1. Ankunft auf Korfu
Sophie drückte sich die Nase an ihrem Fensterplatz platt, um einen Blick auf die Landmasse unter ihr zu erhaschen. Die letzte Stunde war, außer blauem Himmel oben und einer geschlossenen Wolkendecke darunter, nichts zu sehen gewesen. Florian, ihr Lebensgefährte, las in seinem E-Reader, welchen er zu Hause mit unzähligen neuen E-Books gefüttert hatte. Wieso hatte sie nicht daran gedacht, sich ihr Taschenbuch in die Handtasche zu stecken? Knapp drei Stunden im Flieger zu sitzen war extrem öde, wenn es nichts zu sehen gab. Ihr Handyakku hatte nach einer halben Stunde, in der sie Solitär gespielt hatte, den Geist aufgegeben. Sie seufzte leise.
»Was ist?«, erkundigte sich Flo und löste kurzzeitig den Blick vom Display.
»Nichts. Mir ist nur langweilig.«
»Selber schuld«, antwortete er trocken. »Du wusstest, wie lange der Flug dauert. Wieso hast du dein Handy gestern nicht mehr aufgeladen?«
»Ich hatte das Ladekabel schon in den Koffer gepackt, und ich wollte den nicht noch mal ausräumen.«
Florian blickte auf seine Armbanduhr. »Wir haben’s gleich geschafft, Krümel«, versuchte er sie zu trösten, bevor er sich wieder in seiner Lektüre vergrub.
»Hoffentlich«, erwiderte sie und ein leichtes Lächeln huschte über ihr Gesicht.
Krümel – so hatte er sie schon lange nicht mehr genannt. Allerdings konnte sie sich auch nicht daran erinnern, wann sie überhaupt das letzte Mal einen Kosenamen aus seinem Mund gehört hatte.
Sie freute sich sehr auf die Tage in Griechenland. Endlich dem Alltag entfliehen, in dem sie sich fühlte, als wäre sie seit dreißig Jahren verheiratet, dabei war sie erst neunundzwanzig Jahre alt. Wie bei einem alten Ehepaar hatten sie sich nicht mehr viel zu erzählen. Was auch? Sie gingen selten aus, denn Flo war gerne zu Hause und lud lieber Freunde ein, statt etwas zu unternehmen. Und wenn sie eine Radtour entlang der Donau machten oder spazieren gingen, unterhielten sie sich höchstens über einen Film, den sie zusammen gesehen hatten. Meist drehten sich die Gespräche um die Arbeit oder das aktuelle Tagesgeschehen in den Nachrichten.
Irgendwie war die Luft raus, auch wenn sie Flo nach wie vor liebte. Es wäre schön, dieses berühmte Kribbeln im Bauch wieder zu spüren, wie es am Anfang einmal gewesen war. Aber verschwand das nicht ohnehin in jeder Beziehung über kurz oder lang? Gleiches galt beim Sex – diese Gier aufeinander, das Gefühl, nicht genug von dem anderen zu bekommen. Mittendrin hatte man das Kamasutra durch und seine Lieblingsstellung gefunden. Man wusste, was dem anderen gefiel. Einmal unter der Woche, einmal am Wochenende und je nach Tagesverfassung mit mehr oder weniger Lust. Schema F. Die Spontanität ging im Alltag verloren, zumal man jederzeit übereinander herfallen konnte, wenn man denn wollte. Sie waren ein eingespieltes Team, verstanden sich blind und teilten die gleichen Ansichten. Sophie machte sich nichts vor: Nach so langer Zeit war das völlig normal. Sie wohnten seit fünf Jahren zusammen, seit etwas über sechs Jahren waren sie ein Paar. Aber nun lagen zehn Tage Korfu vor ihnen, eine traumhaft schöne Insel, die so viel zu bieten hatte, dass es bestimmt nicht langweilig werden würde. Vielleicht brachte das ja frischen Schwung in ihre Beziehung. Nun, träumen durfte man wohl.
Der Pilot legte die Maschine in eine steile Linkskurve, um die Insel vom Süden anzufliegen. Sie konnte die Landebahn sehen, die fast gänzlich von Wasser umgeben war und zwischen zwei Hügeln lag. Sophies Hände waren schweißnass, nicht vor Angst, sondern voller Vorfreude. Sie hatte Hummeln im Hintern und wäre am liebsten schon jetzt auf ihrem Hotelzimmer gewesen, um sich ihren Bikini anzuziehen und sich in die Fluten zu stürzen.
