Kapitel 1
„Willst du … mich heiraten?“
Ich lächelte und seufzte schwer. „Ja.“
„Bist du sicher?“ Mein Gegenüber kratzte sich nachdenklich das Kinn. Seine Gesichtsfarbe wirkte neben all den Pflanzen in meinem Verkaufsraum gleich noch ein wenig grünlicher.
„Bin ich.“
„Ich weiß nicht so recht, Louisa. Vielleicht ja eher: Willst du meine Frau werden?“
„Nein, nein. Wirklich.“ Ich schüttelte den Kopf und drehte den Ritterhelm in meinen Händen. „Mir gefällt die Heiraten-Version deutlich besser. Gerade die dramatische Pause in der Mitte. Sehr schön.“
Manfred rieb sich noch immer unschlüssig über das Gesicht, sodass seine Falten Wellen schlugen. Als hätte man einen Stein in einen See geworfen. Mit der freien Hand klammerte er sich sichtlich nervös an meinem Verkaufstresen fest, sodass ich Angst um das weiche Kiefernholz bekam.
„Du hast keinen Grund, so nervös zu sein“, versicherte ich ihm aufmunternd. „Trudi wird mit Sicherheit Ja sagen!“
Manfred war seit fast einem Jahr mit meiner ehemaligen Mitarbeiterin und jetzt nur noch verrückten Freundin Trudi zusammen. In Seniorenzeit also schon eine halbe Ewigkeit. Zumindest hatte er mir versichert, dass ein Mann von seiner Klasse eine elegante Frau wie Trudi einfach nicht länger warten ließ. Sie waren schließlich keine sechzig mehr!
„Wird sie“, stimmte jetzt auch meine Schwester Emily zu, die neben mir auf einem Hocker saß und in einem Handspiegel prüfte, ob ihre blaue Gesichtsfarbe noch saß. „Weil sie Partys toll findet und eine schmeißen darf, wenn sie dich heiratet – das lässt sie sich nicht entgehen.“
„Und natürlich, weil sie dich liebt“, setzte ich pflichtbewusst hinzu.
Emmi winkte ab. „Jaja, das auch.“
„Meint ihr?“, fragte er unsicher und strich sich nervös den Frack glatt, bevor er sich mit den Fingern die Haare über die Glatze kämmte.
„Ja“, sagte ich fest. „Sie ist begeistert von dir!“
Er war schließlich ein reicher ehemaliger Steuerberater in seinen späten Siebzigern, der noch alle Zähne hatte, das Rockinstrument Akkordeon beherrschte und einen nicht allzu haarigen Rücken besaß. Der menschliche Jackpot, wenn man Trudi fragte. „Und ich muss sagen, Manni, deine Verkleidung als Bräutigam ist auch sehr cool.“
„Bräutigam?“ Verdutzt blickte er an sich hinunter. „Ich bin ein Pinguin.“
Oh. Das erklärte die orangene Nase. Ich war davon ausgegangen, dass er zu viele Karotten gegessen hatte. „Meine ich doch!“, sagte ich hastig, stellte den Ritterhelm auf dem Tresen ab und klopfte ihm lächelnd auf die Schulter.
Einige Sekunden lang sah er mich skeptisch an, dann nickte er jedoch. „Danke. Okay, ich geh noch mal kurz in dein Büro und übe den Antrag. Es ist schon fast elf, Trudel wird bald hier sein!“
Mit roten Flecken auf Wangen und Hals wuselte er durch die Tür neben dem Tresen, die in mein Arbeitszimmer führte, das aus siebzig Prozent Schreibtisch und dreißig Prozent Kekskrümeln bestand.
