Leseprobe Never kiss a Quarterback

Kapitel 1 – Stella

3 Jahre später

„Wo ist sie hin?“ Die donnernde Stimme von Antonio Temporiti lässt mich zusammenzucken. Nur ein dünner Vorhang trennt mich und ihn, er könnte mich jederzeit entdecken. „Diese stümperhafte Frau, die behauptet, Beraterin zu sein. Aber dieses Mal reicht es. Meine Show ist komplett versaut!“

„Ich weiß es nicht“, entgegnet eine der Backstage-Assistentinnen lahm. „Bei dem Trubel achte ich nicht auf jeden.“ Ich sehe sie regelrecht vor mir, das Headset schief auf dem Kopf sitzend, gelangweilt Kaugummi kauend und gleichgültig mit den Schultern zuckend.

„Was soll das heißen?“, empört sich Temporiti daraufhin. „Das hier ist eine Fashion Show, ich erwarte volle Konzentration.“

Aus dem Augenwinkel nehme ich eine Bewegung wahr und spüre Panik in mir aufsteigen. Doch es ist nur Ramona, meine beste Freundin und präferierte Stylistin, wenn es um Models bei den von mir unterstützten Shows geht. Mit wilden Gesten gibt sie mir zu verstehen, dass ich so schnell wie möglich abhauen soll, bevor sie wieder auf der anderen Seite des Vorhangs verschwindet.

„Hey, Sie da“, ruft Temporiti erneut und meint dieses Mal vermutlich Ramona. „Haben Sie Miss Cunningham gesehen? Sie soll sich für dieses Desaster rechtfertigen, das sie da veranstaltet hat.“

„Stella?“, setzt Ramona träge an, und auch sie sehe ich vor meinem geistigen Auge, wie sie die Arme in die Hüften stemmt und nachdenklich die Stirn krauszieht.

So leise wie möglich schleiche ich tiefer in die Katakomben der Location und bin wieder einmal froh, dass ich flache Schuhe trage, um dafür gewappnet zu sein, wenn es mal stressiger wird. Mit ihnen kann ich viel leichter davonschleichen als mit Pumps.

„Ich will sie sofort sprechen“, dröhnt Temporitis Stimme noch bis in die Garderobe, wo ich in Windeseile nach meiner Handtasche greife, den Mantel von dem Haken zupfe und wenig später die Feuerschutztür zum Hinterausgang aufdrücke. Kühle Abendluft empfängt mich, und ich atme erleichtert durch. Wie konnte mir das nur passieren? Ein Kleid auf der Show durchwinken, das einem der Konkurrenz so extrem ähnlich sieht, dass es geradezu nach Plagiat schreit. Erst durch Gemurmel im Publikum bin ich darauf aufmerksam geworden. Auf Laien wirkt es vermutlich wie ein nichtiger Fauxpas, kaum der Rede wert, aber in der Modewelt ist es eine Katastrophe.

Ratlos sehe ich mich in beide Richtungen der schmalen Gasse um, in der ich nun angelangt bin. Welche Route ist sicherer? Ist der Designer so sauer, dass er seine Leute ausschwärmen lässt, um mich zu finden? Und überhaupt, wie soll ich hier wegkommen, ohne beim Rufen eines Taxis Aufmerksamkeit zu erregen?

Wieder ist Ramona meine Retterin, denn sie erscheint an einem Ende der Seitenstraße und winkt mit ihrem Autoschlüssel. Während ich auf sie zueile, schlüpfe ich in meinen Mantel, binde mir einen Seidenschal wie ein Kopftuch über die Haare und fische meine Sonnenbrille aus der Handtasche. Grinsend, wenn auch kommentarlos, betrachtet Ramona mich und nickt zu dem Parkplatz, der glücklicherweise ganz in der Nähe ist. Kaum zwei Minuten später sitzen wir beide in dem kleinen gelben Fiat 500 und schlängeln uns durch die Straßen New Yorks.