Als hätte Flo ihre Gedanken erraten, sagte er, während er seinen Reader ausschaltete: »Ich freu mich aufs Meer. Bin gespannt, wie lange wir zum Hotel brauchen. Oh wow, das ist aber eine verdammt kurze Landebahn«, fügte er hinzu, als er einen Blick aus dem kleinen ovalen Fenster erhaschte.
»Ja, hoffentlich funktionieren die Bremsen«, schmunzelte Sophie. »Sonst knallen wir mit vollem Karacho gegen die Burgmauer.«
Kaum hatte sie den Satz beendet, setzte der Flieger auf dem Rollfeld auf. Sophie sah, wie die Landeklappen nach oben gingen, und spürte die Schubumkehr der Maschine. Kurz darauf war der Spuk vorbei und das Flugzeug rollte langsam zur Parkposition.
»Meine Güte, bleibt doch sitzen«, murmelte Flo und schüttelte den Kopf, als er das Gedränge im Gang sah. »Wenn alle gleichzeitig aufstehen, geht’s auch nicht schneller. Zum Glück werden beide Türen aufgemacht. Wir gehen hinten raus, das ist kürzer.«
***
Als sie die Gepäckausgabe verließen, wurden sie bereits erwartet. Ein älterer Herr hielt Tafeln mit ihren Namen darauf in die Höhe. Die Fahrt zum Hotel, welches etwa fünfzehn Kilometer vom Flughafen entfernt lag, dauerte keine halbe Stunde. Neugierig blickte Sophie auf die vorüberziehenden Häuser und war enttäuscht, dass sie weder die alte Festung, noch das urige Flair der Altstadt zu Gesicht bekam. Dafür begann sie zu strahlen, als die Straße am Meer entlangführte. Ihr Chauffeur klärte sie auf, dass sie gleich den Jachthafen Gouvia umfahren würden, der einen Besuch wert sei. Wenig später setzte er den Blinker und bog rechts ab. Nun schlängelte sich die Fahrt leicht bergauf zwischen exklusiven Villen, Nadelbäumen und Olivenhainen hindurch, bis in einer breiten Linkskurve der Parkplatz ihrer Unterkunft auftauchte.
»Wow«, entfuhr es Sophie, als sie ausstieg und sich umblickte. »Hier sind wohl die Reichen und Schönen untergebracht?«
Florian lachte und fuhr mit den Fingern durch seine leicht gewellten, dunkelblonden Haare. »Na ja, so reich auch wieder nicht. Ich zähle uns jetzt nicht zu den Großverdienern, und wir können es uns trotzdem leisten.«
Das Hotel thronte auf einem Hügel der Halbinsel Kommeno, inmitten von Zypressen und Olivenbäumen. Tief sog sie die Luft in die Lungen.
»Ich kann das Meer riechen! Aber der Strand ist doof zu erreichen«, bemerkte sie. »Ich hoffe zumindest, dass diese Schirme dort unten zum Hotel gehören.«
»Wir werden sehen«, kommentierte Florian ihre Aussage und griff nach ihren Koffern, die ihm jedoch von einem Hotelpagen, der wie aus dem Nichts vor ihnen auftauchte, abgenommen wurden. »Dafür ist der Pool riesig. Und jetzt komm, ich will endlich aus der Jeans raus. Es ist irre heiß.«
»Wem sagst du das«, brummte Sophie und wischte mit dem Handrücken über ihre Stirn, auf der einige Haarsträhnen klebten. »Außerdem muss ich langsam aufs Klo.«
Kurze Zeit später öffneten sie die Tür zu ihrem Zimmer.
»O mein Gott, ist das herzig«, stieß Sophie aus und ließ sich jauchzend auf die Matratze des Bettes fallen, die prompt nachfederte. »Das Bett ist urbequem.« Sie rappelte sich wieder auf, während Flo ihr einen belustigten Blick zuwarf und die Balkontür öffnete.