„Wow, mit Ende siebzig heiraten“, meinte Emily, sobald die Tür ins Schloss fiel, und zog meinen Ritterhelm vom Tisch. „Eigentlich keine schlechte Idee, oder? Vielleicht sollte ich auch so lange warten – dann ist eine Scheidung zumindest sehr viel unwahrscheinlicher. Ich meine, es klingt irgendwie besser, wenn man sagt: Ich bin verwitwet und nicht etwa: Ich bin geschieden.“ Nachdenklich knibbelte sie an der Alufolie meines Helms herum. „Meinst du nicht?“
„Ich finde, beides hört sich nicht sonderlich erquickend an“, stellte ich trocken fest. „Und hey, pass auf.“ Ich schnalzte mit der Zunge und zog ihr ungeduldig das Prunkstück meiner Verkleidung aus den Händen. „Nachher geht der Helm kaputt, bevor ich ihn überhaupt benutzt habe. Er ist etwas fragil. Ich hab ihn selbst gebastelt!“
Es war das erste Mal seit zehn Jahren, dass ich wieder Alufolie benutzt hatte. Zum Kochen verwendete ich sie nämlich nie – Herde und Öfen mochten mich einfach nicht, weil ich sie jahrelang schlecht behandelt hatte. Es war nur fair, ihre Wünsche zu respektieren und mich ihnen nicht auf mehr als drei Metern zu nähern. Seit ich einen Freund hatte, der mit einem Kochlöffel genauso gut hantieren konnte wie mit einer Handfeuerwaffe, musste ich es Gott sei Dank auch nicht mehr.
Meine jüngere Schwester seufzte und verdrehte ausdrucksstark die Augen. „Du bist so ein Nerd, Lou.“
Vermutlich hatte sie recht. Aber ich bezeichnete mich gern als leidenschaftlich. Wenn mich jemand fragen würde, welche drei Dinge ich im Leben am meisten liebte – Menschen ausgeschlossen –, dann wäre die Liste sehr einfach.
Erstens: Blumen und Pflanzen.
Zweitens: Schokolade und ihre Anwendungsbereiche (größtenteils jedoch die in meinem Magen).
Drittens: Karneval.
Und da heute Weiberfastnacht, der Startschuss des Kölner Straßenkarnevals war, hatte ich die letzten Wochen damit verbracht, drei Kostüme zu basteln. Denn nur der jämmerlich einfallslose Karnevalsenthusiast trug sechs Tage lang dasselbe. Ich mochte ein fauler Mensch sein – aber ich war kein fauler Jeck.
Das war nicht weiter verwunderlich, als gebürtige Kölnerin – mit einer Mutter, die die witzigsten roten Pusteln bekam, wenn Konfetti ihren Teppich verunreinigte – floss mir Karneval praktisch durchs Blut. Aber ich hatte bereits mit fünf erkannt, dass Karneval nicht einfach ein Event war. Es war eine Lebenseinstellung. Die Chance, für eine Woche im Jahr jemand anderes zu sein.
Damals hatte meine Mutter mich als Prinzessin verkleidet in den Kindergarten geschickt.
Ich war äußerst unzufrieden mit der Kostümwahl gewesen. Denn eigentlich hatte ich als Kartoffel gehen wollen. Mein Bruder Jannis hatte mir erzählt, dass diese innerhalb von neunzig Tagen ausgewachsen waren – was mir zu dem Zeitpunkt wie ein gutes Ziel erschienen war.
Aber nein, meine Mutter hatte mich in ein pinkes Kleid gesteckt, mir die Haare geflochten und meinen Kopf mit einer Krone verziert.
Der Kragen des Kleides hatte furchtbar gekratzt, der Saum meine Knöchel gekitzelt und die Krone unangenehm gedrückt. Also hatte ich, sobald meine Mutter mich an der Garderobe abgesetzt hatte, den Kragen zerrissen, die Krone zerbrochen und den Saum fachmännisch mit einer Schere zerfetzt.
Den Erzieherinnen hatte ich erzählt, dass ich als Prinzessin gehen würde, die soeben siegreich aus einem Kampf mit einem Drachen hervorgegangen war.
Die anderen Kinder waren so beeindruckt von meinem Aufzug gewesen, dass ich an diesem Tag das bunteste Glitter, die schönsten Wachsmalstifte und drei Schokopuddings mein Eigen hatte nennen dürfen.