„Danke, Ramona.“ Erleichtert lehne ich den Hinterkopf gegen die Stütze. „Du hast mich gerettet. Noch mehr Demütigung hätte ich nicht ertragen.“

Kichernd wirft sie mir einen Seitenblick zu. „Ganz ehrlich, Stella, übertreibst du nicht ein wenig? Ich meine, ja, ich kenne die Branche, aber wird Temporiti sich nicht nach ein wenig Gemecker wieder abreagieren? Das kann schon mal passieren.“

„Nein, für ihn ist das ein Weltuntergang, glaub mir. Er erwartet von seinen Beratern höchste Professionalität und vor allem gute Recherche.“

„Dann hat er eben ein ähnliches Kleid wie Georgios vorgestellt, was soll’s? Es war ja nicht so, als wären die beiden Exemplare direkt hintereinander gelaufen, oder so was.“

„Ähnlich? Es war fast identisch!“ Entgeistert starre ich Ramona an, während sie uns immer weiter in Richtung unserer Wohngegend kutschiert.

„Aber was kannst du dafür? Muss er sich nicht auch selbst über seine Konkurrenz informieren?“

„Nein, er will sich voll und ganz auf seine Kreativität konzentrieren. Die Beobachtung der anderen Designer überlässt er immer anderen. Und gerade bezogen auf das Marketing muss ich up to date sein, was seine Konkurrenten betrifft.“

Mit einem Finger fuchtelt Ramona zwischen uns hin und her. „Und was ist, wenn er selbst die Idee zu dem Design geklaut hat? Wer sagt denn, dass Georgios es war, der seine Spione ausgesandt hat? Antonio kann euch wer weiß was vorspielen.“

Zwar ist diese Idee durchaus berechtigt, doch sie hat noch nie so intensiv wie ich mit diesem Star-Designer zusammengearbeitet. Der Mann Mitte Fünfzig ist ein Perfektionist, und ich schätze ihn so ein, dass er lieber seine komplette Karriere beenden, als ein Plagiat erstellen würde. „Es wird sich herausstellen“, versuche ich mit einem Seufzen das Thema zu wechseln. „Aber jetzt muss ich erst einmal für eine Weile untertauchen, bis Gras über die Sache gewachsen ist. Er wird sich bei der Agentur beschweren, und die werden mich in nächster Zeit mit Sicherheit nicht buchen. Es kommt ganz darauf an, wie die Presse reagiert, ob ich überhaupt noch mal mit Temporiti zusammenarbeiten werde, oder er nur noch andere Berater anfragen wird.“ Seufzend blicke ich aus dem Fenster. „Das heißt aber auch, dass ich einen neuen Job brauche. Wer weiß, wie lange der Vorfall die Runde machen wird. Zu dumm, dass ich fest mit der Gage der kommenden Shows gerechnet habe.“

„Es gibt so viele Designer, einige werden bestimmt froh sein, wenn du sie unterstützt. Vielleicht sogar welche, die nicht einmal ansatzweise so verschroben wie dieser Kerl sind.“ Ramona scheint meine Bedenken noch immer nicht nachvollziehen zu können. Aufmerksam fädelt sie sich in die rechte Spur, um in die Tiefgarage unseres Wohnhauses zu fahren.

Ihren Optimismus hätte ich gerne. Im Moment kommt es mir vor, als wäre alles verloren. Was ist, wenn ich mich doch mit allem übernommen habe? Meine Eltern haben von Anfang an behauptet, dass meine Möchtegern-ein-Personen-Beratung, wie sie es nennen, keine Zukunft hat. Hatten sie etwa recht? Vielleicht habe ich mir selbst zu viel Druck gemacht, um ein Scheitern meinerseits unter allen Umständen zu vermeiden. Damit sie sehen, dass sie unrecht hatten.

„Kopf hoch, Süße“, raunt mir meine beste Freundin zu, als sie in der Garage den Motor abstellt. „Das wird schon wieder, ich verspreche es dir. Vielleicht ist das auch die perfekte Gelegenheit, mal etwas anderes auszuprobieren.“

Ich bin ihr für die aufmunternden Worte dankbar, doch im ersten Moment kommen sie gar nicht richtig bei mir an. Dann jedoch ermahnt mich eine innere Stimme, mich nicht mehr im Selbstmitleid zu suhlen. Ramona hat vollkommen recht. Wie heißt dieser Spruch doch gleich? Wenn sich eine Tür schließt, öffnet sich dafür eine andere.