»Kindskopf«, meinte er. »Aber es stimmt, es ist wirklich sehr hübsch eingerichtet. Der Ausblick ist übrigens grandios, das solltest du dir ansehen.«
»Komme!«, erwiderte Sophie und trat neben ihn auf den Balkon. »Wahnsinn. Guck doch, die hübschen Küstendörfer und die kleinen Inseln zwischen Korfu und dem Festland. Und die Aussicht auf das Meer, rund um die Halbinsel. Einfach überwältigend.«
Flo nickte. »Ja, das hat was. Jetzt weiß ich, wieso im Prospekt Zimmer mit Panoramablick stand. Ich freu mich schon, mit dir hier abends zu sitzen und ein Glas Wein zu trinken. Stell dir vor, wenn nachts der Poolbereich beleuchtet ist … Eigentlich unfassbar, dass wir zuvor nie im Sommer weggeflogen sind.«
»Das haben wir uns dafür verdient«, sagte Sophie im Brustton der Überzeugung. »Du willst sicher erst die Koffer auspacken, bevor wir an den Pool gehen?«
»Richtig. Wenn wir das gleich erledigen, können wir anschließend tun und lassen, was wir wollen.«
Er hatte leicht reden, denn er hatte weniger eingepackt als sie. Wo er seine Turnschuhe angezogen und ein paar Badelatschen und Sandalen eingepackt hatte, war Sophies Trolley mit Schuhen voll. Angefangen mit drei verschiedenfarbigen Ballerinas über zwei Paar High Heels, Badeschuhen und Flip-Flops, befanden sich noch weiße Turnschuhe und diverse Riemchenschuhe darin. Die schwarzen Sneakers hatte sie während des Flugs getragen und sich von den Füßen gestreift, als sie das Bett inspiziert hatte.
Zweifelnd ließ er den Blick über die Ansammlung wandern. »Wann willst du die denn alle anziehen?«, wunderte er sich.
»Wenn wir abends ausgehen, zum Beispiel …«, antwortete Sophie und räumte ihre Unterwäsche in die Lade des weiß lackierten Nachtkästchens. Zwischen Slips und BHs fand sie das Ladekabel für ihr Handy, welches sie sofort anschloss. »… werde ich andere Schuhe brauchen, wie tagsüber am Strand«, führte sie ihren abgebrochenen Satz zu Ende.
»Aha.« Flo legte seine T-Shirts akkurat übereinander, bevor die Socken in einer Schublade verschwanden. »Ich bin fertig«, verkündete er. »Wenn es dir nichts ausmacht, schwing′ ich mich unter die Dusche.«
»Mach ruhig«, erwiderte sie und hängte ein geblümtes, gelbes Kleid auf den Bügel. Sicher hatte sie viel zu viel eingepackt. Aber lieber zu viel als zu wenig, dachte sie sich. Die Vorstellung, plötzlich ohne Kleiderauswahl dazustehen, war der blanke Horror. Woher sollte sie vorher wissen, auf welchen Look sie gerade Lust hatte? Lieber schleppte sie die Hälfte ihres Kleiderschranks umsonst mit. Endlich war ihr Koffer leer, bis auf die Kosmetiktasche, deren Inhalt großteils im Bad verstaut werden musste. Was sie daran erinnerte, dass sie seit einer halben Ewigkeit auf die Toilette wollte.
Das Badezimmer dämpfte ihre Freude über das tolle Ambiente ihrer Unterkunft ein kleines bisschen. Die beiden Waschbecken waren riesig, boten aber kaum Abstellfläche. Wo sollte sie ihre Make-up-Utensilien unterbringen? Die musste sie wohl doch im Schlafzimmer deponieren. Statt einer Dusche gab es eine Badewanne mit Duschvorhang, den Flo zugezogen hatte. Auf der Stirnseite zwischen Waschbecken und Wanne stand das Klo. Darüber war ein Hinweis angebracht, dass man weder Toilettenpapier noch Hygieneartikel ins WC werfen sollte.
»Soph, bringst du mir bitte ein Handtuch? Ich will den Boden nicht nasstropfen«, rief Flo und zog den Vorhang zurück. »Huch, du bist ja eh hier«, stellte er fest. »Da hätte ich ja gar nicht so schreien müssen.«
Sophie reichte ihm ein großes, flauschiges Duschtuch, welches an einer Stange hing.
