1
Janette Gregson hatte immer Angst. Egal was sie tat, das meiste, was sie sah oder erlebte, erfüllte sie mit Angst. Selbst wenn sie nur nach oben zur Toilette ging, machte sie sich Sorgen, dass sie die enge, geschwungene Treppe hinunterfallen und sich verletzten könnte, und sie dort tagelang liegen und ihr niemand helfen würde.
Gegen ihre Angst vor der Dunkelheit blieb das Licht die ganze Nacht an, die kleine Lampe auf ihrem Nachttisch spendete ihr Trost, bis die Birne eines Nachts durchbrannte und ausging. Jetzt hatte sie eine neue Glühbirne in der Lampe und zwei Ersatzbirnen in der Nachttischschublade.
Sie hatte es geschafft, den Führerschein zu bestehen, doch sie wusste, dass sie nie verstehen würde, dass der Fahrprüfer nicht sehen konnte, wie verängstigt sie war. Wenn die Busse an ihrem kleinen Auto vorbeizogen, zuckte sie zusammen, die gelben Ampeln brachten sie zum Zittern, weil sie entscheiden musste, ob sie weiterfahren oder anhalten sollte. An Zebrastreifen mit wartenden Menschen bekam sie Herzklopfen, wenn sie sich vorstellte, wie ihr Fuß abrutschte, und sie die Menschen auf der Straße ummähte.
Angst. Sie hasste das Gefühl, keine Kontrolle zu haben, und gab ihrer Mutter die Schuld, dass sie gestorben und sie allein gelassen hatte, sie jetzt auf sich selbst gestellt zurechtkommen musste.
Krebs. Die größte Angst überhaupt. Und ihre Mutter, die furchteinflößende Barbara Gregson war gezwungen gewesen, ihr zu sagen, dass sie bloß noch sechs Monate zu leben hatte, als der nicht operierbare Tumor ihren Bauch zu enormer Größe hatte anschwellen lassen. Für Janette würde gesorgt sein, denn das Haus war abbezahlt und niemand sonst hatte Anspruch auf einen Teil davon. Krebs. Angst. Panik, dass ihr Bauch explorieren und sie mit Blut und Eingeweiden vollspritzen würde. Stattdessen war ihre Mutter ganz einfach dahingeschieden. Nichts war explodiert, sie war schlicht gestorben.
Jeanette hatte so etwas wie eine Art Job. Mit dem Geld vom Sparkonto ihrer Mutter eröffnete sie eine kleine Hundepension. Sie entschied, dass ihr das ersparen würde, körperlich arbeiten zu müssen, ob nun in einem Büro oder einem Geschäft, außerdem würde sie mit so wenig Menschen wie möglich sprechen müssen. Sie wollte eine Reihe kleinerer Zwinger im Garten aufstellen, wo sie in der Urlaubssaison Hunde unterbringen konnte, wenn die Besitzer ihre geliebten Haustiere nicht mitnehmen konnten. Sie baute die Hundehütten selbst. Jemanden in ihr Haus zu lassen, damit derjenige die Arbeiten für sie machte, das war undenkbar. Jeanette brachte sich die einfachen Holzarbeiten selbst bei, indem sie Bücher aus der Bücherei auslieh. Den Gas- und Stromzähler abzulesen schaffte sie selbst, aber mehr nicht.
Jeanette hatte einfach entsetzliche Angst vor dem Leben. Sie sprach nur, wenn sie musste, abgesehen von Quizshows im Fernsehen, wenn sie versuchte, die Teilnehmer bei Mastermind zu schlagen, und stolz war, die Fragen beantworten zu können. University Challenge war eine halbstündige Quälerei, aber es gefiel ihr, zuzusehen, wie die Teams sich abmühten, um auf die Antworten zu kommen.
Die Nachbarn zu beiden Seiten hatten es aufgegeben, sich mit ihr zu unterhalten, und darüber war sie äußerst froh. Im Alter von vierundzwanzig Jahren war sie zu dem Schluss gekommen, dass sie Menschen einfach nicht mochte, Hunde aber schon. Sie genoss die Abgeschiedenheit, für sich zu sein, und wusste, sie hätte ihre Mutter nicht zurück in ihrem Leben gewollt. Sie war glücklich, wenn sie allein war. Die Nachbarn beschwerten sich nicht über das gelegentliche laute Bellen eines unglücklichen Tieres, das seine menschlichen Eltern vermisste, denn sie löste alle Probleme, indem sie die Tür einfach nicht öffnete. Sogar der Milchmann hatte sich ein vierteiliges Klopfen ausgedacht, damit sie wusste, dass er es war, der an die Tür klopfte, um seine wöchentliche Zahlung für die an ihre Haustür gelieferte Milch zu kassieren.
An dem Tag, als der Mann anrief und fragte, ob er sich ihre Zwinger ansehen kommen konnte, bevor er sich entschied, ob er seinen Cavalier King Charles Spaniel eine Woche bei ihr unterbringen wollte, war ihr unwohl. Doch alles bereitete ihr Unwohlsein und als er eintraf, pünktlich und schick gekleidet, führte sie ihn ums Haus in den Garten, wo die Zwinger standen. Er inspizierte die Zwinger genau und stimmte ihr zu, dass es ein hervorragendes Konzept war. Ihm gefielen die Heizgeräte, die sie für kalte Nächte aufgestellt hatte, und er war von dem Flyer mit den Preisen, den sie ihm reichte, beeindruckt.
„Das ist in Ordnung. Ich bringe Bessie in drei Wochen, wenn es recht ist?“
„Das ist gut. Ich benötige eine Anzahlung, um den Platz zu reservieren.“
„Wie viel?“ Sein Blick wirkte plötzlich verschleiert.
„Fünfzig Pfund.“ Ihre Stimme war fest. Sie konnte das, konnte sein Geld nehmen und sich dann eine Tasse Tee machen, um sich zu beruhigen.
„Und ich bekomme auch eine Quittung?“
„Natürlich. Folgen Sie mir bitte.“
Es gab einen winzigen Wintergarten, den ihre Mutter an die Küche angebaut hatte und den sie zu ihrem Büro gemacht hatte. Sie führte ihn hinein, zu dem Schreibtisch, in dem sie all ihre Unterlagen aufbewahrte. Sie holte das Quittungsbuch heraus und spürte einen Stoß in den Rücken, wodurch sie gegen die Küchentür geschleudert wurde. Durch die Wucht flog die Tür auf und sie stürzte bäuchlings auf den Küchenboden.
Vom Schock ergriffen versuchte sie, sich umzudrehen, aber der Mann landete auf ihr, sein Gewicht drückte ihren zerbrechlichen Körper mühelos zu Boden.
„Halt die Fresse“, sagte er und zerrte an ihrer Jeans.
Sie versuchte sich zu wehren, doch er griff ihren Kopf und schlug ihn auf die Fliesen. Ihr wurde schwarz vor Augen und die Erinnerung schwand.
***
Als ihr Bewusstsein langsam zurückkehrte, hing ihm die Hose schon um die Knöchel. Er hatte sie umgedreht, ihr die Kleider vom Leib gerissen und vergewaltigte sie. Vor blankem Entsetzen erstarrte sie, dann sah sie den gusseisernen Schusterfuß, der ebenso viele Jahre lang als Türstopper in der Küche gedient hatte, wie sie dort lebte.
Sie spürte, wie er mit einem Stöhnen in ihren Körper ejakulierte und auf ihr zusammensackte, sodass ihr fast die Luft aus den Lungen drückte. Sie wand sich zur Seite, griff nach dem Dreifuß und schwang ihn mit aller Kraft herum, sodass sie seinen Kopf traf. Sie schlug dreimal zu, bis er sich nicht mehr rührte.
Janette schluchzte, als sie sich von dem reglosen Körper auf ihr befreite, und rannte nackt, zitternd und weinend die Treppe hinauf. Die Schmerzen zwischen ihren Beinen waren nahezu unerträglich und sie begann, ein Bad einzulassen, nachdem sie die Badezimmertür hinter sich verschlossen hatte. Während das Wasser die Wanne füllte, schluckte sie drei Paracetamol-Tabletten herunter und betete, dass sie schnell wirkten.
Sie blieb über eine Stunde lang in der Badewanne und schrubbte sich fieberhaft, um alles Klebrige und den Geruch des Mannes loszuwerden, von dem sie hoffte, dass er ihr Haus inzwischen verlassen hatte. Sie versuchte, die große Bisswunde an ihrer rechten Brust zu reinigen, aber das war zu schmerzhaft, also tupfte sie sie nur mehrmals vorsichtig ab.
Ihre Haut fühlte sich wund an, als sie sich ein Handtuch umwickelte, und dann ihren Morgenmantel anzog. Sie setzte sich zunächst auf den Toilettensitz, dann ließ sie sich auf den Boden sinken, wo sie versuchte, eine bequeme, weniger schmerzhafte Sitzposition zu finden. Sie blieb drei Stunden lang dort, bevor sie sich traute, die Badezimmertür zu öffnen.
Die Schmerzen hatten nachgelassen, aber sie war wund, und sie stieg vorsichtig die Treppe hinunter und lauschte nach irgendetwas, nach Geräuschen von irgendwo im Haus. Es war unheimlich still, und sie schickte ein Dankgebet zum Himmel, dass ER anscheinend gegangen war. Sie hatte nicht einmal seinen Namen erfahren, nur den Namen seines verdammten Hundes, und sie war nicht einmal davon überzeugt, dass ER überhaupt irgendeine Art von Tier besaß. ER war das Tier.
Sollte sie zur Polizei gehen? Bei dem Gedanken daran zitterte sie. Nein, das konnte sie nicht tun. Sie konnte sie nicht in ihr Haus, in ihr Leben lassen. Sie hatte genug Krimis im Fernsehen gesehen, um zu wissen, wie es wäre, eine Vergewaltigung anzuzeigen. Sie würden ihr die Schuld geben und sie würden sagen, dass sie den Mann verführt hätte, dass sie wahrscheinlich die falsche Kleidung getragen hätte. Nein, keine Polizei.
Sie blieb stehen und setzte sich auf die unterste Stufe, um zu lauschen. Immer noch nichts zu hören. Als sie auf die Uhr im Flur schaute, sah sie, dass es fast fünf Uhr war – sicher hatte ER sich inzwischen zusammengerissen und war verschwunden? Sie würde die Türen zum Wintergarten und zur Küche abschließen und so die Mordsangst, die sie gerade verspürte, lindern. Und sie würde alle Buchungen für die Hunde stornieren, die sie nicht schon einmal angenommen hatte. Sie würde nur Tiere aufnehmen, die bereits im Zwinger untergebracht waren.
Sie hatte das Gefühl, als würde sie die Kontrolle über ihr Leben zurückgewinnen, als sie dort auf der Treppe saß, aber sie gewann sie nicht in dem Maße zurück, dass sie sich bewegen und die Türen tatsächlich abschließen, sich dem Blutbad in der Küche, in der alles passiert war, stellen und das Blut aufwischen konnte. Sie selbst hatte geblutet, als ER sie mit dem Kopf auf den Boden geschlagen hatte, um sie bewusstlos zu machen, also musste es Blutflecken geben.
Sie fühlte sich wohl auf der Treppe, im geschlossenen und ordentlichen Flur, weit weg vom Schrecken in ihrer Küche; ihre Position auf der untersten Stufe hatte es ihr ermöglicht, auf einer Pobacke zu sitzen und die Schmerzen in ihrer Vagina zu lindern. Sie wollte für immer dort bleiben.
Als die Uhr sechs schlug, wusste sie, dass das nicht möglich war. Sie musste sich selbst versorgen, die rasenden Gedanken in ihrem Kopf beruhigen, und der erste Schritt dazu war, ein paar Schmerztabletten zu schlucken, ihren Morgenmantel und das Handtuch auszuziehen und durch richtige Kleidung zu ersetzen, um die Kontrolle zurückzugewinnen. Ja, sie hatte Angst, aber sie konnte nicht ewig auf der untersten Stufe sitzen bleiben. Sie hatte zwei Hunde in den Zwingern, die gefüttert werden mussten, und um die musste sie sich kümmern, egal was passierte.
Sie richtete sich langsam auf, wobei sie vor dem stechenden Schmerz in ihrem Inneren zusammenzuckte, und trat vorsichtig auf den Flur hinaus.