„Gutes Stichwort.“ Fest entschlossen steige ich aus und schlage mit neuem Mut die Tür zu. Ein wenig verblüfft tut Ramona es mir gleich. „Ich erstelle gleich im Portal eine neue Anzeige und erweitere meine Zielgruppe. Marketing-Experten werden doch immer gesucht, oder?“

„Ganz genau.“ Ramonas Augen beginnen zu strahlen. „Und deine Coaching-Ausbildung setzt dem Ganzen noch das Sahnehäubchen auf. Heutzutage ist es doch voll im Trend, sich in allen möglichen Bereichen einen Coach zu holen. Also wenn das nichts wird, dann weiß ich echt nicht, was mit der Welt los ist.“

Nickend drücke ich den Knopf des Aufzugs und formuliere geistig bereits einen Werbetext. Die Zweifel sind nicht ganz weg, aber ich muss mich jetzt selbst dazu bringen, mich aufzuraffen, sonst falle ich womöglich in eine existentielle Krise.

Eine Viertelstunde später schaue ich zufrieden auf den fertig getippten Entwurf einer Anzeige:

Life Coach mit Marketing-Affinität hat Kapazitäten für neue Aufträge. Reisebereitschaft vorhanden, zeitliche Flexibilität nur kurzzeitig gegeben, deswegen seien Sie schnell und kontaktieren Sie mich noch heute.

„Schau mal, kann ich das so lassen?“

Während Ramona mit einer Tasse Kaffee aus der Küche kommt, schiebe ich ihr meinen Laptop herüber, auf dem ich die Seite des Dienstleistungsportals geöffnet habe, über das ich meine letzten Aufträge an Land ziehen konnte. Eigentlich hatte ich gehofft, dass ich von nun an nur noch über positive Mundpropaganda an neue Agenturverträge kommen würde, leider ist das gründlich nach hinten losgegangen. Wenn Temporiti sich beschwert, und damit rechne ich fest, kann ich die renommierten Modeagenturen vergessen und muss mich wieder, wie zu Beginn meiner Laufbahn, ins Zeug legen, um als Freiberuflerin überhaupt für Shows engagiert zu werden, ob als Beraterin oder wenigstens Backstage-Assistentin.

Ramonas Blick huscht über die geschriebenen Zeilen, und ich bin erleichtert, als sie nickt. „Kurz und knackig, so muss es sein. Aber warte mal“, sagt sie, stellt ihre Tasse ab und lässt die Finger über die Tastatur fliegen. „Ich packe noch entsprechende Tags dazu, dann findet dich so gut wie jeder, der irgendeinen Coaching-Bedarf hat.“

Unweigerlich tauchen in meinem Kopf Bilder von Farmern auf, die wollen, dass ich deren Kühe massiere, oder eine überforderte Mutter, die mir die Erziehung ihrer Kinder aufdrückt, doch ich schaffe es, sie schnell zur Seite zu schieben. Nur weil ich eine breitere Zielgruppe anspreche, heißt das ja nicht, dass ich jedes Angebot annehmen muss.

Ganz ehrlich, wie schlimm kann es schon werden?

Kapitel 2 – Hunter

„Ten-Sixty – Set – Ten-Sixty!“ Abwartend sehe ich in die Gesichter der Offense-Spieler, die sich um mich versammelt haben. Seit zwei Wochen üben wir die neuen Codes der Spielzüge im Training, und ich erwarte, vor allem von uns als NFL-Team, dass die Jungs sie zu diesem Testspiel zuverlässig verinnerlicht haben. Doch neben motiviertem Nicken ernte ich auch viele ratlose Blicke. „Ten-Sixty?“, hake ich nach, und ein paar der unsicher wirkenden Spieler versuchen sich zumindest an einer wissenden Miene. „Dann los, und zwar bei Kommando Four.“

Ich klatsche in die Hände, als Zeichen, dass sich alle aufstellen sollen. Ein wenig chaotisch trudelt schließlich jeder auf seiner Position ein, und ich bin erleichtert, dass immerhin die Wide Receiver den Eindruck machen, als wüssten sie, was ich vorhabe. Die Line braucht nur zu wissen, dass ich das gegnerische Team reinlegen möchte, der Rest läuft hoffentlich von selbst.

