig. „Keine dämonische Besessenheit weit und breit. Auch keine gefolterten Serienmörder oder Geisterhäuser.“

„Aber Sie sehen wie eine viel zu gütige Dame aus, um über Kriminalfälle zu schreiben“, sagte Sir Mordred in einem Versuch, galant zu sein.

Sie lächelte. „Ich war schon immer der Meinung, dass die unscheinbarsten Menschen gerissene Verbrechen verüben, Sie nicht auch? Deshalb sind unsere Romane so wichtig. Im echten Leben kommen sie vermutlich meistens mit ihrem Mord davon. Doch wir haben die Chance, sie ihrer Gerechtigkeit zuzuführen.“

„Genau das sage ich auch immer“, sagte Sir Mordred, während er nach dem Tablett eines vorbeigehenden Bediensteten griff und ihr ein Glas Champagner reichte. „Im echten Leben kann man mit den gewöhnlichsten Substanzen töten, und niemand hegt einen Verdacht.“

„Deshalb brauchen wir unsere gerissenen Detektive“, sagte Agatha. „Die Stillen, die Beobachter.“

„Ich mag meine Detektive extravagant“, sagte Sir Mordred. „Insbesondere den, der ein Vampir ist.“

„Durchaus.“ Agatha nickte freundlich, doch ich fand, dass sie ihn recht gut auf seinen Platz verwiesen hatte. Ihm hatte dieser Austausch offensichtlich auch nicht gefallen. Als sie sich den anderen Gästen anschlossen, trat Sir Mordred an seinen Verleger heran. „Warum haben Sie sie mitgebracht?“, zischte er. „Ein Krimiautor ist doch gewiss genug für eine Feier. Versuchen Sie, mir die Show zu stehlen?“

„Ganz und gar nicht, alter Junge“, sagte der Verleger. „Die beiden waren zufällig im Büro und haben erwähnt, dass sie bei Freunden hier im Nachbarort zu Besuch sind. Ich sagte, dass ich Sie besuchen würde, und Agatha zeigte Interesse an Ihrem Giftgarten. Da konnte ich schlecht nein sagen.“

„Ich hätte abgelehnt.“ Sir Mordred entfernte sich von ihm. Er schaute sich um. „Wir scheinen alle versammelt zu sein. Warum beginnen wir nicht mit unserer Tour. Edwin, Sylvia? Wo sind meine Assistenten?“

Sein Blick fiel auf seine Tochter, die aussah, als würde sie sich ins Haus schleichen wollen. „Wo willst du denn hin? Komm schon. Mach dich an die Arbeit.“

„Du brauchst uns nicht, Dad. Du willst doch heute gewiss selbst im Zentrum der Aufmerksamkeit stehen, oder?“

Sir Mordred musterte sie mit eisigem Blick. „Du solltest hier die Gastgeberin sein. Komm in Schwung und führe eine Gruppe in den Nutzgarten.“ Er ging zu ihr und nahm ihren Arm. „Du bist meine Tochter. Ich erwarte, dass du dich auch so benimmst“, sagte er leise.

Sie schüttelte ihn ab.

„Du nimmst den Rest des Jahres kaum von meiner Existenz Notiz“, sagte Sylvia. „Du behandelst mich nie wie eine Tochter. Und jetzt soll ich plötzlich vorgeben, dass ich in diesem monströsen Haus wohne und wir eine glückliche Familie sind?“

Sir Mordred blickte finster drein. „So zeigst du mir also deine Dankbarkeit. Die beste Schulbildung, ein Debütantinnenball und jetzt das.“ Es entstand ein frostiges Schweigen. Dann sagte er: „Wie du meinst. Aber dann komm nicht wieder angerannt, wenn das nächste Mal ein Geschäft deines erbärmlichen Ehemannes den Bach runtergeht.“

„Du hast mir beim letzten Mal auch nicht geholfen“, sagte sie. „Warum sollte ich etwas anderes erwarten?“

Sie entfernte sich von der Gruppe und stapfte zum Haus.

„Junge Frauen. So temperamentvoll.“ Sir Mordred drehte sich um und zeigte der Gruppe ein verlegenes Lächeln. „Ich mache ihren Ehemann dafür verantwortlich. Er ist nicht der richtige Mann für sie. Viel zu einfach. Ich habe sie gewarnt. Sie wird es noch bedauern.“ Er klatschte in die Hände. „Nun gut, Edwin. Geh voraus. Du führst einen Teil der Gruppe zum Nutzgarten, damit wir nicht zu viele an derselben Stelle sind.“

Edwin schien sich nach diesem Streit sehr unbehaglich zu fühlen. Ich nickte Darcy zu. „Kommen Sie, Edwin“, sagte ich. „Sie können unser Gästeführer sein.“

Darcy folgte mir, wie auch Mr. und Mrs. Mallowan, Zou Zou, Sir Hubert und sein Freund, der Entdecker. Die beiden waren ständig in Gespräche vertieft und fielen zurück, sodass wir warten mussten, bis sie uns eingeholt hatten.

„Beeil dich, Hubie-Schätzchen“, sagte Zou Zou.

Dann war er jetzt also ‚Hubie-Schätzchen‘, was? Sie ließ nichts anbrennen.

Ich fand mich ganz vorne bei Edwin wieder.

„Das wird sie sich noch lange anhören müssen“, sagte Edwin, als sich Sir Mordreds Gruppe in eine andere Richtung entfernte. „Mein Vater nimmt es nicht gut auf, wenn sich jemand gegen ihn stellt. Leider kann er ihr nicht das Einkommen abschneiden. Das wurde ihr von ihrer Mutter hinterlassen. Sie hatte das Geld.“

„Bekommen Sie auch Geld von ihr?“, fragte Darcy.

„Sie hat uns beiden ein kleines, regelmäßiges Einkommen vermacht, doch den Großteil der Erbsumme bekomme ich erst, wenn ich fünfundzwanzig werde. Für Sylvia gilt das gleiche. Eine dumme Bedingung, die sie gestellt hat. Vermutlich hat mein Vater sie dazu verleitet. Ich kann es kaum erwarten. Das mittellose Leben liegt mir nicht.“

„Ihre Mutter war Amerikanerin, oder?“, fragte Darcy.

„Ja. Die klassische amerikanische Erbin, die herkam, um ihr Vermögen gegen einen Titel einzutauschen. Ich glaube nicht, dass da jemals Liebe im Spiel war. Tatsächlich habe ich mich immer gefragt …“ Er verstummte und starrte auf den Rücken seines Vaters, der gerade das Tor zum Giftgarten öffnete.

