1. Kapitel
BALIAN
Indischer Ozean
Knarrendes Holz – unsanftes Schaukeln. Eine salzige Brise liegt in der Luft und der Wind peitscht mir unaufhörlich ins Gesicht. Die Sonne ist vor wenigen Minuten untergegangen – zeitgleich ist ein fieser Wetterumschwung gekommen. Der Fischerkahn klatscht immer wieder mit voller Wucht auf die stürmische See. Es ist düster. Das Firmament hat sich mit grummelnden Wolken zugezogen. Jeden Augenblick könnte es krachen. Möwen ziehen ihre Kreise am dunklen Himmel wie Geier, wenn sie Aas erspähen. Ein vortrefflicher Vergleich, denn ich fühle bereits den nahenden Tod. Wehrlos, mit auf dem Rücken gefesselten Händen, sitze ich in dem Kahn, habe die Beine angezogen und bin meinem Schicksal ausgeliefert. Einem Schicksal, das mich zu Unrecht ereilen wird. Schweiß rinnt mir über die Stirn, was weniger mit dem tropischen Klima, sondern viel mehr mit dem zu tun hat, was mich erwartet.
Meine Strafe.
Ich bin unschuldig. Doch davon möchte hier niemand etwas hören.
Amir sitzt mir gegenüber und sieht mich ausdruckslos an.
Ein Blitz zuckt hinter ihm über den schwarzen Himmel und wird schon wenige Sekunden später von krachendem Donner abgelöst.
Die beiden Männer, die hinter Amir den Kahn lenken, liegen im Schatten verborgen.
Neben Amir liegt ein kleiner grauer Koffer aus Hartplastik, doch diesem schenkt er keine Beachtung – er sieht nur mich an. Seine markanten und doch engelsgleichen Züge trügen heute ganz besonders. In den vielen Jahren, die wir uns kennen, war er nicht ansatzweise so grausam wie in den letzten zwei Wochen. Jemand hat die Darmawan beschissen und dann meinem alten Herrn und mir feige alles in die Schuhe geschoben, um die eigene Haut zu retten. Ich habe keine Ahnung, wer der Drahtzieher des Ganzen ist – wer uns loswerden will –, aber ich habe keine Gelder aus Waffendeals an Zarnu vorbeigeschmuggelt, verdammt! Und ich habe auch nicht versucht, es Amir anzuhängen! Die Indizien sprechen eindeutig gegen meinen Vater und mich. Über ihn wurde bereits gerichtet. Er wurde nicht einmal angehört. Und nun muss mein Vater sterben, elendig und langsam. Seine Strafe war nicht nur das Exil auf Limanossa, sondern die Injektion eines langsam wirkenden Giftes, das ihm binnen weniger Wochen einen qualvollen Tod bereiten wird. Es gibt kein bekanntes Gegengift, denn die Darmawan selbst haben diese grausame Waffe in ihren geheimen Laboren entwickelt. Dieses Gift, das nach und nach die Organe des Betroffenen befällt, ist nur eine von vielen Grausamkeiten, die dort erdacht werden. Hauptsächlich werden dort jedoch Drogen hergestellt, die die Mitglieder des Syndikats im großen Stil an den Mann bringen. Ich selbst habe schon einige Deals damit abgewickelt, es jedoch nie gewagt, diese Drogen selbst zu probieren. „Crystal Meth ist ein Scheiß dagegen“ – das habe ich aus den engeren Kreisen über dieses Zeug gehört. Neben Zarnu, unserem Anführer, existiert nur eine Handvoll Menschen, die um die genauen Standorte der Labore weiß. Das hat zur Folge, dass diese Gifte und Drogen von niemandem näher erforscht werden können, es allerdings schon zahlreiche Tote gibt.
Eine Welle schlägt hart gegen das Boot, sodass ich ziemlich nass werde. Doch das ist nicht unangenehm, obwohl die Wassertemperatur recht niedrig ist.
„König Triton ist heute wohl auch ein kleiner Miesepeter, was? Hey, jetzt mach ein anderes Gesicht. So eine tolle Bootstour erlebt man nicht alle Tage.“ Amir grinst abfällig und flüstert dem breiten Kerl neben sich etwas ins Ohr.
Fieberhaft überlege ich, wie ich mich aus dieser misslichen Lage befreien könnte, doch es ist aussichtslos. Harter Strick schneidet bei jeder Bewegung tiefer in meine Handgelenke, die Amir zuvor hinter meinem Rücken zusammengenommen hat. Ich könnte ihn jetzt anbetteln, er solle mich verschonen, doch ich will kein Wort mehr mit diesem Bastard sprechen. Das, was er meinem Vater auf Zarnus Befehl hin angetan hat, ist unverzeihlich. Schließlich hat mein alter Herr sich sein Leben lang um Amir gekümmert – im Gegensatz zu seinen eigenen Eltern. Mir ist immer noch schleierhaft, wie mein Vater in so eine Misere geraten konnte. Er hat nie mit mir darüber gesprochen. Unzählige Male habe ich mich gefragt, ob er Feinde hatte. Hat er sich ohne mein Wissen in Sachen eingemischt, aus denen er sich hätte raushalten sollen und so den Unmut des Drahtziehers auf sich gelenkt? Er müsste es doch besser wissen. Schließlich ist er schon länger als ich Teil des Darmawan-Syndikats und sogar ich weiß es. Bei uns gibt es eine Regel: Brichst du den Kodex, renn um dein Leben. Dieser Kodex ist einer der ersten Dinge, die Neulinge eingebläut bekommen. Amir und ich konnten ihn bereits im Alter von dreizehn Jahren runterbeten:
