Leseprobe Office Desires

2. Kapitel

Amelia

Ich parkte meinen nicht mehr ganz makellosen Honda auf dem Parkplatz neben dem Bürokomplex, in dem sich mein Arbeitsplatz in der vierten Etage befand, und stieg aus. Meine Eltern hatten mir den Wagen zu meinem Universitätsabschluss in Harvard geschenkt. Ich fuhr gern Auto, allerdings hatte sich rasch herausgestellt, dass Parkbuchten oder Begrenzungssteine nicht gerade zu meinen besten Freunden zählten.

Flink entledigte ich mich meiner bequemen Sneakers, um in meine High Heels zu schlüpfen, und platzierte die Schuhe anschließend auf der Rückbank, bevor ich die Tür verriegelte. Um mich vor dem strahlenden Sonnenlicht zu schützen, kniff ich die Augen zusammen. Meine alte Sonnenbrille war dem Umzug nach L.A. zum Opfer gefallen und ich hatte es bisher versäumt, mich nach einer neuen umzusehen. An das kalifornische Wetter musste ich mich anscheinend erst noch gewöhnen. In Boston war ich nie ohne Schirm aus dem Haus gegangen und zu meiner Schande musste ich gestehen, dass ich den Regen hier manchmal vermisste. Den Strand aber liebte ich. Besonders an windigen, kühleren Tagen genoss ich das Rauschen der Brandung und das Rufen der Seevögel. Dann kam es mir fast so vor, als wäre ich wieder zu Hause, und ich war glücklich.

Trotzdem hatte ich keine Sekunde gezögert, das Angebot von Todd Millard anzunehmen, nach meinem Uniabschluss in L.A. als Assistentin der Webdesign-Abteilung in einer der renommiertesten Marketingfirmen an der Westküste anzufangen. Endlich würde ich aus Dads Schatten treten und mir einen Namen machen. Das war mein erklärtes Ziel, das ich mir gesteckt und stets vor Augen hatte. Alles andere schien mir momentan nebensächlich und unwichtig.

Ich verließ den Parkplatz und ging an der Sicherheitsschranke vorbei Richtung Straße. Nach wenigen Schritten hatte ich den imposanten Bürokomplex erreicht. Vor dem Eingang blieb ich kurz stehen und blickte ehrfurchtsvoll an der glänzenden Steinfassade mit den verspiegelten Fensterflächen empor. Das Turner Building auf dem Wilshire Boulevard, das nach dem Erbauer Evan Turner, der mit seiner Investmentfirma den obersten Stock des Gebäudes belegte, benannt war, stellte wahrhaftig ein imposantes Bauwerk dar. Ich richtete meine Aufmerksamkeit auf die vierte Etage. Genau dort wartete mein neuer Arbeitsplatz auf mich. Möglicherweise war das Gebäude das eindrucksvollste überhaupt in der Nachbarschaft, die sonst von eher flacheren Bauten dominiert wurde. Der Anblick des Bürokomplexes flößte mir auch nach der achten Arbeitswoche noch Respekt ein.

Zu meiner Schande musste ich gestehen, dass ich mich noch immer wie eine Außenseiterin, ein fremder Eindringling in einer mir unbekannten Welt fühlte. Bisher hatte ich mit keinem meiner Kollegen näher zu tun gehabt. Was auch an mir liegen mochte. Ehrlich gesagt, brannte ich nicht darauf, neue Leute kennenzulernen. Ich war nicht gut darin, Small Talk zu betreiben, und hatte deshalb schon immer ein gutes Buch oder einen gemütlichen Abend mit einem Glas Wein auf der Couch irgendeiner gesellschaftlichen Veranstaltung vorgezogen. Daran hatte sich auch nach der feuchtfröhlichen Geburtstagsfeier meines neuen Arbeitgebers nichts geändert. Weshalb ich dem Himmel für meinen Job vor dem Computer dankte. Der Kontakt zu Kunden fand meist per E-Mail oder Messaging statt, was geradezu perfekt für mich war.

Ich liebte mein zurückgezogenes Leben und hatte es bisher vermieden, auszugehen. Ablenkungen in Form von Dates oder gar Liebeskummer konnte ich wirklich nicht gebrauchen. Zumal ich mit dreiundzwanzig noch alle Zeit der Welt hatte, um Mr Right zu begegnen. Falls der Kerl da draußen überhaupt irgendwo existierte. Bisher hatte ich jedenfalls nur Frösche geküsst. Insofern konnte man behaupten, dass mein Bedarf an Männern – oder Fröschen – erst einmal gedeckt war.

Ich schob den Gedanken an die grünen Tierchen, die es versäumt hatten, sich in einen Prinzen zu verwandeln, beiseite. Entschlossen, das Beste aus diesem neuen Tag zu machen, klemmte ich mir meine lederne Clutch unter den Arm, ging auf das Gebäude zu und betrat die Lobby, eine gelungene Kombination aus Glas, Chrom und Granit. Meine Pfennigabsätze klackerten auf dem anthrazitfarbenen Granitboden, in den winzige Glitzerpartikel eingearbeitet waren und der so geleckt wirkte wie Tante Helens polierter Küchentresen in ihrem Ferienhaus auf Martha’s Vineyard. Ganz so, als hätte man bedenkenlos davon essen können. Nicht, dass ich das je vorgehabt hätte.

Ich hielt dem Sicherheitsbeamten mit der gefurchten Stirn meine ID-Karte unter die Nase, passierte das metallene Drehkreuz und winkte Jam zu, der wie immer hinter dem bogenförmigen Empfangstresen saß und die Morgenzeitung studierte. Eine Vase mit weißen Calla-Lilien schmückte das eine Ende des Tresens, am anderen Ende standen ein Snack- und ein beeindruckender Kaffeeautomat aus Edelstahl. Ein mir inzwischen vertrauter und irgendwie tröstlicher Anblick.

»Hey Lady, wie geht es Ihnen an diesem wunderbaren Morgen?« Jams strahlend weiße Zähne verliehen seinem schwarzen Gesicht einen Touch Dramatik. Noch nie hatte ich einen Tag erlebt, an dem Jam nicht gute Laune versprüht hatte. Er schaffte es jedes Mal, mich zum Lächeln zu bringen, egal, wie ich mich fühlte.

»Mir geht es gut, Jam, und Ihnen?«

Wir wünschten uns gegenseitig einen schönen Tag, bevor ich die Fahrstühle ansteuerte. Ich drückte die Ruftaste und atmete tief durch, während ich wartete, um diese dumme Nervosität abzuschütteln, die mich regelmäßig überfiel, wenn ich morgens das Gebäude betrat. Als müsste ich mich irgendeinem Test unterziehen, um jemandem etwas zu beweisen. Die Anspannung, die ich in meinen Nackenmuskeln spürte, würde sich erst legen, wenn ich an meinem Schreibtisch saß und mich in der Arbeit verlor.