Hochkonzentriert starrt die junge Defense des Collegeteams auf den Ball, und ich bin mir für einen Moment nicht sicher, ob der Plan aufgehen wird. „Ready – two, three!“ Das three brülle ich besonders laut, meine Offense bleibt wie geplant stehen. Zu unserem Glück zuckt jedoch der linke Lineman des Gegnerteams. Sein Nachbar tut es ihm gleich, und schon sind alle in Bewegung. Offiziell haben unsere Gegenspieler jetzt ein Foul begangen, aber ich will die Verwirrung nutzen und lasse mir den Ball geben. Carter Grant, einer unserer Receiver, ist bereits in voller Fahrt, rennt auf die Endzone zu und wirft mir einen abwartenden Blick zu. Um mich herum werden Gegner zu Boden gerissen, ich habe freie Bahn, um einen langen Pass zu versuchen. Mit voller Kraft werfe ich den Ball zu Carter, der fängt ihn sicher und rennt weiter. Eins, zwei Haken muss er schlagen, dann ist er am Ende des Feldes angelangt und macht den Touchdown. Die Zuschauer jubeln und mein Team rennt auf Carter zu. Auch ich setze mich in Bewegung. Auf meinem Weg komme ich an Spielern des Gastteams vorbei, sie wirken sehr niedergeschlagen, lassen die Schultern hängen, manche sehen mich ehrfürchtig an. Automatisch muss ich an meine Zeit als junger Spieler denken und an den Druck, der bei solchen Matches auf mir gelastet hat. Zwar ist klar, dass man als College-Team nicht gegen eine Liga-Mannschaft hervorstechen kann, aber die Hoffnung besteht trotzdem, dass man vielleicht von einem Agenten entdeckt wird.

Als ich schon fast an der Defense der anderen vorbeigejoggt bin, werde ich langsamer und mache einen Schlenker auf sie zu. „Keine Sorge, heute ist kein Scout da, es ist also nicht schlimm, zu scheitern.“ Ich meine es aufmunternd, wirklich, mühsam kriege ich sogar ein Lächeln hin. Aber auf den Gesichtern der Spieler zeigt sich keinerlei Dankbarkeit, geschweige denn Freude. Stattdessen ernte ich Stirnrunzeln und einige Blicke werden noch verstörter, als sie zuvor waren. Einer der Linemen wird sogar richtig sauer.

„Ach, es reicht dir wohl nicht, uns beschissen dastehen zu lassen, was? Musst du auch noch Salz in die Wunde streuen?“ Wütend tritt er einen Schritt auf mich zu, doch seine Teamkollegen halten ihn auf.

Verblüfft starre ich ihn an, und mein Lächeln ist wie weggewischt. Salz in die Wunde? Ich wollte doch bloß nett sein. Coach Whipley moniert ständig, dass ich freundlicher sein soll, zu dem Team, zu der Presse, zu ihm, zu allen. Obwohl es mir meist egal ist, was andere von mir denken, will ich es wenigstens versuchen. Gerade bei dem Gegnerteam kann ich gut üben, immerhin ist es bei ihnen wirklich nicht relevant, ob sie mich sympathisch finden oder nicht. Aber irgendwie scheine ich es falsch zu machen.

„Super Pass, Fields“, ruft Trent, der Center der Offensive Line, und klopft mir auf die Schulter.

Ihm folgen viele weitere Spieler, bis auch Carter an mir vorbeiläuft. „Toller Spielzug“, sagt er knapp und nickt anerkennend. Ich weiß, ich sollte jetzt so etwas wie „gut gefangen“ entgegnen, aber die Situation gerade hat mir jegliche Ambitionen genommen, mich an einem netten Umgangston zu versuchen. Also wackele ich mit dem Kopf, was vermutlich wenig wie ein Nicken aussieht, sondern eher wie eine Abwehrbewegung. Und schon ist Carter wieder weg.

„Flag on the Field“, höre ich den Hauptschiedsrichter durch die Stadionlautsprecher rufen. Er gibt dem verteidigenden Team eine Zehn-Yard-Strafe, doch ich wedele mit den Armen.