1. Ehre unseren Anführer Zarnu.
2. Respektiere jeden, der über dir steht.
3. Das Blut jedes Mitglieds des Darmawan-Syndikats ist dein Leben wert.
4. Loyalität, Ehrlichkeit und Schuldbegleichung sind nicht verhandelbar.
5. Die Frau eines Darmawan darf von niemand anderem berührt oder mit lüsternen Gedanken angesehen werden.
6. Berichte über jede Außerplanmäßigkeit werden unverzüglich Zarnus Beratern mitgeteilt.
7. Das Darmawan-Syndikat ist deine einzige Familie.
8. Verrat kostet ein Leben.
„Wir wären dann soweit.“ Amir unterbricht meinen inneren Monolog. Er erhebt sich, streicht die Hose seines schwarzen Anzugs glatt, die vom Sitzen Falten geschlagen hat, und greift nach dem Koffer. Seine tätowierte Hand hält den Griff fest umschlossen. „Rate mal, welche nette Überraschung ich dir mitgebracht habe, mein Freund.“
„Du wagst es wirklich, dieses Wort noch in den Mund zu nehmen? Freund?“ Abfällig spucke ich ihm vor die Füße und werfe ihm einen vernichtenden Blick zu. Unsere Freundschaft ist einen Dreck wert, seit er meinen Vater zum Tode verurteilt hat. „Du bist so ein verdammter Wichser! Du hast keine Eier, nach der Wahrheit zu suchen! Du weißt genau, dass weder mein Vater, noch ich das Syndikat betrogen haben! Jemand hat uns das alles in die Schuhe geschoben!“ Ich hole tief Luft, denn die Bilder, die mich vor meinem inneren Auge ereilen, sind brutaler, als ich es ertragen kann. „Weil du lieber die Augen verschließt, muss mein Vater auf bestialische Weise sterben. Weil du ein mieser Verräter unserer Freundschaft und ein neidischer Feigling bist!“
„Pah! Neidisch. Worauf?“
„Darauf, dass ich mit meinem Vater immer noch Familie habe und du nicht. Dass du wirklich glaubst, dass er oder ich Zarnu so hintergehen könnten … ist unfassbar! Das habe ich nie getan und würde ich nie tun! Warum glaubst du mir nicht, verdammt?! Du kennst mich doch!“
Amir, der seit Kindertagen mein bester Freund war, zögert, bevor er wieder spricht. „Du kennst die Regeln“, antwortet er emotionslos und ignoriert meinen letzten Kommentar.
„Mir sind die Regeln mehr als bekannt. Dir auch, oder? Du solltest nicht richten, ohne die Wahrheit zu kennen!“ Es ist die blanke Machtlosigkeit, die wie Gift meinen Lippen entweicht.
Unbeeindruckt nickt Amir einem der Männer zu, die sich mit uns im Kahn befinden. Einer von ihnen klettert zu mir herüber. Der Fettsack sorgt für ein noch heftigeres Schaukeln. Er hakt sich bei mir ein und reißt mich hoch. Ich bin kein Schwächling und durch das viele Krafttraining weiß Gott nicht schlecht gebaut, doch mit auf dem Rücken gefesselten Händen habe ich schlechte Karten.
Amir nickt ihm zu.
Der Kerl verpasst mir eine Kopfnuss.
Kurz sehe ich verschwommen und nehme den stechenden Schmerz erst einen Wimpernschlag später richtig wahr.
Mein ehemals bester Freund lächelt zufrieden.
Ich schüttele den Kopf, um wieder klar denken zu können. Durch zwei Strähnen meiner Haare, die mir bis zum Nacken reichen, fixiere ich den Mann, der sich von meinem engsten Vertrauten zu meinem größten Feind gewandelt hat.
Etwas Warmes, Nasses rinnt mir vom Haaransatz und schließlich an meiner linken Schläfe hinab. Kurz ereilt mich heftiger Schwindel, sodass ich wegknicke, mich aber schnell wieder fange und aufrichte. Auf den Holzboden des schwankenden Bootes tropft zu meinen Füßen frisches Blut.
Amir lacht dunkel und ich frage mich, wie ein Mensch sich zu solch einem skrupellosen Monster entwickeln kann.
„Irgendwann wird Zarnu alles erfahren. Die Wahrheit kommt immer raus. Früher oder später. Dann wirst du an meiner Stelle stehen, weil du mir verwehrt hast, die Wahrheit ans Tageslicht zu bringen! Und glaube mir, auf diesen Tag freue ich mich.“
„So? Tust du das?“ Amir schmunzelt und reibt sich den gestutzten Bart. „Ich denke, dazu wird es nicht kommen.“
„Wird es, Amir. Zarnu bekommt alles raus. Glaubst du, er wird nicht nachforschen, wenn die Betrügereien weitergehen? Weder ich noch mein Vater haben mit der Sache zu tun! Und erst recht nicht, um es dann dir in die Schuhe zu schieben! Denk doch mal nach, verdammt!“ Ich versuche, stark zu bleiben, doch der nahende Tod ist mir gewiss und lässt mich hart schlucken.