Ein helles Pling machte mich darauf aufmerksam, dass der Lift angekommen war. Lautlos glitt die Tür auf und ich trat in die großzügige Kabine, die locker zehn Personen zu transportieren vermochte. Erfreut stellte ich fest, dass der Aufzug leer war. Es gab nichts Schrecklicheres, als früh morgens Konversation betreiben zu müssen. Ich verabscheute den Austausch von Belanglosigkeiten. Fast so sehr wie Kartoffelbrei und das entsetzlich penetrante Parfüm meiner Dozentin im E-Commerce-Kurs an der Harvard Business School. Diese Zeit lag glücklicherweise hinter mir. Nun hatte das wirkliche Leben begonnen, auch wenn ich mich zuweilen noch etwas schwertat, mich darin zurechtzufinden.

Ich seufzte leise, als ich mein Aussehen in den verspiegelten Wänden überprüfte und meinen schwarzen engen Rock glattstrich. Jetzt bekam ich die Chance, meinem Dad zu beweisen, dass ich etwas draufhatte. Vielleicht würde er mich dann endlich mit anderen Augen sehen – nicht als das hilflose, zarte Mädchen, dessen einzige Ambition seiner Meinung nach darin bestehen sollte, sich einen wohlhabenden Ehemann zu krallen.

Eigentlich konnte ich mich nicht beklagen. Ich hatte eine gute Kindheit gehabt. War behütet aufgewachsen und hatte die beste Ausbildung genossen. Sogar mein Studium hatten mir meine Eltern finanziert. Auch wenn sie es nie aussprachen – in unserer Familie redete man nicht über Gefühle –, wusste ich, dass sie mich liebten. Auf ihre Art. Leider war ich in den Augen meines Dads nicht perfekt: Ich war kein Mann. Seit ich denken konnte, hatte er sich immer einen Jungen gewünscht. Einen Stammhalter, einen Nachfolger für Heart Public Relations, der Nummer eins in Boston für Werbejingles in Funk und Fernsehen. Für meinen Dad zählten Leistung, Zielstrebigkeit und Erfolg. Dinge, die seiner Meinung nach mit dem Naturell weiblicher Wesen unvereinbar waren. Keine Ahnung, woher diese antiquierte Ansicht stammte.

Womöglich war sie genau wie das Unvermögen, offen über Gefühle zu sprechen, ein Relikt seines Elternhauses.

Meine Großeltern Marie und Jacob Heart waren strenggläubige Amish aus Indiana gewesen, zu denen ich leider nie den rechten Zugang gefunden hatte. Ein Wunder, dass sich Dad aus dieser ganz eigenen Welt herausgekämpft und es sogar nach Harvard geschafft hatte. Aber einige Dinge ließen sich vermutlich dennoch nicht so einfach abschütteln. Wer wusste das nicht besser als ich? Auch wenn ich es zu verdrängen versuchte, war mir klar, dass meine Schwierigkeiten, offen auf andere Menschen zuzugehen, meiner Erziehung geschuldet waren. Jedenfalls wollte ich Dad beweisen, dass ich dasselbe erreichen konnte, was er sich von diesem heiß ersehnten Sohn erhofft hätte, den er nie bekommen hatte. Deshalb hatte ich mir geschworen, mich nach dem Studium komplett auf meine Karriere zu konzentrieren.

Es gab nur eine einzige Priorität. Ein Ziel. Und zwar den Respekt und die Achtung meines Dads zu gewinnen.

Ich verdrängte meine Überlegungen und checkte noch einmal mein Spiegelbild in der polierten Edelstahlfläche der Aufzugskabine. Da meine Bluse etwas zu weit offen stand, schloss ich sicherheitshalber den obersten Knopf. So wirkte ich professionell und effizient. Perfekt.

Anders als mein Arbeitskollege Nathan Westbrook, der sich warum auch immer, plötzlich in meine Gedanken schlich. Er hatte es auf der Feier ziemlich krachen lassen. Eindeutig das Gegenteil von professionell! Wahrscheinlich hatte er angenommen, es würde niemand merken, dass er mit Reese, unserer Empfangsdame, für eine Weile in der Putzkammer abgetaucht war. Sein lässiges, schiefes Lächeln, das er mir im Vorbeigehen geschenkt hatte, hatte mich nicht täuschen können. Die beiden hatten die Kammer ganz gewiss nicht nach Staubtüchern durchsucht. Ich wusste es natürlich nicht mit Sicherheit, aber ich vermutete, dass sie dort eine heiße Nummer geschoben hatten.

Ich schürzte die Lippen, als ich so darüber nachdachte. Wie hatte sich Reese nur von diesem Womanizer abschleppen lassen können? Na gut, Nate wirkte ziemlich sexy mit dieser Haarlocke, die ihm wohl so manche Frau gern aus der Stirn gestrichen hätte, dem Dreitagebart, der seine kantigen Züge betonte, und der etwa zwei Zentimeter langen Narbe quer über seinem rechten Wangenknochen, die ihm einen Hauch von Verwegenheit verlieh. Sein Körper, den er vorzugsweise in diese dunklen, maßgeschneiderten Businessanzüge kleidete, war auch nicht zu verachten. Das perfekte V. Breite Schultern, schmale Hüften.

Okay, Nathan war heiß. Pure Erotik auf zwei Beinen. Ich würde mich jedoch nie auf ihn einlassen. Niemals! Denn so, wie ich ihn einschätzte, war er ein Womanizer, ein Player, der mit jedem weiblichen Wesen flirtete.

Wie gut, dass ich nicht an Sex interessiert war. Abgesehen davon würde ich ohnehin niemals etwas mit einem Arbeitskollegen anfangen, weil es einfach in höchstem Maße unprofessionell wäre. Auch konnte ich auf die sich garantiert nachziehenden Verwicklungen gut und gerne verzichten. »Nathan Westbrook ist ein Arsch«, versicherte ich mir leise und nickte meinem Spiegelbild zu. »Sexy zwar, na ja«, ich seufzte ergeben, »höllisch sexy. Aber dennoch ein echter Arsch.« Nur damit ich nicht doch irgendwann auf dumme Gedanken kam.

»Möchten Sie aussteigen oder sich noch länger im Spiegel bewundern?«

Oh Gott. Erschrocken fuhr ich herum. Der Aufzug war längst stehen geblieben und ich hatte es nicht bemerkt. Die Türen hatten sich geöffnet und ich starrte direkt in Nathans schokoladenbraune Augen. Gegen den Türrahmen gelehnt und in der einen Hand einen Karton haltend, musterte er mich mit einem amüsierten Funkeln.

Automatisch griff ich nach meinem Pferdeschwanz und wickelte mir das Haar um den Zeigefinger, wie immer, wenn ich nervös war. »Wie viel … Ich meine, seit wann stehen Sie da?« Meine gefasste Stimme strafte mein unregelmäßig gegen meine Rippen schlagendes Herz Lügen.

»Lang genug.« Ein träges Lächeln umspielte seine Lippen, während er mich ausgedehnt und länger als nötig musterte.

Hitze kroch über meine Wangen. Aber dann reckte ich mein Kinn. Nathan Westbrook hatte also soeben erfahren, was ich von ihm hielt. Es war mir egal. Der Mann interessierte mich nicht. Ich dachte nicht daran, unser Verhältnis, das genau genommen keins war, auf irgendeine Weise zu vertiefen.