»Danke. Es dauert ein wenig, bis das Wasser warm ist«, klärte er sie auf. »Und der Vorhang ist gewöhnungsbedürftig. Aber ich konnte mich erfolgreich gegen eine heimtückische Einwicklungsattacke wehren.« Er zwinkerte ihr zu und rubbelte sich trocken.
Sophies Blick glitt über seine Figur, die noch immer tadellos war, wenngleich nicht mehr ganz so schlank wie zu der Zeit, als sie sich kennengelernt hatten. Aber auch bei ihr war in den letzten Jahren ein bisschen Hüftgold dazugekommen. Sie grinste innerlich, denn Flo sagte oft, so sei sie ihm lieber, denn da brauche er keine Angst zu haben, sich beim Sex blaue Flecken zu holen. Und sie fand, dass er in den letzten Jahren attraktiver geworden war – irgendwie männlicher.
»Diesen Blick kenne ich«, sagte er grinsend, stieg aus der Wanne und zog sie in seine Arme. »Wollen wir erst noch das Bett testen, bevor wir nach unten gehen?«
»Genau das habe ich auch soeben gedacht.«
Sie strich mit ihrem Daumen über seine Brustwarze und wanderte mit der Hand weiter nach unten, bis sie auf seine wachsende Erektion traf, während ihre Lippen auf seinen lagen. Flo stöhnte leise an ihrem Mund.
»Verdammt, Soph, du weißt echt, wie du mich in Sekundenschnelle hart kriegst«, murmelte er, griff nach ihrer Hand und zog sie ins Zimmer, wo er sie ohne viel Federlesens aufs Bett katapultierte.
Seine Zunge spielte mit ihren Lippen, wanderte weiter über ihr Kinn zu ihren Brüsten, bevor er eine feuchte Spur über ihren Bauchnabel zog, bis er schließlich mit dem Kopf zwischen ihren Schenkeln landete. Sophie stöhnte auf, griff mit ihren Händen in seine Haare und genoss die sinnlichen Anschläge seiner Zunge. Auch er wusste, wie er sie von null auf hundert bringen konnte, und erst recht, wann sie ihn in sich spüren wollte. Als er diesen Punkt erreichte, robbte er wieder nach oben, stützte sich auf seinen Händen ab und glitt mit einer einzigen Bewegung in sie.
»Ich liebe dich«, hauchte er, dann senkten sich seine Lippen wieder auf ihren Mund.
Sophie schlang die Arme um ihn und überkreuzte die Knöchel, um ihn tiefer zu spüren, und kam ihm bei jedem Stoß lustvoll mit ihrem Becken entgegen. Sie keuchte auf, als er zielsicher jenen Punkt traf, der sie näher zu ihrem Höhepunkt brachte. Es dauerte gar nicht lange, bis die erlösenden Wellen durch ihren Unterleib zuckten. Gleichzeitig stöhnte Flo auf und ergoss sich in ihr.
Nachdem sich sein Herzschlag wieder normalisiert hatte, rollte er sich von ihr und grinste sie schief an. »Leck mich doch, Soph. Wir werden auch immer schneller.«
Sie lächelte zurück und küsste ihn auf die Nasenspitze. »Wir sind eben ein eingespieltes Team. Und jetzt will ich endlich an den Strand.«
2. Endlich Urlaub
»Es ist traumhaft hier«, schwärmte Sophie und legte ihr Handtuch auf eine der beiden Liegen am Pool, die sie ergattert hatten, nachdem die am Strand restlos belegt waren. »Möchtest du trotzdem ins Meer?«
Florian schüttelte den Kopf. »Nein. Ich will einfach nur ins kühle Nass und nicht noch mal den ganzen Weg bis zum Strand laufen. Kommst du gleich mit rein oder lässt du dich erst noch von der Sonne braten?«
Sie warf die Strandtasche auf das Handtuch und ließ sich direkt an Ort und Stelle ins Wasser gleiten. Wieso den Umweg über die Treppe nehmen?
»Auf was wartest du?«, fragte sie kichernd und spritzte mit der Hand einen Schwall Wasser in seine Richtung.
»Argh, bist du fies«, schimpfte er und sog scharf die Luft ein, als er die kalten Tropfen abbekam. »Na warte. Das wirst du bereuen«, drohte er spielerisch und rutschte neben ihr in den Pool.