„Halts Maul! Ich will nichts mehr aus deinem verlogenen Mund hören!“
„Und das war’s jetzt?“
„Glaubst du, ich will dich umbringen?“ Amir kneift seine Augen zusammen, sodass sie dank seiner ausgeprägten Schlupflider fast verschwinden. Dann lacht er plötzlich auf. Verhöhnt er mich?! „Du glaubst wirklich, dass ich es dir so einfach machen werde?“ Er lacht dem Gorilla neben mir zu. „Hast du das gehört, Rico?“
Der Gorilla und die schattenhaften Gestalten, die hinter ihm den Kahn durch die Wellen lenken, lachen aufgesetzt mit.
Amir öffnet den Koffer und nimmt eine Manschette heraus. „Das ist eine Fußfessel der besonderen Art. Für meinen besonderen Freund.“ Mit dem Finger fährt er über die dunkle Manschette. „Aus Stahl gefertigt, mit einem Bewegungssensor und GPS. Damit ich immer weiß, wo mein Verräter-Freund gerade ist. Doch das Beste kommt noch.“ Er grinst höhnisch und ich kann den Teufel in seinen Augen sehen. „Das besondere Feature ist der eingebaute Sprengsatz.“ Er sieht zu einer nahegelegenen Insel hinüber. Die Insel der Verbannung. „Limanossa ist jetzt dein neues Zuhause, Balian. Da kannst du deinem alten Herrn beim Sterben zusehen – vorausgesetzt, du schaffst es bis an Land. Und wenn du vorhast, diese Insel zu verlassen, kannst du das gern tun … Aber die Explosion wird gigantisch. – Glaub mir.“ Mit der freien Hand, die er vor sich haltend erst zur Faust ballt und dann schlagartig die Finger spreizt, untermauert er seine Aussage. „Zehn Kilometer Radius von Anwesen Lishia lasse ich dir. Aber keinen Meter mehr.“ Amir lächelt finster. „Sieh es mir nach, dass ich dich dort nicht besuchen werde. Es gibt gewisse Differenzen, wie du weißt. Aber ich werde ganz bestimmt jeden Tag an dich denken.“ Sein höhnischer Blick provoziert mich bis aufs Blut. „Ob es sehr unansehnlich wird, wenn deinem Daddy bald nach und nach die Organe platzen? Das wird bestimmt eine fiese Sauerei. Du musst mir unbedingt davon berichten.“
Das reicht! „Du elender Bastard!“ Ich reiße mich vom Gorilla los und stürme auf diesen Wichser zu. Doch plötzlich werde ich zurückgerissen.
„Nicht so eilig!“ Der Gorilla hat mich wieder fest im Griff.
Eine Hand greift nach meinem Fußgelenk und legt mir die Fessel an.
Es klickt.
Mein Schicksal ist besiegelt.
Amir schnalzt tadelnd mit der Zunge. „Na, na, na. Kein Grund, die Beherrschung zu verlieren, Balian.“ Er nickt dem Affen hinter mir zu, der mich an den Rand des Bootes drängt.
„Eines will ich noch von dir wissen, Amir.“
Er strafft die Schultern, legt den Kopf schief und durchbohrt mich fast mit seinem raubtierhaften Blick. „Ich bin ganz Ohr.“
„Erst mein Vater, jetzt ich … Sag mir: Warum hast du solche Angst vor der Wahrheit? Du weißt, wer es in Wirklichkeit war, habe ich recht?“
Amirs linke Braue zuckt. Das tut sie immer, wenn er nervös wird. Ich kenne ihn lange genug, um das zu deuten. „Warum gibst du es nicht einfach zu?“
Er lässt die Finger knacken und packt mich am Kragen. Dabei blitzt Wut aus seinen Augen. „Weil du ein verdammter Egoist bist, der den Hals nicht voll genug bekommt! So warst du schon immer! Hast du eine Ahnung, was du damit angerichtet hast, den Verdacht auf mich zu lenken?! Eine Woche hat man mich weggesperrt! Ins Detail brauche ich wohl nicht zu gehen.“
„Das habe ich nicht!“
„Natürlich nicht.“ Amir lacht ungläubig auf. „Hast dich immer für den Besseren von uns gehalten! Prinz Charming.“ In seinem Gesicht braut sich ein Gewitter zusammen. „Der mit dem besonderen Charisma, der mit dem meisten Geld, der mit den härtesten Muskeln und der mit den schöneren Frauen. Ein verdammt genialer Ganove und trotzdem Schwiegermamas Liebling. Du bist so verlogen! Und du willst über Jahre wie ein Bruder für mich gewesen sein? Du bist ein Verräter!“ Der abfällige Ton, mit dem er diese Worte spricht, untermauert seine blinde Wut auf mich. Hat er mich wirklich immer so gesehen? Nein. Garantiert nicht.