Entschlossen machte ich einen Schritt vorwärts, um den Aufzug zu verlassen, und wünschte gleichzeitig, ich hätte höhere High Heels angezogen, damit ich noch etwas größer als meine eins fünfundsechzig wirkte. Leider blieb mein rechter Absatz in der Türspalte am Boden hängen und ich geriet ins Straucheln.

Nathan ließ seinen Karton los und streckte seine Arme aus, um mich vor dem Fallen zu bewahren. Seine Finger streiften meinen Oberkörper und augenblicklich richteten sich meine Nippel auf. Überrascht schnappte ich nach Luft, doch Nathan schien weder von der Berührung noch meiner peinlichen Reaktion darauf beeindruckt zu sein. Seine Hände umfingen meine Taille und hielten mich fest, während sich die Aufzugtür hinter uns lautlos schloss. Nun ja, zumindest konnte ich mir sicher sein, dass mein Körper noch funktionierte, auch wenn ich schon länger keinen Mann mehr in meinem Bett gehabt hatte. Irgendwie tröstlich.

Mein Hirn war noch immer dabei, den unfreiwilligen Kontakt zu verarbeiten, als ich einen Hauch von Nathans Aftershave, den Geruch von frisch gewaschener Wäsche und Mann erhaschte. Eine sexy Mischung aus würziger Holznote, etwas, das mich an frisch gemähtes Gras an einem lauen Sommerabend erinnerte, und Leder.

»Sachte, Lady. Ich habe Sie.«

Wow, wow, wow. Dieser umwerfende Duft, Nathans dunkle Stimme und das Gefühl seiner Hände auf meinem Körper versetzten mich in Verzückung. Ich versteifte mich. Dort, wo mich seine Finger durch den Stoff meiner dünnen Bluse hindurch berührten, flammte Hitze auf meiner Haut auf.

Es fühlte sich … Ja, es fühlte sich verdammt gut an. Mein Körper erinnerte sich an diese Empfindung und augenblicklich sehnte ich mich nach mehr. Zwischen meinen Beinen begann ein sanftes Kribbeln. Ein süßes Ziehen.

Oh. Mein. Gott. Nein. Nein! So war das nicht geplant. Energisch wand ich mich aus Nathans Griff und verfluchte gleichzeitig meinen verräterischen Körper. Bloß weil ich schon länger keinen Sex mehr gehabt hatte, musste ich doch nicht gleich wegen ein bisschen Körperkontakt weiche Knie bekommen. Himmel!

»Alles okay?«, hakte Nathan nach und nagelte mich mit seinem Blick fest. Dieser Blick. Er war intensiv. Erotisch. Hypnotisierend.

In diesem Augenblick konnte ich Reese verstehen. Falls sie tatsächlich das getan haben sollte, von dem ich dachte, dass sie es getan hatte. Ich verharrte wie festzementiert und immer wieder blitzte der Gedanke an Sex in meinem Bewusstsein auf. An wilden, atemberaubenden, außergewöhnlichen Sex. »Natürlich. Was denken Sie denn?« Gott, war ich cool. Ich untermalte meine Worte mit einem lässigen Schulterzucken. »Danke, dass Sie mich vor einem Sturz bewahrt haben.«

»Müssen Sie eigentlich immer so schrecklich steif sein?«

»Steif?«, wiederholte ich und bereute es im gleichen Augenblick, weil ich überdeutlich fühlte, wie sich meine Brustwarzen gegen den Satinstoff meines BHs pressten.

Um Nathans Lippen erschien die Andeutung eines lasziven Lächelns und er beugte sich vor. »Haben Sie ein Problem mit diesem Wort?«

»Ob … Was bitte schön?«, meine Stimme schraubte sich in ungeahnte Höhen. Sein Blick hielt meinen noch immer gefangen und ich spürte ihn fast körperlich.

Ich schluckte und wollte Nathan etwas an den Kopf werfen, irgendetwas in der Richtung, dass er unverschämt und anmaßend wäre, um meine Verwirrung zu überspielen, als jemand am Treppenabsatz auftauchte.

»Hey! Guten Morgen!« John, der morgens auf dem gesamten Stockwerk die ausgehende Post einsammelte, winkte uns gut gelaunt zu, bevor er durch die Glastüren verschwand, hinter denen unsere Büroräume lagen. Er bereitete sich für den Los- Angeles-Marathon vor und nutzte jede Gelegenheit zum Trainieren. Beth hatte mir kürzlich davon erzählt, wobei ihre Augen wie die Reklameschilder vom Casino ein paar Straßen weiter aufgeleuchtet hatten. Auch wenn sie so getan hatte, als würde nichts zwischen ihnen laufen, vermutete ich, dass sie eine Schwäche für John hegte.

»Ich weiß nicht, was Sie meinen«, fauchte ich Nathan an, nachdem sich unser Kollege außer Hörweite befand, und musterte ihn meinerseits.

Die dunkle Hose, die seinen zugegebenermaßen äußerst wohl geformten Hintern und die schmalen Hüften vorteilhaft in Szene setzte, und das kurzärmelige, auf Taille geschnittene tauben-blaue Hemd standen ihm ausgesprochen gut. Wie es sich über seinen breiten Brustkorb spannte! Er sah heiß aus. Verflucht sexy. Anziehend und attraktiv. Wie ein männliches Model. Und prompt drängte sich mir die Frage auf, wie er wohl unter dieser Kleidung aussehen würde.

Verflixt, nein! Stopp! Derartige Gedanken sollte ich nun wirklich nicht haben. Schließlich war ich nicht ins Team von Greenwalt & Millard gekommen, um Freundschaften zu schließen oder mit einem Kollegen ins Bett zu springen. Ich war hier, um meinem Dad etwas zu beweisen. Und mir. Ich musste mich nur daran erinnern und diese lächerlichen Fantasien, die mit diesem Mann und viel nackter Haut zu tun hatten, weit von mir schieben. In eine ferne Galaxis.

»Fertig?« Nathans linker Mundwinkel hob sich in einer Weise, die meinen Blutdruck erneut in die Höhe schießen ließ.

»Womit?«, fragte ich unschuldig, obwohl ich natürlich genau wusste, dass Nathan mich dabei ertappt hatte, wie ich ihn ausgiebig musterte. Ich versuchte, mich auf meine Atmung zu konzentrieren. Am liebsten hätte ich ihn einfach stehen gelassen, um schnurstracks durch die Glastüren ins Büro zu marschieren. Aber Mom hatte mir schließlich Manieren beigebracht. »Ich weiß nicht, was Sie meinen.« Kühn hielt ich seinen Blick fest, während sich in meinem Magen ein beunruhigendes Kribbeln ausbreitete.

»Sie wiederholen sich.« In seinen Augen glitzerte Belustigung.

»Irgendwie scheinen Sie mir ziemlich durcheinander zu sein.« Er verschränkte seine Arme vor der Brust und fuhr fort, mich mit unverschämter Sorgfalt zu studieren, bis sein Blick auf meinen Lippen verweilte.