»Dazu musst du mich erst zu fassen bekommen«, konterte sie und begann zu kraulen.
Flo stieß sich vom Beckenrand ab, tauchte unter ihr durch und vor ihr auf. »Hab dich.« In seinen braunen Augen lag der Schalk, aber sie glaubte, auch die Liebe darin zu erkennen, die er für sie empfand. »Keine Sorge, Krümel«, flüsterte er an ihr Ohr. »Ich räche mich später an dir.«
»Aber wir haben heute doch schon …«
Er legte einen Finger auf ihre Lippen. »Na und? Wir haben Urlaub. Und du siehst einfach zum Anbeißen aus. Wie eine Nixe.«
»Hey!«, protestierte sie, aber zu spät. Er hatte sie schon an der Schulter gepackt, sodass sie nur noch nach Luft schnappen konnte, bevor er sie untertauchte. Prustend kam sie wieder an die Wasseroberfläche und schüttelte sich wie ein junger Hund.
»Danke, der Kopfflash hat gutgetan«, japste sie. »Meine Haare muss ich später sowieso waschen.«
»Fein. Dann können wir ja jetzt eine Runde schwimmen und uns danach etwas von der Poolbar zu trinken holen?«
»Oder zur Poolbar schwimmen und dort etwas trinken.«
»Oder so, ja.«
Einträchtig schwammen sie zwischen quadratischen, betonierten Inseln durch, in denen Palmen gepflanzt waren, bis zum überdachten Bereich in der Mitte der Anlage, welchen man über gemauerte Stufen im Pool erreichte.
»Wollen wir uns dort ins Eck setzen? Magst du einen Cocktail oder eine Cola?«, erkundigte sich Flo.
»Cola. Ich habe Durst.«
»Kommt sofort.«
»Wo essen wir heute?«, fragte sie, als er mit den Getränken zurückkam.
»Im Hotel, wo sonst?« Flo sah irritiert aus. »Immerhin haben wir All inclusive gebucht«, erinnerte er sie und setzte sich.
»Ja schon, aber wollen wir nicht auch mal in einer Taverne essen?« Durstig saugte sie an ihrem Strohhalm.
»Können wir gern machen, aber muss das gleich heute sein? Ich will mich vorerst um gar nichts kümmern müssen. Morgen erkundigen wir uns, wo es in der Nähe ein gutes Restaurant gibt, okay?«
»Auch gut. Spätestens, wenn es immer das gleiche am Büfett gibt und ich alles durchprobiert habe, mag ich woanders essen gehen.«
»Das werden wir schon, Krümel. Wir haben genug Zeit«, sagte er und griff nach ihrer Hand. »Lass uns die ersten Tage in der Anlage genießen. Du wirst sehen, es wird bestimmt schön.«
Natürlich hatte er recht, dachte Sophie. Zehn Tage waren genug Zeit, um sich zu erholen und trotzdem das eine oder andere unternehmen zu können. Es gab keinen Grund, sich zu stressen, und sie genoss den restlichen Nachmittag unterm Sonnenschirm mit ihrem Urlaubsroman in der Hand. In stiller Harmonie lagen sie nebeneinander und lasen. Wenn ihnen zu heiß wurde, hüpften sie in den Pool. Zwischendrin legte Sophie ihr Buch zur Seite und döste ein, bis Flo sie aus dem Schlummer weckte.
»Du solltest mehr trinken«, ermahnte er sie liebevoll und reichte ihr ein Glas mit kühlem Saft. »Außerdem liegst du inzwischen in der prallen Sonne. Entschuldige, dass ich dich geweckt habe, aber ich denke, du legst keinen Wert auf einen Sonnenbrand, oder?«
»Stimmt. Danke, Schatz. Wie spät ist es denn?« Verschlafen rieb sie sich über die Augen.
»Kurz nach sechzehn Uhr. Magst du schon ins Zimmer?« Flo stellte das Glas auf das kleine Tischchen neben sich und legte seinen E-Reader darauf, sodass keine Fliegen oder andere Insekten in das Getränk fallen konnten.