„Wir hatten es beide nie leicht“, verteidige ich mich und vergesse für einen Moment meinen Zorn. „In meinen Augen habe ich uns immer als gleichwertig angesehen.“ Das Bild meines Vaters schleicht sich in mein Bewusstsein und schon ist meine Wut auf Amir wieder da. Abschätzig sehe ich an ihm herab. „Bis jetzt.“
„Nun ist es genug, mein Freund! Auf Nimmerwiedersehen. Wenn du es lebend bis zur Insel schaffst, hast du dir wenigstens noch meinen Respekt verdient.“ Amirs grausames Lachen ist das Letzte, das ich wahrnehme, bevor ich ins Wasser gestoßen werde und die Dunkelheit mich einhüllt.
2. Kapitel
SAMIRA
Portland, USA
Vier Monate später …
Die Sonne steht in leuchtendem Orange längst tief am Himmel, als ich – wieder einmal viel zu spät dran – durch Portlands Straßen hetze. Aber schneller war es mir nicht möglich, mich von meinem mäßig gut bezahlten Job als Babysitter loszureißen. Lauren wollte um Punkt acht Uhr zu Hause sein. Jetzt ist es zwanzig vor zehn und Jade wartet bereits seit einigen Minuten auf mich. Ich hatte nicht einmal Zeit, um mich ein bisschen schick zu machen – schließlich wollen wir heute Abend feiern. Gründe genug haben wir ja: Jade hat ihr Jurastudium erfolgreich absolviert und ich meines in Kunst. Nur was ich damit anfange, weiß ich noch nicht. Ich bin Mitte zwanzig und habe keine Ahnung, wie mein Leben weitergehen soll. Im Gegensatz zu Jade, deren Eltern ihr schon vor Wochen eine Anstellung in einer Kanzlei verschafft haben, stehe ich immer noch mit leeren Händen da – dabei habe ich mir das Studium hart erarbeitet.
Das Black Leopard in Old Chinatown gerät endlich in mein Sichtfeld – die angesagte Bar mit dem goldenen Raubtier auf dem schwarzen Eingangsschild, die wir heute mal ausprobieren wollten.
An der letzten roten Fußgängerampel, die mich von der Bar trennt, trete ich ungeduldig mit den Füßen auf der Stelle, als würde sie so schneller auf Grün umschlagen.
Etwas platscht mir auf den Kopf.
Erschrocken sehe ich zum Himmel auf. Herrgott, das war hoffentlich kein Vogel! Hastig taste ich meinen Kopf ab und schaue auf meine Finger. Mein Atem geht schnell. Ein Zwischenfall mit Vogelkot würde mir den Abend ruinieren. Erleichtert stelle ich fest, dass es bloß Wasser und keine stinkende, weiße Masse ist. Glück gehabt. Auf dem Steinboden mehren sich Regentropfen. Bitte nicht jetzt auf den letzten Metern. Ich möchte gern trocken ankommen.
Die Ampel schlägt um und ich flitze los. In Ballerinas zu der Boyfriendjeans und einer bunten Strickjacke über dem weißen Top werde ich wohl heute nicht glänzen. Tolles Partyoutfit, Samira …
Erleichtert darüber, die Bar erreicht zu haben und dem zunehmenden Regen entgangen zu sein, ziehe ich die quietschende Tür auf und erfasse noch kurz den Leoparden über mir. Zeitgleich mit dem Läuten eines Türglöckchens trete ich ein.
Musik und der Geruch von Nebelmaschinen und Whiskey dringen mir entgegen. Sofort hebt sich meine Laune. Die schwarze Fußmatte zu meinen Füßen weist ebenfalls einen goldenen Leoparden auf. Schick. Hinter mir gleitet die Tür rüde ins Schloss, als ich nach Jade Ausschau halte. Es ist wie eine der Szenen, die im Film immer in Zeitlupe dargestellt werden. In der alle Augen auf der Hauptperson liegen, die sich umsieht, mit einer Hand durch das wallende Haar fährt, um sich dann elegant und in aller Ruhe zu ihrem Ziel durch den Raum zu bewegen. Ein Auftritt wie dieser wäre mir eher unangenehm. Ich suhle mich nicht gern in Aufmerksamkeit, obwohl ich ein sehr geselliger Mensch bin.
Die Einrichtung der Bar ist in dunklen, satten Farben gehalten – tiefschwarzes Holz, Lederpolster und goldene Akzente, die im gedämpften Licht schimmern. An den Wänden hängen Bilder, die Leoparden in Anzügen und menschlicher Haltung zeigen. Die Musik dringt durch die Räume, während Schatten in den Ecken tanzen. Die Augen gewöhnen sich langsam an das schummrige Lichtspiel, das die Umgebung in eine geheimnisvolle Aura taucht.
Jade steht an einem Tisch unweit der Bar, hat das mittellange blonde Haar streng zurückgekämmt und trägt ein silberglitzerndes Top über einer schwarzen High-Waist-Jeans. Auf ihren Pumps ist sie beinahe genauso groß wie ich mit meinen abgelaufenen Ballerinas. Wobei das noch das beste Paar von allen ist. Jade und ich müssen unbedingt mal wieder shoppen, wenn ich ein wenig Geld zusammengespart habe. Meine Freundin nimmt mich in Augenschein und lächelt mir zu. Ich beneide sie um ihre Schminkkunst, denn ihre hellblauen Iriden werden von einem atemberaubenden Cat-Eye-Make-up betont. Warum kann ich mich nicht so toll aufhübschen? Wenn ich einen Eyeliner-Strich ziehe, sehe ich aus wie Cleopatra auf Speed.