Das war es definitiv wert gewesen, am selben Abend von meiner Mutter ohne Nachtisch ins Bett geschickt zu werden. Ich hatte ohnehin Bauchschmerzen gehabt.
Was mir dieser Tag also bewiesen hatte: Karneval war magisch und machte Träume wahr. Wenn man wollte, konnte man ein völlig anderer Mensch sein!
Als Jugendliche, die den Großteil ihrer Schulzeit damit verbracht hatte, lateinische Pflanzennamen auswendig zu lernen und den Spitznamen Loser-Lou nicht allzu ernst zu nehmen, war das wundervoll gewesen. Mittlerweile war ich jedoch kein unsicherer Teenager mehr und nutzte Karneval so wie jeder andere vernünftige Erwachsene auch: um sich zu betrinken, albern anzuziehen, kölsche Lieder zu grölen, zu viele Berliner zu essen und generell zu ignorieren, dass man keine achtzehn mehr war. Und Emmi konnte mir erzählen, was sie wollte, ich war nicht die Einzige, die Karneval liebte.
„Um elf Uhr elf machen wir aber schon zu, oder?“, fragte sie und betrachtete ihre blauen Fingernägel. „Ich meine … wir können nicht nicht zu machen! Das wäre Ketzerei.“
Ich grinste. „Natürlich. Wir haben eine Tradition aufrechtzuerhalten. Also schließen wir den Laden und gucken den Reiterzug Jan von Werth an. Wie jedes Jahr.“
Erleichtert ließ sie die Schultern sinken. „Gut, ich hab Finn nämlich schon gesagt, dass wir uns dort treffen. Es ist übrigens gemein, dass Leonie heute freibekommen hat.“
Leonie war die zweite Azubine meines Blumenladens Louisa’s Flower Power und zu Emilys Verdruss eine weitaus bessere und fleißigere Mitarbeiterin als sie.
„Leonie läuft gleich als Tanzmariechen im Eröffnungszug mit“, erinnerte ich sie. „Natürlich hat sie freibekommen.“
„Mhm“, machte Emily unzufrieden, bevor sie eine äußerst lädiert aussehende PET-Flasche aus ihrer Handtasche zog, die mit einer dunkelroten Flüssigkeit gefüllt war, die verdächtig nach Wein aussah aus.
Ungläubig schnappte ich sie ihr aus den Fingern. „Emmi!“, zischte ich. „Du bist schwanger. Du darfst nicht trinken.“
Meine Schwester hatte vor wenigen Wochen erfahren, dass sie überraschenderweise ein Kind erwartete. Vater war Finn, ihr bester Freund, Bruder meiner besseren Hälfte Josh und ahnungsloser Schlucker – denn Emily hatte ihn noch nicht von seinem Glück unterrichtet.
„Danke, Mama, das weiß ich selbst“, erwiderte Emily verärgert. „Es ist Traubensaft. Ich muss doch wenigstens so tun, als würde ich saufen. Sonst wird Finn misstrauisch.“
Ich seufzte schwer. „Wäre es nicht simpler, es ihm einfach zu sagen?“
Emily presste die Lippen zusammen. „Nein, wäre es nicht. Ich weiß ja selbst noch nicht, ob ich es behalten will oder nicht. Abgesehen davon will ich, dass Finn mit mir zusammen sein möchte, weil ich der beste Mensch auf der ganzen Welt bin – nicht, weil sein Samen in mir gesprossen ist.“
Ich zog eine Grimasse. „Nette, bildliche Beschreibung – und das verstehe ich, Emmi. Aber du verpasst hier womöglich eine Chance. Ich meine: Sag es ihm doch, wenn er richtig betrunken ist“, schlug ich vor. „Um den Schlag zu mildern.“
„Gott, nein.“ Emmi schüttelte heftig den Kopf. „Dann vergisst er es wieder und ich muss es ihm noch mal sagen. Nein, nein. Ich werde Traubensaft trinken, so tun, als wäre ich angeschippert, mich von Pralinenschachteln am Kopf treffen lassen und Kindern ihre Strüßje klauen. Wie jedes Jahr. Finn schöpft keinen Verdacht, ich habe Pralinen und Strüßje … alle gewinnen.“
Seufzend legte ich einen Arm um ihre Schultern. „Emily, ich weiß, dass du Angst hast, es ihm zu sagen … aber vielleicht würde es dir ja guttun, ehrlich zu sein. Nicht mehr allein zu sein. Zu wissen, was Finn denkt.“
Sie schnaubte und schüttelte meinen Arm ab. „Ehrlichkeit hat noch niemandem geholfen und wenn Finn dieses Wochenende wieder versucht, mich ins Bett zu bekommen, dann weiß ich zumindest, dass wir eine Chance haben. Das würde mich beruhigen.“
„Schön“, kapitulierte ich und hob die Hände. „Es ist deine Sache. Aber es tut mir schon leid für dich, dass du dieses Jahr keinen Alkohol trinken darfst.“
„Warum?“ Aufmüpfig reckte Emily das Kinn. „An Karneval geht es doch nicht ums Trinken.“
Ich schwieg.