Sie blieb an der Tür zum Wohnzimmer stehen und lauschte, aber da sie überzeugt war, nichts hören zu können, öffnete sie sie langsam und spähte in den Raum. Er sah genauso aus wie immer, spärlich möbliert mit nur zwei Sesseln, einem kleinen Couchtisch und einem Fernseher auf einem Gestell. Im Sideboard ihrer Mutter befanden sich Gegenstände, die nur selten das Tageslicht erblickten, und auf dem Sideboard stand eine Lampe, die einzige Beleuchtung, die jemals in diesem Raum verwendet wurde. Jetzt schaltete sie die große runde Deckenleuchte ein. Die Dunkelheit musste weichen. Sie ging zu den Vorhängen und zog sie zurück, um die Sonne hereinzulassen. Normalerweise waren sie zugezogen, da sie wusste, dass Sonnenlicht Teppiche und andere Stoffe ausbleichen ließ. Aber jetzt brauchte sie Licht, nicht Dunkelheit.
ER war nicht hier gewesen. Das hätte sie gespürt. Sie hoffte, dass das bedeutete, ER hatte sich aufgerappelt, nachdem ER wieder zu sich gekommen und einfach verschwunden war. Ihre Gedanken wandten sich dem Sichern ihres Gartens zu – sie würde keine fremden Besucher mehr hereinlassen; nur noch mit Termin und sie würde darauf bestehen, den Namen zu erfahren, ehe sie kamen, dann würde sie wissen, ob es Namen von vorherigen Kunden waren oder ihnen sagen, sie sei komplett ausgebucht.
Das Esszimmer war genauso frei von ihm, und sie saß auf einem der Stühle, erleichtert, dass er ihr Lieblingszimmer nicht verseucht hatte. Hier saß sie, wenn sie malen wollte. Auf dem Tisch lagen die Dinge, die sie benutzte – Stifte, Radiergummis, drei Zeichenbücher, eine dreißig Zentimeter große Zeichenfigur aus Holz. Es wäre nicht auszuhalten gewesen, hätte ER dieses Zimmer betreten, das Böse in ihm hier hereingetragen.
Sie zog ihr großes Zeichenheft zu sich, schlug es auf und fuhr über das Papier. Es tröstete sie. Der Schmerz ließ davon nicht nach, aber es tröstete sie. Sie sah die halbfertige Zeichnung eines Kindes an, das auf einer Schaukel saß, die hoch in den Himmel schwang, und sie erinnerte sich an den Tag, den sie mit ihrer Mutter im Park verbracht hatte, als das Leben zu ihnen beiden gut gewesen war. Kreischend war sie höher und höher geschaukelt. Das herrlich schwerelose Gefühl hatte die Zeichnung nicht ganz festgehalten, aber das würde kommen, das wusste sie. Sie klappte das Zeichenheft zu und stand auf.
Zeit, sich der Küche zu stellen, die Hunde zu füttern und dann die Türen abzuschließen. Morgen würde sie sich um ihre Genesung kümmern, doch heute Abend musste sie sich dem Schauplatz stellen, der sie so verstörte.
Die Tür stand halb offen, genauso wie sie Hals über Kopf zur Treppe gerannt war. Sie stieß die Tür ganz auf.
2
Sie roch das Blut, noch bevor sie es sah. Sie spürte, wie sie zu würgen anfing, spürte, wie der Magen sich ihr umdrehte, doch es lag nicht an dem eigenartigen Geruch, es war der Anblick des Mannes, der immer noch auf ihrem Küchenboden lag, immer noch bewusstlos.
Angst, Verzweiflung, Schrecken – alles kämpfte in ihrem Kopf um die Vorherrschaft. Sie kehrte der Szene den Rücken zu, schluckte krampfhaft und kehrte in den Flur zurück, wobei sie die Küchentür hinter sich schloss.
„Denk nach“, sagte sie laut, fast so, als vertraute sie nicht darauf, dass ihre Gedanken ihr die richtige Antwort liefern würden. „Denk nach. Zieh dich an, bevor ER richtig zu sich kommt.“
Sie befolgte ihren eigenen Rat und ging langsam die Stufen hoch, sich mit jedem Schritt der Schmerzen und dem Wundsein bewusst. Wieder erklomm sie vorsichtig die Stufen bis zu ihrem Schlafzimmer und schob alle Gedanken beiseite. Sie konnte sich nicht mit ihm befassen, bis sie saubere Kleidung angezogen hatte. Sie zog fünf Unterhosen übereinander an, in der Hoffnung, dass sie die Schmerzen lindern würden, legte eine saubere Binde ein, um das Blut aufzusaugen, das noch aus ihr herausfloss, und zog dann eine Jeans an. Es folgten ein BH und ein T-Shirt und sie beschloss, in die leuchtend gelben Crocs zu schlüpfen , die sie normalerweise zum Säubern der Zwinger trug – die konnte man in der Waschmaschine waschen. Das größte Problem war, dass sie im Wintergarten lagen. Und ER versperrte die Tür von der Küche dorthin.
Sie kehrte in den Flur zurück und fühlte sich sicherer, jetzt, da sie Handtuch und Morgenmantel abgelegt hatte, aber sie wusste, dass sie ihre Crocs brauchte. Sie zog ihre Hausschuhe an, ging aus der Haustür und um das Haus herum in den Garten.
Janette betrat den Wintergarten und tauschte die Hausschuhe mit den Crocs. Erst dann warf sie einen Blick auf die offene Küchentür. Seine Augen waren weit aufgerissen und starrten ins Leere. Sie richtete den Blick auf seine Brust und stellte fest, dass ER sich nicht bewegte. Alle Regungen in der Brust ihrer Mutter hatten aufgehört, als sie ihren letzten Atemzug getan hatte. Die beiden Hunde in den Zwingern begannen zu bellen, als wollten sie ihr sagen, dass es Zeit für einen Spaziergang und zum Fressen war. Sie holte schnell Futter aus ihrem Futtervorrat im Wintergarten und rannte nach draußen, um das Bellen zu stoppen. Sie schüttete Futter in ihre Näpfe, überprüfte das Wasser und sprach beruhigend auf sie ein, um sie zu beschwichtigen. So lange sie sich um die Hunde kümmerte, musste sie sich nicht mit der Leiche auseinandersetzen ...
Als die Hunde zufrieden fraßen und die Tore zum Auslauf geöffnet waren, ging sie zurück zum Wintergarten, wo sie alle Jalousien herunterließ. Sie wusste nicht, ob die Nachbarn in ihr Haus hineinsehen konnten, aber sie wollte kein Risiko eingehen.
Es war viel Blut. Sie versuchte, einen Bogen darum zu machen, aber die gelben Crocs färbten sich bald mit der dicken, tiefroten Schmiere. Sie füllte einen Krug mit Wasser, ging zurück zu ihm und goss ihm die Flüssigkeit über das Gesicht.
„Er ist tot“, bestätigte sie sich selbst. „Wenn ER es nicht wäre, hätte ER sich bewegt. Was mache ich also jetzt?“
* * *
Was sie beschloss, nicht zu tun, war, die Polizei einzuschalten. Nach reiflicher Überlegung wurde ihr klar, dass es keinen Beweis dafür gab, dass ER an diesem Nachmittag hier gewesen war. Sie hatte seinen Namen nicht in ihr Terminbuch eingetragen und ihn nicht einmal nach seinem Namen gefragt. Also holte sie eine große Plastikfolie, mit der einst Holzbündel für die Zwinger umwickelt gewesen waren. Sie hatte sie für den Fall aufgehoben, dass sie sie jemals brauchen würde, und jetzt brauchte sie sie wirklich.
Mit einer Körpergröße von nur eins fünfzig und einer sehr schlanken Statur war Janette nicht besonders kräftig, also band sie sich zunächst ihr langes dunkles Haar zu einem Pferdeschwanz zusammen und verzog das Gesicht, als das Haar an der Beule ziepte, die entstanden war, als ER ihren Kopf auf den gefliesten Boden geschlagen hatte. Sie wischte so viel Blut wie möglich von dem Koloss von Mann, der auf ihrem Küchenboden lag, und tastete vorsichtig in seine Innentasche, um seine Brieftasche herauszunehmen. Auf seiner Kreditkarte stand sein Name: Philip Hancock. Sie steckte die Brieftasche in eine Küchenschublade. Sie wusste, dass sie sich später darum kümmern musste, aber im Moment hatte sie ein viel größeres Problem. Der etwa hundert Kilo schwere Mann lag auf ihrem Boden. Sie schauderte vor Entsetzen, als sie daran dachte, wie ER auf ihr lag, sich in sie hineindrängte, sie verletzte und ihr blaue Flecken zufügte, bis es fast zu schmerzhaft war, sich zu bewegen.
Sie legte ihm einen alten Lappen über die Augen – sie konnte es nicht ertragen, dass ER sie weiter anstarrte – dann nahm sie den Schusteramboss und tat ihn in einen Eimer, wobei sie darauf achtete, dass jeder Teil davon in kaltes Wasser und Bleichmittel getaucht war. Hatte ihre Mutter ihr nicht immer gesagt, dass Bleichmittel nur in kaltem Wasser wirksam war?
Sie widmete sich wieder ihrer letzten Aufgabe, stand einen Moment lang da und sammelte ihre Kräfte für den nächsten Teil. ER sah nicht halb so furchteinflößend aus, wenn ein alter gelber Putzlappen seine Augen bedeckte, aber ER sah immer noch genauso schwer aus. Bevor sie versuchte, ihn zu rollen, ging sie den Flur halb hinunter, wo sich die Tür zum Keller befand. Sie schloss auf und ließ die Tür weit offen. Der schwere, erdige Geruch der Kohlenreste, die sich noch dort unten befanden, strömte heraus und sie sog ihn dankbar ein. Sie hatte den leichten chemischen Geruch des Kellers schon immer geliebt, aber ihre Angst vor Stufen hinderte sie daran, sich weiter als bis zum Treppenabsatz vorzuwagen. Sie wusste, dass sie ihr Leben weiterleben konnte, sobald ER unten war. Keine Polizei – und ihr eigener Schmerz von dem Angriff würde verschwinden.
Sie holte ein Kissen aus dem Wohnzimmer und klemmte es in die Kellertür, um sie offen zu halten. Dann ging sie zurück in die Küche. Sie glättete die Plastikplane, stemmte sich gegen eine Küchenzeile und versuchte, ihn zu bewegen, indem sie sich gegen die Küchenzeile lehnte und ihn mit den Füßen auf die Plane rollte. Sie hatte bereits vorher lange Stücke Gartenschnur unter die Plastikfolie gelegt und ihn damit auf sehr unbeholfene Weise festgebunden.
Insgesamt brauchte sie eineinhalb Stunden, und als sie fertig war, war sie erschöpft. So sah ihr Leben normalerweise nicht aus; sie hätte sich nie träumen lassen, etwas so unglaublich Dummes zu tun, wie jemanden zu töten, aber hier war sie nun: Eine Mörderin.
Und sie hatte dieses zusammengeschnürte Truthahn-ähnliche Ding immer noch nicht aus der Küche geschafft.
* * *
Janette öffnete die Tür des Sideboards ihrer Mutter und holte die dunkelblaue Sherryflasche heraus, die Barbara so sehr geliebt hatte. Sie schenkte sich ein großes Glas ein und dachte daran, dass die Flasche seit einigen Jahren zum ersten Mal geöffnet wurde, aber sie brauchte jetzt etwas davon. Dann nahm sie noch zwei weitere Schmerztabletten, da ihr klar wurde, dass sie wirklich Schmerzen leiden würde, wenn sie mit dem, was sie tun musste, fertig war.
Eine halbe Stunde lang saß sie da und ließ den Alkohol und die Schmerzmittel ihre Wirkung entfalten. Das gab ihr Zeit, sich zu erholen und über die nächsten Schritte nachzudenken. Sie dankte den viktorianischen Erbauern ihres Hauses für die soliden Mauern und die massiven Schlösser an allen Türen und wusste, dass sie ihn in diesen Keller bringen, den Schlüssel umdrehen und niemand jemals über ihn stolpern würde, nicht jetzt und auch nicht in Zukunft. Und wenn sie selbst sterben würde, würde man ihn wahrscheinlich finden, wer auch immer das Haus kaufte, aber sie wäre dann sowieso nicht mehr da.
Sie überlegte, ob sie eine Art Bericht über die Geschehnisse schreiben und ihn zusammen mit der Brieftasche des Mannes in einen Umschlag stecken sollte, aber ihr fielen die Augen zu und sie musste sich selbst wachrütteln, sich dazu zwingen aufzustehen und die Arbeit zu Ende zu bringen.