»Nein, lass uns noch eine Stunde bleiben. Kommst du noch mal mit ins Wasser?«
»Darauf kannst du Gift nehmen.«
***
Eine Stunde später begaben sie sich auf ihr Zimmer, um sich für das Abendessen herzurichten. Sophie brauchte länger, da sie ihre dichten Haare, die ihr bis zum Mundwinkel reichten, waschen und föhnen musste. Für Make-up war es viel zu warm, aber ihre grau-grünen Augen betonte sie ausdrucksstark mit Eyeliner, Kajal und Wimperntusche. Dazu schlüpfte sie in ein luftiges, verspieltes Kleid, welches ihr Dekolleté vorteilhaft zur Geltung brachte. Sie entschied sich für Ballerinas – es gab zu viele Stufen auf dem Gelände, und sie würden nach dem Essen sicherlich noch durch die Gartenanlage schlendern.
Flo trug Bermudashorts mit farblich abgestimmtem T-Shirt und strahlte ihr entgegen.
»Ich hab jetzt richtig Kohldampf«, ließ er sie wissen. »Hoffentlich schmeckt es so gut, wie es in den Bewertungen angepriesen wurde.«
»Lassen wir uns überraschen.« Sophie griff nach ihrer Handtasche. »Mir knurrt der Magen inzwischen auch.«
Die Auswahl der Speisen war riesig. Das Paar beschloss, gemeinsam einen Vorspeisenteller zu nehmen und sich die Hauptgerichte zu teilen. Sophie bestellte Mineralwasser, Flo ein Corfu Red Ale, ein dunkles Bier, welches auf der Insel gebraut wurde.
Er nahm einen großen Schluck und leckte über seine Oberlippe. »Das ist richtig gut. Malzig und irgendwie fruchtig. Es schmeckt mir besser als ein dunkles Bier daheim. Magst du kosten?«
»Sehr gern.« Sophie nippte daran und nickte. »Du hast recht, es ist sehr gut. Ich bleibe trotzdem beim Wasser.«
»Hast du den gebackenen Schafskäse probiert? Ein Gedicht«, meinte Flo und spießte eine Olive auf seine Gabel.
»Hm, hm«, machte Sophie und kaute mit vollen Backen. »Es ist alles gut, was ich bisher probiert habe«, sagte sie, als sie den Bissen hinuntergeschluckt hatte. »Und es ist viel zu viel Auswahl. Ich platze gleich.«
»Ach komm, ein Stück Baklava zum Nachtisch geht sicher noch. Wir teilen, okay?«
»Du machst mich fertig«, stöhnte Sophie und strich über ihren Bauch. »Aber ja, etwas Süßes zum Abschluss sollten wir uns wohl noch gönnen.«
Auch das honiggetränkte Gebäck schmeckte köstlich.
»Ich kann nicht mehr.« Sie legte die Gabel zur Seite. »Das Einzige, was jetzt hilft, ist ein Ouzo.«
»Und ein paar Schritte in der Anlage«, ergänzte Flo.
Hand in Hand verließen sie den Speisesaal und schlenderten entlang der inzwischen beleuchteten Wege an den Strand hinunter. Langsam wurde es dunkel, die Sonne versank im Meer und tauchte die Umgebung in warmes Goldgelb. Sophie schlüpfte aus ihren Schuhen, setzte sich auf eine Liege und vergrub die Zehen im noch warmen Sand.
»Lass uns morgen den Tag am Strand verbringen«, bat sie. »Am Pool ist es zwar wunderschön, aber ich möchte ins Meer.«
»Nur der frühe Vogel fängt den Wurm – in dem Fall einen Liegeplatz. Wenn wir rechtzeitig aufstehen, sollte das kein Problem sein.«
Sie blickten aufs Meer hinaus und lauschten dem Geräusch der Wellen, die sanft auf dem Strand ausrollten.
»Ich liebe dich, Flo. Ich bin froh, dass wir hier sind.«
»Ich dich auch«, murmelte er an ihr Ohr, bevor er ihr aufhalf.
An der Poolbar bestellten sie Ouzo, welcher als Longdrink mit Eiswürfeln und Wasser serviert wurde. Flo schien seinen eigenen Gedanken nachzuhängen, während Sophie die anderen Gäste musterte. Aus den Lautsprechern klang typisch griechische Musik, aber so leise, dass sie nicht störte und das Zirpen der Zikaden nicht übertönte.