Mein Herzschlag klopfte unnatürlich laut in meinen Ohren. Durcheinander? Was für ein Blödsinn! Ich war einfach nur genervt. Dabei ignorierte ich die Tatsache, dass meine Wangen brannten, als hätten sie Feuer gefangen. Leider konnte ich einfach nicht aufhören, seine nackten, sehnigen Unterarme anzustarren, die mit feinen dunkelblonden Härchen bedeckt waren. Er wirkte, als ob er viel Zeit in der Sonne verbrachte. Vielleicht war er einer dieser Surfer, die man hier reihenweise an den Stränden traf. Das würde zu ihm passen.

Rasch fegte ich das sich mir aufdrängende Bild von sonnengeküsster Haut über knapp sitzenden Boardshorts beiseite. In Nathans Gegenwart schien sich mein Kopf in ein einziges Kino zu verwandeln. »Haben Sie mir noch irgendetwas Weltbewegendes mitzuteilen, Westbrook, oder sind wir hier fertig?« Ich stemmte meine Fäuste in die Seiten, dabei fiel meine Handtasche mit einem Klatschen auf den Steinboden. »Ich weiß ja nicht, was Sie vorhaben mit diesem … diesem Pappkarton, aber ich werde – vorausgesetzt Sie haben nichts dagegen – jetzt ins Büro gehen und arbeiten«, erklärte ich hastig und bückte mich schnell, damit er nicht auf die Idee kam, die Tasche für mich aufzuheben. Natürlich ging er im selben Moment in die Knie wie ich. Das Geräusch unserer schmerzhaft aneinanderprallenden Köpfe war alles andere als hübsch, als er und ich gleichzeitig nach dem Täschchen griffen. »Oh verdammt«, stöhnte ich laut und richtete mich schwankend auf.

Nathan hielt mir meine Clutch entgegen und rieb sich mit dem Handballen über die Schläfe. »Sie haben eine verflucht harte Rübe, Lady.«

Ich entriss ihm die Tasche und funkelte ihn wütend an. Dann starrte ich auf sein Hemd, das sich über seine unübersehbaren Brustmuskeln spannte. »Ich? Das sagen Sie, ausgerechnet Sie mit Ihrem Betonschädel … Ach, vergessen Sie es!«

»Hören Sie, es tut mir leid.« Nathans Stimme nahm plötzlich einen weichen Klang an, der mich misstrauisch werden ließ.

»Wirklich«, bekräftigte er. Er sah mich aus diesen braunen Augen an, in deren samtiger Tiefe frau sich verlieren könnte, wenn sie nicht aufpasste.

Ich unterdrückte einen leisen Fluch und rief mir ins Gedächtnis, dass Nate abgesehen von seinem attraktiven, sexy Äußeren gleichzeitig auch eindeutig an einem überschätzten Ego litt. Dass er unverschämt und arrogant war. Er war es gewohnt zu bekommen, was er wollte. Ganz sicher dachte er, dass auch ich ihm bald wie geschmolzener Schnee zu Füßen liegen würde. Glücklicherweise war ich gegen solche Männer immun. Ich hatte kein Interesse an ihm. Und auch nicht daran, mit ihm zu flirten. Je weniger ich mit ihm zu tun hatte, umso besser. Und je schneller ich mich aus seinem Dunstkreis fortbewegte, desto gesünder für mich. »Ich muss jetzt ins Bett«, erklärte ich mit fester Stimme.

Nathan zog eine Braue hoch.

Arroganter Idiot. Ich wandte mich ab. Moment. Was hatte ich soeben gesagt? Ich muss ins Bett? Mit hochrotem Kopf drehte ich mich noch einmal zu Nathan um. »Was ich sagen wollte, war, ich muss weg. Ins Büro.« Oh Gott. Hätte es noch peinlicher werden können?

Nathans süffisantes Grinsen war mir Antwort genug. »Natürlich. Ins Büro«, wiederholte er und nickte ernsthaft. Dieser Mistkäfer.

Erneut drehte ich mich weg. Tief einatmen, Amelia, ganz tief. Ich konzentrierte mich aufs Luftholen und fixierte die gegenüberliegenden Glastüren, hinter denen meine Zuflucht und meine Rettung lagen. Small Talk zu betreiben, war noch nie meine Stärke gewesen. Automatisch setzte ich einen Fuß vor den anderen.

»Andererseits«, hörte ich Nathan mit einem unterdrückten Lachen in meinem Rücken sagen, »wenn ich es mir recht überlege, sind Sie auch in meinem Bett willkommen. Jederzeit. Sie müssen nur Bescheid sagen.« Der offensichtliche Spott in seiner Stimme war nicht zu überhören.

Okay. Ich hatte es gewusst. Nathan Westbrook war ein Idiot. Aber ich hatte ihm ja auch die perfekte Vorlage dafür gegeben. Lieber Himmel, Amelia. Augenrollend stieß ich die Glastür zu unserem Büro auf.

3. Kapitel

Nate

Fasziniert blickte ich Amelia durch die offenen Aufzugtüren hinterher. In der Kabine schwebte noch ein Hauch ihres Dufts, der mich an eine blühende Sommerwiese erinnerte. Und an … Vanille? Ich schnupperte. Es roch angenehm, blumig und süß, und dennoch frisch. Schade, dass die Frau sich so verklemmt gab! In ihrer kurzärmeligen, geblümten Bluse, deren Knöpfe sie selbstverständlich mal wieder bis zum Hals geschlossen hatte, und dem schwarzen Rock wirkte sie zwar gut gekleidet, aber schrecklich streng. Und obwohl sie sich höllische Mühe gab, es zu verbergen: Sie besaß eine gute Figur und auch ihre Haarfarbe, dieses rötlich-golden schimmernde Kastanienbraun, war eigentlich ganz hübsch. Bis gestern hatte ich Amelia irgendwie nicht auf dem Schirm gehabt, hatte ich mir keine Gedanken über die Neue im Team gemacht. Nach dieser unverhofften Begegnung allerdings musste ich mir eingestehen, dass diese Frau durchaus etwas Reizvolles an sich hatte.

Nicht für mich. Sie war nicht mein Typ, aber sie war definitiv auch kein unscheinbares Mauerblümchen, wie ich anfangs angenommen hatte.

Nachdenklich lehnte ich mit dem Rücken an der Aufzugwand, als er sich in Bewegung setzte, um hinunter in die Lobby zu fahren. Da unsere Kaffeemaschine in der Teeküche den Geist aufgegeben hatte, hatte ich mich kurzfristig entschieden, für einen Teil der Belegschaft den Morgenkaffee im Erdgeschoss zu organisieren. Glücklicherweise verfügte die Lobby neben der Empfangstheke über einen Automaten, ein brandneues Hochleistungsgerät, das kaum einen Getränkewunsch offenließ.

In der Empfangshalle angekommen, sah ich Joe Minoso das Gebäude betreten. Ich winkte ihm. »Hey! Morgen Joe! Alles klar?«

Er begrüßte Jam hinter der Theke und kam anschließend auf mich zu. »Hey Westbrook. Das sollte ich wohl besser dich fragen. Du siehst beschissen aus.« Er deutete auf den leeren Karton, den ich in der Hand hielt. »Hast du den mitgebracht, um ihn dir über den Kopf zu ziehen? Vielleicht keine schlechte Idee, um deine Augenringe zu verstecken.« Über sein Gesicht glitt ein breites Grinsen.