„Sie starb sehr plötzlich“, sagte Edwin. „Es war ein schwerer Schock.“ Er schaute wieder zu der Gruppe, die ihm folgte. „Gut, hier entlang, bitte. Ich werde Ihnen zeigen, wie ein Johannisbeerstrauch aussieht. Und wenn Sie ganz brav sind, auch die Artischocken.“

Er lief voran und ich dachte über seine Worte nach. Wollte er andeuten, dass sein Vater etwas mit dem Tod seiner Mutter zu tun gehabt hatte? Ich blickte zu Darcy, doch er schien davon nichts mitbekommen zu haben und unterhielt sich jetzt mit dem Archäologen Mr. Mallowan.

„Ich wollte mir Mesopotamien schon immer mal ansehen“, hörte ich ihn sagen.

„Haben Sie schon viel von der Welt gesehen?“, fragte der ältere Mann.

„Schon so einiges, aber den Mittleren Osten noch nicht. Abgesehen davon, dass wir auf dem Weg nach Kenia in Ägypten und dem Sudan angelandet sind. Doch das hat kaum etwas damit zu tun, das Land kennenzulernen.“

„Da haben Sie mir wiederum etwas voraus“, sagte Mr. Mallowan. „Kenia würde ich gern einmal besuchen.“

„Ich nehme an, dort kann man nicht allzu viel archäologische Entdeckungen machen“, sagte Darcy.

Ich fasste neben Agatha Christie Tritt. „Sind Sie zusammen mit Ihrem Ehemann gereist?“

Sie nickte. „Oh, ja. Wir haben zusammen wundervolle Reisen gemacht. Ich bin nirgends so glücklich wie in der Wüste, abseits jeglicher Zivilisation, beim Ausgraben aufregender Tonscherben.“ Sie blickte auf meine Füße und dann auf ihre eigenen. „Ich weiß nicht, ob diese Schuhe einen Marsch durchs Gelände überstehen werde“, sagte sie. „Es war schwer zu entscheiden, was man anziehen soll, nicht wahr? Ehrlich gesagt bin ich nur mitgekommen, um Phillip einen Gefallen zu tun. Es war ihm ein wenig unangenehm, ein so berühmtes Schauspielerpaar zu begleiten, und wir wohnen gerade ganz in der Nähe. Kennt Ihr die Finlays?“

„Ich glaube, wir haben sie kennengelernt“, sagte ich.
„Sie sind alte Freunde von Max und erwarten gebannt unseren Bericht“, sagte sie. „Die beide wollten schon immer mehr über Sir Mordred wissen. Ein alberner Name, nicht wahr?“ Sie grinste mir verschwörerisch zu. „Ihr lebt auch in der Nähe?“

„Ja, aber etwa acht Kilometer in die entgegengesetzte Richtung.“

„Eine schöne Ecke des Landes, oder? Wenn auch nicht so schön wie Devon. Dort ist mein Herz zu Hause, dort bin ich aufgewachsen.“

„Ich wuchs in einem trostlosen Teil von Schottland auf und bedauere es nicht, von dort weggezogen zu sein“, sagte ich lachend.

Sie kam näher zu mir. „Habt Ihr diesen berühmten Giftgarten schon gesehen?“

„Nur kurz. Sir Mordred ließ uns einen Blick durchs Tor werfen, hat uns aber nicht herumgeführt.“

„Aber es ist faszinierend.“ Sie nickte zufrieden. „Ich interessiere mich sehr für Gifte.“

„Das glaube ich gern, wo Sie doch in Ihren Geschichten Menschen umbringen müssen.“

Das brachte sie zum Lachen. „Tatsächlich fing diese Faszination schon lange vorher an. Ich habe im Krieg in der Medikamentenausgabe eines Krankenhauses gearbeitet. Ich lernte eine Menge über Gifte. So viele Substanzen können nützlich oder tödlich sein, je nachdem, welche Dosis man verabreicht. Man muss sehr vorsichtig sein. Doch dieses Wissen ist mir natürlich für meine Bücher von Nutzen, das muss ich zugeben.“

„Gefällt es Ihnen, Menschen umzubringen … in Ihren Büchern, meine ich?“

Sie lächelte. „Es gefällt mir, die unangenehmen Charaktere auszumerzen. Doch ich bedaure es sehr, wenn die netten sterben müssen. Ich schätze, da bin ich meiner Detektivin Miss Marple recht ähnlich. Sie ist eine alte Dame, die in einem Dorf lebt und Verbrechen aufklärt, falls Ihr die Geschichten nicht kennt. Ihr sind andere Menschen sehr wichtig, anders als bei diesen gefühllosen Detektiven wie diesem schrecklichen Sherlock Holmes.“

Wir liefen an Reihen von Erdbeeren, Himbeersträuchern, roten und schwarzen Johannisbeeren, Stangenbohnen, Tomaten und allen möglichen Sorten von Gemüse vorbei. An den Mauern wuchsen große Büsche, die schwer mit Beeren behangen waren.

„Ich muss schon sagen, dass das hier alles sehr prächtig aussieht“, sagte Agatha zu mir. „Er isst offensichtlich gerne gut, trotz seines dürren Äußeren. Ich hörte, dass das heutige Mahl spektakulär werden soll.“

„Ich denke. Ich habe ihm für diesen Abend meinen Koch ausgeliehen, und der ist unglaublich gut. Franzose, wissen Sie?“

„Die sind immer gut, meine Liebe.“ Sie nickte.

„Gut.“ Edwin unterbrach unser Gespräch. „Sie haben die gesunden Pflanzen gesehen. Kommen wir zu denen, die töten können.“ Und er lachte.

Wir verbrachten eine faszinierende halbe Stunde im Giftgarten. Edwin schien sehr viel zu wissen, konnte jede Pflanze identifizieren und erklären, was daran giftig war und was das Gift mit einem Menschen anrichtete. Nichts davon klang angenehm. Doch wie Sir Mordred bereits gesagt hatte: Erstaunlich viele dieser Pflanzen waren in jedem Garten zu finden.

„Wir haben wilden Wein, der an unserer Mauer hinaufklettert“, sagte ich zu Edwin.
„Lasst Eure Kinder oder Tiere nicht von den Beeren essen“, sagte Edwin.

Oh, je. Über diesen Aspekt der elterlichen Pflichten hatte ich noch gar nicht nachgedacht – ich würde für die Sicherheit meiner Kinder sorgen müssen. Donnerwetter. Ich war noch nie für einen anderen Menschen verantwortlich gewesen. Plötzlich kam mir ein ausgebildetes Kindermädchen sehr vernünftig vor.

Kapitel 14

25. Juli
Auf Blackheart Manor

Alles lief so gut und reibungslos. Ich kann es gar nicht glauben. Selbst Queenie hat keine Katastrophe produziert und das Essen war exquisit. Jetzt muss ich Sir Mordred nur noch davon abhalten, meinen Koch abzuwerben!