Sie stemmte die Küchentür mit dem Staubsauger auf, ging zu dem, was sie sich verzweifelt als Truthahn vorzustellen versuchte, und packte ihn am Kopf. Sie zerrte und zog, und erst als sie zum Fußende ging, machte sie nennenswerte Fortschritte. In der Küche schien es besser zu funktionieren, ihn zu schieben, aber als sie ihn tatsächlich im Flur hatte, schien es einfacher, ihn zu ziehen.
Sie beschloss, sich von dieser körperlich anstrengenden Arbeit auszuruhen, ließ ihn für eine Weile allein und ging zurück in die Küche. Jetzt, da der Körper bewegt worden war, gab es noch Blutflecken zu entfernen. Also füllte sie den Eimer für den Wischmopp und begann, ihr Reich wieder in seinen ursprünglichen makellosen Zustand zu versetzen. Der Geruch von Bleichmittel war fast überwältigend, aber sie fühlte sich reingewaschen.
Als sie das Wasser in den Abfluss spülte, hörte sie ein Geräusch. Es kam aus dem Wintergarten.
Sie wirbelte herum, als auf das Geräusch ein Klopfen an der Küchentür folgte.
„Janette? Sind Sie da?“
Vorsichtig öffnete sie die Tür. „Oh, Mr. Earnshaw. Entschuldigung, ich habe gerade den Boden gewischt ...“
„Kein Problem. Wir sind einen Tag früher nach Hause gekommen, also dachte ich, ich komme vorbei und hole Daisy ab. Geht es Ihnen gut? Sie sehen sehr blass aus.“
„Mir geht es gut, danke. Ich hole nur Daisys Leine, dann können Sie sie mitnehmen. Sie hat schon ihr Futter bekommen.“
Sie betrat den Wintergarten und schloss die Küchentür hinter sich. Janette reichte Ian Earnshaw die Leine und folgte ihm zu den Zwingern. Sie beobachtete, wie er und Daisy, die wie ein Welpe herumhüpfte, fortgingen, wobei ihr Atem stoßweise entwich und sie darum kämpfte, Herr ihrer Sinne zu bleiben. Wenn er nur eine Stunde früher gekommen wäre ... Das Seitentor musste verschlossen bleiben; es ging nicht, dass jeder einfach durch ihre Hintertür hereinkommen konnte. Sie würde sich darum kümmern, sobald sie sich besser fühlte.
Der Körper in der Plastikhülle war fast an der Kellertür, und sie verschloss jeden möglichen Zugang zu ihrem Grundstück, bevor sie mit dem fortfuhr, was sie nun als ihre Strafe dafür ansah, dass sie ihn mit dem Schusteramboss geschlagen hatte.
Sie zerrte und zog und beförderte ihn den halben Schritt hinter die Kellertür zum Treppenabgang. Sie war etwas ratlos, was den nächsten Schritt anging, weil ER so gekrümmt war, und die Leichenstarre sich bereits bemerkbar machte, was die Handhabung des Körpers erschwerte.
Sie lehnte sich mit dem Rücken gegen den Türrahmen und stieß sich mit den Füßen ab. Langsam, Zentimeter für Zentimeter, begann ER zu rutschen und plötzlich zu fallen. Sie erhöhte den Druck, stieß fester zu, und das große Plastikbündel begann sich fast von selbst auf die steilen Kellertreppen zu bewegen. Sie gab einen letzten kräftigen Stoß, und ER rutschte, wobei das Plastik das Runterrutschen erleichterte. Janette beugte sich vor, ihr war es unmöglich, das Erbrechen zu unterdrücken, und auch das Zittern ließ sich nicht kontrollieren. Sie brach auf dem schäbigen Linoleum des Kellerabgangs zusammen, und schließlich kamen die Tränen.
Sie schlang die Arme um sich, wischte sich den Mund ab und blickte die Treppe hinunter. ER war in einem merkwürdigen Winkel gelandet, aber so war es nun mal. So würde ER für den Rest der Ewigkeit da liegen, wenn es nach ihr ging.
Hatte sie andere Frauen davor bewahrt, das Gleiche durchzumachen wie sie? Sie vermutete ja, aber sie wollte es nicht wirklich wissen. Sie wollte eine Tasse Tee, sich mit der Asche ihrer Mutter unterhalten und vielleicht würde sie heute Abend den einen verbleibenden Hund für eine Stunde ins Wohnzimmer holen. In der nächsten Woche sollten keine weiteren Hunde kommen, also würde sie Candy für den Rest ihres Aufenthalts bei sich haben und sich dann in der hundefreien Zeit erholen können.
Sie ging zurück in den Hausflur, drehte den großen Eisenschlüssel im Schloss und steckte ihn in ihre Jeanstasche. Morgen würde sie den Schusteramboss fertig reinigen und ihn wieder an seinen gewohnten Platz stellen. Nur vorsichtshalber .
3
22 Uhr. Tränen. Janettes Schluchzen wurde immer heftiger und sie griff nach der Papiertüte, die sie für solche Momente immer griffbereit hatte. Panikattacken waren ein normaler Bestandteil ihres Lebens, etwas, mit dem sie gelernt hatte zu leben, aber diese war besonders schlimm.
Sie atmete langsam ein und aus und konzentrierte sich darauf, ruhig und gleichmäßig zu atmen, während die Stimme ihrer Mutter in ihrem Kopf widerhallte. Atme langsam und tief, Janette. In einer Minute ist alles wieder gut.
Doch dieses Mal dauerte es fünfzehn Minuten, bis sich ihr Herzschlag beruhigt und ihre Atmung sich verlangsamt hatte, sodass sie fast schon wieder normal war, und sie musste ihre Gedanken bewusst von der Leiche ablenken, die die Kellertreppe halb heruntergefallen dalag.
Sie trank noch ein Glas Sherry, wobei sie den letzten Bodensatz aus der tiefblauen Flasche leerte, und schaltete den Fernseher ein, um die Spätnachrichten zu sehen. Nichts von dem, was sie sah, drang zu ihr durch, und um elf Uhr gab sie auf, vergewisserte sich, dass alle Türen verschlossen waren, und ging nach oben. Zumindest hatte ER in ihrem Haus oben nichts kontaminiert. Sie hatte weder den Mut noch die Lust, sich zu den Zwingern vorzuwagen, um die Gesellschaft eines jetzt sicher sehr einsamen Hundes zu suchen, aber so war es eben. Sie hatte einfach nicht die mentale Stärke dazu.
Sie ließ sich ein zweites Bad ein und gab Salz hinzu, in der Hoffnung, dass dies die Heilung beschleunigen würde. Sie lehnte sich zurück und zuckte zusammen, als das Wasser die tiefe Bisswunde an ihrer rechten Brust berührte. Sie wusste, dass es sinnvoll wäre, eine antibiotische Salbe aufzutragen, um die Heilung zu beschleunigen, aber im Moment tat es zu höllisch weh.
Um Mitternacht hatte sie weitere Schmerzmittel genommen, beide Brüste mit der Creme eingeschmiert und sich Trost suchend ihr Lieblingsnachthemd angezogen. Dann schlief sie ein.
* * *
Janette wurde von Sonnenschein geweckt und lächelte. Das Lächeln verging ihr jedoch, als sie sich an den gestrigen Tag erinnerte.
Sie stöhnte, als sie ihre Beine aus dem Bett schwang; es gab kein Körperteil, das nicht schmerzte. Sie wusch sich nicht, putzte sich nicht die Zähne, stolperte einfach in ihrem Nachthemd und Morgenmantel die Treppe hinunter, blieb an der Eingangstür stehen, um die Milch wie jeden Tag einzuholen, und blieb dann stehen, als sie die Kellertür erreichte. Sie schlich auf der linken Seite des Flurs entlang und rannte fast daran vorbei, bis sie in der Küche war. In Gedanken sah sie die Leiche, aber der Geruch von Bleichmittel hing noch in der Luft, und ihr Boden und ihre Arbeitsflächen waren makellos sauber.
Nachdem sie die Milchflasche in den Kühlschrank gestellt hatte, öffnete Janette vorsichtig die Hintertür und atmete die warme, frische Luft ein, während die Sonne sie blendete. Candy, der kleine Jack Russell, bellte, als er seine Pflegerin entdeckte, und ein leises Lächeln huschte über Janettes Gesicht. Zumindest brauchte sie sich vor einem Hund nicht zu fürchten. Sie ging zu den Zwingern hinunter, füllte Candys Fressnapf mit Frühstück und erneuerte das Wasser.
„Vielleicht gehen wir in einer Stunde oder so spazieren“, sagte sie zu der kleinen Hündin, die zustimmend mit dem Schwanz wedelte.
Sie bezweifelte, dass sie sich an diese Aussage halten würde, aber sie wusste, dass sie es getan hätte, wenn sie am Nachmittag zuvor nicht brutal angegriffen worden wäre. Solche Erfahrungen veränderten die Sichtweise auf normale Routinen. Trotz eines langen, erholsamen Schlafs waren die Schmerzen immer noch da. Vielleicht war ein Spaziergang heute keine so gute Idee.
Sie sperrte das Tor vom Zwinger zum Auslauf am Ende des Gartens auf und wusste, dass Candy sich dort austoben würde – die kleine Hündin hatte große Freude daran, immer im Kreis zu rennen.
Ein Hund. Da sie sich um Hunde aller Rassen und Größen kümmerte, hatte sie sich dagegen gewehrt, selbst einen zu halten. Erst jetzt kam ihr der Gedanke, dass, wenn sie gestern einen gehabt hätte, einen, der sein Frauchen beschützt, die Dinge möglicherweise ganz anders gelaufen wären. Und vielleicht würde sie sich nicht ganz so allein fühlen. Die drei Jahre ohne ihre Mutter waren überaus lange drei Jahre gewesen ...
Sie blieb noch ein paar Minuten länger, ließ sich von der Sonne wärmen und trösten, drehte sich dann um und ging langsam zurück zum Wintergarten. Sie notierte in ihrem Terminkalender, dass Daisy einen Tag früher abgeholt worden war, und schloss dann den Rollpult ihres Sekretärs. Dieser kleine Handgriff gehörte zu ihren allabendlichen Routinen, aber der vergangene Abend war eine Ausnahme gewesen. Heute erwartete sie keine Kundschaft und Candy würde noch ein paar Tage bei ihr bleiben, sodass der Sekretär theoretisch geschlossen bleiben würde. Sie ging vom Wintergarten in die Küche und spürte, wie sich ihr Magen umdrehte. Würde das jedes Mal passieren, wenn sie diesen Raum betrat? Sie atmete tief durch, wollte nicht, dass sich die Panikattacke vom Vorabend wiederholte, und schaltete dann den Wasserkocher ein. Eine Tasse Tee. Ihre Mutter hatte ihr nach jedem Zusammenbruch eine Tasse Tee gemacht, und das war das , was sie jetzt brauchte.
Sie steckte eine Scheibe Brot in den Toaster und sobald es fertig war, warf sie es direkt in den Mülleimer. Sie konnte nichts essen. Noch nicht. Die Tasse Tee reichte für den Moment, ihr Magen würde ihr schon sagen, wann er wieder bereit war, Nahrung aufzunehmen, entschied sie. Es fiel ihr schwer, wieder in den Flur zu gehen. Die Kellertür war einfach da, und obwohl sie fest verschlossen war, wusste sie, was sich dahinter befand. Sie musste etwas unternehmen, bevor sie noch verrückt wurde.
Ein Vorhang. Mutter hatte immer auf einem dicken, bodenlangen Vorhang an der Eingangstür bestanden – wegen der Zugluft, hatte sie gesagt. Erst als Janette ihn zum Waschen heruntergenommen hatte, war ihr klar geworden, dass sie ihn nicht mochte, dass die Eingangstür ohne ihn viel besser aussah und so landete der Vorhang im Trockenschrank. Sie könnte eine Gardinenstange über dem Türrahmen des Kellers anbringen und das ganze verdammte Ding verstecken. Wenn sie die Tür nicht sehen konnte, war sie nicht da.
Bestärkt durch positive Gedanken und neuem Tatendrang und Sonnenschein ging sie wieder nach oben. Diesmal blieb sie nur eine halbe Stunde in ihrem Salzbad, zog sich dann an und kehrte in die Küche zurück. Den Türvorhang umklammerte sie fest. Sie schüttelte ihn aus und trug ihn nach draußen, wo sie ihn an die Wäscheleine hängte. Ein paar Stunden in der Sonne würden ihn auffrischen, und sie konnte die Zeit nutzen, um die Stange über der Kellertür anzubringen, die sie von der Eingangstür abgenommen hatte.