„Na gut, nicht nur!“, korrigierte sie sich verärgert. „Aber ich brauche keinen Alkohol oder Gras, um Spaß zu haben.“ Wehleidig verzog sie das Gesicht. „Auch wenn sie wirklich helfen.“
Ich wollte Emily gerade ein paar tröstende Worte schenken, als die Tür aufging und Josh hereinkam.
Kommissar Joshua Rispo war eine dunkelhaarige, eins neunzig große Erscheinung, die mein Herz noch immer höherschlagen ließ. Ein Mann mit Marshmallowherz, aber dreckigen Fantasien – also genau nach meinem Geschmack.
Er war seit zwei Jahren mein Freund, seit seiner Kindheit ein bekennender Schwarzmaler, seit seiner Ausbildung zum Kriminalkommissar zertifiziertes Megafon und seit ich ihn kannte, davon überzeugt, dass ich der Grund seines frühen Todes in Form eines Herzinfarktes sein würde. Und das nur, weil ich den Hang dazu hatte, mich in gefährliche Situationen zu begeben, blutrünstigen Mördern nachzustellen und unsere gemeinsame Wohnung in ein Gewächshaus zu verwandeln, wann immer ich gestresst war.
Meiner Meinung nach war er einfach ein wenig zu zart besaitet.
Heute trug er Jeans, einen schwarzen Mantel und einen verdrießlichen Gesichtsausdruck, sah also aus wie immer. Normalerweise mochte ich diesen Aufzug. Aber nicht an Weiberfastnacht!
„Du hast dich nicht verkleidet!“, rief ich entrüstet.
„Klar hab ich das“, sagte er leichthin und ließ die Tür fallen. „Ich geh als Inkognito-Polizist.“
Ich stemmte die Hände in die Seiten. „Josh! Du meintest, du hättest ein Kostüm, ich müsse mir keine Gedanken darum machen.“
„Nun, ich habe offensichtlich gelogen“, stellte er sachlich fest. „Reiner Selbstschutz. Du hättest mich sonst als Einhorn verkleidet oder so was.“
Oh, Rispo als Einhorn. Das war eine fantastische Idee! Das musste ich mir merken.
„Siehst du!“, meinte er vorwurfsvoll und deutete mit dem Zeigefinger auf mich. „Du hast jetzt schon dieses verrückte Glitzern in den Augen bekommen, das da sonst nur erscheint, wenn du mal wieder über eine Leiche stolperst und Miss Marple spielst.“
Verärgert verschränkte ich die Arme. „Es ist egal, wie ich gucke. So nehme ich dich nicht mit auf den Umzug.“
„Ich weiß gar nicht, was du hast, Lou“, meinte Emmi abwesend. „Er hat sich doch verkleidet. Er geht offensichtlich als Spielverderber.“
„Nehm ich“, sagte Josh zufrieden.
„Nein!“, rief ich sofort.