Ich war erleichtert, als wir die Führung durch den Giftgarten und den Arzneigarten abgeschlossen hatten und zum Haus geführt wurden. Ich vermutete, dass diejenigen unter uns, die hochhackige Schuhe trugen, ein wenig fußmüde waren. Für mich galt das auf jeden Fall, doch ich spürte die Hitze, und es war um sieben Uhr noch herrlich warm. Sehr unbritisch! Ich hatte gehofft, mich in ein Badezimmer zurückziehen zu können, doch Sir Mordred bestand darauf, uns zuerst durchs Haus zu führen. Wir liefen von einem düsteren Raum zum nächsten – eine Bibliothek, die kalt, feucht und trostlos genug war, um jeden von der Idee abzubringen, jemals wieder ein Buch zu lesen; ein Musikzimmer mit einer gigantischen Harfe, die laut Sir Mordreds Geständnis niemand spielen konnte, doch er hatte sie zusammen mit dem Haus erworben. Das Tageswohnzimmer war halbwegs angenehm, mit einem Blick in den Garten, den wir gerade begutachtet hatten, und Fenstern, die noch das letzte Sonnenlicht hereinließen. Wir wurden nach oben geführt, wo wir mehrere Schlafzimmer mit Himmelbetten und schweren Samtvorhängen zu sehen bekamen.

„Wir haben zehn davon“, sagte Sir Mordred. „Also falls heute irgendjemandem nicht danach sein sollte, nach Hause zu fahren, dürfen Sie gern bleiben. Ich kann allerdings kein Frühstück versprechen, da mein Koch recht alt ist und nicht früh aufsteht.“ Alle versicherten ihm, dass sie nach Hause fahren würden. Ich glaube nicht, dass ich hier eine Nacht hätte verbringen wollen, selbst wenn ich weit weg gewohnt hätte. Die Schlafzimmer wirkten kalt, als würden sie den einen oder anderen Geist beherbergen.

Die meisten Gäste schienen bei Freunden in benachbarten Dörfern unterzukommen, und nur Laurence Olivier und seine Frau würden von Phillip Grossman, dem Verleger, zum Bahnhof gefahren werden. Als Letztes bekamen wir ein kleines Zimmer im hinteren Teil des Hauses zu sehen, das Sir Mordred zu einem Labor gemacht hatte.

„Ich habe mich zu verschiedenen Pflanzen belesen“, sagte er, „und experimentiere mit ihnen herum. Ich dachte, es wäre toll, wenn ich ein Heilmittel für irgendeine Krankheit entdeckte. Bislang hatte ich kein Glück, aber es hält mich beschäftigt.“ Er gluckste.

Ich war erleichtert, als wir endlich ein Badezimmer zu sehen bekamen und ich mich erleichtern und frisch machen konnte. Diesem Haus fehlte offensichtlich weiblicher Einfluss. Viele der Möbel waren alt und schwer und mussten gründlich abgestaubt werden. Das Klosett war trostlos, und ich musste mehrmals an der Kette ziehen. Ich fragte mich, wann seine Frau gestorben war. Hatte sie je in diesem Haus gewohnt?
Ihr kehrte zur Gruppe zurück, die sich im Tageswohnzimmer versammelt hatte, obwohl es Abend war.

„Wir mussten einfach herkommen“, sagte Sir Mordred. „Hier hat man zu dieser Tageszeit die beste Aussicht. Spektakulär, nicht wahr?“

Wir stimmten ihm zu. Die jungen Männer, bei denen es sich angeblich um Edwins Freunde handelte, waren hereingekommen und versorgten uns mit Sherry und Käsestangen. Edwin kam zu mir, um mir ein Glas zu reichen.

„Ich glaube, ich verzichte dieses Mal“, sagte ich. „Der Champagner und die Hitze haben mich ein wenig benommen gemacht.“

„Warum setzt Ihr Euch nicht?“, schlug er vor.

„Es sitzt sonst niemand. Das wäre ein wenig unhöflich.“

„Es ist auch sonst niemand schwanger“, sagte er. „Soll ich Euch ein Glas Wasser bringen?“

Ich dankte ihm und er kehrte bald mit dem Wasser zurück.

„Habt Ihr die Führung durch das grässlichste Haus der Welt genossen?“, fragte er. „Unser Haus in Northumberland war allerdings auch nicht viel besser. Und da oben war es kälter. Doch meine Mutter hat dort Wunder vollbracht. Reichlich frische, angenehme Einrichtung und viele Blumen. Sie liebte Blumen.“

„Hat Ihre Mutter nie in diesem Haus gelebt?“

„Doch, einige Monate lang. Das Haus war natürlich die Idee meines Vaters. Er hat es gekauft, ohne ihr davon zu erzählen. Ich glaube, es gefiel ihr, näher an der Zivilisation zu wohnen, doch sie bekam nie die Gelegenheit, hier ihren Einfluss wirken zu lassen. Sie starb recht plötzlich. In einem Augenblick war sie heiter und glücklich, und im nächsten sagte man mir, sie sei gestorben. Es war ein großer Schock für einen Achtjährigen, das kann ich Euch sagen.“

„Mein Ehemann hat seine Mutter auch in jungen Jahren verloren“, sagte ich. „Sie starb während der großen Influenza-Welle. Seine beiden jüngeren Brüder ebenfalls. Eine Tragödie.“

„Immerhin gab es bei ihr eine Pandemie als Grund“, sagte er. „Ich habe mich immer gefragt, was genau sie umgebracht hat. Einem Achtjährigen erklärt man so etwas nicht.“

Was für eine seltsame Aussage.

Sein Vater schickte ihn in den Speisesaal, um nachzusehen, ob alles in Ordnung war. Ich saß da, abseits der anderen, und beobachtete die Interaktionen: Mr. und Mrs. Crump gaben sich beeindruckt und wollten gefallen, Mrs. Bancroft beschwerte sich immer noch … „Wissen Sie, sie waren so dreist, einfach mitten über unser Grundstück zu laufen … Nein, solche Bücher lese ich nicht. Ich lese generell nicht viel; bin zu sehr mit meiner Freiwilligenarbeit beschäftigt: der Verein zur Förderung der Frauenrechte, die Mädchenpfadfinder, der Gemeindevorstand. Überall verlässt man sich auf mich. Und ja, ich habe mein Leben der Unterstützung anderer verschrieben.“

Mr. und Mrs. Mallowan waren die Empfänger dieses Monologes. Mr. Mallowan versuchte angestrengt, nicht gelangweilt zu wirken, doch Agatha Christie schaute sich um und betrachtete mit aufmerksamem Blick die Gesellschaft. Laurence Olivier und seine Frau gaben sich gegenüber unseren Nachbarn Lord und Lady Mountjoy elegant und geistreich. Sir Hubert stand etwas abseits, zusammen mit seinem Entdeckerfreund und einer älteren Frau, die mir zuvor nicht aufgefallen war. Sie trug ein schwarzes, hochgeschlossenes Seidenkleid, dazu eine lange, pechschwarze Perlenkette und ihr Haar wurde von zwei Schildpattkämmen hochgehalten. Sie wirkte wie eine Person aus einer vergangenen Zeit und ich fragte mich, warum sie hier war. War sie eine ältere, weibliche Verwandte?