Schnell eile ich zu ihr an den Tisch, bevor mich in meinem Normalo-Outfit hier noch jemand genauer mustert, und begrüße meine beste Freundin seit Sandkastenzeiten mit einer innigen Umarmung. „Tut mir sooo leid. Lauren hat mal wieder getrödelt und ich –“
„Du konntest die Kleinen ja schlecht sich selbst überlassen“, beendet Jade den Satz mit einem Lächeln. „Ist doch kein Problem. Ich bin auch gerade erst gekommen“, sagt sie, damit ich mich besser fühle, aber ich weiß genau, dass sie flunkert. Jade ist die Pünktlichkeit in Person. Sie ist immer ein paar Minuten zu früh, aber niemals zu spät.
„Ich hasse diesen Job“, stöhne ich schmollend, presse entschuldigend die Lippen aufeinander und greife nach der Getränkekarte.
„Du brauchst das Geld – ich weiß. Mein Angebot steht übrigens noch, meine Liebe. Du brauchst nur etwas zu sagen.“ Ihr Augenzwinkern entlockt mir ein tiefes Brummen. „Hab dich nicht so. Es ist nur Geld – keine Niere.“
Sofort werfe ich ihr einen düsteren Blick zu. „Jade, darüber haben wir schon gesprochen.“
„Was ist an einem zinslosen Darlehen so schlimm? Ich habe das Geld, es tut mir nicht weh, wenn ich es dir gebe … und du gibst es mir einfach irgendwann zurück.“ Das Wort irgendwann betont sie etwas zu sehr. Ich kenne Jade lange genug, um zu wissen, dass sie es gar nicht erst zurückhaben möchte und auch, wie vermögend ihre Familie ist. Jades Vater betreibt ein riesiges Bauunternehmen, in das sie nach dem Jahr in der Kanzlei, in dem sie nun Berufserfahrung sammeln will, als hauseigene Juristin einsteigen wird.
„Hast du eigentlich schon eine Antwort von der Galeristin? Wie hieß sie noch gleich? May…lie?“
„Mayla.“ Seufzend schüttele ich den Kopf. „Leider noch nicht.“ Dabei ist mir klar, dass Mayla Smith mich nicht bei sich anstellen wird. In einer Galerie zu arbeiten, mit Künstlern zu korrespondieren und Vernissagen zu organisieren, wäre mein absoluter Traum.
„Das wird schon. Ansonsten könnte ich -“
Schnell lege ich meinen Zeigefinger auf ihren Mund. „Schluss mit dem Bemuttern. Wir feiern jetzt“, entgegne ich ihr mit dem gleichen optimistischen Lächeln, das meine Mom in schwierigen Situationen immer auf den Lippen trägt. Und davon hatten wir in der Vergangenheit leider so einige. Als alleinerziehende Mutter hatte sie es nie leicht mit mir. Trotzdem hat sie es mich nie spüren lassen. Aber je älter ich wurde, desto mehr fiel mir auf, wie kaputt sie jedes Mal von ihrer Arbeit als Krankenschwester nach Hause kam. Sie hat jede Schicht angenommen, die ihr zugeteilt wurde. Hat nie nach einer festen Schicht gefragt, weil sie dankbar war, diesen Job zu haben, der uns beiden ein Dach über dem Kopf und einen vollen Magen beschert hat. Noch lieber wäre mir allerdings Zeit mit ihr gewesen, denn meist habe ich sie tagsüber – wenn überhaupt – nur kurz zu Gesicht bekommen. Doch ich war nie sauer deswegen, weil ich wusste, dass sie das für uns tat. Daher kam ich auch nicht erst auf die Idee, für mein Studium bei ihr nach Geld zu fragen. Das habe ich mir durch einen Job als Babysitter bei einer reichen Familie, die Jade mir vermittelt hat und der gelegentlichen Tanzerei in einer russischen Bar selbst finanziert. Ich war schon immer zu stolz, um fremde Hilfe anzunehmen. Da komme ich ganz nach meiner Mom. Ich bin ihr in vielem so ähnlich. Ihre langen dunklen Haare und die bernsteinfarbenen Augen habe ich ebenfalls von ihr.
Jade bestellt eine Flasche Sekt und keine zehn Minuten später erheben wir die Gläser.
„Auf uns und eine schillernde Zukunft“, toastet Jade mir zu. Aus ihrem Mund klingt es beinahe auch für mich realistisch.
„Auf uns und ein Leben voller Liebe und wildem Sex“, füge ich breit grinsend hinzu, weil wir beide schon viel zu lange Singles sind.
Jade schmunzelt und eine zarte Röte legt sich verräterisch auf ihre Wangen. „Jaja. Darauf auch“, sagt sie und lässt ihr Glas gegen meines klirren.
Ich nippe an dem prickelnden Getränk, das in Jades Gegenwart immer besser schmeckt.
Zwei Männer mit imposanter Gestalt gesellen sich an den Tisch neben uns. Ihrem Aussehen nach zu urteilen, sind sie Anfang dreißig, besitzen vermutlich asiatische Wurzeln und haben einen unnachahmlichen Charme, der sich perfekt in die düstere Szenerie einfügt. Kaum eine Minute später wird auch ihnen eine Flasche edler Prickelbrause in einem Sektkühler gebracht.