»Danke Mann. Du bist ein echter Freund.«

»Deinem Gesichtsausdruck nach zu urteilen, hat sich an deiner Situation nichts geändert?«

»Nope. Ich habe die halbe Nacht wach gelegen und nachgedacht.« Ich zuckte mit den Schultern. »Ich werde später in einer ruhigen Minute noch einmal versuchen, mit Rowe zu sprechen. An seine Vernunft appellieren.«

In Wahrheit glaubte ich nicht wirklich daran, dass mein Kollege mit sich verhandeln ließ. So gut kannte ich den Mann inzwischen. Aber die Hoffnung starb ja bekanntlich zuletzt. Oder – ich verfolgte den Gedanken, den ich gestern Abend beim Verlassen der Bar gehabt hatte. Ich war mir sicher, dass ich Amelia mit meinem Auftreten vorhin ein wenig aus dem Gleichgewicht gebracht hatte. »Jetzt werde ich erst einmal Kaffee organisieren, damit meine Hirnzellen wieder halbwegs funktionieren.« Nachdenklich fischte ich ein paar Münzen aus meiner hinteren Hosentasche. »Ich habe sie übrigens gerade getroffen.«

»Getroffen? Von wem sprichst du?«, hakte Joe, der meinen Gedankengängen offensichtlich nicht hatte folgen können, irritiert nach.

»Amelia Heart«, erklärte ich grinsend, bevor ich diverse Knöpfe drückte und mein Kleingeld an die Maschine verfütterte. »Die junge Lady, die ich laut Rowe vernaschen soll, um …« Ich verstummte. Das Ganze war einfach lächerlich. Absurd.

»Du denkst nicht ernsthaft darüber nach, oder?« Joe stieß mich mit dem Ellenbogen an. »Dich auf diesen miesen Deal einzulassen?«

Tat ich das? Ich schnaubte und fixierte den Becher vor meiner Nase, der sich allmählich mit aromatisch duftendem Kaffee füllte. »Natürlich nicht.«

»Also willst du dem Kerl deinen Großkunden überlassen?«

»Vorher müsste die Hölle zufrieren.«

»Oh, Mann. Was für eine beschissene Situation. Wie gesagt, ich möchte nicht in deinen Schuhen stecken.«

»Danke Minoso. Deine Worte sind echt aufbauend«, erwiderte ich mit eine Hauch Sarkasmus.

»Sorry.« Joe zog eine Grimasse, bevor er einen Blick auf seine goldene Fossil-Smartwatch warf und sich seine Ledermappe unter den Arm klemmte. »Hör zu. Ich muss los, aber heute Abend im Gigi’s kannst du mir ja berichten, ob es Neuigkeiten gibt.«

»Alles klar, mache ich.« Ich hob meinen Daumen als Siegeszeichen und konzentrierte mich wieder auf den Kaffee, der mit einem vielversprechenden Gluckern in den nächsten Pappbecher sprudelte.

Als Erstes versorgte ich Reese am Empfang mit einer Vanilla Latte, da ich ihre Schwäche hierfür kannte. Sie dankte es mir mit einem Augenzwinkern und einem Luftküsschen. John von der Poststelle erhielt seinen Kaffee wie gewünscht stark und schwarz – kalorienfrei, damit er für den bevorstehenden Marathon kein Gramm Fett ansetzte. Beth Goodwin, die Assistentin von Simon Greenwalts Partner Todd Millard, freute sich über ihren Milchkaffee, obwohl die Vorzimmer unserer Bosse selbstverständlich mit eigenen Kaffeemaschinen ausgestattet waren. Beth war allerdings so ein Sonnenschein und stets darauf bedacht, dass es anderen im Büro an nichts fehlte, dass es mir einfach ein Bedürfnis war, sie mitzuversorgen.

Für Garcia hatte ich einen Cappuccino im Gepäck, denn ich wusste, dass er verrückt danach war. Da er nicht an seinem Platz saß, stellte ich den Becher auf seinem Schreibtisch ab und näherte mich Amelia, die sich das Zimmer mit ihm teilte. Offensichtlich hatte sie mein Hereinkommen nicht bemerkt, denn sie fixierte ihren Bildschirm mit konzentrierter Miene. Ich räusperte mich, damit sie nicht erschrak, was allerdings nicht funktionierte, denn sie zuckte kaum merklich zusammen. Ich schenkte ihr ein strahlendes Lächeln, das sie nicht erwiderte. Vermutlich war sie wegen unseres Aufeinandertreffens am Aufzug noch etwas verschnupft. Bei der Erinnerung an die Begegnung zuckten meine Mundwinkel.

»Oh. Der Kollege mit dem Pappkarton«, sagte sie mit einem unüberhörbaren, frostigen Unterton. »Sammeln Sie etwas Bestimmtes? Ich habe in meiner Schublade noch ein paar dekorative Papierservietten, die sich hervorragend zum Schrottwichteln für die nächste Weihnachtsfeier eignen würden.«

Okay. Sie war angesäuert. Und dabei ziemlich schlagfertig. Die Frau schien interessante Facetten zu besitzen. »Nachdem Sie mich vorhin so nett in Ihr Bett eingeladen haben, wollte ich Ihnen wenigstens einen Kaffee als kleines Dankeschön mitbringen, Amelia. Lassen Sie ihn sich schmecken.« Ich platzierte das Getränk neben einem Stapel Akten und wollte gerade den Rückzug antreten, als der schneidende Spott in ihrer Stimme mich aufhielt.

»Sie halten sich für besonders witzig und clever, oder?«

Ich drehte mich halb zu ihr um. »Hin und wieder schon.«

Sie rollte mit den Augen, aber dann griff sie nach dem Becher und schnupperte.

»Karamellkaffee«, beantwortete ich ihre unausgesprochene Frage. Ihre feinen Brauen zogen sich verblüfft zusammen. »Ich dachte mir jemand wie Sie würde Karamellkaffee mögen.«

»Jemand wie ich?«

Ich nickte. »Jemand wie Sie.«

»Interessant. Wie schätzen Sie jemanden wie mich denn ein?« Vorsichtig hob sie den Deckel von ihrem Becher, um über den dampfend heißen Kaffee zu pusten.

Unwillkürlich fiel mein Blick auf ihre Lippen. Sie waren voll und besaßen einen hübschen Schwung. Sinnlich, stellte ich überrascht fest. Das war mir zuvor noch nie aufgefallen.

»Gibt es ein Problem?« Amelia stellte das Getränk zurück auf den Tisch.

»Vielleicht sollten Sie mal probieren.« Ich riss mich von ihren Lippen los.

»Sobald Sie aufhören, mir auf den Mund zu starren, Nathan Westbrook.« Der erneut spöttische Unterton in ihrer Stimme entging mir nicht. »Stimmt etwas nicht damit?«

»Oh, keine Sorge. Damit ist alles in Ordnung.«

In bester Ordnung sogar. Wow. Diese Lippen könnten einen Mann ganz schön durcheinanderbringen. Ich hatte ja keine Ahnung gehabt. Andererseits hatte ich Amelia auch noch nie näher betrachtet, zumindest bis heute Morgen nicht.