Ich war mittlerweile sehr erschöpft und wäre nur zu gern nach Hause zurückgekehrt, ohne mich den höflichen Unterhaltungen beim Bankett zu stellen. Doch natürlich durfte ich keine Spielverderberin sein. Ich wurde dazu erzogen, meine Pflicht zu erfüllen. Robert Bruce Rannoch wäre stolz auf mich gewesen!

„Es sollte angerichtet sein“, sagte Sir Mordred gereizt. „Ich sagte acht Uhr und höre das Läuten der Uhr.“ Er stolzierte davon und ließ uns allein, nur um kurz darauf mit zufriedenem Gesichtsausdruck zurückzukehren.

„Alles bestens“, sagte er. „Wir überlassen meinem Butler die Ehre, sonst fühlt er sich vernachlässigt.“

Wie aufs Stichwort kam der alte Butler mit einem Gong herein, der viel zu groß und schwer für ihn zu sein schien. Er schlug ihn. Der Klang dröhnte durch den Raum. Er wartete, bis das Geräusch verklungen war und verkündete dann: „Das Essen ist angerichtet, Sir.“

Wir wurden angewiesen, uns ganz förmlich in einer Reihe aufzustellen, wie die Schulkinder, die aus der Pause zurückkommen. Wir mussten ein wenig hin und her manövrieren, da manche der Gäste diesen albernen Brauch noch nie mitgemacht hatten. Sir Mordred nahm meinen Arm und führte Darcy und mich zur Spitze der Prozession, was mir sehr peinlich war.

„Ihr steht im Rang über uns, meine Liebe“, sagte Sir Mordred. „Ihr repräsentiert Eure Familie.“

Da konnte ich natürlich nicht ablehnen, und wir wurden durch den dunklen Flur und den ersten Saal in den Festsaal geführt. Sir Mordred hatte in gewisser Weise recht behalten. Der Raum wirkte fröhlicher, wenn das Kerzenlicht mit dem Kristallglas und dem Silberbesteck spielte, doch das änderte nichts daran, dass es sich immer noch um einen düsteren Raum handelte. Die Sonne war mittlerweile untergegangen, und durch die schmalen Fenster drang ein roter Lichtschein, der von den Bleiglasfenstern noch verzerrt wurde.

„Die Namen stehen an den Plätzen“, sagte Sir Mordred. „Bitte setzen Sie sich, wenn Sie Ihren Platz gefunden haben.“

Es erinnerte ein wenig an eine Runde Reise nach Jerusalem, bis alle saßen. Ich saß recht weit oben am Tisch, was schmeichelhaft war. Sir Mordred saß am Kopf des Tisches und direkt neben ihm die Schauspielerin Jill Esmond. Ich hatte ihren Ehemann, den schneidigen Laurence Olivier, auf meiner einen Seite und den Archäologen Max Mallowan auf der anderen. Neben ihm saß die alte Dame, deren Name laut Platzkarte Miss Ormorod lautete. Darcy saß auf der gegenüberliegenden Seite ganz in der Nähe, wie auch Zou Zou und Sir Hubert. Agatha und Edwin saßen etwas weiter unten am Tisch. Colonel und Mrs. Bancroft waren am anderen Ende außer Sichtweite. Mir fiel auf, dass sich außerdem Sylvia mit ihrem Ehemann und einige von Edwins Freunden ans untere Ende des Tisches setzten, vermutlich um die Plätze aufzufüllen. Sir Mordred hatte auf dreißig Gäste gehofft, doch ich glaube, die hatte er nicht zusammenbekommen.

Ich wollte mich gerade setzen, als ich sah, wie der Vorhang vor dem Alkoven, von dem aus das Essen hereingebracht werden sollte, ein Stück zur Seite gezogen wurde. Zu meinem Entsetzen sah ich Queenie dahinter hervorschauen. Ich eilte um den Tisch herum und schnappte sie mir. „Was machst du denn hier?“, zischte ich.

Sie zuckte mit den Schultern. „Er sagte mir, ich soll hier hochkommen.“

„Er?“

„Der alte Kerl. Der missmutige, alte Fiesling. Unser Küchenchef wollte, dass der alte Kerl hier oben dafür sorgt, dass alle Teller perfekt angerichtet sind, doch er sagte, er fühle sich immer noch nicht gesund, sei niemandes Dienstmagd und wolle keine Treppen steigen. Deshalb sagte Pierre, ich solle das machen, aber ohne etwas zu versauen, sonst könne ich mich zum Teufel scheren.“

Donnerwetter. Wenn es eine Sache gab, die das Bankett in Gefahr bringen konnte, dann war es Queenie, die auf die Teller losgelassen wurde. Ich malte mir Soße aus, die über den Rand troff, und zu Boden gefallenes Gemüse …

„Queenie“, sagte ich in möglichst ernstem Ton. „Ich verlasse mich darauf, dass du uns nicht blamierst. Die Ehre unseres Hauses steht auf dem Spiel. Sorge dafür, dass du Monsieur Pierre, Mr. O’Mara und mir Ehre machst.“

Sie hatte mich selten so ernst reden hören und starrte mich mit offenem Mund an. Dann zuckte sie mit den Schultern und sagte: „Wird gemacht, Mistress. Keine Sorge. Setzen Sie sich und genießen Sie ein tolles Essen.“

Ich versuchte, ruhig und gefasst zu wirken, als ich zu meinem Platz zurückkehrte. Darcy warf mir einen fragenden Blick zu, weil ich hinter dem Vorhang verschwunden war, doch ich wollte nicht, dass wir beide bei diesem Essen von Ängsten begleitet wurden. Sir Mordred hielt eine kurze Willkommensrede. Er stellte erneut seine Ehrengäste vor, also diejenigen von uns, die am Kopf des Tisches saßen, und sagte, wie sehr es ihn freue, mit uns feiern zu können. Sein neustes Buch werde bald veröffentlicht werden, und dies sei eine ausgezeichnete Art, diesen Anlass zu begehen. Außerdem dankte er Miss Ormorod für ihr Kommen und sagte, er hoffe, dass das Geld bei der Unterstützung der südafrikanischen Waisenkinder wertvolle Dienste verrichten werde. Miss Ormorod nickte, bekam aber kein Lächeln zustande. Sir Mordred erhob sein Glas. Mir fiel auf, dass uns in Erwartung unseres Eintreffens bereits Wein eingeschenkt worden war.