„Also, was machen wir in den nächsten sechs Wochen, bis der Ernst des Lebens losgeht?“, frage ich Jade und lehne mich verschwörerisch mit den Ellbogen auf der Tischplatte vor.
„Ich bin für Urlaub“, schlägt sie grinsend vor und kassiert von mir ein stummes Kopfschütteln.
„Falsche Antwort. Ich muss die Zeit auf jeden Fall nutzen, um noch ein paar Kröten auf die Seite zu legen. Außerdem ziehen die Goldwines bald weg. Bis dahin brauche ich den Job und am besten den Platz in der Galerie.“
„Das klappt schon“, versucht meine beste Freundin mich zu motivieren und hebt erneut das Glas. „Mayla wäre dumm, wenn sie eine Frau mit deinem Talent übersieht. Du lebst die Kunst. Wer wäre besser geeignet als du?“
Über Jades Schulter hinweg sehe ich, dass einer der beiden Männer sein Glas in unsere Richtung hebt, ein subtiler Gruß inmitten der undurchdringlichen Atmosphäre. Sein Blick ist intensiv, fast raubtierhaft, und doch strahlt er eine einnehmende Aura aus.
Mein Herz klopft wild in meiner Brust, als er sich erhebt und langsam auf uns zukommt. Seine dunklen Augen erfassen mich, während ich mich in dem lebhaften Bild des Hintergrunds verliere. Ich spüre eine Mischung aus Nervosität und einer seltsamen Faszination, die mich in ihren Bann zieht.
Die düstere Atmosphäre der Bar scheint sich plötzlich um uns herum zu verdichten, während die Spannung zwischen uns greifbar wird. Ein Hauch von Abenteuer und Geheimnis liegt in der Luft, und ich kann nicht anders, als mich von dieser unerklärlichen Anziehung mitreißen zu lassen.
Verwundert sehe ich den Fremden an, der mir sein Glas entgegenhält, als wolle er ebenfalls mit mir anstoßen. Ich kann nicht genau erraten, woher er wohl stammen mag. Seine mandelförmigen Augen und sein gebräunter Teint verleihen ihm eine gewisse Eleganz. Im Vergleich zu den Männern, die ich bisher kennengelernt habe, ist dieser ziemlich groß und von stattlichem Körperbau.
„Entschuldigung, Mister, kennen wir uns?“, frage ich höflich, aber skeptisch.
Der Mann mit den scharfkantigen Gesichtszügen und den dunklen Augen mustert mich amüsiert, bevor er spricht. „Noch nicht, aber da du einen Job suchst, wie ich – zugegeben unfreiwillig – mitangehört habe, dachte ich mir, ich schalte mich kurz dazu.“ Der Fremde, der in seinem teuer anmutenden dunklen Anzug ziemlich wichtig wirkt, sieht mich wartend an.
Verdutzt hebe ich eine Braue und sehe zu Jade, die mit den Schultern zuckt.
„Oder habe ich das falsch verstanden?“, fragt er und schwenkt das Glas in seiner Hand, als sei es Wein. Seine Haare sind schwarz wie die Nacht und sein Blick stechend wie auch interessiert. Er fasziniert und verunsichert mich gleichermaßen.
„Doch, doch, das ist schon richtig, aber …“, stammele ich überrumpelt und sehe an ihm vorbei zu seiner Begleitung. Dieser Mann trägt ebenfalls einen feinen Anzug, doch sein Haar ist hellbraun mit gefärbten Spitzen.
„Ich bin übrigens Amir“, entgegnet der Mann vor mir in einem beinahe akzentfreien Englisch und reicht erst mir und dann Jade die Hand. Der perfekt getrimmte Bart, der elegant seine Mundpartie umspielt ist nur ein Teil seines makellosen Gesichts. Die schlanke Nase wirkt wie in Stein gemeißelt und die dunklen Brauen über seinen Augen mit dem einnehmenden Blick tun ihr Übriges für einen einschüchternden Gesamteindruck. „Das ist mein Geschäftspartner Cahyono.“
„Amir, das klingt arabisch“, stelle ich mit einem Lächeln fest und nicke seinem Partner freundlich zu, bevor ich mich wieder Amir zuwende.
„Das ist richtig. Ich habe arabisch-asiatische Wurzeln“, antwortet dieser und nimmt mich so intensiv in Augenschein, dass sich ein aufgeregtes Kribbeln in mir ausbreitet.
„Interessant. Ähm … ach so … Ich habe noch ein paar Fragen. Möchtet ihr euch nicht zu uns stellen?“, schlage ich vor, da ich nicht unhöflich sein möchte und muss mir eingestehen, dass ich den Kerl irgendwie faszinierend finde. Normalerweise fallen eher harte Biker in mein Beuteschema. Außerdem könnten mein und Amirs Dresscode nicht unterschiedlicher sein.
Auf Jades Lippen liegt ein eindeutiges „Nein“, doch aus mir unerfindlichen Gründen ignoriere ich es. Vielleicht ist es eine kleine Racheaktion, weil sie mich ständig bemuttern will, aber möglicherweise auch die reine Neugierde, das Geheimnis zu lösen, das in Amirs dunklen Augen verborgen liegt. Seine Präsenz ist so fesselnd, dass es mir schwerfällt, den Blick von ihm abzuwenden.