Ich hatte noch nie mit Josh Karneval gefeiert, weil er die letzten Jahre über immer hatte arbeiten müssen, und er würde mir den Spaß nicht verderben. „Ernsthaft, Josh! Du bist Kölner! Wenn du dich nicht verkleidest, schmeißen sie dich aus der Stadt.“
Rispo verdrehte die Augen. „Ein bisschen dramatisch, findest du nicht? Ich hab Bereitschaft – und ich mag Karneval nicht.“
Emmi zog schockiert die Luft ein. „Aber du bist Kölner!“, echote sie meine Worte
„Ich weiß.“
„Du wurdest hier geboren!“
„Ich weiß!“
„Josh, das ist Ketzerei!“
„Oh, großer Gott, ist es nicht! Glaubt mir, wenn ihr Polizist wärt, würdet ihr Karneval auch nicht mögen.“
Emily und ich wechselten einen Blick und schüttelten dann unisono den Kopf. „Dumme Ausrede“, verkündete ich.
„Das ist noch lange kein Grund, sich nicht zu verkleiden“, unterstützte Emily mich.
Josh hob nur die Schultern. „Ist mir egal. Ich wiederhole: Ich hab Bereitschaft. Und es könnte mitunter peinlich werden, als Einhorn verkleidet bei einem Tatort aufzutauchen.“
„Ach was.“ Emily schüttelte den Kopf. „Viele Zeugen reden sehr viel lieber mit einem Einhorn als mit einem Polizeibeamten. Abgesehen davon: Kein vernünftiger Kölner mordet an Karneval. Das wäre als ob … ein Pastor am Sonntag mordet!“
Ich lächelte unschuldig. „Dagegen kannst du nicht argumentieren, Josh.“
Düster sah er mich an.
„Setz dir zumindest einen komischen Hut auf, oder so“, schlug ich vor. „So können wir wirklich nicht mit dir vor die Tür.“
„Ich hab keinen komischen Hut!“
„Oh, ich weiß!“ Meine Miene erhellte sich und hastig lief ich um den Tresen herum, um mir einen der Blumenkränze zu schnappen, die ich für Hochzeiten verkaufte. Zufrieden fuhr ich durch Joshs Haare, bevor ich ihn kunstvoll darauf drapierte und mit einer Klammer aus meinen eigenen Haaren fixierte. „Tadaa. Jetzt gehst du als Blumenmädchen.“
Joshs Blick wurde gleich noch ein wenig griesgrämiger.
„Als unzufriedenes Blumenmädchen“, spezifizierte ich.
„Schön“, sagte er, sein Tonfall überraschend leicht und freundlich. „Von uns allen sehe ich trotzdem am hübschesten aus. Ich meine: Wenigstens gehe ich nicht als Käselaib.“ Er deutete an meinem löchrigen, gelben Gewand hinab.
„Ich gehe nicht als Käse!“, stellte ich klar, nahm mir den Ritterhelm und setzte ihn auf. „Das hier ist mein ganzes Kostüm.“
Stirnrunzelnd betrachtete er mich. „Was soll das sein?“
Ich klappte das Visier nach oben und lächelte breit. „Ich gehe als Mittelalter Gouda.“
Rispos Mundwinkel zuckten. „Ah, du hast dich also für das sexy Kostüm entschieden.“
„Humor ist sexy“, unterrichtete ich ihn angesäuert.
„Oh, auf jeden Fall“, sagte Josh ernst und drückte meine Hand. „Wer wäre ich, mich gegen ein wenig guten Käse-Humor auszusprechen?“
Emily kicherte. „Du siehst aber wirklich albern aus, Lou.“
„Natürlich tue ich das!“, meinte ich verärgert. „Ariane und Trudi sind ja auch nicht hier. Es ist ein Gruppenkostüm. Ohne jungen und alten Gouda wirkt es nicht.“
„Mhm, klar“, meinte Emmi süffisant grinsend.
Ich entschloss, sie zu ignorieren. Ich war sehr stolz auf das Kostüm und nur, weil Rispo und sie keinen Geschmack hatten, würde ich mir den Tag nicht versauen lassen.
„Was bist du denn, Emily?“, riss Josh mich aus den Gedanken und betrachtete verwirrt meine blau angemalte und stark gepolsterte Schwester.