„Ehe wir darauf trinken, sollte ich Ihnen noch sagen, dass ich passend zu unserem mittelalterlichen Bankett echten Met aufgetrieben habe“, sagte Sir Mordred. „Er wurde von den Nonnen eines Klosters in Sussex hergestellt. Gewiss nicht nach jedermanns Geschmack, aber keine Sorge, es folgen auch noch ausgezeichnete Weine.“

Wir prosteten uns zu und tranken. Ich nippte nur ein wenig. Der Met war sehr süß und ich ohnehin schon ein wenig empfindlich. Außerdem wusste ich, dass ich dieses lange Mahl vorsichtig angehen sollte.

Die Krebsmousse wurde ohne Zwischenfälle von zwei Lakaien serviert, bei denen es sich um professionelle Bedienstete handeln musste, und nicht um Edwins Freunde aus Oxford. Es war köstlich, leicht und zart, mit Kaviar verziert und von frischen Salatblättern eingefasst. Ich sprach innerlich ein Dankgebet, weil Queenie es geschafft hatte, die Krebse wieder einzufangen. Als Nächstes kam die Spargelcremesuppe, gefolgt von marinierten Artischocken auf einem Salat aus verschiedenen, nicht identifizierbaren Blattgemüsen.

„Ich muss schon sagen, das Essen ist schrecklich gut.“ Das waren die ersten Worte, die Laurence Olivier in meine Richtung sprach. Sir Mordred hatte ihn bislang in eine Unterhaltung verwickelt, die sich um Vampire gedreht hatte und für ein Bankett nicht allzu angemessen gewesen war.

„Sie sollten das Verlies hier sehen“, sagte Sir Mordred. „Ich habe es bei der Führung nicht gezeigt, weil man dort keinen allzu sicheren Tritt hat, aber es ist beeindruckend. Wer weiß, was dort unten so vor sich ging. Oh, die Foltermethoden, die man in dieser Zeit benutzt hat. Ich hatte gehofft, dort die Überreste einer Streckbank oder einer Eisernen Jungfrau zu finden.“

Ich wandte mich ab, da ich nicht wollte, dass meinem Abendessen mit Foltermethoden eine andere Würze verliehen wurde. Max Mallowan hatte sich mit Miss Ormorod unterhalten. „Ich erzählte dieser Dame gerade von unserer nächsten Expedition in den Mittleren Osten“, sagte er.

„Wirklich faszinierend“, sagte die alte Dame. „Ich bin selbst nie gereist, aber meine Wohltätigkeitsorganisation verrichtet wundervolle Arbeit im Ausland. In gewisser Weise fühle ich mich, als hätte ich all diese Orte besucht.“

„Es muss schön sein, dass Sir Mordred dieses Fest organisiert hat, um Ihrer Organisation zu helfen“, sagte ich.

Sie hatte einen eigenartigen Ausdruck im Gesicht. „Oh, ja. Sehr schön“, sagte sie knapp, und ich bekam das Gefühl, dass die Sache alles andere als schön war.

Die Gläser mit Met wurden abgeräumt und durch Weingläser mit einem frischen Weißwein ersetzt. Dann kam die Quenelle von der Scholle, gefüllt mit winzigen Krabben und mit einer kräftigen Soße serviert. Danach folgte ein Zitronensorbet, um den Gaumen zu erfrischen. Rotwein wurde ausgeschenkt und die Ente serviert. Ich blickte während des Essens immer wieder zu diesem Vorhang und erwartete, den unvermeidlichen Fluch oder Schreckensschrei zu hören, doch nichts geschah. Meine Ente war hübsch auf ihrem Teller drapiert, mit der richtigen Menge Soße, winzigen, neuen Kartoffeln und frischen Erbsen.

„Das ist wirklich himmlisch“, sagte Zou Zou auf der anderen Seite des Tisches, und sprach damit meine eigenen Gedanken aus. Leider war es auch sehr reichhaltig. Wir hatten mittlerweile Canapés, Champagner und mehrere, recht schwere Speisen zu uns genommen. Ich spürte, dass ich keinen Bissen mehr herunterbekommen würde. Die Ente wurde abgeräumt, ein Dessertwein ausgeschenkt und dann der Nachtisch herausgebracht. Der Kellner wollte eine Obsttarte vor mir abstellen. Sie sah wunderbar aus: gehaltvoller Teig, darüber eine cremige Schicht, dann verschiedene Beeren und obenauf entweder Eierschaum oder Schlagsahne. Ich konnte es nicht wagen. Mein Magen sagte auf jeden Fall nein.

„Oh, ich schaffe das nicht mehr, verzeihen Sie“, sagte ich. „Ich muss im Moment aufpassen, was ich esse.“

„Natürlich, Mylady.“ Der Lakai nahm die Tarte wieder an sich und stellte sie stattdessen vor Max Mallowan ab.

„Das sieht verdammt gut aus“, sagte Tubby Halliday, der auf der anderen Seite von Miss Ormorod saß. „Falls eine übrigbleibt, können Sie die auch hier lassen.“ Er lehnte sich vor und wandte sich an Sir Mordred. „Verdammt gutes Mahl, Mortimer. Besser als alles, was man im Savoy bekommt. Mein Kompliment an deinen Koch.“

„Danke, Tubby“, sagte Sir Mordred.

„Dort treffen wir uns immer, die ehemaligen Mitglieder des Rugbyteams der Harrow“, erklärte Tubby, und seine Stimme hallte den Tisch entlang. Er leerte sein Weinglas und bedeutete, dass man ihm nachschenken solle. „Mein Gott, was hatte unser Jahrgang für ein Rugbyteam, nicht wahr? Wir haben Eton plattgemacht. Und die Rugbyschule! Und du hast prächtig gespielt, bis du dir den Finger gebrochen hast.“

„Ja, das war wirklich unglücklich“, sagte Sir Mordred.

„Es war auch ein wirklich schlimmer Bruch, wenn ich mich richtig erinnere“, fuhr Tubby fort. „Behindert dich das beim Schreiben? Benutzt du eine Schreibmaschine?“

„Das ist doch Schnee von gestern, alter Junge“, sagte Sir Mordred ungerührt. „Und ich schreibe ohnehin mit der Hand. Ich schreibe alles nieder, und eine wundervolle Frau entziffert alles und tippt es ab.“

„Gott sei Dank, dass es sie gibt“, sagte sein Verleger. „Seine Handschrift ist wirklich unleserlich.“

Tubby Halliday runzelte die Stirn, schien etwas sagen zu wollen, widmete sich dann aber seinem Nachtisch. Bald wurden die Käseplatte und die Obstschale herumgereicht. Ich bekam noch eine dünne Scheibe Stilton und eine Aprikose hinunter.