* * *
Sie musste den Vorhang um 15 Zentimeter kürzen, was ihr half, sich zu beruhigen. Sie würde darüber hinwegkommen. Alltägliche kleine Aufgaben wie den Saum von Hand zu nähen, beruhigten sie. Eines Tages würde sie in der Lage sein, am Türvorhang vorbeizugehen, ohne zusammenzubrechen, eines Tages würde sie sein Gesicht vergessen, das Loch in seinem Kopf vergessen, das sie mit ihrem Schusteramboss in seinen Kopf geschlagen hatte. Eines Tages. Nur noch nicht heute.
Solange der Schmerz anhielt, konnte sie nicht vergessen. Ihre Brüste schmerzten, besonders die mit dem tieferen Biss. In ihrem Inneren trat der Schmerz nur noch zeitweise auf, und sie hoffte, dass dies Teil des Heilungsprozesses war und kein Anzeichen dafür, dass etwas nicht stimmte und ein Arztbesuch nötig war. Sie ging nicht gerne zum Arzt. Allein der Gedanke an einen Arztbesuch oder einen Besuch in der Notaufnahme ließ sie erschauern, und sie wusste, dass sie das nicht tun würde. Ihre Mutter in den letzten Tagen im Hospiz zu besuchen, war traumatisch genug gewesen, und seit ihrem Tod hatte sich Janette allem, was auch nur annähernd mit Medizin zu tun hatte, nicht mehr genähert.
Einen Vorhang vor der Kellertür zu haben, änderte alles. Was sich hinter der Tür befand, konnte nun für immer dahinter verborgen bleiben. Sie zog den Schlüssel aus ihrer Jeanstasche, legte ihn auf den Sockel der viktorianischen Tür und versteckte ihn so, dass er nicht mehr zu sehen war. Sie hatte keinen Grund zu glauben, dass jemand nach ihm suchen würde und dass ER einen Hund hatte. ER war zu ihr nach Hause gekommen, um sie zu vergewaltigen, und nicht, um seinen Hund zur Ferienbetreuung anzumelden. Fragen schossen ihr durch den Kopf.
War ER ihr irgendwann gefolgt? Hatte ER sie gesehen, als sie vom Einkaufen zurückkam, nachdem sie ihre Werbezettel für ihre Hundesitterdienste in das Schaufenster des Zeitschriftenladens gelegt hatte, und gedacht, was für ein hübsches Mädchen sie doch sei? Hatte ER dort ihre Telefonnummer herausgefunden? Hatte ER gedacht, ER könne sie ohne Probleme überwältigen? Denn wenn ER das gedacht hatte, dann lag ER damit genau richtig. Sie war überwältigt worden, aber was ER nicht bedacht hatte, war, dass sie sich möglicherweise wehren könnte. Mit einem Schusteramboss. Einem gusseisernen, hundert Jahre alten Schusteramboss.
Sie machte sich noch eine Tasse Tee, wollte aber immer noch nichts essen. Sie wollte schlafen, eingewickelt in eine warme Wolldecke, die sie in Behaglichkeit einhüllen sollte. Auf dem Sofa schlafen, in ihrem gemütlichen Wohnzimmer, das noch immer Spuren ihrer verstorbenen Mutter trug. Es war immer „das Vorderzimmer“ gewesen, das nur selten genutzt wurde. Jetzt nutzte sie es zum Entspannen, wenn der Stress nachließ und sie sich um nichts Sorgen machen musste. Das brauchte sie jetzt wieder, diese sorgenfreie Zeit, und „das Vorderzimmer“ gab ihr das Gefühl.
Sie fütterte Candy und nahm sie mit ins Haus. Eine Stunde Gesellschaft würde beiden guttun, und mit einem Tier als Gefährten würde sie besser zurechtkommen; in der ersten schmerzerfüllten Nacht wäre das undenkbar gewesen. Ihre ganze Konzentration war für sie selbst nötig gewesen.
Um neun Uhr schaltete Janette den Fernseher aus, beschloss, unten auf dem Sofa zu schlafen, verriegelte alle Türen und legte Candy in ein Hundebett auf dem Boden neben sich. Sie ließ die kleine Lampe an und saß eine Weile da und zeichnete den kleinen Jack Russell. Sie fühlte sich mit Candy verbunden; sie wusste nicht warum, aber sie nahm an, dass es daran lag, dass sie am traumatischsten und schwierigsten Tag ihres Lebens nur sich und den Hund gehabt hatte.
Die Zeichnung war gut. Sie fing ein, wie der kleine Hund den Kopf neigte, wenn er eine leise menschliche Stimme hörte, und bemühte sich, die braunen Fellzeichnungen perfekt zu positionieren.
„Du bist ein gutes Motiv, Candy“, sagte sie und lächelte . Sie gab dem Hund ein Leckerli, das Candy mit einem leisen Wuff entgegennahm. Sie zeigte das Bild Candy, die es verächtlich ansah und ihre Pfote auf Janettes Knie legte.
„Möchtest du noch mehr Leckerlis? Mal sehen, was wir da machen können.“ Sie legte ein paar auf ihre Handfläche und Candy nahm sie rasch.
„Okay“, sagte Janette. „Schlafenszeit. Komm, du musst noch mal raus, wenn du drinnen schläfst.“ Sie führte sie zur Hintertür und ließ ihren Blick umherschweifen, um sicherzustellen, dass es sicher war. Würde sie sich jemals wieder sicher fühlen?
Candy verschwand, und eine Minute später war sie wieder an Janettes Seite. „Braves Mädchen“, sagte sie und streichelte Candys Kopf. „Lass uns ein Glas heiße Milch machen, ein paar Schmerztabletten nehmen und schlafen gehen. Wenn ich es nicht tue, haben wir zu viel Milch.“
Janette war bewusst, dass sie seit etwa dreißig Stunden nichts mehr gegessen hatte, und während die Milch warm wurde, zog sie die Keksdose zu sich heran. Sie warf einen Blick hinein und schloss dann den Deckel wieder. „Nein“, sagte sie, „ich will nichts. Jedenfalls noch nicht. Lass uns erst mal die Nacht überstehen, Candy, und vielleicht esse ich morgen früh etwas.“
Der Hund gab erneut ein leises Bellen von sich und sie gingen zusammen zurück ins Wohnzimmer. Ihr Trostzimmer, bis sie kein Trostzimmer mehr brauchte.
4
Janette wachte um vier Uhr auf und schüttelte den Albtraum ab, der sie zu überwältigen gedroht hatte. Die Leiche, die sie aus der Küche geschleppt hatte, befand sich auf der anderen Seite der Kellertür, klopfte dagegen und verlangte, herausgelassen zu werden. Sie war dankbar, dass sie das kleine Licht brennen gelassen hatte, setzte sich auf, zog die Decke enger um sich und bemerkte, dass Candy ihr eigenes Bett verlassen und sich zu ihr aufs Sofa gelegt hatte.
Sie zog den kleinen Hund zu sich heran, saß da und starrte ins Leere, während sie darauf wartete, dass sich ihr Verstand wieder beruhigte. „Gewöhn dich nicht daran“, murmelte sie. „Heute Nacht bist du wieder in deinem Zwinger, ich will dir nicht dein eigenes Zuhause vermiesen.“
Candy kuschelte sich zusammen und schloss die Augen. Janette tat es nicht. Sie wollte nicht riskieren, wieder einzuschlafen, noch nicht. Der Albtraum musste verschwinden, ihr Geist musste zur Ruhe kommen. Sie nahm den Zeichenblock und zeichnete noch einmal Candy, diesmal eng an sie gekuschelt und mit geschlossenen Augen. Es war eine schnelle Skizze, die Candy perfekt einfing. Es zauberte Janette ein Lächeln ins Gesicht und sie blätterte die Seite um.
„Zeichne es aus dir heraus“, murmelte sie. „Zeichne das verdammte Ding aus dir heraus.“ Sie schloss für einen Moment die Augen und stellte sich ihre Küche vor, dann skizzierte sie rasch die grobe Ansicht, die Schränke, den Tisch, die Tür zum Flur, bevor sie sich selbst auf den Boden und ihn auf sich zeichnete. Die Zeichnung war in zehn Minuten schnell angefertigt und sie wusste, dass sie das Grauen darin eingefangen hatte. Sie begann, die bereits vorhandenen Striche zu schattieren und auszumalen, und erst als sie es viermal schnell hintereinander an der Haustür klopfen hörte, legte sie es beiseite.
Sie griff nach ihrem Morgenmantel, rannte zur Haustür und nahm das Geld vom Regal im Flur mit.
„Entschuldigung“, keuchte sie. „Ich bin heute spät dran.“
Der Milchmann lächelte sie an, überrascht, sie im Morgenmantel zu sehen. Normalerweise war sie angezogen und kümmerte sich um ihre Hunde. „Kein Problem, ich hätte gewartet. Sie haben in den letzten Jahren das wöchentliche Milchgeld nie vergessen, also werden Sie jetzt nicht damit anfangen, da bin ich mir sicher“, sagte er und nahm das Geld entgegen, bevor er ihr die Flasche reichte, die er in der Hand hielt. „Ich wünsche Ihnen eine gute Woche, Janette“, sagte er und ließ sie mit einem weiteren halben Liter Milch stehen. Dann gibt es eben Cornflakes zum Frühstück, beschloss sie.
Sie schloss die Haustür und verriegelte sie, dann ging sie zu Candy, die mit den Vorderpfoten auf der Fensterbank stand und dem Milchmann nachstarrte.
„Komm, Candy, lass uns hinten rausgehen und du kannst kurz pinkeln, während ich uns Frühstück hole.“
* * *
Candy war mit dem Trockenfutter, das Janette hinstellte, und einer kleinen Schüssel Milch zufrieden.
Janette starrte auf ihre ebenso kleine Schale mit Cornflakes und fragte sich, ob sie sie behalten könnte, wenn sie sie aß. Sie schaffte drei Löffel und entschied, dass es genug war; den Rest kippte sie in Candys Schüssel. Die Hündin schien ihr Glück kaum fassen zu können. Erst als Janette sich bückte, um die zusätzliche Leckerei in die Schüssel zu kippen, wurde ihr klar, dass sie ohne Beschwerden am Tisch auf einem harten Holzstuhl hatte sitzen können. Sie seufzte erleichtert auf.
Sie beschloss, lieber zu duschen, als in der Badewanne zu sitzen, und ging mit federndem Schritt ins Schlafzimmer. Dort untersuchte sie die Kopfverletzung und bürstete sich sorgfältig das nasse Haar, um die Verletzung zu verbergen. Sie musste einkaufen gehen, und an einem so warmen Tag konnte sie kaum einen Hut tragen, um die Beule und die Schnittwunde zu verbergen.
Sie spielte eine Weile mit Candy im Garten, sperrte sie dann in den Zwinger und machte sich fertig, um einkaufen zu gehen. Sie schloss die Haustür auf und zwei Polizisten standen vor ihr, einer von ihnen hob die Hand und wollte gerade anklopfen.
Janette erstarrte.
„Entschuldigung, Ma’am. Ich hoffe, ich habe Sie nicht erschreckt.“ Sein Lächeln war ansteckend und sie schluckte.
„Überhaupt nicht, meine Schuld. Ich war in Gedanken ganz woanders. Ich gehe nur schnell einkaufen ...“ Sie merkte, dass sie schwafelte.
Er hielt ihr ein Bild hin. ‚Haben Sie diesen Mann in der Nachbarschaft gesehen oder kennen Sie ihn?“
„Ja, ER liegt tot in meinem Keller.“
Sie nahm das Bild und starrte ihn an. „Nein, ich glaube nicht. Wer ist er?“
„Sein Name ist Philip Hancock und seine Frau hat ihn als vermisst gemeldet. Er ist seit fast drei Tagen nicht zu Hause gewesen. Wir haben sein Auto in dieser Gegend gefunden und gehen nun von Tür zu Tür, um zu sehen, ob ihn jemand gesehen hat.“
Sie betrat die Eingangstreppe und schloss die Tür hinter sich. „Nun, ich gehe sehr selten aus, aber ich werde mich auf jeden Fall bei der Polizei melden, wenn ich ihn sehe. Ich hoffe, Sie finden ihn lebend und wohlauf.“
„Vielen Dank, Ma’am. Wir streichen Sie einfach von unserer Liste. Einen schönen Tag noch.“ Die Polizisten ließen sie am Gartentor zurück; sie bog links ab und sie bogen rechts ab.
Sie zwang sich, auf dem Weg zu den Geschäften tief durchzuatmen, ging in den kleinen Tesco, sprach mit niemandem und war innerhalb einer halben Stunde wieder zu Hause. Sie räumte ihre Einkäufe weg, nahm drei Tabletten aus der neuen Packung Paracetamol und legte sich aufs Bett.