„Ein Blauwal!“, sagte sie und verdrehte die Augen. „Ernsthaft Joshi, du hättest in Bio besser aufpassen sollen. Das ist doch offensichtlich.“
„Ah.“ Er nickte. „Sorry. Ich dachte, du wärst vielleicht ein Schlumpf, der in einer Keksdose gefangen gehalten wurde.“
Ich lächelte, doch Emmi fand das überhaupt nicht witzig. „Weißt du, ich würde sehr viel lieber als sexy Krankenschwester oder süße Erdbeere gehen oder so, aber ich dachte, wenn ich so tue, als wäre ich dick, kann sich Finn schon mal an den Gedanken gewöhnen. Weil ich ja bald ohnehin aufgehen werde wie ein Ballon.“ Sie räusperte sich und lief rot an. „Falls ich das Baby behalte, natürlich.“
Rispo und mir wurde es verwehrt, einen weiteren Kommentar zu machen, denn die Tür ging auf ein Neues auf.
Meine ehemalige Angestellte Trudi war ja schon zu Nicht-Karnevalistischen Anlässen eine fantastische Erscheinung. Doch heute hatte sich die laut Manni eleganteste Frau, die er jemals kennengelernt hatte, selbst übertroffen.
Ein löchriges Käseleibchen schlackerte lose um ihren dürren Körper. Das Lätzchen um ihren Hals passte farblich zu der Babyrassel in ihrer Hand. Und die Windel, die ihr als Hose diente, ließ jedes Baby in zwei Kilometern Entfernung vor Neid erblassen. Die grauen Haare hatte sie zu zwei kleinen Zöpfen gefasst, die frech von ihrem Kopf abstanden.
Wow, sie hatte ihre Kostüminstruktionen wirklich sehr ernst genommen.
„Habe ich das richtig verstanden: Trudi ist der junge Gouda?“, flüsterte mir Josh zweifelnd ins Ohr.
„Na ja, Trudi meinte, sie ist schon alt, da hat sie es nicht eingesehen, sich auch noch als alt zu verkleiden“, wisperte ich achselzuckend zurück.
„Windeln sind unglaublich bequem und praktisch, Louisa!“, begrüßte sie mich begeistert. „Das vergisst man schnell.“
„Du siehst wundervoll aus, Trudi“, bemerkte Emily und schaffte es dabei, todernst auszusehen. „Einen hübscheren jungen Gouda habe ich noch nicht gesehen!“
Die alte Dame lief babybelrot an. „Oh, vielen Dank, Emmi. Du bist aber auch eine schöne Seifenblase.“
„Ein Blauwal! Ich bin ein Blauwal!“, stöhnte Emily. „Mist. Ach, egal. Seifenblasen sind auch dick und rund. Es macht also eigentlich keinen Unterschied.“
„Und ich bin es, der im Biologieunterricht besser hätte aufpassen sollen …“, murmelte Josh.
„Sagt mal, ist Manfred schon hier?“, wollte Trudi wissen und sah sich um, als könnte der alte Herr sich hinter dem Tresen verstecken.
„Oh ja“, fiel mir ein. Hastig lief ich zur Tür meines Büros und klopfte.
Showtime. Ich hoffte sehr, dass Manfred genug geübt hatte. Zumindest die Entscheidung zwischen „Willst du mich heiraten?“ und „Willst du meine Frau werden?“ sollte gefallen sein.
Manni riss die Tür auf, sodass ich ihm beinahe auf die Nase geklopft hätte. Doch er beachtete meine Hand in seinem Gesicht gar nicht, sondern schubste mich hektisch aus dem Weg und atmete tief ein und aus. So als hätte er Angst, gleich den Mut zu verlieren.
Im nächsten Moment presste er beide Hände auf die Brust und fixierte Trudi. „Trudel. Du siehst wunderschön aus. Ich habe mich zu einem Laib Gouda noch nie so sexuell hingezogen gefühlt“, sagte er feierlich.