„Ich schätze, wir sollten das Richtige tun und die Damen hinausschicken, während wir Portwein und Zigarren genießen“, sagte Sir Mordred fröhlich. „Sylvia, meine Liebe, würdest du die Damen nach nebenan bringen? Dort sollte Kaffee bereitstehen.“

„Und was, wenn wir Portwein und Zigarren wollen?“, fragte sie. Ich wusste nicht, ob das ein Witz sein sollte.

„Mach dich nicht lächerlich. Los. Ab mit dir.“

Lady Mountjoy, die immer eine Pedantin war, wenn es um Verhaltensregeln ging, erhob sich. „Kommen Sie, die Damen. Überlassen wir die Herren ihren scheußlichen Gewohnheiten.“

Wir folgten ihr. Ich hätte gern nach Queenie gesehen und ihr gesagt, dass sie tolle Arbeit geleistet hatte, doch man plauderte bei einer förmlichen Dinnerparty nicht mit den Bediensteten. Ich kann euch gar nicht sagen, wie froh ich war, dass es keine größeren Missgeschicke gegeben hatte.

Ich folgte den anderen Damen zuerst zur Toilette, wo wir frischen Lippenstift und Puder auftrugen, und dann in den anderen Saal, wo einer der jungen Männer darauf wartete, uns Kaffee zu servieren. Obwohl der Tag warm gewesen war, fühlte sich dieser Raum kühl an, da ein Luftzug hindurchging, und ich wünschte, ich hätte ein dickeres Schultertuch mitgebracht. Ich setzte mich neben Agatha und die ältere Dame auf das Sofa und nahm einen Kaffee entgegen.

„Nein, vielen Dank“, sagte Miss Ormorod. „Ich glaube, das war alles etwas zu mächtig für mich. Wenn man sonst ein so schlichtes Leben führt, ist ein solches Mahl recht überwältigend für den Magen.“

„Ja, für mich war es auch ein wenig zu viel“, sagte ich.

„Ich hätte diese Tarte nicht mehr essen sollen, aber sie war köstlich“, sagte sie. „Doch wenn ich jetzt noch Kaffee trinke, tue ich heute Nacht kein Auge mehr zu. Ich übernachte bei meiner Freundin Beryl Parsons im Nachbarort. Wir sind seit unserer Schulzeit befreundet. Ich hätte sie gern zu diesem Essen eingeladen, doch die zwanzig Guineen übersteigen einfach mein Budget.“

„Es war ein köstliches Festmahl, das müssen Sie zugeben“, sagte Zou Zou. „Und all diese Menschen, die gerade gingen als wir eintrafen. Er muss heute eine beachtliche Summe gesammelt haben.“

„In der Tat“, sagte Miss Ormorod. „Ich habe das Gefühl, wir werden das Glück haben …“ Dann unterbrach sie sich. „Wir werden Glück haben“, sagte sie.

„Ich habe noch nie erlebt, dass mein Vater irgendetwas für wohltätige Zwecke tut“, sagte Sylvia, die diese Unterhaltung mitangehört hatte. „Oder überhaupt zum Vorteil anderer Personen. Es war schwierig genug, ihm meine Schulgebühren aus den Rippen zu leiern. Ich hatte einwilligen müssen, ihn zur Schulfeier einzuladen, damit er zu uns sprechen kann. Doch er wird gelegentlich nostalgisch, was Südafrika angeht. Ich glaube, er hatte dort wirklich viel Spaß. Er ist nicht dafür gemacht, ein Gutsherr zu sein.“

„Erzählen Sie mal“, sagte Mrs. Bancroft. „Gibt es denn viele Waisenkinder in Südafrika?“

„Nicht mehr als in jedem anderen armen Land“, sagte Sylvia.

„Arm?“, rief Lady Mountjoy. „Mit all diesen Bodenschätzen? Gold? Diamanten? Ich dachte, das Land wäre wohlhabend.“

„Für Weiße“, sagte Miss Ormorod leise.

Lady Mountjoy schürzte die Lippen. Das versetzte der Unterhaltung einen Dämpfer und wir waren froh, als die Männer wieder zu uns stießen. Ich flüsterte Darcy zu, dass ich gerne nach Hause gehen würde, sobald das angemessen war. Zou Zou schnappte die Botschaft sofort auf, so wie Frauen es eben tun.

„Oh, meine Liebe“, sagte sie. „Du siehst aus, als würdest du gleich umfallen. Wir hätten dir so kurz vor der Geburt nicht solche Strapazen auferlegen sollen. Hubert, Schätzchen, wir müssen Georgiana nach Hause bringen.“ Sie ging zu unserem Gastgeber. „Bitte entschuldigen Sie, dass wir uns zurückziehen, ja? Lady Georgiana wirkt sehr ermattet.“

Sir Mordred war überaus bekümmert um mich. Er küsste meine Hand und sagte, er hoffe, es sei nicht zu viel für mich gewesen. Dann geleitete er uns persönlich zu unserem Automobil. Mir fiel auf, dass Sir Huberts Freund, der Entdecker, uns begleitete.

„Ich sagte ihm, dass er zu dieser gottlosen Stunde unmöglich mit dem Zug nach London fahren kann“, sagte Sir Hubert. „Wir können für die eine Nacht doch gewiss ein Zimmer für ihn finden, oder?“

„Oh, natürlich“, sagte ich.

Wir setzten uns also allesamt in das Fahrzeug, auf dem Rücksitz ein wenig dichter gedrängt, und fuhren los. Ich seufzte erleichtert, als wir das Tor passierten. Der gesamte Abend war glatt gelaufen. Pierre hatte ein überwältigendes Mahl gezaubert, und Queenie hatte mich nicht enttäuscht. Alles in allem sehr zufriedenstellend.

Kapitel 15

26. Juli
Eynsleigh

Mein Urteil zum vergangenen Abend scheint ein wenig vorschnell gewesen zu sein.

Als ich erwachte, trommelte Regen gegen das Fenster und Donner grollte. Die schwüle Hitze des gestrigen Tages war also der Vorbote eines Gewitters gewesen. Ich drehte mich zu Darcy um, doch er war bereits aufgestanden und nicht mehr hier. Es musste also recht spät sein. Ich merkte, dass ich leichte Kopfschmerzen hatte – zu viel reichhaltiges Essen und Alkohol. Ich fragte mich, wo mein morgendlicher Tee blieb. Vielleicht hatte Darcy Maisie aufgetragen, mich nicht zu wecken. Ich streckte einen Arm aus dem Bett und betätigte den Klingelzug. Nach erstaunlich kurzer Zeit tauchte Maisie mit dem Tablett auf.