Sie schlief drei Stunden lang ohne Träume oder Albträume und wachte dann panisch auf, als sie bemerkte, dass die Sonne schon tief am Himmel stand.
* * *
Janette ging mit Candy spazieren, sah aber keine Anzeichen für weitere polizeiliche Aktivitäten. Sie war mit einem guten Gefühl und mit Erleichterung aufgewacht, dass die meisten Schmerzen verschwunden waren, nur um sich den Tag durch die Ankunft der beiden Polizisten vor ihrer Haustür verderben zu lassen. Ihr wurde klar, dass das Problem nicht verschwinden würde, aber die Polizei würde doch nicht für jedes Haus in der Gegend einen Durchsuchungsbefehl erhalten, nur weil er sein Auto dort abgestellt hatte?
Was sie mehr als alles andere verwirrte, war, dass sie unbedingt wissen wollte, ob ER wirklich einen Hund hatte. Wenn nicht, bedeutete das, dass ER mit der Absicht aufgetaucht war, sie zu vergewaltigen. Wenn ja, dann war die Frage nach dem Zwinger vielleicht durch den Gedanken an leichten Sex verdrängt worden, als ER eine hübsche, schlanke Frau entdeckte, die allein und verfügbar war.
Nur war sie nicht verfügbar. Sie hatte noch nie einen Mann geküsst, geschweige denn Sex mit einem gehabt. Sie musste wissen, warum ER in ihrem Garten aufgetaucht war. Wenn sie herausfand, dass ER keinen Hund hatte, wäre das fast das Schlimmste – das bedeutete, dass ER sie irgendwann gesehen und herausgefunden hatte, womit sie ihren Lebensunterhalt verdiente. Er hatte sie bis zu ihrem Haus verfolgt und war in ihren Bereich eingedrungen, mit der einzigen Absicht, sich ihr aufzudrängen.
Janette musste herausfinden, wo ER wohnte. Sie leinte Candy an und sie machten den Spaziergang, den sie dem kleinen Hund immer wieder versprochen hatte. Der Zeitschriftenladen stand als erstes auf der Liste und sie kaufte die lokale Tageszeitung, in der Hoffnung, dass darin etwas stehen könnte. Sie hoffte, dass es nicht zu früh war, aber wenn doch, würde sie jeden Tag eine Zeitung kaufen, bis sie die gewünschten Informationen hatte.
Der Spaziergang durch den Park, bei dem Candy an der Rollleine in alle Richtungen schoss, gab Janette fast ein Gefühl von Normalität zurück. Die Polizei war nicht im geringsten misstrauisch gewesen; es hatte nur ein paar Sekunden gedauert, in denen sie gefragt hatten, ob sie dieses Gesicht kenne, und dann waren sie weitergegangen.
Also hatte ER anscheinend eine Frau. Warum konnte diese Frau nicht genug für ihn sein? Sie war versucht, die Zeitung aufzuschlagen und zu durchsuchen, widerstand aber dem Drang. Sie brauchte entweder ihre Küche oder ihren Esstisch, wo sie sie ausbreiten konnte und nicht einmal die kleinste Textspalte übersah. Candy näherte sich einem viel größeren Hund, einem Labrador, und Janette rief ihren Namen, begann die Leine einzuholen und zog den kleinen Hund näher zu sich heran, dort, wo sie auf einer Bank saß. Candy rannte auf sie zu und sprang auf den Sitz und dann auf ihren Schoß, um ihr Gesicht zu lecken. Ihre Brüste trugen das volle Gewicht des kleinen Hundes, und Janette stöhnte vor Schmerz. Die Wunden brauchten definitiv mehr Zeit zum Heilen, und sie stand auf, während Candy nun ruhig an ihrer Seite herlief.
Als sie zu Hause ankamen, hatte Janette sich entschieden. Sie würde das Tierheim anrufen, dem sie gelegentlich bei der Unterbringung von Streunern half, wenn es zu viele wurden, und sich nach älteren Tieren erkundigen, die auf ein neues Zuhause warteten. Sie wusste, dass sie sich mit einem ständigen tierischen Begleiter sicherer fühlen würde; sie würde den Hund zu einem Teil ihres Zuhauses und ihres Lebens machen, und sie würden zusammenwachsen. Und er oder sie würde sie beschützen.
Sie machte sich ein heißes Getränk, nahm sich einen Keks, nachdem sie Candy zum Ausruhen in ihren Zwinger gebracht hatte, und breitete die Zeitung auf dem Esstisch aus. Sie blätterte nicht um, bis sie jeden Zentimeter des Textes gelesen hatte. Und dann sah sie es. Eine winzige Version des Fotos, das die Polizei ihr gezeigt hatte. Philip Hancock. Vermisst. Die Polizei bittet um Hinweise von Personen, die ihn gesehen haben. Seine Frau, Theresa, 34 Jahre alt, wohnhaft in Meadow Drive, hatte ihn als vermisst gemeldet, nachdem ER nach einem Streit, bei dem ER sie verlassen hatte, nicht nach Hause zurückgekehrt war.
Die Polizei, so hieß es, mache sich derzeit keine allzu großen Sorgen um sein leibliches Wohl, würde sich aber freuen, von ihm oder von jemandem, der ihn gesehen hat, zu hören.
Kein Wort über einen verdammten Hund.
Sie schnitt die kleine Notiz aus und legte sie in ihr Zeichenbuch, das nun wieder an seinem rechtmäßigen Platz auf dem Esstisch lag. Sie faltete das Papier, holte ihre Straßenkarte heraus und schlug den Meadow Drive nach. Es war an der Zeit, diese ganze Episode hinter sich zu lassen. Das konnte sie tun, sobald sie wusste, was den Angriff ausgelöst hatte. Sobald sie wusste, ob ER sie ohnehin vergewaltigen wollte oder einfach nur die Situation ausgenutzt hatte, die sich ihm plötzlich bot. Hatte ER einen Hund namens Bessie oder nicht, darauf lief es wirklich hinaus, und sie stopfte die Zeitung in ihren Küchenabfalleimer. Morgen früh würde sie Candy ins Auto setzen, zum Meadow Drive fahren und sehen, was dort zu sehen war.
Heute Abend würde Candy wieder bei ihr im Haus bleiben, eine völlige Umkehrung von Janettes vorheriger Entscheidung, denn morgen würde sie nach Hause zurückkehren. Sie war so ein lieber kleiner Hund, und Janette wusste, dass sie sie vermissen würde, aber am Ende des Tages hoffte sie, ein eigenes Tier zu haben, das sie lieben würde und das sich im Gegenzug geliebt fühlen würde. Tiere waren vertrauenswürdig; sie vergewaltigten und belästigten niemanden ohne Vorwarnung.
Sie zog den Skizzenblock zu sich heran und schlug ihn bei der halb fertigen Zeichnung auf, die sie in den langen Nachtstunden angefertigt hatte. Sie schrieb das Datum des Angriffs in die untere linke Ecke, heftete dann den Zeitungsausschnitt mit einer Büroklammer an die obere rechte Ecke und spitzte den Bleistift, um mit dem Schattieren des Tisches zu beginnen. Er verdeckte fast vollständig ihren eigenen Kopf und den Großteil seines Kopfes. Es war schwierig gewesen, ihren eigenen nackten Körper zu zeichnen, aber die Übung wäre sinnlos gewesen, wenn sie nicht auf absolute Genauigkeit geachtet hätte. Sie konnte nur ihre rechte Brust sehen, aber es war notwendig, die Bisswunde hinzuzufügen, also zeichnete sie sie so nah wie möglich an die genaue Stelle. Das Bild war eine Darstellung des Moments der Vergewaltigung, nicht der Folgen. Aus diesem Grund war das Einzige, was sie nicht hinzugefügt hatte, der Schusteramboss ...
5
Candy war kurz nach zehn Uhr abgeholt worden, sodass ein morgendlicher Ausflug zum Meadow Drive nicht mehr in Frage gekommen war. Also rief Janette im Tierheim an. Sie unterhielt sich eine Weile mit der Leiterin und fragte dann, welche Hunde sie zur Vermittlung hätten.
„Wir haben fünf“, sagte Chloe Danvers. „Zwei von ihnen müssen in ein Zuhause ohne Kinder, weil sie keine Kinder kennen und schon etwas älter sind. Bei den anderen drei würden wir entscheiden, an wen sie gehen, falls sich jemand meldet. Suchst du einen, der bei dir leben kann?“
„Ja. Hier gibt es keine Kinder, also möchte ich einen mittelgroßen Hund, es muss keine bestimmte Rasse sein, ich nehme auch einen Mischling, vorausgesetzt, wir verstehen uns gut.“
Janette hörte Chloe lachen. „Dann wirst du Billy lieben. Er ist definitiv kein Hingucker, aber wir alle werden traurig sein, wenn er geht. Liebenswerte Persönlichkeit. Er hat die letzten acht Jahre, seit er ein kleiner Welpe war, bei seinem vorherigen Besitzer gelebt, der vor ein paar Wochen verstorben ist. Er ist dann bei der Tochter eingezogen, aber sie hat drei Kinder, und die wollten ihn nicht in Ruhe lassen. Deshalb hat sie uns gefragt, ob wir ihn bei uns aufnehmen können. Steig ins Auto und komm vorbei, um ihn dir anzusehen.“
* * *
Janette konnte sehen, dass Billy Terrier im Blut hatte, aber was der Rest war, konnte sie nicht einmal ansatzweise erraten. Sie spielte eine Weile mit ihm in seinem Käfig und ging dann mit ihm im Hof spazieren. Er ging tadellos bei Fuß, und sie wusste, dass sein Vorbesitzer dem Hund die nötige Zuwendung und das Training hatte zukommen lassen, das er brauchte.
Janette ging zu Chloe und holte ihre Brieftasche heraus. „Kann ich ihn heute mitnehmen?“
„Ja, das kannst du. Er wurde vom Tierarzt untersucht, ist vollständig geimpft und startklar.“
„Wie viel schulde ich dir?“
Chloe lächelte sie an. „Wie viel bezahle ich dir, wenn du uns aushilfst?“
„Ich verlange nichts.“
„Dann ist Billy unsere Bezahlung. Genieße ihn, Janette, aber du wirst hier ein paar Herzen brechen, das kann ich dir sagen. Er ist ein richtiger Charmeur.“
* * *
Billy erkundete das Haus und sie holte ein sauberes Hundebett aus dem Schrank im Gästezimmer. Sie legte es ans Fußende ihres Bettes. „Hier wirst du nachts schlafen“, erklärte sie und der Hund legte den Kopf schief und lauschte aufmerksam. Ihm musste gefallen haben, was er hörte, denn er legte sich auf das Hundebett und rollte sich zusammen.
„Braver Junge“, sagte sie und kniete sich hin, um ihm über den Kopf zu streicheln. „Komm, lass uns herausfinden, ob dir das Futter schmeckt, das ich hier habe.“
Gehorsam folgte er ihr die Treppe hinunter und zum ersten Mal seit ein paar Tagen war ein echtes Lächeln auf ihrem Gesicht zu sehen. Sie ging in die Küche, aber Billy folgte ihr nur bis zum Vorhang vor der Kellertür. Er schnüffelte, schob den Vorhang ein wenig zur Seite und schnüffelte dann an der unteren Kante der Tür.
„Komm schon“, sagte sie leicht panisch. Sie hatte schon früher einen seltsamen Geruch bemerkt, aber beschlossen, ihn zu ignorieren; sie konnte nichts dagegen tun, außer überall Raum‑Erfrischer zu versprühen. Sie füllte eine Edelstahlschüssel mit Futter und die Plastikschüssel mit Wasser. Billy ließ es sich schmecken und hatte den seltsamen Geruch vorerst vergessen.
Sie schaute ihm zu, wie er sein Abendessen verschlang, und lächelte. Es schmeckte ihm sichtlich und er schien sie zu mögen. Morgen würden sie spazieren gehen – sie hatte fast eine Woche lang keine Kunden und Janette hatte vor, sich in den nächsten Tagen mit Billy anzufreunden, bis sie sich wieder mit ihren Gast-Hunden abgeben musste.
Sie öffnete den Kühlschrank und starrte hinein. Nichts, was sie dort hatte, sagte ihr zu, und sie beschloss, sich etwas Einfaches zu machen. Ihr Magen warnte sie, dass er eigentlich nichts wollte, aber sie konnte sich nicht länger weigern, etwas zu essen; irgendwann musste das Leben wieder zu dem zurückkehren, was ihr als normal erschien. Vor Philip Hancock.