»Was Sie nicht sagen.«

»Und? Möchten Sie Ihren Kaffee nicht wenigstens einmal kosten und mir sagen, ob er Ihnen schmeckt?«

»Sie schulden mir eine Antwort, Westbrook.« Sie reckte das Kinn und funkelte mich herausfordernd an.

Plötzlich schien der Gedanke, mit ihr zu flirten, gar nicht mehr so abwegig. »Richtig.« Ich schob meinen Karton auf den Tisch, ließ mich auf der Kante nieder und verschränkte meine Arme vor der Brust, um sie anzusehen. »Sie wollten wissen, wie ich Sie einschätze.«

Amelia legte den Kopf schief, wobei die Spitze ihres Pferdeschwanzes über den Seidenstoff ihrer Bluse streifte.

»Unschuldig. Süß.«

»Süß?« Sie riss ihre Augen auf, bernsteinfarben mit goldenen Fünkchen darin und einem dunklen Ring um die Iris.

»Süß«, bestätigte ich lächelnd. »Sie lieben süße Dinge. Lassen sich gern von ihnen verführen. Auch wenn Sie äußerlich ein ganz anderes Bild vermitteln.«

»Tue ich das?«

Wieder nickte ich.

»Ach. Und dürfte ich erfahren, welches Bild ich angeblich vermittle?«

»Sie wirken zurückhaltend auf mich. Kontrolliert und … etwas verklemmt.« Ich bildete mir ein, dass ich im Lauf meines fast dreißigjährigen Lebens zu einem ganz passablen Beobachter geworden war. Und ich war mir sicher, dass hinter Miss Hearts kühler, kontrollierter Fassade ungeahnte Gelüste schlummerten. Dass sich dahinter eine Sehnsucht verbarg, die womöglich nicht einmal sie benennen konnte. Eine Frau mit derart sinnlichen, verführerischen Lippen war nicht durch und durch leidenschaftslos. Nicht so züchtig, wie sie vorgab, zu sein.

»Verklemmt also.« Auf ihren Wangen brannten zwei rote Flecken. Wie niedlich. Ich schien sie mit meiner Bemerkung ein wenig aus der Fassung gebracht zu haben. Aus dem hektischen Pochen ihrer Halsschlagader, die sich deutlich abzeichnete, folgerte ich jedoch, dass ich ins Schwarze getroffen haben musste.

»Sie scheinen ja bereits eine feste Meinung über mich zu haben, Westbrook«, sagte sie kühl. »Dann lassen Sie mal sehen, ob Sie meinen Geschmack getroffen haben.«

Sie hielt meinen Blick fest, während sie an der goldbraunen Flüssigkeit nippte. »Hm. Trinkbar.«

»Ich denke, ich kann Sie schon ganz gut einschätzen.« Der unverhoffte Schlagabtausch gefiel mir. Die Kleine besaß mehr Biss, als ich angenommen hatte.

»Ich sagte trinkbar, aber gewiss nicht mein Favorit.«

»Kommen Sie schon, Amelia. In Wahrheit sind Sie süchtig nach diesem klebrigen, süßen Geschmack. Ich kann es Ihnen an der Nasenspitze ablesen.«

»Eingebildet sind Sie zum Glück gar nicht.« Seufzend stellte sie den Becher auf den Tisch zurück. »Okay, der Kaffee schmeckt. Sind Sie jetzt zufrieden?«

»Geht doch«, entgegnete ich grinsend.

Sie fixierte mich. Zu gern hätte ich in diesem Augenblick erfahren, was gerade in ihrem Kopf vor sich ging. Ich war mir ziemlich sicher, dass sie mich still und heimlich verfluchte.

»Und? Habe ich mit meiner Einschätzung denn nun recht?«, hakte ich schmunzelnd nach. Keine Ahnung, welcher Teufel mich plötzlich ritt, aber auf einmal reizte mich der Gedanke, diese widerspenstige Frau aus der Reserve zu locken. Mein Jagdinstinkt war geweckt.

Fragend hob sie eine Braue.

»Damit, dass Sie ein klein wenig verklemmt sind?«

»Und an was bitte schön wollen Sie dies zum Beispiel festmachen, Sie Menschenexperte?«

»Nehmen wir doch mal Ihre Frisur.« Ich machte eine Kinnbewegung. Automatisch berührte sie ihren Zopf.

»Was ist mit meinen Haaren?«

»Nun ja.« Ich überlegte kurz und entschied dann, dass sie es verdiente, die Wahrheit zu hören. »Sehen Sie sich doch nur mal an, Sie haben wundervolles Haar. Aber mit dieser Frisur wirken Sie irgendwie altbacken auf mich. Wie eine alte Jungfer.«

Sie stieß ein trockenes Lachen aus. Das Augenrollen hatte sie definitiv perfektioniert, stellte ich beiläufig fest. »Ich werde Sie Ihrer Illusion nicht berauben, Nathan Westbrook. Denken Sie von mir, was Sie möchten. Ihre Meinung hat keine Relevanz für mich.«

»Wirklich nicht?«

»Ihre Flirtversuche prallen an mir ab. Sparen Sie sich die Mühe.«

Ein Lächeln zuckte um meine Mundwinkel, als ich mich mit meinem Karton erhob. »Wieso glauben Sie, dass ich mit Ihnen flirte, Amelia? Hätten Sie das gern?« Ich drehte mich um und ging zur Tür. »Übrigens müssen Sie mir nicht für den Kaffee danken.« Ohne sie noch mal anzusehen, hob ich meine freie Hand zum Abschied. »Ist im Service inbegriffen.«

Unser Kollege Miguel Garcia entging nur um Haaresbreite einer Kaffeedusche, als er um die Ecke geschossen kam und beinah mit mir und meinem Pappkarton zusammenstieß.

»Du liebe Güte, Nate, das war knapp!« Miguels ebenmäßige Zähne blitzten im Kunstlicht auf, während er in einer dramatischen Geste eine Hand an seine Brust legte. »Oh, wie das duftet!« Er hob schnuppernd die Nase. »In welcher Mission bist du denn unterwegs?«

»Der Automat in der Teeküche hat den Geist aufgegeben«, erklärte ich schmunzelnd, »deswegen habe ich uns Kaffee aus der Lobby organisiert.« Ich machte eine Kopfbewegung hin zu seinem Büro, aus dem ich soeben gekommen war. »Auf deinem Schreibtisch wartet übrigens ein Cappuccino auf dich.«

Miguels Grinsen vertiefte sich. Mit dem Zeigefinger schob er seine Hipsterbrille, die ihm auf die Nasenspitze gerutscht war, zurück nach oben. »Gott, Westbrook, du bist ein Schatz.« Er berührte flüchtig meinen Oberarm. »Ich schulde dir was.«

»Lass mal gut sein, Garcia. Genieß einfach deinen Kaffee«, entgegnete ich freundlich. Ich konnte den Mann leiden. Er war immer gut drauf und ein unkomplizierter Kollege, auch wenn er Gerüchte und Halbwahrheiten schneller und zuverlässiger als die Klatschpresse von L.A. verbreitete. Er liebte nun einmal den Tratsch und ich konnte nur hoffen, dass Rowe nicht auf die Idee kam, den Film mit Garcia zu teilen. Wenn der das Material erst einmal zu Gesicht bekommen würde, wäre es sicher nur eine Sache von Minuten, bis die gesamte Belegschaft über Reese’ und mein Schäferstündchen Bescheid wüsste. Ach was, vermutlich der verdammte gesamte Bürokomplex!