„Wir lehnen die Strafe ab“, brülle ich ihm entgegen. Der Touchdown würde nicht zählen, wenn der Spielzug jetzt wiederholt werden würde, aber die Punkte stehen uns zu und ich nehme sie gerne, selbst wenn es sich nur um ein Testspiel handelt.

Am Ende gewinnen wir mit vierzig zu achtzehn Punkten. Das Publikum jubelt, aber mein Team wirkt ungewöhnlich niedergeschlagen. Von seltsamen Blicken begleitet rausche ich in die Katakomben. Ich habe mir angewöhnt, keinen Wert auf die Meinung und Launen anderer Menschen zu legen. Es geht mir um den sportlichen Erfolg, alles Zwischenmenschliche ist für mich bloß Zeitverschwendung. Trotzdem versuche ich, mich ab und an etwas zusammenzureißen, weil mir die Offiziellen ständig in den Ohren liegen, dass ich auf die Fans sympathischer wirken soll und ich die Mannschaft viel besser leiten kann, wenn sie mich leiden können, bla, bla, bla. Mein letzter Versuch hat mal wieder gezeigt, wie aussichtslos es ist.

„Hunter?“ Die Stimme von Coach Whipley lässt mich innehalten, noch bevor ich die Kabine erreicht habe. Allein am Tonfall kann ich erkennen, dass mir gleich eine Standpauke blüht.

„Coach.“ Zähneknirschend drehe ich mich zu ihm um. Meinen Helm habe ich bereits abgesetzt, mit der freien Hand fahre ich mir durch die schweißnassen Haare.

„Gutes Spiel“, setzt Whipley an, aber ich weiß, dass er es nur sagt, weil er mit etwas Positivem beginnen möchte. „Genau wie wir es im Training besprochen haben, klasse.“ Er räuspert sich. „Ich wollte dich noch kurz vor der Pressekonferenz unter vier Augen sprechen.“

Here we go. „Ich werde da sein, wie es im Vertrag steht. Um was geht es denn jetzt noch?“

An der Art, wie er seine Lippen aufeinanderpresst, merke ich bereits, dass ihm meine Antwort zu patzig ist. Hinter ihm hört man das Lärmen der anderen Spieler, die sich ebenfalls auf den Weg in die Kabinen machen.

„Vermutlich weißt du schon, was ich sagen will, denn wir haben so oft darüber gesprochen. Wenn dich ein Journalist etwas Fachliches fragt, dann antworte bitte ganz sachlich. Okay?“

Eine Bitte? Das ist neu. Doch allein bei dem Gedanken an diesen Haufen sensationsgeiler Menschen, die so nah an mich heranzoomen, dass man jede Pore erkennen kann, und die mir die Worte im Mund verdrehen, wird mir schlecht. Trotzdem setze ich ein möglichst kooperatives Lächeln auf. „Ganz wie Sie wünschen, Coach.“

Wenig überzeugt funkelt Whipley mich an, aber die anderen Spieler sind ganz in der Nähe, also hakt er nicht mehr nach, sondern geht weiter.

Beim Duschen lasse ich mir viel Zeit. Vielleicht verpasse ich einfach den Shuttle zur Location der Pressekonferenz, wer könnte mir schon nachweisen, dass ich es mit Absicht getan habe? Und überhaupt, warum muss das heute noch sein, nachdem wir doch gerade erst das Testspiel hatten?

Dummerweise wartet der kleine Bus auf mich, und ich fahre gemeinsam mit dem Coach, Carter, Trent von der Offensive Line und Shawn, einem Spieler vom Defense Team, ein paar Blocks weiter. Als wir das Gebäude erreichen, in dem wir für gewöhnlich unsere Konferenzen abhalten, tummelt sich vor dem Haupteingang eine mittelgroße Menschenmenge, hauptsächlich mit Kameras und Mikrofonen.