Janette nahm ihr kleines Radio vom Fensterbrett und schaltete den lokalen Radiosender ein. Sie vermutete, dass die Polizei in der nächsten Nachrichtensendung etwas zu berichten haben würde.
Sie sollte Recht behalten. Die Nachrichtensendung begann mit dem Vermisstenfall und einem Aufruf an die Bevölkerung, sachdienliche Hinweise zu geben. Nichts in seinem Auto gab ihnen einen Hinweis darauf, wo ER sein könnte, und sie machten sich zunehmend Sorgen um seinen Verbleib. Es hatte einen kleinen Streit mit seiner Frau gegeben, nichts, was ihn dazu veranlassen würde, ganz zu verschwinden, und es wurde befürchtet, dass ER einen Unfall gehabt haben könnte. Die umliegenden Wälder wurden durchsucht, aber bisher war die Polizei ratlos.
„Und nun zu den Fußballnachrichten“, sagte der Nachrichtensprecher und Janette schaltete das Radio aus. Sie holte den Raumerfrischer unter dem Spülbecken hervor und ging im Flur auf und ab, wobei sie großzügig sprühte. Billy fraß noch, also war er weit genug von den Chemikalien entfernt. Sie kehrte in die Küche zurück und öffnete die Hintertür, die zum Wintergarten führte. Billy streckte seinen Kopf herein und wartete darauf, dass sein Frauchen ihm sagte, was er als Nächstes tun sollte.
„Garten“, sagte sie und machte die Tür zum Wintergarten auf. Billy ging hindurch und steuerte direkt auf die Hundehütte zu. Er beschnupperte sie von vorne bis hinten und kehrte zu ihr an den Gartentisch zurück, wo sie mit einer Flasche Wasser in der Hand saß. Er legte seinen Kopf auf ihr Knie und schaute zu ihr auf.
„Gefällt es dir?“
Er hob die Pfote.
„Oh, gut. Ich habe dich gerne hier. Es tut mir leid, dass dein Herrchen weg ist, aber ich verspreche, dass ich mich um dich kümmern werde. Und ich brauche dich, damit du dich um mich kümmerst“, sagte sie mit einem Seufzer.
Billy legte sich zu ihren Füßen hin, und sie zog ihren Schuh aus und streichelte ihm mit den Zehen über den Rücken. „Willkommen in meinem Zuhause“, sagte sie. „Hier gibt es nur mich, also werden wir zwei gute Partner sein, Billy.“
* * *
In der Nacht hörte sie Billy aufstehen und im Schlafzimmer herumlaufen, aber sie ließ ihn machen, ohne mit ihm zu sprechen. Sie wollte nicht, dass er sich in dieser seltsamen Umgebung, in der er sich jetzt befand, in irgendeiner Weise fürchtete; er musste sich in seinem eigenen Tempo eingewöhnen.
Irgendwann knurrte ihr Magen, und ihr wurde klar, dass sie immer noch nichts gegessen hatte. Sie beschloss, Frühstück zu machen.
Und das tat sie auch. Bohnen auf Toast, nur eine Scheibe, die sie draußen im Garten aß. Billy fraß draußen mit ihr, und sie wusste, dass dieser Hund gut versorgt, gut erzogen und geliebt worden war. Während er auf der Terrasse fraß, hatte sie den Flur noch einmal schnell mit dem Raumerfrischer besprüht; der Geruch wurde immer stärker und sie war froh, dass die Türen bei der Wärme Ende Mai offenbleiben konnten.
* * *
Janette verzichtete auf das Mittagessen; vom Geruch wurde ihr übel und sie entschied, dass sie losgehen und abdichtendes Klebeband kaufen und die gesamte Tür damit abdichten würde, bis sie sicher war, dass der Geruch verschwunden war. Sie musste auch in die Bibliothek gehen und herausfinden, wie lange das dauern würde – ihr Wissen über Verwesungsraten war begrenzt. Ihr Wissen über Vergewaltigungen war ebenfalls ziemlich begrenzt gewesen.
Sie leinte Billy an und machte sich auf den Weg zu den Geschäften. Sie kaufte zwei Rollen Klebeband und zwei Sprühdosen mit Raumerfrischer, die versprachen, jeden Geruch zu beseitigen, und als sie herauskam, sah sie zwei Kinder, die mit Billy sprachen.
„Der ist ja lieb“, sagte das kleine Mädchen. „Wie heißt er?“
Janette lächelte kurz. Sie war es nicht wirklich gewohnt, mit Kindern zu sprechen – eigentlich war sie es nicht gewohnt, mit irgendjemandem zu sprechen, außer mit dem Milchmann. „Er heißt Billy.“
„Er macht Sitz, wenn man es ihm sagt“, rief der Junge.
„Er ist gut erzogen“, antwortete sie.
„Ist er alt?“
„Ich glaube, etwa acht. Ich habe ihn erst gestern bekommen, also lernen wir uns gerade erst kennen.“
„Er ist wirklich lieb.“
Sie machte Billys Leine von dem Pfosten los, an dem er festgebunden war, verabschiedete sich von den Kindern und ging weiter von ihrem Haus weg. Es war ein schöner Nachmittag, die Sonne schien und es roch nicht unangenehm. Und sie musste wissen, wo Meadow Drive war.
Sie ging in die Gegend der kleinen Wohnsiedlung und entschied, dass es vielleicht keine gute Idee war, jemanden nach dem Weg zu fragen – die Leute würden sich wahrscheinlich daran erinnern, mit Fremden gesprochen zu haben, und das Letzte, was sie wollte, war, dass jemand Informationen an die Polizei weitergab und sagte, eine Frau und ein Hund hätten nach Meadow Drive gesucht. Sie wünschte sich jetzt, sie hätte den Stadtplan mitgenommen, aber die Entscheidung, nach seinem Zuhause zu suchen, war spontan gefallen, also würde sie einfach herumlaufen, bis sie es sah. Und das geschah fast sofort.
Es stellte sich heraus, dass ER in 2 Meadow Drive gewohnt hatte, bevor er in Janettes Keller eingezogen war, und das Wissen darüber wurde durch den Anblick eines Polizeiwagens vor dem ersten Haus auf der Straße, Nummer zwei, bestätigt.
Eine gemauerte Wand verlief entlang der Vorderseite des Gartens, und ein etwa zehn Jahre altes Kind lehnte über die Mauer. Es tat nichts, lehnte sich nur an und schaute.
Janette sah sich um, so gut sie konnte, ging aber weiter, bis sie das Ende der Straße erreicht hatte. Sie befand sich auf der Meadow Avenue und vermutete, da es sich um eine Hauptstraße handelte, dass das andere Ende der Straße von diesem kleinen Gebiet wegführen musste. Sie wollte nicht, dass die Polizei sich fragte, wer sie war, sondern dass sie glaubten, sie würde einfach nur mit ihrem Hund spazieren gehen, also ging sie in demselben gleichmäßigen Tempo weiter. Jetzt, da sie wusste, wo er wohnte, konnte sie ihr Auto in der Gegend parken und sich einen Plan ausdenken, um herauszufinden, ob Bessie erfunden war oder nicht.
Für den Rückweg brauchte sie über eine Stunde, aber nach dem Spaziergang war sie erholter. Billy ging sofort zu seinem Wassernapf, und sie schaltete den Wasserkocher ein. Sie brauchte dringend eine Tasse Tee, bevor sie sich daran machte, die Kellertür ordnungsgemäß zu versiegeln.
Sie öffnete sowohl die Küchen- als auch die Wintergartentür und versprühte dann den neuen Lufterfrischer. Sie hatte das Gefühl, dass er besser funktionierte als der hübsche, nach Lavendel duftende, den sie bisher benutzt hatte, und sie überlegte, ob sie den Herstellern schreiben und ihnen mitteilen sollte, dass er sogar den Verwesungsgeruch einer ermordeten Leiche überdecken konnte.
‚Böse Janette‘, sagte sie laut. Billy spitzte die Ohren. „Deine neue Mami ist ein sehr böses Mädchen. Sie hat aus Versehen jemandem den Kopf eingeschlagen, und jetzt muss ER in unserem Keller wohnen. Na ja, wohnen ist vielleicht das falsche Wort.“
Billy legte den Kopf schief, als würde er verstehen, was sie ihm zu sagen versuchte. Sie hoffte inständig, dass er das bei seinem Vorbesitzer nicht gelernt hatte. „Aber sag es niemandem, Billy“, sagte sie und streichelte seinen Kopf.
Sie trank ihre Tasse Tee aus und lächelte, als der Hund sich neben ihr auf dem Sofa zusammenrollte. Er schlief sehr schnell ein, offensichtlich war er von dem langen Spaziergang erschöpft.
Janette spülte ihre Tasse aus und holte die Trittleiter aus dem Wintergarten herein. Diesmal kletterte sie hinauf, ohne dass der Schmerz sie durchzuckte, und nahm den Vorhang ab. Dann begann sie, alles rund um die Tür abzukleben. Erst als sie sicher war, dass alles abgedichtet war, wiederholte sie den Vorgang. Kein Geruch würde hier entweichen können, so viel war sicher.
Als der Vorhang wieder aufgehängt und das ganze Klebeband versteckt war, entspannte sie sich. Sie versprühte noch einmal kurz den Raumerfrischer und brachte die Trittleiter zurück in den Wintergarten, wo sie sich neben Billy setzte, der die ganze Zeit geschlafen hatte.
„Drück mir die Daumen, dass das klappt, Billy.“ Als er ihre Stimme hörte, wedelte er leicht mit dem Schwanz. „Schön, dass du meiner Meinung bist“, sagte sie und streichelte ihm sanft über den Kopf.
6
Am Sonntagmorgen schien die Sonne, und Janette packte ein kleines Lunchpaket mit einer Thermosflasche Kaffee, nahm Wasser und ein paar Kekse für Billy mit und machte sich auf den Weg zum Meadow Drive. Da sie die Strecke nun kannte, kam sie ihr nicht mehr so lang vor, und sie erreichte sie in etwas mehr als einer Dreiviertelstunde. Diesmal war kein Polizeiauto zu sehen, und im Vorgarten standen zwei Kinder, die beide an der Mauer lehnten. Der Junge und seine jüngere Schwester sprachen nicht miteinander, sondern beobachteten nur. Sie sahen ihr nach, als sie am Ende der Straße vorbeiging, und der Junge rief ihr etwas zu.
Sie blieb stehen und drehte sich zu den Kindern um. „Hast du mich gerufen?“
Das Mädchen nickte. „Er war das“, rief sie, so als würde sie vermeiden wollen, dass man sie für ein Fehlverhalten verantwortlich machte.
Janette und Billy gingen ein paar Schritte auf sie zu. „Hast du ein Problem?“
Der Junge sah ein wenig mürrisch aus. „Ich habe gefragt, ob du meinen Vater gesehen hast.“
„Ich glaube nicht“, sagte Janette. „Wer ist dein Vater?“
„Er wird vermisst. Er heißt Philip Hancock. Er war in den Zeitungen und in den Nachrichten.“
„Oh, das tut mir leid“, sagte sie. ‚Natürlich habe ich von ihm gehört. Ich wusste aber nicht, wo er wohnt. Ich kenne ihn nicht, also würde ich nicht merken, dass ich ihn gesehen habe, wenn ich ihm begegnen würde.‘
„Gehst du in den Park?“ Diesmal ergriff das kleine Mädchen das Wort.
„Ja. Wir sind lange spazieren gegangen und ich habe uns ein Picknick eingepackt.“ Janette geriet leicht in Panik. Sie wusste nicht, dass es einen Park gab.
„Manchmal gehen wir mit Mami und Papa in den Park“, fuhr das Mädchen fort. „Ihr Hund ist nett. Wie heißt er?“
„Er heißt Billy. Habt ihr einen Hund?“ Janette hielt den Atem an, während sie auf die Antwort wartete.
„Nein, Mami ist allergisch gegen Hunde und Katzen. Sie hat Asthma.“
„Das tut mir leid. Ich hoffe, sie finden euren Vater bald“, und sie drehte sich um und ging weg, kaum in der Lage, ihren zitternden Körper zu kontrollieren.
Kein Hund. Also hatte ER sie irgendwo gesehen, herausgefunden, wo sie wohnte, und die Vergewaltigung geplant. Der Bastard hatte sie mit der festen Absicht besucht, Sex mit ihr zu haben. ER hatte es verdient zu sterben, für immer in ihrem Keller begraben zu sein.