„Gern, wenn es euch nichts ausmacht.“ Er scheint sich das Einverständnis von Jade einholen zu wollen, als er das Gesicht in ihre Richtung dreht. Jade jedoch hält inne und sucht meinen Blick. Als ich nicht reagiere, lächelt sie verhalten.
Die beiden Männer gesellen sich zu uns an den Tisch, was Jade ziemlich skeptisch beäugt. Sie traut den beiden nicht. Das kann ich an ihren Augen ablesen und daran, wie sie mit den Fingernägeln den Untersetzer ihres Glases malträtiert. Ich mache eine Abwarten-Geste mit der Hand, woraufhin sie unter einem Augenrollen nachgiebig schnauft.
„Also, wenn du“, Amir lässt seinen Blick von mir zu Jade wandern, „beziehungsweise ihr beide kurzfristig lukrative und abwechslungsreiche Arbeit sucht, hätte ich eventuell etwas für euch. Vorausgesetzt, ihr seid spontan, zuverlässig und könnt gut mit Menschen umgehen. Die Anforderungen sind nicht sehr hoch. Dass ihr fließend Englisch sprecht, kommt euch zugute – uns sind nämlich zwei Mitarbeiter wegen Krankheit abgesprungen, für die wir dringend Ersatz suchen“, beginnt er mit einem wohlwollenden Lächeln zu erzählen, während er uns von seinem Champagner einschenkt.
„Eigentlich sind wir nicht auf Jobsuche, sondern bei der Urlaubsplanung“, entgegnet Jade, in deren Unterton klares Misstrauen liegt. Die Kälte, die sie ausstrahlt, lässt selbst mich auf einmal frösteln. Sie lehnt sich zu mir herüber und legt die Lippen an mein Ohr. „Süße, nimm einfach mein Geld und lass es gut sein. Die Typen sind mir nicht geheuer. Ein seriöses Unternehmen führt doch ein vernünftiges Personalgespräch.“
„Nein, Jade“, knurre ich leise und trete ihr sanft auf den Fuß. „Jetzt lass uns sein Angebot erst einmal anhören.“
„Urlaubsplanung?“ Amir tauscht stumme Blicke mit seinem Partner aus, der mir ziemlich introvertiert erscheint. Dann wendet er sich wieder mir zu. „Vielleicht kann man beides miteinander verbinden. Wir möchten euch natürlich keine Umstände machen“, erwähnt Amir, der offenbar unsere kleine Unstimmigkeit aufgeschnappt hat. Natürlich hat er das. Jade legt die Ausstrahlung von drei Litern Fluorwasserstoffsäure an den Tag.
„Nein, nein“, werfe ich mit erhobener Hand ein und lächele besänftigend. „Erzähl uns bitte genauer, worum es geht.“ Aus dem Augenwinkel heraus erfasse ich Jades Augenrollen, doch entscheide mich dafür, nicht darauf zu reagieren.
„Nun, meine Geschäftsfreunde und ich machen eine Schiffsüberfahrt nach Jakarta. Ein Firmenevent zum Networking mit möglichen neuen Geschäftspartnern aus der Automobilbranche. Mit Zwischenstopp auf den Inseln natürlich. Auf dem Schiff werden viele helfende Hände gebraucht. Darunter auch zwei Stellen als Animateure, um die Gäste während der langen Überfahrt ein wenig zu unterhalten.“
„Wir sollen Partyclown spielen, Kinder schminken und Poolnoodle-Gymnastik mit Rentnern machen?“, wirft Jade ein und verzieht entgeistert das Gesicht, was ich nicht weiter beachte.
„Nun, Kinder werden aller Wahrscheinlichkeit nach nicht an Bord sein. Und ihr werdet natürlich anständig entlohnt.“
„Ja, ist klar …“ Meine Freundin schüttelt den Kopf. „Samira, lass dich nicht ver –“
„In welcher Höhe?“, schieße ich dazwischen und nehme absichtlich keine Notiz von Jades Murren. Kann sie sich nicht einmal für ein paar Minuten zusammennehmen?!
Amir lehnt sich ein wenig vor. Dabei dringt mir sein fesselnder Geruch nach Zedernholz und Moschus in die Nase. „Die Fahrt dauert vier Wochen, das solltet ihr einplanen. Dafür gibt es zehn Riesen für jede von euch. Eigentlich wäre es erheblich weniger, doch aufgrund der Dringlichkeit ist mein Vorgesetzter sehr wohlwollend.“
Mit offen stehendem Mund starre ich Amir an und muss schlucken, während ich das Gehörte gedanklich wiederhole. Zehn Riesen?! Damit wären all meine Sorgen erst einmal Geschichte.
Jade lacht neben mir ungläubig auf und rollt mit den Augen.