„Wir treffen uns hinter der Bühne, haltet euch nicht zu lange auf“, knurrt der Trainer. Mit einem Bein ist er bereits ausgestiegen, als er innehält und uns einen Blick über die Schulter zuwirft. „Und seid freundlich!“

Ich erhebe mich schwerfällig, doch Trent stellt sich mir in den Weg. Sein überheblicher Ausdruck gefällt mir ganz und gar nicht. „Dir ist klar, dass der letzte Satz nur für dich bestimmt war, oder, Fields?“

„Natürlich“, säusele ich zurück. „Aber er bezog sich eindeutig auf die Menschen dort draußen.“ Angriffslustig stelle ich mich direkt vor ihn. „Also lass mich vorbei, oder die Presse hat gleich wirklich was Außergewöhnliches zu berichten.“

Seine Augen weiten sich, und er tritt tatsächlich einen Schritt zur Seite. Ich kann seinen perplexen Blick regelrecht auf mir spüren, als ich den Gang entlanglaufe und den Bus verlasse.

Verhaltener Jubel ertönt, als ich den Gehweg betrete. Unsicher winken mir die Fans zu, einige schauen erwartungsfreudig an mir vorbei, wer wohl noch aussteigen wird. Unbeeindruckt gehe ich auf die Eingangstür zu, ohne jemandem von ihnen Aufmerksamkeit zu schenken, bis mich eine weibliche Stimme anspricht.

„Entschuldigen Sie, Mr. Fields?“

Erst will ich weitergehen, aber mein Blick huscht zu der Frau, und ich bleibe an ihrem freundlichen Lächeln hängen. Dann erst sehe ich, dass sie ein Kind vor sich herschiebt. „Mein Sohn ist ein großer Fan, könnte ich vielleicht ein Foto von Ihnen beiden machen?“

Zögernd sehe ich zwischen ihr und dem Jungen hin und her. Er ist schätzungsweise zehn Jahre alt und trägt ein Kindertrikot der Miami Torpedos mit meiner Nummer drauf. Ein Foto mit diesem Kind zu schießen wäre mir tausendmal lieber, als gleich vor die elenden Journalisten zu treten. Aber ich kenne weder ihn noch seine Mutter, wer weiß schon, was sie mit einem Foto aus nächster Nähe anstellen würden? Noch dazu finden die Pressefritzen, die um uns herumstehen, sicher auch darin ein winziges Detail, das sie auf meine Kosten ausschlachten können.

„Sorry“, setze ich deswegen an. „Ich habe einen Termin.“ Dann eile ich an ihnen vorbei und bin durch die Drehtür, bevor mir der enttäuschte Ausdruck des Kindes ein schlechtes Gewissen verschaffen kann. Ein kurzer Blick zurück verrät mir, dass sich stattdessen Carter zu einem Bild erbarmt. Noch bevor wir in dem Raum der Pressekonferenz angekommen sind, holt er mich ein.

„Mensch, Hunter, das war ein kleiner Junge. War das echt zu viel verlangt, ein schnelles Foto mit ihm machen zu lassen?“

Schulterzuckend ziehe ich die schwere Tür zu dem Backstagebereich auf. „Wofür? Ich bin Footballer und kein Fotomodel.“

„Es geht ihm darum, eine Berühmtheit zu treffen, seinen sportlichen Helden. Hast du als Kind nicht auch so jemanden gehabt? Jemanden, zu dem du aufgeschaut hast?“

Bei seinen Worten bleibe ich stehen und drehe mich um. „O doch. Und sie haben mich allesamt enttäuscht. Also warum sollte der Junge nicht gleich lernen, dass er sich lieber nur auf sich selbst verlassen darf als auf andere.“

Carter ist okay, er ist sogar einer der wenigen, von denen ich behaupten würde, ihn zu mögen. Er sieht aus, als würde er noch etwas sagen wollen, aber ich drehe mich um und gehe über die schmale Treppe auf die Bühne, wo Coach Whipley schon an dem für uns vorbereiteten Tisch sitzt. Die Namensschilder zeigen an, dass ich neben ihm sitze, wie so häufig. Als alle Platz genommen haben, beginnt einer der Organisatoren, ein paar einleitende Worte zu sagen, bevor die Reporter aufgerufen werden, um Fragen zu stellen.

Zu meiner Erleichterung werden hauptsächlich Whipley und Trent gefragt, auch Shawn und Carter ergänzen hin und wieder. Gerade will ich mich entspannen, als mich doch jemand anspricht.