»Morgen, Boss!« Ich nickte Simon Greenwalt zu, meinem direkten Vorgesetzten, der soeben über den Flur an uns vorbeirauschte, wie immer in Eile und mit blonder Sturmfrisur. Simon wohnte in den Hollywood Hills und fuhr jeden Tag, egal, ob die Sonne schien oder es wie aus Kübeln schüttete, mit seinem Rennrad in die Firma. Das Radeln hielte ihn jung, betonte er, und ich musste zugeben, für einen seit kurzem Fünfzigjährigen besaß er einen recht passablen Body. Wobei er meine eins fünfundachtzig um gute fünf Zentimeter überragte. Er hielt sich in Form, arbeitete hart und war in der Regel stets der Letzte, der das Büro verließ. Er verlangte sich selbst alles ab, entschuldigte keine Fehltritte und zeigte die gleiche Härte bei seinen Angestellten.

Aus diesem Grund wäre es fatal, wenn er von meinem kleinen Besenkammer-Abenteuer erfahren würde, das er – da war ich mir sicher – als höchst unprofessionelle Eskapade abstempeln würde. Inzwischen bereute ich diesen Ausrutscher, den auch die paar Tequilas zu viel an jenem Abend nicht entschuldigten. Ich musste dringend und so schnell wie möglich einen Ausweg aus meinem Dilemma finden.

Ich verabschiedete mich von Miguel, um mein Büro aufzusuchen. Dort angekommen, schob ich den Pappkarton mit dem verbliebenen Getränk auf meinen Schreibtisch, setzte mich in meinen ledernen Drehsessel und entsperrte meinen Laptop, um wie jeden Vormittag meine Mails abzurufen.

Die leichte Stimmung von eben war längst verflogen und meinen Kaffee, inzwischen sicherlich kalt, mochte ich nun auch nicht mehr anrühren. Unablässig geisterten mir Rowes Worte durch den Kopf. Wie schwere Gesteinsbrocken drückten sie in meiner Mitte und es fiel mir schwer, mich auf meine Arbeit zu konzentrieren. Wie zur Hölle sollte ich das auch tun, wenn über mir diese verfluchte Drohung schwebte, dass Rowe mit dem Video zu Greenwalt marschierte, wenn ich ihm nicht meinen Großkunden überließ? Verdammt noch mal. Eher würde ich ins Mönchskloster gehen, bevor ich das tat. Murphy & Lawson an Land zu ziehen hatte mich viel Arbeit und Mühe gekostet. Fingerspitzengefühl und Einfühlungsvermögen hatte es gebraucht, bis ich Colin Lawson endlich so weit hatte, dass er mir den Zuschlag gegeben hatte. Mir als einem von insgesamt fünf Bewerbern, die seine Firma umworben hatten. Niemals würde ich meinem Konkurrenten solch einen Gefallen tun und auf meine Chance, mir einen Namen bei Greenwalt & Millard Solutions Inc. zu machen, verzichten.

Ich hatte kaum die zweite Nachricht beantwortet, als ich mit einem Knurren den Laptop zuklappte, mich erhob und ans Fenster stiefelte.

Ich starrte nach draußen auf die Straße, auf der sich der lebhafte Verkehr wie eine in der Sonne glitzernde Schlange dahinwand, und fuhr mir nachdenklich mit allen zehn Fingern durchs Haar. Der exzellente Ausblick auf die imposante Skyline von Downtown L.A. – für einen Kerl aus einem heruntergekommenen Viertel in Detroit ein absolutes Highlight – faszinierte mich immer wieder aufs Neue. Doch diesmal konnte selbst das umwerfende Bild der Westküstenmetropole meine Stimmung nicht heben.

Ich wandte mich ab und kniff mir in die Nasenwurzel, als sich langsam ein Gedanke in meinem Kopf zu formen begann. Ja, zum Teufel, warum eigentlich nicht? Ich hatte mit Amelia geflirtet und wider Erwarten Vergnügen bei unserem Schlagabtausch empfunden. Seit unserem Zusammentreffen heute früh musste ich meine ursprüngliche Meinung über sie revidieren. Sie forderte mich heraus mit ihrer kühlen, abweisenden Art. Diese Erkenntnis überraschte mich. Noch mehr, dass es mir tatsächlich Vergnügen bereiten würde, sie zu verführen. Sie in mein Bett einzuladen. Ihre Schutzmauer, die sie so sorgfältig um sich errichtet hatte und hinter der sie sich so offensichtlich versteckte, zu durchbrechen. Jäh legte sich ein Schalter um und mich packte der Ehrgeiz. Noch vor wenigen Minuten hätte ich nie ernsthaft daran gedacht, mich auf Rowes mieses Spiel einzulassen. Es mochte in moralischer Hinsicht grenzwertig sein, aber in der Not fraß der Teufel ja bekanntlich Fliegen. Wobei ich mir eingestehen musste, dass die Vorstellung, die kleine Amelia Heart zu vernaschen, sekündlich an Reiz gewann. Und so fasste ich einen Entschluss. Rowe mochte mich aktuell am Haken haben, aber ich würde mir den verfluchten Beweis meines One-Night-Stands zurückholen, und zwar ohne, dass ich dafür Federn lassen musste. Rowe sollte sich lieber warm anziehen.

Ich verzichtete darauf, anzuklopfen, riss die Tür zum Büro meines Konkurrenten auf und marschierte schnurstracks auf seinen dunklen Nussbaumschreibtisch zu, nicht ohne jedoch vorher die Tür sorgfältig zu schließen. Das, was ich Rowe mitzuteilen gedachte, war nicht für fremde Ohren bestimmt.

Der Mistkerl war gerade dabei, Unterlagen zu sortieren, und blickte auf, als er mich hereinkommen hörte. »Ah Westbrook! Schon irgendwelche Fortschritte bei unserer kleinen Miss Unschuld? Ach –«, er winkte selbstgefällig ab, »entschuldige. War eine rein rhetorische Frage.« Betont sorgfältig nahm er einige Papiere auf und legte sie in einen Hefter. »Wie ich sehe, hast du die Akten für Murphy & Lawson nicht dabei. Wann kann ich damit rechnen?« Seine Mundwinkel hoben sich zu einem diabolischen Grinsen. »Weißt du, ich würde mich gern so schnell wie möglich mit dem Fall vertraut machen. Du weißt ja, dass ich es anstrebe, auch im Juni wieder Mitarbeiter des Monats zu werden.«

Dieses kleine Arschloch. Ohne eine Miene zu verziehen, ließ ich mich auf der Schreibtischkante nieder. Meine Rolex blitzte im hereinfallenden Sonnenlicht auf, als ich die Arme vor der Brust verschränkte. »Es tut mir leid, dich enttäuschen zu müssen, aber du wirst meinen Kunden nicht bekommen, Rowe.« Ich begegnete seinem überraschten Blick mit kühler Gelassenheit.