»Woran denkst du?«, fragte Sophie und nippte an ihrem Anisschnaps.
»Ich überlege, ob wir daheim das Licht im Bad brennen lassen haben.« Flo kratzte sich hinter dem Ohrläppchen. »Zum Glück schaltet sich der Kaffeeautomat nach einer Stunde von selbst aus.«
Sophie konnte nicht anders und musste lachen. Es schien, als wäre Flo noch nicht ganz im Urlaub angekommen, im Gegensatz zu ihr. »Jetzt können wir nichts mehr dran ändern, Schatz. Ich bin mir aber sicher, dass ich es ausgemacht habe.« Sie gähnte unter vorgehaltener Hand. »Bist du auch so müde wie ich? Ich glaube, ich vertrage so viel frische Luft nicht.«
»Ich schätze, das liegt eher an der prallen Sonne, der du ausgesetzt warst. Lass uns noch ein Glas Wein mit ins Zimmer nehmen«, schlug Flo vor. »Es ist kurz vor einundzwanzig Uhr. Wir können ja nachsehen, ob es deutschsprachige Fernsehsender gibt.«
»Wir hätten uns Karten oder Reisespiele mitnehmen sollen«, sinnierte Sophie, während sie auf dem Weg ins obere Stockwerk waren. »Doof, dass wir nicht daran gedacht haben.«
»Nächstes Mal sind wir schlauer«, antwortete Flo und schloss die Tür auf. »Ah, ist das angenehm kühl hier drin, die Klimaanlage funktioniert also. Nachts lassen wir sie aus, oder?«
»Bitte darum. Ich mag es nicht, wenn die mir ins Gesicht bläst«, sagte Sophie und verschwand im Bad, um sich den Kajal abzuschminken und Zähne zu putzen.
Flo lag, nur in Boxershorts bekleidet, auf dem Bett und zappte auf der Fernbedienung herum. Er blickte auf, als Sophie zu ihm aufs Bett krabbelte.
»Sieht schlecht aus, Soph. Die haben hauptsächlich englische Sender eingestellt. Es läuft grad ein Fußballspiel, das können wir uns ansehen.«
»Wer spielt?«
»Manchester gegen Liverpool.«
»Na gut«, willigte sie ein und kuschelte sich in seine Arme. »Ich kann aber nicht garantieren, dass ich dabei nicht einpenne.«
»Kein Problem, Krümel. Ich glaube, wir sind beide zu vollgefressen, um noch miteinander zu schlafen. Außerdem haben wir alle Zeit der Welt.«
***
Die Sonne ging gerade auf, Vogelgezwitscher drang an ihr Ohr. Sophie hatte keine zehn Minuten des Spiels mitbekommen, so schnell war sie in Morpheus Arme gesunken. Dafür war sie nun in aller Herrgottsfrühe wach und blinzelte aus dem Fenster. Vorsichtig schälte sie sich aus dem Laken, schlüpfte in ihren Morgenmantel, griff nach ihrem Handy und betrat den Balkon. Sie stützte sich auf dem Geländer ab und ließ den Blick über die Landschaft schweifen. Noch war es kühl, Tisch und Stühle glänzten vom Tau. Oder hatte es in der Nacht geregnet? Es war einerlei. Sophie aktivierte die Handykamera und versuchte, diesen magischen Moment einzufangen. Gestern waren so viele Eindrücke auf sie eingestürzt, dass sie glatt vergessen hatte, auch nur ein einziges Bild zu schießen.
Sie hörte, wie die Balkontür aufgeschoben wurde. Flo kam zu ihr, umarmte sie von hinten und lehnte seinen Kopf an ihre Wange. »Guten Morgen. Wunderschön, oder?«
Sophie legte ihre Hand auf seinen Unterarm. »Und wie.«
Einige Minuten standen sie einfach nur da und genossen den Moment, bis Flo wisperte: »Komm, lass uns noch mal zu Bett gehen. Frühstück gibt es erst in zwei Stunden.«
***
Nach dem üppigen Frühstück verbrachten sie den restlichen Tag am Strand. Mittags unterbrachen sie ihren Aufenthalt am Meer, um einen gemischten Salat zu essen, und am Nachmittag tranken sie einen belebenden Nescafé Frappé. Es war herrlich entspannend, ruhig und friedlich. Sophie kam in ihrem Buch fast bis zur Hälfte. Wenn das so weiterging, wäre sie in spätestens zwei Tagen damit fertig, und sie fragte sich, was sie dann machen sollte. Bevor sie zurück zu ihren Liegen am Strand gingen, machte Flo sein Versprechen wahr und erkundigte sich nach einem fußläufig erreichbaren Lokal. Sie hatten Glück: Etwa einen Kilometer entfernt gab es eine Taverne, die sie am Abend aufsuchen wollten.