„Mr. Fields, eine Frage zu Sonntag.“ Ein blonder Journalist mit akkurat frisierten Haaren steht auf und streckt sein Diktiergerät nach vorne, als würde es nicht auch von dort aus alles durch die Lautsprecher aufnehmen können. „Die Defense der Gegner ist ziemlich stark, haben Sie einen speziellen Plan, wie Sie dagegenhalten wollen?“

Irritiert ziehe ich die Augenbrauen nach oben. „Bei Fragen zu der Offense ist Trent der geeignetere Ansprechpartner.“ Aus dem Augenwinkel sehe ich bereits, wie unser Center sich nach vorne beugt, um zu antworten, doch der Reporter scheint damit nicht zufrieden zu sein.

„Was denken Sie, wie das Spiel ausgehen wird, Mr. Fields?“

Was ist denn das für eine eigenartige Frage? Bin ich Hellseher, oder was? Tausend Beleidigungen schwirren mir durch den Kopf, doch ich schaffe es, sie alle zu ignorieren. „Wissen Sie, am besten schauen Sie sich das Spiel persönlich an, dann müssen Sie sich nicht mit sinnlosen Vorhersagen beschäftigen.“

An der Miene des Mannes kann ich erkennen, dass nun er derjenige ist, der am liebsten vor Wut platzen würde. Immerhin stellt mir von da an niemand mehr eine Frage, und nach einer weiteren Viertelstunde bin ich erlöst.

Erleichtert verschwinde ich hinter der Bühne und will mich gerade auf den Weg nach draußen machen, als mir jemand auf die Schulter tippt. Ich drehe mich um und rechne mit Carter oder einem Mitarbeiter der Location, deswegen zucke ich leicht zusammen, als Coach Whipley vor mir steht. Mit sich blähenden Nasenflügeln stiert er mich an.

„Wir hatten doch darüber gesprochen, dass du freundlich sein sollst“, ranzt er mich an, und ich trete einen Schritt zurück.

„Glauben Sie mir, das war sogar noch freundlich. Aber Sie müssen zugeben, dass die Frage selten dämlich war. Ich bin doch kein Orakel.“

„Das ist mir vollkommen egal. Selbst wenn er dich nach dem Lieblingsrezept deiner Großmutter gefragt hätte, du solltest professionell bleiben und ihn nicht so anpflaumen.“

„Anpflaumen?“ Ich habe meinen Tonfall bewusst neutral gewählt. Hat das nach außen wirklich so aggressiv gewirkt?

„Draußen hat er fast ein Kind zum Weinen gebracht“, petzt Trent, der unser Gespräch anscheinend mit angehört hat. Diese Offenbarung verfehlt ihre Wirkung nicht, der Coach sieht, wenn überhaupt möglich, noch wütender aus als zuvor.

„Es reicht mir jetzt, so kann es nicht weitergehen! Ich hole uns professionelle Hilfe, und zur Not sperre ich dich jeden Tag mit diesem Coach ein, bis du freundlich genug bist, um mit der britischen Königsfamilie Tee trinken zu können.“

„Ach Gott, diese Europäer und ihr Tee“, setze ich an, aber allein der Blick unseres Trainers lässt mich verstummen. Vielleicht sollte ich ihn wirklich nicht noch mehr herausfordern.

„Reiß dich zusammen, Fields, ernsthaft!“, poltert er noch, bevor er davonstampft.

Meine Güte, ich verstehe echt nicht, warum er nicht einfach wertschätzt, dass ich guten Football spiele. Wer braucht bitte diesen ganzen zwischenmenschlichen Kram? Wieso sollte es relevant sein, ob ich als Person eine große Fangemeinschaft habe, wenn es doch auf die Leistung des Teams ankommt? Theoretisch könnte ich nächste Saison in einer ganz anderen Mannschaft spielen. Würde dann ein Teil der Fanbase wegbröckeln, wenn sie alle nur wegen mir die Torpedos anfeuern?

Aber gut, das wird wie immer eine leere Drohung sein. Und falls nicht, wird er schnell feststellen müssen, dass auch ein Coach nichts bringen wird.