„Verzeiht, Mylady, aber Mr. O’Mara sagte, ich solle Euch nicht wecken“, erklärte sie. „Er sagte, ihr würdet vielleicht im Bett frühstücken wollen. Es wird allerdings etwas Einfaches sein müssen, da Queenie sich heute nicht wohlfühlt.“

„Oh, nein. Was ist los?“

„Ich weiß nicht, Mylady. Sie ist nicht aufgestanden, um das Frühstück zu machen. Mrs. Holbrook ging nach ihr sehen und sagte nur, dass wir uns anderweitig behelfen müssen.“ Sie warf mir einen wissenden Blick zu.

Ich konnte mir gut vorstellen, dass Queenie sich im Vorraum über die Reste hergemacht hatte, die vom Tisch zurückgekommen waren. Ich lächelte. „Das ist in Ordnung. Sie darf ausschlafen. Ein gekochtes Ei wäre schön, vielen Dank.“

Das Ei kam, ich aß es, zog mich an und ging nach unten, wo ich Zou Zou, Sir Hubert, den Entdecker und meinen Großvater im Tageswohnzimmer vorfand

„Ich hatte gehofft, Sie auf dem Anwesen herumführen zu können“, sagte Sir Hubert. „Wir haben eine schöne Herde von seltenem, asiatischem Rotwild, auf die ich sehr stolz bin, doch das Wetter ist einfach scheußlich.“

„Zum Glück hat es nicht gestern schon geregnet“, sagte Zou Zou. „Mordreds Spektakel wäre ins Wasser gefallen.“

„Aber dann hätten wir nicht kilometerweit durch seine Gärten stapfen müssen“, sagte ich, während ich mich zu ihr aufs Sofa setzte.

„Hattest du denn Spaß, Liebes?“, fragte mein Großvater.

„Ich weiß nicht, wie ich das beantworten soll“, sagte ich. „Es war alles sehr interessant – seine verschiedenen Gärten. Und sein Sohn kannte sich extrem gut mit den Pflanzen aus.“

„Das stimmt“, sagte Mr. Robson-Clough. „Ich habe ihm einige Fragen gestellt und er wusste wirklich Bescheid. Ein kluger junger Mann.“

„Und doch spielt er seinem Vater gegenüber den Ahnungslosen. Ich frage mich, warum“, sagte ich. „Er behauptet, in der Schule zu nichts Nutze zu sein.“

„Vermutlich will er den alten Mann ärgern“, sagte Sir Hubert. „Ich denke, da ist wenig Liebe zwischen den beiden.“

„Bei der Tochter sieht es nicht anders aus“, sagte Zou Zou. „Aber ich muss auch sagen, dass ihr Ehemann eine schlechte Wahl ist, oder? Er hat den ganzen Abend kaum ein Wort herausgebracht. Keinerlei Umgangsformen.“

„Du hast mich gefragt, ob ich Spaß hatte, Großvater“, sagte ich. „Das Essen war köstlich. Pierre hat sich selbst übertroffen. Doch ich hatte den ganzen Abend das Gefühl, den Atem anzuhalten, weil ich darauf wartete, dass irgendetwas schiefgeht. Queenie hat beim Servieren geholfen, weißt du?“

„Das ist eigenartig, denn ich fühlte mich auch die ganze Zeit unbehaglich“, sagte Sir Hubert, während er meinem Blick begegnete. „Es ist kein sehr angenehmes Haus, nicht wahr? Alles andere als warm und einladend.“

„Einfach schrecklich“, rief Zou Zou. „Die Toilette im Erdgeschoss, meine Lieben. Ich hatte schon erwartet, eine Fledermaus von der Decke hängen zu sehen. Es war so grauenhaft, dass ich beinahe eingehalten hätte, bis wir hierher zurückkommen – oder ich mich draußen in die Büsche schlagen könnte. Vielleicht hätte das den Giftgarten aufgewertet.“ Sie lachte herzlich.

„Ich habe über die Jahre gelernt, ein solches Unbehagen nicht leichtfertig abzutun“, sagte Mr. Robson-Clough in seiner langsamen, gewissenhaften Art zu sprechen. „Unser Unterbewusstsein nimmt Anzeichen für eine Gefahr wahr, bevor sie uns wirklich bewusst wird. Ich erinnere mich daran, dass ich im Kongo einmal nicht in einen Einbaum steigen wollte, weil mir etwas sagte, dass er vielleicht nicht sicher schwimmen würde. Deshalb fuhren meine Mitreisenden ohne mich los.“ Er schaute nach oben und legte die Stirn in Falten. Er hatte erstaunlich strahlende Augen für einen Mann seines Alters. „Wie sich herausstellte, war mit dem Einbaum alles in Ordnung, doch die Reisegruppe wurde von den Flussufern aus angegriffen, und sie wurden allesamt umgebracht.“

Nun, das war nicht die heiterste Geschichte für den Start in den Tag!

„Weiß jemand, wo Darcy ist?“, fragte ich.

„Ich glaube, er ist ins Arbeitszimmer gegangen, um einige Anrufe zu tätigen“, sagte mein Großvater. „Er war recht früh auf den Beinen und nicht allzu begeistert, als er feststellte, dass kein Kaffee bereitsteht, das kann ich dir sagen. Er hat ein paar ausdrucksstarke Worte vor sich hingemurmelt.“

„Oh, je“, sagte ich. „Vielleicht sollte ich mal nach Queenie sehen. Ich hoffe, sie simuliert nicht bloß.“

Ich ging ins Stockwerk der Bediensteten hinauf und atmete schwer, als ich am Ende der zweiten Treppe ankam. Donnerwetter, das Kinderzimmer war hier oben. Ich hoffte, dass ich agiler sein würde, sobald der runde Bauch verschwunden war.

Queenie lag in ihrem Bett und sah schrecklich grün im Gesicht aus. Neben ihrem Bett stand ein Eimer. Ich versuchte, ihn nicht anzuschauen.