„Du verarschst uns doch, oder?“
„Sehe ich etwa so aus?“ Amir wirkt beinahe beleidigt, während seine Begleitung heiter schmunzelt. „Ich würde es als faires Angebot bezeichnen.“
Mein Blick gleitet von oben wie ein Scanner über ihn. Erst jetzt fallen mir die dicke goldene Uhr an seinem Handgelenk und die teuren Schuhe auf. Nein, dieser Mann macht keine Scherze. Meine Augen wandern wieder hinauf und bleiben an seinem kantigen Gesicht mit dem gepflegten Dreitagebart und den dunklen, mandelförmigen Augen hängen.
Die zum Greifen nahen Möglichkeiten, die sich mir auftun, lassen mich nicht mehr los. Zehntausend Dollar! Damit könnte ich einige Monate überbrücken und sogar meiner Mutter etwas unter die Arme greifen. Gegen alle Vernunft und ohne mich mit Jade zu besprechen, straffe ich die Schultern und werfe Amir einen entschlossenen Blick zu. „Also ich wäre nicht abgeneigt. Bis wann müssen wir uns entscheiden?“
„Samira!“, höre ich Jade und wage es nicht, zu ihr zu sehen.
Das ist meine Chance. Es geht um eine Menge Geld, die ich aus eigener Kraft verdienen kann, ohne jemandem etwas schuldig zu sein und die mir eine gewisse Freiheit und Erleichterung verschafft.
„Können wir nicht erst einmal zusammen darüber sprechen? Unter vier Augen?!“ Wieder ist es meine beste Freundin, die protestierend ihre Einwände offenlegt.
„Deine Freundin hat recht. Überlegt es euch. Schlaft eine Nacht drüber und meldet euch bis morgen Abend.“ Amir zieht eine Visitenkarte aus der Innentasche seines Jacketts. „Wir legen Montag ab. Ihr habt also noch bis morgen um achtzehn Uhr Zeit, zu- oder abzusagen.“ Er sieht zu Jade, die ihn kritisch mustert.
Amir leert sein Glas. „Ich wünsche den Ladys noch einen angenehmen Abend.“ Er nickt dem anderen Mann zu, um den Aufbruch anzukündigen. „Hat mich gefreut, eure Bekanntschaft zu machen. Ich hoffe inständig, dass wir uns wiedersehen.“ Er reicht erst mir und dann Jade die Hand, die sie nur widerwillig schüttelt und den Blick sofort wieder von den beiden Männern abwendet. Ich sehe genau, wie es in ihr brodelt.
Schweigend sehen wir den beiden Männern nach, wie sie den Kellner mit einem dicken Schein bezahlen – er bedankt sich mit hochrotem Kopf – und dann die Bar verlassen. Wahrscheinlich haben sie ihm ein ordentliches Trinkgeld gegeben. Wie in Trance sieht der Kellner ihnen nach, bevor er seine Arbeit wieder aufnimmt.
„Samira, sag mal, bist du von allen guten Geistern verlassen?“
Sofort hebe ich die Hand. „Jade, bitte. Du weißt genau, dass ich das Geld wirklich dringend brauche.“
„Aber das kannst du auch von mir bekommen.“
„Ich weiß“, entgegne ich und blicke ihr sanftmütig entgegen. „Aber ich will es mir selbst verdienen. Und du wolltest Urlaub. Warum also nicht beides miteinander verbinden?“
Jade seufzt und gibt ein nachgiebiges Brummen von sich. „Ach, Süße …“
„Das werte ich jetzt mal als Zustimmung.“
„Nein, das war keine -“
„Doch. War es“, stelle ich tonangebend fest und drücke ihr einen Kuss auf die Wange. „Ich werde diesen Job wahrscheinlich annehmen und ich würde mich freuen, wenn du mich begleitest.“
„Du bist total leichtsinnig! Du kennst diese Leute doch überhaupt nicht.“
„Ich kenne auch Mayla von der Galerie nicht wirklich. Zwar weiß ich um ihre Position, aber über sie persönlich ist mir gar nichts bekannt. Vielleicht ist das eine durchgeknallte Psychopathin. Wer weiß das schon? Trotzdem wollte ich den Job. Und du kennst mit Sicherheit auch nicht jeden aus der Kanzlei.“
Jade kneift verdutzt die Brauen zusammen.
„Weißt du, ob dieser Carlos, der bei euch die Post sortiert, nicht ein durchgeknallter Creep ist, der auf eBay getragene Schlüpfer ergattert, um sie zu sammeln?“
Jades Mundwinkel zucken. Sie muss lachen, doch sie will nicht. „Das kannst du doch gar nicht vergleichen“, entgegnet Jade, als sie sich scheinbar wieder gefangen hat.
„Ich habe seine Karte und werde mich morgen früh über das Unternehmen, für das Amir arbeitet, genau informieren, okay? Der Name der steht ja hier.“ Entschlossen blicke ich meine Freundin an.
Jade stößt laut Luft aus. „Also schön. Informiere dich erst mal. Dann reden wir weiter.“
„Du bist die Beste!“, platzt es euphorisch aus mir heraus.
„Nicht so voreilig. Wahrscheinlich wirst du sowieso feststellen, dass dieses Unternehmen, was auch immer es ist, nicht seriös ist.“
„Das werden wir ja sehen.“ Ich schenke uns Sekt nach und erhebe erneut mein Glas. „Auf den wahrscheinlich besten Trip unseres Lebens.“
„Abwarten“, murmelt Jade nachgiebig lächelnd und stößt ihr Glas an meines.