»Ach?« Amüsiert hob er eine Braue. »Vergiss nicht, Westbrook, ich habe deinen nackten Arsch auf Film gebannt. Deinen und den der entzückenden Miss Denton.«

»Wie könnte ich das vergessen?«, gab ich mit einem eisigen Lächeln zurück. »Du lässt ja kaum eine Gelegenheit verstreichen, mich daran zu erinnern.«

Er zuckte mit den Schultern. »Ein Mann muss tun, was ein Mann tun muss.«

»Oh Gott, verschone mich mit derartigen Plattitüden, Rowe. Kommen wir zur Sache.«

Abwartend sah er mich an, als er sich in seinem wippenden Ledersessel niederließ und sich genüsslich zurücklehnte. »Da bin ich aber gespannt. Denn wenn ich bis sechzehn Uhr heute«, mit spitzem Finger tippte er auf das Ziffernblatt seiner Armbanduhr, »nicht die Unterlagen deines Kunden auf meinem Tisch liegen habe, wird Greenwalt ein gewisses heißes Filmchen anonym zugespielt werden.«

»Nicht so hastig, Rowe.« Ich zwang mich, weiterhin gefasst zu erscheinen. »Ich lasse mich auf deinen Handel ein.«

»Soll heißen?«

Jetzt zuckte ich mit den Schultern. »Ich habe mich entschieden, deinen Vorschlag anzunehmen.« Arschloch. »Du überlässt mir das Video sowie meinen Kunden, wenn ich Miss Heart dazu bringe, mit mir in die Kiste zu steigen. Richtig?«

Rowes wasserblaue Augen weiteten sich ungläubig. Damit hatte der Mistkerl wohl nicht gerechnet. Innerlich feixend verfolgte ich, wie er sichtlich verunsichert an seinem Bart zupfte, und räusperte mich, um mich ihm wieder ins Bewusstsein zu rufen.

Er blinzelte. »Äh … ja. Richtig.«

»Und nur damit wir uns beide verstehen«, fuhr ich mit kalter Stimme fort. »Ich habe Joe Minoso, meinen Freund, der oben bei Turner & Claridge Associates arbeitet und dir sicherlich aus dem Gigi’s bestens bekannt ist, über die ganze Sache informiert.« Im Stillen gratulierte ich mir zu diesem Einfall. Keine schlechte Idee, einen Mitwisser zu haben. Auf diese Weise würde Rowe keinen Rückzieher machen können. Zudem war es mir ein Bedürfnis, dafür zu sorgen, dass ihm der Arsch auf Grundeis ging. So einfach sollte er mir nicht mit seiner miesen Erpressung davonkommen. »Keine Tricks oder Spielchen also. Ich gehe davon aus, dass du zu deinem Wort stehst.«

Ein paar Sekunden lang schien Rowe verunsichert, aber dann hatte er sich wieder gefangen. »Natürlich.« Er verschränkte ebenfalls seine Arme vor der Brust und seine Mundwinkel zuckten spöttisch, als er mir in die Augen sah. »Versuch dein Glück, Westbrook. Aber vergiss nicht, du hast nur wenige Tage, um die kleine Heart klarzumachen. Außerdem benötige ich natürlich einen Beweis«, er hüstelte affektiert, »deines Erfolgs.« Sein selbstgefälliges Lachen hallte durch den spärlich möblierten Raum. Offensichtlich war er davon überzeugt, dass ich diese Herausforderung niemals meistern würde.

»Selbstredend.« Er konnte ja nicht wissen, dass er sich mit dem Falschen angelegt hatte. Schon früh in meinem Leben hatte ich gelernt, dass man anderen nicht erlauben durfte, sich einzumischen. Ihnen nicht gestatten durfte, die Kontrolle über die eigenen Angelegenheiten zu übernehmen. Für einen Augenblick hatte ich sie verloren und dafür bezahlt. Doch ich würde mir das, was mir zustand, zurückholen. Lächelnd erhob ich mich.

Rowe kniff seine Augen zusammen, um mich eingehend zu mustern. »Du glaubst nicht ernsthaft, du hättest auch nur die geringste Chance, oder?« Irgendwie klang der Mann gereizt. Oder nervös. Ich registrierte zufrieden, wie ein Nerv an seiner Schläfe zuckte. »Warten wir’s doch ab«, erwiderte ich noch immer lächelnd. Rowe schnaubte. »Eher versinkt die Sonne am östlichen Horizont, als dass sich Amelia Heart von dir verführen lässt. Wenn man der Gerüchteküche trauen darf, trägt unsere Miss Unschuld unter ihrem biederen Röckchen einen eisernen Keuschheitsgürtel.«

»Lass das mal meine Sorge sein.« Ich wandte mich ab und ließ ihn stehen. Kotzbrocken. Es ärgerte mich, dass er sich so herablassend über Amelia geäußert hatte. Ausgerechnet er, über den man im Büro hinter vorgehaltener Hand munkelte, dass er im Beisein attraktiver Ladys Probleme hatte, einen hochzukriegen. Nicht, dass ich mich für derartigen Tratsch interessierte. In diesem Augenblick hätte ich ihm allerdings am liebsten etwas Entsprechendes an den Kopf geworfen. Oder ihm mit einem teuflischen Grinsen eine dieser blauen Zauberpillen unter die Nase gehalten. Um die ganze Sache nicht noch mehr eskalieren zu lassen und weil mich die Tatsache, dass ich das heftige Verlangen verspürte, Amelia zu verteidigen, irritierte, hielt ich meinen Mund. Wieso störte es mich so sehr, wenn er abschätzig über sie sprach? Vielleicht, weil ich es generell nicht mochte, wenn man respektlos über Frauen redete. Oder weil ich angefangen hatte, mich für sie zu interessieren?

Meine Kiefermuskeln spannten sich an, als ich noch einmal kurz im Türrahmen verharrte und mich umdrehte. »Ach, und Rowe? Ich rate dir dringend, Reese aus der ganzen Sache rauszuhalten. Sie hat mit all dem nichts zu tun. Das hier ist ein Ding zwischen dir und mir. Haben wir uns verstanden?«

Zurück in meinem Büro, ließ mich auf meinen Stuhl fallen. Ich lockerte meinen Hemdkragen, klappte den Laptop auf und rollte mit den Schultern. Nach dem Gespräch mit Parker Rowe fühlte ich mich bedeutend zuversichtlicher als vor wenigen Minuten. Voller Schwung und Tatendrang. Ich hatte eine Mission und musste mir nur noch eine Strategie überlegen. Einen Plan entwerfen und darüber nachdenken, wie ich Miss Heart am besten dorthin bekam, wo ich sie haben wollte. Vielleicht würde es etwas knifflig werden, aber ich würde Amelia davon überzeugen, dass sie nichts dringender wollte, als mit mir ins Bett zu steigen. Und als Nebeneffekt würde ich dieses beschissene Video einfordern und somit wieder die Kontrolle über mein Leben zurückerlangen.