* * *
Janette stellte fest, dass der Park nur fünf Gehminuten entfernt war, und als sie durch das Tor ging, lief Billy ruhig an ihrer Seite. Sie konnte einen Teich sehen und ging darauf zu, in der Hoffnung, dass es dort Bänke gab. Sie war nicht ganz sicher, ob sie sich auf das Gras setzen konnte, ohne noch Schmerzen von dem Angriff zu spüren.
Sie konnte mehrere leere Bänke sehen, also ging sie zu einer, die halb im Schatten lag. Die Sonne war etwas zu heiß geworden, und Billy legte sich ohne Aufforderung unter die Bank. Sie nahm einen kleinen Schluck Wasser aus seiner Flasche, bevor sie den Rest in seinen Napf kippte, öffnete dann ihre Thermosflasche und schenkte sich einen Kaffee ein. Sie legte ein paar seiner Leckerlis in einen kleineren Napf, und er schien ganz glücklich mit seinem eigenen Hundepicknick.
Janette rührte ihr Sandwich nicht einmal an. Sie musste nachdenken. Wann hatte ER sie gesehen? Wann hatte ER entschieden, dass sie ein gutes Opfer für seine Perversionen war? Warum sie? Ihre Mutter hatte ihr immer gesagt, sie solle sich nicht mit Make-up auftakeln, sie sei auch ohne schön, aber das war nur die Meinung ihrer Mutter, nicht die eines Fremden. Sie akzeptierte, dass sie eine gute Figur hatte, aber sie versteckte sie, indem sie Jeans und schlampige Pullover, weite Oberteile und Turnschuhe trug. Sie war allein glücklich, sie wollte niemanden anziehen, egal welchen Geschlechts. Warum also hatte dieser schreckliche Mann sie angesehen und gedacht, ER würde sie gerne ficken? Denn genau das war es gewesen. ER hatte nicht mit ihr geschlafen, ER hatte sie gefickt. Er hatte sich unter dem Vorwand, für seinen Hund eine Unterbringung zu benötigen, Zugang zu ihrem Haus verschafft und ihr Leben verändert. Jetzt saß sie mit seiner Leiche im Keller fest, es stank fürchterlich, da seine Leiche verweste, und sie würde neue Regeln für ihr Geschäft aufstellen müssen. Dazu musste sie sich etwas einfallen lassen, denn sie konnte die Leute nicht im Hintergarten Formulare unterschreiben lassen, sie musste sie immer noch in den Wintergarten bitten .
Sie ließ ihren Gedanken freien Lauf und kam zu dem Schluss, dass sie einfach die Möbel in ihrem kleinen Wintergarten umstellen könnte, sodass sie die Küchentür schließen und mit dem Rücken zur Tür stehen könnte, wenn sie mit Leuten zu tun hatte. Sie könnte den Sekretär durch einen gewöhnlichen Schreibtisch ersetzen und so ihr Leben und ihre Zukunft in die Hand nehmen. Der Sekretär würde ins Esszimmer kommen, sie würde ihn für ihre Zeichenutensilien verwenden und alles würde sich nicht mehr so unsicher, sondern ausgeglichener anfühlen.
Billy hatte seine Leckerlis verputzt und auch fast sein ganzes Wasser getrunken. Er legte seinen Kopf auf seine Vorderpfoten und schloss die Augen. Jemand ging dicht an ihm vorbei, setzte sich dann auf die andere Seite der Bank und holte eine Zeitung zum Lesen heraus. Billy stand sofort auf und stellte sich vor Janette. Sie tätschelte ihm den Kopf und er schaute zu ihr auf. Sie war überglücklich, dass der Hund so reagiert hatte, und wusste, dass sie gute Freunde werden würden.
Der Mann am anderen Ende der Bank sagte kein Wort und schließlich legte sich Billy wieder hin, aber seine Augen blieben offen und seine Ohren gespitzt.
* * *
Janette packte alles wieder in ihre Tasche und stand auf. Sie verkürzte die Leine, bis Billy direkt an ihrer Seite lief, und so gingen sie den Weg entlang, von dem sie hoffte, dass er sie auf die andere Seite des Sees und zu einem Ausgang führen würde, der nicht so weit von ihrem Zuhause entfernt war. Allmählich lockerte sie die Leine und straffte sie wenn nötig, während sie Billys Reaktionen auf andere Menschen beobachtete. Er schien die meisten von ihnen zu akzeptieren, egal ob es sich um Männer oder Frauen handelte. Kinder schienen ihm nicht zu gefallen. Kluger Hund, entschied sie und lächelte.
Der Spaziergang nach Hause war angenehm, wenn auch etwas warm, und sie freute sich, ihr Haus zu betreten, in dem der leichte Duft des Raum‑Erfrischers in der Luft lag und nicht der eines verwesenden Körpers.
Auf der Fußmatte lag ein Bild von diesem verwesenden Körper, allerdings nicht in dem Zustand, in dem ER sich gerade befand, sondern in dem Zustand, in dem ER sich normalerweise befand. Ein lächelndes Gesicht, kurze braune Haare, leicht pausbäckige Wangen, die ihn übergewichtig aussehen ließen. ER hatte sich definitiv übergewichtig gefühlt, als sein Körper sie auf den Küchenboden gedrückt hatte, und ihr war sein Gewicht bestätigt worden, als sie seinen Körper zur Kellertreppe schleppen musste.
Zuerst wollte sie das Blatt Papier zerknüllen und in den Mülleimer werfen, aber dann überlegte sie es sich anders. Sie würde es hinten in ihr Skizzenbuch legen, das sie demjenigen hinterlassen würde, der es nach ihrem Tod finden würde.
Es schien, als hätte die Polizei die Gegend erneut abgesucht und diesmal Flugblätter verteilt, in denen sie die Öffentlichkeit um Hilfe bei der Suche nach Philip Hancock bat. Sie fühlte sich fast wichtig, als ihr klar wurde, dass sie die Einzige war, die überhaupt Informationen hatte; der Beweis, dass ER keinen Hund hatte, hatte sie davon überzeugt, dass ER definitiv niemandem gesagt hatte, dass ER sie besuchen würde. Seine Absicht war es gewesen, etwas über sie herauszufinden, zu erfahren, dass sie allein lebte, und es auszunutzen. Warum? Hatte ER sie irgendwann einmal gekannt, war ER ein Bekannter ihrer Mutter gewesen? Warum sie, kleines, schüchternes Mäuschen? Und hatte ER das schon einmal getan?
Sie erstarrte für einen Moment, als ihr dieser Gedanke kam. Hatte ER? Sie konnte ja schlecht eine Anzeige in den Kiosken aufhängen oder in der Lokalzeitung schalten, in der sie Frauen aufforderte, sich bei ihr zu melden, wenn sie von einem übergewichtigen Typen vergewaltigt worden waren.
Billy folgte ihr in die Küche, und sie füllte frisches Wasser in seine Schüssel, bevor sie sich selbst ein Glas aus dem Krug im Kühlschrank einschenkte. Es war eiskalt, und sie genoss die Kälte. Der Spaziergang war anstrengend gewesen, aber sie hatte jetzt Antworten.
Seine beiden Kinder wünschten sich ganz offensichtlich nichts sehnlicher als seine sichere Rückkehr, aber daran konnte sie nichts ändern. Kurz fragte sie sich, wie es seiner Frau wohl ging, verwarf den Gedanken aber ziemlich schnell; sie würde nichts anderes als Wut empfinden, wenn sie wüsste, wie ER gestorben war und was ER getan hatte, um seinen Tod zu verursachen.
Sie ging langsam die Treppe hinauf und beschloss, zu duschen und Shorts anzuziehen, bevor sie den Rest des Tages mit Billy im Garten hinter dem Haus verbrachte. Danach würde sie sich vermutlich früh hinlegen, denn sie spürte die Schmerzen von dem langen Spaziergang.
Inzwischen hatte sich die Farbe der lila Blutergüsse an ihrem Körper zu einem bräunlichen Gelb verändert, und sie beschloss, keine Shorts zu tragen, falls sie jemand sehen sollte, musste dann aber lachen. Eigentlich sah sie immer nur den Milchmann, und der kam definitiv nicht an einem Sonntagnachmittag.
Sie zog die weißen Shorts schon fast trotzig an. ER würde nicht gewinnen. Billy wartete geduldig auf sie, während sie sich anzog, und rannte dann vor ihr die Treppe hinunter, um im Flur auf seine nächsten Anweisungen zu warten. Sie lächelte, als ihr klar wurde, wie schnell sie sich in so kurzer Zeit angefreundet hatten, aber sie wusste, dass die wahre Prüfung kommen würde, wenn sie ihre nächsten Pensionsgäste aufnahm.
Sie saßen auf der Terrasse und Janette begann zu zeichnen. Ihre Mutter hatte sie nie zum Lesen ermutigt und sie hatte es nie genossen, in der Fantasiewelt eines anderen zu leben; ihre Flucht war ihr Skizzenbuch gewesen und das einzige Buch, das sie besaß, war ihr Straßenverzeichnis, das sie von ihrer Mutter geerbt hatte.
Ihr Skizzenbuch hingegen erfüllte sie. In der Schule blühte sie im Kunstunterricht auf und blieb einen Abend pro Woche, um an einer Kunstgruppe teilzunehmen. Und mit der Zeit wuchs ihr Talent.
Sie skizzierte Billy schnell und machte sich dann daran, die Zeichnung detaillierter zu gestalten. Sie lachte. „Mein Gott, Billy, du bist ein zotteliger Hund.“
Billy wedelte mit dem Schwanz, fast so, als würde er ihr zustimmen.
„Hat man dir das schon mal gesagt?“
Er gab ein leises Bellen von sich, und sie warf ihm einen kleinen Kauknochen zu. Er stürzte sich darauf und machte es sich gemütlich, um sein Leckerli zu genießen.
Sie zeichnete weiter und bemerkte, wie das schwindende Licht die Farbe seines Fells veränderte und ihn viel grauer aussehen ließ. Sie versuchte, ihn sich als Welpen vorzustellen, und wusste, dass sein ungepflegter Zustand seinen vorherigen Besitzer angezogen hatte. Er war offensichtlich geliebt worden, aber nur von Erwachsenen. Sie hoffte, dass der alte Mann auf sie herabblickte und sah, dass Billy in seinem neuen Zuhause glücklich war.
„Wenn wir das nächste Mal ausgehen, kaufen wir dir ein neues Halsband und eine neue Leine“, sagte sie, aber diesmal wurde sie ignoriert. Der Kauknochen war viel wichtiger als ein neues Halsband.
Als die Sonne tiefer am Himmel stand, lag die Terrasse im Schatten, und sie stand auf und sammelte ihre Zeichenutensilien zusammen. Dicht gefolgt von Billy ging sie zurück in die Küche und schloss sowohl die Tür zum Wintergarten als auch die Küchentür ab.
Jetzt war das Haus wieder ihr sicherer Zufluchtsort.
7
Am 14. August 1998 kaufte Janette einen Schwangerschaftstest in einer Apotheke, die sie noch nie zuvor betreten hatte. Sie wollte, dass niemand außer Billy etwas davon erfuhr. Er war ihr Vertrauter geworden, neben der Asche ihrer Mutter, keins von beiden konnte ihr Trost spenden oder Ratschläge geben , aber sie vertraute ihnen trotzdem ihre Sorgen an.
Am 18. August machte sie den Test, nachdem sie sich heftig übergeben hatte, weil sie einen Hauch Kaffee gerochen hatte.
* * *
Janette kaufte ein neues Notizbuch, ließ Billy in einem der Hundezwinger im Garten mit reichlich Futter und Wasser und zwei anderen Hunden zur Gesellschaft zurück und fuhr zur großen Zentralbibliothek in Sheffield.
Sie zog mehrere Bücher heraus und begann, sich Notizen über Geburten zu machen. Sie hatte eine Ausrede für den Fall, dass jemand etwas sagen würde – sie überlegte, Hebamme zu werden, und wollte so viele Informationen wie möglich haben, bevor sie den Sprung wagte. Sie hatte selbst einen winzigen Bauch, der überhaupt nicht auffiel; ihr locker fallendes Oberteil verbarg alles.
Niemand durfte von diesem Baby erfahren. Niemand. Wenn es geboren war, konnte sie es zu seinem Vater in den Keller werfen und mit ihrem Leben weitermachen. Sie würde so viel lernen, wie sie aufsaugen konnte, das Kind selbst zur Welt bringen und der Natur ihren Lauf lassen, sobald sie es losgeworden war.