Als sie dort ankamen, erlebten sie jedoch eine Enttäuschung. Es war kein einziger Tisch frei, man müsse mindestens zwei Tage im Voraus reservieren, klärte der überforderte Kellner sie auf.
Flo war sichtlich zerknirscht. »Das hätten die mir an der Rezeption aber auch sagen können. Tut mir leid, Krümel. Möchtest du für einen anderen Tag reservieren?«
»Macht nichts«, tröstete Sophie ihn. »Dafür hatten wir einen schönen Spaziergang. Und nein. Wir können jederzeit vom Hotel aus reservieren lassen. Ich bin gespannt, ob es etwas anderes als gestern zu essen gibt.«
Dem war nicht so – aber das hatte sie befürchtet, denn das kannte sie noch von den Urlauben mit ihren Eltern vor zig Jahren. Einzelne Gerichte wechselten, aber der Großteil der Speisen blieb gleich.
Nun war es an Flo, sie zu trösten, während er seinen Blick über die Vorspeisen schweifen ließ. »Sieh es positiv, dann überfressen wir uns wenigstens nicht. Morgen fahren wir abends in die Altstadt von Kerkyra und machen die unsicher.«
»Können wir auch die alte Festung ansehen?«, wollte Sophie wissen, bremste ihre Euphorie aber sogleich. »Stellt sich nur die Frage, wie lange man da rein kann. Du sprichst ja eher vom späten Nachmittag, oder?« Sophie schaufelte eine Portion Tsatsiki auf ihren Teller, gefolgt von scharfen Peperoni und Oliven.
Flo nickte. »Willst du die wirklich sehen? Es ist bestimmt nicht lustig, in der Hitze da hinauf zu wandern. Da trifft einen ja der Schlag. Und wenn wir uns dann nicht mehr abkühlen können, müssen wir völlig verschwitzt in die Stadt.« Er steuerte mit seinem beladenen Teller auf ihren Tisch zu.
Sophie folgte ihm und seufzte innerlich. Wie immer hatte Flo den Nagel auf den Kopf getroffen. »Du hast recht, das wäre vormittags besser«, lenkte sie ein, setzte sich und nahm das Besteck zur Hand. »Vielleicht können wir einen Ausflug dorthin buchen?«
Flo verzog das Gesicht, als hätte er in eine Zitrone gebissen. »Ernsthaft? Bei dem geilen Wetter willst du mit dem Bus dorthin? Du weißt schon, dass du dabei an gewisse Zeiten gebunden bist. Wenn dir heiß wird, musst du warten, bis der Bus wieder abfährt.«
»Dann lass uns ein Auto mieten und die Insel erkunden«, schlug Sophie vor. »Korfu hat so viele Sehenswürdigkeiten. Zum Beispiel das Achilleion, welches Kaiserin Sissi errichten ließ. Oder in Sidari den Canal d’Amour. Der muss einzigartig sein.«
»Soph, bitte. Du weißt, dass ich als Außendienstler täglich mit dem Auto unterwegs bin. Ich hab keinen Bock, auch noch meinen Urlaub darin zu verbringen.«
»Aber einen Roller?«, versuchte sie es weiter. »Zumindest die Sehenswürdigkeiten in der Nähe ansehen? Die venezianische Werft, den Jachthafen, und zur alten Festung ist es dann auch nicht mehr weit.«
»Na gut«, gab er sich geschlagen. »Ich erkundige mich gleich nach dem Essen, ob wir übers Hotel an einen Roller oder ein Quad kommen.«
»Oh, ich danke dir«, jauchzte Sophie, sprang auf und fiel ihm um den Hals. Es war ihr völlig egal, dass einige Leute am Nachbartisch pikiert dreinblickten, als sie ihn auf den Mund küsste.