Trudi lief rosarot an und machte eine wegwerfende Handbewegung. „Du bist immer so ein Charmeur, Manni.“
Wir würden da alle ihrem Urteilsvermögen vertrauen müssen. Uns blieb auch gar keine Zeit, zu widersprechen, da Manfred eine Sekunde später auf die Knie sank.
„Trudel, du bist der Sprudel in meinem Wasser. Die Tasten meines Akkordeons … Willst du meine Frau heiraten?“
Mein Herz zog sich schmerzlich-süß zusammen und ergriffen legte ich eine Hand auf die Brust. Manfred hatte völlig umsonst geübt, aber rührend war das Ganze trotzdem.
Trudi trat einen Schritt vor und beugte sich irritiert zu ihrem Liebhaber hinunter. „Was?“, fragte sie laut.
„Ähm, entschuldige, ich habe gefragt: Willst du mich heiraten?“
„Oh mein Gott“, hauchte ich.
„Ich glaube, Trudi hat ihn immer noch nicht verstanden“, murmelte Josh an meinem Ohr.
„Pscht“, machte ich scharf, den Blick noch immer auf den am Boden knienden Mann gerichtet.
„Ich verstehe dich nicht, Manni, du musst lauter reden“, bemerkte Trudi seufzend. „Und was tust du auf dem Boden? Von da kommst du doch nie wieder hoch.“
Man musste es Manni lassen. Er bewies eine Menge Geduld. Ich hätte jetzt schon das Handtuch geworfen. Doch mit ernsten, großen Augen sah er zu seiner Angebeteten hoch und schrie: „Heiraten, Trudi! Willst du heiraten!“
Perplex sah sie ihn an. „Wen?“
„Mich natürlich!“
„Oh.“ Ihre Miene erhellte sich und sie strahlte in ganzer Käsepracht. „Auf jeden Fall!“
Manfred lächelte selig. „Fantastisch. Ich hab jetzt keinen Ring, weil nie Platz an deinen Fingern ist.“ Er deutete zu ihren Händen, an denen bestimmt sieben verschiedene Klunker hingen. „Aber ich dachte, du willst ihn ohnehin lieber selbst aussuchen.“
Trudis Jauchzen nach zu urteilen, lag er mit dem Gedanken völlig richtig. „Ich würde dich jetzt sehr gern küssen, aber ich kann mich unmöglich so weit herunterbeugen.“ Tadelnd schüttelte sie den Kopf. „Das hättest du dir wirklich vorher überlegen sollen, Manni. Deine Knie sind doch auch nicht mehr die besten.“
„Welche Knie?“, fragte er verwundert. „Ich spüre sie nicht mehr …“ Sein Blick glitt zu Josh und mir. „Kann mir mal jemand aufhelfen? Ich komm von allein nicht hoch.“
„Oh, klar“, sagte ich hastig und griff zusammen mit Josh unter seine Arme, um ihn zurück auf die Füße zu hieven.
Trudi fiel Manfred um den Hals, sie küssten sich … und seufzend ließ ich mich gegen Joshs Schulter sinken. „So süß!“, hauchte ich.
„Ja. Käselaib und Pinguin. Eine Liebesgeschichte für die Geschichtsbücher“, erwiderte er trocken.
Ich musste lachen und stieß ihm mit den Ellenbogen in die Seite. „Benimm dich. Sonst wirst du vielleicht kein Blumenmädchen auf ihrer Hochzeit.“
Josh schnaubte und legte den Arm um mich, kam jedoch nicht zu einer Antwort, denn Emmi nutzte die zeitweilige Stille, um fest in die Hände zu klatschen.
„Okay, Leute!“, verkündete sie und wedelte mit den Händen über ihrem Kopf hin und her. „Das war ja alles ganz toll und romantisch und alles, aber wir müssen jetzt wirklich los. Es ist elf Uhr elf. Ich will betrunkenen Leuten dabei zusehen, wie sie versuchen, Kamelle zu fangen, und dabei hinfallen.“
Das war ein sehr ehrenwertes Vorhaben – und wer war ich, einem so majestätischen Blauwal wie ihr zu widersprechen?