Das Notizbuch war randvoll mit Notizen. Sie übertrug rasch Diagramme, las seitenweise Wörter und suchte relevante Stellen heraus, von denen sie wusste, dass sie sie brauchen würde, und schrieb sie dann in ihr Notizbuch ab.
Sie erkannte, dass sie nur diese eine Gelegenheit haben würde, zu recherchieren; ihr Bauch würde wachsen, und sie konnte nicht das Risiko eingehen, ihr Zuhause zu verlassen, wenn sie sichtbar schwanger war.
Der Milchmann ... sie musste anfangen, ihm jeden Samstagmorgen sein Geld unter einem Ziegelstein oder etwas Ähnlichem zu hinterlassen. Sie würde diese Woche mit ihm sprechen und es ihm erklären, dass sie ihre Zwinger erweitern wolle und ihn nicht unbedingt an der Tür hören würde. Es war nur eine kleine Lüge – es war ihr Bauchumfang, der wuchs, nicht ihre Zwinger.
Sie würde auch ihre Kunden kontaktieren müssen, um ihnen mitzuteilen, dass sie ihre Hundepension vorübergehend schließen müsse, da sie gesundheitliche Probleme habe und sich im Moment nicht um die Tiere kümmern könne. Sobald sich die Lage geklärt habe, würde sie sich melden.
Janette musste in den Winterschlaf gehen. Seinetwegen.
Sie schrieb die Wörter „Milchmann“ und „Kunden“ hinten in ihr Notizbuch, blätterte noch einmal schnell durch die Bücher und stellte sie dann wieder ins Regal. Sie war sechs Stunden in der Bibliothek gewesen und musste nach Hause.
* * *
Janettes Autoradio war auf Radio Sheffield eingestellt, und es schien, als würde die Polizei einen weiteren Versuch unternehmen, den vermissten Philip Hancock zu suchen. Sie riefen dazu auf, ihn zu melden und jede Information mitzuteilen, die helfen könnte. Seine Frau und seine Kinder warteten verzweifelt auf ein Lebenszeichen von ihm und es wurde eine spezielle Nummer für Anrufer herausgegeben.
Sie lächelte, als sie daran dachte, was sie ihnen erzählen könnte, setzte aber ihre Heimreise fort, um schnell zu Billy zurückzukehren und sicherzustellen, dass es allen Hunden gut ging.
Und das tat es. Candy war für einen zweitägigen Besuch zurück, während ihre Besitzer an einer Konferenz in Ipswich teilnahmen, und Billy, im nächsten Zwinger, lag ausgestreckt neben ihr.
„Na, ihr zwei versteht euch ja gut, was?“ Sie lächelte, und beide Hunde sprangen auf, um sie zu begrüßen. Der andere Untermieter, ein großer Deutscher Schäferhund unbestimmten Alters, döste und öffnete nur die Augen, um zu sehen, wer gekommen war.
Sie ließ Billy in den Garten und Candy in den Auslauf und ging dann hinein, um das Futter für alle drei vorzubereiten. Sie entschied sich, ihnen als besonderen Leckerbissen frisches Hühnchen zuzubereiten, und machte sich an die Arbeit.
Plötzlich wurde ihr klar, dass sie ein Problem hatte. Sie brauchte Lebensmittel, wahrscheinlich bis Ende Januar. Grundnahrungsmittel wie Butter, Milch, Eier und Hühnchen konnte sie wie bisher vom Milchmann beziehen, aber das war sein gesamtes Lieferspektrum. Sie brauchte einen Plan.
* * *
Die große Gefriertruhe wurde am nächsten Tag geliefert, und wieder einmal musste Janette den Wintergarten umräumen, um das Gerät unterzubringen. Sie schloss es wie angewiesen an und ließ es stehen.
Sie saß an ihrem Schreibtisch, was ihr wie eine Ewigkeit vorkam, aber tatsächlich nur ein paar Stunden dauerte und schickte Briefe an alle ihre Kunden, in denen sie sie über die Veränderungen in ihrem Leben informierte; sobald sie körperlich wieder fit sei, würde sie sich bei ihnen melden. Sie war froh, dass sie den Laptop und den Drucker besaß; es machte das Leben so viel einfacher, als alles handschriftlich erledigen zu müssen.
Am nächsten Tag brachte sie Billy wieder in einen Zwinger und entschuldigte sich bei ihm dafür, dass Candy nicht da war; ihre Besitzer hatten sie abgeholt und sie hatte ihnen ihren Brief gegeben. Sie war zu einer Erklärung gezwungen gewesen, weil sie den Brief sofort geöffnet und ihre Besorgnis zum Ausdruck gebracht hatten. Also hatte sie es beschönigt und gesagt, dass sie ein paar Operationen vor sich habe und Zeit brauche, um sich in Ruhe zu erholen. Sie waren mit besorgten Worten und dem Angebot, ihr zu helfen, wenn sie es brauche, gegangen.
Können Sie eine Leiche und ein Baby loswerden?
Sie ließ Billy und Bruce, den Deutschen Schäferhund, zurück und machte sich auf den Weg zu einem Supermarkt, wo sie wie eine Maus, die versucht, aus einer Falle zu entkommen, herumhuschte, ihre Einkaufsliste abarbeitete. Sie stellte sicher, dass sie genug Hundefutter für mindestens sechs Monate hatte – das war eine Sorge weniger. Sie kaufte mehrere Brote, legte aber noch ein paar Packungen Mehl und Trockenhefe dazu. Sie hatte immer gerne mit ihrer Mutter Brot gebacken und wusste, dass es ihr zumindest an den Grundnahrungsmitteln nicht fehlen würde. Dann begann sie, sich mit einzelnen Mahlzeiten einzudecken, nur für den Fall, dass es ihr irgendwann nicht gut gehen sollte, und füllte ihren Korb langsam mit allem, was sie brauchte, um gut ins neue Jahr zu kommen.
Es schien ewig zu dauern, und sie fuhr mit einem seltsamen Stechen im Kopf nach Hause, während sie versuchte, an alles zu denken, was sie sonst noch brauchen könnte. Das Ausladen des Autos war ein Albtraum, und es kam ihr kurz der Gedanke, dass eine so anstrengende Tätigkeit sich sicherlich auf das Baby auswirken und vielleicht zu einer Fehlgeburt führen würde ...
Aber das tat es nicht.
Janette machte in den nächsten Tagen zwei weitere Fahrten und legte einen Vorrat an allem an, was ihr einfiel, da sie wusste, dass sie sich in ein paar Wochen verstecken musste. Der Bauch schien täglich zu wachsen.
Sie saß stundenlang da und tippte ihre Notizen in ihren Laptop, ließ Platz für ihre Diagramme und am Ende wurde daraus ein passables Manuskript. Es erinnerte sie auch an alles, was sie in der Bibliothek entdeckt hatte, und sie hoffte, dass es ausreichen würde, um die Geburt dieses Objekts in ihr zu überstehen.
Der Milchmann hinterließ ihr jeden Freitag eine Nachricht mit dem Betrag, den sie schuldete, und holte ihren Umschlag mit dem Geld jeden Samstagmorgen unter dem Ziegelstein neben der Eingangstür hervor.
Ende September hoffte Janette, dass sie für alle Eventualitäten gerüstet war, und an diesem Abend erzählte sie der Asche ihrer Mutter und Billy von ihren Plänen.
„Wenn es geboren ist, werde ich es zu ihm in den Keller bringen. Ich kann es nicht töten, aber ich nehme an, dass es dort unten sterben wird. Vielleicht atmet es nicht einmal. Ich werde ihm nicht dabei helfen; es muss selbstständig atmen, wenn es das will.“
Billy wedelte mit dem Schwanz, als ob er zustimmen würde.
* * *
Janette hatte das Gefühl, endlich alles organisiert zu haben, was organisiert werden musste. Sie musste nur noch das ständige Erbrechen, ein Mindestabstand von fünfzig Metern zu einer Tasse Kaffee und das ständige Verlangen nach einem kompletten englischen Frühstück zu jeder Mahlzeit überwinden.
Sie vermisste ihre Pensionshunde und hatte mehrere Briefe erhalten, in denen sie gebeten wurde, ihre Kunden zu informieren, sobald sie ihre Haustiere wieder aufnehmen könne. Billy wich ihr nicht von der Seite, fast so, als ob er wusste, dass ihre Gedanken woanders waren. Er hörte ihr jedes Mal mit gespitzten Ohren zu, wenn sie ihm von dem Problem erzählte, und sie war ziemlich froh, dass er nicht verstehen oder wiederholen konnte, was sie sagte.
Das Haus war voller Lebensmittel, die meisten davon tiefgefroren, aber sie hatte auch viele Konserven. Eintopf mit Würstchen wurde zu ihrer Spezialität und sie kochte viele verschiedene Gerichte, die sie in Einweg-Plastikbehältern verpackte, die sie in einem Billigladen gefunden hatte, bevor sie sie einfror.
Ihr kam der Gedanke, dass die Kriegszeit viel einfacher gewesen wäre, wenn man damals schon gewusst hätte, wie man Lebensmittel einfriert. Sie hatte das Gefühl, in vielen Bereichen ihres Lebens im Krieg zu sein, und die einzige Person – ein Hund – die sie bei Verstand hielt, war Billy.
Sie sah allmählich aus wie ihre Mutter kurz vor deren Tod: Ihr Bauch war geschwollen, aber im Gegensatz zu ihrer Mutter war darin kein Tumor, sondern definitiv ein Kind. Sie konnte fühlen, wie es sich bewegte und strampelte, während es seinen Weg in eine Welt bahnte, in der es nicht erwünscht war, und sie bekam immer mehr Angst, während die Zeit wie im Flug verging.
Janette sprach monatelang mit niemandem. Sie machte sich keine Gedanken darüber, ob es ein Junge oder ein Mädchen sein würde, ob es gesund sein würde oder was sonst damit sein würde. Es würde sehr schnell sterben, sobald sie es in den Keller geworfen hatte, falls es überhaupt jemals einen Atemzug tat. Dann würde sie ihr Leben und ihre Hundepension neu aufbauen und versuchen, das Böse, das am Fuße ihrer Kellertreppe lag, zu vergessen.
Weihnachten war bedeutungslos. Sie kümmerte sich nicht um einen Baum, bestellte ein Huhn und frisches Gemüse beim Milchmann und feierte mit Billy ein Nicht-Fest. Sie kaufte ihm einen neuen Wintermantel aus einem Katalog, damit er draußen im Garten herumtoben konnte, aber sie konnte nicht mit ihm lange spazieren gehen; es war wichtig, dass niemand sie sah.
Sie bastelte eine Weihnachtskarte. Sie war für den Milchmann, und sie wusste, dass sie ihm eine schicken musste. Das tat sie jedes Jahr, und sie legte immer einen Fünf-Pfund-Schein dazu. Sie beschloss, dass es klug war, diese Tradition weiterzuführen, und setzte sich eines Abends hin und zeichnete ein Bild von ein paar im Entenmarsch laufenden Pinguinen, und malte diese dann mit ihren Aquarellfarben aus. Nur für dieses kurze Zeitfenster, in dem sie kreativ war, kam ihr die Welt so viel besser, so viel kleiner vor.
Sie legte die Karte zusammen mit dem Geld für ihre Weihnachtseinkäufe eine Woche vor Weihnachten unter den Ziegelstein, und zu ihrem Entsetzen klopfte er an ihre Tür. Sie erstarrte und ignorierte es einfach völlig. Dann hörte sie das Klappern des Briefkastens und seine Karte kam durch.
Schöne Weihnachten, alles Liebe, Michael.
Sie spürte, wie ihr Tränen in die Augen stiegen, und legte die Karte auf den Kaminsims. Es war die einzige Karte, die sie bekommen hatte; die Nachbarn hatten schon vor Jahren aufgehört, sich die Mühe zu machen, als sie merkten, dass ihre Karten nie beantwortet wurden.
An diesem Abend schaltete sie ein Weihnachtsprogramm im Fernsehen ein und setzte sich mit ihrem Zeichenblock hin. Sie malte eine Karte für Billy, eine Zeichnung von ihm mit einer Weihnachtsmannmütze auf dem Kopf, seine Vorderpfoten auf einem Sack voller Spielzeug.
Janette malte sie sorgfältig aus und lächelte über das fertige Bild. Sie versah es mit einem Kuss und überreichte es ihm. Er schnupperte daran und legte dann eine Pfote darauf.
„Gefällt es dir?“
Er schob es ihr zu, als wollte er, dass sie es sich auch ansah. Sie stellte es auf den Kaminsims neben Michaels Karte, und Weihnachten fühlte sich plötzlich nicht mehr so einsam an.