„Es tut mir so leid, Mistress“, sagte sie, „aber ich fühle mich wie durch die Mangel gedreht. Ich konnte einfach nicht aufstehen, um das Frühstück zu machen. Allein beim Gedanken an Essen wurde mir schlecht.“

„Oh, je. Das tut mir leid. Nein, bleib liegen, wir kommen schon zurecht. Pierre kann uns ein einfaches Mittagessen zubereiten. Glaubst du, es war etwas, das du gegessen hast?“

„Das muss es gewesen sein“, sagte sie. „Als wir gestern Abend zurückfuhren, fühlte ich mich pudelwohl. Pierre war gut gelaunt, weil das Abendessen so gut gelaufen war, und wir haben zusammen mit Phipps im Automobil gesungen. Dann bin ich mitten in der Nacht mit schrecklichen Magenkrämpfen aufgewacht und musste zum Klo rennen. Und seitdem ist es nicht besser geworden.“

„Vielleicht hast du es übertrieben“, sagte ich taktvoll. „Hast du dich an den Resten bedient? Es war Essen, das du nicht gewohnt bist und das sehr reichhaltig war. Mir war am Ende des Festmahls selbst ein wenig übel.“

„Das muss es wohl gewesen sein“, sagte Queenie. „Ich habe ein wenig von der Ente gekostet, und die war nicht schlecht. Und dann die Tartes. Es waren zwei übrig und ich dachte, es wäre zu schade, sie in die Küche zurückzuschicken, weil ich wusste, dass da noch mehr standen. Pierre hat ein paar mehr gemacht, für den Fall, dass irgendwo der Teig beschädigt wird.“

„Diese Tartes mit all der Sahne sahen sehr mächtig aus. Oder war das Eierschaum oben drauf?“

Sie schüttelte den Kopf, als wäre der Gedanke daran unerträglich. „Nein, es war irgendeine Art dicke, süße Creme. Verdammt lecker, aber … ich ertrage es nicht einmal, daran zu denken. Dabei dreht sich mir fast der Magen um.“

Ich lächelte sie mitfühlend an. „Nun, lass es heute langsam angehen. Ich lasse dir von Pierre Toast und Fleischextrakt machen. Das hat mir immer geholfen, wenn ich mich als Kind nicht gut fühlte.“

„Sie sind sehr gütig, Mistress“, sagte sie. „Ich habe mich gestern gut angestellt, nicht wahr? Ich habe nichts fallengelassen und mit diesem albernen Aufzug die Teller hoch und runter geschickt.“

„Du warst wundervoll, Queenie“, sagte ich. „Du hast uns alle Ehre gemacht.“

„Ich gebe mein Bestes, Mistress“, sagte sie. „Wirklich.“

Ich schlich mich hinaus und ließ sie mit geschlossenen Augen in ihrem Bett liegen. Arme Queenie. Doch sie hatte die körperliche Verfassung eines Ochsen, oder nicht? Ich versuchte, mir keine Sorgen zu machen. Das war wirklich untypisch für sie.

Als ich die Treppe herunterkam, klingelte das Telefon in der Eingangshalle. Ich hörte, dass abgenommen wurde, vermutlich am zweiten Gerät in Darcys Arbeitszimmer, da ich niemanden sah, als ich die Halle erreichte. Ein oder zwei Minuten später tauchte Darcy auf.

„Das war Sir Mordred“, sagte er. „Er wollte wissen, ob es uns gutgeht. Er scheint einen schlimmen Fall von Lebensmittelvergiftung zu haben. Ich sagte ihm, dass es uns allen gutgeht. Er fragte, ob wir Pierre zu seinem Haus bringen können, um herauszufinden, was genau serviert wurde.“

„Na schön“, sagte ich. „Es tut mir sehr leid, dass es ihm nicht gutgeht. Übrigens ist bei uns nicht alles in Ordnung. Queenie liegt in ihrem Bett und sieht aus, als wäre sie dem Tode nah.“

„Queenie? Sie hat doch nichts von dem Essen gegessen, oder?“

Ich musste lachen. „Darcy, wir sprechen hier von Queenie. Sie hat sich vermutlich an einigen Resten bedient. Und sie hat mir gestanden, zwei der Tartes gegessen zu haben.“

„Oh, je.“ Er lachte kurz, dann wurde sein Gesichtsausdruck wieder ernst. „Ich frage mich, was das gewesen sein kann. Wir sind unbeschadet davongekommen, doch wir haben das gleiche Essen gegessen, oder?“

„Queenies Zustand schiebe ich auf den übermäßigen Genuss von Gerichten, die ihr nicht vertraut waren, doch wenn Sir Mordred auch angeschlagen ist …“

Darcy berührte mich sanft am Arm. „Wir sollten so schnell wie möglich Pierre holen und zu Sir Mordred fahren. Ich weiß auch nicht, was der Auslöser gewesen sein könnte.“

***

Pierre war gerade erst erwacht und wurde recht streitlustig, als wir ihm die Neuigkeiten unterbreiteten.

„Die sagen, mein Essen war nicht gut? Nein, tausendmal nein. Das glaube ich nicht. Alles, was ich koche, ist frisch und sauber und mit großer Expertise zubereitet. Ich werde mitkommen und diesem Sir Mordred erklären, dass er meine Ehre beleidigt.“

„Donnerwetter, bitte fordern Sie ihn nicht zum Duell, ja?“, bat ich.

Darcy gluckste.

Wir berichteten dem Rest der Mannschaft, was geschehen war, und dass wir mit Pierre nach Blackheart Manor fahren würden.

„Was für eine Frechheit“, sagte Zou Zou. „Anzudeuten, dass es an Pierres Essen liegt. Der Mann hat gestern Abend offensichtlich zu tief ins Glas geschaut. Er hat ständig getrunken, nicht wahr?“

„Es ist schwer zu sagen, was es gewesen sein könnte“, sagte ich. „Uns geht es allen gut, und wir haben den ganzen Abend die gleichen Speisen gegessen.“

Mr. Robson-Clough räusperte sich. „Ich muss gestehen, dass ich mitten in der Nacht aufgewacht bin und mich nicht allzu gut fühlte“, sagte er. „Magenkrämpfe und ein Gang zum …“ Er räusperte sich, statt vor den Damen das gefürchtete Wort auszusprechen. „Aber ich habe eine eiserne Verfassung. Ich habe schon Ratte und Schlange und geröstete Heuschrecken gegessen, also wenn es mir schon zu schaffen machte, könnte es für andere deutlich schlimmer gewesen sein.“

„Haben Sie irgendetwas gegessen, wovon wir nicht gekostet haben?“, fragte Sir Hubert. „Ein anderes Canapé vielleicht?“

Der Entdecker schüttelte den Kopf. „Räucherlachs auf Toast, diese kleinen, runden Teigbällchen … nichts, was Probleme machen könnte.“

„Ich habe eine gute Auswahl von allem gegessen, und mein Magen ist im Moment sehr empfindlich“, sagte ich. „Wie Mr. Robson-Clough sagte, waren die Canapés alle harmlos. Wie geht es Ihnen denn jetzt? Können wir irgendetwas für Sie tun?“

Der Entdecker gluckste. „Alles bestens, junge Dame, aber danke der Nachfrage. Ich musste nach einer Nacht mit Durchfall schon einmal einen Dreißig-Kilometer-Marsch antreten. Mein Körper weiß, wie er sich rasch regeneriert!“

„Wir sollten uns gleich auf den Weg machen“, sagte Darcy und nahm meine Hand. „Wir müssen Pierres Namen reinwaschen, oder?“

„Absolut. Wir sind bald zurück und berichten dann.“

Berühmte letzte Worte.